Buch lesen: «Polizeirelevante psychische Störungen»

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Polizeirelevante psychische Störungen

Kompaktwissen für Polizeistudium und -praxis

Prof. Dr. Lena Posch

Hochschule in der Akademie der Polizei Hamburg


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Print ISBN 978-3-415-06928-2

E-ISBN 978-3-415-06930-5

© 2021 Richard Boorberg Verlag

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Vorwort

Dieses Buch entstand basierend auf meinem Skript zur Veranstaltung „Psychische Störungen“ im Psychologie-Modul der Hochschule in der Akademie der Polizei Hamburg. Da das Thema psychische Störungen vor dem Hintergrund der Häufigkeit polizeilicher Kontakte mit psychisch Auffälligen eine hohe Relevanz hat und auch in den Curricula anderer Polizei-Hochschulen vertreten ist, entstand die Idee, dieses Thema kompakt auch Polizeistudierenden anderer Hochschulen, aber auch PolizeibeamtInnen in der Praxis zugänglich zu machen. Als Lern- und Studienbuch richtet es sich vor allem an Studierende in den Bachelorstudiengängen Polizei bzw. Polizeivollzugsdienst und bietet durch die Fallbeispiele und Übungsfragen die Möglichkeit, es auch für das Selbststudium zu nutzen und Bezüge zur eigenen (späteren) Berufstätigkeit herzustellen.

Das Ziel dieses „Lernbuchs“ ist, Ihnen ein Basiswissen über polizeirelevante psychische Störungen zu vermitteln, d. h. über Störungsbilder, mit denen Sie im Rahmen Ihrer Berufstätigkeit sehr wahrscheinlich häufiger konfrontiert werden. Sie sollen später natürlich keine psychischen Störungen diagnostizieren können, aber Sie sollen in die Lage versetzt werden, zu erkennen, ob eventuell eine psychische Erkrankung vorliegen könnte und Ideen haben, um welche Störung es sich handeln könnte, um angemessen und handlungssicher reagieren zu können. Es geht letztlich darum, Aspekte zu kennen, auf die Sie im Umgang mit psychisch auffälligen Personen achten können und Ihre Handlungsoptionen dadurch zu erweitern. Es geht auch darum, die eigene Einstellung zu psychischen Störungen zu reflektieren und dadurch eine entpathologisierende Haltung einzunehmen, um keine „Ängste“ vor dem Kontakt mit Personen mit mehr oder weniger ausgeprägten psychischen Auffälligkeiten zu haben und Unsicherheiten zu reduzieren.

Auch ist es wichtig, die spezifischen mit bestimmten Störungsbildern zusammenhängenden Probleme und Charakteristiken der inneren Erlebniswelt der betroffenen Menschen zu kennen, damit man gezielt einfühlsam und situationsangemessen auf sie eingehen und so eine Begegnung mit ihnen so konfliktfrei wie möglich gestalten kann.

Inhaltlich behandelt das Buch zum Einstieg die Relevanz des Themas psychische Störungen für die Polizei sowie die Frage, was eigentlich psychische Störungen sind. Wie sind sie definiert, wo und durch wen werden sie klassifiziert und wie verbreitet sind psychische Störungen eigentlich bzw. welche Gruppen sind besonders davon betroffen? Darüber hinaus werden die in der klinischen Psychologie gängigen Erklärungsmodelle psychischer Störungen vorgestellt, also welche (begründeten und fundierten) Vorstellungen gibt es darüber, wie eigentlich eine psychische Erkrankung entsteht. Dann werden ausgewählte polizeirelevante Störungsbilder vorgestellt. Das Buch erhebt dabei nicht den Anspruch, ein vollständiges Lehrbuch klinischer Psychologie zu sein, in dem erschöpfend alle Störungsbilder abgehandelt werden – davon gibt es bereits sehr gute für andere Zielgruppen – sondern vielmehr das vorhandene Lehrbuchwissen zu ausgewählten Störungsbildern, die für die Polizei aufgrund der Kontakthäufigkeit besonders relevant sind, kompakt und adressatengerecht vorzustellen. Ziel dabei war, das Wesentliche anwendungsorientiert für die Zielgruppe der PolizeibeamtInnen und -studierenden so darzustellen, dass es auch ohne psychologische Grundausbildung verständlich ist. Zudem – und das ist das Besondere an dem Buch – wird bei allen Störungsbildern jeweils der polizeiliche Bezug hergestellt und durch weiterführende Übungsfragen vertieft. Diese sollen dazu anregen, das Rezipierte zu wiederholen, anzuwenden und gedanklich weiterzuverfolgen. Die Auswahl der Störungen richtet sich weitgehend nach denen, die auch schon an anderer Stelle (z. B. Litzcke & Hermanutz, 2004) als polizeirelevant identifiziert wurden.

