Emma der Wolf

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Klaus J. Schlüter

Emma der Wolf

Teil I

Ein außergewöhnlicher Wolf

wächst heran

Mit Illustrationen von:

Malmling Studio

Imprint

© 2017 Klaus Jürgen Schlüter

Alle Rechte vorbehalten.

Korrektorat: Dr. Olaf Krause, Hannover

Satz, Einbandgestaltung u. Illustrationen:

Malmling Studio, Hannover

Natalie Dombois

Sabine A. Goebel

Ann-Kathrin Gross

Published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

Konvertierung: Sabine Abels | www.e-book-erstellung.de

Weitere Infos zum Autor und Emma:

www.emma-der-wolf.com

Weitere Infos zu den Illustrationen:

www.malmlingstudio.de.vu

Für meine Enkelkinder

und für alle Kinder, die gerne lesen

und alle Eltern und Großeltern,

die gerne vorlesen.

Kapitelübersicht

1. Die Heimat des jungen Wolfes

2. Der junge Wolf und seine Familie

3. Die Urgroßmutter des jungen Wolfes weiß Rat

4. Urgroßmutter, Holunderfee und die Entscheidung

5. Der junge Wolf und seine große Reise

6. Ein Brief an die Eltern

7. Der Besuch bei den Bären wird vorbereitet

8. Nachtgespräch mit Urgroßmutter

9. Aufbruch zu den Bären

10. Im Bärengebiet

11. Die Witterung wird immer stärker

12. Die Begegnung

13. Die Einladung vom Rat der Alten

14. Das Unglaubliche geschieht

15. Der Tag danach

16. Im Olympiadorf

17. Die Olympiade wird eröffnet

18. Die vier Wettkämpfe

19. Ein Traum erfüllt sich – der Name: Emma der Wolf

20. Emma der Wolf muss heimkehren

Die Hauptfiguren


Der junge Wolf


Die Urgroßmutter


Der Vater, Leitwolf des Rudels


Die Mutter


Holunderfee


Bärenkennerin

[no image in epub file]

Die Brüder


1. Die Heimat des jungen Wolfes

Vor langer, langer Zeit lebte in unserem Land ein Rudel Wölfe. Zählte man alle Wölfe dieses Rudels, waren es ungefähr 28. Doch manchmal waren es mehr und manchmal auch weniger. Das lag meistens daran, dass die Jüngeren unter ihnen von heute auf morgen aufbrachen und erst nach drei oder vier Tagen zurückkehrten. Einige blieben sogar für mehrere Wochen weg. Und wenn sie zurückkamen, erzählten sie von den Bauernhöfen, von den Dörfern der Menschen oder den neuen Straßen, die sie entdeckt hatten. Aber manchmal wollten sie auch nur Abenteuer erleben. So kam es, dass nach und nach jeder im Rudel die nähere und weitere Umgebung sehr gut kannte. Hatte einer der Wölfe mal etwas Neues entdeckt, so wurde es gleich dem Rat der Alten mitgeteilt. Der wiederum sorgte dafür, dass es auch in der Wolfsschule den Wolfskindern erzählt wurde. So hatten sie über die vielen Jahre herausgefunden, dass ihr Wolfsgebiet im Norden von einem großen Meer begrenzt war, im Osten, wo die Sonne jeden Morgen aufgeht, sich ein großes Gebirge mit tiefen, dunklen Wäldern erstreckte und im Westen man einen breiten und tiefen Fluss durchschwimmen musste, wenn man zu einem anderen Wolfsrudel gelangen wollte. Nicht so gerne sprachen die Wölfe über die Begrenzung ihres Rudelgebietes im Süden. Gefährlich sei es dort, wie die alten Wölfe immer warnten, sie rieten den Jüngeren, zumindest beim ersten Mal nur in Begleitung eines älteren und kundigen Wolfes sich dorthin aufzumachen. Dort hatten nämlich die Menschen in den vergangenen Jahren eine mehrspurige Eisenbahnstrecke gebaut und ziemlich nah daran auch noch eine Autobahn. Beides sollte helfen, die Menschen noch schneller von Köln nach Berlin oder von Berlin nach Köln zu bringen. So gut dies für die Menschen war, so schlecht war es für die Wölfe.

