Gespräche

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25.Einst und jetzt

26.Schlauheit und Unverträglichkeit als Hindernisse

27.Der Parteien Gunst und Haß (Vgl. XIII, 24)

28.Die Wahrheit und ihre Vertreter

29.Fehler ohne Besserung

30.Nachdenken und Lernen

31.Der Edle. VII: Die vornehmste Sorge

32.Was ein Regent braucht: Weisheit, Sittlichkeit, Würde und Formen

33.Der Edle und der Gemeine. VIII: Verschiedene Verwendbarkeit

34.Sittlichkeit als Lebenselement

35.Keinen Vortritt

36.Der Edle. IX: Festigkeit

37.Gewissenhafter Fürstendienst (Vgl. VI, 20)

38.Jenseits der Standesunterschiede

39.Prinzipielle Übereinstimmung als Grundlage für gemeinsame Arbeit

40.Deutlichkeit des Stils

41.Der Meister und der blinde Musiker (Mit dem Musiker Miän und Dsï Dschang)

Buch XVI. Gi Schï

1.Ungerechter Feldzug

2.Der Niedergang des Reichs

3.Strafe der Usurpation

4.Drei nützliche und drei schädliche Freunde

5.Drei nützliche und drei schädliche Freuden

6.Drei Fehler im Verkehr mit Älteren

7.Dreierlei Vorsicht

8.Dreierlei Ehrfurcht

9.Vier Klassen des Wissens

10.Neunerlei Gedanken

11.Prinzipien mit und ohne Vertreter

12.*Urteil über historische Persönlichkeiten: Ging von Tsi und Be J und Schu Tsi

13.Des Meisters Verhältnis zu seinem Sohn

14.*Bezeichnungen der Landesfürstin

Buch XVII. Yang Ho

1.Begegnung mit dem Usurpator Yang Ho

2.Natur und Kultur

3.Unveränderlichkeit des Wesens

4.Kleine Zwecke, große Mittel. Huhn und Ochsenmesser. (Mit Yän Yän = Dsï Yu)

5.Möglichkeit des Wirkens. I (Mit Dsï Lu über die Einladung des Usurpators Gung Schan)

6.Die fünf Vorbedingungen der Sittlichkeit (Mit Dsï Dschang; vgl. XX, 2)

7.Möglichkeit des Wirkens. II (Mit Dsï Lu über die Einladung des Usurpators Bi Hi)

8.Die sechs Worte und sechs Verdunkelungen (Mit Dsï Lu)

9.Der Nutzen des Liederbuchs

10.Der Meister im Gespräch mit seinem Sohne über die Poesie (Vgl. XVI, 13)

11.Scheinkultur (Edelsteine, Seide, Glocken und Pauken)

12.Wider die Hochtrabenden

13.Wider die Heuchler

14.Wider die Schwätzer

15.Wider die Streber

16.Wechsel der Fehler im Lauf der Zeiten

17.Der Schein trügt (Wiederholung von I, 3)

18.Das Glänzende und das Echte

19.Wirken ohne Worte (Der Himmel redet nicht) (Mit Dsï Gung)

20.*Abweisung eines Besuchers unter Saitenspiel

21.Über die Trauerzeit (Mit Dsai Wo)

22.Wider das Nichtstun (Schachspiel und Dambrett)

23.Mut und Pflichtgefühl (Mit Dsï Lu)

24.Was der Edle haßt (Mit Dsï Gung)

25.Frauen und Knechte

26.Grenze der Möglichkeiten

Buch XVIII. We Dsï

1.Die drei sittlichen Heroen der Yindynastie

2.*Die Vaterlandsliebe Huis von Liu Hia

3.*Im Staate Tsi

4.*Des Meisters Rücktritt aus dem Amt in Lu

5.*Der Narr von Tschu

6.*Die Furt

7.*Dsï Lu und der Alte

8.*Die sich vor der Welt verbargen

9.*Der Rückzug der Musiker von Lu

10.*Der Rat des Fürsten Dschou an den Fürsten von Lu

11.*Die vier Zwillingspaare der Dschoudynastie

Buch XIX. Dsï Dschang

1.*Das Ideal des Gebildeten (Dsï Dschang)

2.*Mangelnder Fortschritt (Dsï Dschang)

