Singapore Nights

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Singapore Nights
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Kelly Stevens

Singapore Nights


www.Elysion-Books.com

Die Autorin:

Kelly Stevens studierte in England Literatur und Kreatives Schreiben und arbeitete in Deutschland in verschiedenen Jobs im Medienbereich.

Sie schreibt Erotic Romance in allen möglichen Längen und Variationen, von Kurzgeschichte bis Roman.

Als Kelly Stevens veröffentlicht sie bei Verlagen, als Indie-Autorin ist sie als K.C. Stevens unterwegs.


ELYSION-BOOKS

Auflage: Juli 2016

VOLLSTÄNDIGE AUSGABE

ORIGINALAUSGABE

© 2015 BY ELYSION BOOKS GMBH, LEIPZIG

ALL RIGHTS RESERVED

UMSCHLAGGESTALTUNG: Ulrike Kleinert

www.dreamaddiction.de

FOTO: © Bigstockphoto/scyther5

LAYOUT &WERKSATZ: Hanspeter Ludwig www.imaginary-world.de

ISBN ebook: 978-3-945163-60-3

www.Elysion-Books.com

Inhalt

Hinflug

Die Schlange vor mir bewegt sich nicht. Irgendein Asiate diskutiert mit der Frau hinter dem Schalter, die höflich lächelt und dabei trotzdem bestimmt den Kopf schüttelt. Wahrscheinlich geht es um Übergepäck, wenn ich mir den vollgeladenen Trolley neben ihm so anschaue. Das kann dauern.

Ich werfe einen neidvollen Blick zum Business Class Schalter keine zwei Meter neben mir, an dem gerade ein umwerfend gut aussehendes Paar eincheckt. Sie trägt die blonden Haare zu einem schicken Knoten hochgesteckt und ein knielanges, grün-braun gemustertes Kleid zu kniehohen braunen Stiefeln. Bequem, aber trotzdem elegant. Er trägt einen anthrazitfarbenen Anzug mit passenden Halbschuhen und ein Hemd, das farblich irgendwo zwischen grün und hellgrau changiert, passend zu ihrem Kleid. Von meinem Platz in der Schlange kann ich sehen, dass er volles, dunkles Haar hat und einen Dreitagebart. Seine Hand liegt locker auf der Hüfte seiner Partnerin, die sich ihrerseits vertraut gegen ihn lehnt. Solche Männer gibt’s doch nur in Filmen oder Romanen, die stehen keine zwei Meter von einem entfernt am Frankfurter Flughafen in einer Schlange nach -

Ein unsanfter Schubs in den Rücken holt mich schlagartig aus meinem Tagtraum zurück. Ein paar Meter weiter ist ein Schalter freigeworden, und der Mann hinter mir drängelt auf Tuchfühlung, was ich absolut nicht haben kann. Schnell gehe ich die paar Meter vor, zücke Reisepass und selbst ausgedruckte Bordkarte und stelle meinen Koffer auf das Band. „Singapur, bitte.“

Als ich mich eine knappe Minute später umdrehe, ist das gutaussehende Paar verschwunden.

Zügig gehe ich durch die Kontrollen Richtung Gate. Auf dem Weg komme ich an einer Buchhandlung vorbei. Einen Moment zögere ich. In Singapur werde ich keine Zeit zum Lesen haben. Selbst wenn, so befindet sich die Autobiografie eines Finanzmanagers in meinem Gepäck.

Ein schneller Blick auf meine Armbanduhr zeigt mir, dass ich noch über eine halbe Stunde bis zum Boarding habe. Ich sollte mich ans Gate setzen und noch einmal die Unterlagen für meinen nächsten Auftrag durchgehen.

Oder ich mache es während des Fluges. Dann könnte ich jetzt kurz in die Buchhandlung anstatt ans Gate, wo bestimmt schon alle Sitzplätze belegt sind.

Es ist lange her, dass ich mit Muße durch einen Laden gegangen bin. Die letzten Jahre waren geprägt von ständiger Arbeit, Hektik und Stress. Anstrengend, aber auch gut. Wenn irgendjemand schlechte Geschäftszahlen vor mir zu verbergen versucht, dann setze ich all meinen Ehrgeiz daran, sie zu finden. Für jemanden wie mich, dem Kontrolle über alles geht, habe ich wirklich den perfekten Job.

