Al Breedens Treuebruch

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Al Breedens Treuebruch
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Logan Kenison

AL BREEDENS

TREUEBRUCH

Westernroman.

Das Buch

Liebe Laura, ich schreibe dir aus Wellington! Wenn alles klappt, erreicht dich dieser Brief am 21sten. Wenn du das hier liest, bin ich in der Lage, dir jeden Traum zu erfüllen. Stell’ keine Fragen, mache dir keine Gedanken. Ich werde dir Antworten geben, aber nicht jetzt, nicht schriftlich.

Pack die Sachen zusammen und komm mit den Kindern nach Madison, New Mexico. Ich warte dort auf dich. Wir werden dann gemeinsam nach Wyoming weiterreisen. Sprich mit niemanden, komm einfach nach Madison. Ich erwarte dich dort. In Liebe, Al.

Laura Breeden stockte der Atem, als sie den Brief ihres Mannes las. Al war vor drei Monaten mit der Herde von Mr. Godfrey nach Abilene aufgebrochen. Nun hielt er den Verkaufserlös in der Hand. Laura faltete den Brief mit zitternden Fingern zusammen. Ihr Herz pochte wie verrückt.

Der Autor

Logan Kenison (vormals Joe Tyler) ist Autor von Western-, Abenteuer- und Spacegeschichten. Neben seinen Western, die er mit Leidenschaft verfasst, schreibt er seit 2018 die Reihe Spacewestern.

Inhalt

Impressum

Disclaimer I + II

Al Breedens Treuebruch (Roman)

Weitere Werke von Logan Kenison

Copyright © 06/2015 by Logan Kenison

Lektorat: Carola Lee-Altrichter

Abdruck auch auszugsweise

nur mit Genehmigung des Autors.

Das Cover wurde gestaltet nach Motiven der Episode "Gefährliche Freundschaft" (Orig.: "Showdown", USA, 1960) der Bonanza-Komplettbox. Im Handel auf DVD erhältlich. Mit freundlicher Genehmigung von www.fernsehjuwelen.de

Kontakt: Logan.Kenison@gmx.de

Disclaimer I

Der englische Vorname »Al« mag nicht beim Schreiben, jedoch beim Lesen einige Probleme verursachen, wenn er mit einem Suffix versehen wird. So mag das Auftauchen des Begriffs »Als« wohl ein ums andere Mal den Lesefluss hemmen. Daher habe ich mich entschieden, an diesen Stellen einen Apostrophen einzufügen, um das Namenwort Al besser kenntlich zu machen. Ich schreibe also »Al’s« ... wohlwissend, dass es im Deutschen ohne Apostroph geschrieben wird. Der Leser möge mir das verzeihen – oder jubeln, weil er so schneller und leichter durch den Text gleiten kann.

Auf dieselbe Art verfahre ich mit den Suffixen bei »Pa« und »Ma«.

Disclaimer II

Das vorliegende Werk ist ein Produkt der Fantasie. Jede Ähnlichkeit mit reellen Personen, Orten oder Geschehnissen ist nicht beabsichtigt und wäre reiner Zufall.

Logan Kenison

AL BREEDENS

TREUEBRUCH

Westernroman.

Laura Breeden schlug vier Eier ins Mehl, fügte etwas Milch und braunen Zucker hinzu und begann, einen Teig zu rühren. Auf der Wange hatte sie einen Mehlfleck, und die Schürze war mit Lebensmittelresten beschmutzt. Sie wollte für ihre Kinder einen Apfelkuchen backen.

Laura war fünfunddreißig, und Gott hatte sie und ihren Mann mit vier Kindern gesegnet – drei Töchtern und einem Sohn. In einer Stunde würden sie von der Schule kommen, und da wollte Laura mit dem Kuchen fertig sein.

Als sie Hufschlag hörte, blickte sie durchs Fenster auf den Hof hinaus. Sie wohnte in einem kleinen Häuschen, das ihr Mann Al vor der Hochzeit für seine künftige Familie gebaut hatte. Inzwischen hatten sie schon zwei Mal anbauen müssen, um Platz für die Kinder zu bekommen.

Laura atmete auf. Sie hatte schon befürchtet, dass Charles Godfrey, der Boss ihres Mannes, auf einen seiner seltsamen Besuche vorbeigeritten kam. Irgendwie konnte sich Laura des Verdachts nicht erwehren, dass Godfrey etwas von ihr wollte – und das, obwohl sie verheiratet war. Jedenfalls hatte sie immer ein mulmiges Gefühl in der Magengegend, wenn Godfrey auftauchte. Er sagte dann immer so seltsame Sachen.