3.*Dsï Hias Jünger bei Dsï Dschang

4.*Die Gefahr des Dilettantismus (Dsï Hia)

5.*Der rechte Philosoph (Altes und Neues) (Dsï Hia)

6.*Bildung und Sittlichkeit (Dsï Hia)

7.*Das Gleichnis von den Handwerkern (Dsï Hia)

8.*Die Fehler der Gemeinen (Dsï Hia) (Vgl. XIX, 21)

9.*Die drei Verwandlungen des Edlen (Dsï Hia)

10.*Der Wert des Vertrauens (Dsï Hia)

11.*Die Großen und die Kleinen (Dsï Hia)

12.*Dsï Yus Kritik und Dsï Hias Replik

13.*Amt und Studium (Dsï Hia)

14.*Die Trauer (Dsï Yu)

15.*Dsï Yus Kritik an Dsï Dschang

 

16.*Dsong Schens Kritik an Dsï Dschang

17.*Die Entfaltung des Wesens in der Trauerzeit (Dsong Schen)

18.*Vorbildliche Pietät (Dsong Schen zitiert Kungs Urteil über Mong Dschuang)

19.*Menschlichkeit gegen die Schuldigen (Dsong Schen und Yang Fu)

20.*Die Gefahr der falschen Stellung (Dsï Gung über Dschou Sin)

21.*Die Fehler des Edlen wie Sonnenfinsternisse (Dsï Gung) (Vgl. Abschnitt 8)

22.*Die Quellen von Kungs Bildung (Dsï Gung)

23.*Die Hofmauer (Dsï Gung mit Wu Schu über Kung)

24.*Die Hügel und Sonne und Mond (Dsï Gung über Kung)

25.*Der Himmelsfürst (Dsï Gung über Kung)

Buch XX. Yau Yüo

1.*Die Heiligen Fürsten der Vorzeit

2.Der rechte Herrscher (Mit Dsï Dschang)

3.Die Summe der Lehre

Anmerkungen

Benutzte Literatur

Namenregister

Sachregister


Konfuzius [Kungfutse] Ältestes bekanntes Bild Nach einem Gemälde von Wu Dau Dsï (Wu Tao Tzu) berühmtem Maler der Tang-Dynastie (ca. 900 Jahre n. Chr.)

Vorrede zur zweiten Auflage

Diese Ausgabe ist auf Grund erneuter Durchsicht an der Hand chinesischer Kommentare an einzelnen Stellen verbessert. Die herangezogenen chinesischen Kommentare sind insbesondere ein sehr schöner Nachdruck einer Yüan-Ausgabe des Kommentars von Ho Yän und Hing Bing, ferner die Bemerkungen Mau Si Ho’s und die Erklärungen zu schwierigen Stellen der Lun Yü in der Sammlung »Dschu Bai Schau Fang«. Die meisten Veränderungen finden sich in der Einleitung, die auf Grund weiterer Forschungen mannigfach umgestaltet und erweitert ist. Ein Sachregister ist neu beigegeben. Die Orthographie der chinesischen Namen ist nach der in Ostasien von den deutschen Lehrern akzeptierten Schreibweise einheitlich durchgeführt.


