Buch lesen: «SkyDancing Tantra», Seite 3

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Was ich gelernt habe

Wenn Sie denken: „Das liest sich wie ein romantischer Roman, den Sie am Flughafen kaufen, um sich die Zeit auf einem langen Flug zu vertreiben“, dann kann ich nur zustimmen. Doch zufällig ist es wahr – jedes Wort davon. Dieses Ereignis wurde zu einem Wendepunkt in meinem Leben. Ich fragte mich, ob es angebracht war zu denken, dass ich in diesem Moment der Erleuchtung Gott begegnet war. Eine interessante Antwort auf diese Frage fand ich in Shantaram, dem Buch von Gregory David Roberts:

„Willst du damit sagen, dass Licht Gott ist?“

„Nein“, antwortete er. „Ich glaube nicht, dass Licht Gott ist. Ich denke, es ist möglich, und es ist vernünftig zu sagen, dass Licht die Sprache Gottes ist. Das Licht mag der Weg sein, auf dem Gott zum Universum und zu uns spricht.2

Auf jeden Fall war dieser kosmische Orgasmus, wie ich ihn jetzt nenne, in meinem Leben von einzigartiger Bedeutung, denn seit dieser Erfahrung weiß ich ohne Zweifel, dass Sexualität für mich die Tür zur Spiritualität ist. Ich weiß, dass beides eng miteinander verbunden ist – und das offenbarte mir eine neue Welt der unendlichen Möglichkeiten.

Es gibt einen Orgasmus des Körpers und einen Orgasmus des Geistes. Vereint man beides, bedeutet das reine Glückseligkeit. Für mich ist es der Beweis, dass „Gott Orgasmen hat“. Seither weiß ich, dass Vergnügen und Glückseligkeit kein Luxus sind, sondern die Belohnung derer, die es wagen, ihrer Wahrheit zu folgen, jenseits der anti-ekstatischen Einstellungen, die Gesellschaft und Erziehung in unserem Gewissen verankert haben.

Diese Nacht der Offenbarung geschah zum Teil, weil ich mich bewusst dafür entschieden hatte, die Regeln zu brechen. Ich blieb die ganze Nacht von zu Hause weg, ohne Rücksicht auf die Folgen, und ich bot meine Jungfräulichkeit dem Göttlichen dar. Das war es definitiv wert.

Die Rebellion gegen meine Eltern und die Gefahr, entdeckt zu werden, machten den Moment des verbotenen Vergnügens noch intensiver. All diese Faktoren führten zu einem unvergesslichen Erlebnis der Befreiung.

In dieser Nacht habe ich mir geschworen, dass ich mein Leben, alsbald ich das gesetzliche Alter der Unabhängigkeit erreicht habe, nach meinen eigenen Regeln leben werde. Einen Schwur, den ich bis heute gehalten habe.

Diese Nacht war auch in weiterer Hinsicht bahnbrechend für mich. Aufgrund dieser schönen ersten sexuellen Erfahrung vertraute ich dem Sex, vertraute meinem Körper, und fühlte mich darin bestätigt, dass Männer großartige Liebhaber sein können. Ich hatte eine positive Prägung erfahren. Später, als ich mit Menschen auf der ganzen Welt arbeitete, wurde mir klar, welchen großen Einfluss die erste sexuelle Erfahrung auf das Leben haben kann. Ich bin Richard dankbar, dass er so ein makelloser Shiva ist.

Aber es gab ein Geheimnis in dieser Erfahrung, und es dauerte dreißig Jahre, bis ich es verstanden hatte. Ich erzähle diese Geschichte später in diesem Buch. Meine erste Liebe führte zu meinem ersten Orgasmus, der sich als Sprungbrett zu etwas viel Stärkerem und Überwältigendem erwies. Ich erlangte einen Bewusstseinszustand, der jenseits des Körpers und seiner angenehmen Empfindungen liegt, zu meiner Überraschung sogar jenseits des Gefühls der Intimität mit meinem Liebhaber.

Stellen Sie sich dieses Paradoxon vor: Wir hatten so lange auf diesen Moment gewartet, es hatte sich wie eine Ewigkeit angefühlt. Wir waren so begierig, doch als wir uns durch die Tür des Orgasmus bewegten, verschwanden er und ich auf der anderen Seite und wurden – unwichtig.

Wie erstaunlich! Es waren nicht unsere Körper, nicht unsere Sinne, nicht die Tatsache, dass wir ein Mann oder eine Frau waren, nicht unsere Verliebtheit, die zählten. Was wir erlebten, war universell, expandierend, grenzenlos, zeitlos.

