Wohin verschwand der Diktator

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Wohin verschwand der Diktator
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Inhalt

Impressum 2

Danksagung 3

Die Handlungspersonen 5

Teil 1. - Prolog 7

Teil 2. 15

Teil 3. 23

AKT 2 95

Teil 4. - Epilog 190

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2021 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99107-224-9

ISBN e-book: 978-3-99107-225-6

Lektorat: V. Folie

Umschlagfoto: Fenix84, Daulon | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Danksagung

Mein großer Dank an Rosemarie Gulbis und

Professor Dr. Gisela Levin dafür,

dass ich die Deutsche Sprache bei Ihnen lernen durfte

Die Handlungspersonen

Die Hauptpersonen:

Der Diktator

Lehrer (der Name)

Der Adjutant des Generals, ein junger Mann, 16 J.

Die Reporterin

In Sibirien:

Eugen, der Ehemann

Anna, seine Ehefrau

Die Mücken:

Der Empfänger (nach meiner Empfehlung eine weibliche Rolle)

Der Kellner (nach meiner Empfehlung eine weibliche Rolle)

Die Akademikerin (nach meiner Empfehlung eine männliche Rolle)

Die Dienerin (nach meiner Empfehlung derselbe Darsteller, der die Akademikerin spielt)

Der Ober (nach meiner Empfehlung dieselbe Darstellerin, die den Kellner spielt)

***

Die Avantgardistische Musik (Alfred Schnittke, Sofia Gubaidulina, Denisow) soll die Handlung begleiten.

Der Regisseur darf meine Empfehlungen ignorieren.

Ihre Autorin

Teil 1. - Prolog

Die Bühne ist leer. Plötzlich fällt ein Schuss. Der Diktator erscheint auf der Bühne; er hastet panisch hin und her. Dann verschwindet er hinter den Kulissen und zieht jemanden daraus hervor. Es sind die Füße einer erschossenen Frau.

Szene 1. „Wo ist die Leiche?“

(Der Diktator, der General, die Reporterin, der Adjutant des Generals)

Die Szene spielt sich teilweise hinter den Kulissen ab.

Männerstimme: (hinter der Kulisse) Genosse …

Diktator: Schweig! (verwundert) Wer bist du, Soldat?

Männerstimme: Ich bin es, Euer Adjutant, Euer Beschützer.

Diktator: Wozu trägst du diesen Schnurrbart? Willst du mir nachstellen? Willst du mein Reich übernehmen?

Männerstimme: Aber … Genosse Führer, es … schnell! Sie müssen fliehen, Sie müssen sich verstecken. Hier, der Rasierapparat … Ich habe einen mit extra scharfer Rasierklinge besorgt, Sie müssen den Schnurrbart abrasieren. Sie müssen hier weg, ohne Schnurrbart!

Diktator: Soldat, verschwinde!

Männerstimme: Mein Führer, Sie haben Glück, außer diesem Schnurrbart haben Sie keine ausgeprägten Gesichtsmerkmale. Ich habe mir einen gleichen Schnurrbart angeklebt, um feindliche Blicke auf mich zu lenken.

Diktator: Aus dem Weg! (läuft auf die Bühne, überquert sie und verschwindet in der anderen Kulisse)

Männerstimme: Der Rasierapparat! Genosse Führer, der Rasierapparat! Nehmen Sie das mit! Ge… Gen… Herr…

Der Diktator läuft zurück in die erste Kulisse.

Männerstimme: Rasierapparat! …

Diktator: Schweig!! Schweig, schweig!!!

Es fallen Schüsse.

Männerstimme: (geschwächt) Genosse Führer, wieso … Ich wollte Sie beschützen, ich … ach …

(Ein weiterer Schuss bricht die Rede ab.)

Der Diktator erscheint auf der Bühne, mit der Pistole in der Hand, hastet panisch mit dem Gemurmel: „Verstecken …verstecken …“, hin und her. Dann hält er an und murmelt weiter:„Rasieren … abrasieren …“

Hinter der anderen Kulisse hört man Stimmen, die immer näher kommen. Der Diktator fällt auf die Knie, versucht, sich unter dem Stuhl zu verstecken. Dann steht er auf, schaut auf die Pistole, die er immer noch in der Hand hält, und wirft sie mit angeekelter Miene weg. Dann versteckt er sich unter dem Tisch.

Auf der Bühne erscheinen der General, sein Adjutant und die Reporterin mit einem Notizbuch.

General: Wo ist er? (bemerkt die Pistole, schiebt sie unauffällig mit dem Fuß hinter den Tisch)

Adjutant: (hinter den Kulissen) Herr General, hier sind zwei Leichen, mausetot. Eine Frau und ein Offizier mit Schnurrbart.

