Stimmen für die Zukunft

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Stimmen für die Zukunft
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Liz Mohn, Wolfgang Schüssel

Stimmen für die Zukunft

20 Jahre Salzburger Trilog


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2022 Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh

Verantwortlich: Jörg Habich

Lektorat: Heike Herrberg

Herstellung: Christiane Raffel

Umschlaggestaltung und Layout: Büro für Grafische Gestaltung – Kerstin Schröder, Bielefeld

Druck: Hans Gieselmann Druck und Medienhaus GmbH & Co. KG, Bielefeld

ISBN 978-3-86793-943-0 (Print)

ISBN 978-3-86793-944-7 (E-Book PDF)

ISBN 978-3-86793-945-4 (E-Book EPUB)

www.bertelsmann-stiftung.de/verlag

Inhalt

Danksagung

Vorwort

Mut in mutarmen Zeiten – Ein Plädoyer

Helga Rabl-Stadler

Europas Rolle in der Welt

Gedanken zu Europas Rolle in der Welt

Ursula Plassnik

Europas Wirtschaft im Zentrum der Diskussion

Gedanken zu Europas Wirtschaft – Wettbewerbsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Globalisierung

Pascal Lamy

Bilder aus 20 Jahren Trilog

Zur Zukunft des europäischen Arbeitsmarktes

Gedanken zu Innovation und Bildung

Viviane Reding

Herausforderungen für moderne Führung

Gedanken zu den Herausforderungen moderner Führung

Marc Elsberg

Werte, Verantwortung und gesellschaftlicher Zusammenhalt

Gedanken zu gesellschaftlichen Werten und sozialem Zusammenhalt

Edda Moser

Bildnachweis

Salzburger Trilog

2001–2021

Danksagung

Der Salzburger Trilog ist seit 20 Jahren durch den sachbezogenen, offenen Dialog der Teilnehmenden aus Politik, Wirtschaft und Kultur aus aller Welt eine Quelle des Wissens und der Inspiration mit dem Anspruch, unsere Welt ein Stück weit besser, friedlicher und menschlicher zu machen. Viele der Themen zu globalen Herausforderungen, die uns heute bewegen, wurden hier bereits zu einem Zeitpunkt diskutiert, als sie bei vielen Entscheidungsträgern noch nicht auf deren Agenda standen. Das hat diese Publikation mit Blick auf 20 Jahre Salzburger Trilog nochmals eindrucksvoll bestätigt. Wir danken allen Teilnehmenden am Salzburger Trilog nicht nur für ihre zukunftsweisenden Beiträge, sondern auch dafür, dass durch den vertrauensvollen, intensiven Austausch diese enge Verbundenheit zwischen den Teilnehmenden entstehen konnte.

Liz Mohn

Wolfgang Schüssel

Vorwort

Wolfgang Schüssel, Liz Mohn

Die Zukunft hat es in sich. Das gilt nicht nur heute in Zeiten der Corona-Pandemie, das war auch schon vor 20 Jahren so. Auch in Vorbereitung auf den ersten Salzburger Trilog, der im August 2002 stattfand, gab es keinen Mangel an Ereignissen, die die Zukunft in einem teils trüben Licht erscheinen ließen oder zumindest massiv prägen sollten. Zur Aufhellung der Erinnerung ein paar Schlaglichter. Am 11. September 2001 kam es zu einem Terroranschlag, bei dem das World Trade Center dem Erdboden gleichgemacht wurde und Tausende Menschen starben. Europa formierte sich neu: Griechenland trat 2001 der Eurozone bei; mit Jahresbeginn 2002 führten zwölf EU-Mitglieder die gemeinsame Währung auch physisch ein. Beim EU-Gipfel in Kopenhagen im Dezember 2002 wurde die Aufnahme von zehn neuen Mitgliedern beschlossen. In der Schweiz lehnten bei einer Volksabstimmung 2001 drei Viertel der Wahlbeteiligten EU-Beitrittsverhandlungen ab – ein paar Jahre später wurden umfassende bilaterale Verträge geschlossen. Die Schweiz wurde 2002 das 190. Mitglied der Vereinten Nationen. Ende 2001 trat China der Welthandelsorganisation (WTO) bei.

