Verliebt in meinen Feind

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Verliebt in meinen Feind
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Lisa Torberg &

Laura Gambrinus

Verliebt in meinen Feind

Liebesroman

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Das Buch

Die Autorinnen

Prolog

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Epilog

Glossar

Schlusswort der Autorinnen

Quellenangaben

Impressum

© 2019 Laura Gambrinus & Lisa Torberg

(2. überarbeitete Auflage)

Laura Gambrinus & Lisa Torberg

c/o Papyrus Autoren-Club

Pettenkoferstr. 16-18

10247 Berlin (Germany)

Covergestaltung: Casandra Krammer

Cover erstellt unter Verwendung von Motiven von © Maridav (Depositphotos), © Vector-Stock & © Alex Gontar (Shutterstock)

Korrektorat: SW Korrekturen e.U. (Teilkorrektorat) & Sabine Steck

Layout & Erstellung eBook & Taschenbuch: Lisa Torberg

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorinnen. Alle in diesem Roman vorkommenden Personen, Ereignisse und die Handlung sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen wären rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Das Buch

Der junge Unternehmer Daniele wird von seinem machtbesessenen Bruder nach Verona geschickt, um einem konkurrierenden Unternehmen den Garaus zu bereiten. Dass er dabei die berufliche Existenz anderer Menschen zerstören soll, interessiert ihn nicht. Er will diese unangenehme Sache nur rasch zum Abschluss bringen, um sich endlich der Erfüllung seines Lebenstraumes zu widmen. Als er unter Vorspiegelung falscher Tatsachen das renommierte Fitnesscenter betritt, trifft er ausgerechnet auf seine Feindin, die um mehrere Jahre ältere Giulia. Überraschend tauchen plötzlich Bedenken auf – und kurz danach auch seine Verlobte. Als er dann Giulia auf einem Konzert an der Seite eines Mannes trifft, der ganz offensichtlich nicht ihr Bruder ist, geschieht Unvorhersehbares.

Dieser spritzige, humorvolle und romantische Liebesroman entspringt der Feder der beiden Bestseller-Autorinnen Laura Gambrinus und Lisa Torberg, die außer ihrer Freundschaft auch ihre italienische Heimat vereint.

Anmerkung: Die in diesem Roman beschriebenen, für manche vielleicht etwas sonderbar anmutenden Situationen entsprechen italienischen Gepflogenheiten und italienischer Rechtslage. Ein ausführliches, erklärendes Glossar zu italienischen Ausdrücken und italienischer Lebensart findet sich am Ende des Buches ... und zudem eine Überraschung für all unsere Leserinnen und Leser, die bis dorthin gelangen.

Die Autorinnen

Laura Gambrinus kann nicht erklären, wie sie zum Schreiben gekommen ist, denn eigentlich kam das Schreiben eines Tages zu ihr. Ihre Welt sind die Worte - gelesen oder selbst geschrieben. Den Jugendjahren längst entwachsen, erzählen ihre Geschichten eher von etwas reiferen Protagonisten. Manche von ihnen haben nicht nur schöne Erfahrungen gemacht und müssen diese für ein neues Glück erst einmal verarbeiten.

In Bayern geboren und aufgewachsen, hat es Laura vor einigen Jahren ins Land ihrer Sehnsucht verschlagen: Sie lebt und schreibt in ihrer Wahlheimat Italien. Hier findet sie die wunderbaren Locations, die sie zu ihren romantischen Liebesromanen inspirieren.

Lisa Torberg schreibt romantische, teils humorvolle, teils sarkastische, und – unter dem Pseudonym Monica Bellini – prickelnd-sinnliche Liebesromane. Sie ist das typische Resultat der Beziehung zweier Menschen verschiedener Kulturen: polyglott, mehrsprachig und nirgends wirklich daheim. Oder eben überall.

Sie zieht die Ruhe dem Trubel vor, mag das Leben an der frischen Luft und das Meer. Allerdings nur im Winter oder wenn sie an Bord eines Segelschiffs ist, und nicht, wenn sie wie eine Sardine am Strand liegen muss.

Lisa Torberg lebt teils in ihrer italienischen Heimat, teils in London, der Heimatstadt ihrer Mutter, und schreibt nach der Devise: Die Liebe ist das einzige Spiel, bei dem es zwei Verlierer geben kann. Oder zwei Gewinner.”

Der Feind steht im eigenen Lager.

