Babaji - Botschaft vom Himalaya

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Babaji - Botschaft vom Himalaya
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Das Buch



Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs, an der Schwelle zu einem Neuen Zeitalter, wie viele glauben, oder am Abgrund, der endgültigen Vernichtung der menschlichen Rasse, wie andere fürchten. Tatsächlich haben sich die Verhältnisse seit Beginn unseres Jahrhunderts so zugespitzt, dass nur noch ein radikaler Wandel des Bewusstseins der Menschen, das immer der letzte Grund und Ursache für die selbstgeschaffenen Lebensbedingungen ist, das »Ruder herumwerfen« und das Raumschiff Erde einer sicheren Zukunft entgegensteuern kann.

 An solchen Wendepunkten der Geschichte, wo sich beide Möglichkeiten:

Sein

 oder

Nicht-Sein

, zum Extrem verdichtet, gegenüberstehen und der Mensch in Verantwortung für seine ganze Spezies wählen muss, wird ihm aus anderen Seinsbereichen auch immer verstärkt Hilfe zuteil. Viele große Seelen inkarnieren sich, um den verirrten Menschen in menschlicher Gestalt den Weg zu weisen, der aus dem drohenden Chaos führt.  So auch jetzt. 1970 erschien am Fuße des Kailasch Berges im Himalaya - seit Alters her als Sitz der Götter und Zentrum der Welt verehrt -

 Babaji

 wieder in einem irdischen Körper und lebt seither unter den Menschen.  Babaji gilt als ein ›Avatar‹, d. i. eine Verkörperung des Göttlichen selbst - Avatare erscheinen selten, und immer nur an solchen entscheidenden Zeitenwenden, wenn nur noch das direkte Eingreifen des Göttlichen selbst den Lauf der Geschichte ändern kann.  Babaji gilt als die Inkarnation des Gottes

Schiwa

, des großen Zerstörers des Alten und Wegbereiters des Neuen, das sich manifestieren will. Yogananda spricht in seiner »Autobiographie eines Yogi« von ihm als dem großen Führer der Menschheit im Verborgenen und dem ewig jungen, nie sterbenden Babaji, der den Menschen mit seiner körperlichen Unsterblichkeit den Hinweis gibt auf noch unentdeckte Entwicklungsmöglichkeiten, die im Menschen selber liegen: die Unsterblichkeit im Körper, auf der Erde.  Welchen Weg werden die Menschen wählen?



Die Autorin



Dr. Maria-Gabriele Wosien studierte Slawistik an den Universitäten London und St. Petersburg, mit Promotion über das russische Volksmärchen. Sie studierte westliche und östliche sakrale Traditionen und entwickelte zahlreiche Tanz-Choreografien. Ihr besonderes Interesse gilt dem religiös-rituellen Ursprung der Tanzfolklore. Ihre Arbeit ist dabei auf das bewusste Erleben mythischer Bilder und Symbole ausgerichtet, die so ihre Heilkraft entfalten können. Ihre Tanzschöpfungen basieren auf traditionell überlieferten Bewegungsarchetypen, denen sie sakrale, klassische und Musik aus der Folklore zugrunde legt.

 Ihre Veröffentlichungen, darunter „Botschaft vom Himalaya“ wurden in mehrere Sprachen übersetzt.










Maria-Gabriele Wosien





Babaji

 Botschaft vom Himalaya
















Inhaltsverzeichnis




      Umschlag






Das Buch / Die Autorin







Titel







Inhaltsverzeichnis







I SADASCHIWA AVATAR






      1. Begegnung






2. Zur Philosophie des Hinduismus







3. Der Avatar als göttliche Inkarnation







4. Der Avatar aus der Sicht des Schaiwismus







5. Haidakhan Vischwamahadham - Zentrum der Mythologie um Babaji als Schiwa-Avatar







6. Haidakhan Baba - geschichtlicher Überblick







II BABAJIS LILAS






      1. Überlieferte Erlebnisberichte ca. 1800-1922






2. Erlebnisberichte 1922-1970







3. Mahendra Baba







4. Erlebnisberichte nach 1970







III SADHANA (Übungsweg)






      1. Pudscha (rituelle Andacht) und Yagya (Feueropfer)






2. Meister und Schüler. Sadhana







3. Babaji und das sanatana dharma







NACHWORT







BILDER







GLOSSAR







IMPRESSUM














Die Autorin dankt dem Aschram

Haidakhan Vischwamahadham

 für die freundliche Zurverfügungstellung der Erlebnisberichte, sowie Swami Fakira Nand und Dr. V. V. S. Rao für ihre Hilfe bei der Zusammenstellung des Materials.



