Spielregeln für Game Changer

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Spielregeln für Game Changer
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Kerstin Friedrich

Spielregeln für Game Changer

Den Teamgeist entfesseln durch radikale Transparenz und Gamifizierung


Externe Links wurden bis zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches geprüft. Auf etwaige Änderungen zu einem späteren Zeitpunkt hat der Verlag keinen Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Das E-Book basiert auf dem 2020 erschienenen Buchtitel »Spielregeln für Game Changer« von Kerstin Friedrich, ©2020 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-86936-961-7

eISBN 978-3-95623-912-0

Lektorat: Anke Schild, Hamburg

Umschlaggestaltung: Martin Zech Design, Bremen | www.martinzech.de

Titelbild: womue / AdobeStock

Autorenfoto: Simon Heydorn, Hamburg

Satz und Layout: Das Herstellungsbüro, Hamburg | www.buch-herstellungsbuero.de

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Inhalt

Vorwort

1. Systeme ändern statt an Menschen schrauben

Das Potenzial

Das »Geheimnis« vor unserer Nase

Ohne Ergebnis kein Erfolgserlebnis

2. Der Weg in die Sackgasse

Kompliziert versus komplex

Wie Menschen wirklich ticken

Negative Glaubenssätze aufgeben

3. The Great Game of Business – zwei Praxisbeispiele aus den USA

Jack Stack und The Great Game of Business

Das coolste Unternehmen in den USA

4. Systeme ändern durch Transparenz und Verbundenheit – die universelle Gewinnformel

Veränderungen beim Militär

Veränderungen in der Automobilindustrie

Wie Selbstorganisation funktioniert

5. Aufgaben gamifizieren und Teamgeist aktivieren

Das Scoreboard

Ein Vertriebsspiel

Die Kultur ändern

Regeln gelten für alle

Elemente der Team-Challenge

6. Fokus auf den größten Engpass

Definition: Was macht die Erfolgszahl aus?

Exkurs: Führen über Ziele

Die Erfolgszahl ermitteln

Die richtigen Treiber: der Grundstoff für Team-Challenges

Team-Challenges und Erfolgszahl: Beispiele aus der Praxis

7. Unternehmertraining für alle

Die Welt der Finanzsprache

Warum alle den Nettogewinn kennen sollten – ein Praxisbericht

Glaubenssätze und Unternehmenskultur

Scoreboard-Management, Finanztraining und mentale Modelle

Formate für das Finanztraining

Übungen zum Thema Finanzen

Umgang mit Verweigerern

8. Scoreboard-Management – der Fitnesstracker fürs Unternehmen

Das Scoreboard und die Kennzahlen

Kommunikation über Huddles

Verwandte Konzepte: Balanced Scorecard und OKR

Transparenz – und ihre Grenzen

9. Scoreboard-Management in der Praxis

Arbeit an einer Kennzahl: Autohaus Südbeck

Große Huddles in dezentralen Teams: Infinitas GmbH

Jedes Team huddelt anders: Markenagentur Kaapke

»Es geht um beides: Menschen und Geld« – ein Interview mit Timo Kaapke

10. Vom Mitarbeiter zum Mitunternehmer

Gewinnbeteiligung

Strategie und Innovation – alle bringen Ideen ein

11. Führung und Scoreboard-Management

Erfolgsmodell mit Verfallsdatum

Führung oder Leitung?

Und nun?

Anhang

Anmerkungen

Literaturtipps und Quellen

Register

Die Autorin

Vorwort

Fußballweltmeisterschaft 2010. Ghana ist kurz davor, Geschichte zu schreiben: Wenn es gelingt, in der letzten Minute der Verlängerung noch ein Tor gegen Uruguay zu schießen, sind sie als erste afrikanische Mannschaft Afrikas für ein WM-Viertelfinale qualifiziert. Im Strafraum von Uruguay ist die Hölle los. Der Ball kommt im Getümmel irgendwie zu dem Ghanaer Stephen Appiah, der ihn mit dem Knie Richtung Tor bugsiert. Der Torwart ist geschlagen. Doch auf der Torlinie steht Luis Suarez, der berüchtigte »Beißer«. Er wehrt den Ball mit voller Absicht mit beiden Händen ab – Foul. Den folgenden Elfer für Ghana hält der Torwart. Das Elfmeterschießen gewinnt Uruguay. Ghana fährt nach Hause.