Karl Liebknecht

(1871 – 1919)

Prolog


Bologna, das AvVentura-City-Center an einem Mittwochabend

»Was ist denn hier los?«

Filomena, eine ältere Dame, die das AvVentura-City-Center schon seit langem besuchte, um hier mit sanften Übungen ihrer Arthrose entgegenzuwirken, murmelte diese mehr an sich selbst gerichtete Frage leise vor sich hin, während sie sich mühsam einen Weg zu ihrem Spind bahnte. Um sie herum summte und dröhnte es wie in einem Bienenschwarm, und sie fragte sich nicht zum ersten Mal in ihrem Leben, wie es diese jungen Hühner nur schafften, alle gleichzeitig drauflos zu plappern und dennoch irgendwie miteinander zu kommunizieren. Oder taten sie das etwa gar nicht? Jede schien Selbstgespräche zu führen, obwohl sie einander beim Schnattern doch ansahen.

Doch - Halt! Junge Hühner?

Ungläubig sah sie sich um. Die Altersschere klaffte weit auseinander. Zwischen fünfzehn und fünfzig schien an diesem frühen Abend alles in der Damenumkleide des edlen Fitnesscenters vertreten zu sein, was gerade nicht Hausaufgaben machen, den Ehemann bekochen oder die Enkelkinder hüten musste. Knallbunte Oberteile, nicht wenige bauchfrei, mit frechen Fransen, eng anliegend oder raffiniert ausgeschnitten, wuselten an ihr vorbei, ergänzt von ebenso bunten, engen, langen oder kurzen Leggings und Caprihosen. Eine trug sogar nur einen Sportbra und dazu absichtlich schlampig hochgekrempelte Cargos, deren giftgrüne Taschenbänder bei jeder Bewegung ihres Wackelpos hin und her schwangen.

Filomena sah vorsichtig um sich, während sie langsam und bedächtig ihre Turnkleidung gegen die Straßensachen tauschte. Dort stand eine vor dem Spiegel und schminkte sich. Vor der Sportstunde? Neben ihr hatte eine andere, nicht mehr ganz taufrische Maid den Lockenstab ausgepackt und bearbeitete ihre langen, schwarz gefärbten Haare. Warum gerade jetzt? Eine dritte, den eigenen beleuchteten Schminkspiegel in der Hand, tupfte sich blitzenden Glimmerflitter auf die Wangenknochen. Aber sie würde doch gleich schwitzen!

Sachte und unauffällig mit dem Kopf schüttelnd packte Filomena ihre Sachen in die Sporttasche, setzte sich auf die Bank und schlüpfte in ihre Schnürschuhe. Gesprächsfetzen drangen an ihr Ohr, ohne dass sie diese einer bestimmten Person zuordnen konnte.

»Die erste Piloxingstunde überhaupt im AvVentura

»Und dann hält sie auch noch der Chef persönlich!«

»Ist es denn wirklich sicher, dass er selbst kommt?«

»Ja klar - hast du denn den Aushang nicht gesehen? Da stand doch dick und fett ›Piloxing mit Daniele‹.«

»Jetzt verstehe ich, warum es heute Abend hier so voll ist.«

»Auch schon wach? Wir alle reden doch schon seit Tagen über nichts anderes mehr, hast du das denn nicht mitgekriegt?«

»Nein, aber was für ein Glück, dass ich zufällig doch hier bin!«

»Hach, Daniele! Der könnte Stricken unterrichten und alle würden sabbern dabei.«

»Bei dem Hintern ist das ja schließlich kein Wunder!«

»Nicht nur der Hintern! Ich finde ja diese Narbe an seinem Kinn so scharf.«

 

»Scharf? Eine Narbe!«

»Ja, das törnt mich unheimlich an!«

»Denkst du denn nur an das Eine

»Und hast du etwa keine Augen im Kopf?«

»Doch, aber ich schau ihm auch mal woandershin.«

»Zum Beispiel?«

»Na, gerade hast du es doch gesagt: die AUGEN! Hast du nicht gesehen, wie wunderschön seine sind? Zum Dahinschmelzen.«

»Ach was, du wieder.«

»Ja, dich hat er ja auch noch keine zwei Mal angesehen.«

»Dich etwa schon?«

»Dreimal, wenn du es genau wissen willst.«

»Was ist Piloxing überhaupt?«

»Soll eine Mischung aus Boxen und Pilates sein, hab ich gehört.«

»Wenn du es nicht weißt, warum willst du es dann machen?«

»Um es kennenzulernen? Du bist darin natürlich schon wieder italienische Meisterin ...«

