Mordpakt: Richelieu

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Mordpakt: Richelieu
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Mordpakt: Richelieu

1  Mordpakt: Richelieu

2  Szene I

3  Szene II

4  Szene III

5  Szene IV

6  Szene V

7  Szene VI

8  Szene VII

9  Szene VIII

10  Szene IX

11  Szene X

12  Szene XI

13  Szene XII

14  Szene XIII

15  Szene XIV

16  Szene XV

17  Szene XVI

18  Szene XVII

19  Szene XVIII

20  Szene XIX

21  Szene XX

22  Szene XXI

23  Szene XXII

24  Szene XXIII

25  Szene XXIV

26  Szene XXV

27  Szene XXVI

28  Szene XXVII

29  Szene XXVIII

30  Szene XXIX

31  Szene XXX

32  Szene XXXI

33  Szene XXXII

34  Szene XXXIII

35  Szene XXXIV

36  Szene XXXV

37  Szene XXXVI

38  Szene XXXVII

39  Szene XXXVIII

40  Szene XXXIX

41  Szene XL

42  Szene XLI

43  Szene XLII

44  Szene XLIII

45  Szene XLIV

46  Szene XLV

47  Szene XLVI

48  Szene XLVII

49  Szene XLVIII

50  Szene XLIX

51  L - Epilog

Mordpakt: Richelieu

Historischer Roman

Maren von Strom

Impressum

Texte: © Copyright by Maren von Strom

Cover: © Copyright by Michael Stratmann

Verlag: Maren von Strom

Blumenstraße 20

42119 Wuppertal

MarenvS@gmx.de

Oktober 2018

Dank

Allen, die zur Entstehung mit ihrer Kritik und ihren Anregungen beigetragen haben.

Szene I

Es war gegen Abend an einem Montag im Oktober des Jahres 1629, als ein lauter und sehr zorniger Ausruf aus dem Kabinett des Hauptmanns der königlichen Musketiere sowohl die Soldaten als auch jeden Besucher zusammenfahren und die Köpfe wenden ließ. Der Lärm musste noch bis hinunter auf die Rue du Vieux-Colombier zu hören gewesen sein und vielleicht glaubte manch ein Passant, die Hugenotten wären eingefallen und wollten jetzt aus dem Hôtel de Tréville ein zweites La Rochelle machen.

Paris war dieser Tage ein Schiff, das schwer von den Wogen politischer Intrigen und kriegerischer Auseinandersetzungen geschüttelt wurde. Der Krieg gegen England um La Rochelle war gerade erst beendet und das Gnadenedikt von Alès duldete die Protestanten zwar weiter im Land, doch war ihnen jedwede Selbstbestimmung genommen. Kardinal Richelieu hatte die absolutistische Macht der Krone gefestigt und keiner seiner Gegner wagte auch nur ein Murren hinter vorgehaltener Hand. Paris verharrte im Zustand zwischen trügerischer Ruhe und dem Unmut, der unter der Oberfläche brodelte. Manch einer wünschte sich gar ein Ende von Richelieus Herrschaft über die Krone herbei und umso wachsamer hielten die Spione und Agenten des Ersten Ministers nach Verrätern Ausschau. Die Bürger aber ignorierten all das mit jener stoischen Arroganz der Großstädter, mit der sie auch schon andere Krisen überstanden hatten und nie untergegangen waren.

Mit ähnlicher Gelassenheit setzte darum nur einen Wimpernschlag später wieder das gewohnte, geschäftige Treiben ein, das über den wütenden Ausruf aus dem Arbeitszimmer kurz ins Stocken geraten war. Das Hôtel de Tréville war eines der prächtigsten Stadthäuser und zugleich das Hauptquartier der Musketiere. Ein beeindruckendes Anwesen mit Innenhof und Stallungen, ein Haushalt mit zahlreichen Lakaien, Mägden, Stallburschen, Dienstboten und dazu noch eine ganze Kompanie verdienter Soldaten, Raufbolde, Waffenbrüder; ein großer Trubel herrschte hier jeden Tag, der Besucher ebenso entzücken wie einschüchtern konnte. Im Vorzimmer führte man jetzt die unterbrochenen Gespräche fort, prahlte mit Heldentaten, spottete dem Kardinal und erzählte sich scherzhaft Anekdoten von Liebesglück und Herzeleid, von wahren Haudegen und unglückseligen Pechvögeln.