Unter den Wölfen im ganzen Land war es üblich, dass jedes Wolfsrudel einen Rat der Alten besaß. In der Regel setzte sich dieser Rat aus mindestens fünf, manchmal auch aus sieben Wölfen zusammen, je nachdem, wie groß das Rudel war. Viele wichtige Entscheidungen für das Leben der Wölfe wurden von ihm getroffen. Die wichtigste Aufgabe des Rates war jedoch, den Leitwolf für das gesamte Rudel zu wählen. Nur kluge und tapfere Wölfe konnten in diesen Rat gewählt werden, und es war eine große Ehre für jede Wolfsfamilie, wenn eines ihrer Familienmitglieder im Rat der Alten vertreten war.

Aber da waren nicht nur Wolfsmänner, die zur Wahl standen. Es gab auch manche Wolfsfrauen, die gewählt wurden. Was die Wolfsmänner an großem Mut und Tapferkeit mitbrachten, wurde von den Wolfsfrauen durch Liebenswürdigkeit und Großzügigkeit ausgeglichen und ergänzt. Und es ist kein Geheimnis, dass manchmal die Frauen unter den Wölfen auch die Klügeren waren.

Das größte Ansehen jedoch besaß die Familie, aus deren Mitte der Leitwolf kam. Er, der Leitwolf, war „der Wolf“. So wurde er immer genannt und es versteht sich von ganz allein, wenn dieser einer der klügsten und tapfersten Wölfe des ganzen Rudels war. Er besaß das Vertrauen aller im Rudel. So wie man in alten Märchen früher erzählte, der König kommt, so hieß es bei den Wölfen: Der Wolf kommt. Alle anderen des Rudels gehorchten ihm gern und in Treue. Sie waren stolz, wenn sie an der Seite eines großen und klugen Leitwolfes dienen, auf die Jagd gehen oder vielleicht sogar das eigene Rudel gegen böse Angreifer verteidigen durften. Und die ganz alten und greisen Wölfe und die anderen, die krank und schwach waren, konnten sich immer darauf verlassen, dass der Leitwolf sie beschützen und sogar sein Leben für sie geben würde.

So war es auch bei den Wölfen in unserer Geschichte. Über viele, viele Jahre und über viele Wolfsgenerationen hinweg kam der Leitwolf immer nur aus einer und derselben Familie. Inzwischen hatte diese Familie auch über die Landesgrenzen hinweg bei allen Wolfsrudeln den Ruf, eine der klügsten Wolfsfamilien zu sein. Nie hatte sich ein Mitglied des Rates der Alten darüber beklagt, dass diese Familie vielleicht bevorzugt behandelt worden wäre. Nein, ganz im Gegenteil, immer wurden die Leitwölfe einstimmig gewählt.


Das Wolfsrudel lebte in Frieden, zu fressen war meist ausreichend vorhanden und den Bauern, die in der Nähe ihre Höfe hatten und ihre Felder bestellten, konnte man meistens aus dem Wege gehen. Wenn mal hier oder da einem Bauern ein Huhn oder eine Gans fehlte, fiel das nicht weiter auf die Wölfe zurück - es konnte ja auch ein Fuchs gewesen sein. Und wenn ein Schaf auf der Weide gerissen wurde, dann vermuteten die Bauern eher, dass wieder mal ein hungriger Bär aus den nahen Bergen gekommen war. Allerdings, wenn mal mehrere Schafe oder sogar Ziegen und Rinder angegriffen worden waren, dann konnte es auch für die Wölfe sehr gefährlich werden. Dann nahmen nämlich die Bauern ihre Gewehre und versuchten, die Wölfe zu vertreiben oder sogar zu töten.


2. Der junge Wolf und seine Familie

»Wolf, was ist mit dir?«, fragte die Frau des Leitwolfes. Sie stand am Herd und kümmerte sich um das Mittagessen. Ihr Gesicht aber hatte sie ihrem Mann, dem Leitwolf des Rudels, zugewandt. Sie trug Sorgenfalten im Gesicht.