Doch gottlob, der Reiter war Levander Houg, der Postreiter, der in einer kleinen Staubwolke in den Hof geritten kam.

Nacheinander ritt Levander alle außerhalb Yorbas gelegenen Häuser, Anwesen und Gehöfte an und brachte die Post vorbei. Er war ein netter junger Mann, der ein Auge auf Marvel geworfen hatte – Marvel, die älteste Tochter der Breedens.

Jedes Mal, wenn Laura Levander sah, verengte sich ihre Brust. Der Junge sah verteufelt gut aus, und es bestand die Gefahr, dass er Marvel eines Tages herumkriegen würde. Und was das bedeutete, daran mochte Laura lieber nicht denken.

Glücklicherweise hatte Marvel noch Respekt vor ihrem Vater. Sie würde ihn nicht enttäuschen wollen, und das war noch eine Kraft – die einzige, wie Laura befürchtete –, die sie vor Unbesonnenheiten zurückhielt.

Levander trug ein breites Grinsen zur Schau, das seine makellosen weißen Zähne zur Geltung brachte. Er sprang aus dem Sattel und ließ das Pferd am Tränktrog saufen, während er sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn wischte.

»Hello, Mrs Breeden«, rief er, als Laura an der Tür auftauchte. »Habe einen Brief für Sie – von Ihrem Mann.«

Laura verzog unbehaglich den Mund. Levander war immer genauestens darüber informiert, wer an wen schrieb. Fehlte nur, dass er den Inhalt dieser Briefe auch noch kannte.

Der Junge trat an die Satteltaschen und begann darin zu wühlen. Sekunden später hielt er einen abgegriffenen Umschlag hoch. Man sah dem Brief an, dass er durch viele Hände gegangen war, bevor er jetzt seinen Bestimmungsort erreicht hatte.

Laura trat ihm entgegen und nahm den Brief.

»Danke«, sagte sie. »Möchtest du ein Glas Wasser, Levander?«

»Haben Sie nicht lieber ein kühles Glas Bier für mich?«

»Leider nein. Bier gibt’s im Saloon in Yorba.«

»Na gut, Wasser wäre auch gut. Verdamme Hitze heute.«

Laura hatte das Gefühl, dass Levander Zeit schinden wollte. Vielleicht wollte er hier verweilen, bis Marvel von der Schule nach Hause kam. Aber sie würde alles dransetzen, ihn bis dahin los zu sein.

Während sie im Haus ein Glas mit Quellwasser einschenkte, fühlte sie mit den Fingerspitzen den Umriss des Briefes nach. Ein kurzer Blick auf den Umschlag machte deutlich, dass er in Wellington aufgegeben worden war, einer Stadt, etwa vierzig Meilen südlich von Abilene.

Al Breeden war Vormann auf der Cockoo Ranch und mit der Herde seines Arbeitgebers auf dem Weg nach Abilene, Kansas. Für den 500 Meilen langen Chisolm Trail brauchten die Treiber etwa hundert Tage – jeden Tag schafften sie rund fünf Meilen. Mehr konnte der Herde nicht zugemutet werden, weil sie sonst völlig erschöpft und nur aus Haut und Knochen bestehend beim Verladebahnhof eintreffen würde. Der Rancher würde viel Geld verlieren, wenn die Rinder kein akzeptables Gewicht auf die Waage brachten.

Manche Trailbosse ließen ihre Herden vor der Zielstadt noch ein paar Tage oder Wochen grasen, sodass sie verlorenes Gewicht zurückgewinnen konnten, doch die Weiden um Abilene waren zumeist in Besitz der dortigen Rancher oder der Viehzüchtervereinigung, und das Grasen musste teuer bezahlt werden. Hinzu kam, dass diese Weiden oft schon von anderen Herden abgegrast waren.

Vielleicht hatte Al in Wellington eine größere Rast einlegen lassen, damit die Herde sich von den Strapazen der Reise erholen konnte, überlegte Laura. Und da hatte er endlich auch Zeit gefunden, ihr einen Brief zu schreiben.

Von Wellington waren es noch mindestens sechzehn Treibtage bis nach Abilene. Und die Kutsche, die in entgegengesetzter Richtung die Post beförderte, benötigte etwa genauso lange. Jetzt also, während Laura den Brief ihres Mannes in der Hand hielt, war Al vielleicht gerade in Wellington und wickelte das Geschäft mit den Rindern ab.