Anders verhielt es sich jedoch im Kabinett des Hauptmanns. „Nein!“ rief Monsieur de Tréville erneut und warf ein eng beschriebenes Papier vor sich auf den Schreibtisch. Er war in abscheulicher Laune und selbst sein Schnurrbart schien sich vor Zorn zu sträuben. Trévilles Männer verehrten ihn und sangen sein Loblied in höchsten Tönen; aber sie zitterten auch wie die Schüler vor ihrem Lehrer, wenn ihnen ein Tadel drohte. Trévilles Unmut galt jetzt seinem jungen Leutnant, einer hageren, beinahe zierlichen Gestalt, der noch jede Spur von Flaum im Gesicht abging. „Nein, nein! Das ist ein grober Unfug! Seht her!“ Tréville deutete auf verschiedene Namen, die auf dem Papier fein säuberlich untereinander zu einer Liste angeordnet waren. „Wenn Ihr die Wachen so einteilt, wird die Ablösung am Louvre in einem heillosen Durcheinander enden!“ Er griff nach einer Schreibfeder und unterstrich dick einen Namen. „Euch ist offenbar nicht aufgefallen, dass, laut dieser Einteilung, Monsieur de Fournier gleich zweifach Wachdienst halten muss?“

Der Leutnant verzog keine Miene und schien beschlossen zu haben, den Sturm vorüberziehen zu lassen. Trotz seiner auffälligen Jugend blitzte einiger Verstand in seinen Augen und hinzu gesellte sich eine Lebenserfahrung, wie sie erst manch älterer Haudegen gewonnen hatte. Die Beförderung zum Leutnant lag erst wenige Wochen zurück und war mit dem Krieg um La Rochelle teuer verdient worden. Richelieu selbst hatte ihn ausgezeichnet, statt ihm den Kopf abschneiden zu lassen, wie es auch hätte kommen können. Trotz allen Mutes, aller Kühnheit, jetzt starrte der Leutnant einen Punkt knapp an Trévilles linkem Ohr vorbei an und hielt wohlweislich den Mund.

Umso lauter wurde der Hauptmann. „Das bedeutet, Ihr straft diesen Musketier grundlos mit doppeltem Wachdienst ab. Andere dagegen sind freigestellt!“ Drei weitere Namen wurden unterstrichen. „Teilt Ihr die Wachen nach persönlicher Zuneigung ein oder seid Ihr schlicht überfordert mit dieser Aufgabe?“ Tréville hob eine Hand und schnitt seinem Leutnant, der sich nach diesen harten Vorwürfen nun doch zu einer Erklärung entschlossen zu haben schien, das Wort ab. „Was jetzt, frage ich Euch?“ Tréville fasste den anderen Offizier, der ihm eigentlich die Arbeit hätte erleichtern sollen, indem er anstelle des Hauptmanns die Wachablösung regelte, scharf ins Auge. Sein Leutnant zeigte sich verblüffend unfähig, einen reibungslos ablaufenden Dienstplan zu erstellen und Trévilles Geduld war heute zu oft strapaziert worden, als das er diesen groben Schnitzer ohne ein Wort des Tadels zu verlieren einfach übergehen konnte.

 

Nach allzu langem Schweigen folgte endlich eine Antwort zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Man könnte-“

„Man?“ Der Hauptmann schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und rief: „Ganz gewiss nicht „man“! Nein, sondern Ihr! Ihr, und nur Ihr allein, werdet diese Liste neu aufsetzen! Es gibt noch mehr zu bemängeln.“ Wieder kratzte der Federkiel über das Papier, unterstrich hier, markierte dort, änderte Zeiten und Namen um, bis beinahe nichts mehr vom Original übrig war. Die Feder raste geradezu über das Blatt und fand jede noch so kleine Unregelmäßigkeit. Tréville ließ nicht ein gutes Haar an der Aufstellung. „Das hier muss auch anders geregelt werden. Ventredieu! Wie konnten diese Fehler zustande kommen? Schlimmer noch, wie konnten sie Euch entgehen?“

