Tagebuch eines sentimentalen Killers

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Aus der Reihe: Red Eye
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Tagebuch eines sentimentalen Killers
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Luis Sepúlveda

Tagebuch eines sentimentalen Killers

Roman

Aus dem chilenischen Spanisch von Willi Zurbrüggen

Kampa

Ein schlechter Tag

Der Tag fing schlecht an. Ich bin zwar nicht abergläubisch, aber an solchen Tagen, glaube ich, sollte man besser keinen Auftrag annehmen; selbst wenn die Prämie siebenstellig und steuerfrei ist. Der Tag fing schlecht an, und spät. Als ich in Madrid landete, war es achtzehn Uhr dreißig und höllisch heiß. Der Taxifahrer, der mich ins Palace brachte, ging mir mit seinem aufdringlichen Geschwätz über den Europacup auf die Nerven. Ich hätte nicht übel Lust gehabt, ihm den Lauf einer Fünfundvierziger in den Nacken zu drücken, damit er endlich das Maul hielt; aber ich hatte kein Schießeisen dabei, und außerdem legt man sich als Profi nicht mit Kretins an, auch wenn sie als Taxifahrer daherkommen.

An der Hotelrezeption gab man mir die Schlüssel sowie einen Umschlag, den ich im Fahrstuhl öffnete. Darin lag das Foto, auf dem sechs Typen zu sehen waren, jung, gut gekleidet, alle zwischen dreißig und vierzig Jahre alt, keiner unterschied sich groß vom andern. Mich interessierte jedoch nur der, dessen Kopf mit einem roten Filzschreiber eingekreist war. Das war mein Mann, und er gefiel mir gar nicht. Die Bildunterschrift lautete: Third Encounter of Non Governmental Organizations, NGO. Sie gefiel mir ebenso wenig. Ich habe Philanthropen noch nie ausstehen können, und der Typ stank förmlich nach modernem Menschenfreund. Ein Minimum an Berufsethos verbietet die Frage nach dem, was die Typen, die man liquidieren soll, sich zuschulden kommen lassen haben; doch als ich das Foto betrachtete, verspürte ich Neugier, und das ärgerte mich. Sonst war nichts in dem Umschlag, und so sollte es sein. Ich musste mich mit diesem Gesicht vertraut machen, jede Einzelheit herausfinden, die seine Stärken oder Schwächen verriet. Das Gesicht eines Menschen lügt nicht; es ist die einzige Landkarte, auf der alle Regionen verzeichnet sind, die wir einmal bewohnt haben.

Ich gab dem Hotelboy, der meinen Koffer aufs Zimmer getragen hatte, gerade ein Trinkgeld, als das Telefon klingelte. Ich erkannte die Stimme des Mannes, der mir die Aufträge gab. Ich hatte ihn noch nie zu sehen bekommen und wollte es auch nicht, denn so ist es unter Profis üblich; aber an seiner Stimme würde ich ihn in jeder Menschenmenge erkennen.

»Hast du eine gute Reise gehabt? Hat man dir den Umschlag übergeben? Tut mir leid, dir den Urlaub verderben zu müssen«, sagte er anstelle einer Begrüßung.

»Ja auf die beiden Fragen, und das Letzte glaube ich dir nicht.«

»Du reist morgen ab«, sagte er. »Ruh dich aus.«

»In Ordnung«, sagte ich und legte auf.

Ich warf mich aufs Bett und schaute auf die Uhr. Noch fünf Stunden bis zur Landung der Maschine, mit der meine Kleine – was für eine bescheuerte Bezeichnung – aus Mexiko kam, und ich stellte sie mir von der veracruzanischen Sonne knusprig gebräunt vor. Ich hatte ihr eine Woche Madrid versprochen, bevor wir nach Paris zurückkehrten. Eine Woche in Buchläden herumstöbern und Museen besuchen; so was liebte sie, und ich nahm es mit unterdrücktem Gähnen hin, denn diese Kleine – wirklich bescheuert, die Bezeichnung – hatte mir das Hirn weich gekocht. Ein Profi lebt allein, und für die Bedürfnisse des Körpers liefert die Welt draußen eine reiche Auswahl an Nutten. Ich habe dieses frauenverachtende Gebot immer konsequent eingehalten.