Diese Erfahrung, wie ich später entdecken sollte, ist Tantra. Es ist das Verweben von Energie und Bewusstsein, das uns zu unserer wahren Natur führt, die unendlich und ewig ist, die Licht ist.

Es mag für die meisten Liebenden unerreichbar erscheinen, aber diese Art von Erfahrung ist nicht so ungewöhnlich, wie es erscheinen mag. Als Lehrerin für Tantra habe ich Tausende von Menschen darin eingeführt und angeleitet, ihre Sexualität zu erforschen, und ich weiß, dass viele Menschen im Moment des Orgasmus einen Blick auf meditative Zustände erhaschen, in denen die Zeit stehen zu bleiben scheint, der Geist still und geräumig wird und körperliche Empfindungen über die Grenzen des Körpers hinaus zu expandieren scheinen.

Was in meinem Fall ungewöhnlich war, war, dass alles auf einmal geschah: mein erster Geliebter, meine erste sexuelle Erfahrung, mein erster Orgasmus und mein erster Blick auf das reine Bewusstsein.

Damals hatte ich keine Ahnung, wie so etwas passieren konnte. Später wurde mir klar: Es bedarf keines vorherigen Trainings, um sich dem Vergnügen und den ekstatischen Erfahrungen hinzugeben und diese Zustände als Meditation willkommen zu heißen, losgelöst vom physischen Körper. Es erfordert einfach Gelegenheit, Mut und das Verständnis, dass jeder von uns ein orgastisches Wesen ist mit unendlichem orgastischem Potenzial.

Warum Mut so wichtig ist?

Weil die Entscheidung, sich der Erforschung der Geheimnisse der sexuellen Energie zu widmen, vielleicht nicht einfach zu realisieren ist. Es kann alle Arten von sozialen Barrieren geben. Sie können in einer Beziehung mit jemandem sein, der nicht an einer solchen Erkundung interessiert ist. Sie sind vielleicht besorgt über Ihren Ruf, Ihre Nachbarn, Ihren Job, Ihre Familie, Ihre Kinder.

Es kann viele potenzielle Hindernisse geben, die es zu überwinden gilt. Dazu gibt es keine einzige, vorgefertigte Lösung, die für alle gilt. Ich kann Ihnen zum Beispiel nicht sagen: „Verlassen Sie diese Frau! Finden Sie einen anderen Partner! Nehmen Sie an diesem Tantra-Workshop teil! Schließen Sie dich dieser Gruppe an!“ Es liegt an uns selbst, als Individuen, aus der eigenen Situation heraus, Wege zu finden, die uns dazu führen, unser Potenzial als ekstatische und orgastische Wesen zu erreichen. Ich verbrachte Jahrzehnte damit, nach der Glückseligkeit des kosmischen Orgasmus dieser ersten Nacht zu suchen. Das war es, was mich dazu motivierte, Tantra zu erforschen.

Tantra beginnt damit, der Führung des Seins zu folgen, sich zeigen zu lassen, wie man wachsam wird und präsent für das, was einen Vorgeschmack von Spiritualität in das Liebesleben bringt. Auf diese Weise wird Sexualität zum Sakrament – ein Sakrament, das zum inneren Heranreifen des Erwachens zu sich selbst beitragen kann. Dies ist der Beginn der Suche. Dies ist das große Abenteuer auf dem Weg zur Glückseligkeit.

Die Praxis: Das Dasein genießen

Besondere Anlässe, Überraschungen, unerwartete und gefährliche Situationen. Sie alle haben etwas gemeinsam. Sie verschaffen uns eine kraftvolle Erfahrung des Lebens hier und jetzt, wobei unsere Aufmerksamkeit auf diesen, den gegenwärtigen Moment gerichtet ist.

Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie gehen eine vertraute Straße in Ihrer Nachbarschaft entlang, wobei Sie innerlich so mit einem Problem beschäftigt sind, dass Sie weder merken, wo Sie sich befinden, noch Ihre Umgebung wahrnehmen oder den Spaziergang an sich genießen.

Sie biegen um die Ecke und plötzlich finden Sie sich von Angesicht zu Angesicht mit einem großen schwarzen Bären wieder. Plötzlich steht alles still. Alle seelischen Besorgnisse sind vergessen. Sie sind erschrocken, verblüfft, erfüllt von einer Mischung aus Angst, Neugierde und Abenteuer. Ist der Bär freundlich? Ist er gefährlich? Eines ist sicher: Diese unerwartete Situation hat Ihre ganze Aufmerksamkeit und Energie spontan in das Hier und Jetzt transferiert – in diesen einen gegenwärtigen Moment.