M.-G. Wosien

















I SADASCHIWA AVATAR

1. Begegnung



»Bhole Baba Ki Dschai! ... Bhole Baba Ki Dschai ... Bhole Baba Ki Dschai!«

 ... Der Jubelruf kommt aus der Flussrichtung und wird langsam immer deutlicher. In wenigen Minuten wird Babaji (›Ehrwürdiger Vater‹) hinter dem Strauchwerk sichtbar werden, das die staubige Dorfstraße säumt. Jedes Mal kehrt er so vom abendlichen Bad in den Tempelbezirk zurück, umgeben von seinen Getreuen; im Anhang die vielen Schaulustigen und die immer sehr große Kinderschar.



Es ist gegen fünf Uhr nachmittags. Die Hauptglut des Tages ist vorbei, und man ist aus den schattenspendenden Räumen ins Freie zurückgekehrt. Auch gebadet haben wir bereits. Die tropfnasse Wäsche hängt zwischen den Bäumen vor unserem Schlafraum in der Nachmittagssonne. Als Großstadtmensch aus Westeuropa machen mir meine zivilisierten Gewohnheiten noch zu schaffen. Die selbstverständliche Art der indischen Dorfbewohner, ganz einfach zu leben, erscheint vorerst noch jenseits des Möglichen.



Ich hatte es schon gelernt, öffentlich und trotzdem ganz verhüllt das abendliche Bad zu nehmen, etwas, das sich frühmorgens im Schutze der Dunkelheit weniger umständlich gestaltet: denn zweimal täglich vor Sonnenauf- und -untergang zu baden, ist dem religiösen Inder Pflicht. Dabei spielt sich das Baden etwa so ab : Man entledigt sich sämtlicher Hüllen, bis auf den knöchellangen Unterrock, den man sich bis unter die Achseln zieht und dort festbindet. Dann lässt man den, um diese Tageszeit mit einiger Mühe erstandenen, Eimer am langen Seil in die Tiefe des Brunnenschachtes baumeln, vorsichtig, im Hinblick auf das wackelige Gleichgewicht. Die Bewohnerin des Brunnens, eine Riesenschildkröte, weicht dem Aufprall des Eimers geschickt aus, und das kostbare Nass wird langsam hochgehievt.



Inzwischen haben sich mehrere Frauen und eine Schar von Kindern aller Altersstufen am Brunnen versammelt, die das seltene Spektakel, wie sich eine weiße

memsahib

 wäscht, kreischend und gestikulierend aus nächster (!) Nähe begaffen. Auch meine Seife findet großen Anklang. Am Tag vorher hatte ich die indischen Frauen - dezent aus einiger Entfernung - beobachtet, wie sie sich beim Bad am Fluss gegenseitig mit Bimsstein bearbeiteten. Das Wasser wird nun kübelweise übergeschüttet, und die Kleider werden umständlich gewechselt. Das Terrain um den Brunnen ist sehr glitschig geworden, und man muss aufpassen, wenn man ein Schlammbad vermeiden will.



Nach bestandener Prozedur flüchte ich schleunigst samt Eimer und gewaschener Wäsche durch eine Lücke im Zaun hintenherum in den

Aschram;

 erst über einen Haufen von Blatttellern hinweg, die nach dem Mittagsmahl über den Zaun geworfen werden und die inzwischen von den vielen streunenden Hunden ganz reingeschleckt sind.



