Tibetische Märchen

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Tibetische Märchen
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Maria Leitner

Tibetische Märchen

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Die Legende von Bodhisatta Padmapani

Die Schakale und der Tiger

Die Selbstopferung Buddhas

Die Legende von Tschakdor

Der stumme Krüppel

Der König Tschiwotschei

Die Seereise des Dschinpa tsch’enpo

Dordsche

Ssemtschan tsch’enpo opfert seinen Körper einer Tigerin

Von der Armen, die ihre Armut verkaufte

Midungwa Ssorprenjgtschun

Der Duldende

Kungta und Sutosoma

Die Nonne Uptala

Wißwantara

Der König Scheirab-od, das Licht der Weisheit

Karmo

Ssumena und ihre zehn Söhne

Der König Schudtologgarni

Langpotschong

Buddha und die 500 Bettler

Der Tod Schariibus

Die fünfhundert Gänse, die Gottheiten wurden

Der in einen Drachenkönig verwandelte Tschoitsche Pagpa

Die dankbaren Tiere und der undankbare Mensch

Upagupta und die Dirne

Upagupta und der sündvolle Dud

Der verstoßene Priester

Der Tiger und der Mensch

Die Geschichte von der Redlichkeit

Glossar

Impressum neobooks

Vorwort

Die vorliegende Legenden- und Fabelsammlung gibt eine kleine Auswahl aus dem sehr reichen Märchenschatz der Tibeter. Die Geschichten sind zum größten Teil den kanonischen Büchern der Tibeter entnommen, die unter dem Namen Kadschur und Tandschur bekannt sind und die aus über dreihundert Großfolio-Bänden bestehen. Sie wurden hauptsächlich im siebenten bis neunten Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung von buddhistischen Priestern aus dem Pali und Sanskrit übersetzt.

Vor Allem der Kadschur enthält eine unübersehbare Reihe von Märchen. Während die dogmatischen Schriften zum größten Teil sehr genaue, fast wörtliche Übersetzungen sind, wurde bei den Märchen der Phantasie und Erfindung freier Spielraum gelassen. Auch dort, wo die Märchen sich auf indische Vorbilder stützten, behalten sie eine durchaus eigene Note.

Keine andere Literatur spiegelt so klar die buddhistische Weltauffassung wieder. In keiner anderen wird die Hingebung, Aufopferung und Selbstkasteiung in so unglaublich vielen Variationen dargestellt und gepriesen.

Die Legende von Bodhisatta Padmapani

Vor unzähligen Kalpas lebte der große Buddha Odpadmed in vollkommener Seligkeit im Paradies Dewahan, umgeben von den Glücklichen, die dem ewigen Kreislauf enthoben waren.

Blickte aber Buddha Odpadmed hinab in die Menschenwelt, betrübte ihn das Elend und der Jammer der Erde. Da beschloß der Wahrhaft-Vollendete unbeschreiblich strahlende Buddha Odpadmed zur Errettung der Kreaturen einen Bodhisatta in die Welt hinabzusenden.

Er wünschte aber, daß die Herrscher der Erde dem Erlösungswerk sich wohlwollend zeigen sollten und er wollte deshalb, daß der Bodhisatta als ein großer König geboren werde.

Buddha Odpadmed schickte einen glänzenden weißen Strahl aus seinem rechten Auge in die Welt. So entstand der Bodhisatta.

Damals aber lebte ein König namens Mangli. Er beherrschte die vier Weltteile und war unermeßlich reich und mächtig. Obgleich er tausend strahlend schöne Gemahlinnen hatte, war ihm kein Sohn beschieden. Er betete zu allen Göttern und Schutzgeistern und erflehte einen Erben. Reiche Opfergaben spendete Mangli und ließ die Altäre der Gottheiten regelmäßig mit Blumen und Gewürzen schmücken. Er schickte seine Leute immer nach dem nahen See Padmatu-Nur, wo schöne rosa Lotosblüten wuchsen.

Nun geschah es einmal, daß die Männer, die um Blumen gesandt wurden, die Nachricht brachten, daß inmitten des Sees eine Riesenlotos erblüht sei.

