Achims Ring

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

1

Seebad Ahlbeck, Insel Usedom. Die Mutter war mit ihrem Sohn Achim, wie viele Swinemünder, vor der Roten Armee geflüchtet. Auf dem Fährschiff „Kleine Berlin“ fanden sie Zuflucht und gelang-ten so, durch die verminte Ostsee nach Dänemark.

Achims Vater kämpfte an verschiedenen Fronten, nicht um dem „Tausendjährigen Reich“ zum Sieg zu verhelfen oder aus Über-zeugung sondern weil er musste, wie er später glaubhaft erzählte.

1947 vereinte sich Achims Vater mit seiner Frau und seinem Sohn wieder auf Usedom.

Eine Rückkehr nach Swinemünde war nicht möglich, denn der Teil der Insel gehörte jetzt zu Polen.

An der Ahlbecker Dünenstraße hatte der Bruder von Achims Mutter, mit seiner Frau die Villa Bella gemietet. Hier fand Achims Familie Unterschlupf, hauste in zwei Zimmern, ohne Bad aber mit einer Küche, die mit einem holzbeheizten Ofen ausgestattet war. Das Klo befand sich ein Stock höher auf dem Flur und wurde von mehreren Familien benutzt.

1949 wurde Achim eingeschult. Ein bedeutsamer Tag, dieser wun-derschöne, warme und sonnigklare Septembertag.

Achim erhielt eine riesengroße Schultüte, in der ein großer, schon sehr mürber Apfel steckte, den er aber nicht essen durfte, denn es herrschten magere Zeiten und das Obst war als Bereicherung für den Rotkohl verplant.

Achim blieb für immer unklar, warum man ihm diesen Apfel in seine Schultüte gesteckt hatte.

Nach einer langwierigen Kämmprozedur und lästigem Gesicht-waschen ging es mitsamt der Schultüte zum Fotografen der im Nachbarhaus sein Atelier betrieb. Das Ereignis „Erster Schultag“ musste unbedingt für die Nachwelt festgehalten werden.

Achim war stark beeindruckt von der Einrichtung und dem um-ständlichen Prozedere und war entschlossen, nicht, wie noch bis heute Morgen, Gelehrter zu werden, sondern Fotograf. Er spürte, das war seine Berufung.

Dieser Tag war aber offensichtlich auch für Achims Vater sehr wichtig. Er nahm seinen Sohn beiseite, rückte ganz nahe an ihn heran, holte einen Ring aus seiner Jackentasche und raunte:

„Pass jetzt genau auf, denn alles was ich dir jetzt sage muss unter uns

1

bleiben, denn es handelt sich um ein Geheimnis, das unbedingt gewahrt bleiben muss. Nur deine Mutter ist auch noch eingeweiht.“

Achim sah seinem Vater in die Augen, verunsichert, ob es sich um einen Scherz handeln könnte, merkte dann aber, dass es ihm sehr ernst war. Darum sagte Achim, dass er sich auf ihn verlassen könne.

Der Vater zeigte ihm einen Ring; es war ein Bernstein in einer Silberfassung.

„Dieser Ring ist uralt, er hat schon meinem Vater, sowie meinem Großvater, also deinem Großvater und Urgroßvater gehört. Der Ring wurde uns von einem Insulaner geschenkt, der ‚Männer der Letzte’ hieß. Er wurde so genannt, weil er der Letzte seines Geschlechts war; Den Ring hat er von seinen männlichen Vorfahren erhalten, die auch alle ‚Manner’ gerufen wurden. Um sie unterscheiden zu können, hieß der älteste immer der ‚alte Manner’, dessen Sohn der ‚junge Manner’ und der Enkelsohn immer ‚Manner der Lütte’. Wenn nun der älteste Manner starb avancierte der ‚junge Manner’ zu der ‚alte Manner’ und der ‚Lütte’ zu der ‚junge Manner’. ‚Manner der Letzte’ hatte aber partout keine Lust verspürt sich eine Frau ins Haus zu holen oder gar zu heiraten was natürlich zu Spekulationen Anlass gab. Irgendetwas konnte mit dem Kerl nicht stimmen. ‚Vielleicht ist er ja ein warmer Bruder’ wurde gemunkelt. ‚Wer weiß, wer weiß und hineinsehen kann man ja in einen Menschen auch nicht.’ Mein Großvater hatte bei den ‚Manner’ Schrifttafeln gesehen mit Zeichen drauf die er nicht lesen konnte. Alles war sehr mysteriös.“

Achim besah sich den Ring genauer; der Bernstein strahlte, an einem Teil des Randes schimmerte er fast schwarz. Er war fasziniert von diesem Bernstein. Sein Vater sagte, dass ihn der Ring immer beschützen würde, so wie er alle seine Träger immer beschütz hat.

