Unerfüllte Träume einer jungen Liebe

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

*

Bekenntnisse eines liebenden Menschen

Diether kam ganz aufgeregt aus dem Badezimmer, als er den Heli aufsteigen hörte. Uschi machte die Türe zum Schlafzimmer auf, legte wegen der beiden Damen den Finger auf den Mund und drückte das Nachtlicht aus. „Da hat das Bundesheer direkt zugreifen können, weil ich die schwarzen Vermummten an der Bergstation beobachtet habe. Ich bin schnell hinunter zu Urs und habe ihm von hier oben aus alles gezeigt. Sofort hat er Alarm gegeben und nun schau, was der Heli macht: Tränengaswolken lässt er raus und dadurch hat Uerli sie alle in die Halle der Station getrieben. Dort waren die Männer des Abschirmdienstes, den Urs leitet, und die haben dann die Terroristen in Empfang genommen“, berichtete Uschi dem Freund leise.

„Du bist ja ein ganz tolles Mädel, darauf wäre ich nie gekommen“, meinte Diether aufgeregt.

„Weißt, Bub, da oben ist sonst nur ein Wachmann, der Uli Keller. Dieser hatte heute Abend frei, das haben diese Gangster wohl herausgefunden. Denn sonst ist der Uli allein da oben und geht in einem Turnus von dreißig Minuten seine Runden. Übrigens er ist Bergführer und schaut nach, wenn er diese Runden geht, ob es vielleicht Notsignale in der Berninagruppe gibt oder Hilferufe“, erklärte Uschi. „Mei, Diether, es ist schon Mitternacht, jetzt müssen wir aber schleunigst zu Bett gehen.“ Sprach es und schloss die Fensterläden an Diethers Fenster, schwang sich dann auf die Bettcouch und wollte gerade Gute Nacht sagen, als Diether sich bei ihr auf den Diwan setzte und dann meinte: „Schatz, ich danke dir bis jetzt für alles, und dass ich mit dir und deiner Patentante auf Rigi Scheidegg wohnen durfte. Ich danke dir vor allem, dass wir miteinander musizieren und kochen und dass ich auf dich aufpassen und dich anfassen durfte. Nicht zuletzt dich küssen und kosen, das war das Höchste. Ich habe noch nie ein Madl wie dich gekannt und so empfunden wie für dich, und dies wird auch nie mehr bei jemand anderem vorkommen. Wenn du mich genauso willst und liebst wie ich dich, kleiner Schatz, dann musst du mir Bescheid sagen, wenn nicht, dann werde ich damit leben müssen, so schwer mir dies auch fallen würde. Immer werden wir uns nicht sehen können, aber es gibt Telefone und Briefe kann man auch schreiben. Du hast mir ein Lied gesungen: Still wie die Nacht und tief wie das Meer soll deine Liebe sein. Bei mir ist es so, kannst du mir sagen, ob du genauso für mich empfindest, dann sage es mir jetzt!“

Uschi staunte zunächst ob seiner langen Rede. Sie zog ihn zu sich herunter und küsste ihn aufrichtig. „Nun kommt mein Bekenntnis, Diether. Mei, Bub, ich hatte auch schon einige Freunde, und zwar in der Schule, in der KJG der Pfarrgemeinde, in den Bergen und beim Klettern. Der Fritz, Rosels Bruder, er war ein Freund seit Kindertagen, er hat sich selbst hinauskatapultiert mit seiner saublöden Eifersucht. Bei dir aber habe ich vom ersten Moment an gespürt, dass du was ganz Besonderes für mich bist. In meinem Bauch kribbelten tausend Ameisen und tobten ebenso viele Schmetterlinge. Mein Herz schlug so laut wie ein Hammer bis zum Hals und ich habe bei mir gedacht: Das muss die Liebe auf den ersten Blick sein, die man nur einmal im Leben trifft, aber dann für immer“, schluchzte Uschi leise.

„Ach, meine Kleine, mir ging’s genauso. Ich habe mir natürlich etwas überlegt, wir müssen uns ja besser kennenlernen. Normalerweise wäre ich nach Wien zurückgefahren. Aber das neue Semester fängt erst Mitte Oktober an. So können wir einige Wochen hier im Oberengadin zusammen den Urlaub erleben. Dann muss ich zurück nach Wien. Ob wir uns dann in diesem Jahr noch sehen, lassen wir am besten auf uns zukommen. Meine Kameraden und ich werden im Frühsommer 1960 ins Karakorum reisen, um dort einige Siebentausender zu besteigen. Darüber werde ich dir dann noch schreiben, ganz bestimmt“, erklärte Diether. „So, mein Schatz, noch ein Bussi und jetzt schlaf schön, Kleines, gute Nacht!“

