Gespräche

Text
Autor:
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

16. Verkanntsein und Kennen

Der Meister sprach: »Nicht kümmere ich mich, daß die Menschen mich nicht kennen. Ich kümmere mich, daß ich die Menschen nicht kenne.«

Buch II
We Dschong
1. Der Polarstern

Der Meister sprach: »Wer kraft seines Wesens1 herrscht, gleicht dem Nordstern. Der verweilt an seinem Ort und alle Sterne umkreisen ihn.«


Wie die Sonne nur durch die Überlegenheit ihrer Anziehungskraft die Planeten in ihre Bahnen zwingt, so herrscht der Genius nur durch die immanente Schwerkraft seiner Persönlichkeit ohne alle Vielgeschäftigkeit.

2. Das Liederbuch (Ein reines Herz)

Der Meister sprach: »Des Liederbuchs2 dreihundert Stücke sind in dem einen Wort befaßt: Denke nicht Arges!«

3. Gesetz und Geist bei der Staatsregierung

Der Meister sprach: »Wenn man durch Erlasse leitet und durch Strafen ordnet, so weicht das Volk aus und hat kein Gewißen. Wenn man durch Kraft des Wesens leitet und durch Sitte ordnet, so hat das Volk Gewißen und erreicht (das Gute).«


Eine bürokratische Regierung, die durch amtliche Vorschriften und Erlasse wirken will und durch Strafandrohungen eine gewiße äußere Ordnung aufrecht erhält, wird nur erreichen, daß sich im Volk Methoden ausbilden, die Gesetze zu umgehen, ohne daß sich irgendjemand ein Gewißen daraus macht. Wirklicher Einfluß wird nur dadurch möglich, daß man in inneren Kontakt mit der Volksseele kommt und durch Herausbildung fester Sitten und Gewohnheiten die äußere Ordnung sichert. Dadurch wird erreicht, daß das Volk Ehrgefühl und Achtung bekommt. (Diese Lesart geht auf ein Monument aus der Hanzeit zurück.)

4. Stufen der Entwicklung des Meisters

Der Meister sprach: »Ich war fünfzehn, und mein Wille stand aufs Lernen, mit dreißig stand ich fest, mit vierzig hatte ich keine Zweifel mehr, mit fünfzig war mir das Gesetz des Himmels kund, mit sechzig war mein Ohr aufgetan, mit siebzig3 konnte ich meines Herzens Wünschen folgen, ohne das Maß zu übertreten.«


Der Meister sprach: »Im Alter von fünfzehn Jahren erwachte in mir das Interesse an der Wissenschaft. Mit dreißig Jahren hatte sich mein Charakter im allgemeinen gefestigt. Mit vierzig Jahren hatte ich Zweifel und innere Unklarheiten überwunden. Mit fünfzig Jahren hatte ich einen Einblick gewonnen in die ewigen Gesetze des Weltgeschehens. Mit sechzig Jahren hatte ich die Fähigkeit erworben, aus den Äußerungen anderer Menschen ihr Wesen intuitiv zu erkennen. Mit siebzig Jahren endlich war ich soweit, daß meine Neigungen nirgends mehr mit der Pflicht kollidierten.«

5. Über die Kindespflicht. I: Nicht übertreten

Der Freiherr Mong J fragte nach (dem Wesen) der Kindespflicht. Der Meister sprach: »Nicht übertreten.« Als Fan Tschï hernach seinen Wagen lenkte, erzählte es ihm der Meister und sprach: »Freiherr Mong J befragte mich über die Kindespflicht und ich sprach: »Nicht übertreten.« Fan Tschï sprach: »Was heißt das?« Der Meister sprach: »Sind die Eltern am Leben, ihnen dienen, wie es sich ziemt, nach ihrem Tod sie beerdigen, wie es sich ziemt, und ihnen opfern, wie es sich ziemt.«3a


