Verteidigung in der Hauptverhandlung

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Aus der Reihe: Praxis der Strafverteidigung #18
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Anmerkungen

[1]

Auch heute immer noch lesenswert hierzu Schumacher StV 1995, 442.

[2]

Zu diesen gehören zumindest NStZ, NStZ-RR, StV, StraFo und die Online-Zeitschrift HRRS, die den Vorteil hat, kostenlos im Internet bezogen werden zu können, sowie die erklärtermaßen praxisorientierte StRR (ab 2007); für Spezialgebiete stehen wistra und Kriminalistik, für strafrechtstheoretische Auseinandersetzungen insbesondere GA und ZStW zur Verfügung. Eine vollständige Aufzählung ist an dieser Stelle nicht möglich.

[3]

Siehe www.bundesgerichtshof.de.

[4]

Schünemann StV 1993, 657.

[5]

Dahs NJW 1994, 909.

[6]

BGHSt 50, 40, 64.

[7]

BGBl. I, 2353.

[8]

Vgl. zum Ganzen die monographische Darstellung von Niemöller/Schlothauer/Weider.

[9]

Niemöller/Schlothauer/Weider Vorwort, S. V.

[10]

Hierzu ausführlich Malek StV 2010, 200 ff.

[11]

BGHSt 38, 240.

[12]

BGHSt 52, 38, 42.

[13]

BGHSt 51, 298.

[14]

Vgl. BGHSt 34, 11, 12; st. Rspr.

[15]

Etwa BGH NJW 2001, 3794.

[16]

Zustimmend etwa Fahl JR 2007, 340.

[17]

§§ ohne Gesetzesangabe sind solche der Strafprozessordnung.

[18]

Föhrig Kleines Strafrichterbrevier, 2008 (hrsg. von Clemens Basdorf, Monika Harms und Andreas Mosbacher).

[19]

Wie anders sollte man unvoreingenommen denn den folgenden Satz verstehen: „Ärgerliche Verzögerungen der Hauptverhandlung sind einzig und allein anwaltlicher Obstruktion geschuldet“ (Föhrig S. 47).

[20]

Basdorfs Hinweis in seiner biographischen Notiz (Föhrig S. 131), Föhrig habe seinen Richterberuf geliebt, er sei „mit ganzer Seele Strafrichter“ gewesen, hatte ich dabei übersehen. Er ist sicherlich glaubhaft. Leider fehlt es aber an Erfahrungsberichten und Untersuchungen dazu, welche psychischen Mechanismen einen gebildeten und mit guten Examina ausgestatteten Menschen dazu veranlassen, die Bestrafung anderer nicht als gesellschaftlich notwendiges Übel zu sehen (was es zweifellos ist), sondern als lebenslange Aufgabe „mit ganzer Seele“ zu lieben. Der Komponist liebt die Musik, der Dichter das Wort und den Gedanken, der Rennfahrer liebt die Geschwindigkeit, der Schuster seine Schuhe, der Koch sein gutes Essen … All das erscheint plausibler.

[21]

Seine – vermutlich weit verbreitete – Auffassung „Ablehnungen sind Verzögerungswaffen für Anwälte“ (Föhrig S. 58) sollte man beispielsweise zur Kenntnis nehmen.

Teil 2 Allgemeines

Inhaltsverzeichnis

I. Hauptverhandlung mit und ohne Verständigung – zwei Arten des Prozesses

II. Der Ablauf der Hauptverhandlung und ihre Stellung im Strafverfahren

III. Wesentliche Verfahrensgrundsätze in der Hauptverhandlung

IV. Die Stellung des Verteidigers und sein Verhältnis zu den Prozessbeteiligten

V. Verteidigungsziele – Strategie und Taktik in der Hauptverhandlung

Teil 2 Allgemeines › I. Hauptverhandlung mit und ohne Verständigung – zwei Arten des Prozesses