Tsingtau, Januar 1914 D. Richard Wilhelm

Einleitung

Niemand, der sich mit China beschäftigen will, kann an der Persönlichkeit des Kung (der von den Jesuiten Konfuzius genannt wurde, nach dem chinesischen Kung Fu Dsï = Meister Kung, und diesen Namen in Europa bis heute behalten hat) vorübergehen. Kung ist das historisch gewordene Ideal der überwältigenden Mehrheit des chinesischen Volkes, und niemand kann ein Volk richtig beurteilen, ohne dessen Ideale zu verstehen. Dennoch ist man in Europa weit davon entfernt, zu einer eindeutigen Würdigung dieser Persönlichkeit durchgedrungen zu sein. Im rationalistischen Zeitalter wurde er vielfach aus seiner Umgebung herausgelöst und genoß als weiser und tugendhafter Sittenlehrer, der in mancher Beziehung der damaligen Zeitströmung verwandte Züge zeigte, große Verehrung. Seit China jedoch in neuerer Zeit eine wesentlich ungünstigere Beurteilung in Europa fand, hatte auch sein historisches Ideal darunter zu leiden. Um so mehr, als immer deutlicher erkannt wurde, daß er zu eng mit der ganzen chinesischen Geschichte zusammenhängt, als daß man ihn daraus willkürlich losreißen könnte. Ja, so stark scheinen die Fäden, die ihn auch nach seinen eigenen Aussprüchen mit dem chinesischen Altertum verknüpfen, daß unserer Zeit, die in den Heroen des Menschengeschlechts nur immer nach dem Originalen und Genial-Persönlichen sucht, oft kaum mehr etwas Bemerkenswertes an dem vielverehrten Meister der Chinesen übrig zu bleiben schien. Und nicht vereinzelt sind die Urteile, die den Konfuzianer Menzius, der einige Jahrhunderte nach Kungs Tode eine literarisch überaus geschickte Propaganda für dessen Lehren betrieb, noch über den Meister stellen. Diese Geringschätzung entfernt sich aber ebenso weit von der Wahrheit wie jene frühere Verehrung des individualistisch betrachteten Tugendlehrers. Um die Größe einer historischen Persönlichkeit objektiv festzustellen, muß man alle persönlichen Geschmacksrichtungen zunächst beiseite lassen und nur seine tatsächliche Wirkung in Betracht ziehen. Jede hervorragende Persönlichkeit hat eine ganz bestimmte Auffassung der metaphysischen Gründe des Weltgeschehens. Und dieser Auffassung entsprechend gestaltet sie ihr Leben. Wie in der Musik ein jeder Komponist seinen bestimmten Rhythmus hat, der alle seine Werke einheitlich durchdringt, so hat jeder große Mann eine besondere Rhythmik des Handelns und Erlebens, die sich mehr oder weniger von dem passiven Gelebtwerden der großen Menge unterscheidet. Die Größe einer Persönlichkeit hängt nun einerseits davon ab, wie hoch sich diese Eigenart des Erlebens über das Niveau ihrer Zeit erhebt, und andererseits davon, wie groß ihre Kraft ist, auch andere Menschen in diese neue Art des Lebens hineinzuziehen und so ihr Leben gestaltend zu bestimmen. Von diesem Gesichtspunkt aus muß man Kung entschieden als einen der ganz Großen der Menschheit bezeichnen; denn seine Wirkung auf die ganze ostasiatische Welt, zusammen wohl nahezu ein Drittel der Menschheit, hat sich bis heute erhalten, und ebenso ist das sittliche Ideal, das er vertritt, ein solches, das wohl einen Vergleich aushält mit den übrigen Weltreligionen. Und mancher schon, der mit großen Vorurteilen an die intimere Beschäftigung mit ihm heranging, hat sich schließlich das Bekenntnis abringen müssen: Er war doch ein großer Mann.

Der Versuch einer Lösung des Problems der Persönlichkeit Kungs als Faktors der Menschheitsentwicklung wird als notwendige Voraussetzung seine historische Eingliederung in den Zusammenhang des Lebens der chinesischen Rasse haben. Wir fragen daher zunächst: was fand er vor? – dann: was hat er erstrebt? – und weiter: was hat er erreicht? Eine Würdigung dessen, was er an bleibenden Werten dem geistigen Besitz der Menschheit hinzugefügt hat, möge den Abschluß bilden!

Für eine genaue Anschauung der Verhältnisse in der chinesischen Urzeit fehlt zurzeit noch das nötige kritisch gesichtete Quellenmaterial. Allerdings wird man ebenso vorsichtig sein müssen gegenüber einer zu weit gehenden Skepsis, wie gegenüber einer unbesehenen Übernahme des ganzen chinesischen Traditionsstoffs. Es hat eine Zeit gegeben, da man das Vorhandensein einer chinesischen Schrift vor dem Jahr 800 v. Chr. leugnen zu müssen meinte, ja manchen Kritikern war selbst dieses Datum noch zu hoch gegriffen. Neuerdings sind Funde alter, beschriebener Knochen gemacht worden, die seit uralten Zeiten zu Orakelzwecken dienten. Durch diese Funde wurden ganz neue Einblicke in ein altes chinesisches Schriftsystem eröffnet, und es ist keineswegs ausgeschlossen, daß mit der Zeit noch Monumente ans Tageslicht kommen, die die chinesische Urgeschichte in neuem Licht erscheinen lassen. Vielleicht daß dann auch die jetzt noch gänzlich ungeklärte Frage nach dem Ursprung der chinesischen Kultur ihre Antwort findet.