Im letzten Teil, der unmittelbar auf die Praxisrelevanz ausgerichtet ist, wird darauf eingegangen, woran man im Kontakt erkennt, ob eine psychische Erkrankung oder Auffälligkeit vorliegen könnte und welche psychischen Störungen mit einem erhöhten Gefährlichkeitspotenzial im Sinne möglicher aggressiver Reaktionen einhergehen können. Es wird darauf eingegangen, was spezifische Risikokonstellationen sind (im Sinne der Verknüpfung bestimmter Merkmale der Person und der Situation) und wie Sie als PolizeibeamtInnen die Situation eher deeskalieren können oder welches Verhalten wiederum sich sehr wahrscheinlich eher eskalierend auswirkt.

Die Literaturangaben hinter den Abschnitten sind die Quellen des jeweiligen Abschnitts und zudem als Hinweis, wo vertiefend nachgelesen werden kann, zu verstehen.

Abschließend möchte ich meinen herzlichen Dank an meine (ehemaligen) studentischen Hilfskräfte richten, die mich bei der Erstellung des Vorlesungsskripts, auf dem dieses Buch basiert, sehr gut unterstützt haben: Mein besonderer Dank gilt Alisa Bläser für ihre hervorragende Mitarbeit bei der Aufbereitung meiner Vorlesungsmaterialien, Rebecca Ehmcke für ihre Unterstützung bei der Erstellung einiger Aufgaben und Fallbeispiele und Moritz Spielberger für die Erstellung des Glossars.


Hamburg, im September 2020Lena Posch

Allein aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten für beide Geschlechter.

Inhalt

Einführung: Warum ist das Thema für die Polizei relevant?