Bergsteiger erleben das gleiche Phänomen der totalen Präsenz auf eine andere Weise. Sie bringen sich in gefährliche Situationen, in denen sie sich keine Ablenkungen erlauben können – das wäre einfach zu riskant.

Mein erstes Mal mit Richard hatte eine ähnliche Qualität. Alles war so riskant, so unbekannt, so aufregend, so voller Wunder. Ich hatte keine andere Wahl, als jeden Moment präsent zu sein.

Präsenz ist eine magische Alchemie in dem Sinne, dass sie in beide Richtungen wirken kann. So wie eine spannende Situation Präsenz erzeugt, so kann auch die totale Präsenz eine gewöhnliche Situation spannend machen. Erfahrene Meditierende wie Zen-Meister kennen dieses Geheimnis. Sie sind in der Lage, ihre ganze Aufmerksamkeit auf einen einfachen, gewöhnlichen Vorgang zu richten, beispielsweise eine Tasse Tee zu trinken und ihn so in einen heiligen Akt zu verwandeln.

Mit dieser Idee im Hinterkopf lade ich Sie dazu ein, sich in der Kunst zu üben, präsent zu sein, während Sie Sex haben. Ich schlage nicht vor, dass Sie dies zu einer allgemeinen, kontinuierlichen Aktivität machen, die einen langen Zeitraum umfasst, denn wenn Sie kein erfahrener Meditierender sind, werden Sie wahrscheinlich bald Ihre Übungen vergessen.

Treffen Sie vielmehr die Entscheidung, sich für kurze Zeit auf einen bestimmten Aspekt des Liebeslebens zu konzentrieren. Genießen Sie beispielsweise die zarte Liebkosung der Hand Ihrer Geliebten auf Ihrem Rücken. Erlauben Sie, sich auf dieses Gefühl einzulassen, sich darauf zu konzentrieren. Ganz ohne zusätzliches mentales Gepäck, ohne zu bedenken, was ihr Partner von Ihnen erwartet oder was Sie als Nächstes tun sollen.

Eine weitere Gelegenheit bietet der erste Moment, in dem Sie sich von jemandem sexuell angezogen fühlen, wenn Sie das erste Kribbeln sexuellen Verlangens wahrnehmen. Widerstehen Sie der Versuchung, gedanklich in die Zukunft zu eilen und sich vorzustellen, was folgen könnte. Genießen Sie stattdessen dieses Gefühl um seiner selbst willen. Fühlen Sie es. Kosten Sie es völlig aus. Reiten Sie auf der Welle Ihres Atems bis zum Ursprung Ihres Vergnügens. Spüren Sie es in jeder Zelle Ihres Körpers. Bleiben Sie bei Ihrer Atmung.

Dies kann hilfreich sein, da das Atmen immer eine „Hier und Jetzt“-Erfahrung ist, so dass das Bewusstsein für den Atem Ihnen helfen kann, im jetzigen Moment zu bleiben. Lassen Sie Ihr Gewahrsein Zeuge der Erfahrung dieses Augenblickes sein, ohne zu erwarten, dass mehr passiert, ohne zu antizipieren, was als Nächstes passieren wird. Entspannen Sie sich. Suchen Sie nicht nach etwas. Erwarten Sie kein Ergebnis. Seien Sie bei dem, was ist. Präsenz ist der Schlüssel zu einer lebendigen, dynamischen Existenz.

So wie ein Verlangen auftaucht,

Und du nimmst sein Aufleuchten wahr, den Glanz,

Verlasse sein Spiel, und bewahre deine Achtsamkeit

An diesem klaren und glänzenden Ort,

an dem alle Wünsche entspringen.3

Kapitel 2
Das Dunkle und das Tiefe

Wozu das Ganze? Die Frage kam aus einem Dutzend verschiedener Richtungen. Fast jeder bei Quaesitor, einem Institut für persönliche Entwicklung in London, war überzeugt, dass eine Woche, in der er nichts tat, Zeitverschwendung wäre. Obwohl wir uns als mutige Entdecker sahen, die sich einer Reise der Selbstverwirklichung verschrieben hatten, rümpften die meisten die Nase und schüttelten den Kopf.