»Mädels, kriegt euch wieder ein. Ihr wisst doch - solange Cinzia hier mitmischt, sieht er sowieso keine andere an.«

»Ja, schade. Was er an der nur so toll findet?«

»Die Firma ihres Vaters vielleicht?«

»Spinnst du? Daniele ist nicht so einer!«

»Nein? Was für einer ist er dann?«

»Ein Romantiker, der an die wahre Liebe glaubt.«

»Hahaha - und das weißt du, weil ...?«

»Leute, kommt in die Gänge - es ist eine Minute vor sieben. Wenn wir vor ihm im Saal sein wollen, müssen wir uns beeilen.«

»Wo ist Cinzia eigentlich?«

»Cinzia?«

»Ist Cinzia nicht hier?«

»Cinzia fehlt heute?«

»Dann haben wir ja endlich mal eine Chance, dass er auftaut.«

»... und eine andere genauer ansieht!«

»Glaubst du das wirklich?«

»Der ist doch treu wie Gold!«

»Los, los, los, raus hier und rüber in den Tanzsaal ...«

Um Filomena kehrte schlagartig Stille ein. Sie atmete auf. Bedächtig band sie sich den zweiten Schnürsenkel zu, kämmte sich ordentlich das grau melierte Haar, schlüpfte geruhsam in ihre dunkelblaue, mit den Jahren etwas formlos gewordene Windjacke und band sich den Schal um den Hals. Falls es nachher draußen windig war, wollte sie lieber vorgesorgt haben. Dann nahm sie ihre Sporttasche und hängte sie sich über die Schulter, kontrollierte sorgfältig, ob sie auch nichts vergessen hatte, und verließ den weitläufigen Umkleideraum, der in den letzten fünf Minuten endlich wieder ihr allein gehört hatte.

Vom anderen Ende des Ganges war rhythmische Musik zu hören. Das Geschnatter der Jüngeren hatte sie neugierig gemacht, also folgte sie den Klängen und spähte vorsichtig durch die verglaste Tür in den Saal. Es war der größte, den AvVentura überhaupt zu bieten hatte, und er war voll.

Ganz vorne, kaum zwei Schritte von der Spiegelwand entfernt, machte derjenige, um den sich in der letzten Viertelstunde jeder Gedanke und jedes Gespräch in der Damenumkleide gedreht hatte, die Übungen vor: Daniele Barbieri, Mitinhaber der AvVentura-Gruppe. Sie erinnerte sich gut an ihn, hatte ihn schon öfter gesehen, wenn sie ihr Training absolvierte. Von der Hysterie der anderen angesteckt, riskierte nun auch sie einmal einen Blick auf seine viel besprochene Kehrseite, als er sich bewegte und drehte. Oh ja, durchaus sehenswert, soweit sie das beurteilen konnte. Aber sie hatte diesen jungen Mann ja immer schon gemocht, seit sie ihn das erste Mal gesehen hatte. Er war freundlich, wohlerzogen, nie schlecht gelaunt, hatte immer ein offenes Ohr für andere, und sie selbst hatte schon mehrfach von ihm gute Tipps bekommen, wie sie die eine oder andere Trainingsaufgabe besser bewältigen konnte. Ein wirklich lieber Junge, der trotz seiner vielen Aufgaben immer geduldig und ausgeglichen blieb.

Sie seufzte leise. Na ja. Junge war er zwar keiner mehr, nicht einmal aus ihrer eigenen, zugegeben schon sehr reifen Sicht. Aber anstelle des Hallodris, den ihre Tochter sich ausgesucht hatte, wäre er ihr als Schwiegersohn wesentlich ...

Sie dachte den Gedanken nicht zu Ende, seufzte tief auf und ging endlich nach Hause.