Schließlich legte Tréville die Feder beiseite und schob das Papier seinem Leutnant zu, der mit unbewegter Miene abgewartet hatte und die Liste zögerlich entgegennahm. Von neuem aufgebracht, schloss der Hauptmann seine Strafpredigt mit unmissverständlicher Deutlichkeit: „Ihr werdet Euch in Zukunft angemessen auf Eure Aufgaben konzentrieren, d'Artagnan! Die Befehle des Königs haben Vorrang vor Eurem Privatvergnügen. Ihr seid mehr als ein einfacher Musketier. Erfüllt also Eure Pflicht!“

Noch immer war dem Leutnant nicht anzumerken, wie ihm nach dieser Schelte zumute sein mochte. Aber es brauchte kaum mehr den ungeduldigen, herrischen Wink Trévilles, um den jungen Offizier jetzt aus dem Kabinett flüchten zu lassen.

Szene II

D'Artagnan stürmte aus dem Arbeitszimmer, in der rechten die zerknitterte Liste mit der Wachablösung. Hinter sich warf der Leutnant die Tür gerade so schwungvoll zu, dass sie nicht mit einem lauten Knall ins Schloss fiel. Gleichermaßen überrascht wie neugierig wandten die Leute im Vorzimmer die Blicke und d'Artagnan verbannte das hitzige Gemüt, das gascognische Temperament, sofort wieder hinter einer stoischen Maske. Niemandem waren die zornigen Ausrufe des Hauptmanns entgangen und jeder mochte sich seinen Teil dazu denken; ein Tadel für den jungen Offizier, der sich auf seinem Posten erst noch beweisen musste. Mit langen Schritten durchquerte d'Artagnan das Vorzimmer, bevor einer der Männer auf die Idee kommen konnte, seinen Leutnant auf diesen Vorfall anzusprechen.

Auf der Treppe, die von der Eingangshalle nach oben führte, versammelte sich auch heute wieder eine ansehnliche Zahl von Musketieren, die scherzten, rauften und auch sonst allerhand Lärm um den weitläufigen Treppenaufgang machten. Sie standen in kleinen Gruppen zusammen, unterhielten sich, spielten mit Würfeln oder Karten, wetteten um Ruhm und Ehre und machten dabei einen gerade so sorglosen Eindruck, dass es schon fast wieder an Überheblichkeit grenzte. Ganz in der Nähe schnitten blanke Degen durch die Luft und trafen surrend aufeinander. Die Musketiere übten sich im Zweikampf und wenn sie das nicht gerade in ihrem Heerlager, dem das Haus täglich glich, taten, dann zogen sie auch schon einmal auf der Straße offen vom Leder, legten sich mit den Gardisten des Kardinals an und verteidigt blutig Ehre und Vaterland.

Die Männer ließen ihren Leutnant, der sich rasch einen Weg durch die Menge bahnte, unbehelligt passieren. Als d'Artagnan schließlich ins Freie trat, warteten im Hof bereits drei weitere Musketiere; Athos, Porthos und Aramis schienen in ein reges Gespräch vertieft und der Leutnant hörte gerade noch Aramis mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen sagen: „Ach mein Freund, wenn Ihr die Frauen nur besser verstehen würdet!“ Dabei warf der hübsche Musketier einen auffällig unauffälligen Blick auf ein spitzenbesetztes Taschentuch in der Faust von Athos. Porthos daneben tat nicht viel, um sein breites Grinsen zu verbergen. Stolz zwirbelte sich der Hüne den Schnurrbart und wahrscheinlich fehlte nicht viel dazu, dass er Athos anerkennend auf die Schulter geschlagen hätte. Als d'Artagnan nun hinzutrat, ließ Athos das Tüchlein kopfschüttelnd und, wie es schien, auch ein wenig aufgebracht in seiner Manteltasche verschwinden.