„Wenn du einmal Hilfe brauchst wird dir geholfen werden. Aber wünsche dir nur einmal etwas, nur wenn du absolut keinen Ausweg siehst, denn für einen zweiten Wunsch würdest du teuer bezahlen müssen; darum hat auch noch nie jemand einen zweiten Wunsch geäußert. Hast du alles verstanden?“

Achim zögerte und hätte gerne noch gefragt was ‚Warmer Bruder’ bedeuten würde, aber das konnte er später auch noch.

Also bejahte er verbal und mit heftigem Kopfnicken, fragte dann aber was „teuer bezahlen“ bedeute und ob er dafür viel Geld benö-tigen würde. Der Vater sagte: „Es wird dir etwas genommen das dir lieb und teuer ist; was das aber sein könnte, kann ich dir nicht sagen.

2

Halte dich an die Regel und du musst dir keine Sorgen machen. Trage den Ring immer bei dir. Solange deine Hand noch zu klein ist für den Ring, stecke ihn in eine Tasche“.

Jetzt wollte Achim nicht nur Fotograf, sondern auch noch Bernstein-sammler werden, so angetan war ich.

Auf dem Schulhof, während der Ansprache der Rektorin, anlässlich der Einschulung, stand neben Achim ein kleines Mädchen, das sich an der Hand einer Frau, wahrscheinlich seiner Mutter, festhielt. Die Frau war groß und sehr füllig, hatte eine komische Frisur und sah, nach Achims Eindruck, hochnäsig aus.

Achim konnte seine Augen nicht mehr von dem Mädchen abwenden. Es schien zu spüren, dass es beobachtet wurde, wendete den Kopf und musterte ihn.

Die Kleine war dunkelhaarig und zierlich, nicht blond und manchmal auch grobschlächtig, wie viele andere Mädchen von der Insel. Das Schönste an diesem Mädchen waren seine Augen. Braun, und wenn wie jetzt in diesem Moment, die Sonne in seine Augen schien, schimmerten sie ganz hell, wie Bernstein, wie Achim das bei seinem Ring gesehen habe. Das Mädchen hatte kleine, schlanke Hände. Alles in allem hob es sich ab von den anderen Mädchen deutlich ab. Hannelore hieß die künftige Klassenkameradin; Achim hatte das mitbekommen als die Mutter sie so nannte.

An diesem ereignisreichen Tag fasste Achim noch einen Entschluss; er würde Hannelore heiraten. Ihm fiel sein Ring ein und kramte ihn aus der Hosentasche. Er betrachtete den Ring und rieb den Stein an seinem Hemd. Der Bernstein begann zu strahlen und das Metall fühlte sich warm an. Achim überlegte ob er sich jetzt schon etwas wünschen sollte, zum Beispiel dass sein Berufswunsch sich erfüllt oder dass Hannelore seine Frau wird.

Doch dann kamen ihm die mahnenden Worte seines Vaters in den Sinn und er verzichtete auf jetzige Wunscherfüllungen.

Achim war ein ernsthaftes Kind. Am liebsten beschäftigte er sich mit Büchern. Als er noch nicht lesen konnte, nahm er sich die Familien-bibel vor, blätterte stundenlang darin herum und betrachtete die Holzschnittbilder.

Seine Eltern merkten bald, dass er anders war als seine gleich-altrigen Klassenkameraden. „Du bist viel verständiger und auf eine gewisse Art reifer“ erklärten sie ihm nicht ohne Stolz.