Verona, das Fitnesscenter Oasi di Giulia am selben Mittwochabend

»Sieh mal, Giulia - es ist noch eine Anfrage von einem Seniorenheim gekommen. Sie wollen wissen, ob du auch bei ihnen deine Senioren-Fitness anbieten könntest.«

»Lass mal sehen, Annarita. Wenn das so weitergeht, dann bin ich mehr außer Haus als hier bei euch im Studio.«

»Es spricht sich eben rum, wie gut du mit Menschen jeden Alters umgehen kannst.«

»Bläst du mir da gerade Puderzucker in den ... du weißt schon!«

»Nein«, lachte die junge Frau hinter ihrem Rezeptionstresen. »Ich sag dir nur die Wahrheit, aber das weißt du ja.«

»Ich überlege es mir. Aber jetzt sieh zu, dass du nach Hause kommst, es ist schon nach acht. Ich habe um halb neun noch eine Stunde Pilates und wollte Gipsy anschließend beim Umräumen der Massagekabinen helfen.«

»Musst du das heute noch machen? Du kommst ja keinen Abend mehr vor zehn hier raus!«

»Ach, das macht nichts. Du weißt ja, die Oasi ist mein Leben. Und jetzt - husch, husch!«

Um viertel nach zehn war Giulia Gudmundsdottir mal wieder die letzte, die die Oasi di Giulia verließ. Vorher aber durchstreifte sie ihr Fitnessstudio vom Schwimmbad im Untergeschoss bis hinauf in die Wellnessabteilung. Sie kontrollierte die Umkleiden, um nicht etwa versehentlich ein verspätetes Mitglied einzuschließen, achtete auf vergessene oder verlorene Gegenstände und prüfte bei allen Massageliegen, ob die Heizdecken auch wirklich ausgeschaltet waren. Verträumt sah sie aus dem Fenster. Von dort aus dem oberen Stockwerk hatte sie einen schönen Blick auf die Altstadt.

Jetzt, Ende September, wurde es schon wieder spürbar früher dunkel. Die Straßenlaternen tauchten Verona, ihre romantische Heimat, die Stadt von Shakespeares Romeo und Julia, in ein sanftes, gelbliches Licht. Nur noch wenige Menschen eilten über die Straßen, die meisten saßen nun wohl bereits in ihren Häusern und Wohnungen, bei ihren Familien und Partnern, hatten gemeinsam zu Abend gegessen und machten es sich jetzt miteinander irgendwo gemütlich.

Giulia räusperte sich.

Keine Zeit, jetzt melancholisch zu werden, nur weil sie all das nicht hatte. Und vielleicht auch nie haben würde.

Aber - immerhin hatte sie Carlo.

Carlo. Unmerklich zogen sich ihre Mundwinkel ein wenig nach unten. Als es ihr bewusst wurde, steuerte sie mit einem absichtlichen Lächeln dagegen, um sich selbst zu besserer Laune zu bringen. Sie hatte mal irgendwo gelesen, dass das half.

Energisch stieß sie sich von der Wand ab, an der sie lehnte, und beendete ihren Rundgang. Wie sie vorhin zu Annarita gesagt hatte: Das hier war ihr Leben. Und nicht nur das.

Es war vielmehr ihr Lebenswerk.

Das, was sie schon immer hatte tun wollen und wofür sie dankbar war. Sie liebte es, mit Menschen zu arbeiten, denen sie helfen konnte, ob es nun die Kindergarten-Spiel-Sportstunden waren oder das Senioren-Programm in den Altersheimen, die sie auch heute wieder, wie jeden Mittwoch, besucht hatte. Sie liebte es, zu helfen und für andere da zu sein. Und sie liebte es, sich zu bewegen und ihren eigenen Körper mit Sport an den Rand seiner Möglichkeiten zu treiben. All das konnte sie hier perfekt vereinen und umsetzen. Und für ihre Grundbedürfnisse als Frau hatte sie Carlo.

Dass dieser, wie ein leise nagendes Stimmchen in ihrem Hinterkopf anmerkte, nur für ihre körperliche Befriedigung zur Verfügung stand und ihrem Herzen nichts zu geben hatte, musste ja keiner wissen. Wenn sie Wärme und Emotionen brauchte, waren da immer noch ihre Eltern und ein paar wenige, handverlesene Freunde. Lieber eine nüchterne, körperbetonte Beziehung als all dieses Liebesdrama, das eine unpassende Amour fou mit sich brachte.

Giulia verriegelte gewissenhaft das Portal zu ihrer kleinen Welt, wischte sich einen befremdlichen Tropfen Feuchtigkeit aus dem Augenwinkel und fuhr unter dem funkelnden Sternenhimmel Norditaliens nach Hause.