Um mich auf andere Gedanken zu bringen, schlendere ich an den Tischen mit den Romanen vorbei, bis ein Cover meine Aufmerksamkeit erregt. Ein erotischer Liebesroman?

Normalerweise lese ich soetwas ja nicht. Verstohlen nehme ich das Buch in die Hand und blättere darin herum, lese mich fest. Erst, als mich jemand mit seinem Bordcase anrempelt, kehre ich unsanft in die Wirklichkeit zurück. Aus einem Impuls heraus gehe ich mit dem Buch zur Kasse und nehme auf dem Weg dorthin auch gleich noch die neuesten Wirtschaftsmagazine mit. Dann wird es auch schon langsam Zeit fürs Boarding.

Ich habe einen Gangplatz in der Economy Class. Zwölfeinhalb Stunden Nachtflug liegen vor mir; durch die Zeitverschiebung fliege ich am frühen Abend in Frankfurt ab und werde am folgenden Nachmittag in Singapur landen. Am Morgen darauf beginnt bereits meine Arbeit.

Mit fünfundzwanzig schon Associate bei einem Private Equity Fonds zu sein, und das auch noch als Frau, ist keine Selbstverständlichkeit. Ich habe hart für meinen Erfolg kämpfen müssen. Bachelorstudium in Deutschland, nebenbei bei einem Startup gejobbt, dann ein paar Monate bei einem Venture Capital Fonds gearbeitet, und gleich im Anschluss einen Master an einer renommierten Universität in England drangehängt. Die Studiengebühren zahle ich zwar immer noch ab, aber letztendlich war dies meine Eintrittskarte ins zweijährige Analystenprogramm einer Londoner Investmentbank.

Vor vier Monaten sprach mich ein Headhunter an, dass sie für einen Kunden einen Analysten mit sehr guten Deutschkenntnissen suchten, und seit drei Monaten habe ich meinem neuen Job. Wieder in London, diesmal als Associate, und statt bei einer Bank bei einem Fonds. Inhaltlich unterscheiden sich die beiden Jobs gar nicht so stark, wie ich zunächst glaubte. In der Londoner Finanzszene ist es üblich, jedes Jahr, spätestens jedes zweite den Arbeitgeber zu wechseln, wenn man Karriere machen will. Und trotzdem können Karrieren dort innerhalb von Sekunden vorbei sein – eine falsche Entscheidung oder einfach zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, reichen schon aus. Oder das falsche Geschlecht zu haben, wie ich zu meinem Leidwesen immer wieder erfahren musste. Die Anforderungen sind hoch, die Realität hart. Neunzig-Stunden-Wochen, durchgearbeitete Nächte und Wochenenden, keine Zeit mehr für Privates: das ist mein Leben. Trotz allem liebe ich meinen Job. Manchmal kann es wie ein Rausch sein, wenn man dabei ist, wenn ein Deal erfolgreich an Land gezogen wird, man eine Übernahme mit einfädelt, vom Ergebnis seiner Bemühungen in der Zeitung liest.

Vielleicht habe ich diesmal endlich die Chance, zu zeigen, was in mir steckt. Mein erstes eigenes Projekt, und gleich in Singapur. Angeblich gab es im deutschsprachigen Raum gerade kein passendes Projekt für mich, und meine Kollegen hatten alle keine Zeit. Aber das ist okay. Ich bin es gewohnt, selbständig zu arbeiten, selbständig zu leben, selbständig Entscheidungen zu treffen.

Ich streiche mir eine Haarsträhne aus der Stirn. Gestern habe ich meinen dunkelbraunen Pagenschnitt mit ein paar vereinzelten blonden Strähnen aufhellen lassen. Selbst auf einem Langstreckenflug trage ich einen dunklen Hosenanzug und eine Bluse, während um mich herum viele Mitreisende in Jeans oder Jogginganzügen sitzen. Selbstmarketing und Image ist in diesem Job alles – gerade als Frau. Man muss besser aussehen, fitter sein, mehr arbeiten, mehr leisten als ein Mann … und wird trotzdem nicht wahrgenommen.