Einer der mächtigsten Großen des Staates Lu, der Freiherr Mong J, fragte den Meister, worin die Erfüllung der Kindespflicht bestehe. Er bekam die Antwort: »Im Nichtübertreten.« Ohne sich nach dem Sinn dieses Rätselwortes genauer zu erkundigen, entfernte sich der Frager. Als aber einige Zeit darauf ein dem Freiherrn nahestehender Schüler, Fan Tschï, mit dem Meister zusammen eine Ausfahrt machte, benutzte dieser die Gelegenheit, um die Frage aufzuklären. Er erzählte nämlich seinem Schüler, daß Mong J bei ihm gewesen sei und nach dem Wesen der Kindespflicht gefragt habe, worauf er die Antwort gegeben habe: sie bestehe im Nichtübertreten. Der Schüler erkundigte sich darauf nach dem Sinn dieser Antwort, worauf der Meister ihm denselben erklärte: daß nämlich der Kindespflicht ein über alle Zufälligkeiten erhabenes Sittengesetz zugrunde liege, das keinen Raum für persönliche Zu- oder Abneigungen lasse, vielmehr kategorisch fordere; nicht nur verlange es, daß man den Eltern zu deren Lebzeiten diene, sondern es reiche sogar über den Tod der Eltern hinaus und verlange, daß der letzte Dienst der Beerdigung ihm entsprechend vollzogen und daß selbst über das Grab hinaus das Andenken der Verstorbenen durch die festgesetzten Zeremonien geehrt werde.4

6. Über Kindespflicht. II: Krankheit

Der Freiherr Mong Wu fragte nach (dem Wesen) der Kindespflicht. Der Meister sprach: »Man soll den Eltern außer durch Erkrankung keinen Kummer machen.«


Der Sohn des im vorigen Abschnitt genannten Freiherrn Mong J, namens Mong Wu, fragte ebenfalls nach dem Wesen der Kindespflicht. Der Meister antwortete: »Die Kindespflicht besteht darin, daß wir alles tun, was in unserer Macht steht, um den Eltern jeden Anlass zum Kummer über uns zu ersparen, so daß wir nur etwa durch Erkrankung und solche Dinge, die nicht in unserer Hand stehen, unsern Eltern Sorge bereiten können.«

7. Über Kindespflicht. III: Ehren, nicht bloß Nähren!

Dsï Yu fragte nach (dem Wesen) der Kindespflicht. Der Meister sprach: »Heutzutage kindesliebend sein, das heißt (seine Eltern) ernähren können. Aber Ernährung können alle Wesen bis auf Hunde und Pferde herunter haben. Ohne Ehrerbietung: Was ist da für ein Unterschied?«


Der Jünger Dsï Yu fragte nach dem Wesen der Kindespflicht. Da antwortete der Meister: »Heutzutage sieht man die Kindespflicht nur in der Erfüllung der Äußerlichkeit, daß man seine Eltern mit Nahrung versieht. Aber man füttert schließlich auch seine Hunde und Pferde. Wenn man den Eltern nicht Ehrfurcht entgegenbringt, so besteht zwischen der Behandlung der Eltern und der der Haustiere kein wesentlicher Unterschied.«5

8. Über Kindespflicht. IV: Betragen

Dsï Hia fragte nach (dem Wesen) der Kindespflicht. Der Meister sprach: »Der Gesichtsausdruck ist schwierig. Wenn Arbeit da ist und die Jugend ihre Mühen auf sich nimmt; wenn Essen und Trinken da ist, den Älteren den Vortritt lassen: kann man denn das schon für kindesliebend halten?«


Der Jünger Dsï Hia fragte nach dem Wesen der Kindespflicht. Der Meister antwortete: »Die Schwierigkeit bei ihrer Erfüllung besteht in einem fortdauernd rücksichtsvollen und freundlichen Betragen, daß man es vermeidet, sich im Laufe der Jahre in seinen Manieren den Eltern gegenüber gehen zu lassen. Was man sonst unter der Erfüllung der Kindespflicht versteht, daß die Kinder die Mühen der Arbeit für ihre Eltern auf sich nehmen, daß sie ihnen ihren Besitz zur Verfügung stellen und für ihren Lebensunterhalt sorgen: das alles sind nur die selbstverständlichen Voraussetzungen.«6

9. Merkmal des Verständnisses

Der Meister sprach: »Ich redete mit Hui7 den ganzen Tag; der erwiderte nichts, wie ein Tor. Er zog sich zurück und ich beobachtete ihn beim Alleinsein, da war er imstande, (meine Lehren) zu entwickeln. Hui, der ist kein Tor.«


Der Meister sprach: »Man könnte Yän Hui für einen Menschen ohne selbständige Interessen halten, wenn man mit ihm spricht: er hört schweigend zu und macht weder Einwürfe noch stellt er weiterführende Fragen. Wenn man ihn aber nachher beobachtet, so sieht man an der Art, wie er das Gehörte selbständig entwickelt, daß er durchaus in den Geist der Sache eingedrungen ist.«