Sie eilte hinaus.

Levander hatte sich inzwischen auf den Rand des Tränktrogs gesetzt und die obersten Knöpfe seines Hemds aufgeknöpft. Mit seinem Hut fächelte er sich Kühlung zu. Dabei schweifte sein Blick in die Ferne, denn das Land war schön und fruchtbar, eine Augenweide.

Laura reichte ihm das Wasserglas und sah zu, wie er trank. Er machte keine Anstalten, allzu bald weiterzureiten.

»Wann kommt denn Marvel aus der Schule, Mrs Breeden?«, fragte er keck. Er kam gar nicht auf den Gedanken, dass seiner Gesprächspartnerin etwas gegen den Strich gehen könnte.

»Noch lange nicht«, antwortete Laura. »Du solltest jetzt die restliche Post verteilen, Levander.«

»Ach, ich habe nur noch die Hendersons auf meiner Route. Danach bin ich für heute fertig.«

»Schön für dich. Aber jetzt musst du weiter. Ich habe noch Arbeit im Haus.«

»Wissen Sie was, ich komme nach den Hendersons nochmal vorbei. Dann wird Marvel wohl schon zurück sein, oder?«

»Vielleicht. Aber mach’ dir besser nicht zu viele Hoffnungen. Sie muss noch an dem Kleid für Vera McGuinty einiges ändern, und wir haben Vera versprochen, dass sie es noch rechtzeitig zum Cattle Dance Ball bekommt.«

»Ach, ich kann ihr beim Nähen zusehen. Das macht mir gar nichts. Hauptsache, Marvel und ich, wir sind zusammen.«

»Du magst sie wohl sehr?«

»Hm, kann man so sagen. Wissen Sie, das ist komisch. Noch bei keinem Mädchen hatte ich solche Gefühle. Ich glaube – ja, ich glaube, sie hat mir ein bisschen den Kopf verdreht. Ist das schlimm, Mrs Breeden? Ich meine, Sie haben doch nichts dagegen, dass ich –«

 

Laura wandte sich wortlos ab und stürzte davon.

Levander blickte ihr erschrocken nach. Hatte er etwas Falsches gesagt?

Laura war zu aufgebracht, um dem Jungen zu antworten. Sie fürchtete, etwas Unpassendes zu sagen. Da verzog sie sich lieber in die Küche und arbeitete weiter. Der Kuchen sollte schließlich fertig sein, wenn die Kinder nach Hause kamen.

Oh, wenn Al doch nur hier wäre! Vor ihm hätte nicht nur Marvel, sondern auch Levander Respekt, und er wäre gewiss niemals der Schnapsidee verfallen, auf dem Rückweg nochmals vorbeizuschauen.

Als sie an ihren Mann dachte, erinnerte sie sich wieder an den Brief, den sie in die Schürzentasche gesteckt hatte. Sie zog ihn heraus und glättete ihn auf der Tischplatte. Dann schnitt sie mit dem Messer eine Randseite auf und entnahm das beschriebene Papier.

Sie erkannte seine Schrift und erinnerte sich an die Liebesbriefe, die sie vor zwanzig Jahren von ihm erhalten hatte. Jeder Brief hatte ihr Herz damals schneller schlagen lassen, und sie bewahrte sie noch immer in der kleinen Holzkiste im Schlafzimmer auf.

Doch dann glitt ihr Blick über die Zeilen, und mit fortschreitendem Lesen hielt sie den Atem an.

Liebe Laura!

Ich schreibe dir im Schein einer Kerze in meinem Zelt. Draußen haben sich die Rinder schon zur Ruhe begeben. Ein paar Jungs ziehen ihre Runden um die Herde und singen ihre Lieder, die du so gern magst.

Wir lagern kurz vor Wellington, und morgen brechen wir wieder auf. Wenn alles klappt, erreicht dich dieser Brief am 21. – falls nicht, spielt es keine Rolle.

Du und ich – wir hatten vor einigen Wochen Späßchen darüber gemacht, wie es wäre, wenn wir einen Haufen Geld besäßen, und was wir dann tun würden. Wir hatten beide Träume, erinnerst du dich? Ich weiß noch genau, wie du sagtest, du wollest ein Leben in einem anderen Landstrich führen; irgendwo, wo nicht so viel Staub unter den Türritzen hereinweht und die Leute nicht so viel Dreck ins Haus tragen. Du sagtest mir, dass du am liebsten in Wyoming leben und eine eigene kleine Ranch betreiben wolltest.