I. Hauptverhandlung mit und ohne Verständigung – zwei Arten des Prozesses

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Spätestens seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Verständigung im Strafverfahren[1] (im Einzelnen hierzu Teil 5 Rn. 330 ff.) enthält die Strafprozessordnung zwei alternative Verfahrensordnungen: Einerseits die Regelung des „klassischen“ Strafprozesses mit einer Hauptverhandlung, in der unter Anwendung beweisrechtlicher Vorschriften versucht wird, die für die Gesetzesanwendung notwendigen Tatsachen möglichst wahrheitsgemäß festzustellen, um eine Grundlage für eine gerechte Entscheidung zu finden, andererseits die Regelung der strafprozessualen Verständigung mit der für die Hauptverhandlung zentralen Vorschrift des § 257c, für die normalerweise das Geständnis des Angeklagten wesentlicher Bestandteil ist. Es sei dahingestellt, welche Position der Verteidiger generell in Bezug auf die Möglichkeit verfahrensbeendender Absprachen einnimmt; gegenüber seinem Mandanten ist er in jedem Fall verpflichtet, sich mit der Neuregelung zu befassen und ihm diese zu vermitteln. Die Verpflichtung zur Belehrung des Mandanten ergibt sich aus dem Mandatsverhältnis, sei es durch Übernahme durch Vertrag oder durch gerichtliche Bestellung im Falle der notwendigen Verteidigung. Neben den Interessen des Beschuldigten sollte der Verteidiger dabei sein eigenes Haftungsrisiko nicht aus dem Auge verlieren: Unterlässt er die Belehrung seines Mandanten über die Möglichkeiten einer Verständigung und versäumt er dadurch, ein für den Angeklagten günstigeres Verfahrensergebnis zu erzielen, kann er sich schlimmstenfalls sogar wegen positiver Vertragsverletzung schadensersatzpflichtig machen. Es ist anzunehmen, dass die Anforderungen an den Nachweis der Kausalität durch den Mandanten im Falle einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung nicht allzu hoch angesetzt würden.[2]

Anmerkungen

[1]

Vom 29.7.2009, BGBl. I, 2353.

[2]

Vgl. hierzu die Grundsätze, die das OLG Nürnberg in seiner Entscheidung vom 29.6.1995 (StV 1997, 481) über die Haftung wegen fehlerhafter Beratung aufgestellt hat; Ähnliches dürfte für die unterlassene Belehrung über die Möglichkeiten der Aufklärungshilfe i.S.d. § 46b StGB zu befürchten sein, vgl. Malek StV 2010, 200, 203.

Teil 2 Allgemeines › II. Der Ablauf der Hauptverhandlung und ihre Stellung im Strafverfahren

II. Der Ablauf der Hauptverhandlung und ihre Stellung im Strafverfahren

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Alles, was schon früher geschah,geschah nur zum Zwecke der Hauptverhandlung.Alles, was noch geschehen wird,kann nur als Resultat derselben geschehen(Vargha Die Vertheidigung in Strafsachen, 1879, § 245)

Der Gang der Hauptverhandlung ergibt sich aus den §§ 243, 244 Abs. 1, 258 und 260. Sie beginnt mit dem Aufruf der Sache durch den Vorsitzenden (§ 243 Abs. 1 S. 1), der feststellt, ob der Angeklagte und sein Verteidiger anwesend und die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind (§ 243 Abs. 1 S. 2). Nachdem die Zeugen den Saal verlassen haben (§ 243 Abs. 2 S. 1), vernimmt der Vorsitzende den Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse (§ 243 Abs. 2 S. 2). Es folgt die Verlesung des Anklagesatzes (§ 243 Abs. 3). Anschließend wird der Angeklagte darauf hingewiesen, dass es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (§ 243 Abs. 5 S. 1). Sollten bereits Erörterungen des Verfahrensstandes gemäß § 160b oder § 202a stattgefunden haben, die die Möglichkeit einer Verständigung ergeben haben, oder hält das Gericht das Verfahren für geeignet, durch eine Verständigung beendet zu werden, so können bereits an dieser Stelle Gespräche zwischen den Verfahrensbeteiligten aufgenommen werden.[1] Geschieht dies, so ist der wesentliche Ablauf und Inhalt der Erörterung gemäß § 273 Abs. 1a zu protokollieren. Im Anschluss an die Belehrung oder an die Verständigungsgespräche wird der Angeklagte, falls er aussagebereit ist, zur Sache vernommen (§ 243 Abs. 5 S. 2). Es folgen die Beweisaufnahme (§ 244 Abs. 1) und die Schlussvorträge von Staatsanwaltschaft und Verteidigung (§ 258 Abs. 1). Der Angeklagte ist sodann zu befragen, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe (§ 258 Abs. 3); ihm gebührt das letzte Wort (§ 258 Abs. 2). Die Hauptverhandlung schließt mit der auf die Beratung folgenden Verkündung des Urteils (§ 260 Abs. 1). Wörtlich genommen findet die nach § 35a notwendige Rechtsmittelbelehrung, im Falle einer Verständigung die qualifizierte Belehrung gemäß § 35a S. 3, also nicht mehr in der Hauptverhandlung statt.