3

Mit fünf Jahren lernte Achim unter Anleitung seiner Eltern Schreiben und Lesen. Er begann Jugendbücher zu lesen und bekam von seinem Onkel Ferdinand, dem Bruder seiner Mutter, ein Buch von Karl May geschenkt.

Das alles verschaffte ihm einen gehörigen Wissensvorsprung gegenüber seinen Mitschülern. In der Schule war Achim so gut, dass ihm eine Medaille für gute schulische Leistungen verliehen wurde; und so kam es, dass er als Klassenprimus in nächste Schuljahr startete.

2
4

Der Sommer zeigte sich von seiner besten Seite auf Usedom. Es war warm und sonnig. Achim hatte sich nach Ahlbeck aufgemacht, um einzukaufen.

Zu seiner Frau Hannelore, schon sehr viel früher in „Hanni“ um-getauft, hatte Achim gesagt, dass er noch etwas in Ahlbeck besorgen müsse und ganz schnell wieder zurück wäre.

Ganz so nötig war sein Ausflug nach Ahlbeck eigentlich nicht. Er hielt sich einfach gerne in Ahlbeck auf. Während des Sommers ging er meistens ins Selbstbedienungsrestaurant von Elke Lau, welches sich auf der Strandpromenade in der Nähe der berühmten Seebrücke befand. Er holte sich dann ein Köstritzer Schwarzbier, setzte sich an einen Tisch mit Blick zur Dünenstraße und beobachtete die Feriengäste. Die Touris teilten sich auf in zwei Hauptströme. Der eine kam aus Richtung Swinemünde und strebte in Richtung Heringsdorf, der andere umgekehrt. Wenn man sich einzelne Personen merkte, konnte man feststellen, dass die, die in Richtung Heringsdorf liefen, wieder zurückkamen und in Richtung Swine-münde weitergingen und umgekehrt. Wenn ein Schiff an der Seebrücke anlegte, ergoss sich der Strom der Fahrgäste ebenfalls in beide Richtungen. Warum sich die Leute so verhielten blieb Achim ein Rätsel. Ihm war aufgefallen, dass die meisten der Prominierenden stark übergewichtig waren; Frauen, wie Männer und Kinder. Und alle waren bestrebt diesen Zustand nicht nur zu erhalten sondern auch noch zu verbessern. Die Leute aßen ununterbrochen. Sahneeis, Bockwürste, Matjes, Fisch-brötchen, Sandwiches und vieles mehr. Der Anblick der dicken Ärsche in knappen Shorts inspirierte den Fotografen Achim, erin-nerte ihn aber auch an etwas Unangenehmes, an seine Schwieger-mutter. Ein Bildband oder zumindest eine Bildserie über die dicksten Hinterteile in Farbe, das wäre es.

Das wollte sich Achim genau überlegen.

Er ging die bestellten Filme für seine Hasselblad abholen. Dann sah er auf die Uhr; es war höchste Zeit seinen Aufenthalt in Ahlbeck zu beenden.

Achim war mit Hanni zum Mittagessen im Koserower Restaurant Bernsteinhexe verabredet.

Zu dem Restaurant gehört ein Gartenrestaurant, welches bei warmem Wetter besonders stark frequentiert wird.

 

5

In Koserow angekommen kurvte Achim in die Siemensstraße und bog dann links ab in die Gartenstraße. Dort befinden sich die Parkplätze des Restaurants. Er stellte seinen Smart ab und ging um die Ecke. Der Eingang zum Restaurant befindet sich an der Meinholdstraße. Achim sah sich im Gartenrestaurant um und erstarrte. Am Tisch von Hanni saß seine Schwiegermutter.

Sein erster Gedanke war Flucht, nichts wie weg; zu spät, seine Schwiegermutter hatte ihn bereits erspäht. Mit schwabbelndem Oberarm winkte sie ihm zu. Es war kein fröhliches Winken, so in der Art „Hallo, da bist du ja, komm doch zu uns“; es war ein herrisches, befehlendes Winken „Daher, Sitz, Platz!“. Traurig und deprimiert schlich er zu dem Tisch. Achim hatte sich auf das Mittag-essen mit Hanni gefreut und wollte über ihren bevorstehenden Geburtstag reden, was sie so machen würden und was er für sie kochen solle. Denn an Hannis Geburtstag kochte immer Achim, aber sonst auch, meistens jedenfalls.