Wenn du das hier liest, bin ich in der Lage, dir diesen Traum zu erfüllen!

Bitte stell’ keine Fragen und mache dir keine Gedanken – stell’ alles hinten an. Ich werde dir Antworten geben, aber nicht jetzt, und nicht schriftlich.

Tue eines: Pack die Sachen zusammen und komm mit den Kindern nach Madison, New Mexico. Ich warte dort auf dich. Wir werden dann gemeinsam nach Wyoming weiterreisen. Niemand kann uns dann noch trennen, wenn wir uns in New Mexico wiedersehen. Und niemand kann etwas gegen dich unternehmen. Was auch immer geschieht, du hast von nichts gewusst, hast nie etwas Unrechtes getan.

Sprich mit niemandem!

Komm einfach nach Madison.

Ich erwarte dich dort.

Liebe dich,

Al

Während sie die Worte las, legte sich eine eiskalte Klaue um Lauras Kehle und drückte immer mehr zu. Schließlich riss sie die Augen gewaltsam von den steilen schwarzen Lettern und saugte heftig Luft ein. In ihren Ohren rauschte das Blut, ihr Herz pochte wie verrückt.

Sie verstand, was Al’s Worte zu bedeuten hatten.

Wie mit dröhnendem Trompetenschall leitete sich vor ihrem geistigen Auge jene Stunde ein, als sie und Al im Frühjahr nach dem Abendessen auf der Veranda gesessen und den Sonnenuntergang beobachtet hatten. Seine Frage hatte so belanglos geklungen, als wolle er, wie so oft, sich einfach mit ihr unterhalten.

Was würdest zu tun, wenn wir viel Geld hätten?

Laura hatte zu träumen begonnen und von Wyoming erzählt, wo das Land saftig und die Gräser immer leuchtend grün sind.

Sie hatte natürlich nicht geglaubt, dass dieser Traum je in greifbare Nähe rücken würde.

Al jedoch hatte anscheinend einen Weg gefunden.

Er glaubte, an genügend Geld zu kommen, um ihr diesen Traum erfüllen zu können.

Und als Laura sich bewusst machte, was dies bedeutete, lief ihr ein eisiger Schauer über den Rücken. Plötzlich war es nicht mehr heiß und stickig in der Küche.

Sie fröstelte.

*

Sie hatte sich die Haube aufgesetzt und ein Tuch über die Schulter geworfen. Die Schürze lag zusammengeknüllt in einer Küchenecke, der Brief steckte in der Tasche ihres dunkelblauen Kleides. Über dem halbfertigen, jedoch achtlos zurückgelassenen Kuchenteig kreisten bereits die ersten Fliegen.

Draußen scheuchte sie Levander Houg auf, der faul in der Sonne gesessen hatte, und bat ihn, den Pritschenwagen anzuspannen. Auf seine Frage, gestellt mit einem reichlich verwirrten Gesichtsausdruck, antwortete sie knapp, dass sie dringend in die Stadt müsse, und trieb ihn mit Worten vorwärts.

Eine Viertelstunde später befand sich Laura auf dem Weg nach Yorba. Immer wieder ließ sie die Peitsche über dem Rücken der zwei Pferde knallen, die ihr Bestes gaben, den Ort rasch zu erreichen.

Warum rase ich so?, fragte sie sich. Ein paar Minuten spielen doch wahrlich keine Rolle mehr.

Aber es gelang ihr nicht, den Drang, der sie befallen hatte, zu zügeln. Sie musste so schnell wie möglich in die Stadt. Eine innere Unruhe ließ ihr keine Wahl.

Die Schule war gerade aus, als Laura die Main Street entlangfuhr. Sie fing ihre Kinder ab und lud sie auf den Pritschenwagen. Dann fuhr sie zum Sheriff’s Office und bestimmte, dass die Kinder draußen zu warten hätten. Nur widerwillig gehorchten sie, doch dann sprang Torvin vom Bock und lief zum Store, der im Schaufenster leckere farbige Zuckerstangen ausgestellt hatte, und die Mädchen folgten ihm.

Laura betrat das Office, und ihr Blick fiel auf den Mann mit dem Stern, der am Schreibtisch saß und Schreibarbeit erledigte. Er schrieb das letzte Wort zu Ende, sah auf und sagte erstaunt:

»Hello, Laura. Was ist mit dir los? Du siehst aus, als hättest du den Teufel gesehen.«

»Hello, Hunter«, begrüßte sie ihn atemlos. Sie wusste nicht, was sie sagen und wie sie beginnen sollte.