„Dir auch Bub, a guat’s Nächtle.“

Die Nacht verlief ruhig, der Mond schien silberhell über den Bergen des Oberengadins. Über allen Gipfeln ist Ruh, so hätte man singen können. Gegen Morgen, noch sehr früh am Tag, wurde Uschi wach. Sie musste sich erst besinnen, wo sie war. Dann fiel es ihr ein: Auf Urs Jagdhütte befand sie sich. Mit Diether, der ebenfalls mitgekommen war und sicher mit ihr und ihrer Patentante in dieser Berghütte einige Zeit verweilen würde. Es war Mitte August und noch Urlaubszeit. Ursula hatte noch bis Mitte September Schulferien und Diethers Semester begann erst einen weiteren Monat später. Dies alles ging Ulli gerade durch den Kopf. Sie konnte es immer noch nicht glauben, dass ihr die erste große Liebe begegnet war. Sie wussten eigentlich noch gar nichts voneinander.

Im Halbdunkel des Zimmers regte sich jemand und schlug im zweiten Bett die Augen auf. „Guten Morgen, meine Süße, du bist ja schon wach?“, fragte Diether gähnend.

„Ja, schon eine Weile, mein Lieber! Diether, kimm amoal her zu mir, ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen.“

„I kimm gleich, ich suche nur meine Latschen, ah, da sind sie ja.“ Dann stand er in seiner ganzen Länge von 1,80 Metern aus dem Bett auf, reckte und streckte sich, kam zu Uschis Schlafcouch und setzte sich neben sie. Er nahm sie zuerst in seine Arme und küsste sie liebevoll auf den Mund. „Was ist es denn so Bedeutendes, das du von mir wissen möchtest?“, fragte er freundlich.

„Alles, Burli. Ich möcht a bisserl mehr über dich erfahren, nicht nur deinen Namen, sondern auch, wo du in Wien wohnst, was du in deiner Freizeit tust, woher du kamst, als wir uns in Luzern begegnet sind. Hast du eine Freundin in deiner Heimatstadt und was studierst du an der Universität? Welche Hobbys hast du außer Bergsteigen?“ Dies alles wollte Ursula an diesem stillen Morgen von Diether, der so urplötzlich in ihr Leben getreten war, wissen.

„Ach Uschilein, es ist unverzeihlich, dass ich noch nichts zu meiner Person gesagt habe. Erstens bin ich Student, wohne mitten in Wien, studiere Germanistik, Philosophie, Volkswissenschaften und so nebenbei ein wenig Psychologie. Ich spiele Cello, Klavier und manchmal Geige, bin in der Meisterklasse für Celli auf der Musikhochschule und komme aus einer Lehrerfamilie. Ich habe noch eine Schwester. Zweitens, woher ich kam? Ich war mit einem Spezl in Zermatt, wir haben die Matterhorn-Nordwand Anfang August durchstiegen und zuletzt im Appenzeller Land in der Kreuzberggruppe verweilt. Bei der Matterhorn-Nordwand sind wir aber nur bis zur Schulter am Hörnligrat geklettert, wir wären sonst in eine Schlechtwetterzone geraten. Ob das jetzt als Besteigung gewertet wird, das wissen die Götter, wenn ja, wäre es die elfte Durchsteigung. Dafür werde ich die Nordwand mit großer Wahrscheinlichkeit im nächsten Jahr alleine versuchen. Bei diesem Durchstieg habe ich festgestellt, dass sie gut zu klettern ist, technisch bei guten Verhältnissen ein vierter Grad. Bei schlechtem Wetter kann aus einem vierten Schwierigkeitsgrad auch schnell ein fünfter Grad werden, wenn die Kletterstelle mit Eiswasser überzogen ist. Du schaust so skeptisch drein, Schatz, das brauchst du nicht, da ich die Wand und die Route, welche ich gehen werde, kenne. Das ist für mich eine normale Bergtour. Aber mach dir bitte keine Sorgen, bei schlechtem Wetter werde ich erst gar nicht in die Wand einsteigen. Drittens: Eine Freundin habe ich nicht, war bis jetzt immer nur mit den Bergkameraden in den Bergen unterwegs. In der Steiermark, dem Gesäuse, der Rax und in den Westalpen. Meistens mit Peter und Toni. In diesem Kletterrevier der Wiener Bergsteigerelite haben wir schon viele Touren unternommen. In den Hohen Tauern, der Großglockner Nordwand, der Grand Capucin Ostwand, der Drue Westwand und der Torre Trieste Südwand mit Claudio Barbier 1957. In den Westalpen noch die Lyskamm Nordwand, die Breithorn Nordwand und jetzt die Matterhorn Nordwand. So, das sind im Moment eigentlich meine wichtigsten Schandtaten im Gebirge. Meine Hobbys sind: das Theater, Musik, wie du weißt, Literatur und im Winter Skilaufen. Dabei habe ich mit Peter die Überschreitung des Gosaukammes mit Skiern im Frühjahr 1956 durchgeführt. Nun, das war’s bis heute. Und was wirst du mir mitteilen, Kleines?“