In den Nuller-Jahren des neuen Jahrhunderts herrschte eine Umbruch- und Aufbruchstimmung, vieles war im Fluss, vor allem in Europa. Wir alle suchten nach Ideen, die uns voranbringen könnten. Kunst in jeder Form diente als Quelle der Inspiration, doch wie diese Anregungen in Politik und Wirtschaft einbringen und umsetzen? Der deutsche Philosoph Moritz Carrière formulierte den Anspruch: »Nach der Idee das Besondre zu gestalten, ist Sache der Kunst; die Idee nach den verschiedenen Seiten hin denkend zu erfassen, die Idee des Staats, der Kunst, der Menschheit selbst auf Grundlage des Tatsächlichen und Gegebenen kraft der vorausschauenden Phantasie und der schließenden Vernunft auszubilden, ist Sache der Philosophie.«

Die Salzburger Festspiele wurden in der dunkelsten Stunde des Ersten Weltkrieges erdacht, die erste Jedermann-Bühne aus den Brettern der Baracken eines Kriegsgefangenenlagers gezimmert. Widerstand und Intrigen zum Trotz gelang es Max Reinhardt, in Salzburg diese Sommerfestspiele zu etablieren. Reinhardt ist Inbegriff des Ausprobierens, des Sich-Erneuerns – auch nach furchtbaren Katastrophen wie dem Weltkrieg. Sein Credo lautete: »Immer dann, wenn man spürt, dass Routine sich einschleicht, sollte man etwas Neues machen.«

Aus all diesen Überlegungen wurde der Salzburger Trilog geboren: ein Zusammentreffen von Persönlichkeiten aus Kultur, Wirtschaft und Politik, aus möglichst vielen Ländern und Regionen der Welt, um abseits des täglichen Hamsterrads und angeregt durch grandiose Darbietungen im Rahmen der Salzburger Festspiele gemeinsam zu diskutieren und nachzudenken. Die Idee war, Impulse aus allen drei Bereichen – daher auch der Name Trilog – miteinander zu verbinden und etwas Neues daraus entstehen zu lassen.

Die Bedeutung von Kunst und Kultur war und ist auch beim Trilog spürbar: Künstlerinnen und Künstler tragen Entscheidendes zu Versöhnung, Verständigung und Frieden bei, aber auch zu Innovation. Kunst rührt uns an und rüttelt uns auf – »Eispickel gegen das gefrorene Meer in uns« nannte das Franz Kafka. Der Trilog bietet eine gleichberechtigte Plattform für die Kunst, die sich auch immer wieder gegen Vereinnahmung zur Wehr setzen muss. Unvergesslich etwa die Teilnahme der Regisseurin Andrea Breth, die mit großer Skepsis nach Salzburg gekommen war, sich dann aber begeistert auf dieses Format und das interdisziplinäre Denken einließ und es mit ihren Kommentaren bereicherte. Wunderbare Musiker wie Thomas Hampson, Franz Welser-Möst, Clemens Hellsberg, Valery Gergiev, großartige Regisseure wie Jürgen Flimm, brillante Autoren wie Marc Elsberg oder die Drehbuchautorin Joan Xu nahmen am Trilog teil – der natürlich nicht realisierbar gewesen wäre ohne das tatkräftige Mitwirken der Präsidentin der Salzburger Festspiele, Helga Rabl-Stadler, die es sich nie nehmen ließ, die Trilog-Teilnehmenden persönlich auf die jeweils bevorstehende Aufführung einzustimmen.