Gerade war ich mit dem Aufhängen der Wäsche fertig, als das Signal für die Rückkehr Babajis gegeben wurde. Wie elektrisiert strömen nun die wartenden Menschen aus allen Ecken des Tempelbezirks dem Eingang zu. Auch auf der Straße haben sich die Gläubigen versammelt. Und jeder will der erste sein, um dem als Gott verehrten Heiligen die Füße zu berühren oder auch den Saum seines Kleides, zumindest aber ihm ganz nahe zu sein. Babaji balanciert gerade auf dem schmalen Steg über dem Wassergraben, der außerhalb der Tempelmauer an der Dorfstraße entlang fließt. Jetzt tritt er durch das mit Palmenwedeln, Girlanden und Spruchbändern geschmückte Eingangstor; und schon sind ihm mehrere Blumenkränze übergehängt worden.

 



Viele sehen den legendenumwobenen Avatar (göttliche Inkarnation) zum ersten Mal: Er ist mittelgroß, hat ein junges, strahlendes, sympathisches Gesicht mit blitzenden, durchdringenden Augen und einen schelmischen Zug um den Mund. Scherzend droht er eben den Knirpsen, die sich ihm zwischen die Beine drängeln, mit seinem Stab und hat sich auf diese Weise für einen Augenblick den Weg gebahnt. Da sieht man ihn plötzlich ganz behende laufen: Im Nu ist er vor allen anderen mit fliegendem Gewand bei dem Podest angelangt, auf dem für ihn unter einem bunten Sonnenzelt ein erhöhter Sitz aufgebaut ist. Dort hat er sich niedergelassen, lässt die Beine herunterbaumeln, klatscht in die Hände und will sich ausschütten vor Lachen. Die List ist gelungen und die Kinder kreischen vor Vergnügen. Da verändert sich ganz plötzlich sein Gesicht und wird ernst, fast finster. Ein Ordner soll für Ruhe sorgen. Die Menge wird gebeten, sich zu setzen - Männer auf die eine, Frauen auf die andere Seite, dazwischen wird ein Gang freigehalten.



Babaji war schon wieder aufgestanden. Leichtfüßig schreitet er mit seinem Stab zur Mitte des offenen Zeltes, wo er die Kinder um sich versammelt. Er heißt sie sich hintereinander in Reihen hinsetzen und beginnt eine improvisierte Lektion: »

Om. Namah Schi-way. Om. Na-ma-ha Schi-wa-ya. Om...« -

 »Ich ergebe mich Schiwa. Dein Wille geschehe, o Herr. Amen.« Babaji legt Wert auf deutliche Aussprache. Mit ihren hohen Stimmchen wiederholen die Kinder im Chor das Gebet, erst verworren, dann immer klarer und ganz rhythmisch. Die übermütigen Lausbuben von vorhin sind wie umgewandelt und erinnern an die Putten zu Füßen der Sixtinischen Madonna. Mit großen Augen blicken sie ehrfürchtig und etwas scheu auf die vor ihnen stehende hohe, leuchtende Gestalt mit dem Stab, gleich einem Engel des Herrn. Gut zehn Minuten dauert die Lektion, dann kehrt Babaji zu seinem Sitz zurück.



Inzwischen hat sich eine lange Schlange von wartenden Gläubigen gebildet. Oft kommen sie von weit her, um dem Heiligen aus dem Himalayagebirge ihre Ehrerbietung zu bezeugen und ihm ihre Gaben zu bringen. Jeder, der vor ihn tritt, verbeugt sich, indem er vor ihn niederkniet, dann seine Füße berührt, die mitgebrachten Gaben vor ihm ausbreitet und sich demütig wieder zurückzieht. Die tiefe Gläubigkeit und die bescheidene, ehrfürchtige Art, wie die Menschen sich dem verehrten Meister nähern, stimmen sehr feierlich. Manch einer hat auch ein Anliegen und bittet um Rat oder Hilfe. Den Bittsteller segnet Babaji mit erhobener Hand, oder er legt sie ihm leicht auf den Kopf und beugt sich freundlich zu ihm.



Die Blumengirlanden und vielen Früchte häufen sich auf dem Podest und werden nun unter die Anwesenden verteilt. Durch seine Berührung sind die Gaben mit seinem besonderen Segen angereichert und werden deshalb als Kostbarkeit geschätzt. Manchmal wird um dieses

prasada

 auch gerauft, besonders dann, wenn Babaji von seinem Hochsitz aus die Früchte in die Menge wirft. Dabei gibt es dann immer mehr Hände als Gaben; trotzdem erfreut sich dieses Wurfspiel besonderer Beliebtheit.