 

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Die Hauptverhandlung ist der auf das Vor- und Zwischenverfahren folgende Teil des Strafprozesses, in dem der angeklagte Sachverhalt verbindlich aufgeklärt und als Grundlage für das Urteil festgestellt werden soll. Sie gilt gemeinhin als das „Kernstück“ des Strafprozesses,[2] denn während die vorangehenden Verfahrensabschnitte nur zur Vorbereitung der Sachverhaltsaufklärung in der Hauptverhandlung dienen, ist für das Urteil des Gerichts allein das Ergebnis der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung selbst maßgebend (§ 261). Die außerhalb der Hauptverhandlung gewonnenen und nicht prozessordnungsgemäß in diese eingeführten Erkenntnisse dürfen dagegen ebenso wenig verwertet werden wie Erkenntnisse nach Schluss der Verhandlung.[3] Ein Verstoß hiergegen kann die Revision begründen.[4]

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Diese prozessuale Situation führt häufig gerade bei unerfahrenen Strafverteidigern dazu, die Bedeutung des Ermittlungsverfahrens für den Ausgang des Prozesses in sträflicher Weise zu unterschätzen. Bosbach beklagt zu Recht, dass die prägende Kraft des Ermittlungsverfahrens – vor allen Dingen durch die Untersuchungen von Peters[5] über die Fehlerquellen im Strafprozess – mittlerweile zwar Allgemeingut sei, und in der Praxis das Ermittlungsverfahren „einen zentralen Bereich der Wirkkraft einer effektiven Verteidigung“ darstelle, dass aber die Strafverteidigung in diesem Verfahrensstadium trotzdem immer noch ein „Mauerblümchendasein“ führe.[6] Als Gründe hierfür seien in Betracht zu ziehen die schlichte Unkenntnis der rechtlichen Möglichkeiten des Verteidigers im Ermittlungsverfahren, die auf fehlender praktischer Erfahrung basierende Fehleinschätzung der Risiken in der Hauptverhandlung, Probleme mit der angemessenen Honorierung, schließlich auch die taktische Überlegung, sein Pulver nicht vorzeitig zu verschießen und zuletzt auch die Erwägung, den spektakulären Auftritt in der Hauptverhandlung der unauffälligen Arbeit im Ermittlungsverfahren vorzuziehen.[7] Wie dem auch sei: Keine der genannten Erwägungen rechtfertigt es, die Verteidigung im Ermittlungsverfahren schleifen zu lassen oder auf die leichte Schulter zu nehmen. Fehler und Unterlassungen, die der Verteidiger im Ermittlungsverfahren begangen hat, sind in der Hauptverhandlung meistens gar nicht, und in seltenen Fällen gerade noch mit Glück zu bereinigen.

Hinweis

So wenig wie die Hauptverhandlung im Hinblick auf das Ermittlungsverfahren als „Vergangenheitsbewältigung“ missverstanden werden darf, so sehr hat sie im Hinblick auf das Revisionsverfahren der „Zukunftsplanung“ zu dienen. Auch wenn dem Verteidiger in erster Linie daran gelegen sein muss, ein für seinen Mandanten günstiges Ergebnis bereits in der Tatsacheninstanz zu erreichen, so hat er doch auch an den Fall zu denken, dass er auf einen ungünstigen Verfahrensausgang mit der Durchführung der Revision reagieren muss. Als Grundregel muss gelten: Wer in der Tatsacheninstanz untätig geblieben ist, insbesondere keine Anträge gestellt hat, hat in der Revision kaum eine Chance. Hauptbetätigungsfeld der Verteidigung in der Hauptverhandlung ist im Hinblick auf die Revision das Beweisantragsrecht, aber auch die „Sachverhaltsfestschreibung“ durch Wahrnehmung von Erklärungsrechten oder Protokollierungsanträgen bietet revisionsrechtliche Möglichkeiten. Zu bedenken ist weiter, dass die Untätigkeit der Verteidigung in zahlreichen Fällen den Rügeverlust in der Revision zur Folge haben kann. Im Grunde genommen gibt es kaum ein Prozessverhalten des Verteidigers oder des Angeklagten, das bei richtiger Ausübung keine revisionsrechtliche Relevanz erlangen könnte. Der Verteidiger tut gut daran, diese Auswirkungen im Auge zu behalten und bei seiner Verteidigungsführung zu beachten.

Anmerkungen

[1]

Zu Recht weisen Meyer-Goßner/Schmitt § 257c Rn. 1 darauf hin, dass die Regelung der Verständigung an falscher Stelle in das Gesetz eingefügt worden ist. Sie hätte vor und nicht hinter die Vorschriften zur Beweisaufnahme gehört.