„Entschuldigen Sie bitte, das ist Ihnen herunter gefallen.“

Wie war das mit nicht wahrgenommen werden? Ich drehe mich in meinem Sitz in Richtung der Stimme. Neben mir steht der gutaussehende Mann vom Check-In und hält mir ein Buch entgegen. Wieso sitzen die beiden nicht schon längst auf ihren Sitzen, die Business Class boarded doch normalerweise vor der Economy? Dann sehe ich, was er mir hinhält: den erotischen Roman, das explizite Cover nach oben. Jetzt wäre mir nicht wahrgenommen werden lieber gewesen!

„Danke“, entgegne ich spröde, nehme das Corpus Delicti mit spitzen Fingern entgegen und verstecke es hastig unter den Magazinen, so dass das Cover verdeckt ist. Dabei habe ich das Gefühl, seinen Blick fast schmerzhaft intensiv auf mir zu spüren.

„Ein gutes Buch“, bemerkt seine Frau, „obwohl ich das nicht selbst sagen sollte.“

Dann bewegen sich die Menschen, die den Gang vor ihnen versperrt haben, und die beiden gehen weiter.

Mir ist heiß. Ich ziehe meinen Blazer aus und lege ihn in das Gepäckfach über mir. In diesem Moment kommt mein Sitznachbar, ein Asiate. Nicht der, der vorhin die Diskussion am Schalter verursacht hatte, aber ein nicht minder unangenehmer Zeitgenosse, denn er macht sich gleich unter lautem Geschnaufe in seinem Sitz breit, und in einem Teil von meinem gleich mit. Sind Asiaten nicht alle nett, höflich und zurückhaltend? Offenbar nicht.

Der Gedanke, die nächsten zwölf Stunden eingepfercht neben ihm sitzen zu müssen, ist kein angenehmer. Ich wickele mich in die dünne Decke, die die Fluggesellschaft zur Verfügung gestellt hat, und nehme den Roman zur Hand.

Hola, ist der heiß. Ich bekomme kaum mit, wie das Flugzeug startet und auf Reiseflughöhe steigt. Es geht um eine junge Frau, die einen faszinierenden, aber geheimnisvollen Mann kennenlernt und ihm schnell sexuell hörig wird. Gerade, als sie gemeinsam eine Party in einem Schloss besuchen, bei der alle Gäste maskiert sind, teilt die Flugbegleiterin das Essen aus.

Fast bin ich irritiert über die Störung. Der Mann neben mir schaufelt mittels Stäbchen Reis mit Fleisch in irgendeiner Soße in sich hinein und schmatzt dabei lautstark. Ich habe mich für das andere Gericht entschieden, gebratene Nudeln mit Gemüse und Garnelen sowie ein viel zu süßes Stück Kuchen, das ich nach dem ersten Bissen stehen lasse. Dazu trinke ich stilles Wasser, weil mir die Luft in der Flugzeugkabine sehr trocken vorkommt.

 

Kaum habe ich fertig gegessen, tauche ich wieder in die Partyszene ein. Die Frau wird in eine Art Verlies im Schlosskeller gebracht, wo sie sich entkleiden muss und von zwei Männern gefesselt wird. Ihr Geliebter ist die ganze Zeit dabei, gibt sogar Anweisungen, während die beiden sie erniedrigen und sich gleichzeitig an ihr vergehen, bis sie einen Orgasmus hat.

Ich lasse das Buch sinken. Ein Teil von mir ist fassungslos. So etwas soll Spaß machen? Der andere ist … nein, darüber will ich jetzt lieber nicht nachdenken, aber mein Kopfkino läuft gerade auf Hochtouren. Bin ich pervers, weil mich diese Szene erregt? Das ist doch nicht normal. Andererseits – die Frau sagte vorhin, dass es ein gutes Buch sei. Sie muss es also gelesen haben. Und ihr Mann … Ob die beiden auch solche Praktiken ausleben? Nein, daran zu denken, ist gerade eine ganz schlechte Idee. Solche Romane sollte man nicht in der Öffentlichkeit lesen!

Ich fächele mir mit einem der Wirtschaftsmagazine Luft zu. Der Frankfurter Flughafen ist gut sortiert, es gab tatsächlich eine branchenspezifische Zeitschrift. Vielleicht, weil in Frankfurt inzwischen auch einige Fonds ansässig sind.

