Der junge Häuptling

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»’s ist ein Zeichen«, murmelte Josef. »Sein Zeichen wird’s sein.«

»Wessen Zeichen?«, bohrte Pitt.

»Halt’s Maul!«, verwies ihn Bill. »Ich nenn den Namen nicht gern. War dabei, als sein Vater erstochen wurde, und es könnt sein, dass er auch mich noch im Gedächtnis hat!«

»Den Harry meint er!«, belferte der schmierige kleine Josef, »den Harry meint er, das rote Schwein, den Messerstecher und Meuchelmörder!«

Die Reiter sprangen alle auf und trieben ihre Tiere zu einem fluchtartigen Galopp. Es war vorläufig keine Zeit und keine Gelegenheit mehr zum Sprechen gegeben.

Als die vier jedoch nach Mittag eine Rast einlegten und an ihrem Proviant kauten, ohne Feuer zu machen, fing Pitt wieder an: »Was ist das für ein Harry, den du ein rotes Schwein nennst? Mestize?«

»Vollblutdakota! Einer, wie du ihn noch nicht so leicht getroffen hast in deinem bequemen Leben da hinten im gelobten Fort Randall.«

»Oho! Hab auch schon andre Gegenden kennengelernt, und selbst bei Randall treibt sich noch allerhand herum. Der Harry geht also auf Mord an euch aus?«

»Er geht nicht nur darauf aus. Wie du siehst, betreibt er das Gewerbe mit bestem Erfolg!«

»Ein ganz verfluchter Schweinehund und Verräter ist das.« Bill, der nicht über das Thema hatte sprechen wollen, mischte sich jetzt doch ein. »War früher unser Kundschafter beim Bau der Union Pacific, dann hat er sich in den Black Hills herumgetrieben und hat Goldsucher meuchlings niedergemacht, und jetzt ist er wieder bei seinem Stamm und versauert uns das Leben! Tokei-ihto nennen ihn seine Dakota. Dieser Verbrecher, der ist mit allen Wassern gewaschen und mit allen Hunden gehetzt. Unser Major will es nicht wahrhaben, aber ich sage euch, der Harry Tokei-ihto, der führt seine paar Leute bedeutend besser als der Major uns! Daran liegt’s, dass wir nichts ausrichten!«

»Ah so!«, Pitt zog an der kalten Pfeife. »Ihr braucht also nicht nur Verstärkung, sondern auch einen jüngeren, energischen Offizier!«

»Bleibt uns vom Leibe mit euren jungen Offizieren. Hast ja gesehen, was aus Warner geworden ist! Eine Leiche! Nein, Leutnants brauchen wir nicht. Männer brauchen wir, die kundschaften und schießen können. In der Überzahl müssen wir sein! Dann lässt sich was machen. Überzahl gleicht alle Dummheit aus.«

»Und den Harry müssten wir wegfangen!«, ergänzte der schmierige Josef. »Das sollte mir eine Freude sein, den lebendig abzuhäuten!«

»Träum nur weiter von deiner Freude. Lebendig kriegst du den nie!« Bill spottete gereizt. »Du nicht! Hab noch nie gesehen, dass ’ne Schnecke ’ne Heuschrecke fängt!«

Die vier Reiter beendeten ihre Rast. Sie trabten bald, bald galoppierten sie weiter ostnordostwärts. Das Wetter war ihnen günstig. Wenn die Kälte der letzten Februartage ihnen auch zu schaffen machte, so blieben sie doch von Sturm, Schnee und Sand von nun an verschont. Wild kam ihnen kaum vor die Flinte. Fährten von Indianertrupps waren nirgends zu sehen. Die Prärien wirkten, als seien sie von Menschen noch nicht entdeckt. Ringsum erklang kein Laut. Nachdem die Reiter die Nacht und den zweiten Tag unbehelligt geblieben waren, gewöhnten sie sich an den Gedanken, dass keine Gefahr mehr für sie bestehe, und wurden inmitten der Stille und Einsamkeit sorglos. Wenn jemand eine Absicht hatte, ihnen unbemerkt zu folgen, so war das jetzt ohne Schwierigkeit möglich.

In der letzten Nacht gönnten sich die Reiter nur wenig Schlaf. Sie überquerten zwei fast ausgetrocknete Bäche und ritten so scharf, dass sie mit Sonnenaufgang Fort Randall und den Missouri erreichten. Durch die zahlreichen Fährten, die ihnen hier begegneten, durch die Geräusche, die zu ihnen drangen, wurden sie dem allgemeinen Leben wieder enger verbunden. Im Gebiet des großen Stromes wuchs das Gras der Wiesen saftiger und kräftiger unter dem tauenden Schnee hervor als auf den Sandsteppen. Laute Rufe und ein vielfältiges Stimmengewirr drangen aus den Fortanlagen selbst und aus der Umgebung des befestigten Militärlagers bis zu den Heranreitenden. Die Pferde beschleunigten von selbst ihren Gang.