»Was ist denn das für ein Heiliger, der sich so unseriös im Tempelbezirk aufführt«, hatte am Vormittag ein skeptischer Dorfbewohner bemängelt. »Er ist

Bhole Baba«

, hatte ihn ein Anhänger aufzuklären versucht, »er ist der Herr, der einfach,

bhola ist

, wie ein Kind. « Genau sind es 1008 Namen oder Masken des Gottes Schiwa, und

Bhole Nath

, der Herr Simplicissimus, ist nur eine seiner Verkörperungen.



Doch hinter dem kindlichen Gebaren verbirgt sich der feierliche Ernst dieser Erscheinung:

Kaschi Vischwanatha Bhagawan

 ist der Titel, mit dem ihm seine Jünger huldigen - Kaschi ist der klassische Name für Benares, die heilige Stadt der Hindus und Sitz des wichtigsten Schiwa-Heiligtums;

Vischwanatha Bhagawan

, Herr des Universums, bezeichnet den eigentlichen Anspruch seiner Göttlichkeit.



Ganz plötzlich war die Dunkelheit hereingebrochen. Die bunten, dekorativen Glühlämpchen leuchten auf, und die Blumengirlanden schmücken jetzt den Thronsitz und die Zeltstangen. Babaji hatte sich unterdes in seine

kuti

, sein kleines Privatgemach, zurückgezogen. Die dichtgedrängte Menge der Gläubigen und Schaulustigen erwartet die

Arati

, den abendlichen Gottesdienst. Man hatte mit dem

Kirtan

 begonnen, dem Chorsingen religiöser Hymnen, und mit dem Psalmodieren des Mantras

Om Namah Schiway;

 dazu begleiten ein Harmonium, Trommeln und verschiedenartiges Schlagzeug. In den Zwischenpausen erhebt sich immer wieder das Stimmengewirr der Wartenden, Neuankömmlinge drängeln sich zu ihren Bekannten in den vorderen Reihen, ein schreiender Säugling wird über meinen Kopf hinweg seiner Mutter gereicht; dabei werde ich angestoßen und erwache aus meinem Nachsinnen.



Nun wird es wieder still. Babaji ist bereits auf seinem Sitz, die Beine hat er untergeschlagen, seine Hände liegen auf den Knien, den Kopf hält er leicht nach vorn geneigt, die Augen sind gesenkt. Die

Arati

 beginnt.



Die Gottesverehrung bei Sonnenauf- und -untergang ist der feierlichste Teil des Tages. Der verehrten Gottheit, ob Bild, Statue oder lebendige Inkarnation, werden Feuer, Wasser, Weihrauch und Blumen dargebracht, begleitet von den religiösen Gesängen der Gläubigen. Das Feuer, als Symbol göttlicher Potenz, ist reinigende Kraft und in seiner Vollkommenheit Ebenbild des Erleuchteten; Wasser wird geopfert als Elixier des Lebens.



Während dieser Zeremonie bietet der als

Avatar

, als göttliche Inkarnation, verehrte Babaji den Anblick eines überirdischen Wesens. Ganz in Weiß gekleidet, scheint er fast über seinem Sitz zu schweben, so unkörperlich wirkt er durch die tiefe Stille, die er ausstrahlt. Seine geweiteten Augen blicken ruhig in das dargebotene Feuer. Dabei mutet seine Gestalt an wie eine transparente Hülle für das Leuchten, das aus ihr hervorströmt. Ich sehe in die gefurchten, von einem harten Leben gezeichneten Gesichter der neben mir sitzenden Menschen. Ihre Inbrunst und gläubige Hingabe verleiht ihren Zügen etwas Weiches, Verinnerlichtes. Dasselbe Licht leuchtet auch aus ihren Augen. Ich kann mich nicht erinnern, je ein ergreifenderes Schauspiel erlebt zu haben, als dieses Zelebrieren des Mysteriums des Lichtes.