Ähnliche Szenen spielen sich Tag für Tag in jedem anderen Mannschaftsspiel ab: Ein Team von hoch motivierten Individuen gibt alles dafür, das Ziel zu erreichen. Auch ohne Anweisungen weiß jeder, was er zu tun hat. Blitzschnell wird reagiert. Ohne großes Trara werden Rollen gewechselt und Aufgaben für andere übernommen. Der Traum eines jeden Vorgesetzten: Wenn doch nur mein Team genauso motiviert und zielstrebig zur Sache ginge! Wenn doch nur jeder seine eigenen Befindlichkeiten für das große Ganze hintanstellen würde! So ist es kein Wunder, dass Bücher und Vorträge von großen Fußballlehrern Hochkonjunktur haben: Wenn wir motivieren lernen wie Klopp, Guardiola und Co., kann es vielleicht auch in meinem Betrieb so laufen wie auf dem Fußballplatz.

 

Die Wahrheit lautet: Wir können von Trainern gar nichts lernen. Zumindest so lange nicht, bis völlig einfache und offensichtliche Voraussetzungen erfüllt sind, ohne die übrigens auch das motivierteste Fußballteam genauso blind und unmotiviert seine Arbeit tun würde wie 80 Prozent aller Mitarbeiter in Unternehmen weltweit.

Was wir wirklich vom Sport für die Unternehmensführung lernen können, hat absolut nichts mit Motivationsmethoden zu tun. Es ist kinderleicht zu verstehen. Es braucht aber eine ordentliche Portion Mut und viel Konsequenz in der Umsetzung. Auf den nächsten Seiten erfährst du, wie das geht.

Kerstin Friedrich

KAPITEL 1
Systeme ändern statt an Menschen schrauben

Viele Führungskräfte träumen von einer Unternehmenskultur, in der sich alle für den Erfolg des Unternehmens einsetzen und daran auch noch Freude haben. Viele glauben, dass sie dafür nur die »richtigen« Leute brauchen. Die gute Nachricht ist: Diese »Richtigen« sind schon da. Damit sich diese voll entfalten können, muss man aber zunächst das System und die Spielregeln ändern – das Verhalten ändert sich automatisch.


Hallo und danke, dass du dieses Buch aufgeschlagen hast. Du bist hier genau richtig, wenn du das vage oder sichere Gefühl hast, dass sich an eurem Führungssystem und an der Unternehmenskultur dringend etwas ändern muss. Möglicherweise ärgerst du dich über einen oder mehrere der folgenden Punkte:

• Du weißt, dass viel mehr in deinen Leuten steckt, als aktuell zum Tragen kommt – du weißt aber nicht, wie du sie motivieren sollst, dieses Potenzial für das Unternehmen zu aktivieren.

• Du ärgerst dich über Verhaltensweisen, die mit deinen Werten nicht übereinstimmen.

• Trotz Wachstum bleiben die Renditen mehr oder weniger unbefriedigend.

• Du weißt nicht wirklich, wie du künftig die richtigen Leute an Bord bekommen sollst.

• Dein Unternehmen wächst immer weiter, und du fragst dich, wie ihr euch mit einem Minimum an Bürokratie organisieren könnt.

• Du hast den Eindruck, dass sich bei einigen Leuten, die einmal sehr motiviert ihren Job angetreten haben, langsam eine Dienst-nach-Vorschrift-Mentalität breitmacht.

• Du hast die Nase voll davon, die ganze Verantwortung allein zu tragen.

Möglicherweise hast du auch schon über folgende Maßnahmen nachgedacht bzw. sie mit mehr oder weniger Erfolg im Unternehmen umgesetzt:

• Du denkst, dass die Ursache bei dir und deinen Führungsqualitäten liegt; du planst deshalb, Seminare zum Thema Führung und Motivation zu besuchen oder einen Coach zu konsultieren.

• Du überlegst, wie du die Demotivierten geschickt loswirst und wie du künftig nur noch mit den Besten arbeiten kannst.

• Du hast eine Agentur engagiert, die aus deinem Unternehmen eine coole Arbeitgebermarke machen soll.

• Du hast dich mit Systemen wie Holacracy beschäftigt – du fürchtest aber, dass es dann zu viel Palaver auf Kosten der Produktivität gibt.

• Du bist begeistert von Büchern über Agilität und Selbstorganisation, hast aber keine Ahnung, wie du das im eigenen Unternehmen einführen sollst.