Das bringt meine Gedanken zurück zum gestrigen Vormittag. Der Grund, warum ich nicht von London, sondern von Frankfurt aus fliege, ist offiziell, dass mein Vater seinen sechzigsten Geburtstag feierte und ich schon vor Monaten ein paar Tage Urlaub beantragt hatte, um dabei zu sein. Der zweite Grund ist, dass ich einen Termin bei einem Headhunter hatte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, es wäre an der Zeit, London allmählich den Rücken zu kehren und wieder zurück nach Deutschland, idealerweise nach Frankfurt, zu kommen.

Ich seufze. Das Gespräch hätte ich mir sparen können. Der Headhunter entpuppte sich als junger Schnösel, der während unseres Gesprächs mehr Zeit damit zubrachte, mir zu erzählen, wie toll er sei, als dass er sich für meine Qualifikationen interessierte. Am Ende wischte er alles, was ich bisher gemacht hatte, mit einem lapidaren „als Frau können Sie froh sein, wenn Sie hier einen Zeitarbeitsvertrag im Back Office bekommen“, beiseite.

Ich habe ihm nicht gesagt, wohin er sich seinen Zeitarbeitsvertrag im Back Office stecken konnte, sondern freundlich gelächelt mich sogar noch für das Gespräch bedankt. Erst hinterher kam die Wut. Wut auf ihn, dass er seine eigene Unzulänglichkeit – denn nichts anderes konnte der Grund sein, dass er nicht zum Portfolio Manager aufgestiegen war, sondern sich jetzt als Headhunter abrackerte – an seinen Klientinnen ausließ. Wut auf mich selbst, dass ich nicht den Mut hatte, klar zu fordern, was ich wollte. Wut, dass die Branche um mich herum ein Haifischbecken ist. Und Angst, dass ich nicht gut genug bin, um in diesem Haifischbecken zu bestehen.

Manchmal fühle ich mich, als sei ich der einzige Goldfisch in einem großen Becken voller Haie. Ein Goldfisch mit einer Haifischflosse als Tarnkappe. Ansonsten hätte ich in dem Business nicht so lange überlebt.

Es ist eine verdammte Männerdomäne, denke ich und blättere um zu den Branchennews. Auch hier geht es wieder nur um Männer: Mein ehemaliger Arbeitgeber hat einen großen Deal in den USA gemacht, einen Deal, den ich noch geholfen hatte, einzufädeln. Den Bonus dafür wird jetzt wohl mein ExChef einsacken. Ein Fonds hat einen neuen Vertriebsleiter für Deutschland. Von dem Foto lächelt mich ein maximal Dreißigjähriger mit gegelten Haaren und einem schmierigen Lächeln an. Marc Aschenberg hat, zusammen mit zwei weiteren Männern, eine eigene Fondsgesellschaft in Frankfurt gegründet und will die Venture Capital- und Private Equity Szene ein bisschen aufmischen. Sein Name sagt mir etwas: Er muss ein ziemlicher Überflieger sein. Wir sind beide in Frankfurt zur Uni gegangen, wenngleich er zwei Jahre, bevor ich anfing, bereits seinen Abschluss gemacht hat. Danach ging er für seinen Master ans berühmten INSEAD in Paris und Singapur. Die letzten Jahre war er bei einem mittelgroßen Fonds in New York, einige Zeit als Portfolio Manager, zuletzt als Investment Director. Merkwürdig, dass jemand von solch einer Position wieder zurück nach Frankfurt zieht, um noch einmal neu anzufangen.

Andererseits – ich reiße die Seite heraus, falte sie und stecke sie als Lesezeichen in mein Buch. Wer weiß, wenn sie gerade eine neue Firma aufbauen, könnte ich mich vielleicht direkt bei ihnen bewerben, ohne den Umweg über einen Headhunter?

Ich trinke noch einen Schluck Wasser. Wirklich beruhigt habe ich mich von der Szene in dem Roman noch immer noch, und auch, mich noch einmal über den Headhunter aufzuregen, war nicht hilfreich. Ich fühle mich aufgekratzt und hellwach. Der Asiate neben mir schnarcht zusammengesackt in seinem Sitz und kommt dabei mit seinem Kopf meiner Armlehne gefährlich nahe. Unwillkürlich läuft mir ein Ekelschauer über den Rücken. Ich mag es nicht, von Männern berührt zu werden, und von fremden Männern schon mal gar nicht.