[2]

Z. B. Meyer-Goßner/Schmitt Vor § 226 Rn. 1.

[3]

Grundlegend zum Inbegriff der Hauptverhandlung BGH B. v. 21.1.2016, 2 StR 433/15.

[4]

BGH StV 1996, 80.

[5]

Fehlerquellen im Strafprozess. Eine Untersuchung der Wiederaufnahmeverfahren in der Bundesrepublik Deutschland, 1. Bd. 1970, 2. Bd. 1972, 3. Bd. 1974.

[6]

Bosbach Einleitung S. 1 f.

[7]

Bosbach Einleitung S. 2.

Teil 2 Allgemeines › III. Wesentliche Verfahrensgrundsätze in der Hauptverhandlung

III. Wesentliche Verfahrensgrundsätze in der Hauptverhandlung

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Die tragenden strafprozessualen Prinzipien in der Hauptverhandlung klassischer Prägung sind die Grundsätze der Öffentlichkeit, der Mündlichkeit, aus dem das Prinzip der Verhandlungseinheit folgt, und der Unmittelbarkeit.

Teil 2 Allgemeines › III. Wesentliche Verfahrensgrundsätze in der Hauptverhandlung › 1. Öffentlichkeitsgrundsatz

1. Öffentlichkeitsgrundsatz

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Die Öffentlichkeit der Verhandlung stellt einemächtige Gewähr der Vertheidigung dar. Vor den Augenaller Bürger fällt es schwer, die Bürgerrechte imAngeklagten zu verletzen(Vargha Die Vertheidigung in Strafsachen, 1879, § 445)

Gemäß § 169 GVG ist die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse öffentlich. Die staatstheoretische Begründung, wonach die Öffentlichkeit die Rechtsprechung der Gerichte kontrollieren und dem Angeklagten Schutz vor Willkür bieten soll, sollte die Verteidigung nicht gänzlich aus dem Blick verlieren, wenngleich diese nach heute vorherrschender Auffassung ihre Bedeutung im Wesentlichen verloren hat und ganz überwiegend das Informationsinteresse der Allgemeinheit („Massenmedienöffentlichkeit“) im Vordergrund steht.[1]

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Der Öffentlichkeitsgrundsatz gilt für alle Hauptverhandlungen, nicht jedoch für andere Verhandlungen im Strafverfahren, z.B. die kommissarische Vernehmung von Zeugen, und solche, die außerhalb der Hauptverhandlung vorgenommen werden dürfen,[2] etwa Verhandlungen über Ablehnungsanträge.[3] Der Grundsatz postuliert die jedermann zustehende Möglichkeit, sich ohne Schwierigkeiten Kenntnis von Ort und Zeit der Verhandlung sowie im Rahmen der räumlichen Möglichkeiten und örtlichen Verhältnisse[4] Zutritt zur Verhandlung zu verschaffen.[5] Dies ist z.B. nicht der Fall, wenn die Verhandlung gegen einen Angeklagten nicht auf einem im Gerichtsgebäude für jedermann erkennbar angebrachten Terminzettel vermerkt ist, oder wenn die Hauptverhandlung in einem Raum stattfindet, in dem sich nur ein einziger Sitzplatz für Zuhörer befindet und weitere Personen auch stehend allenfalls in drangvoller Enge Platz finden könnten.[6] Hat das Gericht durch Anordnung der vorherigen Durchsuchung von Prozessbesuchern selbst bewirkt, dass sich deren Zutritt zum Sitzungssaal verzögert, so darf es mit der Verhandlung erst beginnen, wenn den zum vorgesehenen Verhandlungsbeginn erschienenen Personen der Zutritt gewährt worden ist.[7] Die Zuhörer müssen auf jeden Fall noch als Repräsentanten einer Öffentlichkeit angesehen werden können, die keiner besonderen Auswahl unterliegt.[8] Nicht zu beanstanden ist es, wenn selbst bei beengten Verhältnissen einige (aber nicht alle!) Plätze für Pressevertreter freigehalten werden.[9] Findet die Hauptverhandlung außerhalb des Gerichtsgebäudes statt, so ist es notwendig, dass durch eine Hinweistafel im Gerichtsgebäude auf Ort und Zeit der Weiterverhandlung hingewiesen wird.[10] Allerdings soll es für den Fall der Fortsetzung der Verhandlung außerhalb des Gerichtsgebäudes ausreichen, wenn Ort und Zeit der Fortsetzung in der Verhandlung bekannt gegeben werden und dort nicht anwesenden Interessenten Auskunft erteilt wird.[11]