Nun war sie an der Reihe, ihm ihr bisheriges Leben zu erzählen. „Also, ich wohne in Trostberg an der Alz im schönen Chiemgau. Wir wohnen fünfundzwanzig Kilometer vom Chiemsee entfernt. Ich gehe in Wasserburg am Inn auf die Realschule für Mädchen, in die Förderklasse für Haushaltswesen und Sozialpädagogik, und bin zurzeit in der fünften Klasse – auf dem Gymnasium ist das Untertertia. Mein Berufsziel ist vielleicht Konzertsängerin. Wenn ich keine Möglichkeit sehe, meine Stimme auszubilden, werde ich einen sozialen Beruf erwählen. Meine Mutter hat ein Trachtengeschäft mit Landhausmoden, Trachtenaccessoires, Stoffen für Dirndlkleider und Zubehör. Einen Teil der Geschichte unserer Familie hast du ja bereits mitbekommen. In meiner Freizeit gehe ich gerne ins Theater, wir haben ein Abo für die klassischen Konzerte der Münchener Symphoniker. Ich liebe, wie du weißt, die klassische Musik und die amerikanischen Songs. Außerdem bin ich in zwei Kirchenchören, spiele leidlich Klavier, gehe in die Berge, mag die Alpenflora und das Fotografieren. Wir singen mit dem Chor viele Konzerte, die hier in einigen bekannten Kirchen stattfinden. Ich mache gerne Handarbeiten und besitze eine kleine Rauhaardackelhündin mit Namen Walburga, genannt Burgel. So, Bub, jetzt weißt du a wengerl von mir und meiner Familie, gell.“

„Ach, weißt, mit deiner Familie zu leben, ist ganz schön aufregend. Was ich in den letzten vierundzwanzig Stunden so mitbekommen habe, ist schon eine Geschichte wert. Wenn ich das erzählen würde, wären ein paar Tage nötig. Aber du hast vieles von mir erfahren, was gute Freunde oft nicht von mir wissen“, erwiderte Diether lachend.

 

„Ich glaube, wir haben genug getratscht, ich bekomme allmählich Hungergefühle. Gehe nun ins Bad, hoffentlich ist es nicht besetzt?“, meinte Uschi schmunzelnd. Diether ließ sie aufstehen und sie huschte aus dem Schlafstüberl. Gott sei Dank, das Badezimmer war frei.

Es roch bereits nach frisch aufgebrühtem Kaffee. „Also ist Mariele schon in der Küche“, dachte Ursula. Sie beeilte sich mit ihrer Morgentoilette, damit Diether anschließend ins salle de bains konnte. Flink kehrte sie ins Zimmer zurück. Rasch beendete Diether ebenfalls seine Morgenwäsche. Unterdessen hatte sich Ulli angekleidet und über ihr Dirndl eine Trachtenstrickjacke gezogen. Sie sah in diesem Ensemble hinreißend aus. „Burli, i geh derweil hinunter in die Kuchl und helfe Mariele ein wenig beim Tischdecken, gell. Du kannst dich ja in der Zeit in Schale werfen, pfüet di.“

„Ja meine Kleine, dies werde ich tun, dann kimm i auch herunter, gell“, lachte er verschmitzt. Ulli sauste wie ein Wirbelwind das Treppengeländer herab und landete unsanft vor der Küchentüre.

„Ei, wer fällt mir denn da vor die Füße?“, rief die Baronin.

„Nun ja, es sollte schnell gehen, Urs hat anscheinend das Geländer poliert, so schwungvoll war i noch nie herunten“, grinste Uschi vielsagend.

„Du sollst ja auch nicht das Treppengeländer benutzen, Ursula, das tut eine junge Dame nicht mehr, besonders, wenn sie frisch verliebt ist, du Racker“, schimpfte Mariele belustigt.

„Kann ich dir noch zur Hand gehen?“, fragte ihr Mündel lachend.

„Na warte, du Lümmeline“, rief Mariele und warf ihr einen Topflappen an den Kopf, den Diether geschickt auffing.

„Was ist denn hier los, werden schon die Küchenutensilien zum guten Morgengruß benutzt“, schmunzelte er belustigt.