Hunter Lowell war drei Jahre älter als Laura, ein ansehnlicher Junggeselle mit etwas schütter gewordenem braunem Haar und zurückgewichenem Haaransatz, der im Haus von Dosia Matthieusen lebte, einer 72-jährigen Witwe, die ihm die Wäsche machte und ihn bekochte. Lowell war schon zum zweiten Mal von den Wählern im Sheriffsamt bestätigt worden und war dafür bekannt, seinen Job gut zu machen.

Laura hatte immer das Gefühl, dass er zu ihr besonders nett war. Doch das half diesmal nichts. Der Grund für ihr Erscheinen war alles andere als gut.

Sie schluckte trocken und sagte:

»Ich muss mit dir reden, Hunter. Es fällt mir sehr schwer. Es geht um Al.«

Lowell sprang auf und deutete auf den Besucherstuhl.

»Setz dich erst mal. Willst du etwas zu trinken? Ich habe noch Kaffee in der Kanne. Oder kann ich dir Wasser anbieten?«

»Danke, nein. Ich muss es jetzt jemandem sagen, oder ich platze.«

»Schieß los.«

Lowell setzte sich wieder auf seinen Stuhl und lauschte.

»Vor ein paar Wochen«, begann Laura, »es ist vielleicht ein Vierteljahr her, da saßen Al und ich auf der Veranda und stellten uns vor, wie unser Leben aussehen würde, wenn wir viel Geld besäßen. Wir träumten eine Weile, dann betonte er die vertrauensvolle Stellung, die er bei Charles Godfrey auf der Ranch innehatte. Mr Godfrey vertraute ihm völlig. Er sandte Al mit der Herde nach Abilene und erwartet seine Rückkehr mit dem Verkaufserlös. Warum ist Mr Godfrey so sicher, dass Al mit zwanzig- oder dreißigtausend Dollar zurückkommt? Weil wir – seine Familie, seine Frau und seine Kinder – in Yorba leben! Al würde uns niemals zurücklassen. Dazu liebt er uns zu sehr. Ja: Ich und die Kinder sind die Garanten dafür, dass Al mit dem Geld nach Yorba zurückkommt. Und selbst wenn Mr Godfrey das niemals offen aussprechen würde, so denkt er dies doch in seinem Hinterkopf. Verstehst du, Hunter?«

Lowell nickte. »Und weiter?«

»Jetzt habe ich diesen Brief bekommen«, sagte Laura und legte das Papier auf den Tisch. »Lies’ ihn. Dann wirst du alles verstehen. Ich glaube, Al hat die Absicht, das Geld zu stehlen und sich damit nach New Mexico abzusetzen.«

Lowell blickte Laura ungläubig an.

»Das ist nicht dein Ernst.«

»Lies’ den Brief!«, herrschte sie ihn heftiger als gewollt an. Sie konnte jetzt einfach nicht mehr ruhig bleiben. Al war im Begriff, eine Dummheit zu begehen, und sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie schob Lowell das Papier hin und merkte, dass ihre Finger zitterten.

Lowell begann zu lesen. Als er aufblickte, waren seine Lippen fest aufeinander gepresst. Schließlich öffneten sie sich, und er fragte:

»Warum kommst du damit zu mir?«

»Weil es für mich außer Frage steht. Das ist völlig inakzeptabel. Ich werde nicht nach Madison flüchten. Wenn Al einen Diebstahl begehen will, dann muss er das allein tun. Wir werden hier bleiben, die Kinder und ich. Das verspreche ich dir, Hunter – dir und der ganzen Stadt und auch Mr Godfrey und der Cockoo Ranch mit all ihren Angestellten.«

»Du möchtest dich nicht durch ein Unrecht bereichern«, sagte Lowell. »Das ehrt dich. Du bist eine integere Frau, Laura. Ich glaube, dass es schwer für dich werden wird – sehr schwer. Doch vergiss nie, dass du jederzeit erhobenen Hauptes durch die Stadt gehen kannst, denn du hast nichts Unrechtes getan. Im Gegenteil – du hast das Verbrechen sofort angezeigt, als du davon Kenntnis erlangt hast.«

»O mein Gott! Kannst du denn nichts tun, Hunter? Kannst du nicht noch irgendetwas unternehmen, um den Diebstahl zu verhindern? Falls ja, dann bitte ich dich: Tue es! Sende ein Telegramm nach Abilene oder unternimm’ sonst etwas, aber bitte – ich flehe dich an! – verhindere, dass Al zum Verbrecher wird!«

*

In gerade jenem Augenblick stand der Vormann Al Breeden vor der Tür des Büros der Viehzüchtervereinigung in Abilene und dachte angestrengt nach. Die Rinder waren in die Koppeln getrieben, gewogen und gezählt worden, und das Ergebnis stand nun fest. Es war ein gutes Ergebnis. Jetzt galt es, die Bezahlung für die mühevolle Arbeit in Empfang zu nehmen.