Trotz der frühen Jahreszeit und der noch winterlichen Kälte lagerten außerhalb des Forts schon zahlreiche Menschen. Zu einem Teil waren es Weiße, Jäger, Fallensteller, Vagabunden, Händler, zum großen Teil aber Indianer, die mit Zelten, Frauen und Kindern gekommen waren und sich niedergelassen zu haben schienen, um zeitraubende Handelsgeschäfte mit erbeuteten Winterpelzen abzuwickeln. Die meisten der Indianer machten schon auf den ersten Blick den Eindruck von Halbzivilisierten. Sie trugen bunte Kopftücher, schlechte Kattunhemden, schlugen billige Wolldecken um die Schultern, und der Ausdruck ihrer Augen war verschwommen. Einige schienen am frühen Morgen schon betrunken zu sein. Die vier Reiter trieben ihre Pferde rücksichtslos durch die Lagernden hindurch. Wer nicht umgeritten werden wollte, musste schnell zur Seite springen.

Das Fort selbst, bei dem die Reiter anlangten, war, wie sich schon von außen erkennen ließ, viel größer, geräumiger und besser befestigt als die Station am Niobrara. Die Atmosphäre der ständigen Gefährdung in der Wildnis, in der noch die Flinten, Pfeile und Messer der Dakota herrschten, bestand hier nicht mehr. Jedermann bewegte sich mit Selbstverständlichkeit und Sicherheit. Die Reiter erreichten das Tor. Pitt mit der verstümmelten Nase war der Wache bekannt, und die Kuriergruppe wurde sofort eingelassen. Im Innern der Fortanlage konnten die Ankommenden die aufgestellten Geschütze bewundern. Die Kuriere meldeten sich in einer Wachstube an und rechneten damit, dass sie warten müssten, da es noch sehr früh am Morgen war. Überraschend schnell wurden die Männer jedoch zu einem Leutnant mit Namen Roach befohlen, und nach wenigen Minuten schon standen sie in einem geheizten, komfortabel ausgestatteten Raum, der recht ungewohnt auf sie wirkte.

Der junge Leutnant saß hinter einem Schreibtisch auf einem Stuhl mit Armlehnen. Er nahm aus Pitts Hand dasjenige Schreiben in Empfang, das an den Kommandanten von Fort Randall gerichtet war, und öffnete es auftragsweise ohne Bedenken. Während er las, hatte Pitt Zeit, ihn näher zu betrachten. Dieser Leutnant Roach stand dem Stummelnasigen auf irgendeine Weise näher als der weltfremde und pflichteifrige Major Smith. Der Leutnant lehnte sich beim Lesen lässig zurück. Seine Uniform war private Schneiderarbeit und saß tadellos. Sein Haar war mit Sorgfalt gescheitelt und mit Pomade geglättet. Die Fingernägel waren gepflegt. Dieser Leutnant hatte also Schwächen, an die ein geschickter kleiner Mann vielleicht anknüpfen konnte.

Die Mundwinkel des Leutnants verzogen sich, während er den Brief des Majors las.

»Vollkommen klar.« Er faltete das Schreiben wieder zusammen. »Ihr braucht Verstärkung, Munition und einen tüchtigen Offizier. Wo habt ihr das zweite Handschreiben, das nach Yankton an Oberst Jackman gerichtet ist?«

Pitt holte bereitwillig auch dieses Schreiben, das mehrfach versiegelt war, aus der Brusttasche und wies es vor. Der Leutnant nahm es und drehte es ein paarmal in der Hand. Zu öffnen wagte er in diesem Falle nicht. »Der Inhalt wird der gleiche sein«, bemerkte er schließlich. »Ich reite sowieso nach Yankton und werde das Schreiben dort Oberst Jackman persönlich übergeben. – Also gut!«, schloss er ab. »In ein paar Tagen! Ich bespreche das mit unserem Kommandanten und mit Oberst Jackman selbst in eurem Sinne.«

Der elegante junge Offizier erhob sich, und weder Pitt noch ein anderer Rauhreiter fühlte das Bedürfnis, noch ein Wort zu sagen. Wozu auch? Die Mission hatte über alles Erwarten Erfolg gehabt. Auf den ersten Anhieb schon wurden die Verstärkungen versprochen, auf die man am Niobrara seit einem Jahr vergeblich gewartet hatte. Was wollten die Boten noch mehr? Die Ruhetage lockten, besonders nach einem solch unerwartet schnellen Erfolg. Pitt, Bill, Josef und Tom zogen sich in bester Laune zurück. Ein Bursche des Leutnants hatte schon Anweisung, für die vier zu sorgen.