Es war eine typisch westliche Einstellung. Wir waren bereit, alles zu tun: unseren Körper über die Grenzen von Schmerz und Belastbarkeit hinaus zu quälen, uns gegenseitig in Begegnungsmarathons anzuschreien, bei Gestaltübungen in die Haut unserer Mütter und Väter zu schlüpfen. Aber wir waren nicht bereit, nichts zu tun.

Paul Lowe war jedoch entschlossen, das, was er als „sensorisches Entzugsexperiment“ bezeichnete, durchzuziehen. Als Direktor von Quaesitor war er gerade von einem Besuch in Indien zurückgekehrt, wo er sich mit Gurus, Sadhus und heiligen Männern getroffen hatte, und es war mir klar, dass er ein anderer Mensch geworden war.

Der Mann mit der englischen steifen Oberlippe war mit höflichen Manieren von London aus aufgebrochen. Zurückgekehrt war er mit einem Gefühl für Intensität, Wildheit und – ja – Tiefe. Er war etwas auf der Spur, so viel konnte ich sehen. Als er vor uns saß, gekleidet in ein bodenlanges Gewand, mit seinem langen Tolstoi-Bart und einem humorvollen Funkeln in seinen Augen, und uns geduldig das neue Experiment erklärte, konnte ich ein Ja in meinem Herzen spüren. Ich wollte es tun.

Schließlich war dies die Motivation gewesen, die mich von Paris nach London geführt hatte, ich wollte meine innere Welt erkunden. Nach zwei Jahren Psychologie-Studium an der Sorbonne fühlte ich mich frustriert von trockenen akademischen Theorien über die Funktionsweise des menschlichen Geistes. Ich wollte aus erster Hand wissen, was in meinem Geist und in meinem Körper vor sich ging.

Quaesitor, ein Institut, das Kurse über die neuesten Methoden der experimentellen, humanistischen Psychologie anbietet, versprach mir genau das. Also zog ich nach London und schrieb mich in einen neunmonatigen Kurs ein.

Die Idee des sensorischen Entzugs war für mich nicht neu. Ich hatte gerade The Center of the Cyclone gelesen, ein Buch des amerikanischen Neurowissenschaftlers John Lilly, in dem er beschreibt, wie er einen Isoliertank baute – einen abgedunkelten, schalldichten Tank mit warmem Salzwasser, in dem er stundenlang schwamm. Er benutzte den Tank, um zu untersuchen, was mit seinem Verstand geschah, wenn er keinen externen Input bekam.

Am Ende hatten sich acht Personen bei Quaesitor, darunter ich, für diese „außerschulische Aktivität“ angemeldet, zusätzlich zu unserem regulären Studienprogramm.

Pauls Vorschlag basierte auf dem, was er in Indien gelernt hatte: Eine Woche lang sollten wir uns jeder Form von sensorischem Input verwehren. Dies sollte das englische Äquivalent zum Sitzen in einer Höhle im Himalaya sein.

Unsere Anweisung war, als Gruppe mit Paul in ein Hotel an der englischen Küste zu reisen. Dort sollte jeder ein Einzelzimmer nehmen, Fensterläden und Vorhänge schließen, Augenbinden und Ohrenstöpsel anbringen und sich eine Woche lang mit nichts beschäftigen, nichts tun. Jeden Tag würde uns ein Mitarbeiter des Hotels Wasser und ein Kilo Trauben bringen. Das war alles, was wir essen oder trinken würden.

Ich fühlte mich bereit. Ich wusste, dass dieser Rückzug mir in einer radikalen Art und Weise die Möglichkeit bieten würde, meiner Seele gegenüberzutreten, ohne meinen persönlichen Dämonen ausweichen zu können. Ich wusste nicht, wie diese „Dämonen“ aussehen würden, aber ich spürte, dass dieses psychologische Ausgrabungsprojekt, das tief in meiner inneren Welt schürfen würde, eine Auseinandersetzung mit ihnen erforderte.

Ich wusste auch, dass ich als Westlicher endlos von der Außenwelt abgelenkt war und wirklich keine Ahnung hatte, wer dieses „Ich“ in meinem Inneren in Wahrheit sein würde. Vielleicht war es an der Zeit, dies herauszufinden.

Schwierigster Teil meiner Abreise aus London war der Abschied von Jakov Lind, einem bekannten österreichisch-britischen Schriftsteller, der in den letzten Monaten mein Liebhaber gewesen war. Am Ende spielte Jakov unerwartet eine wichtige Rolle bei meinem Rückzug. Die Erfahrung wäre ohne seinen überraschenden Beitrag nicht vollständig gewesen, also muss ich noch etwas Hintergrundwissen liefern, um ihn vorzustellen.