Der König hörte von dieser Wunderblume und er beschloß, sofort hinzueilen und auf dem Blütenkelch einen Tempel zu errichten.

Im ganzen Lande sprach man über dieses Wunder, das man aber vergeblich zu deuten versuchte.

Für den König stellte man besondere Flosse her, welche ihn und sein Gefolge zu der Lotos bringen sollten. Mit vielen Opfergaben, mit Gesang und Paukenschlägen fuhr der König und der ganze Hofstaat über den See, um die Wunderblume zu ehren und anzubeten.

Als man aber zu der Stelle kam, sahen alle voll Erstaunen, daß der Kelch der Lotosblume sich langsam öffnete und ihm ein unvergleichlich schöner Jüngling mit einer Krone auf dem Haupt entstieg. Mit wohllautender Stimme rief er: „Gnade und Heil allen Kreaturen.”

Der König und der ganze Hofstaat fielen auf die Knie und beteten den Jüngling an. Man hüllte ihn in köstliche Gewänder, hob ihn in die königliche Karosse und führte ihn, von allen bewundert, in den Palast.D urch den Oberpriester verkündete Buddha Odpadmed auch den Namen des Bodhisatta und man nannte ihn Padmapani.

Der Bodhisatta lernte unaufhörlich und seine Weisheit wurde grenzenlos. Er sah mit voller Klarheit auch das verborgenste und nichts in der Welt blieb ihm unbekannt. Er erschauerte, als er erfahren mußte, wie Ungerechtigkeit überall wie ein ungestümes wildes Meer sich ausbreitete, wie Bosheit und Zorn gleich feurigen Flammen wüteten. Er sah Unwissenheit und Torheit alles verdunkeln und verdüstern. Er sah, wie Hoffart gleich hohen Bergen anwuchs, und wie Leichtfertigkeit gleich dem Sturmwind alles zerstörte.

Als der Boddhisatta so viel Jammer ansah, war er bereit, das Leid aller Kreaturen auf sich zu nehmen, um alle Qual aus der Welt zu schaffen. Als er all seine schwere Sendung dachte, begannen seine Tränen zu fließen. Sie fielen auf die Erde und aus ihnen entstanden zwei Göttinnen. Sie neigten sich liebevoll über den Bodhisatta und versprachen ihm Beistand und Hilfe. Darauf verschwanden sie.

Zufällig war König Mangli Zeuge dieses merkwürdigen Geschehens und er fragte den Boddhisatta, was dies bedeute.

Padmapani antwortete: „Über den unendlichen Jammer aller Kreaturen mußte ich weinen, und die Göttinnen erschienen, um mir Trost in meiner Seelennot zu bringen, und um mir Hilfe und Unterstützung zu versprechen.”

Darauf begab sich der Bodhisatta in den tiefsten Wald und lebte in vollkommener Abgeschiedenheit. Seine inbrünstigen Gebete klangen wie der Gesang des Vogels Galah-bing-gah. Einmal, als er gerade in andächtiger Meditation versunken war, erschien in seiner Einsamkeit Buddha Odpadmed in unbeschreiblichem Glanz. Liebevoll und gütig versprach er dem Boddhisatta, ihm beizustehen und ihm zu helfen, die Menschen aus ihrem Elend zu erlösen.

Darauf wurde der auserwählte Bodhisatta von allen elf Millionen siegreich-vollendeten Buddhas als der neue Erretter und Erlöser aller Kreaturen gepriesen. Der Bodllisatta verneigte sich tief nach allen vier Himmelsrichtungen und legte folgendes Gelübde ab:„Sollte ich ermüden und verzweifeln, bevor meine Aufgabe vollbracht ist, alle Kreaturen zu erlösen und alle Verdammten aus den Höllen für immer zu befreien, so möge mein Haupt in tausend Stücke zersplittern.”