 

10. Menschenkenntnis: Worauf man sehen muß

Der Meister sprach: »Sieh, was einer wirkt, schau, wovon er bestimmt wird, forsche, wo er Befriedigung findet: Wie kann ein Mensch da entwischen?«


Um einen Menschen wirklich kennen zu lernen, muß man ihn unter drei verschiedenen Gesichtspunkten beobachten. Zuerst muß man die Wirkungen in Betracht ziehen, die von seiner äußeren Tätigkeit ausgehen. Das ist am leichtesten, läßt aber auch am wenigsten bindende Schlüsse zu. Wichtiger und schwieriger ist es, die psychologischen Motive festzustellen, von denen er in seinem Handeln bestimmt wird. Um einen Menschen aber seinem Wesen nach kennen zu lernen, ist auch das letzte und schwierigste noch nötig: daß man ihn erkennt, wie er an sich ist. Das einzige Hilfsmittel hierzu ist, zu beobachten, wie und wo er sich wohl fühlt, was seine moralische Lebensluft ist.

11. Ein guter Lehrer. Altes und Neues

Der Meister sprach: »Das Alte üben und das Neue kennen: dann kann man als Lehrer gelten.«


Vergleiche Matth. 13, 52: Darum gleicht ein Lehrer, der für das Himmelreich geschickt ist, einem Hausherrn, der aus seinem Schatze Altes und Neues hervorbringt.

12. Der Edle. I: Selbstzweck

Der Meister sprach: »Der Edle ist kein Gerät.«8


Es ist unvereinbar mit der Würde des höheren Menschen, sich als bloßes Werkzeug für die Zwecke andrer gebrauchen zu lassen. Er ist Selbstzweck.

13. Der Edle. II: Worte und Taten

Dsï Gung fragte nach dem (Wesen des) Edlen. Der Meister sprach: »Erst handeln und dann mit seinen Worten sich danach richten.«9


Als Dsï Gung den Meister fragte, welcher Zug am bezeichnendsten für einen vornehmen Charakter sei, antwortete dieser: daß einer seine Prinzipien erst selbst praktisch zur Ausführung bringt, bevor er sie lehrhaft entwickelt.

14. Der Edle. III: Universalität

Der Meister sprach: »Der Edle ist vollkommen und nicht engherzig. Der Gemeine ist engherzig und nicht vollkommen.«


Schon durch die Weite seines inneren Horizonts scheidet sich der vornehme Charakter von der Masse. Seine Interessen sind umfassend, aufs Ganze gerichtet, während die geistige Kapazität der Massenmenschen nicht über den engsten Partei- und Familienkreis hinausgeht.

15. Lernen und Denken (Begriff und Erfahrung)

Der Meister sprach: »Lernen und nicht denken ist nichtig. Denken und nicht lernen ist ermüdend.«10


Die von der Vergangenheit überkommenen Begriffe sich aneignen, ohne sie mit eignem Gedanken- und Erfahrungsinhalt zu füllen, führt zu totem Formalismus; umgekehrt hat es aber auch seine Gefahren, losgelöst von den gesicherten Resultaten der überlieferten Wissenschaft bloßen abstrakten Gedankengängen zu folgen.

16. Irrlehren

Der Meister sprach: »Irrlehren anzugreifen, das schadet nur.«


Die Wahrheit ist in sich übereinstimmend, während irreleitende Systeme notwendig an Inkonsequenzen kranken. Darum ist es am besten, man läßt derartige Systeme an ihren eignen Inkonsequenzen zugrunde gehen. Jede Polemik bringt nur Verwirrung und macht den Schaden größer.11

17. Das Wissen

Der Meister sprach: »Yu12, soll ich dich das Wissen lehren? Was man weiß, als Wissen gelten lassen, was man nicht weiß, als Nichtwissen gelten lassen: das ist Wissen.«


Der Meister rief den Schüler Dsï Lu, der etwas oberflächlich war, zu sich heran und sprach zu ihm: »Die Vorbedingung für alles wirkliche Wissen ist ein präzises Unterscheidungsvermögen für die Grenze zwischen dem, was man wirklich weiß, und dem, was man bloß meint. Das, was man weiß, als sichere Grundlage festzuhalten und das Übrige weiterer Forschung vorbehalten, das ist die Methode, um zu wirklichem klaren Wissen zu gelangen.«13