Jakov und ich hatten uns ein paar Monate zuvor in Paris getroffen. Ich aß eines Tages im Speisesaal von La Coupole, einer der größten Pariser Brasserien zu Mittag. Das Restaurant ist ein Treffpunkt für Schriftsteller, Künstler und Philosophen, die sich dort allesamt mit einem signierten Bild an den Wänden verewigen.

Ich war dort mit dem Literaturdirektor eines französischen Verlages verabredet und genoss den neuesten Klatsch über die Pariser Literaturwelt, während ich saftige Austern schlürfte und die illustren Gäste beäugte. Als ein kräftiger Mann an unserem Tisch vorbeiging, blickte mein Freund plötzlich auf und rief: „Jakov!“ Der Mann blieb stehen, sah uns beide an und lächelte. Er hatte einen dicken Schnurrbart, strähniges Haar und war von mittlerer Größe, mit einem leicht vorstehenden runden Bauch. Er war mindestens dreißig Jahre älter als ich – eindeutig nicht jemand, den ich jemals als potenziellen Liebhaber in Betracht ziehen würde. Nicht eine junge Frau wie ich. Nicht nach meiner wunderbaren Affäre mit Richard, der leider in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt war, um sein Studium fortzusetzen.

Richard und ich hatten zusammengewohnt und eine Wohnung in Paris geteilt, nachdem ich kurz nach meinem achtzehnten Geburtstag aus dem Haus meiner Eltern ausgezogen war. Ich hatte mein Psychologiestudium an der Sorbonne begonnen, als wir noch ein Liebespaar waren, und es war schwer für uns gewesen, uns von unserem symbiotischen Studentenleben zu verabschieden.

Jakov hatte leuchtend grüne Augen mit einem so schelmischen Funkeln, als ob er beim Anblick gleichzeitig meinen Geist entblößen und meinen Körper entkleiden würde, tief durchdringend und provokant.

Wir schüttelten uns die Hände und sofort spürte ich einen starken Magnetismus zwischen uns. Ich vergaß meinen Begleiter neben mir und konnte nicht aufhören in diese grünen Augen zu starren, während Jakov ebenfalls wie festgeklebt stehenblieb. Es folgte Stille. Es gleicht einem Klischee, wenn ich sage: „Ich hatte noch nie zuvor so etwas empfunden“, aber exakt so war es. Ich hielt den Atem an, und mein Herz schlug so schnell, dass ich davonlaufen wollte.

Nach einem langen Moment holte uns die Höflichkeit ein. Wir setzten die Begrüßung fort, Jakov reichte mir seine Karte, ich gab ihm meine Telefonnummer und kurz darauf verabschiedeten wir uns.

Bald darauf begann ein koketter Tanz zwischen Jakov und mir. Er rief jeden Tag an und akzeptierte kein Nein als Antwort. Obwohl ich nicht gerade für ältere Männer schwärmte, fand ich Jakov unwiderstehlich. Bald gab ich nach und wurde seine Geliebte.

Zu meiner Überraschung erwies er sich als wahrer Künstler, wenn es um das Liebesspiel ging. Er führte mich über meine Grenzen hinaus. Er forderte mich auf, die dunklen, geheimen Ecken meines sexuellen Wesens zu betreten. Tabus waren für ihn nur eine Gelegenheit, verbotene Freuden zu erkunden, was die Tür zu neuen erotischen Dimensionen öffnete.

Jakov lebte in London, und so war er natürlich sehr erfreut über meine Entscheidung, von Paris nach London zu ziehen, um am Quaesitor-Institut zu studieren. Er war aufgeschlossen und immer bereit, mich dabei zu unterstützen, den nächsten Schritt auf meinem Weg zur Selbstfindung zu tun. Er war mit vielen Pionieren des Human Potential Movement persönlich bekannt, darunter John Lilly, Alan Watts, dem Zen-Mystiker, und R. D. Laing, dem radikalen Psychiater und Autor des wegweisenden Buches Knoten.

Jakov verstand die Bedeutung des Experiments des sensorischen Entzugs und hatte kein Problem damit, dass ich sieben Tage lang in einem Hotelzimmer am Meer verschwinden würde. „Ich rufe dich an, wenn es vorbei ist“, sagte er, als er mich zum Abschied küsste.