 

»Seit vielen Wochen beobachte ich dich«, sagte sie. »Du sprichst nur noch in kurzen Sätzen und nach dem Essen verziehst du dich gleich auf dein Zimmer oder läufst einsam im Wald umher. Bitte, was bedrückt dich?«, fragte sie einfühlsam und schaute ihn dabei sehr ernst an.

Wolf saß am großen Küchentisch, eine Tasse Kaffee vor sich, die er langsam zwischen den Pfoten drehte. Dabei betrachtete er die zarten Wellen des Kaffees in der Tasse, als wenn er aus ihnen eine Antwort lesen könnte.

»Frau«, begann er schließlich. Seine Stimme war leise und klang unglücklich. »Du weißt, dass ich nicht mehr lange Leitwolf sein kann. Viele Jahre habe ich unser Rudel geführt und immer konnte ich euch ein guter Leitwolf sein. Aber nun werde ich langsam älter und es wird Zeit, dass ich mich um einen guten Nachfolger kümmere.«

Da verstand sie seine großen Sorgen, denn auch sie wusste, dass seit vielen Generationen der Leitwolf immer nur aus seiner Familie gekommen war. Zwar hatten sie einen Sohn, den jungen Wolf, der auch alt genug war, in ein oder zwei Jahren Leitwolf zu werden, jedoch weder die Eltern, geschweige denn ein Wolf aus dem Rat der Alten würden dem Sohn des Leitwolfes dieses hohe und schwere Amt zutrauen wollen. Es wäre das erste Mal, dass ein Wolf aus einer anderen Familie Leitwolf werden würde.

Während seine Eltern in der Küche saßen und leise über ihn sprachen, saß der junge Wolf in seinem Zimmer am Schreibtisch und las in dicken Büchern, stöberte mal in diesem Buch, mal in jenem oder schlug ein Lexikon auf, um nach einer bestimmten Erklärung zu suchen.

So war es fast jeden Tag. Seine Hausaufgaben hatte er immer sehr schnell gemacht. Das war auch kein Wunder, denn in seiner Klasse, es war die Abschlussklasse der Wolfsschule, war er in fast allen Fächern der Beste. Doch während die anderen Wolfsjungen und Wolfsmädchen aus seiner Klasse im Wald spielten oder versuchten, Fallen zu bauen, und aus sicherer Entfernung Hühner und Gänse der Bauern beobachteten und überlegten, wie sie diese wohl unerkannt packen könnten, las er in seinem Lieblingsbuch. Seine Urgroßmutter hatte es ihm zum achten Geburtstag geschenkt. Die Geschichten in diesem Buch erzählten von einem Leitwolf, der eine Wolfsfrau gewesen war. Diese ungewöhnliche Leitwölfin trug den Namen Emma. Emma war bis ins hohe Alter von allen Wölfen ihres Rudels geachtet und respektiert. Obwohl es manche Wolfsmänner im Rudel und auch anderswo gab, die viel kräftiger waren als sie, entstand daraus nie ein Problem. Auch später, als sie nicht mehr Leitwölfin sein konnte, weil ihre Beine an Schnelligkeit nachgelassen hatten und ihre Nase die Fährte eines verletzten Rehs in vielen Kilometer Entfernung nicht mehr sicher aufnehmen konnte, wurde sie immer noch bei wichtigen Entscheidungen um Rat gefragt.

Der junge Wolf liebte seine Urgroßmutter über alles. Seine Liebe zu ihr war wie ein spannendes Geheimnis. Zu ihr ging er mit seinen Büchern, wenn er mal etwas nicht verstanden hatte oder mehr wissen wollte, als aus Büchern zu erfahren war. Für ihn war seine Urgroßmutter die Klügste unter allen Wölfen und wäre es nach ihm gegangen, wäre nur seine Urgroßmutter Leitwölfin geworden, obwohl er mit seinem Vater als Leitwolf auch sehr zufrieden war.

Von ihr hatte der junge Wolf auch erfahren, dass es nur ganz, ganz selten vorkommt, dass Wölfe einen besonderen Namen tragen. Man musste schon etwas Außergewöhnliches geleistet haben, dann durfte man selbst einen Namen für sich wählen oder er wurde als eine Art Auszeichnung verliehen. Das war dann für das ganze Rudel und besonders für die Familie eine große Ehre. So soll es auch damals bei der Wölfin Emma gewesen sein.

