Der kleine Fup

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Der kleine Fup
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Klaus Bittermann

Der kleine Fup

Abenteuer und Episoden aus

der geheimnisvollen und wilden Welt

eines kleinen Jungen

FUEGO

- Über dieses Buch -

Fup ist der Spitzname eines inzwischen 7-jährigen. Der Name ist eine Anspielung auf den wunderbar skurrilen Roman »FUP« von Jim Dodge, großartig übersetzt und hinreißend gelesen von Harry Rowohlt, eine Ente, die sich gerne in einem alten Autokino Filme anguckt. In kurzen Episoden beschreibt Bittermann ziemlich trocken und lakonisch die Abenteuer des bereits aus seinen Kreuzberger Szenen »Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol« bekannten Fup. Er ist Fan von Borussia Dortmund, übt fleißig den Zidane-Trick und den Übersteiger, sitzt gerne auf den Schultern seines Vaters, fährt Skateboard, sammelt Nexo Knight-, Fußball-, Star Wars- und sogar Postkarten von SPD-Politikern. Die von Sigmar Gabriel allerdings verzockt er lieber.

In wunderbar absurden Gesprächen öffnet sich immer wieder ein überraschend neuer Blick in einen ganz anderen Kosmos, in dem man nützliche Dinge erfährt, wie z.B. dass es von großem Vorteil ist, Batmans Freund zu sein, für den Fall, dass man von einem Oktopus angegriffen wird.

»Man schließt den kleinen Fup sofort ins Herz. Wir sehen die Welt durch seine Augen. Das ist mal lustig, das ist aufregend, manchmal auch durchaus philosophisch, manchmal auch traurig. Er ist ein bisschen wie ein moderner kleiner Prinz, aber ihm Unterschied zu ihm hat es der kleine Fup faustdick hinter den Ohren.« (Literaturagenten, RBB Radio Eins)

»Übrigens hat mich bei der Fup-Lektüre mal wieder erstaunt, wie nachhaltig sich ein völlig krawallfreier, leiser Text ins Lesergemüt schleichen kann. Quasi auf Zehenspitzen. Und dann ist er lange präsent. Ein letztes Mysterium!« (Simon Borowiak)

Für Tania

Der frühe Fup
Episoden aus der geheimnisvollen Welt
eines 3 bis 5-Jährigen

»Dann geben wir diesem Geschöpf lieber einen Namen, damit es weiß, von wem wir die ganze Zeit reden ... ich habe einen wirklich guten: Fup.« [Jim Dodge »Fup«]

Mit Fup unterwegs

Ich schlendere mit Fup auf den Schultern am Eisladen vorbei. Ein Mann sitzt auf der Bank und fragt: »Ist das Fup da oben?« Er spricht Fup Deutsch aus, also so wie geschrieben, aber die Whiskey trinkende störrische Ente »Fup« aus dem gleichnamigen sehr lustigen Roman von Jim Dodge, der den Kreislauf anregt, übersetzt von Harry Rowohlt, wobei das Hörbuch, gesprochen von Harry Rowohlt, fast noch besser ist. Die Ente Fup also, nach der Fup benannt wurde, ist natürlich eine amerikanische Ente, also heißt Fup lautmalerisch »Fap«, oder wie Harry Rowohlt auf amerikanisch immer sagte: »Föp«. Ich mache den Mann darauf aufmerksam.

Er sagt: »Interessant.«

Im »Café Einstein« bin ich mit einem Autor verabredet. Eine Bedienung ruft mir zu: »Where is your baby?« Und meint Fup. Ich weiß nicht, warum sie auf Englisch mit mir spricht. Meinen Latte macchiato bestelle ich immer auf Deutsch. Das Wiener Schnitzel auch.

Fup verschwindet im türkischen Zeitungsladen und kommt mit einem Schokoriegel wieder herausgerannt. Ich sage dem Verkäufer, dass es mir leid täte und ich den Schokoriegel natürlich bezahlen würde. »Kein Problem«, sagt der, »Fup darf das. Ist ja noch ein Kind.« Ja schon, denke ich, aber dafür ist es ja wohl noch ein bisschen zu früh.