Ich habe jetzt eine gute Nachricht für dich: Du kannst ab sofort damit aufhören, an dir und deinen Leuten herumzuschrauben. Stattdessen ist es sinnvoll, dafür zu sorgen, dass alle das große Spiel der Unternehmensführung verstehen und wissen, wie sie es gewinnen können. Anders ausgedrückt: Du musst das System ändern – nicht die Spieler.

Tatsache ist: Praktisch alle Mitarbeiter haben (oder hatten) ein großes Interesse daran, mit ihrer Energie und ihren Talenten zum Erfolg des Unternehmens beizutragen. Wir haben es jedoch geschafft, ihnen dieses Interesse systematisch auszutreiben. Die Art und Weise, wie wir heute unsere Zusammenarbeit organisieren, widerspricht grundlegenden psychischen Bedürfnissen. Zu diesen Bedürfnissen gehören allen voran solche nach Anerkennung, Wertschätzung, Erfolg und Gemeinschaft. Es bedarf nur weniger, aber radikaler Umbaumaßnahmen, um die gemeinsame Arbeit motivierender, erfolgreicher, profitabler und sinnvoller zu machen.

Stell dir vor, du spielst in einer Fußballmannschaft, in der keiner weiß, wie es gerade steht. In der niemand weiß, ob es jetzt sinnvoller ist, eher den Angriff oder die Verteidigung zu stärken, oder ob aktuell eine Änderung des Spielsystems geboten ist. Jeder weiß nur, dass er selbst gerade einen guten Job gemacht hat: einen guten Pass gespielt, einen Torschuss des Gegners pariert oder in letzter Sekunde den gegnerischen Stürmer vom Ball getrennt. Ob und wie sich diese Einzelaktion auf das Spiel der anderen und auf das Gesamtergebnis auswirkt, weiß niemand. Eine vollkommen absurde Vorstellung: Weder würde sich irgendein Spieler dauerhaft für Fußball begeistern, noch würde ein einziger Zuschauer Geld dafür bezahlen, einem müden und planlosen Hin-und-her-Gekicke zuzuschauen.

Wenn in einer Mannschaft die Sehkraft nur bis zum nächsten Mitspieler reicht und wenn niemand weiß, wie es eigentlich steht, ergibt es wenig Sinn, an der Kondition und der Technik der Spieler zu arbeiten. Genauso wenig sinnvoll ist es, einen Motivationstrainer zu engagieren, der den Spielern mit Feuerlauf und Mentaltraining beibringt, über ihre Grenzen zu gehen. Das Einzige, was hilft: Die Spieler müssen sehen können. Sie müssen das gesamte Spiel überblicken, den Spielstand kennen und die Regeln verstehen. Sie müssen auf einen Blick erkennen, welche Folgen das eigene Handeln auf das Ergebnis hat. Dann werden alle das tun, was sie immer tun wollen: ein gutes Spiel abliefern.

Heute agiert in fast allen Unternehmen eine Mannschaft mit Spielern, die schwer sehbehindert sind, die absolut keine Ahnung haben, wie es steht, und die nicht wissen, ob sie gerade dazu beitragen, dass das Team gewinnt oder verliert. So kann beispielsweise eine Vertriebsmitarbeiterin stolz und glücklich sein, dass sie einen großen Auftrag an Land gezogen hat – ob dieser aber das Unternehmen am Ende mehr Geld kostet, als er einbringt, weiß sie nicht. Es fehlt an der wichtigsten Motivationsquelle: dem Wissen um die eigene Wirksamkeit.

Das Potenzial

Praktisch jede Organisation verschenkt ein riesiges Erfolgs- und Ertragspotenzial. Erstens das Potenzial, das durch Demotivation verloren geht. Zweitens das Potenzial an hervorragenden Ideen, das in jedem Mitarbeiter schlummert und für das es keine systematische Förderung gibt.