Nach diesem Schwur widmete sich der Bodhisatta Padmapani ganz dem Erlösungswerk. Er zeigte den Menschen ihre Gebrechen und allen Jammer und macht sie sehend. Er rief alle Unerlösten aus der Verdammnis und rettete sie vor ewiger Qual. Bald wurden die Höllen leer, und das Elend schien von der Welt verschwunden. Endlich glaubte Padmapani, seine Aufgabe erfüllt zu haben. Er stieg auf den Berg Sumeru, den höchsten Gipfel der Erde, und ließ sich dort nieder. Aber bald sah er, wie sich die Höllen wieder füllten, wie die Menschen immer tiefer in Sünde gerieten und wie schnell alles, was er tat, vergessen war. Da zweifelte er an der Errettung und Erlösung der Kreaturen und unendliche Sehnsucht überkam ihn nach seiner himmlischen Heimat Dewahan. Kleinmut und Zweifel rächten sich furchtbar an ihm. Sein Gelübde erfüllte sich und sein Kopf zersprang in tausend Stücke.

 

Buddha Odpadmed, sein göttlicher Vater, war aber von tiefem Mitleid für seinen unglücklichen Sohn erfüllt und er brachte den zerschmetterten Bodhisatta nach Dewahan und formte aus den tausend Splittern zehn neue Köpfe. Als Padmapani aus seiner tiefen Ohnmacht erwachte, gab Buddha Odpadmed ihm den Trost und die Hoffnung, daß es einmal doch gelingen würde, die Menschen ganz zu erlösen.Seit dieser Zeit erscheint der Bodhisatta Padmapani zehnköpfig.

Ihn ehrt das Gebet der Tibetaner: „Om Mani padme hum” (0, du Juwel der Lotos).

Die Schakale und der Tiger

Es war einmal eine Schakalenfamilie, die in der Nähe eines Dorfes ein sehr angenehmes Leben führte, solange sich die Hunde, ihre Feinde, nicht zu sehr vermehrt hatten. Aber als ihnen diese. zu viele böse Stunden bereiteten, sahen sie sich gezwungen, einen ruhigeren Wohnsitz zu suchen.

Sie machten sich auf, und wanderten immer weiter in den tiefsten Dschungel hinein, bis sie zu der Höhle eines Tigers gelangten.

Die kleinen Schakale wichen erschrocken zurück, als der Tigergeruch ihnen entgegenschlug, doch der alte Schakal besänftigte sie: „Seid nur ruhig, Kinder, ich kenne die Tiger und weiß sie zu behandeln.“

Er wagte sich vorsichtig hinein und sah sich in der Tigerhöhle um. Er fand dort eine Menge Wildfleisch, und zu seiner großen Freude war der Tiger gerade nicht zu Hause.

Da rief der Schakal seine Familie herbei und lud sie ein, sichs gut schmecken zu lassen. Nachdem sie sich alle gesättigt hatten, sagte der Schakal zu der Schakalin: „Ihr könnt nun ruhig mit den Jungen ein wenig schlafen, ich werde derweil auf den Hügel gehen und nach dem Tiger Umschau halten. Wenn ich ihn kommen sehe, werde ich einen Stein in die Höhle werfen. Dann wecke sofort die Kinder und laß sie aus Leibeskräften heulen. Ich werde Dich dann fragen, warum sie so unruhig sind, und du antworte mir, daß sie großen Hunger haben und endlich fressen möchten.“

Während die Schakalin und ihre Jungen es sich in der Tigerhöhle behaglich gemacht hatten, hielt der alte Schakal Wache. Nach einiger Zeit hörte er Blätter rascheln und Zweige brechen, und beim Morgengrauen konnte er zwischen den Baumstämmen die Umrisse des Tigers erkennen.

Der Verabredung gemäß warf er einen Stein in die Höhle und bald hörte man die Schakalenjungen brüllen.

„Was heulen denn die Kinder so,“ rief der Schakal.

„Sie sind ungeduldig, weil sie großen Hunger haben,“ war die Antwort.