General: Ich frage Sie, wo ist er?!

Adjutant: Herr General, soll ich ihn suchen?

Diktator: (unter dem Tisch, bettelnd) Nicht suchen, nicht suche

Der General schaut unter den Tisch. Diktator macht ihm ein Zeichen – er soll schweigen.

General: Jawohl, mein …! Nicht suchen!

Reporterin: Herr General …?

General: (genervt) Was?!

Reporterin: Haben Sie etwas gesagt?

General: Sie bilden sich das ein.

Reporterin: Wir müssen ihn finden und dem internationalen Gericht übergeben!

General: (denkt nach) Stimmt. (schaut sich um, klopft dem Adjutanten auf die Schultern, dreht ihn um, schaut ihm ins Gesicht) Müssen wir das?

Reporterin: (empört) Natürlich müssen wir das!

General: Ich weiß. Frau Reporterin, haben Sie … etwas Schminke?

Reporterin: Ja, etwas habe ich.

General: Adjutant!

Adjutant: Zu Befehl!

General: Stramm stehen, Soldat! (schaut den Adjutanten kritisch an) Frau Reporterin, müssen uns etwas einfallen lassen. Wir präsentieren der Öffentlichkeit eine Leiche. Eine Ersatzleiche. Vorübergehend, natürlich. Sonst zerdrückt dieser Druck uns alle. Also, Folgendes: Wir müssen ihm, dem Soldaten, einen künstlichen Schnurrbart verpassen, ihm auf das Gesicht Schminke legen. Dann fotografieren Sie, verehrte Frau Reporterin, „die Leiche“. Und das war’s.

Reporterin: Verstanden. Ich habe einen schwarzen Schmink­stift.

General: (dem Adjutanten) Soldat, legen Sie sich auf den Boden. Frau Reporterin, schminken!

Der Adjutant legt sich auf den Fußboden. Die Reporterin malt den Schnurrbart auf sein Gesicht. Der General zielt mit der Pistole auf den Adjutanten.

Reporterin: Herr General, Sie wollen ihn doch nicht wirklich erschießen?

General: Das weiß ich noch nicht. Nein, falsch.

Reporterin: Natürlich falsch! Er ist noch so jung. Und doch Ihr persönlicher Adjutant!

General: Falsch. Wenn das ein Selbstmord sein sollte, … dann müsste er aus seiner eigenen Pistole erschossen werden. Soldat, geben Sie mir Ihre Pistole. (zielt auf den unten liegenden Adjutanten mit seiner Pistole, schaut den Adjutanten kritisch an) Nein, das geht nicht. Die falsche Statur. Der Junge ist zu lang. Soldat, stehen Sie auf. (schaut den Anwesenden an. Die Reporterin versucht, sich von ihm fern zu halten, geht in die Kulisse. Der Adjutant steht stramm, schließt die Augen fest.)

General: Verhaften!

Adjutant: Jawohl, Genosse General! (schaut sich verwirrt um) Genosse General, wen soll ich verhaften? Die Frau Reporterin?

General: Stellen Sie sich nicht so dumm, Adjutant. (denkt nach) Mal sehen. Wir finden schon … den richtigen.

Reporterin: (hinter der Kulisse) Hier! Herr General, da, da ist er! Die Leiche. Sie trägt den Schnurrbart. Er hat seine Gefährtin erschossen und dann sich selbst.

Adjutant: Die Leiche ist aber nicht er, das ist nicht seine Leiche.

General: Doch, das ist er. Schau nur hin, Soldat – der Schnurrbart.

Adjutant: Ja, der Schnurrbart … komisch. Die Statur aber …

Reporterin: Die Pistole ist nicht da. Wohin ist seine Pistole verschwunden? Wie ich weiß, muss die Waffe erst identifiziert werden. Dann werden alle Zweifel beseitigt sein.

General: Stimmt, die Waffe ist nicht festgestellt. Ach, was wissen Sie schon, Sie, Frau Reporterin …

Reporterin: (stolz) Ich bin eine Kriegsreporterin.

General: Meinetwegen. (zu sich) Trotzdem – ein Weib.

Diktator schiebt die Pistole mit dem Fuß hinder dem Tisch hervor, der General hebt sie unauffällig auf und steckt sie sich hinten unter den Gürtel.