Ich stehe auf und strecke mich, einerseits, um von ihm weg zu kommen, andererseits, um die Durchblutung anzuregen. Eigentlich könnte ich auch mal auf die Toilette gehen.

Suchend schaue ich mich nach den Hinweisschildern um. Die Toilette der Business Class ist näher als die der Economy, und vor letzterer steht eine Frau und wartet. Einen winzigen Moment zögere ich – es ist sicher nicht erlaubt, aber ich hoffe, dass es niemand merken wird, wenn ich schnell durch den Vorhang nach vorne schlüpfe.

Gedacht, getan. Gerade, als ich mich der Tür nähere, wird sie entriegelt, öffnet sich einen Spalt breit, und die Frau mit dem grün-braunen Kleid kommt heraus. Sie schaut nicht rechts und nicht links, sondern geht mit wiegenden Schritten zu ihrem Platz. Irgendwie sieht sie aus wie die Katze, die gerade ein ganzes Schüsselchen mit Sahne ausgeschleckt hat. Satt und zufrieden.

Während ich anscheinend mal wieder unsichtbar bin.

Ich straffe innerlich die Schultern und lege gerade die Hand auf die Falttür, als diese von innen geöffnet wird. Von innen? Irritiert schaue ich der blonden Frau hinterher und dann zurück, genau in ein paar braune Augen. Von da abwärts zu einem Dreitagebart und wieder zurück zu braunen Augen.

Aber was macht er … Er wartet, bis mir dämmert, was die beiden gemacht haben müssen. „Sie … Sie …“, stammele ich und merke, wie mir die Röte ins Gesicht schießt. Dabei habe doch ich ihn ertappt.

„Bitte“, sagt er und will an mir vorbei, aber ich stehe wie angewurzelt in der Tür, so dass kein Platz für ihn ist. „Es sei denn, Sie haben Lust …?“ Das letzte sagt er mit einer kokett hochgezogenen Augenbraue. Was für ein Charmeur.

Normalerweise würde ich in so einer Situation die Flucht ergreifen. Aber normalerweise komme ich ja gar nicht erst in solche Situationen, deshalb reagiere ich nicht so, wie ich es von mir selbst erwartet hätte.

„Ich weiß nicht“, antworte ich zuckersüß. „Sind Sie denn sicher, dass Sie nochmal bereit sind?“

Das zumindest habe ich in den letzten Jahren gelernt: Die meisten Männer, die Frauen herausfordern, ergreifen bei einer Gegenherausforderung schneller die Flucht, als man gucken kann. Und die wenigen, die zu dumm oder zu betrunken zum Flüchten waren, sind nach gefühlten fünf Minuten gekommen und danach sofort eingeschlafen, während ich mich anzog, auf Londons nächtlichen Straßen auf ein Taxi wartete und zuhause erst einmal ausgiebig unter die Dusche ging, um die Erinnerungen an den Abend abzuwaschen.

„Ich bin mir sicher“, antwortet er. „Bist du es auch?“ Innerhalb von Sekunden hat er mich in die Toilette bugsiert, die Tür wieder verriegelt und mich an die Wand gedrückt. In der engen Kabine ist kaum Platz für zwei, er steht direkt vor mir. Wie in Zeitlupe sehe ich, dass er seinen Kopf beugt. Nein, das kann nicht sein, denke ich noch ungläubig, als seine Lippen schon meine treffen. Warm, gekonnt und sehr besitzergreifend. Als wolle er mir gar keine Möglichkeit mehr zum Nachdenken geben. Ich bekomme alles wie durch einen Schleier mit: das Vibrieren des Flugzeugs, seine warme Zunge, die sich mit meiner ein Duell zu liefern scheint, seine Finger, die zielsicher über meine Brüste streichen, die sich ihm förmlich entgegen drängen. Ich seufze unwillkürlich.

„Oh ja, du bist es. Deine Nippel sind ganz hart. Ich wette, du bist schon feucht.“

Mein Atem kommt stoßweise – ich weiß gar nicht mehr, wie Atmen eigentlich funktioniert. Unwillkürlich kralle ich mich in seinen Hintern.