„Sag ihnen, sie brauchen nicht lange zu warten, der Tiger muß bald heimkommen und dann können wir alle feinen Tigerbraten essen.“

Als der Tiger diese Worte hörte, wurde er stutzig und dachte: Was ist denn das für ein fremdes Tier, das sich in meine Höhle wagt und auf meine Heimkehr lauert, um mich zu fressen. Das müssen ja furchtbar wilde Bestien sein. Und ohne sich die Sache noch lange zu überlegen, machte er kehrt und rannte soviel er konnte.

Nachdem er eine Zeitlang kopflos drauflos gerannt war, begegnete er einem alten zahnlosen Pavian.

„Wohin läufst du so, lieber Tiger,“ fragte ihn der Pavian.

„Du sollst es erfahren. Merkwürdige wilde Tiere sind in meine Höhle eingedrungen. Wenn ich mich nicht irre, nennen sie sich Schakale. Zufällig hörte ich, wie sie darüber sprachen, daß sie mich fressen wollten. Zum Glück habe ich feine Ohren und konnte mich, noch bevor sie mich gesehen hatten, retten.

Der Pavian begann zu lachen und konnte gar nicht wieder aufhören. „O‚ was bist du für ein verrückter Tiger,“ und sein ganzer Körper schüttelte sich nur so. „Hast du denn noch nie von Schakalen gehört. Weißt du nicht, daß du die Schakale fressen könntest und nicht sie dich. Komm mit, ich werde dir schon zeigen, wie man diese Bestien behandelt.“

Der Tiger beruhigte sich etwas, doch zögerte er, ob er sich wieder der Gefahr, gefressen zu werden, aussetzen solle. Aber der Affe sprach ihm Mut zu und um ihm ein Gefühl der Sicherheit zu geben, schlang er seinen Schwanz um den Körper des Tigers.

Als sie sich der Höhle näherten, wurde der Tiger immer ängstlicher. Er verlangsamte seine Schritte und blieb oft stehen.

Der Schakal, der gerade Ausschau hielt, erblickte schon von weitem das sich nähernde merkwürdige Paar.

Da rief er recht laut: „Das ist schön, Bruder Affe, daß du dein Versprechen hältst, bring ihn schnell, wir sind schon halb verhungert. Aber warum bringst du uns nur einen Tiger, ich dachte, du würdest uns mindestens zwei oder drei bringen.“

Als der argwöhnische Tiger diese Worte hörte, dachte er, daß ihn der Affe in eine Falle gelockt habe. Sofort machte er kehrt und rannte, ohne sich umzudrehen, schnell wieder in den Wald zurück.

Der Pavian, der seinen Schwanz noch immer um den Leib des Tigers geschlungen hatte, konnte sich nicht befreien und er blieb an den Tiger gekettet.

Während sich der Tiger im dichten, undurchdringlichen Dschungel einen Weg bahnte, wurde der Affe gegen die Bäume geschleudert, zwischen den Zweigen geschleift und bald war er ganz zerschlagen.

Als der Tiger endlich Atem holte und sich umzusehen wagte, fand er nur einige blutige Überreste des Affen.

Der Tiger ist nie wieder in seine Höhle zurückgekehrt und die Schakalenfamilie lebte dort glücklich und zufrieden, bis sie starb.

Die Selbstopferung Buddhas

Kurz nachdem der Siegreich-Vollendete, der damals im Lande Magadha lebte, vollkommener Buddha wurde, dachte er: „Die Menschen werden immer schlechter und es ist unendlich schwer, ja unmöglich, sie durch Mahnungen zu bessern. Mein Hiersein würde, solange es auch währt, von keinem Nutzen sein und so will ich in Nirwana eingehen.“

Die Götter vom Geschlechte Brahmas erfuhren die Gedanken des Siegreich-Vollendeten. Sie senkten sich vom Himmel herab und gingen zu ihm. Nachdem sie sich vor Buddha verbeugt hatten, legten sie die Handflächen zusammen und baten ihn, die Lehre nicht aufzugeben.