Im »Casolare« gibt es ein großes Hallo. Fup kommt. Mit mir im Schlepptau. Er klatscht die Kellner ab. Nach dem Essen verschwindet er kurz und kommt mit einem Lolli zurück. Er behauptet, aufgegessen zu haben, obwohl der Augenschein nicht dafür spricht, und hätte jetzt gern seine Belohnung dafür.

Er ist dann allerdings so großzügig und bietet seinen gebrauchten Lolli einem gleichaltrigen Kind an, das das gleiche weiß-rosa gestreifte Designerhemd wie seine Mutter trägt. Das Kind würde schon wollen, aber die Mutter nicht. Das Kind muss Salat essen.

Nach nur drei Jahren kennt Fup mehr Leute hier im Viertel als ich, der ich schon über dreißig Jahre hier lebe.

Na gut, ich biete natürlich auch niemandem gebrauchte Lollis an. Oder renne aus dem Späti mit einem Schokoriegel.

Hey Yo!

Ich gucke die amerikanische Fernsehserie »Wire« am Stück weg. Sie spielt in Baltimore, einer Hafenstadt an der Ostküste. Sie hat die höchste Mordrate und ist voller Drogen. Und die Nigger, die sich in der Serie alle mit »Nigger« dissen, tragen XXXXL-Übergrößen und sagen, wenn sie auf der Straße herumlungern, immer »Hey Yo!« Das versuche ich jetzt auch Fup beizubringen. Besser, Baltimorisch zu sprechen als zu Ballinern.

Fup gefällt das »Hey Yo!«. Und auch sonst ist er auf einem guten Weg, sich »Respekt« zu verschaffen. Als er nach Hause kommt, ich mich zu ihm herabbeuge und ihn begrüße mit »Hey Yo! Was geht ab?«, antwortet er »Hey Yo!«, und schon habe ich eine kleben. So war das eigentlich nicht gedacht, aber wie soll man das einem Zweieinhalbjährigen erklären?

Auf der Elendsmeile Kottbusser Damm, die hier in der Gegend Baltimore noch am nächsten kommt, werden wir von einem Platzregen überrascht. Wir stellen uns unter die Markise eines Ramschladens, wo von Türken bevorzugte bunt glitzernde Klamotten auf 15 Euro reduziert sind. Der Besitzer ist Thailänder oder sowas ähnliches und lungert im Eingang seines Ladens herum. Ich sage, dass heute wohl niemand mehr kommt. Die letzten paar Stunden sei das auch schon so gewesen, sagt er. Gegenüber hätte vor Kurzem noch ein Laden aufgemacht, alles würde immer billiger und überhaupt, die Krise. Ich nicke verständnisvoll.

Fup sagt: »Hey Yo!«

Auf dem Spielplatz redet eine Mutter ihrem Sohn, der gerade ein paar unsichere Schritte gehen kann, ins Gewissen.

»Ich habe mich so auf dich gefreut. Wir könnten es so schön haben, und jetzt schlägst du deine Mutter!«

Der Junge steht da, als hätte er sich in die Hose gemacht. Mit seinem schlechten Gewissen kann er als Versager später dann mal nach Baltimore gehen und an Ecken herumlungern, falls das hier in Berlin nichts wird.

Ein bisschen mehr Distanz

Oh Gott, ich bin alleinerziehend! Für einen Tag. Nur?, werden einige müde lächeln, aber auch ein Tag muss erstmal rumgebracht werden. Fup will mit seinem »Morad« raus, das heißt übersetzt Motorrad, ist aber nur ein Laufrad. Bitte schön. Raus ist immer gut. Nur mit der Richtungsangabe gibt es in der Regel kleine Differenzen, denn wenn ich sage: »Da lang«, dann sagt Fup grundsätzlich: »Nein, da lang.« Mein »da lang« und sein »da lang« hören sich zwar gleich an, bezeichnen aber unterschiedliche Richtungen.