Seine Hände gehen auf Wanderschaft, schieben sich unter meinen Hosenbund. Verdammt, ich bin immer noch erregt von dem Buch. Ein wissendes Lächeln umspielt seine Lippen, während seine Finger in meine Spalte eintauchen.

„Was macht dich so heiß?“, flüstert er neben meinem Ohr. Seine Stimme ist rau, aber sehr sinnlich. „Erregt dich der Gedanke, mit einem Fremden Sex über den Wolken zu haben? Dass wir uns nicht kennen? Dass wir es in einem Flugzeug treiben? Dass wir etwas Verbotenes tun?“

Seine Worte bringen mich unsanft in die Realität zurück – in eine Flugzeugtoilette mit einem unbekannten Mann, der mit einer anderen Frau liiert ist, die nur wenige Meter entfernt sitzt. Selbst wenn er ein wirklich attraktives Exemplar der männlichen Spezies ist – so etwas mache ich nicht.

„Tut mir leid“, bringe ich erstickt heraus, drehe mich um und verheddere mich fast in der Falttür beim Versuch, sie zu öffnen. Dann stehe ich auf dem Gang und gehe so schnell ich kann auf meinen Platz zurück.

Niemand scheint etwas mitbekommen zu haben, alle schlafen, schauen auf ihren Monitor oder dösen vor sich hin. Ich ziehe mir die Decke über den Kopf und würde vor Scham am liebsten im Boden versinken, aber das geht schon normalerweise nicht, und in zwölftausend Metern Höhe erst recht nicht.

Was ist nur das Problem mit mir und den Männern? Ich hasse sie nicht, aber manchmal verachte ich sie. Dafür, dass sie immer wie selbstverständlich alles fordern und verlangen, und meistens auch bekommen. Die Beförderung, für die ich ihnen zugearbeitet habe. Den fetten Bonus, obwohl ich doch viel härter gearbeitet habe. Die Frauen, die sich an sie ranschmeißen, obwohl es viele nur wegen des Geldes tun. Dass sie denken, sie bräuchten nur mit dem Finger zu schnippen, und schon würde man verzückt in ihr Bett fallen und die Beine breit machen.

Ich finde es viel spannender, wenn die Kerle machen, was ich sage. Aber das tun sie meistens nicht.

„Hast du in London denn schon einen netten jungen Mann getroffen?“, hatte meine Mutter bei unserem letzten gemeinsamen Essen im Familienkreis gefragt. Das ewige Thema. Sie machen sich Sorgen um mich, ihre Tochter, die mehr an ihrer Arbeit als an irgendetwas anderem interessiert zu sein scheint.

„Vielleicht will Olivia ja gar keinen netten Mann“, hatte mein Bruder süffisant gesagt und mir dabei einen Blick zugeworfen, den ich nicht deuten konnte. Peter ist fünf Jahre älter als ich, mein großer Bruder, der mich, solange ich denken konnte, immer beschützt hat, bis er mit achtzehn in seine eigene Studentenbude zog. Soweit ich es mitbekommen habe, hatte er immer irgendwelche Freundinnen, die ihn anhimmelten, die er aber, wie ich fand, ziemlich schäbig behandelte.

Auch mit seiner aktuellen Begleiterin Alina, die er zur Geburtstagsfeier mitgebracht hatte, wurde ich nicht warm. Sie erschien mir merkwürdig, sah zwar gut aus, aber sprach fast nichts. Beim Essen saß sie ganz vorne auf der Stuhlkante und nestelte die ganze Zeit an einen hässlichen silbernen Fingerring, an dem über eine kleine aufgesetzte Kugel ein weiterer Ring befestigt war, herum. Selbst Peter beachtete sie kaum, dabei wäre jedem Gentlemen aufgefallen, dass sie sich nicht wohl fühlte.

Die Decke schottet mich tatsächlich ein Stückchen ab, und das Brummen der Motoren wirkt auf Dauer einschläfernd. Vielleicht hat die Besatzung auch einfach nur die Sauerstoffzufuhr herunter gedreht, denn ich dämmere tatsächlich weg und schrecke erst auf, als mein Sitznachbar an mir vorbei will.

Den Rest des Fluges verbringe ich mit wirren Gedanken, in denen ich plötzlich selbst in der erotischen Szene des Buches bin, aber nicht als Beteiligte, sondern eher als eine Art Betrachter daneben stehe.