Eins


Im Normalfall würde er jetzt auskuppeln, die Hände in perfekter, in der Fahrschule eingebläuter Zehn-vor-zwei-Stellung auf das Lenkrad legen, sich im Sitz zurücklehnen und abwarten. Aber da hier und heute einfach nichts der Alltagsroutine entsprach, presste Daniele Barbieri das Kupplungspedal bis zum Anschlag durch, trat mit dem rechten Fuß auf das Gaspedal und ließ den 2,8-Litermotor seines Wrangler Jeeps röhrend aufheulen. Dass sich der Stau deshalb nicht auflöste, war das Tüpfelchen auf dem i an diesem besch... Tag. Und so schlug er, seinem sonst sanften und ausgeglichenen Gemüt zum Trotz, mit den Handflächen hart auf das Steuerrad und schrie laut Merda. Dass ihm die Verwendung von Schimpfwörtern an sich gar nicht entsprach, konnte die alte Frau mit dem gebeugten Rücken, die soeben vor seinem Wagen die Straße überquerte, nicht wissen. Der Klang seiner dunklen und zornigen Stimme drang durch das geöffnete Autofenster nach draußen und das arme Weiblein zuckte zusammen. Vor lauter Schreck ließ sie die Plastiktüte fallen, in der sich ihre - unglücklicherweise - runden und daher zum Rollen fähigen Einkäufe befanden. Rotwangige Äpfel und dunkelgelbe Kartoffeln kullerten auf dem Asphalt in jede Richtung davon. Das war der Moment, in dem Daniele zu sich kam, die Fahrertür aufriss, aus dem Fahrzeug sprang und in der Einbahnstraße auf allen vieren herumkroch, um die entwischten Früchte und Knollen einzufangen. Als er dann, reumütig wie ein Pennäler, vor der konsternierten Frau stand, rückte diese ihren gebeugten Rücken gerade, straffte die Schultern, kommentierte seine Entschuldigung mit einer wegwerfenden Handbewegung und sah ihn strahlend an.

Sie tat so, als ob die etwa vierzig Jahre, die zwischen ihr und dem ausnehmend attraktiven jungen Mann, wie sie ihn nannte, einfach nicht existierten, und flirtete ihn auf Teufel komm raus an. Verlegen sah er sie aus seinen braunen Augen an und wirkte dabei wie Bambi, das von seiner Mutter einen Rüffel erhielt. Das wurde ihm jedoch erst klar, als er eine faltige, jedoch kräftige Hand auf seinem Unterarm spürte.

»Erlauben Sie mir, dass ich den Schaden ersetze?«, fragte er hastig und griff, ohne eine Antwort abzuwarten, an die rückwärtige Tasche seiner Jeans, die so eng saßen, dass er die Brieftasche nur mit Mühe hervorziehen konnte.

»Es ist doch gar nichts passiert!«, erwiderte das Weiblein mit einem Augenaufschlag, als er ihr einen Zehneuroschein in die Hand drücken wollte. »Aus den Äpfeln mache ich sowieso Apfeltorte mit Zimtsoße für meine Enkel und aus den Kartoffeln Püree! Aber vielleicht darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten und ein Stück Kuchen, ich wohne gleich dort vorne«, fuhr sie fort und deutete in die Richtung, in die er eigentlich fahren wollte. Plötzlich erschien Daniele die zerbrechliche Frau alles andere als das, auch nicht mehr wirklich alt, jedoch ziemlich determiniert. Doch was auch immer sie sich vorstellte, als sie versuchte, ihn in ihre Wohnung zu bekommen, es blieb bei der Intention. Denn endlich setzte sich die Schlange der wartenden Autos in Bewegung, und Daniele dankte dem Schicksal, das ihm am heutigen Tag zum ersten Mal gnädig gestimmt war. Er rief dem Weiblein einen entschuldigenden Gruß zu, sprang in den Wagen und gab Gas, noch bevor die Fahrzeugtür ins Schloss fiel. Im Rückspiegel erkannte er das enttäuschte Gesicht, mit dem sie ihm nachsah.

Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Ein Weibsbild, das seine Großmutter sein konnte und ihn anhimmelte wie eines der pubertierenden Mädchen, die aussahen wie Klone von Victoria Justice, Ariana Grande oder Paris Hilton und seine Kurse besuchten.