Angeblich verlieren wir einen dreistelligen Milliardenbetrag in deutschen Unternehmen (Zahlen von 2018) aufgrund mangelnder Motivation der Mitarbeiter.1 Meine Hypothese lautet: Dieser Mangel an Motivation resultiert nicht aus Unlust an der Arbeit, sondern weil die Menschen nicht erfahren, was ihre Arbeit bewirkt. Anders ausgedrückt: Es fehlt ihnen schlicht und einfach an Erfolgserlebnissen. Wir wissen aber schon lange, dass solche positiven Rückkopplungen das A und O der Motivation bilden: Wir tendieren dazu, Dinge zu tun, die uns gute Gefühle vermitteln, und vermeiden Dinge, die Unlust verursachen und auf lange Sicht nicht zu Erfolgen (= positiven Rückkopplungen) führen. Man schaue sich nur den seit Jahrzehnten boomenden Markt für Browser- und Konsolenspiele an; diese Spiele beziehen ihr Erfolgs- und Suchtpotenzial aus der schlichten Tatsache, dass wir einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Handlung (Aktion) und Wirkung (Reaktion) erleben. Dabei werden auch über lange Zeit die miesesten Misserfolge ausgehalten, wenn am Ende eine große Belohnung winkt – etwa der Aufstieg in ein neues Level, Ruhm und Ehre für eine bessere Ranglistenposition oder andere positive Effekte.

Kaum zu beziffern ist das Potenzial, das in den Köpfen der Mitarbeiter schlummert: Ideen, wie man Produkte und Dienstleistungen und / oder Prozesse verbessert. In den Produktionshallen der Konzerne hat man das Potenzial, das in fehlerhaften Prozessen liegt, im Zuge der KVP-Bewegung (»KVP« steht für »kontinuierlicher Verbesserungsprozess«) zum Großteil schon gehoben. Im Handwerk und in den Büros liegt dieses Potenzial noch weitgehend brach. Bei Innovationen wird praktisch gar nicht versucht, die kollektive Intelligenz anzuzapfen. Innovationen werden bei den Spezialisten in Forschung und Entwicklung verortet; allen anderen traut man nicht wirklich zu, etwas zur Zukunft des Unternehmens beizutragen.

Die meisten Führungskräfte werden sich nicht einmal im Traum vorstellen können, dass ihre Leute sich ebenso begeistert an ihren Arbeitsplatz begeben, wie sie sich am Abend vor ihre Spielekonsole setzen oder im Verein trainieren. Man kann sich aber durchaus die Frage stellen, welche Rahmenbedingungen wir in der Arbeitsumgebung setzen können, damit sich die schleichende Demotivation und Unlust in mehr Freude am Erfolg verwandeln.

Das »Geheimnis« vor unserer Nase

Sehr einfache, nahezu banale Grundvoraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein Fußballmatch sein ganzes Spiel- und Spaßpotenzial entfalten kann. Und davon können wir einiges auf die Arbeitsorganisation übertragen. Wir glauben häufig, dass wir von erfolgreichen Sportteams etwas über Teamgeist oder Siegeswillen lernen können oder dass wir fachliches oder motivationspsychologisches Geheimwissen aus der Trickkiste herausragender Trainer und Führungspersönlichkeiten dafür brauchen. Alles das schadet nicht – aber es löst nicht einmal ansatzweise die Motivationsprobleme in Unternehmen. Die Lösung dafür ist ausgesprochen banal und sie liegt wie viele sogenannte »Geheimnisse« direkt vor unserer Nase. Sie liegt nicht in Persönlichkeitseigenschaften oder Spezialwissen, sondern in den systemischen Rahmenbedingungen. Noch einmal: Das Herumschrauben an Menschen ist sinnlos. Stattdessen müssen wir an den Systemen arbeiten.

Welche Grundvoraussetzungen müssen nun erfüllt sein? Hier zwei essenzielle Bedingungen: Beim Fußball kennen alle Spieler ihre Rolle und beherrschen sie auch. Heißt: Jeder Mitarbeiter muss für seine Rolle und Aufgaben qualifiziert sein und sie kennen. Das ist die leichteste Übung. Darüber hinaus müssen alle Spieler die Spielregeln kennen. Hier geht das Problem los: Im eigenen Bereich weiß man dank Arbeitsplatzbeschreibung und Flurfunk in der Regel recht gut, was zu tun ist und was nicht. Mit einer entscheidenden Ausnahme: Fast niemand weiß, was er oder sie tun muss, um das Spiel zu gewinnen. Im Fußball ist das relativ einfach. Die kritische Erfolgskennzahl lautet: Wir müssen ein Tor mehr schießen als der Gegner. Steht es in der Nachspielzeit 0:0, wird das Team automatisch anders – nämlich aggressiver – spielen, als wenn es nach 70 Minuten 4:0 vorne liegt. Doch wie sieht diese kritische Erfolgskennzahl im Unternehmen aus? Tatsächlich können selbst Unternehmenslenker diese Frage nicht spontan beantworten. Sie ist auch nicht pauschal zu beantworten, denn je nach Geschäftsmodell, Wertschöpfungsprozess und aktueller Lage des Unternehmens kann sie anders ausfallen.