General: Gut. (zur Reporterin) Na gut. Dann geben Sie in den Nachrichten Folgendes an: „Der Diktator hat sich und sein geliebtes Weib erschossen. Er wollte sich dem Feind nicht ergeben. Um seine Ehre und seinen Stolz zu bewahren, hat er den mutigen Schritt … gewagt.“ Ein mutiger Schritt … (hebt seine Pistole an die Schläfe) Heil …

Adjutant: Nein! (wirft sich auf den General) Genosse General, nein! (hält die Hand des Generals auf und führt sie nach unten, macht dann einen Schritt zurück, von der eigenen Tat eingeschüchtert) Zu Diensten, Genosse General.

 

General: Nicht doch, Soldat. Du bist nicht schuld, Junge. Du hast nur die Befehle befolgt. Nein, das ist nicht deine Schuld.

Reporterin: Genosse General …?

General: Also, Folgendes muss gesagt werden: „Der Diktator erschoss seine treue Lebensgefährtin und danach erschoss er sich selbst. Es geschah um …“ (schaut auf die Uhr) „Der Tod des Diktators wurde um genau „X“ Uhr mitteleuropäischer Zeit festgestellt.“

Reporterin: Der Name des zuständigen Arztes lautet …?

General: Nicht wichtig. Schreiben Sie Ihren Namen, Genossin Reporterin, wenn nötig …

Reporterin: Ich bin keine Ärztin. Für das Protokoll aber … Nein, so geht das nicht. Es wird gefragt, es wird geforscht … Nein.

General: Schweigen!

Adjutant: Jawohl, Genosse General! Alles wird nach Ihrem Befehl erledigt. Ich werde es kontrollieren. Zu Befehl, Genosse General!

General: Wie alt bist du, mein Adjutant?

Adjutant: Ich bin sechzehn. Seit kurzem. Seit gestern. Heute bin ich zum ersten Mal im Dienst.

General: Und damit zum letzten.

Der General geht. Die Reporterin zieht den Soldaten zur Seite.

Reporterin: Darf ich Sie fragen?

Adjutant: Jawohl, Genossin Reporterin. Fragen Sie. Bitte kurz. Ich muss meinen General begleiten.

Reporterin: Gewiss … Wieso sind Sie zur Armee gegangen? Haben Sie Lust zu töten?

Adjutant: Nein! Natürlich nicht. Wir wollten den Krieg schnellstens beenden. Unsere ganze Klasse. Wir wollten ihn beenden, um die Ehre unseres Landes zu retten. Wenn etwas zu retten geblieben ist … Entschuldigen Sie. Ich will nicht mehr darüber reden. Zu kompliziert. Ich muss los.

Reporterin: Gewiss …

Sie gehen, ihre Stimmen entfernen sich, sie werden immer leiser. Es wird dunkel. Der Diktator schaut hinter dem Tisch hervor, kriecht heraus, und mit den Worten: „Verstecken, abrasieren“, läuft er direkt in die Bühnentiefe. Das Bühnenbild ist ein Kinofilm, der Diktator läuft direkt hinein.

Teil 2.

Szene 2. In der Taiga

(Anna, Eugen, Diktator)

Der Diktator läuft und läuft, es wechseln die Landschaften, es wechseln die Jahreszeiten. Das Aussehen der zufälligen Passanten ändert sich. Das Bild hält in der Taiga an. Es ist Sommer. Die Sonne neigt sich. Man hört das Gesumme von Ungeziefer.

Man sieht ein gemütliches Häuschen. Draußen steht ein Tisch. Die Frau (Anna) deckt ihn zum Abendessen. Ihr Mann (Eugen) erscheint.

Er schleppt den fast bewusstlosen Diktator mit, dessen Gesicht ganz mit Haaren bewachsen ist.

Anna: Eugen! Wen schleppst du da? Was ist mit dem Mann? Hast du ihn etwa verdroschen?

Eugen: Blödsinn, Anna. Ich weiß nicht, was dem Kerl zugestoßen ist. Ein komischer Kauz. Er lief den Weg entlang, dann sah er mich und rannte direkt ins Gebüsch. Als ich die die Stelle erreichte, um nach ihm zu sehen, saß er im Gebüsch und weinte. Ich hab ihn aus dem Busch herausgeholfen.

Anna: (mitleidig) Weinte … Wieso weinte er?

Eugen: Ich weiß es nicht. Ich schwöre dir, ich habe ihm nichts getan.

Anna: (zum Diktator) Hey Sie, guter Mann, wieso weinen Sie? Haben Sie sich verletzt, haben Sie sich in der Taiga verlaufen?

Eugen: Keine Angst, Mann, wir führen dich schon zu deinen … Wo rennst du eigentlich hin, Mann? Zu wem?

Diktator: Mmmmmmm. Abrasieren. Verstecken. Abrasieren.