Mehr als 3500 Tiere hatte Breeden mit seiner Mannschaft über fünfhundert Meilen weit getrieben. Die Jungs hatten bereits den Trail Saloon in Besitz genommen und erste Bierrunden wurden ausgegeben. Noch hatten sie ihren Lohn nicht empfangen, doch wenn Al Breeden mit dem Geld um die Ecke kam, würden sie alles bezahlen können.unHun

Al spähte durch die schmierige Glasscheibe ins Office. Drinnen waren mehrere Männer bei der Arbeit. Einer machte fein säuberliche Einträge in eine Kladde. Ein anderer stand vor dem geöffneten Safe und zählte Geldscheine. Ein dritter – der kräftigste von ihnen – stand mit verschränkten Armen daneben. Er trug einen Colt im Schulterholster, und es war klar, dass dieser Mann für die Sicherheit zuständig war.

Der vierte Mann, John Murchison, entdeckte Al, kam zur Tür und öffnete sie.

»Was stehen Sie da draußen herum, Breeden? Kommen Sie rein! Holden zählt gerade das Geld, das wir Ihnen schulden. Diesmal haben Sie das große Los gezogen. Die Tiere sind sehr gut im Futter, und große Verluste hatten sie ja nicht zu beklagen. Ja, Ihre Jungs haben mir erzählt, dass der Trail so gut verlaufen ist wie noch nie.«

Al empfand über das Lob des Rinderagenten keine Freude. Dennoch gab er sich einen Ruck und betrat den Raum. Noch hatte er kein Verbrechen begangen. Das Geld in Empfang zu nehmen gehörte zu seinen regulären Aufgaben. Niemand konnte ihm etwas vorwerfen, wenn er es einfach nur in Empfang nahm.

Die Idee zur Veruntreuung war nicht im Frühjahr geboren, als er mit Laura auf der Veranda gesessen hatte. Damals war der ganze Plan schon fix und fertig in seinem Kopf gewesen.

Er hatte nur Lauras Einstellung dazu herausfinden wollen.

Er hatte gefragt, ob sie sich vorstellen könne, mit viel Geld etwas anzufangen. Ihre Antwort hatte ihn gefreut. Sie hatte Träume, und das war gut. Diese Träume würden ihm helfen, sie nach Madison zu locken.

Es war das A und O, dass Laura mit den Kindern nach Madison kam.

Der Plan war beim Viehtrieb letzten Jahres in ihm gereift. Auf der zwei Wochen langen Rückreise hatte er sich gefragt, warum der Rancher ihm so viel Geld – damals waren es 25.000 Dollar gewesen – anvertraute, und was ihn nach Yorba zurückzog.

Die Antwort: Laura und die Kinder!

 

Natürlich setzte Charles Godfrey Vertrauen in seinen Vormann, doch Al wusste nur zu genau, dass seine Familie mit ein Grund für dieses Vertrauen war. Es war bekannt, dass er Laura und seine Kinder liebte. Er würde immer wieder zurückkehren, so lange diese in Yorba waren.

Und da war ihm der Gedanke gekommen, dass er sie von dort wegholen musste – und zwar, bevor jemand etwas von seinem Verbrechen erfuhr.

So war er auf die Idee gekommen, ihr einen Brief zu schreiben.

Der kritischste Punkt war die zeitliche Planung. Laura sollte nicht zu früh davon erfahren, aber auch nicht so spät, dass ihr die Abreise verlegt werden würde.

Er glaubte, es perfekt gemacht zu haben.

Laura konnte nun in Ruhe ein paar Sachen zusammenpacken, mit den Kindern nach Retreat fahren und dort in den Zug steigen, der sie nach Norden brachte. Sobald sie Yorba verlassen hatten, waren sie in Sicherheit.