Die Themen, die wir in der 20-jährigen Geschichte des Trilogs behandelt haben, dienten nie der Vergangenheitsbewältigung, sondern waren immer auf die Zukunft gerichtet, getreu dem Motto von Albert Einstein: »Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.« Der Bogen der Diskussionen war weit gespannt, je nachdem, was aus der damaligen Sicht die Zukunft gerade in sich hatte und wo es lohnenswert war, einen genaueren Blick darauf zu werfen. Von der Suche nach der eigenen Identität über die Frage nach nachhaltigem und qualitativem Wirtschaftswachstum, dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit bis hin zu den unterschiedlichen Facetten von Globalisierung, dem Aufstieg Asiens und gelungener Nachbarschaftspolitik, der Unterscheidung zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit reichte die Themenpalette.

 

Der Salzburger Trilog sollte keine L’art-pour-l’art-Veranstaltung sein. Die Intention war und ist, als Ideengeber und Anstifter zu fungieren – für Wirtschaft und Politik in Deutschland und Österreich, aber vor allem auch in Europa. Die Stadt Salzburg lag an keiner Seidenstraße, aber dafür an einer Salzstraße, die schon früh Wohlstand brachte. Salzburgs wohl berühmtester Künstler, Wolfgang Amadeus Mozart, wurde hier geboren und trug dazu bei, dass Salzburg auch ein kulturelles Zentrum wurde. Es gibt kaum einen geeigneteren Ort im Herzen Europas, um nachzudenken und in neuen Bahnen zu denken. Dieses starke Herz – Mitteleuropa eben – bietet enormes Potenzial und dazu noch die Brückenfunktion nach Osten und Fernost. Auch das spiegelt sich im Trilog wider.

Beim Trilog treffen unterschiedliche Perspektiven aufeinander, nicht nur im Hinblick auf die jeweilige Profession; auch regionale Unterschiede eröffnen neue Sichtweisen. Das Spannungsverhältnis zwischen Selbst- und Fremdbild ist gerade bei Europa besonders groß: Oft wird ein Bild des Verfalls, des Zerfalls vermittelt – die EU als kranker Mann, als sinkendes Schiff oder zerstrittene Familie, Blockaden, Intrigen, kleinlicher Streit. Natürlich kann niemand bestreiten, dass es Probleme und Auseinandersetzungen gibt. Doch auch das Gegenteil ist wahr: Die EU setzt Standards, die von den USA bis nach China als vorbildhaft gelten. Die EU hilft und unterstützt, schafft Sicherheit und Stabilität mit Friedensmissionen und verantwortungsvoller Entwicklungshilfe. Seit der Wende 1989 flossen 400 Milliarden Euro in einer gewaltigen Solidaritätsanstrengung in die neuen Mitgliedsländer – ein Mehrfaches der amerikanischen Marshallplan-Hilfe nach dem Zweiten Weltkrieg. Der sanfte Riese EU macht unseren Planeten lebenswerter, nachhaltiger, offener und sicherer – auch wenn er sich seiner großen Kraft nicht immer bewusst ist.

In seinem Essay »Europadämmerung« analysiert der bulgarische Politologe und Trilog-Teilnehmer Ivan Krastev, wie sich Demokratie und Globalisierung verändert haben: »Was bis vor kurzem ein Wettstreit zwischen zwei verschiedenen Staatsformen – Demokratie und autoritärer Herrschaft – war, hat sich im Gefolge der globalen Finanzkrise zu einem Wettstreit zwischen zwei Varianten derselben Behauptung entwickelt: ›Es gibt keine alternative Politik.‹« Krastev kritisiert, dass auch in Demokratien politische Entscheidungen zunehmend als alternativlos dargestellt werden – widerspricht dies doch dem grundsätzlichen Wesen der Demokratie. Auch der Trilog war und ist eine Suche nach möglichen Alternativen, nach Best Practices, nach neuen Wegen – als Quintessenz jeder Demokratie, als Lebensmittel für selbstständige und freie Bürgerinnen und Bürger.