Über dieses doch recht eigenartige Gebaren vergaß d'Artagnan zunächst den Ärger mit dem Vorgesetzten und maß forschend das Gesicht jedes Freundes. Der stattliche Porthos war noch immer bemüht, sein Vergnügen zu verbergen und trug eine selbstsichere Pose auf. Aramis, stets diskret und verschwiegen, zeigte nicht offen, was er dachte, obgleich ein feines Lächeln auf seinen Lippen lag. Athos selbst gab sich bis auf ein missbilligendes Stirnrunzeln ganz ungerührt, unbeeindruckt in seiner würdevollen Haltung als Edelmann. Er fragte leise, und noch bevor d'Artagnan selbst neugierig eine Frage stellen konnte: „Wie steht es heute um den Hauptmann?“

In seinen Worten schwang deutliche Sorge mit und Athos war nicht der einzige unter den Musketieren, den das ungewöhnlich launische Verhalten Monsieur de Trévilles beunruhigte. Der Hauptmann schien sich zu verändern. Wo er sonst ein rechter Lebemann gewesen war, und noch im besten Alter für Duelle oder Liebesabenteuer, zog er sich immer öfter in sein Arbeitszimmer zurück und war für niemanden zu sprechen. Nicht nur die heftigen, manchmal unbegründeten Wutausbrüche, wie d'Artagnan eben einen über sich hatte ergehen lassen müssen, zeigten, dass etwas nicht in Ordnung war. Hinzu kam die neue Übergenauigkeit in allen dienstlichen Angelegenheiten, obwohl Tréville selbst immer öfter unpünktlich erschien. Manchmal gab es ein unerklärlich langes Schweigen zwischen zwei Befehlen, das nur auf geistige Abwesenheit zurückgeführt werden konnte - ausgerechnet jenem Fehler, der dem Leutnant eben noch vorgehalten worden war. Übellaunigkeit, Reizbarkeit, Ungeduld... die Liste ließe sich lange so weiterführen. Kurzum, der Hauptmann zeigte sich seinen Untergebenen, als wäre er nicht mehr er selbst und dies war Grund genug für eine stille Unruhe innerhalb der Kompanie, die keiner der Musketiere bestätigen oder abstreiten wollte.

Auch Aramis und Porthos schienen auf gute Nachrichten zu hoffen, obwohl ihnen das Wort vom Streit im Kabinett schon längst zugetragen worden sein musste. D'Artagnan hob dann auch nur die Schultern und meinte mit einem Schwenken der Wachliste: „Bedenkt man die zahlreichen Fehler, welche ich hier angeblich gemacht habe, dann kommt es beinahe einem Wunder gleich, dass ich nicht kurzerhand degradiert wurde.“

Athos fasste d'Artagnan kurz bei der Schulter. Stummer Beistand für den jungen Gascogner, dessen aufgesetzte Munterkeit nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass die letzte, heftige Zurechtweisung durch den Hauptmann sein Selbstbewusstsein ordentlich erschüttert haben musste. Seit d'Artagnans Ankunft in Paris vor etwas über drei Jahren, hatte Tréville stets protegierend gewacht und bei allen Abenteuern heimlich oder ganz offen beigestanden. Doch auf einmal schien das ganz ins Gegenteil verkehrt und vor den anderen Musketieren mochte d'Artagnan den eigenen Missmut gut verbergen können. Für die engsten Freunde aber war die knabenhafte Miene wie ein offenes Buch. Vielleicht auch deshalb, um nicht weiter gelesen zu werden, schüttelte der Leutnant nun den Kopf und meinte: „Vergebt, aber ich fürchte, ich werde unsere Verabredung zum Abendessen nicht einhalten können. 'Der Dienst geht vor und es gilt die Pflicht zu erfüllen, bevor die Befehle Seiner Majestät dem Privatvergnügen geopfert werden.' Wer bin ich denn, dass ich dem widersprechen würde?“ D'Artagnans Mundwinkel zuckten ob der verdutzten Gesichter der Freunde. Selbst der sonst so unbekümmerte Porthos schien überrascht, wie übel gelaunt Tréville heute tatsächlich war und rief aus: „Ihr habt noch keinen Dienstschluss? Seit heute früh seid Ihr, ich weiß gar nicht wie viele Stunden länger als alle anderen, einschließlich des Hauptmannes, auf den Beinen und-“