Da ich nichts vorhabe, sage ich nicht »da lang«, sondern: »Du bist der Bestimmer. Wohin willst du?«

Fup hat eine ganz bestimmte Vorstellung. Ich bin gespannt, wohin es geht. Er führt mich stracks zum Kottbusser Tor. Einmal rund um den Platz, bis er den Aufgang zur Hochbahn entdeckt. Er will U-Bahn fahren. Nein, U-Bahn ist nicht drin. Na gut, dann weigert er sich eben, überhaupt weiterzugehen.

Also stehen wir vor der Ampel. Die Leute um uns herum gehen bei Grün über die Straße. Bei Rot natürlich auch. Wir aber bleiben stehen wie zwei kleine Felsen in der Menschenbrandung. Dann fährt Fup unter der Hochbahn entlang, wo das Pflaster flächendeckend mit Taubenscheiße bedeckt ist. Er fährt weiter auf die Verkehrsinsel, inspiziert einen Sandhaufen und radelt dann weiter zu Kaiser’s durch die offene Tür zum Tresen der Backwarenabteilung, wo er sich von seinem Erziehungsbeauftragten eine Laugenstange kaufen lässt.

Vor dem Eingang von Kaiser’s bleibt er stehen und isst. Direkt vor den Alkis. Zwei schreien sich an. Der eine sieht sehr derangiert aus, mit Bart, Augen auf halbmast und einer verranzten Jacke. Der andere hat zu große Jeans an, und sein Gesicht befindet sich sehr nah vor dem Gesicht des anderen.

»Schon mal was von Distanz gehört? Ein bisschen mehr Distanz! Das ist ja wohl nicht zuviel verlangt«, sagt der bärtige Mann sehr sehr laut.

Der andere schreit zurück: »Scheiß Distanz, du weißt doch gar nicht, was das ist!«

Ein Dritter stürzt herbei: »Jetzt seid doch mal nicht so laut.«

Fup guckt und mümmelt an seiner Laugenstange. Der Schlichter gesellt sich zu einem Schwarzen mit Bierdose. Dann kommt er zurück und sagt: »Das Arschloch will mir sein Handy nicht geben. Ick muss ne ganz wichtige SMS verschicken. Is echt wichtig.« Und zu dem Schwarzen, der Biernachschub holt: »Fick doch deine Weiber.«

Fup guckt, isst und steht den Leuten im Weg. Ich auch. Wieder schreien sich die ersten beiden Alkis an. Es geht um das beschissene Leben im Allgemeinen und wahrscheinlich auch im Besonderen. Der Schwarze ist wieder zurück. Der eine Schreihals schleicht sich von hinten an ihn ran und bewegt sein Becken vor und zurück.

Fup hat genug. Er fährt wieder nach Hause. Mit einer Hand. In der anderen hält er immer noch seine Laugenstange.

Kriegst du auf Fresse

Fup ist begeistert. Eine Achterbahn auf Wasser. Genau das Richtige für ihn. Von außen sieht das sehr verlockend aus. Auf dem Boot, wenn man nicht mehr raus kann, wird die Sache dann doch brenzlig, vor allem, wenn das Boot das steile Gefälle nach unten rauscht, schwappt und donnert. Aber Fup hält sich wacker. Nur »Mehr!«, wie es ihm sonst fordernd über die Lippen kommt, will er dieses Mal nicht.

 

Die Maientage in der Hasenheide haben aber noch jede Menge Attraktionen mehr zu bieten. Und Schausteller. Ich bin fasziniert von den Schaustellern, auch wenn sie sich vom Publikum inzwischen nicht mehr sonderlich unterscheiden, denn Tätowierungen – früher mal ihr Alleinstellungsmerkmal – hat inzwischen jeder, und das überall und flächendeckend. Vielleicht liegt es an den nach hinten gekämmten langen und geschwärzten Haaren aus Pomade. Vielleicht an ihrem gelangweilten und deprimierten Blick.