Anna: Wieso spricht er so? Kann er nicht sprechen? Was ist mit ihm?

Eugen: Meistens muht er, er gibt nur „Mmm“ von sich. Ich glaube, er hat Maroschka gegessen.

Anna: Aha … Er will „Maroschka“ sagen. Deshalb „Mmm“. (zum Diktator:) Pfui, du Armer. Eugen, jemand hat ihn doch geschlagen. Aber nicht du, Eugen, oder?

Eugen: Ich schwöre dir!

Anna: Er weint.

Der Diktator versucht, etwas zu sagen, lallt nur und murmelt.

Eugen: Natürlich weint er. Ihm brennt der Mund. Deshalb weint er. Kein normaler Mensch isst Maroschka. Hey, du, Mann, wozu hast du Maroschka gegessen? Das essen nur Schweine.

Diktator: Mmmm …

Eugen: Ich glaube, er ist verrückt. Aus der geschlossenen Anstalt ausgebrochen.

Diktator: (hält zwei Finger an die Oberlippe) Psst! Verstecken.

Eugen: Klar. Er wurde geschlagen. Wer weiß, was sie dort heutzutage in den geschlossenen Anstalten alles tun.

Anna: Armer …

Eugen: Hey, Mann, keine Sorge, wir helfen dir. Meine Kusine arbeitet dort in der Irren­-anstalt. Sie ist dort Krankenschwester. Wir sagen ihr, man soll dich nicht mehr schlagen.

Anna: Wo wollen Sie denn hin, Sie armer Mann, was suchen Sie? Sie müssen uns das sagen. Wenn Sie Ihre Familie suchen wollen, können wir sie benachrichtigen.

Eugen: Suchst du deine Familie, Mann? Wo lebt denn deine Familie? Wir bringen dich hin.

Anna: Wen sollten wir benachrichtigen?

Diktator: Mmmmmmmm. Abrasieren.

Eugen: Fa-mi-li-e! Verstehst du? Wir wollen wissen, wo deine Familie ist. Also?

Diktator: Verstecken. Abrasieren. Verstecken. Abrasieren. Verstecken.

Anna: Na hör mal, hör mal nur zu. Ich glaube, er ist völlig verrückt. Wir müssen doch deine Kusine anrufen.

Eugen: Ich weiß nicht … Und wenn er nicht aus dem Irrenhaus, sondern aus dem Gefängnis ausgebrochen ist? Dort könnte er geschlagen worden sein. Die Gebäude liegen doch beide in dieser Richtung. Guck mal wie er aussieht.

Anna: Er ist hungrig. Unsere Fragen quälen ihn nur. (zum Diktator) Zuerst essen, ja? Kommen Sie, guter Mann, setzen Sie sich an den Tisch. (plötzlich panisch) Meine Koteletts! Ich habe meine Koteletts mit euch Männern vergessen! (verschwindet im Häuschen)

Eugen: Na komm, Mann, setz dich hin. Meine Frau ist eine gute Köchin. Sie hat sogar in unserer Kantine gearbeitet. Sie hat Recht: zuerst essen, dann Fragen stellen. Was bringt es schon, einen Hungrigen zu fragen …

Anna bringt die Pfanne, deckt den Tisch. Eugen läuft ins Häuschen, bringt eine Flasche Wodka mit. Schenkt den Wodka in drei Gläser.

Eugen: Na, du armer Mann, wer immer du bist, na sdorovje! Trink! Es wird dir gleich besser.

Diktator trinkt. Dann isst er mit großem Appetit.

Anna: (zu Eugen) Na siehst du? Er ist nicht verrückt, er war bloß hungrig.

Diktator: Sind Sie Juden?

Eugen: Oh, er spricht!

Diktator: Juden? Juden? Juden?

Eugen: Nein, wieso? Wieso denn Juden? Wir doch nicht. Suchst du Juden? Ach Mann, sie waren noch vor dem Krieg alle getötet. Liest du keine Zeitung?

Anna: Wir sind keine Juden, wir sind Wolgadeutsche. Die gesamte Siedlung hier.

Diktator: Nein! Nein! Verstecken!

Eugen: Ruhe, Mann. Wir tun dir nichts. (zu Anna) Siehst du? Er ist verrückt.

Anna: Eugen, ich glaube, wir müssen ihn lieber der Polizei übergeben. Wer weiß … Nach dem Essen, meine ich.

Eugen: Mal sehen.

Anna: Warte mal … Kann sein, dass er nach Juden sucht. Nach irgendwelchen, weil er selbst einer ist. Was, wenn seine ganze Familie im Krieg umgebracht wurde? Deshalb spricht er nicht. Er ist schwer traumatisiert. Er sucht nach jemandem seines Schlags, um irgendwelche weiteren Verwandten zu finden.