Apropos Freiheit: Sie hat wohl am meisten unter der Corona-Pandemie gelitten. Nicht nur wegen der offensichtlichen Einengung von Bewegungsmöglichkeit, durch Distanzgebote und Lockdowns. Die staatsväterliche Bevormundung zeigt sich weit über das Pandemiemanagement hinaus. Kein Europapolitiker bewirbt die EU dieser Tage als Kraft der Öffnung und der Offenheit, die auf dem Kontinent selbst Grenzen überwindet und in der weiteren Welt für Liberalisierung eintritt, für Freihandel und politischen Fortschritt. Ganz Europa bunkert sich ein und schottet sich ab. Die EU erscheint jetzt in erster Linie als Verteidigungsinstanz und Bollwerk: gegen chinesische Unternehmenskäufe und amerikanische Digitalkonzerne, gegen illegale Migrantinnen und Migranten und gegen die drohende Dumpingkonkurrenz aus Brexit-Britannien. Ein Europa, das sich wie ein Igel einrollt und die Stacheln ausspreizt, ist nicht unser Bild von Europa. Wer vor Freiheit Angst hat, sollte an die Worte des früheren US-Präsidenten Thomas Jefferson denken: »Freiheit ist ein stürmisches Meer. Ängstliche Naturen bevorzugen die Stille des Despotismus.«

Jean Monnet sagte einmal, er würde das Projekt Europa beim zweiten Versuch über die Kultur begründen. Das ist ein interessanter und zugleich verstörender Gedanke. Gerade die Vielfalt macht ja die Einzigartigkeit unseres europäischen Lebensmodells aus. Das gilt noch viel mehr für die globale Menschheit. Vielleicht ließe sich tatsächlich über Kulturaustausch, Übersetzungen, Vermittlung, Kontakte, gemeinsame Festivals – ohne Hegemonie und Zentralisierungswahn – ein friedliches und gedeihliches Zusammenleben der Völker erreichen. Das war es schließlich, was Monnet mit der europäischen Idee verfolgte: »Wir vereinigen keine Staaten, wir bringen Menschen einander näher.«

Wenn es in den 20 Jahren, in denen der Salzburger Trilog veranstaltet wird, gelungen ist, zumindest ein paar Menschen einander nähergebracht und einige neue Ideen entzündet zu haben, sind das wunderbare Mut-Injektionen für die Zukunft – was auch immer diese bringen wird.

Mut in mutarmen Zeiten – Ein Plädoyer

Helga Rabl-Stadler, Präsidentin der Salzburger Festspiele

»Unser Salzburger Festspielhaus soll ein Symbol sein. Es ist keine Theatergründung, nicht das Projekt einiger träumerischer Phantasten und nicht die Angelegenheit einer Provinzstadt. Es ist eine Angelegenheit der europäischen Kultur. Und von eminenter politischer, wirtschaftlicher und sozialer Bedeutung.« So selbstbewusst, so dringlich, so unvergleichlich formulierte der Dichter und Festspielgründer Hugo von Hofmannsthal vor 100 Jahren die Aufgabe Salzburgs.

Und sein kongenialer Partner, der Regisseur Max Reinhardt, schrieb mitten in »den Stürmen des Krieges« in seiner Denkschrift 1917 von der »furchtbaren Wirklichkeit dieser Tage«, vom »ungeheuren Weltenbrand«, dem die Salzburger Festspiele trotzen könnten und sollten. Ein Festspiel zu gründen, sollte »eines der ersten Friedenswerke sein«. Diesem festen Glauben an die Kraft der Kunst und den Kraft-Ort Salzburg verdanken die Festspiele ihre Existenz.

Dass in diesem »Herz vom Herzen Europas« (so Hofmannsthals Definition meiner Heimatstadt) der Trilog am Beginn des neuen Jahrtausends gegründet wurde, scheint mir geradezu logisch. Ich danke vor allem Liz Mohn, dass sie die ganze intellektuelle und organisatorische Kraft der Bertelsmann Stiftung aufgeboten hat und weiter zu Verfügung stellt. Ich danke Wolfgang Schüssel, dass die Wahl auf Salzburg fiel. Weil diese Stadt ideal für das Nachdenken über die Welt, für das Quer- und Vordenken ist.