Ich traue mich kaum ans Kassenhäuschen. Da sitzt was Mürrisches drin und rückt nur widerwillig die Chips heraus. Es ist nicht viel los. Das Karussel fährt für Fup ganz allein, und er kann sich ganz allein auf einem Motorrad ins Zeug legen. Beim Ponyreiten werden vier traurige Ponys im Kreis geführt von einem älteren Mann, der den Kopf genauso hängen lässt wie die Ponys.

»Eine Runde noch, dann ist Schluss«, sagt der Mann. Es hört sich deprimiert und sehr existentiell an.

Auch die Bratwurst ist deprimierend. Sie hat eine dicke braune Kruste, weil sie schon lange auf dem Rost liegt. Aber schließlich muss sie noch verfüttert werden. Da kommen wir genau richtig. Fup schmeißt seine Bratwurst einfach in den Sand. Das ist nicht die schlechteste Alternative.

Wir setzen uns auf eine Bank. Neben uns lärmen zwei türkische Großfamilien. Einer der Män­ner guckt uns lange an. Dann fragt er: »Seid ihr Sinti?«

»Nein«, sagt Nadja, und das ist schade, dass man immer automatisch die Wahrheit sagt, denn jetzt werden wir nie erfahren, was gewesen wäre, wenn wir gesagt hätten: »Sieht man uns das so deutlich an?«

Sofort entbrennt eine heftige Diskussion darüber, von der wir allerdings nichts verstehen, weil auf türkisch diskutiert wird.

»Bist du der Mann«, fragt mich der andere Mann. Komischerweise weiß ich sofort, was er meint. Fröhlich halte ich meine Hand mit dem Ehering in die Höhe. Der befindet sich bei mir am Mittelfinger, und um den Ring zu betonen, knicke ich die anderen Finger ein. Für eine Sekunde wird es plötzlich ganz still. Man hätte eine Stecknadel gehört, hätte jemand eine fallen lassen. Aber niemand hatte eine Stecknadel zur Hand. Das ist natürlich Quatsch, aber ich wollte das immer schon mal schreiben. In Wirklichkeit ergießt sich die Soße aus Schnulzen, Rap und Techno auch weiterhin über den Platz und verklebt die Ohren.

»Wenn du so machen«, sagt der Mann, zeigt mir den Mittelfinger und lacht, »kriegst du auf Fresse.« Erst jetzt fällt mir auf, dass meine Geste nicht besonders glücklich gewählt war. Das hat man davon, wenn man unbedingt seinen Ehering vorzeigen muss.

Fast wie in Mexiko Stadt

Fup quiekt: »Mehr«. Ich sage: »Das heißt: höher«, obwohl ich zugebe, dass das eine etwas spitzfindige Diskussion ist, denn ob er nun auf der Schaukel »mehr« angeschubst werden oder »höher« schaukeln will, kommt ja aufs selbe raus, aber da ich sonst nichts zu tun habe, streite ich mich gern über solche Dinge.

Die Regeln des Streits sind ganz einfach. Fup sagt »mehr«, dann sage ich »höher«, dann sagt Fup wieder »mehr« und zwar etwas lauter, worauf ich auch etwas lauter »höher« sagen muss. Wer länger durchhält, hat gewonnen.

Natürlich verliere ich. Wer mit solcher Inbrunst »mehr« schreit, kräht und juchzt, hat zu Recht gewonnen.

Außerdem lenkt mich gerade eine Frau ab, die mit zwei Kindern in mein Blickfeld geraten ist. Sie lehnen ihre Fahrräder an den Zaun. Die zwei Mädchen nehmen ihre Fahrradhelme ab und gehen zur Schaukel, die neben Fup noch frei ist. Sie sind noch zu klein, um selber drauf zu klettern. Oder zu faul. Sie warten auf ihre Mutter, die die drei Fahrräder abschließt. Für jedes Fahrrad gibt es ein kleines Schloss und einen kleinen Schlüssel. Dann kommen die drei Fahrradhelme dran. Die Mutter kettet jeden Fahrradhelm einzeln mit einem Schloss und einem Schlüsselchen an den Zaun. Dabei muss sie gucken, dass sie das richtige Schlüsselchen für das richtige Schloss findet. Das dauert, und das sagt auch die Mutter, als ihre beiden Töchter zu maulen beginnen, weil sie schaukeln und nicht länger warten möchten.