Nicht nur, dass er seit fünf Tagen in Verona war, weil Franco ihn dazu verdonnert und er diesmal einfach keine schwerwiegenden Gegenargumente gefunden hatte. Sein Bruder hatte alles widerlegt, was er hervorbrachte. Der nächste Triathlon fand erst in einem halben Jahr statt, und ob er in Bologna oder Verona trainierte, war egal. Die administrativen Aufgaben, die er innerhalb des Unternehmens hatte, konnte er von überall aus wahrnehmen, war doch sein Bruder auf Danieles ausdrücklichen Wunsch hin der Ansprechpartner für Geschäftspartner, Banken und die Medien. Außerdem sprach er immer wieder davon, wie sehr er den Smog und den Nebel seiner Heimatstadt hasste, vor allem jetzt, wo der Herbst unmittelbar vor der Tür stand. Und als Trainer arbeitete er sowieso nur zum Ausgleich für seine sitzende Tätigkeit, tat es mit mehr Hass als Liebe und nahm zudem jemandem den Job weg, der mit dem Verdienst möglicherweise eine vierköpfige Familie ernähren konnte. Und genau das war der ausschlaggebende Punkt gewesen, an dem er eingeknickt war und nachgegeben hatte. Tatsächlich gab es eine Liste von Fitnesstrainern, die mit Freude eine Stelle in einem der vielen Fitnesscenter von AvVentura in Italien einnehmen würden. Außerdem gingen ihm vor allem die neu eingeführten Piloxing-Sessions in letzter Zeit ziemlich auf die Nerven. Erstens schienen zu seinen Terminen sämtliche Männer zu verschwinden, und er erkannte bei jedem Blick in die spiegelverkleidete Wand, dass die anwesenden Frauen, egal welchen Alters, nur auf seinen Hintern starrten. Kam er durch die Tür in den Saal, stand immer zumindest eine dort, die ihn wie zufällig streifte, und mehr als einmal war der berührte Körperteil sein bestes Stück gewesen. Wahrscheinlich hatte er auch deshalb immer wieder Cinzias Drängen nachgegeben, mit deren Vater, einem Sportartikelhersteller, sein Bruder in enger Geschäftsverbindung stand. Im Laufe des Sommers war aus dem flüchtigen One-Night-Stand ein Hin-und-wieder-Stand geworden. Dass diese Geschichte mittlerweile innerhalb des AvVentura-City-Centers und darüber hinaus bekannt war, empfand er jedoch nicht unbedingt als angenehm, und so hatte er Franco nachgegeben.

 

Die möblierte Wohnung, die sein Halbbruder durch ein Maklerbüro angemietet hatte, noch bevor er der Mission zustimmte, befand sich unweit des Stadtzentrums von Verona, dabei hasste Daniele nichts mehr als Asphalt, Beton und Menschenmassen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er sich ein kleines Haus nordwestlich der Provinzhauptstadt gemietet, irgendwo zwischen den Weinbergen von Valpolicella und Bardolino, vielleicht sogar mit Blick auf den Gardasee. An einem abgelegenen, ruhigen Ort, wo man am Morgen vom Gezwitscher der Vögel geweckt wurde und noch vor dem Frühstück über Waldwege joggen konnte. Stattdessen hatte ihn heute der Krach des Müllwagens aus dem Schlaf gerissen, da das Apartment straßenseitig lag und er als Frischluftfanatiker einfach nicht bei geschlossenen Fenstern schlafen konnte. Das war um fünf Uhr gewesen, und nachdem er sich noch zehn Minuten vergeblich damit abgemüht hatte, wieder einzuschlafen, war er missmutig aufgestanden. Er hatte seinen Morgenlauf bereits zum vierten Mal auf den geteerten Gehwegen des Viertels absolviert, wo er unzähligen Mülltonnen ausweichen und die Abgase der vorbeifahrenden Fahrzeuge inhalieren musste.