Eugen: Könnte sein. Könnte auch nicht sein.

Anna: Aber wo finden wir für ihn welche? Die Juden sind allesamt umgebracht.

Eugen: Ich kannte da jemanden. Jemanden, der ihm weiterhilft.

Anna: Weißt du was? Wir müssen dem Lehrer Bescheid sagen.

Eugen: Genau. Den meine ich ja. Der Lehrer wird es schon wissen.

Diktator: Abrasieren. Verstecken.

Eugen: Oh, das geht schon auf die Nerven.

Diktator: Verstecken! Verstecken!

Eugen: Ja ja … (lacht bitter) Versteck dich! Geh in die Taiga, steck dich in den Sumpf. Der Sumpf, der versteckt dich. Dort verschwindest du ganz. Für immer. Kein Hund findet dich dort.

Diktator: Ja! Ja! Verschwinden! Abrasieren! Verstecken! (plötzlich nüchtern) Wo ist der Sumpf?

Anna: Lass ihn in Ruhe, du machst ihm Angst. Siehst du das nicht? Der arme Mann ist ohnehin am Ende.

Eugen: Wo ist der Sumpf, fragst du? Der Sumpf ist hier überall. Er breitet sich immer weiter aus. Seine Bakterien haben schon den gesamten Waldboden zerfressen. Guck mal, hier! (steht auf und schaukelt den Fußboden mit den Füßen, der Boden bewegt sich. Siehst du? Es wackelt schon unter unserem Häuschen. Nach dem nächsten Winter, wenn der Frost nachgibt, geht auch dieses Grundstück abwärts, zusammen mit unserer ganzen Habe. Der Sumpf verschluckt alles. Das Vieh verschwindet, die Menschen verschwinden. Spurlos.

Anna: (zu Eugen) Weißt du was? Lass ihn sich erst in unserer Banja waschen. Du wolltest die Banja sowieso heizen. Nimm ihn mit. Er will sich rasieren. Lass ihn sich rasieren. Und morgen zeigen wir ihn dem Lehrer.

Eugen: Gut, machen wir.

Anna: Verrückt hin oder her – der Mann muss sich zuerst erholen, zu Kräften finden.

Eugen: (schaut den Diktator an, plötzlich) Oh … Warte mal … Oh mein Gott!

Anna: Was?!

Eugen: Er ist dem … O Mann! Er ist dem Diktator ähnlich!

Anna: Diktator? Rede keinen Unsinn. Der Diktator hat sich erschossen. Zuerst seine Geliebte, dann sich selbst. Das stand damals in der Zeitung.

Eugen: Ja. Seine Leiche wurde aber nicht gefunden.

Anna: Oh, lass das. Siehst du es nicht? Er ist ohnehin kaputt. Er zittert schon.

Eugen: Er redet die ganze Zeit vom Rasieren.

Anna: Na und …? Er sehnt sich nach Sauberkeit. Ein gut erzogener Mann.

Eugen: Du Dummerchen! Es geht nicht darum, dass er sich rasieren will. Es geht darum, was er abrasieren will!

Anna: (verwirrt) Oh …

Eugen: Na gut. Erst die Banja, dann lassen wir ihn sich gut ausschlafen. Und morgen, gleich nach dem Frühstück, übergeben wir ihn dem Lehrer.

Anna: Weißt du was? Und wenn du Recht hast? Und er doch kein Jude ist, sondern derjenige, der die Juden ermordet hat?

Eugen: Aha … Hast du diese Ähnlichkeit auch bemerkt?

Anna: Ich weiß nicht … So ein Gefühl.

Eugen: Lehrer, er …

Anna: Genau! Lehrer! Er weiß Bescheid.

Eugen: Ja, er soll über die Sache weiter entscheiden.

Anna: Oh, Eugen, wenn du Recht hast … (flüstert Eugen ins Ohr) Ich lasse ihn nicht bei uns im Hause schlafen.

Eugen: Ja. Gut. Er muss in der Banja schlafen.

Anna: Sperrst du ihn dort ein? Ja?

Eugen: Einverstanden. Sicher ist sicher.

Anna: Oh Schreck …

Eugen: Mach dir keine Sorgen. Morgen wissen wir mehr. (zum Diktator) Hey Mann, hast du dich satt gegessen? Komm! Wir waschen uns gründlich und rasieren uns die Fresse. Kommst du?