Die Andacht ist erst etwa gegen zehn Uhr beendet mit ihrem improvisierten Programm von religiösen Liedern, einigen Ansprachen und dem

darschana

 für die Gläubigen. Allmählich gleichen die Feierlichkeiten eher einem Volksfest - zur Buntheit der Aufmachung gesellt sich der farbige Charakter der Darbietungen nach dem Motto ›no colours, no Guru‹. Als Babaji dann plötzlich aufsteht, um sich zurückzuziehen, verstreuen sich die Anwesenden, und in der Dunkelheit sind nur noch vereinzelte Grüppchen zu sehen, die miteinander

satsang

 halten, d. h. ihre spirituellen Erlebnisse austauschen. In der kleinen, offenen Vorhalle des Aschrams erklärt ein Jünger einem Neuankömmling die geschichtlichen Hintergründe zur Gestalt dieses

Avatars.

 Einige Brahmanen haben sich um das

Yagya-schala

 (Feuergrube) gelagert, wo morgen das traditionelle Feuerritual seinen Höhepunkt finden wird; dazu und zum abschließenden

bhandara

, dem großen Festmahl, ist das ganze Dorf geladen.



Es ist sehr still geworden. Eine klare Sternennacht breitet sich über die weite Landschaft. Einige vermummte Gestalten haben sich um den Erzähler versammelt. Sie hocken beim dämmrigen Schein eines Öllämpchens und lauschen seinen Ausführungen. Ich setze mich zu ihnen.





2. Zur Philosophie des Hinduismus



Es ist der Glaube der Hindus

1

, dass der Mannigfaltigkeit der Welt eine letzte Einheit zugrunde liegt, und als religiöser Mensch sieht er seine Aufgabe darin, diese Kraft zu ergründen, wie sie ihm immer und überall in immer neuen Maskierungen entgegentritt.



Diese an sich selbst, im Kosmos und der Umwelt erlebten Mächte sind im Mythos personifiziert: der Raum entfaltet die Vielfalt des Ureinen, was im Polytheismus seinen Niederschlag findet, der Verehrung der vielen Aspekte der letztlich einen göttlichen Macht.



Die Vielfalt der Gotteserscheinungen basiert auf einer Dreiheit: Die Schöpferkraft wird verehrt im Gott Brahma, die welterhaltende Kraft im Gott Vischnu und die Kraft, die alles Gewordene auflöst und verwandelt, wird geschaut als der Gott Schiwa.



Allen Göttergestalten ist außerdem eine große Göttin vermählt, die in ihrer Funktion dem Partner angemessen ist. Die Göttin ist die dem Gotte eigene Kraft (Schakti), die in sich noch vereint, was in dem Gatten zwiefältig erscheinen kann; denn seit den Veden ist jede Gottheit ambivalent und manifestiert wohlwollende, gnadenreiche, wie auch fürchterliche, gewaltsame Aspekte. Entsprechend dieser Doppelaspektigkeit

des

 Göttlichen in seiner Offenbarung befinden sich auch alle Kräfte und Formen der Erscheinungswelt gleichzeitig im Antagonismus wie in der Identität.



Nach der traditionellen Überlieferung offenbart das Universum in seiner Manifestation aller Welten und Erscheinungsformen eine unerschütterliche zeitlose Norm oder Gesetzlichkeit, das

sanatana dharma

, identisch mit der absoluten Wahrheit und als Grundstruktur allem Geschaffenen immanent. Jede Abweichung von dieser transzendenten Gesetzmäßigkeit, die sich in allem Gegenständlichen widerspiegelt, äußert sich als Verfall, Krankheit und Chaos.



Der Lauf und die Entwicklung des Kosmos, der Erde und des Lebens auf ihr werden geschaut vor dem Hintergrund gigantischer, Hunderttausende von Jahren währender Zeitzyklen, den ma

hayugas.

 Zweitausend solcher mahayugas, oder achtmillionensechshundertvierzigtausend Jahre machen ein

kalpa

 oder Äon aus, ein Tag und eine Nacht des Schöpfergottes Brahma.