18. Wie man eine Lebensstellung erwirbt

Dsï Dschang wollte eine Lebensstellung erreichen. Der Meister sprach: »Viel hören, das Zweifelhafte beiseite lassen, vorsichtig das Übrige aussprechen, so macht man wenig Fehler. Viel sehen, das Gefährliche beiseite lassen, vorsichtig das Übrige tun, so hat man wenig zu bereuen. Im Reden wenig Fehler machen, im Tun wenig zu bereuen haben: darin liegt eine Lebensstellung.«


Der Schüler Dsï Dschang wollte lernen, auf welche Weise man sich eine gesicherte Lebensstellung verschaffen könne. Der Meister antwortete: »Um eine Stellung im Leben zu erreichen, dazu ist es notwendig, daß man sich einen reichen Wissensstoff erwirbt, das so gewonnene Material kritisch sichtet und taktvoll von den gesicherten Resultaten Gebrauch macht. Dadurch vermeidet man in seinen Worten Entgleisungen. Ebenso wichtig ist es, sich eine ausgebreitete Erfahrung der verschiedenen Möglichkeiten des Handelns zu verschaffen, Handlungen mit gefährlichen Konsequenzen zu vermeiden und im Übrigen mit Besonnenheit und Überlegung vorzugehen. Dadurch vermeidet man bei seinen Handlungen Übereilung. Wenn man im Reden von Taktlosigkeiten und im Handeln von Übereilungen sich fernzuhalten versteht, so ist einem sowohl eine Stellung im Leben als auch eine Lebensstellung sicher.«14

19. Fügsame Untertanen

Fürst Ai fragte und sprach: »Was ist zu tun, damit das Volk fügsam wird?« Meister Kung entgegnete und sprach: »Die Geraden erheben, daß sie auf die Verdrehten drücken15: so fügt sich das Volk. Die Verdrehten erheben, daß sie auf die Geraden drücken: so fügt sich das Volk nicht.«


Ai, der Landesfürst Kungs, fragte diesen, was zu tun sei, um das Volk fügsam zu machen. Kung erwiderte: »Wenn man aufrichtige und starke Charaktere in die maßgebenden Positionen bringt, daß sich auch die moralisch Minderwertigen ihnen beugen müssen, wird man Zustände schaffen, die die öffentliche Meinung befriedigen. Wenn man aber moralisch Minderwertigen Einfluß läßt, so daß die anständigen und geraden Menschen unter ihrem Druck existieren, erregt man notwendig den Unwillen der Bevölkerung.«

20. Das Beispiel der Herrschenden

Freiherr Gi Kang fragte: »Das Volk zur Ehrfurcht und Treue zu bringen durch Ermahnungen: Was ist davon zu halten?«

Der Meister sprach: »Sich (zum Volk) herablassen mit Würde: dadurch bekommt (das Volk) Ehrfurcht; kindliche Ehrfurcht und Menschenliebe (zeigen): dadurch wird es treu. Die Guten erhöhen und die Unfähigen belehren: so wird das Volk ermahnt.«


Der Freiherr Gi Kang, eines der einflußreichen Familienhäupter, die die öffentliche Gewalt im Staate Lu an sich gerissen hatten, fragte den Meister, was man sich davon zu versprechen habe, wenn man das Volk durch amtliche Verwarnungen zum Respekt vor der Regierung und zur Loyalität anhalte. Der Meister antwortete: »Wenn die regierenden Kreise in ihrem Verkehr mit dem Volk die Würde des Benehmens zu wahren wissen, so werden sie sich ganz von selbst Respekt verschaffen. Wenn sie in ihrem sozialen Leben selbst die richtige Gesinnung entfalten, so wird das Volk durch ihr Beispiel so beeinflußt werden, daß Loyalität die Öffentlichkeit beherrscht. Die entsprechende Heranziehung der Tüchtigen und Guten zu amtlicher Tätigkeit und die Belehrung der Unfähigen ist die beste Art, Warnung und Vermahnung an das Volk gelangen zu lassen.«

21. Abweisung eines lästigen Fragers (Staatsregierung und Hausregierung)

Es redete jemand zu Meister Kung und sprach: »Weshalb beteiligt sich der Meister nicht an der Leitung (des Staates)?«