Eigentlich ist Achim ein Querulant. Als sich im Laufe der Zeit alle auf die englische Sprache stürzten und so taten als ob sie kaum noch ohne Anglizismen auskämen wandte er sich vermehrt dem Franzö-sischen zu. Er besuchte Sprachkurse und engagierte einen Coach, um sein Französisch zu optimieren.

Da Achim mit Hanni zu diesem Zeitpunkt in der Schweiz lebten, hielten sie sich so oft wie möglich in der Romandie, dem französisch sprechenden Landesteil der Schweiz auf und besuchten das benach-barte Frankreich, vorzugsweise das Elsass, das Burgund und die Provence.

Als Achim noch ohne Hanni in Genf lebte hörte er im Fernsehen den französischen Staatspräsidenten reden und verfolgte die Wahlkämpfe von de Gaulle, Mitterrand und Lecanuet. Er rockte mit Johnny Halliday, lauschte den alten Chansons von Piaf, Gréco und Azna-vour. Achim war fasziniert von der Eleganz und Kraft der fran-zösischen Sprache. Französische Filme mit Gabin, Delon, Belmondo und Moreau standen bei ihm hoch im Kurs. Ein Film mit Jean Gabin, er hieß „Der Unerbittliche“, hatte es ihm besonders angetan. Jean Gabin spielte einen Bauern, dessen Familie bedroht wurde. Das Gesetz nahm er selbst in die Hand. Durch nichts und niemanden ließ er sich in seinem Handeln beirren; die ganze Familie stand unter seinem Kommando.

6

Das war Unabhängigkeit, wie Achim sie sich vorstellte. Ihm gefiel es ausnehmend gut, dass die Sonne im Französischen männlich war.

Le soleil. Das war ihm wichtig, weil er männlich mit Kraft verband. Oft fügte er französische Ausdrücke und Zitate in sein Deutsch ein, und es machte ihm viel Freude zu erleben, dass sich seine Schwiegermutter ärgerte, weil sie nichts verstand.

Seine Stimmung besserte sich. Er begrüßte Hanni und ihre Mutter mit einem „Hallo“. Die Schwiegermutter giftete „Du bist spät.“ „Ich bin nicht mit dir verabredet“ dachte er und „ich dir wirklich keine Erklärung schuldig sei.

Lächelnd sagte er „Madame, quelle seriöse, et quäl plaisir.“

„Lass den Quatsch und rede deutsch mit mir, hier bei uns wird deutsch geredet!“

Achim war zufrieden mit seinem Auftritt und schaute Hanni gerade in die Augen; ruhig und fest begegnete sie seinem Blick und schüttelte leicht den Kopf. Jetzt wusste er, dass Hanni nichts für die Anwesenheit ihrer Mutter konnte.

Ute, die Bedienung, brachte die Speisekarte. Möglichst unauffällig musterte er seine Schwiegermutter und genierte sich.

Ein grellrot bemalter Mund, ein geblümtes Kleid (force de fleurs) umhüllte sie wie ein Zelt, die Füße steckten in weißen Sandalen. „Grauenhaft!“

Natürlich bestellte sie zuerst und zwar etwas Fettes, etwas Handfestes, wie sie es nennt. Grützwurst – eine Spezialität, die man auf Usedom nicht nur in der kalten Jahreszeit schätzt, sondern auch im Sommer. Und ein großes Lübzer Pils dazu musste auch sein.

Hanni entschied sich für eine halbe Portion gedünsteter Aal und Achim bestellte gebratenen Zander. Er liebte Zander besonders, wenn er in der Haut kross gebraten war.

Achim fragte Hanni ob sie sich bei einer Flasche Pinot Grigio anschließen würde. „Oh ja, sehr gerne“ strahlte sie.

Zu seiner Schwiegermutter sagte er scheinheilig „schade kannst du beim Wein nicht mithalten aber der Pinot passt wirklich nicht zur Grützwurst“.

Achim gab die Bestellung an Ute weiter. „Die Getränke bitte jetzt und das Essen in circa einer halben Stunde. Danke.“

Er wollte ein bisschen französische Lebensart, Savoir-vivre, in ihr Leben bringen; zuerst in Ruhe der Apéritif und dann das Essen. Und nicht immer alles um Punkt zwölf.