Was uns jetzt an Quellen für die chinesische Urzeit zur Verfügung steht, ist im wesentlichen alles durch die Redaktion Kungs hindurchgegangen. Es sind die fünf kanonischen Schriften der »Urkunden«, »Lieder«, »Wandlungen«, »Annalen des Staates Lu« und der – erst später fixierten – »Riten«. Wir haben Anhaltspunkte darüber, daß Kung bei seiner Redaktionsarbeit ziemlich radikal vorgegangen ist. Nicht darum war es ihm zu tun, eine historische Darstellung der Vergangenheit zu geben, sondern er wollte die Geschichte als einen Spiegel für die Zukunft überliefern. Er schrieb die Geschichte nur vom Standpunkt seiner Lehre aus, die er in ihr zusammengefaßt sieht. Ebenso ging er bei der Sammlung der Lieder und Bräuche durchaus kritisch vor.

Immerhin bewegen sich die redaktionellen Änderungen Kungs in ganz bestimmten Bahnen. Er läßt manches ihm unrichtig dünkende weg, rückt anderes in eine neue Beleuchtung; aber wir dürfen das Zutrauen zu ihm haben, daß er den wesentlichen Gehalt der ihm vorliegenden Quellen unangetastet ließ. Als ungünstiges Moment kommt jedoch in Betracht, daß keine der von ihm redigierten Schriften sich in ihrer ursprünglichen Gestalt erhalten hat. Weit mehr als die Bücherverbrennung des Tsin Schï Huang, die von den Chinesen für den Zustand ihrer alten Literatur verantwortlich gemacht wird, sind die allgemeinen Unruhen der auf Kung folgenden Jahrhunderte dafür verantwortlich. Die alte chinesische Welt fiel rettungslos dem Untergang anheim, und als sich aus den Trümmern später die Handynastie erhob und man begann, sich auf die Schätze alter Wissenschaft wieder zu besinnen, da war vieles schon sehr stark mitgenommen vom Sturm der Jahrhunderte. So ist uns denn die ganze alte Literatur nur so überliefert, wie sie aus dem Schutt der Zeiten hervorgezogen wurde.