Eugen nimmt sich ein paar Stück gehacktes Holz mit und beide verschwinden in der Banja. Anna räumt den Tisch ab. Es ist Nacht. Der Mond zeigt sich am Himmel. Eugen kommt in Unterwäsche aus der Banja, hängt an die Tür ein großes Schloss und läuft ins Häuschen. Die Tür der Banja fängt an zu wackeln. Dann öffnet sich knirschend das Fenster. Der Diktator zeigt sich. Er trägt nur Unterwäsche. Sein Gesicht ist glattrasiert. Er klettert hinaus.

Diktator: (für sich, brüllt) Im Sumpf verstecken … Im Sumpf ist sicher. Kein Hund findet …

Diktator läuft weg. Die Geräusche von Nachtvögeln erschrecken ihn. Er gerät in den Sumpf, schreit: „Hilfe!“, „Helft mir!“ Der Sumpf saugt ihn ein. Man hört einen Hund heulen. Dann wird es still. Nach einer Weile sieht man eine menschliche Silhouette. Das ist Lehrer. Er springt in den Sumpf, es platscht. Das Geschrei von nächtlichen Vögeln vervollständigt das Bild.

Teil 3.

Die Szene 3.

Auf dem Mückenparadiesplaneten.

Die Sammelstelle.

(Diktator, Empfänger, Kellner)

Die Sonne scheint grell.

Rundum liegt eine einladende grüne Wiese. Der Diktator befindet sich in einer transparenten Kiste. Er versucht aufzustehen, es gelingt ihm aber nicht. Er schaut sich um.

Diktator: (begeistert) Oh … Wo bin ich? (berührt das Gras, atmet tief ein) Oh … Bin ich im Paradies? Ist das mein Sarg? Warum hat der Herrgott mich ins Paradies aufgenommen? Ich gehöre hier nicht her. (steht auf) Ach … Schwindelig … Ich muss etwas essen. Etwas Passendes, etwas Gesundes. Essen, essen! O Shit, im Paradies gibt es kein Essen.

Ein zierlicher Mann steuert direkt auf den Diktator zu. Der Mann schiebt einen Rollstuhl vor sich her. Der Diktator versucht, sich hinter dem Strauch zu verbergen, beobachtet den Mann. Der Mann trägt einen schwarzen Frack, ein weißes Hemd und eine Fliege. Auf dem breiten Band, das über den Frack gebunden ist, steht etwas geschrieben. Die Gangart des Mannes ist unsicher, sein Körper wackelt und zittert wie ein Wackelpudding. Das ist der Empfänger.

 

Der Diktator will fliehen, aber der Mann ist schneller. Er packt den Diktator am Arm und schleudert ihn mit unerwarteter Kraft in den Rollstuhl.

Diktator: Hey Sie! Was erlauben Sie sich?! Vorsicht, Sie wissen nicht, mit wem Sie es zu tun haben!

Empfänger holt einen glitzernden Knopf hervor und befestigt ihn an der Kleidung des Diktators.

Diktator: Was tun Sie da?!

Empfänger: Sprachdetektor. Von den Humanoiden entwickelt, vom Mückenvolk verwendet. Sehr nützlich.

Diktator: Lassen Sie mich! Sie haben kein Recht, mich festzuhalten!

Empfänger: Die Aufregung ist verboten. Das verbrennt wertvolle Kalorien.

Diktator: Was für ein Land ist das?

Empfänger: (der Klang seiner Worte ist mit Zischen vermischt) N-nie gehört. (nimmt eine feierliche Haltung ein) Ssseid willllkommen auf dem M-Mücken-P-Paradiesssplanet-ttten.

Diktator: Was?! Doch Paradies? Mückenparadies? Nie gehört. Wissen Sie, mit wem Sie es zu tun haben?

Empfänger: Der ehrwürdige Empfänger weißsss es! Da haben wir eine zweibeinige Quelle, vom Planeten Terra importiert. Kein besonders guter Fang, wie man sieht, mein Herr. Proteinarm und nicht gesund.

Diktator: Das geht Sie nichts an! (verwirrt) Ich verstehe gar nichts. Was geht da ab? Schlafe ich etwa?

Empfänger: Nein, die Quelle ist schon wach. Und – noch wach. Der Kellner wird die Quelle ruhigstellen, sie in einen süßen Traum versetzen. In einen ewigen Traum.

Diktator: Wieso?

Empfänger: Weil dies die Pflicht des Kellners ist.

Diktator: Wer sind Sie überhaupt? Ein Schauspieler? Ein Clown?

Empfänger: Der Empfänger. Der ehrwürdige Empfänger. Die Pflicht eines Empfängers ist, die Quelle willkommen zu heißen, ihr die erste Dosis des Stoffs zu verabreichen und sie zur Sammelstelle zu bringen.