»Der Herr Leutnant schmiert sich bei uns an«, flüsterte Tom dem Hahnenkampf-Bill zu. »Der will wohl unseren alten ehrlichen Major aus dem Sattel heben!«

Bill, Pitt und Josef teilten Toms moralische Bedenken nicht. »Was geht’s uns an? Hauptsache, wir kriegen ein paar Tage lang zu fressen, zu saufen und zu rauchen. Der Roach, das ist unser Mann.«

»Auch wenn er nach Pomade stinkt. Lasst ihm seinen Spleen.«

Der Bursche des Leutnants war umgänglich und schien Langeweile genug zu haben, um sich den Ankömmlingen aus der fernen Wildnis zu widmen. Er steckte ihnen die Taschen voll Rauchzeug, verschaffte ihnen reichlich Essen, Branntwein mit Maßen und machte zum Schluss noch auf einen besonderen Anziehungspunkt aufmerksam: Vor den Toren des Forts sollte gerade an diesem Tag ein Stockball-Wettspiel der dort lagernden Indianer stattfinden. Stockball – dem Hockey gleich – war ein bei den Stämmen der Prärie, speziell den Dakota, heimisches und sehr beliebtes Spiel, das schon die Indianerjungen übten. Der Kommandant hatte sich herbeigelassen, einen Geldpreis zu stiften, in der Meinung, den Wetteifer der Halbzivilisierten dadurch anzuspornen und seiner gelangweilten Truppe die erwünschte Unterhaltung noch spannender zu gestalten. Mit der Aussicht auf das Wettspiel wurden die vom Niobrara mit ihrem Kollegen Pitt vorläufig sich selbst überlassen.

»Wird was Rechtes sein, wenn die lumpenbehangenen roten Schweine auf dem Rasen durcheinanderrennen!«, schätzte Pitt.

»Können wir Wetten abschließen?«, interessierte sich der schmierige Josef. »Wenn nicht gewettet werden kann, geh ich lieber saufen.«

Hahnenkampf-Bill schaute sich suchend um. »Dort – nein, dort drüben – siehst du noch immer nichts? Schmieriger Knabe Josef, siehst du nichts? Die beiden dort mit dem Bauchladen, schon mitten drin im Gewimmel! Die scheinen Wetten anzunehmen!«

 

Ohne weitere Abrede setzten sich die vier gleichzeitig in Bewegung und steuerten auf eine Gruppe zu, deren Mittelpunkt zwei große Gestalten bildeten. Der eine, ein wahrer Hüne, massig, fett, mit schütterem Haar, war schon mit einigen Wettkunden beschäftigt. Er zog die Aufmerksamkeit der vier Rauhreiter weniger an als der zweite Händler und Wetteinnehmer, ein schwarzhaariger Kerl, der etwa vierzig Jahre alt sein mochte und sich laut als reelles Wettbüro anpries. Wenn er den Mund aufmachte, war zu sehen, dass er schon alle Zähne verloren hatte.

»Ben!«, rief der Hahnenkampf-Bill ihn an. »Zahnloser, verdächtiger Geselle! Bist du auch wieder im Jagdrevier?«

»Wie du siehst, vielfacher Hahnenkämpfer. Wollt ihr Wetten abschließen?«

»Gib uns einen Tipp, Ben!«, suchte Bill seinen alten Bekannten zu überreden. »Einen guten Tipp! Welche Partei siegt?«

»Was weiß ich! Ihr müsst wetten! Nicht ich.«

»Alter Gauner!«, Bill war erbost. »Du wirst schon wissen, auf wen du setzt, aber uns sagst du nichts, damit wir nicht deine Quote drücken.«

Die gesamten, von den Wettern eingezahlten Beträge wurden unter Abzug eines Prozentsatzes für den Wetteinnehmer an diejenigen ausgezahlt, die auf den Sieger gesetzt hatten. Je weniger Wetter also den Einsatz auf den Sieger gemacht hatten und je mehr Wetter ihr Geld verloren, desto höher war im Verhältnis zum Einsatz der Betrag, der an die Gewinner ausgezahlt wurde.

»Gib uns einen Tipp!«, versuchte jetzt auch Pitt den Wetteinnehmer zu überreden. »Können dir dafür schöne Grüße bestellen von deinem alten Blockhaus am Niobrara, wo du mal so gut verdient hast – bis vor zwei Jahren.«

»Es steht immer noch«, ergänzte Tom.

