Synthetische Düfte: Mittel der Maskierung oder Ausdruck der Persönlichkeit?

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Synthetische Düfte: Mittel der Maskierung oder Ausdruck der Persönlichkeit? Überlegungen anhand von P. Süskinds Roman „Das Parfum“ und T. Tykwers gleichnamiger Verfilmung

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Synthetische Düfte: Mittel der Maskierung oder Ausdruck der Persönlichkeit?

Überlegungen anhand von P. Süskinds Roman „Das Parfum“ und T. Tykwers gleichnamiger Verfilmung

Allzu oft rümpfe ich im Alltag die Nase. Zum Beispiel, wenn die in Echtpelz verpackte und in Tosca konservierte Frau aus dem zweiten Stock mir im Hausflur begegnet, oder sich in der Straßenbahn ein Vollzeit-Trainingsjacken-Träger neben mich quetsch, dessen Schweißgeruch sich mit billigem Deo vermischt. Situationen, die wir alle kennen, sodass Ihr Gehirn beim Lesen der ersten Zeilen automatisch eine unangenehme Dufterinnerung heraufbeschwört. Dabei sind wir doch nur Normalos im Zeitalter der Desodorisierung, deren Nasen mittlerweile abgestumpft sind. Wie mag es da erst einem olfaktorischen Genie wie Jean-Baptiste Grenouille gehen, der im Paris des 18. Jahrhunderts ungefiltert seine Umgebung in all ihren (überwiegend stinkenden) Facetten wahrnimmt? Patrick Süskind vermag es, uns Otto Normalriechern lebhaft vor Augen zu führen, in was für einen Rausch Grenouille verfällt, wenn er sich an den Gerüchen betrinkt und welche Panik ihn packt, als er feststellt: Ich selbst rieche nicht und bin darum nichts (vgl. Süskind 1985: 146 f., 151 f.).

Nach der Überwindung seiner Seinskrise beschließt er, sich gleich eine ganze Palette Charaktere imitierender Düfte zu kreieren – vom unauffälligen Jungen zum ernstzunehmenden Geschäftsmann mit nur einem Tropfen (vgl. ebd.: 207 f.). Nicht schlecht, oder? Doch über diese Magie verfügen wir, die Menschen des 21. Jahrhunderts, doch auch! Zumindest bedingt. Wir können aus einem nahezu unüberschaubaren Duftsortiment wählen, und finden in vielen Fällen sogar den einen, der unserer Meinung nach besonders gut zu uns passt. Wir besprenkeln uns mit oder ertränken uns in körperfremden Aromen, die uns als Individuum verstärken sollen; die dazu beitragen sollen, dass andere uns so riechen, wie wir uns selbst sehen (oder gerne gesehen werden würden). Doch inwiefern verstecken wir uns hinter solchen Duftwässerchen? Spiegeln sie unsere Persönlichkeit wider? Manipulieren wir durch unsere inszenierte Duftaura? Kurz: Sind synthetische Düfte Masken oder Ausdruck unserer Persönlichkeit?

Da ich weder Psychologie studiert, noch eine Feldstudie zu diesem Thema durchgeführt habe, greife ich auf eine für Literaturwissenschaftler unverfänglichere Methode zurück: Ich werfe einen Blick auf die Funktion von Düften in Süskinds Roman „Das Parfum“. Sie sind für den Protagonisten der Geschichte die Seele aller Dinge. Natürliche Gerüche haben für Grenouille eine reine, unverfälschte Aussagekraft. Besonders eindrücklich zeigt sich das an der Begegnung mit dem Mirabellenmädchen , deren unverwechselbarem Eigengeruch er durch halb Paris folgt. Er zersetzt das Mädchen in dessen Geruchskomponenten, assoziiert und vergleicht das nie dagewesene mit Bekanntem – Schweiß „so frisch wie Meerwind“ (ebd.: 49), der Talg der Haare „so süß wie Nußöl“ (ebd.), und ein Geschlecht „wie ein Bouquet von Wasserlilien“ (ebd). Tom Tykwer geht in seiner Verfilmung des „Parfums“ sogar noch einen Schritt weiter: Grenouille setzt sich das Mirabellenmädchen olfaktorisch Stück für Stück vor dem geistigen Auge zusammen, bevor er sie optisch wahrnimmt (vgl. Tykwer D2006: 0:17:15-0:18:00). Als er sie dann erblickt hat, nähert er sich ihr unsittlich mit seiner Nase – zuerst nur gedanklich, dann physisch. Durch die Montage von Nah- und Detailaufnahmen wird deutlich, dass Grenouille sich nicht für die ansprechende Gestalt des Mirabellenmädchens interessiert, nicht für sie als Person in ihrer Gänze, sondern nur für ihre duftausströmenden Komponenten (vgl. ebd.: 0:18:00-0:22:10). Im Moment der größten Einsamkeit, als er erkennt, dass niemand ihn um seiner selbst willen liebt, stellt er sich vor, wie sie sich zärtlich vereinen (vgl. ebd.: 02:02:50-02:04:07). Wunschdenken, das unter anderem auf geruchsgesteuerter Zuschreibung von Merkmalen basiert. Dass sie sanft und liebevoll ist, statt ihn forsch an die Wand zu drücken, ist vermutlich vor allem dem ästhetischen Anspruch des Films geschuldet. Allerdings können wir über den Geruch eines Menschen Rückschlüsse auf dessen Charakter ziehen – das fand ein polnisches Forscherteam der Universität Wroclaw im Jahr 2011 heraus (vgl. Dreher 2012): So komisch das auch klingen mag, in unserem Schweißgeruch spiegelt sich unsere Persönlichkeit wider; sofern nicht von anderen Aromen überdeckt, geben die darin enthaltenen Pheromone Aufschluss darüber, ob wir neurotisch, extrovertiert oder dominant veranlagt sind.

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