„Ja, ihr könnt mir noch etwas helfen!“ Mariele zeigte den beiden, was sie noch alles ins Esszimmer hinübertragen konnten. Die zwei halfen gerne und schnell waren die Dinge aus der Küche auf dem Tisch.

Da erschien Urs auf der Bildfläche. „Oh, das ist ja mal ein prächtiges Frühstückszenarium, das lasse ich mir gefallen. Guten Morgen, meine Damen, meine Hübschen.“

„Guten Morgen, mein Bester“, ertönte Marieles Stimme.

Urs wandte sich an Diether. „Auch gut genächtigt, trotz der Höhe?“

„Sehr gut sogar, habe geschlafen wie ein Murmeltier, gell, Kleines?“ Das konnte Ulli nur bestätigen.

„Ach, weißt du, Urs, die Luft und die Liebe lässt uns ruhiger werden“, antwortete Uschi verschmitzt.

„Hör dir dieses Gör an, Urs, gerade mal sechzehn Jahre alt und spricht von der großen Liebe“, lachte Marie-Theres.

„Nun Mariele, heutzutage muss man die jungen Menschen sehr ernst nehmen. Ich finde es großartig, dass unser junger Freund mitgekommen ist. Er hätte auch sagen können: Nö, das ist mir zu kompliziert, ich fahre lieber nach Chamonix oder heim nach Wien. Das bestärkt mich in meiner Menschenkenntnis, dass er Charakter und soziales Empfinden für einen Teenager hat, dem er gerade die erste Liebe erklärt hat. Er ist auch kein Larifari, so wie ich ihn eingeschätzt habe. Diether ist eine Persönlichkeit mit einem gesunden Menschenverstand. Unsere Kleine ist ein bildhübsches, gescheites Madel, das aus gutem Hause kommt. Warum soll er sich nicht in sie verlieben? Die erste große Liebe ist so schön, man wird sie nie vergessen, auch wenn man vielleicht nicht zusammenkommt. Schau uns an, bei uns ist und war es das gleiche Schicksal und: Sind wir auseinandergegangen? Nein, wir sind immer noch beieinander und das seit zehn Jahren. Ich hoffe noch inständig auf eine Heirat, wenn das vermaledeite Hausgesetz derer von Trostburg endlich außer Kraft gesetzt wird“, resümierte Urs am Frühstückstisch.

„Also, Herr Leutnant, ich fühle mich sehr geehrt von Ihren liebevollen Worten und ich werde mich bemühen, niemanden zu enttäuschen, am allerwenigsten Uschi. Die Liebe auf den ersten Blick ist etwas Großartiges. Man kann sie nicht beschreiben, sie ist plötzlich da, wenn man den Menschen vor sich sieht, bei dem es gefunkt hat. Oder wie man so schön sagt: Der Blitz hat eingeschlagen! Egal auch, wenn man weiter weg wohnt, was bei mir der Fall ist: Es gibt Telefone und die Post. Ich weiß nicht, ob wir uns dieses Jahr noch sehen werden oder erst im nächsten Sommer“, erklärte Diether vorsichtig. Bei diesen Worten nahm er Ulli zärtlich in den Arm und küsste sie auf die Wange.

„Warum können Sie Ursula nicht treffen, Diether?“, fragte die Baronin aufgeregt.

„Bitte nicht aufregen, Mariele, du brauchst keine Angst zu haben. Diether muss fürs Examen büffeln“, erklärte Ulli der verdutzten Baronin.

Da unterbrach Diether Uschis Erklärung und meinte: „Vielleicht sehen wir uns dieses Jahr noch zu Weihnachten und vorher im Herbst auf dem Stripsenjochhaus. Mehr kann ich beim besten Willen noch nicht sagen.“

„Also liebe Leute, lasst uns träumen, die Träume weiterspinnen“, meinte Urs. „Träumen dürfen wir ja und Pläne schmieden ebenfalls. Wenn man keine Träume mehr hat, ereilen uns die Depressionen.“ Sprach es und stand auf, da er Bereitschaftsdienst hatte.

„Ihr Lieben, seid ihr fertig mit dem Frühstück?“, fragte die Baronin.

„Ja, wir sind satt und gehen vielleicht bis zum Berghaus Diavolezza hinauf, was hältst du davon, Mariele?“, entgegnete Uschi.

„Urs, was meinst du, können sich die zwei in diese Richtung wagen?“, erkundigte sich Marie-Theres.

„Ich denke, bis zur Hütte könnten sie wandern. Doch ich werde per Funk dem Uli auf der Bergstation Bescheid geben, er soll ein Auge auf die jungen Leute haben. Mach dir doch nicht so viele Gedanken, meine Männer sind noch oben. Ich werde sie anweisen, dass sie gut auf die beiden aufpassen, ist das okay?“, versuchte Urs, sie zu beruhigen.