»Müsste ich mir beinahe mal wieder ansehen! Habt ihr noch keinen neuen Wirt?«

»Keinen Wirt, zurzeit nicht mal Brandy!«

»So, so. Ich werde mir das beschnuppern. Aber wie steht’s jetzt? Wettet ihr?«

»Gibst du uns einen Tipp?«

»Hab doch keinen!«

Die Reiter wurden ärgerlich. Pitt hatte während des Gesprächs umhergespäht. »Kommt! Ich seh einen Freund von mir, einen besseren als diesen zahnlosen Gauner hier!«

Pitt steuerte, von seinen Gefährten gefolgt, auf einen in bunt gesticktes Tuch gekleideten kleinen Kerl zu. Die lebhaften schwarzen Augen des anderen schienen Pitt schon entdeckt zu haben.

»Pitt, mon ami, ganz guter Freund, lass dich umarmen!«

»Louis, der Kanadier!«, stellte Pitt vor. »Louis, wir brauchen dich!«, ging er gleich auf sein Ziel los. »Es wird gewettet. Wir sind alle arme Teufel, haben wenig Geld, müssen was gewinnen. Gib uns einen Tipp!«

»Tipp? Oh! Tipp? Ihr wollt haben Tipp? Ganz großen Tipp?«

»Ganz großen Tipp, Mann! Lass uns gemeinsame Kasse machen für die Wetten!«

»Gemeinsame Kasse? Oh! Pitt, Stummelnase, du bürgst für deine Freunde?«

»Ich bürge.«

»Also, ganz großen Tipp!«, begeisterte sich der Kanadier, der nur gebrochen Englisch sprach. »Kommt, meine Freunde! Ich führe euch zu dem, der alles weiß, wie es wird kommen! Zu dem Capt’n von blaue Partei!«

Die kleine Gruppe machte sich wieder auf den Weg. Das ganze Lager vor den Toren des Forts war schon auf den Beinen, und die Männer steuerten zusammen durch das Gewimmel von Menschen hindurch.

Das Spielfeld wurde eben abgemessen. Zwei Zelte waren als Tore einander gegenüber aufgestellt worden. Bei diesen Toren sammelten sich bereits die Spielmannschaften. Der lebhafte kleine Kanadier führte seine Begleiter zu dem im Norden aufgestellten Zelt. Innerhalb einer Gruppe von indianischen Spielern, die sich dort zusammengefunden hatten und ihre Stöcke schon zur Hand hielten, war ein riesiger Neger zu erkennen. Mit lebhaften Gesten instruierte er seine indianische Mannschaft.

»He! Bobby!«, schrie der Kanadier. »Bobby!«

Der Neger schaute zu der Gruppe her.

Tom ohne Hut und Schuhe riss die Augen weit auf. »Was seh ich! Das ist doch … das ist doch …«

Bei Toms Ausruf wurde auf dem lebhaft und intelligent wirkenden Gesicht des Afrikaners für den Bruchteil einer Sekunde ein Mienenspiel sichtbar, als ob er sehr unliebsam überrascht, vielleicht sogar tief erschrocken sei. Aber das ging so schnell vorüber, dass die vier Rauhreiter, auch Tom selbst, nicht darauf aufmerksam geworden waren.

Der Neger durchbrach, schnell gefasst, den Ring der Umstehenden. Mit einem Hochsprung setzte er über einige noch hinderliche Gestalten hinweg, dann war er bei Tom angelangt, umschlang den Bärtigen mit seinen starken Armen und presste ihn an die Brust. »Tom ohne Hut und ohne Schuhe! Oh, wahrhaftig! Was sehen meine glücklichen Augen! Tom ist da! Tom ohne Hut und Schuhe! Tom ist gekommen mit Hut und Schuhen!«

Dem Umarmten ging bei der stürmischen Begrüßung fast die Luft aus. »Tschapa Kraushaar!«, gurgelte er, »Tschapa Kraushaar! Erdrück mich nicht! Wo kommst du denn her?! Bist du nicht mehr bei …«

Der Neger küsste den Verblüfften und halb Erstickten wieder und wieder. »Tom, wir sehen uns wieder! Tom hat Hut! Tom hat Schuhe!«

»Ja doch, ja doch!«, Tom versuchte, aus der allzu stürmischen Umarmung herauszuschlüpfen. »Aber nun sag mir bloß …«

»Tom ist da! Tom ist da!«

»So nimm doch Vernunft an, Tschapa Kraushaar!«, schrie Tom. »Du erstickst mich noch!«

Der Neger gab Tom frei und betrachtete den alten Grenzer freundlich. »Tom ist da!«

Tom setzte seinen Hut wieder zurecht, tat einen tiefen Atemzug und fragte: »Du bist’s also wirklich, Tschapa Kraushaar! Wie kommst du hierher? Ich dachte, du bist bei der Bärenbande?«

Pitt fuhr auf. »Was hör ich? Bei den Bärenbanditen?«

»Da haben wir uns kennengelernt«, erläuterte Tom seelenruhig. »Als ich einmal bei dieser berüchtigten Abteilung der Dakota-Teton-Oglala gefangen war!«

»Und jetzt?« Pitt blieb argwöhnisch.