Immer. Bis ich sie kennenlernte.

Es war in einem Café am Boulevard Saint-Michel. Alle Tische waren besetzt, und sie fragte, ob sie sich auf einen Kaffee an meinen setzen könne. Sie hatte einen Packen Bücher dabei, den sie auf die Erde legte, bestellte einen Espresso und ein Glas Wasser, nahm eines der Bücher und begann, mit einem Marker Sätze anzustreichen. Ich vertiefte mich wieder in meine Seite mit den Pferdewetten.

Plötzlich unterbrach sie mich und bat um Feuer. Ich hielt ihr die Hand mit dem Feuerzeug hin, und sie umfasste sie mit beiden Händen. Sie wollte es wissen, die Kleine. Es gibt Frauen, die können ihrer Lust auf Bumsen Ausdruck verleihen, ohne ein Wort zu sagen.

»Wie alt bist du?«, fragte ich.

»Vierundzwanzig«, antwortete sie mit ihrem kleinen roten Mund.

»Ich bin zweiundvierzig«, gestand ich mit einem Blick in ihre Mandelaugen.

»Ein junger Mann«, log sie mit dem ganzen Fieber ihrer Bewegungen beim Rauchen, während sie das Haar zurückstrich, das die Farbe reifer Kastanien hatte und so glatt und geschmeidig war wie Wasser, das über moosbedeckte Steine plätschert.

»Willst du vor dem Bumsen essen oder hinterher?«, fragte ich und winkte dem Kellner, um zu zahlen.

»Iss mich und bums mich in der Reihenfolge, die dir lieb ist«, antwortete sie und hielt sich an ihren Büchern fest.

Wir verließen das Café und gingen in das erste Hotel, das wir fanden. Ich kann mich nicht erinnern, jemals mit einem so unerfahrenen Mädchen zusammen gewesen zu sein; sie wusste nichts, aber sie war scharf darauf, zu lernen. Und sie lernte. Sie lernte so gut, dass ich die elementare Regel des Alleinseins verletzte und ein Killer mit fester Freundin wurde.

Sie wollte Übersetzerin werden, und wie alle Intellektuellen war sie naiv genug, jedes Märchen zu glauben, das man ihr auftischte, sodass ich ihr ohne Mühe einreden konnte, ich sei Repräsentant einer Fluggesellschaft und müsse daher viel reisen.

Drei Jahre mit ihr zusammen. Sie entwickelte sich rasch zur Frau, ihre Hüften erblühten vom puren Gebrauch, ihr Blick wurde durchtrieben, sie lernte, dass Lust im Fordern besteht, fand Gefallen an der Seide, die ihren Körper einhüllte, an teuren Parfüms, an Restaurants, in denen die Kellner so vornehm wie Botschafter waren, und an Designer-Schmuck. Sie tat einen guten Schritt vom Mädchen zur Frau.

Und ich verletzte in der Zwischenzeit verschiedene Sicherheitsregeln; vor allem jene, die verlangt, allein zu leben, anonym zu bleiben, unerkannt, nur ein Schatten zu sein. So wurde aus dem Apartment, in dem ich die Aufträge entgegennahm, mein Büro, in das ich jeden Morgen ging, während wir für die Abende und Nächte eine gemeinsame Wohnung genommen hatten, die schon bald den Geruch von bürgerlichem Heim annahm, da uns dort ihre Freunde besuchten und Feste gefeiert wurden. Im Lauf dieser drei Jahre erledigte ich mehrere Aufträge in Asien, den USA und Lateinamerika, und ich glaube, ich verbesserte mich als Profi sogar, weil ich schnell zu Werke ging, um bald wieder bei ihr sein zu können. Wie gesagt: Sie hatte mir das Hirn weich gekocht.