Diktator: Welche Stelle? Warum? Was haben Sie mit mir vor?

Empfänger: Das Übliche.

Diktator: Wo bin ich hier?

Empfang: Bei uns.

Diktator: Sind Sie ein … Jude? So dünn und abgemagert … Wollen Sie mich bestrafen?

Empfang: Fragen sind verboten. Sie verbrennen wertvolle Kalorien.

Der Empfänger holt die Spritze und spritzt den Inhalt dem Diktator in die Hand.

Diktator: Autsch! Hey! Was soll das werden?! Was erlauben Sie sich?! Ich lasse Sie erschießen!

Empfänger: Die Quelle muss Ruhe bewahren.

Diktator: (verunsichert) Was für eine Quelle? Von welcher Quelle reden Sie?

Empfang: Ihr seid es, mein Herr.

Diktator: Falsch. Ich bin der … Moment … Meinen Sie das in politischem Sinne? Quelle wofür? Natürlich … Die Informationsquelle … Verstehe. Verhör? Sie wollen mich verhören. Die Juden haben Sie geschickt. Sie haben vor, geheime Informationen meines Reiches aus mir herauszuquetschen. Oder … Sie sehen so dünn aus. Wo wurden Sie interniert, in welchem Lager?

Empfänger: Nie gehört.

Diktator: Nein? Hey, wohin fahren Sie mich?

Empfang: Zur Sammelstelle. Zum Sitzplatz.

Diktator: Ein Sammellager … Wieso sammeln Sie mich? Sie dürfen mich nicht sammeln. Sie haben mich bestimmt verwechselt.

Empfänger: Schweigen. Die Quelle muss schweigen. Sonst werden wertvolle Kalorien verbrannt. Jede Frage ist Gift: dumm und unerwünscht.

Der Diktator versucht, aus dem Rollstuhl auszusteigen.

Er schüttelt den Rollstuhl hin und her, es passiert aber nichts. Der Weg führt zu der stadionartigen Errichtung. Die Plätze sind mit zahlreichen Menschen menschenähnlichen Gestalten und verschiedenen Tieren dicht besetzt. Die erste Reihe ist leer. Empfänger schubst den Diktator zum ersten Platz.

Diktator: Was soll das?

Empfänger: Quelle mussssss Ruhe bewahren. Die Fütterung beginnt bei Sonnenaufgang.

Diktator: Fütterung! Warum bei Sonnenaufgang? Ich brauche das jetzt!

Der Empfänger geht. Die Sonne neigt sich zum Horizont. Der Diktator versucht, sich aus dem Sessel zu befreien, versucht aufzustehen. Es kommt eine wie ein Kellner gekleidete Mücke. Sie rollt einen kleinen Wagen vor sich her, der mit riesigen leeren Spritzen gefüllt ist. Der Kellner führt jedem der auf der oberen Reihe Sitzenden die Spritze ein und füllt sie mit deren Körperflüssigkeiten voll. Manche Spritzen werden rot, manche grün, manche blau oder schwarz. Der Kellner klebt Etiketten auf die Spritzen und auf die Schultern den „Bedienten“.

Es erscheint plötzlich die grelle Sonne. Der Kellner schaut auf den Himmel und steuert zur unteren Reihe, direkt zum Diktator.

Kellner: Ahhh, die frische Beute ist da! (holt aus der Tasche eine kleine grüne Spritze)

Diktator: (wehrt sich vor der Spritze) Was? Was soll das?! Wieso?

Kellner: Wenn die Fütterungszeit kommt, kommt die Sonne zu uns. Die Sonne ist schlau, sie will es wissen.

Diktator: Was wissen? Warum? Ich will keine Spritze. Nein!

Kellner: (brüllt, zu sich) Sehr, sehr gutes Futter. Ernährt, entgiftet, entspannt.

Diktator: Was ist das?! Ich habe gesagt, dass ich keine Spritze will. Hey, weg, weg hier!

Kellner: (springt erschrocken zur Seite, zu sich) Die Quelle spricht. Warum spricht die Quelle? Man wird die Schuld dem armen Kellner geben. Armer, armer Kellner!

Diktator: Was für eine Gestalt sind Sie denn? Von Juden geschickt? Was wollen Sie von mir?! Ich gebe mich nicht auf, ich werde kämpfen.