»O Tom! O Tom!«, rief der athletisch gebaute Neger mit dem freundlichen Gesicht immer wieder. »O Tom, o nein, ich nicht mehr Bärenbandit! Bobby nie mehr Bärenbandit sein! Nein, nein, nein!«

»Warum denn nicht?«, erkundigte sich Pitt, immer noch voller Misstrauen.

»Fremder weißer Mann mit kurzer Nase glaubt mir nicht? Aber Tom mir glauben! Was hat Tom gesehen in meinem Zelt, als er bei mir war? Sieben Weiber! Sieben Weiber und armen Bobby dazu! Bobby ist weggelaufen!«

Die Rauhreiter fingen an zu lachen.

»Es ist wahr«, bestätigte Tom. »Zu viele Witwen und Waisen haben sie bei der berüchtigten Bande. Es sind viele Männer umgekommen, im unaufhörlichen Kampf, auf der Jagd, und die hungrigen Mäuler in den Zelten bleiben übrig. Als ich gefangen war, musste ich auch so eine Witwe heiraten. Bin bald wieder ausgerissen! Und du bist deinen sieben Großmüttern, Tanten und Nichten entkommen, Kraushaar. Gratuliere! Du bist also kein schlauer Tschapa mehr, sondern unser Bobby geworden!«

Die beiden fielen sich wieder an die Brust.

»Vielleicht kommen wir heute noch mal zur Sache!« Pitt dachte an das Wettgeschäft und wurde ungeduldig. »Bobby, hör zu, du bist Capt’n beim Stockball? Bei der blauen Partei?«

»Bin ich! Bin ich!«

»Und wie steht’s? Siegt deine Mannschaft?«

»Soll ich sie machen siegen?«

»Was heißt das? Geht’s nicht ehrlich zu?«

»Ehrlich, ehrlich, ganz wahrhaftig!«

»Weißt du, wie die rote Partei spielt? Wer ist ihr Capt’n? Kennst du ihn?«

»Steht da drüben! Gewaltiger Indsman. Ein Ponka!«

Die Blicke richteten sich auf den Indianer, der in der Nähe des gegenüberliegenden Torzeltes stand. Er war groß, sehr schlank, in buntes Baumwollzeug, aber nicht geschmacklos gekleidet. Sein langes blauschwarzes Haar hatte er in Zöpfe geflochten. Das hagere Gesicht war bemalt. Die Farben waren so dick aufgetragen, dass sich die natürlichen Züge überhaupt nicht mehr erkennen ließen. In seinem Gürtel steckte ein Revolver. Sonst war keine Waffe an ihm zu sehen. In der Hand hielt er den Schlagstock, der einem Hockeyschläger ähnlich geformt war. Nicht weit von ihm stand seine Gruppe indianischer Stockballspieler.

»Was hältst du von ihm?«, drang Pitt in den Neger.

»Weiß nicht, meine Freunde, wie Jack der Ponka spielen will. Wenn er hat Laune, gut zu spielen, bin ich besiegt. Hat er Laune schlecht, treibe ich den Ball in sein Tor.«

»Laune gut! Laune schlecht! Laune schlecht! Laune gut! Sollen wir erst um die Laune eines Indsman würfeln?! Kann dem Kerl keiner Bescheid sagen, wie er zu spielen hat?!«

Bobby, der Athlet, zog die Schultern bis zu den Ohren hoch. »Kann ihm keiner Bescheid sagen! Jack der Ponka tut, was ihm passt. Soll ich ihn bitten, einen Tipp zu geben?«

»Ihr beiden Captains müsst was miteinander ausmachen!«, schlug Pitt vor. »Den Gewinn schöpfen wir zusammen ab!«

Der Neger wiegte den Kopf und zeigte die Perlenzähne. »Indianer immer halsstarrig! Aber ihr seid meine Freunde! Ich werde versuchen, mit Ponka zu reden!«

So ging die Gruppe, die nun schon aus sechs Mann bestand, am Rande des Spielfelds entlang zur anderen Partei hinüber.

Der Ponka schaute den Herankommenden entgegen. Er hatte den Spielstock in der Rechten und wippte leicht damit. Die blauschwarze Bemalung machte es unmöglich, einen Ausdruck in seinem Gesicht wahrzunehmen. Aus dem Spielen seiner Hand, aus der Haltung seiner Schultern, aus der halben Wendung des Kopfes sprachen aber betonter Hochmut und eine nur nachlässige Aufmerksamkeit.