Auch da gilt ein bisschen, was Max Reinhardt für die Festspiele konstatierte. Er war überzeugt, dass nur »abseits vom städtischen Alltagsgetriebe« und »entfernt von den Zerstreuungen der Großstadt« Besonderes entstehen kann. Gerade bei den Zusammenkünften des Trilogs, aus denen sich meist bereits nach wenigen Stunden inspirierende Wortwechsel entwickelten, hat sich gezeigt, wie recht Max Reinhardt hatte. Und die Festspielbesuche am Abend waren stets mehr als bloße Unterhaltung – was auch gestattet sein dürfte.

»Die Kunst ist eine Sprache, die Verborgenes aufdeckt, Verschlossenes aufreißt, Innerstes fühlbar macht, die mahnt, erregt, erschüttert, beglückt«, rief der große österreichische Dirigent Nikolaus Harnoncourt in seiner Festansprache zu 75 Jahren Salzburger Festspiele leidenschaftlich in den Saal. »Ein Kunstwerk, das anregen, bewegen will, braucht die qualifizierte Ablehnung genauso wie die Zustimmung« und »die großen Kunstwerke sind deshalb Meisterwerke, weil sie den Menschen jederzeit etwas zu sagen haben – aber jede Generation sieht dann etwas anderes.« Der Titel dieser Rede lautete »Was ist Wahrheit? oder Zeitgeist und Mode«.

Gerade heute sind Politiker und Politikerinnen aller Parteien verführt, dem Zeitgeist zu folgen und damit rasche Erfolge im Internet zu feiern. Umso wichtiger erscheint mir der Beitrag der Kunst. Nein, Künstler und Künstlerinnen sind nicht klüger, nicht moralisch besser. Aber in einer Zeit der vorschnellen Antworten verstehen sie es, Fragen zu stellen, die das Publikum zwingen – im besten Falle inspirieren – nachzudenken.

Max Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss waren der festen Überzeugung, dass die antike Mythologie subtile Deutungsmöglichkeiten für moderne Probleme persönlicher und politischer Art böte. Hugo von Hofmannsthal, Richard Strauss’ Lieblingslibrettist, formulierte es so: »Denn wenn sie etwas ist, diese Gegenwart, so ist sie mythisch – ich weiß keinen anderen Ausdruck für eine Existenz, die sich vor so ungeheuren Horizonten vollzieht – und für dieses Umgebensein von Jahrtausenden, für dieses Hereinfluten von Orient und Okzident in unser Ich, für die ungeheure innere Weite, diese ragenden inneren Spannungen, dieses Hier und Anderswo, das die Signatur unseres Lebens ist. Es ist nicht möglich, dies in bürgerlichen Dialogen aufzufangen. Machen wir mythologische Opern, es ist die wahrste aller Formen.«

Unsere Opern »Salome« und dieses Jahr »Elektra« liefern den atemberaubend beeindruckenden Beweis für diese These. Der zeitliche Abstand ermöglicht uns, wie mit der Lupe, die ewig gültigen Konflikte scharf zu erkennen: Krieg und Frieden, Liebe und Hass, Vergebung und Rache.

Und auch auf der Suche nach Change-Architects könnte man durchaus bei unseren Künstlern fündig werden. Der Regisseur Peter Sellars hat in seine Inszenierungen das Umweltthema eingebaut, lange bevor Greta Thunberg dafür auf die Straße ging – nicht platt, nicht mit dem Holzhammer, sondern mit der Sensibilität eines Künstlers für das Unheil, das droht.