Kellner: D-der arme Kellner will nichts von der Quelle. Wirklich nichts. Kellner hatte keine Absicht, von der Quelle zu speissssen. Obwohl der Kellner sehr, sehr hungrig ist. Trotzdem nicht. (sieht nach oben, laut) Nein, nicht von zugelieferten Quellen speisen! Von der Quelle zu speisen ist verboten. Der arme Kellner tut das nicht! Armer Kellner tut nur seine Pflicht.

Diktator: Wieso schwatzen Sie ununterbrochen solchen Unsinn? Mit wem sprechen Sie? Mit mir? Haben Sie vor, mich zu ängstigen?

Kellner: S-ständige Angst. Und Hunger. Der Kellner hat Angst und hat Hunger. (klappert mit den Zähnen) Die geliebte Regierung ist dort (zeigt nach oben), sie sieht alles, sie beschützt uns.

Diktator: (schaut nach oben) Wer? Ich sehe niemanden.

Kellner: Sie ist im Himmel. Weit, weit im Himmel. Sie flaniert dort, in unsichtbarer Höhe, sie bewacht uns und sorgt liebevoll für uns.

Diktator: Wer? Die Engel?

Kellner: Die Regierung.

Diktator: Du bist verrückt, du spinnst. Wo ist dein Vorgesetzter? Her mit ihm!

Kellner: Vorgesetzter. Was ist Vorgesetzter? (zeigt mit dem Finger auf den glitzernden Knopf an der Kleidung des Diktators)

Ah! Der Sprachdetektor! Der Empfänger hat ihn nicht abgenommen. Das ist speziell, um armen Kellner zu ärgern. Eine gezielte Sabotage. Eine Intrige gegen den arrr-rmen Kelllllner.

Diktator: Was ist in deiner Spritze drin? Was für ein Medikament?

Kellner: Nur Gemüsebrühe mit Kräuterwasser.

Diktator: Aha … Gemüse … Warum in der Spritze?

Kellner: So geht es schneller ins Blut.

Diktator: Aha. Und was ist in den anderen Spritzen? Da, in deinem Korb?

Kellner: (holt die rote Spritze) Die Nah… Nahrung für die Regierung, für die geliebte Regierung.

Diktator: Aha! Bestimmt Fleischsuppe. Normalerweise hätte ich das nicht zu mir genommen. Aber da ich körperlich so geschwächt und kraftlos bin … Du kannst mir das Zeug aus dieser roten Spritze geben, ich erlaube es dir. Ausnahmsweise. Sonst sterbe ich vor Hunger.

Kellner: Das ist Ka… Kann … Kannibalismus ist verboten. Die Humanoiden verbieten es.

Der arme Kellner will die Lizenz nicht verlieren.

Diktator: Kannibalismus …? Wieso Kannibalismus?

Kellner: (auf die rote Spritze deutend) Das ist der Saft von den Quellen Ihrer Art. Gereinigt und Vitaminisiert. Der Kellner muss das abgeben. (zu sich, gierig) L-leckerrrr! Ohhh … wie lecker. Nein, nein, nicht träumen, nicht träumen! Der arme Kellner darf von dieser Nahrung nicht träumen … Nicht ttträumen! (schlägt sich auf die Wangen)

Diktator: Ist das … von Menschen?

Kellner: (entschlossen) Nein. Die Quelle bekommt das nicht.

Diktator: Ich meine, ist das etwa menschliches Blut?! Schweig! Ich will das nicht hören. Wie ekelhaft … Pfui.

Kellner: Sehr, sehr lecker. S-sehr gesund. Nur für die Regierung, für die geliebte Regierung.

Diktator: (zeigt auf die Spritzen) Wo hast du das aufgetrieben?

Kellner: Von dort oben. (zeigt auf die oberste Reihe) Von Quellen. Das Produkt von der höchsten Qualität.

Diktator: Und mit Quellen meinst du … Schweig! Ich will das nicht wissen. Also, mein Lieber. Wie ich sehe, bist du ein feines Kerlchen.

Kellner: Nie gehört.

Diktator: Das ist nicht wichtig. Ich sehe, dass du ein kluger … Mann bist.

Kellner: Ach, ganz im Gegenteil. Ich bin eine Plaudertasche. Sehr, sehr gesprächig. Alles, was im Kopf ist, fließt gleich auf die Zunge und rutscht nach draußen ab. Deshalb – kein Ober, sondern nur ein unbedeutender Kellner. Arm. Namenlos.

Diktator: Egal. Ich sehe, dass du deine Sache gut im Griff hast. Ich glaube sogar, dass du mir behilflich werden kannst. (denkt nach) Gegen Belohnung.

Kellner: Belo… Nein, nie gehört.

Diktator: Egal. Hör mal zu, Soldat. Du musst mir helfen, hier rauszukommen.

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