Währenddessen hatte er zum wiederholten Male Franco verflucht, der ihn immer noch wie einen kleinen grünen Jungen behandelte, obwohl er bereits dreiunddreißig Jahre alt war. Sie waren Halbbrüder und so unterschiedlich, wie zwei Menschen nur sein konnten. Als Francos Vater starb, war dieser sechs Jahre alt gewesen und hatte unheimlich unter dem Verlust gelitten. Doch zwei Jahre später trat ein neuer Mann in sein Leben, heiratete seine Mutter und liebte ihn vom ersten Moment an wie einen eigenen Sohn. Der kleine Bruder, der nur wenige Tage nach seinem neunten Geburtstag zur Welt kam, war ihm von Anfang an ein Dorn im Auge. Zuerst war es die Angst, dem Stiefvater nicht so viel wert zu sein wie der Kleine, der sein echter Sohn war, und Jahre später, als schon längst klar war, dass Signor Barbieri zwischen den beiden Jungen absolut keinen Unterschied machte, war es die Natur, die sich einmischte:

Daniele war einen Meter neunundachtzig groß, gut gebaut, hatte ein angenehmes Wesen, war rundum beliebt und konnte seine gesamte Freizeit mit Sport verbringen, da ihm alles zuflog und er auch ohne zu lernen beste Noten errang. Franco blieb hingegen zehn Zentimeter unter der Größe seines Bruders stehen, lernte Tag und Nacht verbissen, um gute Resultate zu bringen, und hasste aktiven Sport so sehr, wie er passiven liebte, was man ihm auch ansah. Sein Körper war untersetzt und schwabbelig, die Hände stets schweißnass, weshalb er ständig ein Stofftaschentuch mit handgesticktem Monogramm zwischen den Fingern drehte. Am Tag, an dem Franco das Studium der Wirtschaftswissenschaften abschloss, war er der einzige der Mittzwanziger, der am Oberkopf kahl war und einen matschbraunen Haarkranz aufweisen konnte, der seinem sowieso schon rundlichen Gesicht noch mehr Fülle verlieh. Zum Ausgleich erhielt aber von allen Studienabgängern nur er eine Auszeichnung und gründete noch im gleichen Jahr das erste Fitnesscenter in Bologna. Das Geld dafür hatten er und Daniele nach dem Tod des mütterlichen Großvaters geerbt. Damals war er noch auf dem Gymnasium und nicht volljährig, vertraute jedoch bereits voll auf die unternehmerischen Fähigkeiten seines großen Bruders. Er wollte auch, dass das Unternehmen AvVentura hieß. Ventura war Francos Nachname, den er zum Andenken an seinen viel zu früh verstorbenen Vater auch nach der Heirat seiner Mutter mit Signor Barbieri, der ihn adoptiert hatte, weiterführte. Kombiniert mit den beiden vorangestellten Buchstaben Av, entstand das Wort AvVentura, was auf Italienisch Abenteuer bedeutet. Einen besseren Namen für ein Fitnesscenter konnte man sich kaum wünschen, meinte Daniele damals, und ihre Mutter stimmte zu. Sie sah in diesem Schritt die beste Möglichkeit, um die beiden unterschiedlichen Söhne einander näherzubringen, und gab den Betrag frei, den sie für den Minderjährigen verwaltete. Und Franco machte seine Sache gut. Mehr noch. Innerhalb von drei Jahren besaßen sie bereits vier Fitnesscenter in ihrer Region, der Emilia-Romagna, und eines in Rom. In dem Jahr, in dem Daniele das Studium der Sportwissenschaften abschloss, das war sieben Jahre nach der Eröffnung des ersten Standorts, hatten sie sich bis nach Neapel, Venedig, Mailand und Genua ausgedehnt. Das alles war Francos Verdienst, der zwar kein bewegungsfreudiger Mensch, sondern ein Schreibtisch-Potatoe war, wie ihn seine Mutter nannte, jedoch ein sehr bewegliches Gehirn sein Eigen nannte. Obwohl die unterschwellige Eifersucht des Größeren für das unverschämt gute Aussehen des Jüngeren immer wieder an die Oberfläche trat, hatten sie in den vergangenen zehn Jahren, seitdem auch Daniele aktiv in das Unternehmen eingestiegen war, die nahezu perfekte Art der Zusammenarbeit gefunden und waren mittlerweile mit AvVentura auf dem gesamten Staatsgebiet vertreten. Die einzige Stadt mit mehr als einhunderttausend Einwohnern, die ihnen noch fehlte, war Verona, wo es seit Jahren keine freien Lizenzen für Fitnesscenter gab. Offenbar schauten die Veroneser auf ihre Körper, weshalb die Unternehmer der Fitnessbranche alle gut verdienten, also hatte Franco zum zuständigen Beamten der Stadt an der Etsch Kontakt aufgenommen. Stundenlange Telefongespräche waren einem persönlichen Treffen in einem Luxusrestaurant vorausgegangen, an dessen Ende die beiden Männer zwar volle Bäuche hatten, die Antwort jedoch immer noch die gleiche war. »Nichts zu machen!«