»Jack!«, redete Tschapa Kraushaar den Indianer an, »hier bitten fünf ehrenwerte Gentlemen um deine Aufmerksamkeit! Sie möchten auf einen von uns wetten. Bisschen was gewinnen, bisschen lustig leben, ehe die vier da wieder zum Niobrara reiten müssen – willst du ihnen einen Rat geben?«

Der Ponka hörte auf, mit dem Spielstock zu wippen, und blieb einen Augenblick unbeweglich. Pitt schaute in das blauschwarz bemalte Gesicht, in diese Maske eines Menschen, hinter der selbst die Augen unter gesenkten Lidern verborgen blieben. Es rieselte ihm plötzlich kalt über den Rücken, und er griff unwillkürlich nach seinem Amulett. Aber er hatte nicht Zeit, weiter darüber nachzudenken, was ihn erschreckt hatte, denn der Indianer antwortete leise: »Bobby wird Sieger sein.«

Beim letzten Wort hatte er sich schon abgewandt, ließ die sechs stehen und ging daran, seine Spielergruppe einzuteilen.

Die Rauhreiter schauten sich verblüfft an.

»Das hat ja schnell funktioniert!«, meinte der kleine Josef. »Hier auf Randall geht wohl alles wie geölt! Gleich nach Sonnenaufgang beim Leutnant empfangen – Verstärkung schon zugesagt – und jetzt auf Anhieb der Tipp erteilt! Was hat denn der Ponka für einen Vorteil dabei, wenn er dich gewinnen lässt, Bobby?«

Der Neger lächelte überlegen. »Jack der Ponka hat gute Laune und ist Bobbys Freund!«

»Das versteh, wer will!«

»Los, los! Wir müssen jetzt schnell sein!«, flüsterte Pitt. »Überall erzählen, dass Jack der Ponka siegt! Dann steigt unsere Quote, wenn wir auf Bobby wetten. Bobby, du bist Gold wert!« Pitts offene Nasenlöcher wirkten in diesem Augenblick freundlich. Er roch Geld.

Die sechs verteilten sich, um den Wettschwindel zu organisieren. Kurz ehe das Spiel begann, trafen sie sich wieder und legten alle Geldbeträge zusammen, die sie nur irgend aufbringen konnten. Louis, der Kanadier, wurde als gemeinsamer Wettbankier gewählt. Bobby leistete eine erstaunlich hohe Einlage.

»Bobby Kraushaar!«, sagte Tom überrascht und strafend, »woher hast du so viel Geld? Bist du unter die Diebe gegangen?«

»Tom ohne Hut und ohne Schuhe! Ich habe ein wenig gehandelt.«

»Das hast du ja schnell gelernt.«

Louis, der Kanadier, ging mit den gesammelten Wetteinsätzen nicht zu dem zahnlosen Ben, über den sich die Rauhreiter geärgert hatten, sondern zahlte den Gesamtbetrag bei Johnny, dem großen fetten Händler mit dem schütteren Haar, ein, und zwar im letzten Augenblick vor Beginn des Spiels, damit sich die anderen Wetter nicht mehr danach richten konnten.

Der Neger begab sich zu seiner Mannschaft, die aus dreißig Mann bestand. Das Spiel setzte ein. Der harte kleine Ball wurde geschlagen und flog über den grasigen Boden. Die Spieler rannten gewandt und geschwind. Sie jagten aneinander vorbei und nahmen sich den Ball vom Stock weg. Bobby und Jack hielten sich noch zurück, doch wurde den Kennern schon klar, was in diesen beiden Spielern an Schnelligkeit, Wendigkeit und Umsicht steckte. Die Zuschauermenge vergrößerte sich rasch. Die Wetter feuerten die Spieler an. Nach den Soldaten kamen auch Offiziere aus dem großen Tor heraus. Einer folgte dem anderen, um dem immer lebhafter werdenden Spiel zuzuschauen.

 

Alle waren sehr überrascht, was für gute Mannschaften sich Bobby und Jack aus den bunt gekleideten, verluderten und versoffenen Indianern rings um das Fort zusammengestellt hatten. Auch unter den Indianern, die zuschauten, schlug plötzlich das Feuer des Stolzes hoch, als sie ihresgleichen gut spielen sahen. Aus ihren Reihen bildete sich spontan eine Ordnergruppe, die die Zuschauer von dem großen Spielfeld fernhielt.

Die beiden Mannschaftsführer gingen aus sich heraus und spielten hervorragend.

»Bobby! Bobby!«

»Jack! Jack!«

»Donnerwetter, können die spielen!« Louis, der Kanadier, war begeistert. »Da hätte ich mitmachen sollen!«

Nachdem die ersten drei Tore errungen waren und das Spiel 2:1 für die rote Partei stand, konnte fast zwei Stunden hindurch keine Partei mehr den Ball in das Zelt der anderen treiben.