D'Artagnan unterbrach ihn, bevor dieses Gespräch am Ende doch vom Innenhof in die Öffentlichkeit getragen wurde. „Schon gut, mein Freund, schon gut. Den Wachplan zu ändern, ist nicht mehr als eine lästige Pflicht. Ich werde bald danach zu euch stoßen.“

Aramis blickte zweifelnd auf das Papier. Zu viele dunkle Federstriche zeugten davon, dass diese Aufstellung zu nichts mehr zu gebrauchen war und ganz neu geschrieben werden musste. „Ich habe einen besseren Vorschlag: Kommt mit uns zum 'Tannenzapfen' und wir werden Euch bei dieser Liste helfen.“

Athos und Porthos nickten zustimmend, nur d'Artagnan selbst zögerte und warf einen Blick hinauf zu einem der Fenster des Hôtels. Dahinter lag das Arbeitszimmer Monsieur de Trévilles. Von dort hatte d'Artagnan einst den Graf de Rochefort erspäht und wäre in rasendem Zorn sofort hinunter auf die Straße gesprungen, um die Verfolgung aufzunehmen, hätte das Fenster nicht hoch oben gelegen. D'Artagnan wandte sich ab und gab sich unbekümmert. „Danke für das Angebot. Doch ich will euch den Abend nicht mit langweiligen Wachablösungen verderben. Geht ohne mich.“

Aramis wollte schon widersprechen, ein durchdringender Blick Athos' hielt ihn zurück. Nur widerwillig gab er nach. „Nun, gut. Aber wir haben Euer Versprechen, dass Ihr Euch dann zu uns gesellen werdet, sobald diese Liste vollständig ist.“

„Das habt ihr, bei meiner Ehre!“ D'Artagnan nickte den Freunden aufmunternd zu. „Entschuldigt mich bis dahin. Ich nehme den Plan mit nach Hause, dort herrscht kein Trubel wie hier.“ Der Leutnant grüßte zum Abschied und trat durch den weiten Torbogen hinaus auf die Rue du Vieux-Colombier. Die drei übrigen Musketiere blieben zurück, jeder in seinen eigenen Gedanken versunken.

Szene III

Noch jemandem waren die schleichenden Veränderungen im Hôtel de Tréville nicht entgangen. Kardinal Richelieu sah vom Bericht in seinen Händen auf und musterte mit ernster Miene sein Gegenüber. Der Graf de Rochefor schüttelte andeutungsweise den Kopf. Er konnte keine Erklärung für den, zugegeben ungewöhnlichen, aber nicht neuen, Inhalt des Schriftstückes anbieten, das ihm eben von einem seiner Agenten zugesteckt worden war.

Im Arbeitszimmer Seiner Eminenz wurde es sehr still und je länger das Schweigen andauerte, desto unbehaglicher wurde es Rochefort in seiner Haut. Der Kardinal erwartete offensichtlich mehr Klarheit in dieser Sache, aber sein Stallmeister sah sich außerstande eine Antwort zu finden, die den mächtigsten Mann Frankreichs zufrieden gestellt hätte. Auf der Suche nach einer Erklärung glitt Rocheforts Blick durch den Raum, streifte die Titel der zahlreichen Bücher und Codices in den Regalen, wich dem Portrait Richelieus aus und blieb schließlich an einem Gobelin hängen. Das Motiv war neu, die Schlacht um La Rochelle. Die Stadt im Hintergrund ganz und gar verheert, vorne die triumphierenden Sieger über den verbrannten Leichen ihrer Feinde, die Standarten spitz und hoch gereckt. Der König nahm die Kapitulationserklärung eines elenden Aufständischen entgegen. An seiner Seite, stets präsent und über Frankreich wachend, streng und keinen Widerspruch duldend: Der Erste Minister. Richelieu trug die volle Kriegsrüstung nicht anders als die rote Soutane. Soldat und Diplomat. Das Motiv zeigte ihn mit ergrautem Haar und hagerem Gesicht. Mit stolzer Haltung trotzte er auf dem Gobelin seinem geschwächtem Körper in der wirklichen Welt. Nichts und niemand brächte ihn leicht zu Fall. Zweifelsohne ein außergewöhnlicher Mensch.