7

Ein Paar mit Kind kam in das Gartenrestaurant. Die drei standen gut im Futter. Das Kind war ungefähr sechs Jahre alt. Mit Huronenge-brüll stürzte sich der Knabe auf die Schaukel, die für die kleinen Gäste installiert worden war.

Dann rief der Junge nach seinem Vater, weil er mit der Schaukel nicht zurecht kam.

„Was für ein Depp“ ging es Achim durch den Kopf „zu doof zum Schaukeln“. Die Eltern des Knaben bestellten ihr Essen und wollten ihren Sohn zu einem Kinderteller animieren.

„Mäuschen“ wurde der Kleine von seinen Eltern gerufen, wollte aber unter keinen Umständen etwas essen. Mutter und Vater insitierten aber so lange, bis Mäuschen sich zu einem Schnitzel entschloss. Aber essen wollte er nicht. Der Vater wollte jetzt essen, Mäuschen lieber schaukeln; Mutter mampfte seelenruhig und hielt sich aus dem Konflikt heraus. Der Vater sprach zu Mäuschen: „Wenn du jetzt nicht isst, werde ich das essen.“

Sprach’s und machte sich über das Schnitzel seines Sohnes her. Mäuschen sah seinem kauenden Vater zu, was ihn aber keineswegs animierte desgleichen zu tun.

Mäuschen begann zu quengeln, dass er schaukeln wolle. Vater stand zwischen zwei Bissen auf und schaukelte seinen Sohn. Sobald er wieder am Tisch saß ging das Gebrüll wieder los.

Das permanente Hin und Her des Vaters und das Gebrüll des Kindes waren der reinste Horror. Nach anfänglichem Amüsement war Achim jetzt genervt. Er konzentrierte sich wieder auf Hanni und ihre Mutter.

Eine Idee geisterte durch seinen den Kopf. Er würde seine Schwie-germutter künftig auf Französisch „La belle-mère“ nennen.

Ihm gefiel die Idee, weil es übersetzt „die schöne Mutter“ bedeutet; charmant und wohl auch ironisch.

Während Achim den Wein genoss und die beiden Frauen sich unterhielten, hatte er Muße seinen Gedanken nachzuhängen.

Ursprünglich hatte er gar nichts gegen seine Schwiegermutter gehabt; er verspürte sogar so etwas wie Dankbarkeit gegenüber dieser Frau, weil sie Hanni geboren hatte. Aber dann hatte er mitbekommen, wie sie zu Hanni sagte: „Du hättest einen Besseren verdient, der ist doch nichts und zeigt auch nichts her.

Du hättest auch einen Arzt oder Ingenieur haben können.“

Achim war nicht nur sauer sondern auch verletzt. Ihre Aussage, dass er nichts herzeige bezog sich auf seine geringe Körpergröße.

8

Aber Hanni ließ sich nicht beirren, was Achim ihr hoch anrechnete.

Als die Mutter begriff, dass sie gegen die Liaison nichts ausrichten konnte, kam sie auf das Thema Kinder zu sprechen.

Hanni und Achim waren sich einig, dass sie keine Kinder wollten. Achim wäre sogar so weit gegangen, dass er nicht geheiratet hätte, falls Hanni Kinderwünsche gehegt hätte.

Die ständigen Sticheleien der Schwiegermutter „Wann macht ihr mich endlich zur Großmutter? Jetzt wird es aber langsam Zeit, wollt ihr nicht oder liegt es an Achim?“ hatte Achim auch nie vergessen oder gar verziehen.

Er wurde in seinen Gedanken unterbrochen, als La belle-mère sagte: „Am kommenden Sonntag ist ja nun dein Geburtstag. Was macht ihr denn so?“ „Achim wird für mich etwas kochen, es soll eine Überraschung werden, aber du bist herzlich eingeladen.“

Hanni hatte sich also schon entschieden und Achim schickte sich in das Unvermeidliche.

„Wollt ihr denn nicht ausgehen?“ forschte La belle-mère.