Der Meister sprach: »Wie steht im ›Buch‹16 von der Kindespflicht geschrieben? Kindliche Ehrfurcht und Freundlichkeit gegen die Brüder, das muß man halten, um Leitung zu üben. Das heißt also auch Leitung ausüben. Warum soll denn nur das (amtliche Wirken) Leitung heißen?«


Es fragte einst jemand den Meister, warum er sich nicht aktiv an der Staatsregierung beteilige. Der Meister antwortete: »Nach den Prinzipien des Altertums ist die staatliche Organisation nur eine besondere Form des sozialen Zusammenlebens der Menschen überhaupt, für die dieselben Grundsätze gelten wie in dem engeren Kreise der Familie. Wer aber dies soziale Prinzip in seiner Urerscheinung innerhalb des Familienlebens pflegt, der sorgt eben dadurch zugleich für die Herstellung von Zuständen, wie sie die Staatsregierung als Ziel erstrebt. Man muß daher keineswegs eine amtliche Stellung innehaben, um das soziale Zusammenleben im Staatsorganismus fördern zu können.«

22. Unaufrichtigkeit macht unbrauchbar: Der Wagen ohne Deichsel

Der Meister sprach: »Ein Mensch ohne Glauben: ich weiß nicht, was mit einem solchen zu machen ist. Ein großer Wagen ohne Joch, ein kleiner Wagen ohne Kummet, wie kann man den voranbringen?«


Der Glaube ist für das Vorankommen des Menschen so unumgänglich nötig wie die Zugvorrichtung für den Wagen. Ein Wagen, der kein Joch hat, an dem Pferde oder Ochsen ziehen können, kommt nicht vorwärts. Ebenso kann man einem Menschen nur dann vorwärts helfen durch die Wahrheit, wenn man auf seiner Seite im Glauben einen Anknüpfungspunkt hat.17

23. Hundert Generationen zu kennen (Sub specie aeternitatis)

Dsï Dschang fragte, ob man zehn Zeitalter wissen könne. Der Meister sprach: »Die Yindynastie beruht auf den Sitten der Hiadynastie; was sie davongenommen und dazugetan, kann man wissen. Die Dschoudynastie beruht auf den Sitten der Yindynastie. Was sie davongenommen und dazugetan, kann man wissen. Eine andere Dynastie mag die Dschoudynastie fortsetzen, aber ob es hundert Zeitalter wären, man kann wissen (wie es gehen wird).«

 

Dsï Dschang fragte einmal, ob man die Zukunft auf zehn Generationen hinaus wissen könne. Der Meister antwortete: »Wenn man die historische Vergangenheit, wie sie in den geschichtlichen Dokumenten zugänglich ist, sorgfältig erforscht, so kann man gewiße feste Gesetze des Weltgeschehens daraus abstrahieren. Es gibt eine Grundlage von unveränderlichen ethischen Gesetzen, die für jede menschliche Gesellschaftsform gültig sind, daneben gibt es ein Prinzip der Entwicklung, das die Ursache ist, daß alle Dinge in einem bestimmten Kreislauf der Erscheinungen sich ändern. Aus dem Faktor der Konstanz in den Grundverhältnissen und dem Faktor der Entwicklung in den sekundären Verhältnissen setzt sich der Geschichtsverlauf zusammen. Und diese Gesetze historischen Geschehens bleiben dieselben durch alle Zeiten hindurch.«18

24. Religion und Moral

Der Meister sprach: »Andern Geistern als den eigenen (Ahnen) zu dienen, ist Schmeichelei. Die Pflicht sehen und nicht tun, ist Mangel an Mut.«


Das Andenken der eigenen Ahnen durch Opfer zu ehren, ist eine von allen eudämonistischen Erwägungen unabhängige Verpflichtung.19 Abgesehen von dieser religiösen Pflicht geistige Mächte durch Opfer zu seinen Gunsten zu stimmen suchen, um auf diese Weise übernatürlichen Schutz und Hilfe zu erschleichen, ist schmeichlerische Kriecherei. Außer den religiösen Verpflichtungen gibt es auch moralische Verpflichtungen den Mitmenschen gegenüber. Sich einer solchen klar erkannten Pflicht aus Rücksicht auf die eigne Sicherheit oder Bequemlichkeit zu entziehen trachten, ist unwürdige Feigheit.

Weitere Bücher von diesem Autor