So dachte Al Breeden, und er lächelte säuerlich, als John Murchison ihm den Kaufvertrag zur Unterschrift vorlegte. Al überflog das Geschriebene, dann nahm er die Feder zur Hand.

»Damit ist die Sache wasserdicht«, sagte Murchison und blies auf die noch nasse Tinte, um sie zu trocken. »Holden, haben Sie die 35.000 Dollar beisammen?«

»Yes, Sir.«

»Dann her damit. Mr Breeden wartet.«

»Sofort, Sir.«

Al ließ die Prozedur wie in einem Traum über sich ergehen. Holden packte das Geld auf den Tresen und zählte es Al vor.

Tatsächlich waren es 35.000 Dollar – ein Vermögen.

Al stopfte die Bündel in eine Satteltasche, schüttelte Murchison die Hand und verabschiedete sich von den anderen Männern durch eine Geste.

Dann stand er draußen, vor ihm die Main Street mit ihren Saloons und Stores und dem regen Leben. Niemand schien ihn zu beachten.

Es schien so einfach, in der Menschenmenge zu verschwinden.

Al Breeden setzte sich in Bewegung.

*

»Danke, dass du so schnell gekommen bist, Laura«, sagte Hunter Lowell und blickte erneut auf den Brief nieder, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag. »Der Diebstahl wäre sonst wohl erst in zwei Wochen entdeckt worden, wenn die Cowboys mit den Kutschen zurückgekommen wären, und Al irgendwann vermisst werden würde. Vielleicht hätte man geglaubt, er wäre überfallen und ermordet worden, und Suchtrupps losgeschickt.«

Dass ihr Mann ein Verbrechen begehen wollte, belastete Laura zutiefst. Doch auch die Vorstellung, dass Al Opfer eines Verbrechens würde, verschaffte ihr keine Erleichterung. Im Gegenteil, all dies schnürte ihr die Luft ab. Wie eine Schlinge, die um ihren Hals gelegt worden war und sich immer enger zuzog.

»So können wir sehr viel früher reagieren«, sagte Lowell, »und das bringt uns einen Vorteil. Vielleicht können wir doch noch etwas unternehmen. Ich verspreche es dir, Laura, wenn Al getan hat, was du glaubst, und er geschnappt wird, dann versuche ich alles, um ihn frei zu bekommen. Du hast mein Wort. Ich reite so schnell wie möglich nach Abilene und bringe ihn zurück. In der Zwischenzeit rede ich ihm ins Gewissen. Ich bin überzeugt, dass er geständig ist und die Sache bereut. Wir stellen ihn hier vor Gericht, dann werden wir sehen.«

Laura schlug die Hände vors Gesicht. Die Erwähnung einer Gerichtsverhandlung entzog ihr den Boden unter den Füßen. Sie begann zu schluchzen.

»O Gott, Hunter. Ich kann’s nicht fassen. Al stürzt uns alle ins Verderben – mich und die Kinder! Was soll nun aus uns werden?«

»Denk’ jetzt nicht daran«, sagte Lowell. »Soll ich Mrs Mayfield holen, damit sie sich um dich kümmert?«

»Nein … nein, schon gut. Was hast du jetzt vor?«

»Ich werde Max zur Cockoo hinausschicken. Er muss Charles Godfrey in die Stadt holen. Und dann werde ich ein Telegramm nach Abilene senden. Vielleicht gelingt es uns noch, die Sache zu verhindern. – Willst du hier warten oder lieber mit den Kindern zu eurem Haus rausfahren?«

*

Al Breeden schob die Flügeltüren auseinander und trat in den Gastraum des Saloons.

Wilder Trubel umgab ihn plötzlich.

Die Cowboys bemerkten ihn und jubelten. Sofort war er von achtzehn Männern umringt.

»Es gibt Lohn, Jungs!«, schrie einer, und auch der letzte wusste nun Bescheid.

Al kämpfte sich durch bis zu einem der Tische, und setzte sich.

»Bildet eine Reihe«, sagte er, »jeder bekommt seinen Lohn, aber nicht alle gleichzeitig.« Er versuchte ein Grinsen, aber es geriet zu einer freudlosen Grimasse.

Nie sieht man Cowboys schneller eine Reihe bilden, als wenn ihnen der Lohn ausbezahlt wird, oder wenn es darum geht, Essen zu fassen. Innerhalb zweier Sekunden stand die Mannschaft zur Auszahlung bereit. Etliche hatten den Hut vom Kopf genommen und walkten ihn in den Händen, als galt es, besonders höflich und zuvorkommend zu sein.