Tja, wären wir in Nordkorea, müsste die Mutter die Fahrräder nicht abschließen. Dort werden nämlich keine Fahrräder geklaut. Ich bin mir nicht mal sicher, ob es dort Fahrradschlösser gibt. Und wenn die Leute hier das wüssten, wäre das Ansehen Nordkoreas vielleicht gar nicht mehr so schlecht. Sollte man jedenfalls annehmen, aber wenn ich es mir genau überlege, würde man Nordkorea dafür noch mehr verachten, und zwar als einen Staat, in dem es nicht mal Fahrradschlösser gibt. Ich schätze, die Leute würden das ganz schön krass finden.

So aber fühle ich mich wie in einem schlimmen Viertel in Mexiko Stadt. Aber wer würde da einen Fahrradhelm klauen und dafür sogar einen Bolzenschneider mit sich führen, um das Schloss zu knacken? Und das mitten am Tag in unmittelbarer Nähe der rechtmäßigen Besitzerin der drei Fahrradhelme? Die müsste dann vermutlich erst­mal erschossen werden, um an die Fahrradhelme zu kommen, denn die Frau würde sich bestimmt dazwischenwerfen. Und das wäre selbst in einem schlimmen Viertel in Mexiko Stadt eher ungewöhnlich, jemanden wegen eines Fahrradhelms zu erschießen.

Hier im Viertel hat sowieso jeder einen Fahrradhelm. Die Vorsichtsmaßnahme gilt also offensichtlich Leuten, die noch keinen Zweitfahrradhelm haben. Die sind hier aber so selten, dass sie vermutlich schon in irgendeiner Kundendatei erfasst sind. Diese Zweitfahrradhelmnichtbesitzer haben bei dieser Frau schlechte Karten.

Aber wer weiß, vielleicht hat die Frau schlechte Erfahrungen gemacht, vielleicht ist ihr schon mal ein Förmchen oder Schäufelchen abhanden gekommen. Das kann natürlich sein.

»Mehr«, schreit Fup, und lässt unseren alten Streit wieder aufflammen. Dann macht er sich auf die Suche nach einem unabgeschlossenen Fahrrad. Er hat aus den beschriebenen Gründen schlechte Karten. Ich bin der Frau in diesem Moment sogar etwas dankbar, denn so muss ich ihm nicht hinterherlaufen und ihm erklären, dass wir hier schließlich nicht in irgendeinem schlimmen Viertel in Mexiko Stadt sind. Fup geht weiter und entwendet in einem unbeobachteten Moment einem Kind die Schaufel.

Jonathan Meese im Viertel

In der Graefestraße ist Geschrei zu vernehmen, das langsam näher kommt. Eine große, etwas ältere Frau mit Fahrradhelm tapst etwas unsicheren Schrittes auf mich und Mister Fup zu. Sie leidet offenbar am Tourette-Syndrom. Sie trompetet viele schmutzige Wörter hinaus, die aber gar nicht richtig zusammenpassen.

Vor Fup bleibt sie stehen und fragt: »Hat deene Mutter ’n Pimmel am Arsch?«

Fup sagt nichts. Er starrt sie nur an. Ich achte darauf, dass sie außer Herumkrakeelen sonst nichts macht. Macht sie auch nicht.

Sie schreit noch einmal: »Wat is kleener Mann? Hat deene Mutter ’n Pimmel am Arsch oder wat?« Da ich die Frage genausowenig verstehe wie Fup, kann ich genausowenig wie Fup etwas darauf erwidern. Außerdem will ich mich lieber nicht in eine Diskussion verwickeln lassen, nicht mit einer offenbar Verrückten und schon gar nicht über ein solches Thema, bei dem ich gar nicht weiß, was das überhaupt für ein Thema sein soll.