Wie freute er sich auf die Vollmondnächte. Dann durfte er die ganze Nacht bei seiner Urgroßmutter bleiben. Das Buch über die große Wölfin Emma nahm er immer mit, denn wenn es dunkel geworden war, gingen Urgroßmutter und er zum Waldrand, setzten sich in das weiche Moos und Urgroßmutter las bei Kerzenlicht Geschichte um Geschichte vor. Manchmal leuchtete der Vollmond so hell, dass sie das Licht der Kerzen gar nicht benötigten. Ab und zu unterbrach sie ihr Vorlesen mitten in der Geschichte, dann blieben sie ganz still und gespannt sitzen, lauschten den Stimmen der anderen Tiere und leise erklärte sie dem jungen Wolf, wem diese oder jene Stimme gehörte. Mit der Zeit kannte er alle Stimmen des Waldes und der Felder und konnte sogar das Heulen der Wölfe, das von weit her zu ihnen herüberwehte, genau erkennen und unterscheiden. Obwohl er selbst schon alle Geschichten mehrmals gelesen hatte, jede Kleinigkeit genau kannte, waren die Geschichten, wenn Urgroßmutter sie vorlas, an Spannung nie zu übertreffen. Immer wieder kam es vor, dass er sich in die Zeit der großen Emma versetzt fühlte. Dann lief er in Gedanken an ihrer Seite, wenn es auf die Jagd ging, und erkundete mit ihr fremde Spuren. Oder manchmal ertappte er sich, wenn er leise anfing, mit den anderen Wölfen um die Wette zu heulen. Hin und wieder beobachtete Urgroßmutter, wie der junge Wolf sich in seinen Träumen in andere Welten entführen ließ. Einmal erwähnte sie leise: »Träume nur, mein junger Wolf, Träume sind wie die Wunschzettel der Seele.«


Lange Zeit noch saßen die Eltern des jungen Wolfes in der Küche. Schließlich unterbrach seine Mutter die bedrückende Stille, indem sie behutsam fragte: »Wolf, ich teile deine Sorgen, auch ich würde unseren Sohn gerne als deinen Nachfolger sehen. Meinst du nicht auch, wir sollten mal seine Urgroßmutter um Rat bitten?«

»Vielleicht hast du Recht, Frau.« Er führte seine Tasse Kaffee zum Mund, nahm einen kleinen Schluck und atmete schwer. Es schien, als sei er etwas erleichtert, als er wiederholte: »Ja, vielleicht hast du Recht. Wenn aus der Familie irgendjemand unseren Sohn genau kennt, dann ist sie es. Nur sie wird tief in sein Herz blicken können und uns sicherlich einen Rat geben.«


3. Die Urgroßmutter des jungen Wolfes weiß Rat

»Ich kann gar nicht verstehen, dass ihr eurem eigenen Sohn so wenig zutraut«, empörte sich die Urgroßmutter des jungen Wolfes mit zittriger Stimme und man merkte ihr die Enttäuschung an. »Glaubt ihr wirklich, euer Sohn könnte nicht Leitwolf werden?«

Die Eltern des jungen Wolfes saßen in Urgroßmutters Wohnzimmer. Sie hatte Kaffee aufgesetzt und auf dem Tisch stand eine Flasche Kirschlikör. Diese hatte der Leitwolf als kleines Geschenk mitgebracht. Alle in der Familie wussten von Urgroßmutters Vorliebe für diesen selbstgemachten Likör. Auf dem Weg zu Urgroßmutter hatten sie kaum miteinander gesprochen. Nur einmal hatte der Wolf zu seiner Frau gesagt, dass er alles tun würde, damit sein Sohn genauso wie er und sein Vater und sein Großvater und alle vor ihm in der Familie Leitwolf werden könnte.