„Etwas ruhiger bin ich, aber wirklich froh werde ich erst sein, wenn sie wieder heil zurück sind, Urs! Schließlich trage ich die Verantwortung für Ursula, Pia würde mich umbringen, wenn ihr ein Unglück zustieße“, antwortete Mariele betroffen.

„Diether, nimm den Anorak mit, Uschi du bitte auch, ihr seid immerhin auf einer Höhe von über zweitausend Metern, dort, wo die Hütte steht.“ Die jungen Leute taten, was Urs ihnen gesagt hatte. Diether schnappte sich seinen Fotoapparat und los ging es.

Urs Jagdhütte lag ungefähr zwischen dem Diavolezza-See und der Station. Der Weg verlief zunächst etwas im Zickzackkurs, aber dann führte er fast eben zum Berggasthof. Der Hüttenwirt begrüßte die jungen Leute freundlich, da er die Baronesse Ulli durch Urs kannte. Er lud sie zu einem Cappuccino ein und wollte von Uschi natürlich mehr über die nächtliche Aktion wissen, die durch das Bundesheer stattgefunden hatte. „Och, Reinhold, das war wohl eine Übung des Heeres, mehr weiß ich auch nicht“, antwortete Ulli dem Wirt.

Der gab sich mit der Antwort zufrieden und sagte: „Das ist ja gut zu wissen, dass das Heer solche Übungen abhält. Da weiß man wenigstens im Ernstfall, dass diese Männer zur passenden Zeit und am richtigen Ort zur Stelle sind. Lasst euch das Getränk gut schmecken, Baronesse“, sagte Reinhold herzlich.

Nach einer Weile, Diether hatte sich mit dem Wirt noch eine Zeit lang unterhalten, kam Klaus Andermatten ins Restaurant: „Salü Reinhold, was goht’s heut zu Mittag?“

„Jo, wir han Salat mit Schnitzli, Klaus.“

„Das reicht mir, mehr hätt i a net g’esse“, entgegnete Klaus. Dann entdeckte er die jungen Leute: „Baronesse, Ihr seid schon außer Haus? Hat Urs das erlaubt? Ich muss euch wieder mit hinunternehmen. Einer ist uns entwischt. Reinhold, du musst mir das Essen warm stellen, denn ich muss den Chef benachrichtigen und die zwei hinunterbegleiten. Hallo Chef, bitte kommen, roger, over.“

„Ich komme selbst zum Berghaus, Klaus. Halte die beiden oben und schirme sie ab, in einer Viertelstunde bin ich bei euch, roger, over!“ Sofort machte sich Urs auf den Weg und rannte fast den Pfad hinauf. Keuchend kam er am Gasthof an.

„Chef! Gott sei Dank, dass Sie da sind“, sagte Andermatten.

„So Uschi, jetzt könnt ihr wieder in die Jagdhütte zurück, wir bringen euch hinunter, damit nix passiert“, erklärte Urs ihnen.

Reinhold fragte Urs: „Herr Leutnant, was ist los, ist etwas geschehen?“

„Du hast uns nie gesehen, Reini, verstanden“, sprach Urs ernsthaft.

„Alles klar, Chef, wir können“, meinte sein Adjutant eifrig. Sie nahmen Uschi und Diether in die Mitte und gingen sofort den kurzen Steig hinunter zur Berghütte. In einer halben Stunde waren sie dort angelangt. Marie-Theres kam aus der Türe gestürzt und umarmte die zwei heftig, zumindest soweit das bei Diethers Größe überhaupt möglich war. „Ihr seid’s wieder da, oh, dem heiligen Herrgöttle von Biberach sei gedankt“, schluchzte sie ganz aufgeregt. Diether und Ulli nahmen ihrerseits die Baronin in den Arm und beruhigten sie zu zweit.

„Es ist alles in Ordnung mit uns“, versicherten sie beide hoffnungsvoll.

*

Die Suche nach dem Kapuzenmann

Leutnant Urs Sutter hielt mit ein paar Heeresangehörigen in seinem Arbeitszimmer eine Besprechung ab. „Klaus, weiß du nicht, in welche Richtung er in den Bergen verschwunden sein könnte?“, fragte ein anwesender Kollege.

„Nein Kurt, wir wissen nicht, ob er überhaupt über die Grenze flüchten will! Dieses Individuum ist mit großer Wahrscheinlichkeit noch in der Schweiz, vermutlich will er über die einfachste Ecke ganz gemütlich nach Italien abhauen“, vermutete Klaus Andermatten.

