Seewölfe - Piraten der Weltmeere 167

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 167
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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-504-0

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1.

Kapitel 2.

Kapitel 3.

Kapitel 4.

Kapitel 5.

Kapitel 6.

Kapitel 7.

Kapitel 8.

1.

Die Hölle tobte.

Der große Mann, der sich auf dem Achterkastell der Galeone an der Schmuckbalustrade festhielt, war durchnäßt vom Kopf bis zu den Zehen und zeigte grimmig die Zähne. Jene kräftigen, blendendweißen Zähne, die vor Zeiten den Plymouther Kneipenwirt Nathaniel Plymson dazu gebracht hatten, sich zu bekreuzigen und lauthals zu schreien, der Seewolf sei los.

Jetzt war es das Wetter, dem der Seewolf die Zähne zeigte.

„Trosse zum Laufen klarlegen!“ brüllte er über das Tosen und Heulen der Elemente hinweg. „Aufpassen, daß sie nicht zu schnell ausrauscht, in drei Teufels Namen!“

„Klar zum Laufen!“ Ben Brightons Stimme hatte auch schon so manchen Sturm übertönt.

„Dann ’raus damit! Fier weg Besan! Aufpassen, Pete, wir müssen den verdammten Kahn mit dem Heck in den Wind bringen!“

Der „verdammte Kahn“ lief unter Fock und Besan Nordkurs, gebärdete sich wie ein durchgehender Gaul und krängte, als wolle er sich die Masten aus dem Leib schütteln.

Der Sturm orgelte durch das Rigg, spielte seine Höllenmusik auf den zum Zerreißen straff gespannten Wanten und Pardunen, ließ die Rahen knirschen, daß es wie das Ächzen verdammter Seelen klang. Von Südwesten brauste es heran, wo Wasser und Himmel zu einem schwarzen Höllenschlund verschmolzen. Alle Augenblicke schmetterten Brecher gegen die Bordwand, überspülten Sturzseen die Decks, flossen gurgelnd durch die Speigatten ab und durchnäßten die Männer, die sich fluchend an den ausgespannten Tauen festklammerten.

Batuti und Smoky kämpften sich zum Besanmast und warfen das Fall los, ohne sich erst damit aufzuhalten, die Gaffel langsam abzufieren. Hastig bargen sie das flatternde Segel, und von irgendwoher tauchte der rote Haarschopf Ferris Tuckers auf.

Hasard hatte keine Zeit, sich zu fragen, wieso sein Schiffszimmermann so auffallend finster den Mast anstarrte.

Nur noch die Fock stand, und sie drückte den Bug der „Isabella VIII.“ nach Steuerbord herum. Gleichzeitig ließ Ben Brighton die Trosse ausfahren, die achtern unter Deck um den Besanmast belegt war. Ein Ruck ging durch das Schiff.

Edwin Carberry, der narbengesichtige Profos, brüllte einen ellenlangen Fluch, in dem vorwiegend von Tod, Teufel und diversen Dämonen der Hölle die Rede war. Er war noch nicht ganz fertig damit, da wurden die Bewegungen der „Isabella“ spürbar ruhiger, als sei die alles zerschmetternde Gewalt des Sturms plötzlich gebrochen.

Dem war nicht so.

Der Sturm brauste und orgelte, jaulte und pfiff genauso wild wie vorher. Aber im kochenden Kielwasser hing die Schleife der schweren Trosse achteraus, hielt das Heck der Galeone vor dem Wind und wirkte wie ein riesiger Treibanker. Die anrollenden Wellenberge verloren ihre mörderische Gewalt, sobald sie sich der „Isabella“ näherten. Jetzt kamen auch keine Sturzseen mehr über. Nur der eisige Wind fegte noch über die Decks und traf mit voller Wucht die Männer in ihren klatschnassen Kleidern.

„Himmel, Arsch und Zwirn!“ knirschte Dan O’Flynn, der sich zu Hasard herübergehangelt hatte. „Wenn das so weitergeht, kriegen wir alle das große Zähneklappern!“

„Und außerdem finden wir uns in der Sargassosee wieder“, knurrte der Seewolf.