Die kritische Erfolgskennzahl im Unternehmen ist »eine operationale oder finanzielle Kennzahl, die den zentralen Erfolgstreiber oder eine zentrale Verletzbarkeit repräsentiert«2. Sie kann die Leistungsfähigkeit und langfristige Sicherheit des Unternehmens gefährden, wenn sie nicht überwacht und korrigiert wird (mehr dazu im 9. Kapitel über »Scoreboard-Management in der Praxis«). Die Spielregel, dass derjenige siegt, der ein Tor mehr als der Gegner schießt, versetzt eine Fußballmannschaft in Verbindung mit der Kenntnis des Spielstandes in die Lage, selbstorganisiert und spontan sinnvolle Entscheidungen zu treffen.

 

Doch wie sieht das in Unternehmen aus? Angenommen, die kritische Zahl ist der Cashflow – etwa weil das Unternehmen munter wächst und die Kreditlinie langsam erschöpft ist. Das Team sieht nur, dass neue Mitarbeiter eingestellt und neue Kunden gewonnen werden. Kein Grund also, sich Sorgen zu machen und das Verhalten zu ändern. Bei den wenigen Eingeweihten sieht das anders aus: Sie haben ordentlich Stress. Da aber niemand über die prekäre Lage reden will oder kann, liegt eine merkwürdige, nicht greifbare Spannung über dem ganzen System. Würde jetzt der Cashflow täglich öffentlich unter Beobachtung gestellt, ganz so wie auf der großen Toranzeige im Stadion – und wäre jedem klar, was man generell und konkret tun kann, um ihn zu beeinflussen –, so würde sich automatisch und ohne großartige Appelle das Verhalten ändern. Und etwas anderes, extrem Wichtiges würde passieren: Die meisten Mitarbeiter würden sich darüber unterhalten, was man tun könnte, um an der Situation etwas zu verändern. Sie würden Ideen produzieren. Dieser »Besserwisser-Effekt« ist uns mehr oder weniger angeboren. Sobald wir irgendwo ein Problem sehen, das uns berührt, überlegen wir sofort, wie man es lösen könnte – auch wenn wir dafür keinen Auftrag und keine Qualifikation haben.

Würde man nun die Ideen des gesamten Teams zum Thema »Cashflow verbessern« einholen und diese auch umsetzen, gäbe es sehr rasch zwei bemerkenswerte Effekte: Der kritische Engpass wird weniger kritisch, und das Team macht die Erfahrung, dass es wirksam ist. In den meisten Organisationen aber agieren Führungskräfte wie Blindenführer: Sie lassen ihre Mitarbeiter über die Folgen ihres Handelns im Dunkeln und wundern sich dann, dass zu wenig Dynamik im Team zu spüren ist.

Alle Spieler müssen wissen, wie das Spiel steht. Anders ausgedrückt: Man braucht Transparenz hinsichtlich der Ergebnisse. Die kritischen Engpässe brauchen Öffentlichkeit und einen Bezug zum täglichen Handeln. Solange die Zahlen als etwas betrachtet werden, das »die da oben« erzeugen, und solange diese Zahlen in einer langweiligen Excel-Tabelle auf einem Server schlafen, können sie weder steuern noch aktivieren. Können wir keinen Bezug zu unserem täglichen Handeln herstellen, bleibt die Steuerungskraft von Kennzahlen aus.3 Man stelle sich vor, man setzte Sebastian Vettel das Ziel, »möglichst viel Gewinn für Ferrari rauszuholen«. Eine absurde Vorstellung. Das Ziel ist idealerweise an einen hohen »Kundennutzen« gebunden, also in diesem Fall: Formel-1-Rennen zu gewinnen. Je besser das gelingt, desto höher die Chance auf einen ebenso attraktiven Gewinn für Ferrari, das mit jedem Sieg seine Marke pflegt und in der Folge einen Rekordgewinn von fast 70 000 Euro pro verkauftem Fahrzeug einfährt.4