Der Dollarsegen lockte.

Al bezahlte jeden einzelnen Mann vollständig aus. Das kostete ihn über zweitausend Dollar der Gesamtsumme. Am Ende gab er noch eine Runde Bier für seine Mannschaft aus, und sie ließen ihn hochleben.

Al verließ den Trail Saloon und ging die Straße entlang.

Gerade wollte er den Mietstall betreten, in dem er sein Pferd untergestellt hatte, als er sah, wie ein Junge aus dem Telegrafenbüro gestürmt kam. Mit einer kleinen Nachricht in der Hand rannte er die Straße entlang.

Al verschwendete keinen weiteren Gedanken an den Jungen, betrat den Mietstall und ließ sein Pferd sattelfertig machen.

*

AN MR MURCHISON RINDERZÜCHTERVEREINIGUNG STOP ANWEISUNG VON RANCHER CHARLES GODFREY STOP DRINGEND STOP KEINE AUSZAHLUNG AN ALASTAIR BREEDEN LEISTEN STOP GELD WIRD VON ANDEREM BOTEN ABGEHOLT STOP SHERIFF HUNTER LOWELL YORBA STOP

*

John Murchison blickte den Jungen, der ihm das Telegramm ausgehändigt hatte, verblüfft an. Der Junge, der immer noch ein Trinkgeld erwartete, erschrak. Murchisons Gesichtsausdruck war so verwirrt, dass der Junge schon Angst bekam, etwas falsch gemacht zu haben.

»I-ist alles in Ordnung, Sir?«, fragte er.

»Was? Äh, ja. Alles in Ordnung, Junge. Hier hast du zehn Cents.«

»Danke, Sir. Ich wünsche noch einen schönen Tag, Sir.«

Der Junge verschwand, und Murchison wandte sich zu seinen Mitarbeitern um. Er war so bleich im Gesicht geworden, dass sich alle drei schlagartig Sorgen um ihn machten.

»Was ist los, Mr Murchison?«, fragte Holden.

»Der Teufel ist los. Laufen Sie rüber zum Sheriff und holen Sie ihn her!«

*

Al Breeden saß hoch im Sattel und ritt die Main Street entlang. Er sah, wie der Sheriff aus seinem Office geeilt kam und die Straße entlanglief. Der Mann würdigte ihn keines Blickes.

Al gab seinem Tier die Fersen und beschleunigte. Es gab nichts mehr, was ihn hier hielt.

Er ritt südwärts aus der Stadt und ließ sein Pferd in leichten Galopp fallen.

Noch habe ich kein Verbrechen begangen, redete er sich ein.

Noch haben Laura und die Kinder nur einen Ausflug gemacht, während er sich mit dem Erlös der Rinderverkäufe auf dem Rückweg befand.

Er redete sich all dies noch eine Weile lang ein, während er immer weiter nach Süden ritt. Doch dann kam er an die Kreuzung, und nun musste er eine Entscheidung treffen.

Hier musste er nach Südwesten abbiegen, wenn er Madison in New Mexico ansteuern wollte.

Ab hier würde er sein Tun und Handeln nicht mehr erklären können, wenn ihn jemand zur Rede stellte. Ab hier würde klar werden, dass er ein Dieb war, der mit dem ihm anvertrauten Geld das Weite suchen wollte.

Wenn er jetzt abbog, bog er nicht nur nach Westen, sondern auch vom »rechten Pfad« ab, wie es so schön hieß.

Al Breeden war kein durchtriebener Verbrecher, dem das alles nichts ausmachte. Er verspürte heftige Gewissensbisse, und das Herz schlug ihm bis zum Hals.

Es war eine einfache Handlung: Das Reittier nach rechts auf die andere Landstraße hinüber zu lenken.

Doch in ihm tobte ein Sturm von Gefühlen.

War es richtig, das zu tun?

Gewiss nicht.

Er wusste, dass es falsch war.

Warum wollte er es dennoch tun?

Nun, da waren die 33.000 Dollar, die in seinen Satteltaschen mit sich führte.

Der Rancher hatte genug Geld. Wurde mal Zeit, dass etwas davon an Al Breeden fiel. Und es war ja nicht so, dass nur Laura einen Traum hatte – er, Al, hatte auch Träume.

Die Ranch in Wyoming, die er mit seiner Frau und den Kindern aufbauen wollte –

Ein schönes, weißgestrichenes Haus, mit genügend Räumen für seine Enkel –

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