„Auch das noch! Als ob wir nicht …“ Dan verstummte.

„Deck!“ schrie der Moses Bill – gewohnheitsmäßig, denn im Augenblick nahm er seine Aufgabe als Ausguck nicht vom Mars aus wahr, wo der Sturm ihn wie eine reife Pflaume von der Plattform geschüttelt hätte, sondern befand sich selbst an Deck. „Schiff querab Steuerbord!“

Hasard fuhr herum.

Im ersten Augenblick sah er nur Regenschleier, windgepeitschtes Wasser, irisierende Gischtwolken. Der junge O’Flynn, der die besten Augen an Bord hatte, sog scharf die Luft ein. Im nächsten Moment konnte auch der Seewolf die Umrisse des fremden Schiffes in der kochenden See erkennen.

Ein Schiff unter schwarzer Flagge.

Eine Galeone mit zerrauften Sturmsegeln, die mit einer wahren Höllenfahrt vor dem Wind dahinbrauste, riesige Wellenberge erkletterte, in schwindelerregende Tiefen stürzte und von neuem aufwärts getragen wurde, als wolle ihr Bugspriet die tief unter dem Himmel dahinjagenden schwarzen Wolken aufspießen. Hasard sah etwas Weißes an der Nock der Großrah tanzen, vielleicht der Rest eines verlorengegangenen Segels. Er kniff die Augen zusammen. Eine Sekunde lang hatte er das Gefühl, daß mit der Galeone etwas nicht stimmte. Die schwarze Piratenflagge? Nein, da war noch etwas anderes, etwas, das er gesehen, aber nicht wirklich aufgenommen hatte. Er starrte hinüber, suchte – doch da jagte das fremde Schiff bereits in ein neues Wellental und verschwand hinter peitschenden Regenschleiern.

Hasard biß sich auf die Lippen.

Dan murmelte etwas von „merkwürdiger Kahn“, das im Brausen des Windes unterging. Hinter ihnen hangelte sich Ferris Tucker mühsam an den Manntauen entlang zur Schmuckbalustrade. Das rote Haar klebte ihm naß in der Stirn, er spuckte und fluchte abwechselnd.

„Hasard!“ schrie er. „Der verdammte Besanmast sieht so aus, als ob er …“

„Wahrschau!“ gellte Bills Stimme dazwischen. „Der Mast!“

Hasard wirbelte herum.

Ferris Tucker brauchte nicht mehr zu erzählen, daß der verdammte Besanmast so aussah, als habe er einen Knacks weg und könne jeden Augenblick brechen.

Der Augenblick war da.

Der „verdammte Besanmast“ vollführte eine Verbeugung, krachte aufs Schanzkleid und begrub das Achterschiff unter einem wirren Knäuel von splitternden Rahen, zerfetzten Wanten und Pardunen und flatterndem Segeltuch.

Hasard reagierte mit einer schnellen Folge von Reflexen, die der Instinkt zuwege brachte.

Er sah die riesige Gaffelrute auf sich zuwirbeln, warf sich gegen Ferris Tukker und rammte dem verblüfften Dan O’Flynn mit dem ganzen Schwung der Bewegung die Faust in die Rippen. Alle drei gingen zu Boden, was der Zweck gewesen war. Etwa da, wo sich eben noch ihre Köpfe befunden hatten, sauste die Gaffelnock schräg durch die Luft und krachte auf die Balustrade.

Kleinholz, dachte Hasard erbittert. Aber besser Kleinholz als eingeschlagene Köpfe.

Die „Isabella“ holte schwer nach Steuerbord über.

Batuti und Smoky, die eben noch den Besan weggefiert hatten, kugelten über die Planken. Batuti erwischte blindlings ein Manntau. Smoky war zu benommen dazu. Blut lief über seine Stirn, wo ihn ein Trümmerstück getroffen hatte. Bei der Schräglage der „Isabella“ würde er glatt über Bord gehen.

Hasard stieß sich ab und sprang.

Platt wie eine Flunder landete er auf dem Bauch, eine Hand in Smokys Hemd und die andere in etwas verkrallt, das einmal ein ordentliches Rigg gewesen war und jetzt den Eindruck erweckte, als habe ein Tiger mit einem gigantischen Wollknäuel gespielt.