Rochefort ließ endlich vom Wandteppich ab. Er zuckte kaum merklich mit den Schultern, ratlos, die Narbe an seiner Schläfe tat sich auffällig vor. „Dieser Bericht ist erst wenige Minuten alt.“

Ein weiteres Mal überflog Richelieu das Dokument. Dann legte er es zu einem Stapel ähnlicher Schriftstücke und richtete seinen durchdringenden Blick wieder auf den Stallmeister. Rochefort diente dem Kardinal schon ein halbes Leben treu und ergeben. Er hatte seinen Verstand an den undurchsichtigen Ränkespielen des Hofs geschärft, mehr als eine Wunde dabei davongetragen und selten sah er sich außerstande, eine unausgesprochene Frage seines Herrn befriedigend zu beantworten. Aber hier stieß Rochefort an seine Grenzen. „Seit Tagen schon bringen mir meine Spione solche Berichte, immer mit ähnlichem Wortlaut: '...so scheint Verwirrung und Ratlosigkeit ob des auffälligen Verhaltens Hauptmann de Trévilles in der Kompanie zu herrschen...' - Die Lage spitzt sich zu.“

Der Kardinal hob verwundert eine Braue und sprach zum ersten Mal, seit Rochefort den Raum betreten und das Schreiben überreicht hatte. „Diese Behauptung lässt sich hieraus kaum ablesen.“

 

„Ist nicht allein die Tatsache, dass sich die Situation nicht bessert ein Indiz dafür, dass sie sich verschlechtert?“

„Ihr seid sehr schnell mit Euren Schlussfolgerungen, Rochefort. Ich verlange jedoch keine Einschätzung dessen, was offensichtlich ist.“ Die Miene Seiner Eminenz verfinsterte sich, ein Schatten legte sich auf die aristokratischen Züge. „Ich will die Gründe dafür erfahren, weshalb ein Mann, den ich sonst als argen Widersacher betrachten muss, beginnt, es mir so leicht zu machen.“

Rochefort schwieg. Es war verständlich, dass jemand wie Richelieu begann sich Gedanken zu machen, wenn sich einer seiner Feinde ohne erkennbare Gründe zurückzog und nicht länger Paroli bot. Wenn ein Gegner sich nicht mehr so verhielt, wie es vorauszuahnen gewesen wäre; wie bei der letzten Audienz des Königs. Tréville war nicht erschienen, obwohl der Hauptmann der Musketiere fast täglich zu solchen Gelegenheiten im Louvre anzutreffen war und sei es auch nur, um die Zeit der Unterredung zwischen dem König und dem Kardinal zu verkürzen. Es gab auch ruhige Tage, an denen der Gascogner friedlich zu Hause blieb - allerdings nicht gerade dann, wenn um eine Verkleinerung seiner Kompanie verhandelt wurde. Es war nur eine Scheindebatte, ein Test, wenn man so wollte, um den Inhalt der letzten Berichte zu überprüfen. Natürlich hatte Ludwig XIII. diesen Vorschlag sofort abgelehnt und keines der Argumente Seiner Eminenz gelten lassen, auch ohne dass der Hauptmann der Musketiere dagegen sprechen musste. Doch unter normalen Umständen wäre Tréville über den Gegenstand dieser Audienz schon früher in Kenntnis gesetzt gewesen, als das Richelieu ihn vor dem König überhaupt ausgesprochen hätte und keine Macht der Welt hätte den Hauptmann davon abgehalten, zu erscheinen. Sei es auch nur, um siegreich aus einem Wortgefecht hervorzugehen, bei dem der Kardinal schon vor Beginn der Verlierer gewesen wäre.