Der Rückzugsort, das Hotel am Meer an der Küste von Suffolk, war leer. Das Wetter grau. Das Meer roch nach Sole, Seegras und feuchter Natur. Das Hotelpersonal, zunächst überrascht von unserem seltsamen Experiment, akzeptierte bald, dass wir „eine neue Form von Yoga und Meditation“ erforschten, und war mehr als glücklich darüber, uns Wasser und Trauben zu servieren, da dies ihre Arbeitsbelastung stark reduzierte. Sie waren neugierig, freundlich und als Engländer natürlich immer höflich.

Ich ging in mein Zimmer, packte meine Kleider aus, machte mich fertig und warf einen letzten langen Blick auf die felsige Küste und den Ozean unter meinem Fenster. Dann zog ich meine Augenbinde über, steckte meine Ohrstöpsel ein und das Experiment begann.

Nun, hier bin ich. Ich liege auf meinem Bett und warte, wie die Figur in Becketts Stück, auf Godot. Liege hier und warte. Nur auf was? Durch meine Ohrstöpsel dringen dumpfe Geräusche von dem Teilnehmer nebenan, der auf und ab zu gehen und Shakespeare-Verse zu rezitieren scheint:

Noch einmal stürmt, noch einmal, liebe Freunde!

Sonst füllt mit toten Englischen die Mauer.

Es scheint, dass mein Nachbar noch nie die Erfahrung einer Meditation gemacht hat. Er denkt, dass er sich die ganze Zeit beschäftigen muss. Aber wir werden hier für, oh mein Gott, EINE WOCHE sein! Das sind einhundertachtundsechzig Stunden voll von nichts. Keine Gerüche, keine Berührung, kein Essen, kein Licht, und wenn mein Begleiter nebenan es satthat, den Barden zu rezitieren, auch keine Geräusche.

Um sich nicht von der Zeit, die vor mir liegt, entmutigen zu lassen, richte ich meinen Blick auf die positive Seite. „Was ist der angenehme Aspekt dieses Experiments?“ Genau das frage ich mich und beschließe, diesen Moment als willkommenen Urlaub zu begrüßen. Nichts zu tun, keine Arbeit zu erledigen, zu entspannen. Bei jedem Ausatmen lasse ich meinen Körper tiefer in das Bett sinken.

In der Tat, das Einzige, was mich interessiert, ist, etwas über die Natur des Bewusstseins und den Prozess des Erwachens herauszufinden. Wenn nur dieser flüchtige Moment der Transzendenz, der sich mir bei meiner ersten Liebesnacht in Paris mit Richard offenbarte, stabilisiert werden und zum Dauerzustand gemacht werden könnte, zum allgegenwärtigen Hintergrund aus Licht, zum Leuchten in meinem Wesen!

Hier ist er wieder, der spirituelle Ehrgeiz: Die Sehnsucht nach den Gipfeln und der Versuch, die Täler zu ignorieren, sich an die Höhen zu klammern und die Tiefen zu leugnen. In der Vergangenheit zu wühlen, um die Gegenwart zu verlagern.

Ich entspanne mich immer mehr und konzentriere mich für einen Moment auf die simple Normalität des Liegens auf meinem Bett. Dann kommt mir ein anderer Gedanke in den Sinn.

„Erinnerst du dich, was mit John Lilly passiert ist“, fragt mein Verstand?

Ich hatte gerade „Das Zentrum des Zyklons“, das von Lillys Experimenten mit sensorischem Entzug handelte, gelesen. In diesem Buch erzählt er, wie er sich nach Stunden in seinem Isolationsbecken fühlte, wie sein Bewusstsein von seinem Körper weggetrieben wurde, über der Erde schwebte und zwei Engelswesen begegnete, die ihn durch viele Ebenen des Zweifels und der Angst in das Licht des reinen Bewusstseins führten.

Ich gehe davon aus, dass auch ich solche Geistführer treffen werde. Wenn sie zu John Lilly gekommen sind, werden sie sicher auch für mich erscheinen. Ich fange an, sie zu rufen, sie zu visualisieren und verbringe Stunden mit mentaler Akrobatik, um „die Geistführer anzuziehen“. Sie erscheinen nicht.

Frustriert begreife ich, dass ich mich von dieser Erwartungshaltung lösen muss. Ich konzentriere mich auf meine Atmung und versuche „einfach zu sein“.

Doch das Thema Geistführer hat sich nicht erledigt, bald manifestiert sich eine neue Stimme, diesmal scheint sie etwas strenger. Spontan erinnert sie mich an eine meiner Lehrerinnen aus dem Kindergarten, die mich wegen eines Vergehens tadeln.