16

Eingeschränkt ist der Grundsatz der Öffentlichkeit durch § 48 Abs. 1 JGG, wonach die Verhandlung gegen Jugendliche nicht öffentlich ist, es sei denn, dass auch Heranwachsende oder Erwachsene in demselben Verfahren angeklagt sind. Ist die Öffentlichkeit gem. § 109 Abs. 1 S. 4 JGG im Interesse des Heranwachsenden ausgeschlossen worden, so umfasst die Ausschließung, soweit das Gericht nichts anderes bestimmt, auch die Verkündung des Urteils.[12] Sind Gegenstand der Anklage Taten, die der Angeklagte teils als Jugendlicher, teils als Heranwachsender begangen hat, so findet die Hauptverhandlung auch dann noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, wenn in ihrem Verlauf das Verfahren wegen der Taten, die er als Jugendlicher begangen hat, nach § 154 Abs. 2 vorläufig eingestellt worden ist.[13]

17

Die Öffentlichkeit kann auch aus den in den §§ 171a (Ausschluss der Öffentlichkeit in Unterbringungssachen), 171b (Ausschluss der Öffentlichkeit zum Schutz der Privatsphäre) und 172 GVG genannten Gründen durch Gerichtsbeschluss ausgeschlossen werden. Dieser Beschluss ist gem. § 174 Abs. 1 S. 3 GVG zu begründen, wobei die Angabe des Ausschließungsgrundes mit dem Gesetzeswortlaut oder der Gesetzesvorschrift nur dann ausreichend ist, wenn damit der Grund der Ausschließung eindeutig gekennzeichnet ist, etwa weil die maßgebliche Gesetzesbestimmung nur einen einzigen Ausschließungsgrund enthält.[14] Darüber hinaus will der 1. Strafsenat des BGH einen Verstoß gegen § 174 Abs. 1 S. 3 GVG verneinen, wenn der Ausschließungsgrund des Schutzes der Privatsphäre des Opfers (§ 171b GVG) oder der Gefährdung der Sittlichkeit (§ 172 GVG) oder beider zusammen für die Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit durch den sich aus dem Beschluss selbst ergebenden Hinweis auf den Verfahrensabschnitt „zweifelsfrei erkennbar ist“.[15] Schließt das Gericht die Öffentlichkeit während der Dauer der Vernehmung des Angeklagten nach § 171b Abs. 1 GVG aus, so umfasst diese Maßnahme auch die sich aus der Einlassung des Angeklagten ergebende Erörterung von Strafmaßerwartungen sowie Fragen einer Verständigungsmöglichkeit.[16] Die genannten Ausschließungsvorschriften sind eng auszulegen und abschließend. Unzulässig ist daher z.B. die Bitte des Vorsitzenden an alle Zuhörer, den Raum zu verlassen.[17] Ein solches Vorgehen verletzt den Öffentlichkeitsgrundsatz und stellt einen absoluten Revisionsgrund gemäß § 338 Nr. 6 dar.

18

Der Ausschluss nach § 171b GVG kann auch für die Dauer der Verlesung des Anklagesatzes erfolgen, denn auch hier können Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, Zeugen oder durch eine rechtswidrige Tat Verletzten zur Sprache kommen, die einen Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b I 1 GVG zu rechtfertigen vermögen, weil deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde, ohne dass das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt.[18] Dasselbe gilt für die Schlussvorträge.[19] Nach § 171b Abs. 3 S. 2 GVG ist für die Schlussanträge in Verfahren wegen der in § 171b Abs. 2 GVG genannten Straftaten (§§ 174-184h, 211-222, 225, 232-233a StGB) die Öffentlichkeit zwingend auszuschließen, ohne dass es eines hierauf gerichteten Antrags bedarf, wenn die Verhandlung nach § 171b Abs. 1 oder Abs. 2 GVG oder nach § 172 Nr. 4 GVG ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung kann mit der Revision gerügt werden. Zwar ist der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO nicht gegeben, weil diese Vorschrift bei einer unzulässigen Erweiterung der Öffentlichkeit nicht anwendbar ist.[20] Durchgreifend ist aber der relative Revisionsgrund (§ 337 StPO), wobei in der Regel zumindest der Rechtsfolgenausspruch auf dem Rechtsfehler beruhen kann, da nicht auszuschließen ist, dass der Angeklagte über seine Einlassung hinaus in seinem letzten Wort weitere sich zu seinen Gunsten auswirkende Umstände angesprochen hätte, wenn er nicht der besonderen Belastung der öffentlichen Hauptverhandlung ausgesetzt gewesen wäre.[21]

 

Teil 2 Allgemeines › III. Wesentliche Verfahrensgrundsätze in der Hauptverhandlung › 2. Mündlichkeitsgrundsatz

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