Trotzdem diese Literatur zum Teil recht bedeutend gelitten hatte, sind uns dennoch in ihr die Richtlinien dessen aufbewahrt, was Kung in der Vergangenheit als Grundlage seiner Arbeit anerkannte. Die Heroen der Vergangenheit, die Schöpfer der chinesischen Kultur, die Kung vor Augen stehen, sind sieben an der Zahl: Gott Yau (Erhaben), Gott Schun (Gütig), der Große Yü, der Vollkommene Tang, ferner die drei Begründer der Dschoudynastie: König Wen und dessen zwei Söhne König Wu und der Fürst von Dschou. Wohl geht Kung nicht in jene grauen Urzeiten zurück, die in späteren Geschichtswerken immer ausführlicher behandelt werden; aber das große Dreigestirn der Kulturschöpfung Yau, Schun und Yü1, deren Zeit von 2300–2200 v. Chr. angesetzt zu werden pflegt, ist doch wohl auch kaum historisch. Schon daß Yau und Schun den Titel »Gott« tragen – denn die gewöhnliche Übersetzung mit »Kaiser« ist schon durch die Stellung des Wortes vor dem Namen ausgeschlossen – macht bedenklich. Aber auch die Zustände, wie sie unter diesen Herrschern sind und an das goldene Zeitalter anderer Mythen erinnern, finden im Verlauf der Geschichte keine Fortsetzung. Was von Yau, Schun und Yü erzählt wird, kommt aber dennoch in Betracht als Ideal, das Kung von der Vergangenheit besaß und an das er anknüpfen konnte. Die Ideale, die jene Heroen darstellen, sind die Grundlagen einer geordneten Regierung eines ackerbautreibenden Volkes. Was von Yau erzählt wird, bewegt sich durchaus in dieser Richtung. Ein ackerbautreibendes Volk braucht eine geordnete Zeitrechnung, damit die Beschäftigungen der Menschen in Einklang kommen mit dem Naturlauf, gut geordnete Wasserläufe, um Dürre und Überschwemmungen fernzuhalten, und endlich eine Regierung, die sich möglichst wenig durch Eingriffe in das persönliche Leben und Treiben des Volkes bemerkbar macht. So wird denn von Yau außer seiner persönlichen Tugend berichtet, daß er die Himmelserscheinungen in einem Kalender zur Darstellung brachte und in dem von seiner Familie verfolgten, aus ganz einfachen Verhältnissen hervorgegangenen Schun sich einen Gehilfen und Nachfolger herangezogen hat. Doch gelang es ihm noch nicht, der Überschwemmungen Herr zu werden. Dieses Werk vollendete Schun mit Hilfe des Großen Yü, der den sämtlichen Flüssen Nordchinas ihren Lauf anwies. Während Yau mehr mit den Himmelserscheinungen in Zusammenhang steht, ist Schun, der in seiner Jugend Landmann war, mehr mit den irdischen Verhältnissen verknüpft: Ackerbau, Töpferei, Fischfang und Jagd sind Tätigkeiten, die ihm die Legende zuschreibt. Und ähnlich wie Yau, unter Hintansetzung seines unwürdigen Sohns, sein Reich an Schun abgibt, – nachdem, wie taoistische Legenden nicht ohne Bosheit berichten, eine ganze Anzahl taoistischer Heiliger den Thron ausgeschlagen hatten – so wählt auch Schun als seinen Nachfolger den würdigsten seiner Beamten, den Bändiger der Gewässer: Yü. An Yü den Großen schließt sich die erste durch Erbfolge begründete Dynastie, die Hiadynastie an. Im Verlauf der Dynastie folgt auf das goldene Zeitalter jener Herrscher allmählicher Niedergang, bis mit dem letzten Herrscher aus dem Hause Hia, dem ausschweifenden und tyrannischen Giä, die Unmoral einen Gipfel erreicht, der »die Strafe des Himmels« herausfordert. Der Tyrann wird gewaltsam abgesetzt, und der »Vollkommene«, Tang, gründet die zweite Dynastie, die sogenannte Schangdynastie, deren Bezeichnung später in Yin umgewandelt wird. Die Gestalt des Tang ist dadurch im chinesischen System bemerkenswert, als wir in ihm den Heiligen als Empörer haben. Nachdem der Tyrann die Berufung des Himmels verscherzt hatte, geht diese auf den würdigeren Gründer einer neuen Dynastie über. An der Zuneigung des Volkes erkennt man, daß er wirklich einen höheren Beruf hat; denn des Volkes Stimme ist Gottes Stimme. Im übrigen übernimmt die neue Dynastie die Einrichtungen der alten unter zeitgemäßen Abänderungen. Auch das bleibt Grundsatz für die Jahrtausende in China: das große Erbe der Vergangenheit, die Summe der Kultur und Autorität kann wohl von einem Haus an das andere übergehen, aber die Tradition bleibt gewahrt, ähnlich wie auf anderem Gebiet im Papsttum. Von dieser theoretischen Erwägung abgesehen zeigt sich die zweite Dynastie ziemlich genau als Dublette der ersten; namentlich der Tyrann, der den Zorn des Himmels herabbeschwört, trägt unverkennbare Familienähnlichkeit mit dem Tyrannen Giä. Er heißt Schou Sin, und seine ausschweifende Gemahlin heißt Da Gi; im übrigen aber ist sein Lebenswandel nur eine Wiederholung der Ausschweifungen und Grausamkeiten des letzten Herrschers der Hiadynastie. Es fehlen zurzeit noch die Mittel, um festzustellen, wie das historische Verhältnis ist, ob es sich um zufällige Übereinstimmung handelt, oder ob der Thronsturz des Giä einfach eine in die Vergangenheit zurückprojizierte Analogie der Ereignisse zur Zeit des Schou Sin ist.