Aber der Siegreich-Vollendete erwiderte: „Ihr Götter vom Geschlechte Brahmas. Die Menschen sind vom Schmutze des Lasters zerstört. Sie jagen bloß den Freuden des Lebens nach und es fehlt ihnen jeder Sinn für die Weisheit. Meine Ermahnungen würden, solange ich auch auf Erden weile, fruchtlos sein. Deshalb denke ich, es ist das Beste, ich fliehe für ewig dem Jammer.“

Die Brahmas erwiderten darauf dem Siegreich-Vollendeten: „Du irrst. Die Zeit ist gekommen, die Menschen zu bekehren, ihnen deine unendliche Weisheit zu offenbaren, Unzählige harren der Erlösung. Laß nicht die in Dunkel und Blindheit Irrende ohne Schutz und Hilfe. Hat der Siegreich-Vollendete schon vergessen, wie oft er sich geopfert hat für das Heil der Menschheit?“

Und weiter sprachen die Brahmas:

„Schon vor zahllosen Kalpas lebte der Siegreich-Vollendete auf Dschambudwip als ein mächtiger König, Kanaschipali genannt. Er herrschte über eine Menge Vasallenfürsten, besaß vierundachtzigtausend große Städte, zwanzigtausend Gemahlinnen und Hofstaaten und ebenso viele hohe Beamte dienten ihm. Dieser König war von unendlicher Güte und Barmherzigkeit und allen lebenden Wesen war er ein gütiger Vater.

Einmal überlegte der König: ,Alle Kreaturen lieben und ehren mich freudig. Ich, ihr Oberhaupt, will ihnen deshalb die Glückseligkeit der heiligen Lehre bringen.‘

Er ließ durch einen Beamten darauf folgendes bekanntgeben: ,Demjenigen, der die heilige Lehre kennt und mir ihre tiefsten Geheimnisse offenbart, will ich jeden Wunsch erfüllen, möge es was immer sein.‘

Da kam ein Brahmane namens Lindutscha an die Pforte des Palastes und sprach: ,Ich kenne die heilige Lehre.‘

Als der König von seinen Worten gehört hatte, ging er hinaus um den Brahmanen zu empfangen.

Er begrüßte ihn freudig und ließ ihn auf den ausgebreiteten Teppichen neben sich Platz nehmen. Als sich der Brahmane niederließ, legte der König seine Handflächen zusammen und sprach: ,Großer Lehrer, die Zeit ist gekommen, den im Dunkel der Unwissenheit Irrenden die heilige Lehre vorzutragen und zu erläutern. Sprich!‘

Darauf aber antwortete der Brahmane: ,Dieses Wissen ist nicht so leicht zu erwerben. Es würde nicht genügen, nur meine Worte zu hören, du mußt auch deine Hingabe beweisen.‘

Der König entgegnete: ,Sprich, was soll ich tun, ich will allen deinen Wünschen Folge leisten.‘

Der Brahmane sprach: ;Großer König, du mußt deinen Körper so zerlöchern, daß er tausend Opferkerzen zu tragen vermag, dann will ich dich unterweisen.‘

Diese Worte beglückten den König. Ein Bote mußte sofort einen schnellfüßigen Elefanten besteigen und in ganz Dschambudwip wurde bekanntgegeben: ,Der König Kanaschipali ist bereit, sich zu opfern, damit alle Wesen der höchsten Weisheit teilhaft werden.‘

Die Nachricht gelangte an alle Vasallenfürsten und Untertanen, und sie eilten voll Trauer und Betrübnis zum König.

Sie verbeugten sich vor ihm und sprachen: ,Der Blinde stützt sich auf seinen Führer, das Kind schmiegt sich an die Mutter und an dich, König lehnt sich hilfesuchend alles, was in dieser Welt lebt und atmet. Wenn du nicht da bist, wer soll uns schützen? Deinen Körper willst du vernichten, dein Leben opfern, uns alle preisgeben um eines einzigen Brahmanen willen.‘

Und auch die Gemahlinnen des Königs kamen und seine Söhne und der Thronerbe, das Staatsgefolge kam und die zehntausend Beamten. Sie alle legten die Handflächen zusammen und baten inständig den König, sein Vorhaben aufzugeben.