Es war vorgesehen, das Spiel bis zum Einbruch der Dunkelheit fortzusetzen. Gegen Mittag wurde die erste längere Pause eingelegt. Es stand noch immer 2:1.

Da Jack der Ponka gleich zu Beginn der Pause verschwand, war es Bobby, der der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und Neugier wurde. Er gab den erstaunten Zuschauern und eifrigen Wettern ein Interview nach dem anderen. Sogar der Kommandant und der elegante Leutnant Roach fanden es nicht unter ihrer Würde, den »Nigger« anzusprechen. Die Spielstärke der beiden Mannschaften wurde allgemein diskutiert. Bobby heimste zahlreiche Zigarren und Zigaretten ein und orakelte freigebig und widersprechend über den Ausgang des Spiels. Als die Spieler sich ausgeruht hatten und das Spiel wieder aufgenommen werden sollte, war auch der Indianer wieder pünktlich zur Stelle.

»Den Jack und den Bobby scheint das nicht einen Tropfen Schweiß zu kosten!«, sagte ein Dragoner neiderfüllt. »So ’n Herz und so ’ne Sehnen wie die müsste man haben! Sagenhaft!«

Das Spiel wurde immer leidenschaftlicher. Mit hellen Schreien begleiteten die Zuschauer den Lauf der Spieler, ihre überraschenden Wendungen. Der Kommandant hatte auf Jack, der Leutnant hatte auf Bobby gesetzt, da der schmierige Josef ihm den Tipp verraten hatte. Als nach drei Stunden noch immer kein weiteres Tor gefallen war und eine Zwischenpause eingelegt wurde, schienen die erregten Zuschauer fast erschöpfter als die Spieler.

Bobby tänzelte, um seine Beine zu entspannen, und lachte. Er war sichtlich guter Stimmung. Jack warf sich hinter dem Torzelt der blauen Partei ins Gras und entzog sich damit dem Gesichtskreis der durcheinanderlaufenden und durcheinandersprechenden Zuschauer. Als Pitt hinter das Torzelt ging, traf er Jack jedoch nicht mehr dort an. Er schaute sich um und erblickte den Gesuchten auf einmal, wie er in aller Ruhe durch das Tor aus dem Fort herauskam. Die Zigarette, die er rauchte, hatte ein feines Aroma.

»Wo hat er die geschnorrt!«, schalt der Kurznasige. Er konnte keine weitere Feststellung treffen, denn das Spiel wurde wieder aufgenommen.

Jack lief glänzend, und schon gleich zu Anfang fielen zwei weitere Tore zugunsten der roten Partei. Der Kommandant zollte Beifall. Dann aber holten Bobby und seine Partei der Blauen auf. Fortwährend war der Neger mit seiner Mannschaft vor dem Zelt der Gegenpartei.

Es gab keinen Schiedsrichter. Die Ordnergruppe setzte sich gegenüber den Zuschauern durch, aber sie hatte keine Autorität über die Spieler. Diese beurteilten ihr Spiel selbst. Im Endkampf erwachten die Leidenschaften. Die Spieler gerieten handgreiflich aneinander, und Leutnant Roach wurde sehr nervös, als die Rufe der Spieler in ein Kriegsgeschrei der um den Ball kämpfenden Parteien übergingen. Bobby und Jack verloren die Ruhe jedoch nicht. In offenbar bestem Einvernehmen warfen sie das Spielerknäuel auseinander, wobei es nicht anders als in einem Ringkampf zuging.

Als es dämmerte, fiel das letzte Tor. Bobby hatte 5:4 gewonnen.

Der Beifall war dünn. Zu viele Wetter, die auf Jack gesetzt hatten, sahen sich enttäuscht. Die Quote für die Wetten auf Bobby stand 83:10. Die Sechsergruppe der Wetter strich hochbefriedigt ihr Geld ein; auch der Leutnant war zufrieden. Die ermüdeten Spieler begaben sich in ihre Zelte. Die Soldaten und Offiziere gingen in das Fort zurück.

»Die beiden Captains sollten wir im Auge behalten«, bemerkte der Kommandant dabei zu Roach, »eventuell als Läufer für uns.« Pitt hörte die Bemerkung mit.

Roach drückte als Untergebener die Zustimmung zur Meinung seines Vorgesetzten aus, obgleich ihm bei dem Vorschlag seines Kommandanten nicht ganz wohl zu sein schien. Pitt aber beschloss, den Vorschlag des Kommandanten bei Roach zu unterstützen. Nachdem die beiden Spielführer Wort gehalten hatten und Pitt seinen Gewinn einstrich, vergaß er jegliches Grauen vor dem Indianer.