Gegen neun beschloss ich, außerhalb des Hotels essen zu gehen und mir einen Gin zu genehmigen. Ich wusste, es würde ihr nicht gefallen, dass ich sie in Madrid allein ließ. Ich hatte ihr einen Monat Urlaub in Mexiko bezahlt, damit sie außer Reichweite war, während ich einen Job in Moskau erledigte. Ein paar Russen hatten sich mit jemandem vom Cali-Kartell angelegt, und dieser Jemand beauftragte mich, ihnen klarzumachen, dass sie nur ein paar blutige Anfänger waren. Nein, es würde ihr gar nicht behagen, dass ich sie in Madrid allein ließ. Nun, nach der zweiten oder dritten Nummer würde ich es ihr sagen. Nachdem ich mir in einem galizischen Restaurant den Bauch mit Krabben und Muscheln vollgeschlagen hatte, unternahm ich einen langen Spaziergang um den Prado herum. Ich sollte eigentlich nicht an diesen Typ auf dem Foto denken, aber er ging mir nicht aus dem Kopf. Ich kannte weder seinen Namen noch seine Staatsangehörigkeit, aber etwas sagte mir, dass er Lateinamerikaner war und dass unsere Wege sich wohl oder übel bald kreuzen würden.

»Der Typ ist ein Job wie jeder andere, mehr nicht. Ein Job, der dir einen Scheck über eine siebenstellige Zahl bringt, steuerfrei, sobald der Typ nicht mehr schnauft; also hör auf, dir das Gehirn zu zerbrechen«, ermahnte ich mich, als ich eine Bar betrat.

Ich bestellte einen Gin und beschloss, meine Gedanken zu klären, indem ich auf den Fernseher starrte, der an der Decke hing. Auf dem Bildschirm nahm eine dämliche Dicke Telefonate von dämlichen Anrufern entgegen und ließ dann eine Lostrommel kreisen. Die Preise waren nicht ganz so dämlich wie die Teilnehmer der Auslosung. In einer Programmpause füllte sich der Bildschirm mit Mädchen in Miniröcken, die mich an meine französische Braut erinnerten. Keine zwei Stunden mehr, bis die Maschine mit ihr landete. In etwa zweieinhalb Stunden hätte ich sie dann bei mir im Hotel. Abholen konnte ich sie nicht, da eine der Sicherheitsregeln besagt, internationale Flughäfen tunlichst zu meiden. Die Möglichkeit, dass uns jemand erkennt, ist zwar gleich eins zu einer Million, aber Murphys Gesetz schwebt wie ein Fluch über uns Profis.

Zwei Gläser lang hielt ich es vor dem Fernseher aus, dann zog ich ab. Die dicke Glücksfee hatte den Typ vom Foto nicht aus meinen Gedanken vertreiben können. Was zum Teufel war mit mir los? Ich hörte mich schon meinen Auftraggeber fragen, was der Mann angestellt hatte. »Ich will wissen, warum ich ihn umlegen soll.« Lächerlich. Der einzige Grund war ein Scheck über eine siebenstellige Zahl. Ich war mir sicher, ihn noch nie gesehen zu haben. Und selbst wenn, so änderte das nichts. Ich hatte einmal einen Mann liquidiert, den ich auf eine gewisse Art sogar schätzen gelernt hatte. Aber er hatte es nicht anders gewollt, und als er mich kommen sah, wusste er, dass es für ihn kein Entrinnen gab.

»Es ist so weit, stimmt’s?«, fragte er.

»So ist es. Du hast einen Fehler gemacht, und du weißt es.«

»Trinken wir ein letztes Glas miteinander«, schlug er vor.