„Zwei meiner Männer sind mit Bergsteigerausrüstung hinter ihm her und wollen ihn weiter in die Berge hineintreiben. Da er wahrscheinlich keine Ahnung hat und keinerlei Ausrüstung bei sich führt, wird er nicht weit kommen. Aber es wäre natürlich auch möglich, dass er irgendwo eine Kletterausrüstung deponiert hat. Aber Genaueres darüber ist uns nicht bekannt“, berichtete der Unteroffizier.

Kollege Uli meldete sich ebenfalls zu Wort: „Urs, wir gehen davon aus, dass er zum Gipfel des Piz Palü unterwegs ist, er wird versuchen, dort über die Grenze zu kommen. Wenn er dem Palü zusteuert, will er mit Sicherheit zum Bivacco del Sasso. Und dann ist er in Italien. Uns bleibt nichts anders übrig, als den Grenzposten in Poschiavo anzufunken und der wird mit Sicherheit eine Patrouille hinaufschicken, aber wann wird dies sein? Der Gangster ist dann längst über alle Berge und wir haben das Nachsehen.“

„Wenn er keine Kletterutensilien bei sich hat, wird er nicht weit kommen“, überlegte Urs. „Was meinst du, Diether?“

„Ich bin ganz Ihrer Meinung, aber da sind noch zwei Hütten, und zwar am Piz Sella das Rifugio Marco e Rosa, das liegt unterhalb der Fuorcla Crast d’Agüzza. Wer aber die Berninagruppe nicht kennt, der kommt nicht weit. Der Piz Palü ist ein Eispanzer. Sollte er zum Bivacco kommen, muss er über drei Gipfel: Piz d’Arlas, Piz Cambrena und dann zum Piz Palü. An der hinteren Gratschneide muss er wieder hinunter zum Sasso Rosso. Das alles ist ohne Steigeisen, Pickel, und Seil nicht zu bewältigen, ich weiß, wovon ich rede.“

„Diether hat recht. Ohne Pickel, ohne Steigeisen geht über die drei Eispfeiler gar nichts“, bestärkte Urs Diethers Ausführungen.

Klaus Andermatten hatte eine Idee. „Urs, funke doch gleich unauffällig unsere Leute an und frage sie, wo sie im Moment Posten bezogen haben. Vor allen Dingen den Posten aus Poschiavo. Allen Bescheid sagen, einen Heli dorthin schicken und ihn einkreisen. Aber der Helikopter muss von der Air Base Pontresina abfliegen oder von Tirano über das Puschlavtal. So kann man ihn umzingeln. Was hältst du von dem Vorschlag?“

„Das ist kein schlechter Plan. Gut, dann sollen die Leute weitersuchen und ich werde Order geben“, sagte Urs. Der Befehl des Leutnants wurde einstimmig angenommen und weitergereicht.

Uschi und Diether wussten, dass sie noch einmal davongekommen waren. Sie hatten sich zu früh in die Berge gewagt, denn dass einer von dieser Kapuzenbande noch frei herumlief, hatten sie nicht gewusst und Urs auch nicht. Hoffentlich würden Urs Soldaten den Terroristen bald schnappen.

Die beiden setzten sich zu Fee und Mariele in den Wintergarten. „Mon dieu, ma chérie, ich bin ja so froh, meine Kleine, dass euch nichts geschehen ist“, frohlockte Gräfin Bellheim.

Marie-Theres sprach Diether freundlich an: „Diether, würden Sie für uns musizieren?“

„Natürlich, das ist doch selbstverständlich, kimm Ulli, wir spielen und singen was für die beiden Damen.“ Er setzte sich ans Klavier.

 

Uschi holte die Noten heraus und meinte dazu: „Das ist eigentlich ein Chorstück aus der Oper Cavalleria rusticana von Mascagni. Lasset uns preisen den Namen des Herrn, lasset uns preisen den Herrn, lasset uns preisen den Herrn, lasset uns preisen den Namen des Herrn, Halleluja!“

Die beiden Freundinnen waren mucksmäuschenstill, man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so leise war es im Musikzimmer. Diether streckte seinen linken Arm aus, umfasste Uschi und drückte sie auf die Klavierbank nieder, um ihr einen Kuss zu geben.

„Den Kuss hast du jetzt verdient, Ursula“, ließ sich Mariele leise vernehmen.

„Oh meine Kleine, du singst göttlich, magst du noch etwas zu Gehör bringen, ma chère?“, erkundigte sich die Gräfin.

„Das sollte uns nicht schwerfallen, was meinst du, Diether? Schubert?“, schlug Uschi vor.