Die kleineren Zeitabschnitte, oder

yugas

, enthalten jeweils vier Zeitalter, die eine absteigende Tendenz des

sanatana dharma

, des ewigen geistigen Gesetzes und Grundlage allen Lebens, manifestieren. Dieser Verfall der göttlichen Norm und der Vollkommenheit des Lebens beginnt schon nach dem ersten Zeitabschnitt, dem

satya yuga

, dem Zeitalter der Wahrheit, und endet mit dem

kali yuga

, dem dunklen Zeitalter, in welchem nur noch ein Viertel der Wahrheit wirksam ist.



Nach einem klassischen Schriftstück hinduistischer Mythologie

2

 hat dann die menschliche Gesellschaft einen Zustand erreicht, »wo Besitz allein Vorrang gewährt, Reichtum als einzige Tugend gilt, wo nur die Leidenschaft Mann und Frau verbindet und nur Unwahrheit zum Erfolg führt, wenn der Genuss der Sinne als höchste Glückseligkeit gilt und äußere Formen mit wahrer Geistigkeit verwechselt werden«.



Das Abweichen von der Norm und der Verfall des göttlichen Gesetzes bis zu seiner Umkehrung führt schließlich zur Auflösung des Schöpfungsprozesses und einer weltweiten Zerstörung des Geschaffenen.



Dies sieht die Götterlehre als das Werk des Gottes Schiwa und seiner Gemahlin Mahakali. In der Periode kosmischer Nacht, in der wir nach dieser Zeitrechnung jetzt leben, wird aber schon wieder der Keim gesät für ein neues Zeitalter, in welchem die Welt in ihrer ursprünglichen vollkommenen Reinheit und unberührten Schönheit wieder ersteht. Somit ist Schiwa, die Kraft der Auflösung und Verwandlung, wieder eins mit Brahma, dem Prinzip der Schöpfung.



Eingespannt in diesen Rahmen ist der Mensch, der, in der Sprache der Upanischaden, von seinem Wesen her, vom

atman

oder Selbst, identisch ist mit dem letztlich einen Gott, dem

paramatman

 oder universalen Selbst. Als Geschöpf aber ist der Mensch ebenso gebunden an maya, die Weltillusion, mit

der

 er sich durch das Vergängliche, Grobstoffliche seiner Sinne und seines Körpers identifiziert.



Alles Vergängliche aber wird gleichgesetzt mit Unwirklichkeit und alles Transzendente, Zeitlose mit Realität, und das Befangensein in der Scheinwirklichkeit der Welt gilt als der Ursprung allen Leides. Dieses wird nicht bewertet als Schuld an sich, sondern als Unwissenheit um die wahre Natur der Dinge, und das Thema hinduistischer Religionsphilosophie, wie des religiösen Lebens überhaupt, ist deshalb das Überwinden des Leides durch Erlangen des Wissens um die Wahrheit, um die Gesetzlichkeit als immanente Struktur alles Manifestierten. Es ist die Erkenntnis der Wahrheit, die zur Befreiung aus der Kausalität führt, aus dem endlosen Kreislauf von Ursache und Wirkung.



Das indische ›Denken‹ ist den Weg der Innenschau gegangen, deren Ziel nicht die theoretische und praktische Bewältigung der äußeren Wirklichkeit war, sondern die Beobachtung und Aufgliederung geistiger Vorgänge, die ihren Niederschlag in der religiösen Erfahrung als Erkenntnis vom Ursprung des Lebens gefunden hat.

 



In diesem Zusammenhang betrachten sich indische Weise und Asketen als lebende Laboratorien, in denen experimentiert wird, da nur eine Metamorphose des Menschen, vielmehr seines Bewusstseins, eine wahre Lösung seiner Probleme bringen kann. In ihnen vollzieht sich die Wandlung der stofflichen Elemente zur Bildung, zum Wachstum und zur Vollendung des ›himmlischen Leibes‹. Diese Transformationsprozesse werden bewertet als Dienst an der Materie, an der göttlichen Weltmutter. Für das Gros der Menschheit sind sie Vorbilder des Göttlichen in seiner manifestierten Potenz und Spiegelbild für die Vervollkommnung des eigenen Strebens.



Das höchste Sein, das jenseits von allem ist, was mit der Welt identifiziert wird, ist zugleich die ursprüngliche Sei