„Hätte Hanni gesagt, dass wir ausgehen, dann hätte La belle-mère sicher gefragt, ob wir nicht lieber zu Hause feiern wollen“ dachte Achim. Statt diesen Gedanken zu äußern sagte er: „Weißt du, aushäusige Verpflegung zum Zwecke des privaten Vergnügens ist in der jetzigen Zeit nicht opportun zumal wenn man nicht Rentner oder angestellt ist und somit eigenverantwortlich für sein Einkommen aufkommen muss.“

Nach diesem Satz zog er in Gedanken den Kopf ein, denn La belle- mère konnte fuchsteufelswild werden, wenn sie nicht verstand was Achim meinte. Aber sie knurrte nur etwas Unverständliches. Ute brachte das Essen. Hier bevorzugte man große Portionen, selbst Hannis halbe Portion war so üppig, dass sie meinte sie nicht bewäl-tigen zu können.

Achim hatte auch noch eine weitere, subtile Idee umgesetzt, um seine Schwiegermutter zu nerven. Sie hatten den Smart nicht ange-schafft, weil er so günstig war oder weil sie das Auto als besonders schön empfanden, sondern weil sie niemanden mitnehmen konnten; der Smart ist ein absoluter Zweiplätzer.

Aber La belle-mère hätte mit ihrem Umfang sowieso nicht in dem Smart Platz gehabt. Inzwischen hatten sie aber auch die Vorteile des Autos schätzen gelernt, wie niedriger Benzinverbrauch und dass man

9

immer einen Parkplatz fand, denn das war im Sommer auf Usedom sehr oft nicht einfach.

Achim überlegte mir, was er zu Hannis Geburtstag kochen sollte. Es müsste leicht, elegant und quantitativ reduziert sein, dann würde La belle-mère wieder was zu meckern haben. In seinen Augen war La belle-mère ein kulinarischer Tiefflieger; es kam nur auf die Quan-tität an und die musste so sein, wie sie es schon immer gewohnt war.

Achim würde morgen nach Ahlbeck fahren, um alle Zutaten zu besorgen, die er zum Kochen brauchte. Ein kleines Geschenk für Hanni musste auch noch her.

Sie hatten ihr Essen beendet. Achim wartete, dass Ute auftaucht, damit er Espresso bestellen konnte. La belle-mère knurrte, dass es hier auf der Insel üblich sei, nachmittags Kaffee zu trinken und dass dann auch ein anständiges Stück Kuchen auf den Tisch gehört.

„Jedem das Seine“ kommentierte Achim philosophisch und schlürfte genüsslich seinen Espresso.

Achim beglich die Rechnung; Hanni und er verabschiedeten sich von La belle-mère und machten sich auf den Heimweg.

„Es tut mir leid, wegen dem Geburtstag“ sagte Hanni „aber du weißt wie sie tickt; ohne die Einladung wäre sie stinksauer und hätte uns bis in alle Ewigkeit genervt.“ „Ich weiß, du hast ja Recht.“

Hanni wollte jetzt wissen was Achim zu ihrem Geburtstag kochen würde. Er ließ sich nichts entlocken, aus zwei Gründen. Erstens wäre es dann keine Überraschung mehr und zweitens wusste er selber noch nicht was er machen würde; bis auf Caviar zur Vorspeise.

In Deutschland tobte der Wahlkampf anlässlich der Bundestags-wahl. Am Straßenrand waren Plakate der Union aufgestellt. Abge-bildet waren Stoiber und Merkel. Stoiber grinste und vom unteren Teil des Plakates blickte Merkel unterwürfig auf zu Stoiber. „Ein grottenschlechtes Plakat“ dachte Achim „aber unfreiwillig ehrlich. Der überlegene Mann und die unterwürfige Frau. Mit der Union zurück ins letzte Jahrhundert?“

Als er in Ahlbeck eintraf sah er ein Plakat, auf dem angekündigt wurde, dass Erwin Teufel, Ministerpräsident von Baden-Württem-berg, nach Ahlbeck anlässlich einer Wahlveranstaltung kommen würde. Achim überlegte, ob er den Anlass besuchen sollte, um Krawall zu machen; aber das würde auch nichts nützen und anstrengend wäre es auch.