»Wisst ihr eigentlich, dass er der klügste Wolfsjunge weit und breit ist. Keiner der anderen Wölfe in seinem Alter kennt die Stimmen der Vögel im Wald so gut wie er«, und mit glänzenden Augen fügte Urgroßmutter hinzu: »Ich kenne niemanden, der aus dem Schlagen der Drossel, dem Hämmern des Spechtes oder dem Geschrei der Elster heraushören kann, ob für die Tiere im Wald Gefahr droht oder ob nur harmlose Wanderer des Weges kommen.«Und je mehr sie erzählte, desto größer wurde ihre Begeisterung. »Stellt euch nur vor, als wir in der letzten Vollmondnacht gemeinsam auf Spurensuche waren, hat euer Sohn auf Anhieb von achtzehn verschiedenen Fährten alle Tiere beim Namen nennen können, die diese Spuren zurückgelassen hatten.«

»Sicher, er ist bestimmt nicht dumm«, lenkte nun der Vater des jungen Wolfes vorsichtig ein. »Er hat schon so viele Bücher gelesen wie wohl keiner der Wölfe, die im Rat der Alten vertreten sind.«

»Aber warum spielt er nicht mit den anderen Wölfen aus seiner Klasse? Warum übt er nicht das Jagen mit ihnen? Oder warum rennt er nicht mit ihnen um die Wette?«, fragte die Frau des Leitwolfes und wischte sich ein paar Tränen aus den Augen, denn sie war im Augenblick sehr traurig und unglücklich.


Nach einer ganzen Weile der Stille setzte sich Urgroßmutter mit an den Tisch. Die Tassen waren inzwischen mit frischem Kaffee gefüllt. Natürlich spürte auch sie die Sorge der beiden um ihren Sohn. Behutsam legte sie ihre schon sehr grauen Läufe um deren Schultern und sagte mit einer warmen und liebevollen Stimme: »Gebt mir ein paar Tage Zeit, ich werde zu meiner alten Freundin gehen, die im Osten jenseits der großen Berge lebt. Von ihr, dieser überaus klugen und weisen Frau, habe ich euch schon früher berichtet. Mit ihr werde ich über euren Sohn sprechen. Sie wird sicher Rat wissen.«

Und dann erzählte Urgroßmutter weiter, dass ihre Freundin schon als kleines Wolfsmädchen von ihrer Mutter gelernt hätte, Heilkräuter zu sammeln und daraus Medizin zu kochen und Salben zu bereiten. Deswegen hätte man ihr schon in jungen Jahren den Namen „Holunderfee“ verliehen. Holunder war nämlich ihre Lieblingspflanze.

»Sie ist die Einzige in diesem Land, die die Heilkräfte aller Kräuter kennt. Sogar Bärenmütter, die ja nicht gerade die Wölfe zu ihren Freunden zählen, hatten sie schon um Medizin für ihre kranken Bärenbabys gebeten«, erzählte sie weiter und ihre Augen leuchteten dabei.

Auch berichtete Urgroßmutter, dass ihre Freundin Holunderfee schon vielen alten Leitwölfen aus fernen Ländern helfen konnte. Diese waren nämlich gekommen, weil sie nicht mehr so gut hören konnten, das Licht ihrer Augen trüber geworden war oder weil sie sich nicht mehr auf ihre Nase verlassen konnten.

»Aber Urgroßmutter, unser Sohn ist doch nicht krank, so dass ihm irgendeine Medizin helfen könnte«, wandte der Vater des jungen Wolfes energisch ein. »Du sagtest selbst einmal, er könne laufen wie ein Reh, Haken schlagen wie ein Hase und schleichen wie eine Katze.« Und nach einer kurzen Pause, wobei seine Stimme erheblich leiser und nachdenklicher wurde, fügte er hinzu: »Und doch, irgendetwas fehlt ihm, um einmal ein großer Leitwolf zu werden.«

Wolf war ratlos und seine sonst so hellen und wachen Augen schauten ganz traurig.

Da stand Urgroßmutter auf und sagte mit fester Stimme: »Ihr habt keinen Grund, traurig zu sein oder Trübsal zu blasen. Euer Sohn ist ein kluger und guter Junge. Er wird mit Sicherheit eines Tages ein großer und berühmter Leitwolf sein.« Dann ging sie zum großen Schrank, holte ihre Reisetasche hervor und sagte mit klarer Stimme: »Morgen früh breche ich zu Holunderfee auf und in etwa zehn Tagen werde ich zurück sein. Dann werde ich euch berichten, was wir beide überlegt haben und wie wir euch helfen können.«


Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?