„Warum versuchst du, die Erfahrung eines anderen zu kopieren?“, fragt die Lehrerin in mir. „Du bist nicht John Lilly. Warum solltest du die gleichen Führer haben? Lass das, sei DU selbst!“

Leicht gesagt, aber nicht so leicht getan. Ich möchte wirklich diese Geistführer treffen. Es scheint, dass ich mich von etwas verabschieden soll, was ich noch nicht einmal gefunden habe, sich aber direkt um die nächste Ecke befindet. Hartnäckig setzt sich die Idee durch: Ich muss einen Lehrer, einen Liebhaber oder irgendjemanden finden, der mir hilft, in diese schwer fassbaren ekstatischen Zustände zu gelangen.

„Ach, du willst also immer noch Miss Seligkeit sein und guten Zeiten nachjagen?“, sagt meine innere Lehrerin. „Nun, das kannst du vergessen. Denke daran, dass Lilly auf LSD war, also zählt nicht, was er erlebt hat. Wenn du Drogen nimmst, kannst du sechshundert Führer haben, die alle mit Karten und Kompassen bestückt sind, die alle wie die Kellner im La Coupole gekleidet sind und die Marseillaise singen.“

Ich kichere über die lächerliche Vision, die ich geschaffen habe, und gebe zu: „Okay, sie hat recht.“ Vielleicht lauert in dem Wunsch nach Führern das Gefühl, nicht gut genug zu sein, um dieses Ziel alleine zu erreichen. Diese Erkenntnis macht es etwas einfacher, die Führer loszulassen – die sowieso nie gekommen sind.

An der Tür klopft es, aber ich muss nicht öffnen. Es ist einer der Hotelbediensteten, der wie verabredet Wasser und ein Kilo Trauben bringt, unsere Ration für die Woche. Es muss also Abend sein.

Der Umgang mit dem Bewusstsein und seinen Anforderungen ist mühsam, und ich beginne zu ahnen, dass die „Dämonen“, die ich auf dieser Reise treffen werde, keine gruseligen Bösewichte mit Hörnern und Schwanz sind. Nein, sie sind viel alltäglicher. Es sind Gefühle wie Ungeduld, Frustration, Langeweile, Verlangen. Die Dinge, die mich rastlos halten, immer auf der Suche nach etwas, was nicht hier ist, aber woanders.

Ich stehe aus meinem Bett auf, taste blind herum, berühre Wände und Türen und schaffe es, ins Badezimmer zu gelangen. Zum Waschen meines Gesichts nehme ich die Augenbinde ab, halte meine Augen aber geschlossen und putze dann meine Zähne. Zurück ins Bett und schlafen.

Gerade als ich wegdrifte, erscheint ein Gesicht. Ich habe diese Person noch nie zuvor gesehen. Er scheint Ostasiate oder Inder zu sein. Er hat große, runde Augen, blickt amüsiert, unendlich sanft und sagt: „Die Ekstase ist bereits in dir. Du brauchst nicht draußen nach ihr zu suchen.“ Dann verschwindet die Erscheinung.

Das ist gigantisch. Ich denke an die vielen Male, in denen ich nach einem Lehrer, einem Führer, einem Liebhaber gesucht habe. Jemanden, der mir eine Anleitung gibt, die mir den Zugang zur Glückseligkeit verschafft. Ich war mir sicher, das Rezept irgendwo draußen in der Welt zu finden.

Jetzt kann ich diese Idee fallenlassen. Dieser Bote, wer auch immer er sein mag, hat mir gerade gesagt, dass alles, was ich suche, hier ist, direkt vor meiner Nase. Sogar noch näher: in meinem Gehirn, meinem Körper.

Als ich am nächsten Morgen aufwache, ist es für mich offensichtlich, dass mir ein Übungsplan dabei helfen wird, die Meditation zu vertiefen. Also beginne ich damit, mich zu dehnen und Yoga-Asanas zu machen. Dann meditiere ich. Daraufhin esse ich Trauben. Dann lege ich mich auf mein Bett, tue nichts und beobachte, wie sich mein Gedankenkarussell immer weiterdreht.