Doch der König blieb standhaft und sprach: ,Wenn ich Buddha geworden hin, werde ich euch alle befreien.‘

Und sie wurden traurig, als sie den Beschluß des Königs hörten, und bargen schluchzend ihre Gesichter in den Händen.

Der König aber sprach zu dem Brahmanen: ,Ich bin bereit.‘

Und der Brahmane durchlöcherte den Körper des Königs.

Als er die Dochte mit Fett überzog, warfen sich alle Anwesenden zu Boden und es war, als stürzte ein Berg zusammen.

Dann wandte sich der König zu dem Brahmanen: ,Großer Lehrer, sei gnädig, unterrichte mich in der heiligen Lehre, denn sollte ich bald sterben, könnte ich die Weisheit nicht mehr erfassen.‘

Da sprach der Brahmane: ,Alles ist vergänglich. Auch das Hohe stürzt. Nichts ist von ewigem Bestand. Trennung folgt bald der Vereinigung, dem Werden das Vergehen.‘

Die Worte des Brahmanen erfüllten den König mit tiefer Freude und ohne die geringste Reue sprach er folgendes Wunschgebet: ,Oh, möge ich, wenn ich Buddha geworden bin, alle in Unwissenheit Lebenden erleuchten.‘

Kaum hatte er so gesprochen, bebte die Erde heftig.

Die Erschütterung war bis in die höchsten Himmel der Götter hörbar. Sie senkten sich auf die Erde herab und erblickten den grausam zerfleischten Körper des Bodhisatta. Von allen Seiten nahten die Götter und erfüllten den ganzen Himmelsraum. Ihre Tränen verwandelten sich in Blumen und fielen wie Regen herab. So brachten sie ihr Opfer dar.

Auch der Götterfürst Dschadschin senkte sich auf die Erde nieder und rühmte und lobte den König.

,Kanaschipali, fühlst du denn keine Reue“, fragte er ihn, „daß du solche Qualen erleiden mußt?“

Der König antwortete: ,Nein, ich bereue nichts.‘

Aber Dschadschin zweifelte: ,Großer König, wie kann ich dir glauben, dein ganzer Körper zittert vor Schmerz.“,

,Wenn ich die Wahrheit gesprochen habe, und von Anfang bis zu Ende nicht die geringste Reue empfand, so mögen die Wunden meines Körpers wieder zuheilen.‘

Kaum hatte der König diese Worte gesprochen, schlossen sich die Wunden und sein Körper wurde heil und gesund.

Jener König warst du selbst, Buddha,“ sprachen die Brahmas. „Schon vor so langer Zeit hast du die unerträglichsten Qualen um der lebenden Wesen willen ertragen. Wie kannst du sie nun alle verlassen, um dem Jammer zu entfliehen?“

 

Und wieder huben die Götter vom Geschlechte Brahmas an: „Hast du vergessen, daß du auch jener König Dschiling Dschirali warst, der um die höchste Weisheit zu erfahren, tausend eiserne Nägel in seinen Körper schlagen ließ.

Du warst auch jener Prinz Damgama, der in die Feuergrube sprang, um die höchste Vollkommenheit zu erwerben.

Du warst der Rischi Updala, der bereit war, seine Haut als Pergament, seine Knochen als Schreibfeder, sein Blut als Tinte herzugeben, um die heilige Lehre aufzuzeichnen.

Und erschienst du nicht auch als der unermeßlich reiche König Schiidschi, der in der Stadt Dewarwata residierte!

Damals fühlte der Götterfürst Dschadschin seine Körperkräfte abnehmen und sein Lebensende nahen. Er wurde traurig und bekümmert. Wischwakarna bemerkte seinen Kummer und wollte die Ursache kennen. Da sagte Dschadschin: ,Mein Leben vergeht, Zeichen meines nahenden Todes sind mir erschienen. Die Lehre Buddhas ist von der Welt verschwunden, kein Bodhisatta lebt auf Erden, den ich um Schutz bitten könnte.‘

Da erwiderte Wischwakarna: ,In Dewarwata lebt ein König namens Schiidschi, der alle Gesetze Buddhas streng befolgt, ein Bodhisatta ist und zweifellos später Buddha werden wird. Begib dich in seinen Schutz. Er wird dich sicher vom Untergang erretten.‘

Dschadschin aber wollte erst den Beweis erhalten, daß Schiidschi wirklich ein Bodhisatta sei. Er beschloß, ihn zu prüfen, und befahl Wischwakarna, sich in eine Taube zu verwandeln, die er in Gestalt eines Sperbers verfolgen wollte.