»Wie du willst.«

Er schenkte zwei Whisky ein, wir stießen an, er trank und schloss die Augen. Er war ein anständiger Kerl, und ich sorgte dafür, dass ich ihn mit dem ersten Stück Blei von der Liste der Lebenden strich.

 

Was zum Teufel kümmerte mich der Typ von dem Foto? Er arbeitete offensichtlich für eine NGO, aber von dieser Seite kam der Auftrag nicht. Keine NGO verfügt über so viel Geld, dass sie die Dienste eines Profikillers in Anspruch nehmen kann; und ich glaube auch nicht, dass sie sich ihre Probleme auf diese Weise vom Hals schaffen.

Schlecht gelaunt machte ich mich auf den Rückweg ins Hotel. Die Nacht war immer noch heiß, und ich freute mich auf meine französische Braut. Wenigstens würde ihr die Hitze von Veracruz nicht fehlen. Sie liebte es, wenn ich ihr in den Hals biss, und ihr gebräunter Körper würde eine Einladung sein, von oben bis unten hineinzubeißen. »Na also«, sagte ich mir, »du denkst ja schon wieder wie ein ganz normaler Mann.«

An der Rezeption bat ich um meinen Zimmerschlüssel und stellte fest, dass ein weiterer Umschlag für mich angekommen war. Das gefiel mir nicht. Mein Kontaktmann schickte mir nie schriftliche Anweisungen. Im Zimmer nahm ich ein Bier aus der Minibar und öffnete den Umschlag. Es war ein Fax aus Mexiko von meiner französischen Braut.

»Warte nicht auf mich. Es tut mir leid, aber ich komme nicht. Ich habe einen Mann kennengelernt, der mich die Welt mit ganz anderen Augen sehen lässt. Ich liebe Dich, aber ich glaube, ich habe mich in ihn verliebt. Ich werde noch zwei Wochen in Mexiko bleiben, bevor ich nach Paris zurückkomme. Da besprechen wir dann alles. Ich möchte für immer bei ihm bleiben, aber Deinetwegen komme ich zurück, weil ich Dich liebe und wir über alles sprechen müssen. Ich küsse Dich.«

Regel Nummer eins: Lebe allein und hole dir, was der Körper verlangt, von einer Nutte. Ich ließ mir eine Tageszeitung aufs Zimmer bringen und suchte im Anzeigenteil unter der Rubrik Entspannung. Nach einer halben Stunde klopfte es an der Tür. Ich öffnete und ließ eine Mulattin herein, mit der die ganze Hitze der Karibik ins Zimmer wehte.

»Das macht dreißigtausend im Voraus, mein Süßer«, sagte sie, während sie einen Blick in die Minibar warf.

»Hier sind hunderttausend; aber nur, wenn du brav bist.«

»Ich bin immer brav, Papacito«, erwiderte sie, wobei sich ihr großer roter Mund in die Breite zog.

Und das war sie. Die angenehme Wirkung der Krabben und Muscheln in meinem Bauch verflog nach der dritten Runde, und während sie sich anzog, sagte sie: »Du bist so schweigsam gewesen, mein Süßer. Ich mag es, wenn man mir Schweinereien ins Ohr flüstert. Bist du immer so?«

»Nein. Aber heute habe ich einen schlechten Tag gehabt. Einen verdammt schlechten Tag. Einen richtig beschissenen Tag«, sagte ich, weil dies die Wahrheit war; die verdammte beschissene Wahrheit.

Als die Mulattin das Zimmer mit hunderttausend Peseten und dem heißen Wind der Karibik verlassen hatte, rief ich in der Bar an und bestellte mir eine Flasche Whisky.

Und so verbrachte ich die Nacht jenes Tages, der schon schlecht angefangen hatte, vor der ungeöffneten Flasche, trotz einer wahnsinnigen Lust, mich zu betrinken, und sprach mit dem Foto des Typen, den ich liquidieren sollte, denn Profi bleibt Profi, auch wenn man ihm die Frau ausgespannt hat.

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