 

Soweit uns die vorhandenen Urkunden gestatten, uns ein Bild von den Zuständen der alten Zeit zu machen – und außer den konfuzianischen Quellen kommen hier auch taoistische in Betracht, die in mancher Hinsicht den alten chinesischen Zuständen noch näher treten als der eine »Reformation« darstellende Konfuzianismus – scheinen die Verhältnisse recht einfach gewesen zu sein. Selbst der Herrscher, dessen Macht oft übrigens mehr nominell gewesen zu sein scheint, lebte noch keineswegs luxuriös. Manche Schilderungen aus der alten Zeit, besonders in Beziehung auf Yü, geben recht primitive Bilder. Die Wirtschaftsform war agrarisch. Bedeutender als kriegerische Eroberung war friedliche Durchdringung weiter, noch unkultivierter Gebiete. Infolge davon ist die Gesellschaftsstruktur wesentlich von der westlichen verschieden. Im Okzident baute sich die Volksgemeinschaft fast durchweg auf dem Grund der kriegerischen Organisation der wehrfähigen Mannschaft auf. Darum war der Einzelne aus dem Kreis der Krieger Träger selbständigen Rechts innerhalb der Sippen. Der einzelne freie Mann bildete die Zelle der Gesellschaft, die sich je nach den Verhältnissen zur Demokratie oder Militärdespotie weiter entwickeln konnte. Auf alle Fälle waren damit die Grundlagen für eine Entwicklung des Individuums und somit auch für individuelle Religion und individuelle Moral gegeben. Ganz anders in China. Hier steht nicht kriegerische Eroberung, sondern friedliche Durchdringung am Anfang. Schon frühe hören wir von der Einteilung des Landes in Felder, die den einzelnen Familien zur Bebauung übergeben wurden. Die Feldbebauung setzt aber in der Familie ganz von selbst eine kollektivistische Wirtschaftsform voraus. So ergibt sich als Grundzelle des chinesischen gesellschaftlichen Organismus nicht das Individuum, sondern die kommunistische Familie. Es verdient hier hervorgehoben zu werden, daß sich Spuren eines Zustandes der Mutterfolge noch nachweisen lassen, doch scheint die Familie unter der Herrschaft des Vaters schon ziemlich weit zurückzugehen, wenn auch in der fast religiösen Betonung der väterlichen Autorität noch der Einfluß der Umwandlung der Sippe in die Familie durchklingt. Da aber zur Sicherung und Regelung des Lebens gemeinsame Unternehmungen unter einheitlicher Leitung, wie z. B. die schon erwähnte Flußregulation, notwendig waren, so bildet sich das Familienpatriarchat zum gesellschaftlichen Patriarchat mit dem Fürsten an der Spitze weiter. Wir finden die ethischen, religiösen und naturwissenschaftlichen Verhältnisse des vorkonfuzianischen China durchaus in Übereinstimmung mit den theoretischen Folgerungen, die sich aus diesen Zuständen ziehen lassen. Während in der Ethik des Westens die kriegerische Tugend des Muts und die damit zusammenhängenden Tugenden des Forschungstriebes und Wahrheitssinnes die Keimzelle für die ethische Entwicklung bilden, steht in China die gewißenhafte Einordnung in den Familienorganismus und durch ihn in den Gesellschaftsorganismus obenan, eben weil das die Tugend war, die innerhalb der gegebenen sozialen Verhältnisse am nötigsten und wertvollsten sich erwies. Von hier aus wird uns die Rolle, welche in China die Pietät spielt, ohne weiteres klar, und ebenso klar ist, wie ungerecht eine Beurteilung der chinesischen Kultur sein muß, die, wie das immer wieder geschieht, als Maßstab die auf ganz anderem Boden erwachsenen Prämissen unserer Kultur anlegt.

Dieselben Folgerungen ergeben sich auf religiösem Gebiet. Die Religion hat in China niemals die individuell-selbständige Entwicklung gefunden wie im Westen. Das Altertum kennt Zauber und Divination als wesentliche Züge des Lebens. Namentlich scheint auch die Schrift, die die Bilder der Gegenstände festzuhalten vermochte, als Zaubermittel hoch bewertet worden zu sein. Noch bis auf den heutigen Tag gelten geschriebene Zeichen für etwas einigermaßen Heiliges. Ebenso finden sich Spuren der Zaubermacht des Namens, in dem man Gewalt über das zugehörige Ding besitzt. Aus einer späteren Schicht stammen die Opfer, deren Vollzug als geheimnisvoll mit dem Weltlauf in Zusammenhang stehend betrachtet wurde. Verehrt wird der Gott des Himmels, ferner die Erde, und zwar die Erde (di) als Mutter im Gegensatz zum Himmelsvater, aber auch der männlich gedachte Gott der Ackerkrume (Hou Tu); außerdem die wichtigsten Naturgottheiten, die dem höchsten Gott beim Opfer beigeordnet werden. Daß auch der Ahnenkult in ältere Zeit zurückgeht, ist wohl selbstverständlich. Immerhin dürfte die feste Ordnung des Ahnenkultes erst mit der Dschoudynastie ihren Anfang genommen haben. Die Beschränkung des Kultes des höchsten Gottes auf den Altar bei der Hauptstadt und die Reservierung seines Vollzugs für den Herrscher hat sich, ähnlich wie das Opfer für Jahwe allein in Jerusalem, im Laufe der Zeit immer strenger durchgesetzt. Die Tempel des höchsten Gottes auf den Höhen im Land umher sanken mit der Zeit im Rang. Heute wird der »Nephritherr« darin verehrt, ein für das Volk zurechtgemachtes Surrogat des »lieben Gottes».