Im Laufe der Stunden werde ich von der uninteressanten, sich ständig wiederholenden und automatischen Natur meines inneren Dialogs gedemütigt. Meine Gedanken bewegen sich wie eine Wüstenrennmaus in ihrem Laufrad, wiederholen die gleichen Geschichten, beanspruchen die gleiche Aufmerksamkeit, beackern die gleichen „Probleme“: meine Beziehungen zu Männern, Geldsorgen, eine vage Sehnsucht nach Glück und jede Menge unerledigter Dinge. Zusammen erzeugen sie eine familiäre mentale Atmosphäre, die den Stimmungen meiner Kindheit entspricht und mich zurück zu den Begegnungen, Gedanken und Gesprächen im Haus meiner Eltern führt.

Bald fühle ich Ärger aufbrodeln. „Will mir mein Verstand sagen, dass sich im Grunde nichts geändert hat, seitdem ich ein Kind war?“, frage ich mich. Dass ich ein soziales Klima, eine Denkweise von meinen Eltern übernommen habe und jetzt dazu verdammt bin, diese für den Rest meines Lebens endlos zu wiederholen?

Diese Idee behagt mir ganz und gar nicht. In meinem jugendlichen Enthusiasmus hatte ich mir immer vorgestellt, dass mein Verstand ein origineller Fundus an Brillanz sei, voller glitzernder Edelsteine der Weisheit, Einsicht und Erleuchtung.

„Jetzt sieh ihn dir an!“, sage ich verächtlich. „Eine rostige alte Maschine, die Jahr für Jahr die gleichen alten Gedanken produziert!“

Ich ringe jetzt mit meinem Verstand. Ein Teil von mir sagt zu meinen Gedanken: „Lasst mich in Ruhe! Ihr habt kein Recht, hier zu sein. Ihr seid ein Ärgernis. Geht weg!“

Der Kampf in meinem Kopf währt den ganzen Tag. Ich bemerke, dass ich die Gegenwart meines Verstandes ablehne, er sich aber noch energischer in den Vordergrund drängt, und komme zu einer weiteren Erkenntnis: Ein Teil meines Verstandes ringt mit dem anderen, so dass jede Vorstellung, dass der Verstand irgendwie geleugnet oder weggeschoben werden kann, absurd ist. Wer will ihn wegschieben? Der Verstand!

Es ist auch ein wenig unfair von mir, so auf meinen Verstand loszugehen. Schließlich managt er meinen Zeitplan, vereinbart Termine, hilft mir neue Dinge zu lernen.

„Ich habe einen Job zu erledigen“, erklärt er. „Ich muss mich um dich kümmern und dich beschützen. Hör auf mich!“

Trotzdem, frage ich mich: Gibt es eine Erfahrung außerhalb des Verstandes? Und da fange ich an, mich für die Lücken zwischen den Gedanken zu interessieren.

Das ist etwas Neues, und ich denke stundenlang darüber nach, liege im Dunkeln auf meinem Bett, tue nichts außer gelegentlich aufzustehen, mich zu dehnen, ins Badezimmer zu gehen, einen Schluck Wasser zu trinken und an einer Traube zu kauen.

Der Verstand scheint die Lücken zwischen meinen Gedanken nicht zu verstehen. Er kann nicht mit ihnen umgehen. Ein seltsamer Gedanke kommt mir in den Sinn: Vielleicht weiß er nicht einmal von ihnen! Schließlich, wenn er von einer Lücke wüsste, dann würde diese Lücke zu einem Gedanken an eine Lücke werden und sofort aufhören, eine Lücke zu sein! Ha!

Ich mag diese neue Entdeckungsreise. Ich beobachte die Lücken und merke, dass sie nicht lange andauern, denn sobald eine Lücke entsteht, kommt der nächste Gedanke und füllt sie auf.

Die Stunden vergehen. Ich langweile mich schließlich mit diesem Spiel mit den Gedanken und Lücken, und die Ungeduld kommt mit Nachdruck zu mir zurück. Das ist, wie ich sehe, meine größte Herausforderung, dieses ständige nagende Gefühl, dass noch mehr passieren muss.

Vielleicht hat es etwas mit meiner Geburt zu tun. Ich wurde mit Hilfe einer Zange geholt. Meine Mutter konnte nicht fest genug pressen, also zog mich der Arzt mit einer Zange heraus, die meinen Kopf umfasste. Auch heute noch, wenn etwas nicht schnell genug in meinem Leben passiert, fühlt sich ein Teil von mir an, als würde ich ersticken.

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Altersbeschränkung:
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Veröffentlichungsdatum auf Litres:
22 Dezember 2023
Umfang:
371 S. 3 Illustrationen
ISBN:
9783946959694
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Rechteinhaber:
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