Eisschollen treibend, floss der Missouri in seinem breiten Bett dahin. Die Sterne flimmerten, eisig wehte der Nachtwind. Soweit sich die Pferde im Freien befanden, drängten sie sich wärmesuchend aneinander. Die Soldaten gingen in ihre Unterkünfte. Die Posten wachten wieder aufmerksamer. Leutnant Roach stellte mit Schrecken fest, dass er vergessen gehabt hatte, sein Zimmer abzuschließen. Aber es schien alles in Ordnung, nichts fehlte ihm außer einer von seinen besten Zigaretten. Aber vielleicht hatte er sich auch verzählt. Er redete sich ein, dass tatsächlich nur noch acht lose Zigaretten übrig gewesen seien, als er das Zimmer verlassen hatte, und atmete auf.

Gegen Jack wurden viele abfällige und unzufriedene Bemerkungen laut, er habe zum Schluss nachlässig gespielt und seine gesamte Mannschaft dadurch entmutigt. Aber den Ponka schien weder die Meinung seiner Mitspieler noch die der Zuschauer zu kümmern. Er ließ sich von Bobby noch einige gute Zigaretten abgeben. Pitts Einladung zu einem abendlichen Drink lehnte er mit der Begründung ab, dass er ermüdet sei und schlafen wolle. Geld kassierte er nicht ein. Er hatte überhaupt nicht gewettet.

»Spleeniger buntbeschmierter Kauz!«, fasste Bill die allgemeine Meinung zusammen.

Pitt kam in sein Element; er spielte den großen Mann und gab in der Gaststube des Forts seinen gesamten Wettgewinn für Brandy aus. Nach Mitternacht fand er mit den drei Rauhreitern vom Niobrara zusammen in einer Mannschaftsunterkunft Quartier. Im Bewusstsein, ein paar Tage Ruhe vor sich zu haben, schliefen und schnarchten alle zufrieden. Die Schrecken der Prärie waren für den Augenblick vergessen.

Als die Nacht vorüber war und die Sonne wieder aufging, hielt eine kleine Abteilung Dragoner schon zu Pferd vor dem Tor, bereit zum Aufbruch und zum Ritt nach Yankton. Der Rappe für Leutnant Roach wurde von Pitt bereitgehalten, der selbst schon zu Pferd saß. Vorn bei der kleinen Truppe standen Jack und Bobby. Pitt, der sich als Kurier fühlte und sich von jeglichem Spähdienst entlasten wollte, hatte Leutnant Roach noch beim Frühstück darin bestärkt, den Ratschlag des Kommandanten zu befolgen und den Neger sowie den Ponka als Läufer und Späher anzuwerben. Obgleich auf dem Weg von Fort Randall bis Yankton am Missouri keinerlei Gefahren zu drohen schienen, hatten die Berichte des Majors Smith in dem eleganten Leutnant eine Empfindung geweckt, in Grenznähe zu sein. Pitts Rat hatte daher an diesem Morgen bei Roach ein offenes Ohr gefunden.

Bobby Kraushaar, der athletische freundliche Neger, stand in wartender Haltung bei Pitt und dem Pferd des Leutnants und schaute nach dem Tor, aus dem Roach kommen musste. Eben war der Schritt des Leutnants zu hören. Roach dankte dem Gruß der Wache in seiner saloppen Weise, kam herbei und schwang sich auf seinen Rappen, mit leichter Bewegung, durch die die Eleganz seines Äußeren unterstrichen wurde. Während er das Tier antrieb, gab er den beiden Spähern mit der Reitpeitsche ein Zeichen, vorauszulaufen. Es war ein Zeichen, wie es gegenüber Sklaven üblich gewesen war. In Bob waren mit einem Schlage Erinnerungen aus seiner schweren Kindheit wach. Die Striemennarbe eines Peitschenschlages brannte wieder, und wenn Leutnant Roach sich die Mühe gemacht hätte, in das Gesicht des Mannes zu blicken, würde er in diesem Augenblick etwas ganz anderes als Freundlichkeit darin wahrgenommen haben. Ein gleicher Versuch, in den Mienen des Ponkas zu lesen, wäre aber auch jetzt vergeblich geblieben. Der Indianer hatte gleichmütig gewartet, bis der Leutnant kam. Er hatte den Lauf schon aufgenommen, ehe Roach mit der Peitsche winkte. Das Gesicht des Indianers war mit einer neuen, sorgfältig überlegten Fratzenmalerei, in Schwarz, Blau und Weiß, bedeckt. Während Bobby mit nacktem Oberkörper lief, hatte Jack über das Hemd sogar noch einen Poncho gezogen.