Die Begrenzung auf den Gebrauch der staatlich organisierten menschlichen Gesellschaft gibt der Wissenschaft der vorkonfuzianischen Periode ihren bestimmten Charakter. Interesselose Forschung aus bloßer Wißbegier kennt das chinesische Altertum so gut wie gar nicht. Auch das Wissen ist praktisch orientiert. Es ist für die Menschen, die Ackerbau treiben, ein unabweisbares Bedürfnis, daß sie den Verlauf ihrer Tätigkeiten dem Naturverlauf und seinen Gesetzen anpassen, daß die menschlichen Ordnungen sich einfügen in die Weltordnung.

Die Welt ist durch göttliche Vernunft (das Tao) regiert, und diese Prinzipien gilt es zu erforschen, damit der Kreis der menschlichen Tätigkeiten entsprechend gestaltet werden kann. So findet sich schon in ältesten Zeiten eine verhältnismäßig hohe Stufe der astronomischen Beobachtung, um mit ihrer Hilfe den Gang der Jahreszeiten und die entsprechenden Arbeiten des Ackerbaus festzulegen. Die Sorge für den Kalender war denn auch zu allen Zeiten eine wichtige Pflicht der kaiserlichen Regierung; es gab ein kaiserliches Hofamt, dem es oblag, jährlich den Kalender herauszugeben, in dem die geeigneten Tage für alle möglichen Unternehmungen des Lebens angegeben wurden. So suchte man seit urältester Zeit den Naturkräften und ihrer Ordnung durch eine an pythagoräische Lehre erinnernde Zahlensymbolik beizukommen. Der Dualismus der Urkräfte (Licht – Finsternis, männlich – weiblich usw., chinesisch yang yin) sowie die an die Fünfzahl sich anschließende Einteilung alles Bestehenden in Natur- und Menschenwelt (es gibt fünf Farben, fünf geographische Punkte – nämlich Mitte, Süden, Norden, Osten, Westen – fünf Tugenden usw., die alle in einem geheimnisvollen Zusammenhang stehen) bilden einen Hauptbestandteil dieser primitiven Naturphilosophie. Wie nun das chinesische Denken der Welt durch die Kategorie der Zahl beizukommen suchte, so war es andererseits von überaus großer Wichtigkeit, das Erkannte durch Begriffssymbole festzuhalten. Die Schrift, die sich der Sage nach aus geknoteten Stricken und primitiven Bildern der Gegenstände entwickelt hat, galt als etwas Heiliges und ist es, wie schon erwähnt, bis auf diesen Tag geblieben. Ihr Hauptzweck ist ebenfalls der, die rechten religiösen Riten und Gesetze festzuhalten und zu verbreiten. Auch sie war in erster Linie Mittel zur Staatsordnung. Ähnlich verhält es sich mit den übrigen Errungenschaften der Zivilisation, welche die chinesische Überlieferung ins höchste Altertum zurückprojiziert: die Erfindung der Kleidung, des Hausbaus, des Ackerbaus, der Seidenkultur usw. Alles sind technische Errungenschaften, für den unmittelbaren praktischen Gebrauch bestimmt. Daß die Überlieferung als Hüterin dieser Kulturgüter gerade in jenen ältesten Zeiten eine besonders wichtige Rolle spielte, damit das mühsam Erworbene nicht wieder verloren gehe, versteht sich von selbst, ebenso daß sich im Lauf einer jahrhundertelangen Entwicklung viel unzuverlässiges und minderwertiges Material in diese Überlieferung eingeschlichen hatte.