1 Was sind psychische Störungen?

1.1 Psychische Gesundheit vs. Krankheit

1.2 Psychische Störungen

1.3 Klassifikation psychischer Störungen

1.4 Verbreitung psychischer Störungen

2 Erklärungsmodelle psychischer Störungen

2.1 Psychodynamisches Modell

2.2 Lerntheoretisches Modell

2.3 Kognitives Modell

2.4 Soziokulturelles Modell

2.5 Biologisches Modell

2.6 Diathese-Stress-Modell

3 Persönlichkeitsstörungen

3.1 Was sind Persönlichkeitsstörungen?

3.2 Entstehung von Persönlichkeitsstörungen

3.3 Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen

3.4 Borderline-Persönlichkeitsstörung

3.4.1 Was ist die Borderline-Persönlichkeitsstörung?

3.4.2 Entstehung von Borderline-Persönlichkeitsstörungen

3.4.3 Polizei & Borderline-Persönlichkeitsstörungen

3.5 Narzisstische Persönlichkeitsstörung

3.5.1 Was ist die narzisstische Persönlichkeitsstörung?

3.5.2 Entstehung von narzisstischen Persönlichkeitsstörungen

3.5.3 Polizei & narzisstische Persönlichkeitsstörungen

3.6 Dissoziale Persönlichkeitsstörung

3.6.1 Was ist die dissoziale Persönlichkeitsstörung?

3.6.2 Entstehung von dissozialen Persönlichkeitsstörungen

3.6.3 Polizei & dissoziale Persönlichkeitsstörungen

3.7 Psychopathie

3.7.1 Was ist Psychopathie?

3.7.2 Behandlung von Psychopathie

3.7.3 Polizei & Psychopathie

3.8 Paranoide Persönlichkeitsstörung

3.8.1 Was ist die paranoide Persönlichkeitsstörung?

3.8.2 Entstehung von paranoiden Persönlichkeitsstörungen

3.8.3 Polizei & paranoide Persönlichkeitsstörungen

4 Traumafolgestörungen

4.1 Trauma

4.2 Posttraumatische Belastungsstörung

4.2.1 Was ist die Posttraumatische Belastungsstörung?

4.2.2 Entstehung von Posttraumatischen Belastungsstörungen

4.2.3 Polizei & Posttraumatische Belastungsstörungen

4.3 Weitere Traumafolgestörungen

5 Angststörungen

5.1 Angst

5.1.1 Gesunde Angst

5.1.2 Pathologische Angst

5.2 Entstehung von Angst

5.3 Ausgewählte Angststörungen

5.4 Polizei und Angststörungen

6 Affektive Störungen

6.1 Depression

6.1.1 Was ist eine Depression?

6.1.2 Entstehung von Depressionen

6.1.3 Polizei & Depressionen

6.2 Manie

6.2.1 Was ist eine Manie?

6.2.2 Polizei & Manie

7 Alkoholinduzierte Störungen

7.1 Alkoholabhängigkeit

7.1.1 Was ist eine Alkoholabhängigkeit?

7.1.2 Verlauf der Alkoholabhängigkeit

7.1.3 Entstehung von Alkoholabhängigkeit

7.1.4 Behandlung der Alkoholabhängigkeit

7.2 Schädlicher Gebrauch von Alkohol (Alkoholmissbrauch)

7.3 Akute Alkoholintoxikation

7.4 Entzugssyndrom bei Alkohol

7.5 Polizei & alkoholinduzierte Störungen

8 Demenz

8.1 Was ist eine Demenz?

8.2 Formen & Ursachen der Demenz

8.3 Demenz vom Typ Alzheimer

8.4 Polizei & Demenz

9 Suizidalität & Suizid

9.1 Was ist Suizidalität?

9.2 Formen des Suizids

9.3 Zahlen & Fakten zu Suizidalität

9.4 Entstehung von Suizidalität

9.4.1 Biopsychosoziale Risikofaktoren

9.4.2 Präsuizidales Syndrom (Ringel, 1953)

9.4.3 Suizidale Entwicklung (Pöldinger, 1968)

9.5 Polizei & Suizidalität

9.5.1 Einschätzung der Suizidalität

9.5.2 Kommunikation mit Suizidanten

10 Schizophrenie & andere psychotische Störungen

10.1 Psychose

10.2 Schizophrenie

10.2.1 Was ist Schizophrenie?

10.2.2 Formen der Schizophrenie

10.2.3 Entstehung, Verlauf & Behandlung der Schizophrenie

10.3 Polizei & psychotische Störungen

10.3.1 Umgang mit Wahnvorstellungen & Halluzinationen

10.3.2 Umgang mit potenziell gewaltbereiten psychotischen Personen

11 Psychische Störungen in der polizeilichen Praxis

11.1 Erkennen von psychischen Störungen

11.2 Risikokonstellationen im Zusammenhang mit psychischen Störungen

11.2.1 Gewaltpotenzial verschiedener psychischer Störungen

11.2.2 Besondere Risikofaktoren im Zusammenhang mit psychischen Störungen

11.2.3 Risikopotenzial bei psychotischen Störungen

11.3 Umgang mit Risikosituationen

11.4 Vernehmung von Menschen mit einer psychischen Störung

Literatur

Glossar

Einführung: Warum ist das Thema für die Polizei relevant?

Die Relevanz des Themas psychische Störungen für die Polizei ergibt sich zunächst einmal aus deren relativ hoher Auftretenshäufigkeit in der Bevölkerung (vgl. Abschn. 1.4) und dem Umstand, dass polizeiliche Kontakte mit Menschen, die an einer psychischen Störung leiden, relativ häufig vorkommen. Im polizeilichen Alltag ergeben sich vielfältige mögliche Konstellationen, in denen Menschen mit psychischen Störungen einen Einsatzanlass darstellen. Diese können von verwirrten, hilflosen dementen Personen über Menschen im Zustand einer akuten Psychose über Notrufe wegen suizidaler oder fremdgefährdender Personen über Alkohol- und Drogenkranke bis zu psychisch auffälligen Tätern bei Stalking, häuslicher Gewalt oder (versuchten) Amoktaten o. Ä. reichen1. Weitere polizeiliche Berührungspunkte können sich im Zusammenhang mit der (unfreiwilligen) gesetzlichen Unterbringung psychisch Kranker bzw. deren Zuführung in eine psychiatrische Einrichtung ergeben. Diese haben Studien zufolge in Deutschland in den letzten Jahren in der Tendenz zugenommen2.