Rochefort wurde aus seinen Gedanken gerissen, als eine herrische Stimme befahl: „Findet mir diese Gründe! Beobachtet sorgfältiger! Ich will wissen, ob wir es mit den Launen eines Mannes oder mit einer ernsthaften Bedrohung für den Staat zu tun haben.“

'Keine falsche Bescheidenheit, Eminenz.' dachte Rochefort spöttisch, während er sich zum Zeichen, dass er den Befehl verstanden hatte, verneigte. Gleichzeitig fragte er sich, warum Richelieu erneut ihn und seine Spione heranzog, anstatt aussichtsreichere Mittel einzusetzen. Nicht, dass Rochefort an seinem Erfolg zweifelte. Früher oder später würden ihm seine Agenten die Beweise vorlegen, nach denen der Kardinal verlangte. Aber es schien sich hier um eine sehr dringliche Angelegenheit zu handeln und es gab einen schnelleren Weg, diese 'Gründe' zu erkennen und sie vielleicht für sich selbst nutzen zu können. Übersah der Kardinal zum ersten Mal eine Möglichkeit? Richelieu hielt diese Unterredung wohl für beendet und schien sich den übrigen Papieren auf seinem Schreibtisch zuwenden zu wollen. Anstatt aufzubrechen, um sich seines Auftrages so schnell wie möglich zu entledigen, trat Rochefort einen halben Schritt näher an den Tisch heran. „Monseigneur, erlaubt einen Vorschlag.“

Ein missbilligender und vielleicht auch etwas überraschter Blick traf den Stallmeister, dennoch gab der Kardinal mit einer Geste zu verstehen, dass sein Gegenüber sprechen möge. „Es kann einige Zeit dauern bis sich meine Spione soweit Zutritt ins Hôtel de Tréville verschafft haben, dass sie unauffällig beobachten können, was sich im Innersten der Kompanie abspielt. Von außen erreichen mich immer die gleichen Berichte. Mein Vorschlag lautet, eine Person zu verwenden, die zum einen beinahe uneingeschränkten Zutritt auch ins Arbeitszimmer des Hauptmanns hat, zum anderen keinerlei Verdacht erregen kann, da sie bereits Teil der Kompanie ist.“

„Ich verstehe, worauf Ihr hinauswollt. Ihr sprecht vom Leutnant der Musketiere?“

„Ja, Eminenz. Ihr habt dieses Patent einem jungen Mann ausgestellt, den Ihr genauso gut in die Bastille oder aufs Schafott hättet schicken können. Jetzt wäre der richtige Augenblick, um den Preis für Eure Gnade einzufordern.“

Die Reaktion auf diesen Vorschlag fiel anders aus, als der Graf es je erwartet hätte: Der Kardinal lachte auf, ja, er schien ehrlich amüsiert. „Zweifelsohne habt Ihr einige Zusammenhänge richtig erkannt und aus Euren Worten spricht eine durchaus kluge Überlegung.“ Ein dünnes Lächeln umspielte weiterhin seine Lippen, als er ernst fortfuhr: „Jedoch mangelt es Euch an Menschenkenntnis. Ihr wollt d'Artagnan zum Verräter machen? Das dürfte Euch schwerlich gelingen. Weder mit Erpressung, noch mit Bestechung.“

„Doch wie steht es mit wirklicher Überzeugung?“ Der Kardinal schien sich in diesem Punkt sehr sicher zu sein, doch Rochefort gab sich nicht so leicht geschlagen. Er wäre nicht der Stallmeister Seiner Eminenz gewesen, wenn er allein von seinen Spione abhängig gewesen wäre. Tatsächlich musterte Richelieu ihn mit neuem Interesse. „Welche Art von Überzeugung meint Ihr da?“

„Es gibt Dinge, die nicht in diesen Berichten stehen. So scheint im Moment ein sehr angespanntes Verhältnis zwischen den beiden ranghöchsten Offizieren der Kompanie zu herrschen.“

Einen Augenblick lang dachte Richelieu über das eben Gehörte nach, dann jedoch winkte er ab. „Nein, bei diesem Ansatz werdet Ihr scheitern, Rochefort. Die Loyalität, die unseren jungen gascognischen Freund an seinen Hauptmann bindet, rührt nicht nur von der des Soldaten zu seinem Befehlshaber her. Vertraut hier meiner Menschenkenntnis.“ Damit wandte sich der Kardinal nun endgültig den übrigen Papieren auf seinem Schreibtisch zu und Rochefort musste einsehen, dass sein Vorschlag abgewiesen war.

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