Und so hatte Franco Ventura, der nicht nur dem Namen nach, sondern auch als Geschäftsmann ein Abenteurer war, einen Plan gefasst, den nun sein Bruder umsetzen sollte. Der sollte in Verona heimisch werden und den Feind ausspionieren. Es ging darum, Fakten vor Ort zu beschaffen, die Schwachstelle des Unternehmens zu finden, kleine Probleme zu provozieren, diese eventuell an die Behörden zu melden, kurz gesagt - es sich als unerkannter Störfaktor, gleich einem Kuckuck, im fremden Nest gemütlich zu machen. Was Franco in wenigen Sätzen umriss und in einem Memorandum schriftlich festgelegt hatte, fiel Daniele jedoch unheimlich schwer. Er war ein grundlegend korrekter Mensch, geradlinig und vertrauenswürdig, eben der typische Naturmensch, der komplexen Strategien das In-die-Augen-Sehen und mit Handschlag besiegelte Abmachungen vorzog. Und so hatte er die letzten Tage seit seiner Ankunft damit verbracht, der perfekt möblierten, aber sterilen Wohnung seinen persönlichen Touch aufzudrücken. Er hatte die Kartons mit seinen Sachen ausgeräumt, die aus Bologna angeliefert worden waren, den Kühlschrank gefüllt, die nähere und weitere Umgebung der Unterkunft zu Fuß und mit dem Auto erkundet und den gestrigen Tag endlich auf den Hügeln bei Sant’Ambrogio di Valpolicella verbracht. Nach vier Stunden auf dem Fahrrad hatte er dieses wieder auf den Jeep gepackt und war in einem Weingut eingekehrt. Auf der Terrasse sitzend hatte er den Blick über die darunterliegende Stadt schweifen lassen, in der er so rasch wie möglich seine Mission abschließen sollte. Das Fitness- und Wellnesscenter Oasi di Giulia, das seinen Namen sicherlich dem unweit vom Standort gelegenen Haus von Shakespeares Giulia verdankte, war eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung und drei Teilhabern. Eine davon, eine Ausländerin mit einem unaussprechlichen Namen, war als Geschäftsführerin eingetragen. Das vor sechzehn Jahren gegründete Unternehmen war solide und steigerte den Umsatz sowie den damit einhergehenden Gewinn jedes Jahr. Sonst wusste er nichts, doch allein die Vorstellung, jemandem willentlich zu schaden, um ihm dann, wenn er auf der Erde lag, ein unwiderstehliches Kaufangebot zu machen, bereitete ihm schlaflose Nächte.

Und so hatte er gestern am Abend, als er mit einer Flasche Valpolicella unter dem Arm heimkehrte, diese geköpft, zwei Gläser lang gegrübelt und gehadert und schließlich beschlossen, Franco heute mitzuteilen, dass er diese Sache nicht machen würde. Danach wollte er sich auf den Weg in die Stadtverwaltung begeben und mit diesem Beamten reden, der für die Vergabe der Lizenzen zuständig war. Nach der sicherlich negativen Antwort seinen Wunsch betreffend, würde er sich logischerweise an den Politiker wenden, der ihm helfen konnte, und dessen Preis in Erfahrung bringen. In Italien funktionierte vieles auf diese Art. Die meisten Menschen in öffentlichen Ämtern waren käuflich, und sein Bruder war es gewohnt, mit diesen zu verhandeln. Sollte Franco sich aus dem Fenster lehnen, wenn er unbedingt in Verona Fuß fassen wollte. Er würde es nicht tun!

Das war am gestrigen Abend gewesen, bevor er zu Bett ging, vom Müllwagen geweckt wurde und seinen Morgenlauf zwischen stinkenden Abgasen auf Asphalt absolvierte. Am Kiosk hatte er eine Zeitung gekauft, war hinaufgelaufen in den fünften Stock und im dritten auf etwas ausgerutscht, das sich als Öl herausstellte, das wohl aus einem vor einer Wohnungstür abgestellten Müllsack getropft war. Humpelnd, da er sich den Fuß verstaucht hatte, war er endlich oben angekommen. Als er aufsperrte, klingelte sein Handy, und anstatt zu duschen und sich um den Knöchel zu kümmern, hatte er geantwortet und sich Cinzias Schimpftirade angehört.