Die Kulturentwicklung hatte es im Wechsel der Dynastien schon damals zur Folge gehabt, daß kein einheitliches Volksbewußtsein mehr existierte, sondern verschiedene Linien geistiger Strömungen sich herausgebildet hatten. Während die eine Linie, die sich im späteren Taoismus fortsetzte, sich mehr an die Traditionen der Schangdynastie hielt, deren bedeutende Männer im Lauf der Jahrhunderte vom Taoismus fast alle deifiziert wurden, zeigen sich ums erste Jahrtausend zu Beginn der Dschoudynastie bereits gewisse Anfänge strafferer Organisation der Gesellschaftsordnung, die in Kung und seiner Lehre ihren Abschluß und ihre Vollendung fanden.

Mit der Dschoudynastie kommen wir auf Einflüsse aus dem Westen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß diese Dynastie, die Generationen lang mit großer Umsicht an der Befestigung und Ausbreitung ihrer Macht gearbeitet hat, nicht chinesischen Ursprungs ist, sondern von außen her in China eindrang. Noch Menzius nennt – allerdings in bewußtem Paradox – den König Wen, den tatsächlichen Gründer dieser Dynastie, einen Barbaren aus dem Westen. Natürlich weiß die Tradition einen genealogischen Zusammenhang dieser neuen Dynastie mit dem »Ackerbauminister« Hou Dsi, der dem göttlichen Yau und Schun zur Seite stand, herzustellen. Seine Nachkommen seien zu den Barbaren ausgewandert und von dort später wieder nach China zurückgekehrt. Es erübrigt sich auf diese Tradition einzugehen, um so mehr als wir noch ziemlich gut die einzelnen Etappen verfolgen können, die die neue Dynastie bei ihrem allmählichen Eindringen in China zurückgelegt hat. Es muß eine Art Völkerwanderung gewesen sein, und die Art, wie die eindringenden Barbaren allmählich sich Kultur und Macht in China verschafften, hat ihre Parallele in der Übernahme des römischen Imperiums durch die einrückenden Germanen.

Abgesehen von den früheren Häuptlingen dieser Stämme, von denen einer geschildert wird, wie er zu Pferd – von seiner Frau begleitet – die neuen Wohnsitze für die Seinen aussucht, sind es hauptsächlich drei Männer, die in der konfuzianischen Tradition die Siebenzahl der berufenen Heiligen voll machen: der König Wen, der moralisch den Einfluß der Familie im Reiche durchgesetzt hat, ohne den letzten Schritt der Usurpation zu tun, der König Wu, sein Sohn, der in hohem Alter die kriegerische Aktion gegen den Tyrannen Schou Sin unternommen, und dessen jüngerer Bruder Dan, der Fürst von Dschou, der für seinen unmündigen Neffen die Regierung führte, und dessen Familie mit dem Heimatstaat des Kung, dem Fürstentum Lu, belehnt wurde.

Durch König Wu und noch mehr durch seinen bedeutenderen Bruder, den Fürsten Dschou, wurden nun neue Lebensordnungen für das ganze Reich geschaffen, die sich wohl den Überlieferungen der guten alten Zeit im allgemeinen anschlossen, bei denen aber auch schon andere Linien in Erscheinung zu treten beginnen, die später durch Kung zum unveräußerlichen Bestand der chinesischen Geistesstruktur gemacht wurden, und zwar ist es vor allem die Familienidee, die in den Mittelpunkt gerückt wird. Die Familie findet ihre Ausgestaltung nicht in der Einzelfamilie, sondern in der mehrere Generationen umfassenden Gesamtfamilie, die bis auf den heutigen Tag in China besteht. Aus der Dschoudynastie scheint die Einrichtung zu stammen, die eine Heirat zwischen Gliedern derselben Sippe2 verbietet. Monogamie ist in der Weise durchgeführt, daß neben die eine legitime Hauptfrau deren Dienerinnen als Nebenfrauen treten können. Die Einrichtung eines fürstlichen Harems ging hier voran, obwohl sie eigentlich den monogamisch ausgelegten Verpflichtungen zwischen Mann und Frau widerspricht.

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