In so veränderter Gestalt flogen sie auf die Erde. Als sie in des Königs Nähe gelangten, schien es, als ob der Sperber die Taube fangen würde. Diese aber flog in die Armhöhle des Königs und bat um Schutz.

Gleich folgte der Sperber und sprach zu dem König: ,Die Taube, die sich bei dir verbirgt, ist meine Nahrung. Gib sie mir schnell, denn ich verhungere.‘

Der König erwiderte: ,Ich habe ein Gelübde getan, niemand, der sich in meinen Schutz begibt, preiszugeben. Ich kann dir die Taube nicht ausliefern.‘

Hierauf sprach der Sperber: ,Du sagst, jedem verleihst du Schutz? Warum gehöre ich nicht auch zu jenen? Wenn du mir die Nahrung vorenthältst, sterbe ich Hungers.‘

Da fragte ihn der König: ,Wenn ich dir anderes Fleisch gebe, wirst du es essen?‘

Der Sperber antwortete: ,Wenn es frisch geschlachtetes Fleisch ist, so will ich mich zufrieden geben.‘

Der König überlegte: ,Wenn ich ihm frisch geschlachtetes Fleisch gebe, so muß ich, um den einen zu erhalten, den anderen töten. Es wäre also nichts gewonnen.‘ Dann dachte er weiter: ,Alle lebenden Wesen sollen geschont werden. Doch mit meinem eigenen Körper will ich eine Ausnahme machen.‘

Dies gedacht, ergriff er ein scharfes Messer, schnitt aus seinem Schenkel ein Stück Fleisch und gab es dem Sperber, um das Leben der Taube loszukaufen.

Der Sperber sprach: ,Wenn du wirklich gerecht sein willst, mußt du mir ebensoviel Fleisch geben wie die Taube wiegt.‘

Da befahl der König, eine Waage herbeizuschaffen. In die eine Schale legte er die Taube, in die andere das Stück Fleisch, das er aus seinem Schenkel geschnitten hatte. Aber es war wie gewichtlos. Er schnitt nun Stücke von beiden Schenkeln und häufte sie auf. Aber die Waage blieb unverändert. Da nahm er Fleisch von seinen Oberarmen, von seinen Rippen, aber immer blieb die Taube schwerer.

Die Kräfte verließen ihn und er fiel zur Erde.

Als er nach einer Weile zur Besinnung kam, dachte er: ,Deine Verdienste sind noch zu gering. Ermanne dich. Jetzt ist es Zeit, dich ganz hinzugeben.‘

Er nahm seine ganze Kraft zusammen und gelangte mit seinem blutenden Körper in die Waagschale.

,Nun ist es gut‘, sprach er und empfand tiefe Freude. Keine Reue stieg in ihm auf, daß er sich ganz geopfert hatte.

Der König Schiidschi warst du, Buddha. Der Siegreich-Vollendete hat nie seinen Körper geachtet und war immer bereit, sich zu opfern. Will er nun kurz vor dem Sieg die Lehre verlassen und alle lebenden Wesen preisgeben?“ So sprachen die Brahmas.

Nachdem auch der Götterkönig Brahma die Handflächen vor dem Siegreich-Vollendeten zusammenlegte und ihn lobpreisend erinnerte, daß er sich wohl tausendmal um der Lehre, um der Kreaturen und um der Weisheit willen geopfert habe, gab Buddha seinen Beschluß auf.

Er wanderte in das Land Waranasse und verkündete hier mit ganzer Hingebung und Kraft die Lehre.

Da freuten sich die Götter und die Menschen und auch die Kreaturen der Unterwelt.