„Na klar! Sing doch jetzt das Ave Maria, das passt.“ Nach diesen Worten spielte er ein paar Takte vor und Uschi begann: „Ave Maria, Jungfrau mild, erhöre einer Jungfrau Flehen. Aus diesem Felsen starr und wild, soll mein Gebet zu dir hinwehen. Wir schlafen sicher bis zum Morgen, ob Menschen noch so grausam sind. Oh Jungfrau, sieh der Jungfrau Sorgen, oh Mutter, hör ein bittend Kind! Ave Maria.“ Ulli sang alle drei Strophen des Liedes.

Nach ihrem wunderbaren Gesang wurde es still. Marie-Theres und Fee saßen ganz in sich gekehrt auf der Couch. Wehmut schlich sich ins Herz der Baronin und Diether sprach aus, was alle drei bei diesem Singen gedacht hatten: „Warum kann eine Braut, wenn sie gut bei Stimme ist, diese ergreifende Weise bei ihrer Hochzeit in der Kirche nicht selbst singen?“

„Ja“, flüsterte Marie-Theres, „es wäre ein Gebet an die Gottesmutter Maria, gell Fee!“

„Du hast recht, ma chère. Compris, mon amour?“, betonte Felicitas diesen Gedanken.

„Liebe Patentante, solltest du in den nächsten zwei Jahren heiraten, werde ich dieses Lied in der Kirche von Sils-Maria singen, das heißt, wenn du nicht irgendwo anders heiraten willst. Wie wäre es denn mit der Wieskirch im Allgäu? Ich verspreche dir, dass ich dort auch singen würde oder im Chiemgau hoch oben über dem Chiemsee in der Kapelle von Maria Eck, Mariele? Dieser Plan wäre die Krönung, gell Diether? Es wäre für die Gäste nicht so weit und feiern könntest du bei Tante Clarissa im Waldschlössel.“

„Ach, Ursula, du hast mir jetzt aus der Seele gesprochen. Wenn dies wahr würde, wäre das für Urs und mich ein großes Geschenk an uns beide. Aber wie soll ich denn so schnell in andere Umstände kommen, damit wir endlich heiraten dürfen?“, sprach Mariele voller Trauer aus.

„Liebe Patentante! Lass den Kopf nicht hängen, es ist nicht aller Tage Abend und … wer weiß, wer weiß!“ Dabei schaute Ursula ihre Patentante sinnierend an.

Mariele sah Ullis Blick auf sich ruhen. „Sie hat doch nicht wieder geträumt?“, dachte die Baronin bei sich. „Aber bei meinem Mündel und der Großtante Clarissa ist alles möglich.“

Nach dieser Denkpause meinte Diether leise: „Kimm Kleines, du musst was Lustiges singen, sonst fangen die beiden Hübschen dort im Sessel an zu weinen.“

„Weißt was, Burli, wir singen jetzt einfach unsere schönen Berglieder. Warte, ich hole die Gitarre von Urs.“ Sprach es, huschte ins Arbeitszimmer, nahm die Gitarre von der Wand und kam zurück in den Wintergarten. „Hier, Diether, du spielst ja sicher auch dieses Instrument, wenn du ein Cello streichen und mit den Fingern der andern Hand die Saiten drücken kannst, dann schaffst du das auch bei einer Klampfe“, äußerte sich Ulli zufrieden und musste über seinen verblüfften Gesichtsausdruck laut lachen.

„Maidli, du verwirrst mich total, ich bin sprachlos über deine Art, die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Nun, ich spiele tatsächlich dieses Instrument, reiche es mir bitte herüber, dann wird gezupft“, lachte Diether. Doch plötzlich stutzte er und legte den Finger auf den Mund, er deutete mit dem Daumen zum Haus hin. Jetzt hörte Uschi es auch. Die Geräusche … sie kamen aus Urs Büro.

Ursula schloss leise die Türe vom Wintergarten und wandte sich an die beiden Freundinnen, die in einer Ecke saßen: „Marie-Theres, wo ist Urs? Ist er im Hallenbad unter dem Wintergarten?“ Denn auf der Berghütte von Urs gab es solch ein Kleinod auch. Die so Angesprochene zuckte merklich zusammen. Sie wusste, wenn Ursula sie mit vollem Namen ansprach, war Gefahr im Anzug. Heiser sagte sie, dass Urs dort wäre. Uschi flitzte aus der Seitentüre des Wintergartens nach draußen und lief zum Eingang des Schwimmbades. Aufgeregt öffnete sie die Pforte und rief leise: „Urs, wo bist du?“

„Hier in der Umkleidekabine, Kleines. Einen Moment, bin direkt angezogen.“ Er trat in Uniform heraus. „Was gibt’s, mein Schätzchen?“, fragte Urs.