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich polizeiliche Kontakte bzw. Einsatzanlässe immer gerade dann ergeben, wenn Menschen mit psychischen Störungen in irgendeiner Weise auffällig, selbst- oder fremdgefährdend werden und sie sich in einem Zustand hoher emotionaler und psychosozialer Belastung befinden3. PolizeibeamtInnen müssen dann unverzüglich handeln, die Situation oft mit nur wenigen Vorinformationen möglichst richtig einschätzen und mit ihrem Verhalten zur Deeskalation der Situation beitragen sowie ggf. Entscheidungen über weitere notwendige Maßnahmen treffen. Ein situationsangemessenes und in der Folge die Situation eher entschärfendes Auftreten und Handeln seitens der Beamten ist aber nur dann möglich, wenn ein fundiertes Wissen über verschiedene polizeirelevante psychische Störungsbilder vorliegt und Besonderheiten in der Wahrnehmung, dem Erleben und Verhalten bei bestimmten Störungsbildern sowie mögliche Eskalationsfaktoren bekannt sind. So ist z. B. eine Bewaffnung und ggf. Bedrohung mit einem Messer bei einem akut Schizophrenen ganz anders einzuordnen als bei einer Person mit einer dissozialen Persönlichkeitsstörung und erfordert eine andere polizeiliche Reaktion.

Allerdings verweisen sowohl ältere4 als auch aktuelle5 Studienbefunde darauf, dass einsatzbezogene Kontakte mit psychisch auffälligen Menschen von Polizeibeamten als konflikthaft angesehen werden, insbesondere aufgrund der schweren Einschätz- und Vorhersagbarkeit ihres zum Teil als irrational wahrgenommenen Verhaltens. Dies kann bei einem nicht unerheblichen Teil der Beamten zu Gefühlen von Angst während der Einsatzsituation führen – insbesondere dann, wenn wenig Wissen über psychische Störungen vorliegt6.

Unkenntnis und Unsicherheit im polizeilichen Umgang mit psychisch Auffälligen sowie daraus ggf. resultierendes eigenes Bedrohungserleben wiederum können auf Seiten der eingesetzten Beamten zu Überreaktionen führen, die die Situation zusätzlich verschärfen und dadurch den Ausgang der Kontakte für beide Seiten negativ beeinflussen. Dies spiegelt sich nicht zuletzt in dem hohen Anteil von Personen mit psychischen Störungen unter den durch Polizeiwaffen Getöteten wider, die etwa zwei Drittel ausmachen7, was insofern einen weiteren Aspekt der Relevanz des Themas für die Polizei begründet.

So ist die Vermittlung und Aneignung eines fundierten Wissens in diesem Themengebiet in Polizeiausbildung, -studium und -praxis nicht zuletzt für eine adäquate Gefährdungseinschätzung und die Erweiterung der Handlungsoptionen sowie den reflektierten Einsatz von Maßnahmen unabdingbar.

1 Was sind psychische Störungen?
1.1 Psychische Gesundheit vs. Krankheit

Gesundheit definiert sich gemäß der Weltgesundheitsorganisation (WHO, 2006) nicht nur durch die Abwesenheit von Krankheit, sondern beschreibt einen Zustand vollkommenen körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens. Gesunde Menschen schaffen es so, den wechselnden Herausforderungen des Alltags gerecht zu werden.

Was als psychisch krank gilt, wird hingegen meist erst einmal kategorial eingeteilt: z. B. jemand bekommt die Diagnose Depression oder nicht. Solch eine Einteilung setzt voraus, dass zwischen den beiden Zuständen gesund und krank eine klare Trennung möglich ist. Dies ist bei den meisten psychischen Störungen jedoch nicht der Fall und wird der Vielschichtigkeit und dem dimensionalen Charakter der Einzelmerkmale nicht gerecht; vielmehr gibt es fließende Übergänge zwischen gesund und krank. Um diesen fließenden Übergängen Rechnung zu tragen, wird auf die dimensionale Klassifikation zurückgegriffen, die eine psychische Erkrankung (bzw. einzelne psychische Merkmale der Person) auf einem Kontinuum zwischen den Polen gesund und krank (oder geringe Ausprägung = 1 bis hohe Ausprägung = 10) erfasst.