Als Fup immer noch keine Antwort gibt auf ihre Frage und sie nur mit großen Augen ansieht und dabei Eis schleckt, setzt die große Frau ihren Weg fort. Sie tourettet dabei munter weiter: »Arschwichser! Ichversaute Typen! Leberwurst­pisser! Nuttendreck!«

Sie geht in einen kleinen Frauenklamottenladen. Gut, dass ich da nicht gerade einkaufe. Eine Kundin verdreht die Augen und flüchtet aus dem Laden. Fup und ich gehen weiter. Fup sagt immer noch nichts. An irgend jemand erinnert mich die Frau, aber ich weiß nicht, an wen.

Zu Hause lese ich ein Gespräch mit Jonathan Meese im Spiegel. Jetzt weiß ich, an wen mich die große Frau mit dem Fahrradhelm erinnert. Und sie sieht auch ein wenig so aus wie Jonathan Meese, nur ohne Bart. Aber den könnte sie sich auch abrasiert haben, um nicht gleich erkannt zu werden. Und auch der Fahrradhelm könnte Tarnung sein. Strolcht jetzt auch noch Jonathan Meese hier im Viertel herum?

Fups erste Bodyguards

»Heute kriegst du deinen ersten Bodyguard«, sage ich zu Fup. Fup sagt nichts. Es scheint ihn nicht zu interessieren. Dabei gibt es nun weiß Gott nicht so viele kleine Jungs, die einen Bodyguard kriegen. Und hier in Kreuzberg schon gleich gar nicht. Müssen sie auch nicht. Hier gibt es ja Mütter. Da können Bodyguards nicht mithalten.

Aber jetzt muss ich erstmal Brötchen holen. Als ich zurückkomme, frage ich: »Na, wo sind sie, die harten Jungs? Sind sie schon da?« Sie sind es tatsächlich. Einer steht unauffällig in der Ecke der Bibliothek, schwarzes Jackett, breitbeinig und mit gefalteten Händen vor seinem Geschlecht, also so, wie man das aus den amerikanischen Filmen mit Bodyguards kennt.

Der Bodyguard sagt nichts. Er hat Prüfung und muss uns 24 Stunden lang beschützen und dabei so tun, als sei er gar nicht da. Ich gu­cke aus dem Fenster und sehe zwei schwarze Männer auf und ab schlendern, die ich eben nicht gesehen habe, als ich vom Brötchenholen zurückgekommen bin. Es scheinen gute Bodyguards zu sein. Manchmal sprechen sie in ihr Handgelenk und sagen: »Das Objekt ist sauber.«

Ich mache Fup und den Bodyguard miteinander bekannt. Der Bodyguard nimmt Fup in den Arm und hält ihn. Ich mache ein Foto, damit ich einen Beweis habe. Wer weiß, vielleicht glaubt mir Fup das später nicht.

Damit die Jungs was zu tun kriegen, gehen wir ins Lafayette, dem Alptraum eines jeden Body­guards, weil es da viel Menschenauflauf gibt. Dann begeben wir uns ins Adlon, die Bodyguards dezent im Schlepptau, die »das Objekt« sichern. Ich frage, ob ich die Luxus-Suite mal sehen könne. Meine Frau und ich würden uns überlegen, hier abzusteigen. Und bitte auch den Konferenzraum. Meine Frau sei im Vorstand eines Konzerns. Was man halt so redet. Mit Bodyguards ist das ja alles kein Problem. Da ist man plötzlich sehr, sehr wichtig.

Vielleicht bin ich ja ein bisschen gemein, aber danach gehen wir noch in die Sauna. Mich interessiert einfach, wie die Jungs das hinkriegen. Würden Sie auch gerne wissen? Dann suchen Sie sich doch Ihren eigenen Bodyguard.

Als ich am nächsten Morgen Brötchen hole, stehen sie immer noch vor dem Hauseingang und sichern das Objekt. Irgendwann sind sie verschwunden. Schade. Ich hatte mich gerade ein bisschen an sie gewöhnt.