„In deinem Arbeitszimmer ist ein ungebetener Gast. Mei, Urs, i hab deine Gitarre herausgeholt und hab – Gott steh mir bei – nicht hinter die Türe geschaut. Zum Glück vielleicht, sonst hätte mich der Einbrecher womöglich gesehen.“

„Warum? Meinst du, dass wirklich jemand in meinem Zimmer ist?“

„Diether hat Geräusche gehört und ich bin direkt zu dir geflitzt.“

„Dös hast du gut gemacht, Prinzessin, bischt a tapferes Maidli.“ Urs wandte sich zur Kellertüre im Schwimmbad. Diese führte ins Innere des Hauses. Mit der Dienstwaffe im Anschlag stieg er vorsichtig die Treppe empor, immer darauf bedacht, kein Geräusch zu machen. Ruhig und gelassen öffnete er die Türe, die zur Diele führte. Da hörte er den Krach, der aus seinem Dienstzimmer kam. Geduckt schlich er zur halb offenen Tür des Raumes und sah die schwarze Kapuzengestalt, die ihm den Rücken zukehrte, in gebückter Haltung an seinem Büroschrank stehen. Urs pirschte sich leise heran und drückte dem Fremden den Revolver in den Rücken. Der wollte sich noch herumwerfen, aber der Leutnant war schneller und mit seiner 1,90 Meter großen und 80 Kilogramm schweren Gestalt außerdem im Nahkampf ausgebildet. Da er die Uniform anhatte, waren in seiner Jacke auch Handschellen. Diese legte er dem Gangster an. „So Bürschel, du kommst mir nicht raus.“ Er riss ihn zu sich herum und schaute in sein vermummtes Gesicht, in dem nur die Augen zu sehen waren. Urs drückte ihn auf den Lehnstuhl nieder und fesselte ihn zusätzlich mit Stricken an den Sessel. Er vergaß auch nicht die Füße des Eindringlings. Eilig nahm er sein Funktelefon aus der Jackentasche und rief nach Klaus Andermatten. Der Kollege war im Garten und trat daraufhin ins Haus ein. Urs hatte ihn mit einem Geheimcode angefunkt, der hieß Alarmstufe drei. Andermatten stürmte ins Allerheiligste seines Chefs und sah den Verbrecher festgebunden auf dem Bürosessel sitzend, während der Leutnant ihn in Schach hielt.

„Herr Leutnant, haben Sie ihn gefragt, was er gesucht hat?“ Den Satz sprach er natürlich in Schwyzerdütsch, damit der Gefangene ihn nicht verstand.

Urs erwiderte die Frage seines Adjutanten mit Nein, da der Einbrecher keinen Laut von sich gab. „Hello! Mr Nobody! What are you doing here? Who are you, Mister?“, fragte Klaus. Statt einer Antwort spuckte der Mann aus. Da nahm der Leutnant sein Funkgerät und sprach: „Delta zero, zero seventyseven one two zero XXDelta four zero, zero two une deux trois. Roger. Coming, please.”

„Here roger! Lütt uff Poschiavo han lueget uff di Berg. Urs, se san uffs Hüttli ganget, roger, over“, ertönte auf Schwyzerdütsch der Geheimcode II von seinen Soldaten. Ein paar Minuten später hörte man den Heli kommen. Uerli, der Pilot, klopfte an die Türe der Berghütte. Der Helikopter stand auf dem Plateau hinter dem Jagdhaus. Leutnant Sutter erschien mit seinem Adjutanten im Türrahmen, zwischen sich schleiften sie den Verbrecher an den Fesseln zum Hubschrauber. Auf dem Weg zum Heli ging Uerli hinter den dreien her. Doch plötzlich wollte der Gangster, der mittlerweile wieder auf die Füße gekommen war, zur Seite springen, als er den Abhang sah. Doch der Pilot, der in Karate ausgebildet war, konnte dies verhindern. Ein Schlag – blitzschnell geführt – da stürzte der Kapuzenmann zu Boden. Die drei Männer packten den Einbrecher und verfrachteten ihn in den Hubschrauber. Im Heli wurde er an Händen und Füßen zusätzlich gefesselt, damit er im Innern der Maschine nichts anstellen konnte. Andermatten setzte sich neben ihn und schnallte sich und den Gefangenen an. Uerli drückte den Startknopf des Heli und die Rotorblätter setzten sich in Bewegung. Der Pilot stieg direkt höher und drehte eine Kurve, nahm Kurs auf St. Moritz, um weiter zur Air Base nach Chur Calanda zu fliegen. Nun meldete sich Uerli über den Bordfunk: „This is Delta 00 77, we are approaching for landing on runway, roger.“