Dabei kann ein dimensionales Klassifikationssystem auch mit einem kategorialen Ansatz verknüpft werden: Um zu entscheiden, wann auf diesem Kontinuum eine psychische Krankheit vorliegt oder nicht vorliegt (und ggf. in welchem Schweregrad), kann man einen quantitativen Grenzwert (Schwelle) festlegen und sich dazu verschiedener Normen bedienen:

Statistische Norm: als krank gilt, was statistisch gesehen selten ist.

Dabei wird ein Bereich um den Mittelwert (entspricht „Normalität“) herum definiert (68,2 % = von -1 bis +1 Standardabweichung), der als „normal“ bzw. durchschnittlich angesehen wird. In diesem Bereich befinden sich die meisten (=68,2 %) Menschen. Je weiter man unterhalb der Normalverteilungskurve zu den Randbereichen vordringt, desto weniger Menschen befinden sich in diesen (-1 bis -2 und +1 bis +2 Standardabweichungen je 13,6 %, -2 bis -3 und +2 bis +3 Standardabweichungen je 2,1 %), d. h. desto seltener liegt im Fall der Definition einer psychischen Störung ein bestimmter psychischer Zustand vor. Das wiederum bedeutet, dass dieser Zustand immer weiter vom Durchschnitt (68,2 % um den Mittelwert herum) abweicht und somit als zunehmend kränker angesehen wird.


Abb. 1 Normalverteilungskurve

Funktionelle Norm: als krank gilt, was Menschen daran hindert, sich gemäß ihren aktuellen Lebensbedingungen zu verhalten bzw. ihre alltäglichen Funktionen zu erfüllen

Soziale Norm: als krank gilt, was vom gesellschaftlich Festgelegten abweicht

Wittchen, & Hoyer (2011): Klinische Psychologie & Psychotherapie:

Kapitel 1.3 „Was sind psychische Störungen?“ (S. 7–10)

Kapitel 2.1 „Abnorm oder normal – Krank oder gesund?“ (S. 28–32)

1.2 Psychische Störungen

In der Psychologie wird (im Unterschied zu den meisten Bereichen der Medizin) auf den Begriff „Krankheit“ verzichtet und stattdessen der neutralere Begriff der „psychischen Störung“ bevorzugt, da eindeutig nachgewiesene Kausalbeziehungen für die Entstehung einer psychischen Störung fehlen.

Psychische Störungen sind dabei als ein klinisch bedeutsames Verhaltens- oder psychisches Muster definiert8, das einhergeht mit

– Leidensdruck bei sich (z. B. durch Schmerzen) oder anderen (z. B. durch Verhaltensprobleme),

– einer erheblichen Beeinträchtigung (z. B. im Sozialleben, in beruflichen Leistungen oder finanziellen Bereichen) oder

– einem erhöhten Risiko zu sterben oder tiefgreifenden Freiheitsverlust zu erleiden.

Ursächlich dafür ist eine verhaltensmäßige, psychische oder biologische Funktionsstörung.

Bei psychischen Störungen handelt es sich also um eine Beeinträchtigung

im Handeln (z. B. in der Motorik oder sozialen Interaktion)

in der Wahrnehmung,

im Denken (z. B. im Urteilen oder Lernen),

im Fühlen oder

der körperlich/biologischen Funktionsweise (z. B. Veränderungen im Transmitterhaushalt, der Muskelspannung)

die zu einem dauerhaft und massiv herabgesetzten Fähigkeits- und Funktionsniveau des Betroffenen führt.

Es handelt sich dagegen nicht um eine psychische Störung, wenn das Verhalten

– nur eine verständliche Reaktion auf ein Ereignis ist (z. B. Trauer beim Verlust einer nahestehenden Person) oder

– nur von der Norm abweicht (z. B. politisch, religiös oder sexuell) oder zu individuellen Konflikten mit der Gesellschaft führt, ohne dass dem eine Funktionsstörung zugrunde liegt.9

Wittchen & Hoyer (2011): Klinische Psychologie & Psychotherapie:

Kapitel 1.3 „Was sind psychische Störungen?“ (S. 7–10)

Kapitel 2.1 „Abnorm oder normal – Krank oder gesund?“ (S. 28–32)

Caspar, Pjanic & Westermann (2018): Klinische Psychologie:

Kapitel 1.3.1 „Psychische Störungen – Begriff und Kriterien“ (S. 6–7)

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