Der Trilog hat die Vertreter und Vertreterinnen von Kunst und Kultur gleichberechtigt mit Wirtschaftskapitänen und Ministern an einem Tisch platziert, um die Zukunft zu verhandeln. Eine Position, die wir uns in Corona-Zeiten im politischen Alltag erst mühsam erkämpfen mussten. Alles schien wichtiger – die Gastronomie, der Handel, die Agrarlobby. Doch je länger der Lockdown anhielt, desto mehr Menschen zitierten Max Reinhardt: Kunst nicht als bloße Deko, sondern als Lebensmittel. Und plötzlich wurden die Salzburger Festspiele wieder als das gelobt, wofür sie gegründet wurden: als Leuchtturmprojekt in dunklen Zeiten.

Im April 2020 hingegen war die Sympathie nicht auf unserer Seite. Als praktisch alle anderen Festivals absagten, verstieg man sich im deutschen Feuilleton zu der ehrenrührigen Prophezeiung, »die Salzburger Festspiele wollten wohl das Ischgl der Kultur werden.«

Sollten auch wir Corona gänzlich die Regie überlassen und das lang geplante 100-Jahr-Jubiläum des größten Klassikfestivals der Welt einfach ausfallen lassen? Oder sollten wir versuchen – selbstverständlich immer unter dem Vorrang der Gesundheit unserer Künstler und Künstlerinnen, unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie unseres Publikums – Festspiel abzuhalten und damit ein Zeichen der Kraft der Kunst in kraftlosen Zeiten zu setzen? Rat konnte uns niemand geben, Modelle gab es keine. Große Unsicherheit prägte und prägt weltweit die Stimmung in den Führungsetagen, ob in der Politik, der Wirtschaft oder in der Kultur.

Dem Lockdown durch die Regierungen folgte ein ebenso fataler Lockdown in den Gehirnen, im Verhalten derer, die eigentlich führen, die in Alternativen denken sollten. Dass die Metropolitan Opera in New York ihre Tore im März 2020 schloss und die Wiedereröffnung nach unglaublichen 18 Monaten für irgendwann im Herbst 2021 ankündigte, ist nicht bloß ein Schaden für Opernfreaks. Das beschädigt den Ruf New Yorks als Kulturmetropole nachhaltig. Es diskreditiert den Stellenwert der Kunst. Kunst und Kultur sind Lebensmittel. Sie sind systemrelevant.

Die Festspiele sind Sinngeber und Arbeitgeber – dieser doppelten Verantwortung waren wir uns bewusst, als wir entschieden, das Risiko einzugehen, Festspiele in Corona-Zeiten abzuhalten. Ein kalkuliertes Risiko, kein Hasardspiel. Wir handelten frei nach der Devise von Peter F. Drucker, dem ersten Managementguru: »Es gibt Risiken, die einzugehen du dir nicht leisten kannst, und es gibt Risiken, die nicht einzugehen du dir nicht leisten kannst.« Wir hätten uns bei einer Absage ob unseres Kleinmuts vor unseren Gründervätern geschämt, die an Festspiele in ungleich schwierigeren Zeiten geglaubt hatten.

Der vergangene Festspielsommer – und auch dieses Jahr liegt der Schatten der Pandemie noch über uns – war streckenweise ein echtes Fegefeuer. Aber im September zogen wir eine fast himmlische Bilanz: ausverkaufte Festspiele, ein Riesenschritt vorwärts in Sachen Digitalisierung, tausend gute Ideen, wie wir unserem größten Kapital, den Stammkunden aus 80 Ländern der Welt, ein schnelleres und noch besseres Service bieten können.

 

Ich bin sicher, dass mein Plädoyer für Mut in mutarmen Zeiten gerade bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Trilogs auf große Zustimmung stoßen wird, und zitiere noch einmal Hugo von Hofmannsthal: »Wo der Wille nur erwacht, da ist schon fast etwas erreicht.«

Ich hoffe sehr, dass der Trilog auch das nächste Jahrzehnt von Salzburg aus Entscheidungsträger in aller Welt mit dem Willen zum Diskurs, zur Debatte ansteckt.