Entsprechend bin ich ziemlich groggy, als wir in Singapur landen. Die Einreiseformalitäten gehen glücklicherweise schnell, mein Koffer kommt fast sofort, nur die Menschenschlange am Taxistand ist länger als gedacht. Während ich dort stehe, sehe ich das Paar von vorhin an mir vorbeigehen und in eine schwarze Limousine steigen.

 

Ob sie überhaupt weiß, dass ihr Mann sie betrügt?

Nicht mein Problem. Ich schaue demonstrativ zur Seite, wo endlich ein leeres Taxi vorrollt. Der Fahrer steigt aus und hilft mir mit dem Gepäck. Ich lasse mich in den Sitz sinken und nenne ihm die Adresse des Hotels, das die Firma für mich gebucht hat.

Je näher wir dem Zentrum kommen, desto dichter wird der Verkehr. Ich schaue aus dem Fenster, ob ich irgendwelche Wahrzeichen erkennen kann, aber man sieht vor allem Straßen und Häuser.

Das Hotel, vor dem wir kurz darauf halten, ist ein Business-Hotel, etwa zwanzig Minuten Fußweg von der Orchard Road entfernt, wo ich die nächsten zwei Wochen meinen Arbeitsplatz haben werde. Das Zimmer ist klein, aber zweckmäßig eingerichtet. Mein winziges Studio in London, für das ich jede Woche ein Vermögen an Miete bezahle, ist auch nicht viel größer.

Ich dusche, ziehe mir frische Sachen an und ergreife meinen Reiseführer. Heute wird voraussichtlich die einzige Chance sein, ein bisschen von Singapur zu sehen; ab morgen früh werde ich mehr oder minder in jeder wachen Minute arbeiten.

An der Rezeption frage ich nach Busverbindungen, aber entweder kann oder will mir keiner helfen. Ich entschließe mich daher, die Strecke zu meiner neuer Arbeitsstelle zu Fuß zu gehen, damit ich sie morgen früh problemlos finde.

Zweiundzwanzig Minuten später stehe ich vor der gewünschten Adresse, einem Hochhaus an der Orchard Road, Singapurs berühmter Einkaufsstraße. Wenn ich morgen eine halbe Stunde für den Weg einplane, sollte das ausreichen.

Erst jetzt gestatte ich mir, die Orchard Road entlang Richtung Meer zu gehen. Spazierengehen scheint in Singapur keine typische Beschäftigung zu sein, und ich verstehe schnell, warum: es ist heiß und schwül. Meine Kleidung klebt an mir, und ich bin froh, nur Sonnencreme und kein Make-Up aufgetragen zu haben. Trotzdem, ins Hotel zurückzukehren kommt nicht in Frage. Schließlich kommt es selten genug vor, dass ich frei habe!

Laut meinem Reiseführer müsste hinter der nächsten Kreuzung das berühmte Raffles Hotel sein. Wenn ich jetzt einen Mann an meiner Seite hätte, würden wir uns dort an der Bar einen Singapore Sling, den berühmten Cocktail, genehmigen.

Stattdessen überrascht mich der Sonnenuntergang, alleine, gerade, als ich an einer großen Kreuzung stehe. Ich straffe die Schultern und gehe weiter Richtung Esplanade. Hier ist viel los, junge Pärchen schlendern umher, ältere Pärchen sitzen vor den Restaurants am Wasser. Eine junge Frau führt ihren Sohn, der wohl gerade Laufen lernt, an einer Leine spazieren. Ich will schon den Kopf schütteln, als ich merke, dass er immer wieder Richtung Wasserkante zieht. Vielleicht ist es doch keine so schlechte Idee, Kinder anzuleinen.

An einem Schnellimbiss gönne ich mir ein paar Satespieße. Dann schlendere ich noch eine Weile am Quay entlang, bevor ich mich auf den Rückweg zum Hotel mache, diesmal mit der U-Bahn.

Die paar Stunden ziellos durch die Stadt zu Schlendern haben sich wie Urlaub angefühlt. Ab jetzt beginnt wieder der Ernst des Lebens. Ich stelle den Wecker, dusche noch einmal, lege mich ins Bett und lese meinen Roman weiter, bis ich einschlafe.

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