Smoky stöhnte. Hasard fiel etwas zusammenhanglos ein, daß der bullige braunhaarige Mann ein wahrhaft verblüffendes Talent dazu hatte, alles, was irgendwie durch die Luft flog, unweigerlich an den Schädel zu bekommen. Verrückt geworden, dachte der Seewolf und meinte sich selbst. Als ob es jetzt um Smokys Talente ging!

„Tempo, ihr Himmelhunde!“ brüllte Ed Carberry von der Kuhl. „Muß ich euch erst die Hammelbeine langziehen? Seht ihr nicht, daß wir kentern, ihr schwarzen Rübenschweine, ihr karierten Kanalratten, ihr dämlichen Perükkenläuse?“

Sie kenterten zwar noch nicht, aber der Besanmast hing wie ein gebrochener Arm in die kochende See, und die „Isabella“ krängte beängstigend nach Steuerbord.

Hasard sprang auf, stellte Smoky auf die Füße und beförderte ihn mit Schwung an die Schmuckbalustrade, wo er sich hoffentlich festhalten würde. Ferris Tucker und Dan O’Flynn wühlten sich bereits durch das Gewirr von Holztrümmern und verwickelten Stagen.

Der Schiffszimmermann schwang seine riesige Axt, Dan hackte mit dem Entermesser nach Wanten und Pardunen. Mit einem Sprung war der Seewolf heran, ließ sich etwas in die Knie sinken und stemmte die Schulter unter den Mast, damit er, wenn er in die Tiefe fuhr, nicht auch noch den Rest des Achterschiffs zu Kleinholz schlug.

Ed Carberry, Stenmark und Luke Morgan stürmten mit Beilen bewaffnet das Achterkastell.

Endlose Sekunden vergingen, in denen die „Isabella“ Anstalten zeigte, aus dem Wind zu drehen. Wenn sie jetzt quer zum Wellengang schlug, konnten sie alle ihr Testament aufsetzen. Noch hielt die Trosse das Heck.

Irgendwo brüllte Ben Brighton ein paar „hirnamputierte Kakerlaken“ an, doch endlich, in drei Teufels Namen, die verdammte Fock aus dem Wind zu nehmen, die den „Scheißkahn“ unaufhaltsam herumdrückte. Für einen ruhigen, beherrschten Mann wie den ersten Offizier der „Isabella“ war das ganz schön starker Tabak. Aber in einer Situation, in der sie jeden Augenblick querschlagen, kentern und mit Mann und Maus auf Tiefe gehen konnten, wäre wohl nicht einmal der Schutzheilige aller Seefahrer ruhig und beherrscht geblieben.

 

„Jetzt!“ brüllte Ferris.

Ein letzter, wuchtiger Axthieb begleitete das Wort und trennte endgültig den Mast von seinem zersplitterten Stumpf.

Hasard drückte die Knie durch.

Seine Schulter stemmte das schwere Holz hoch, während Ferris, Dan, Luke und die anderen immer noch wie wahnsinnig auf das Gewirr von Tauwerk einhackten. Ein dumpfes Knirschen und Brechen. Auch am Steuerbordschanzkleid würde es Kleinholz geben, dachte Hasard. Aber was tat das schon, solange der verdammte Mast nicht das Schiff in die Tiefe riß.

Überraschend leicht glitt er weg und klatschte ins Wasser.

Schwerfällig richtete sich die „Isabella“ aus ihrer Schräglage auf. Zwei, drei Sekunden lang verharrten die Männer mit angehaltenem Atem. Wenn es jetzt dem Teufel, den Geistern des Meeres oder dem Zufall gefiel, den elenden Mast mit voller Wucht gegen die Bordwand zu schmettern und ihnen ein Leck in die Wasserlinie zu rammen, dann war es aus.

Nichts dergleichen geschah.

Die „Isabella“ zerrte wie ein durchgehender Gaul an der Trosse, der Bug schwang nach Backbord. Voraus glaubte Hasard für den Bruchteil einer Sekunde, ein langes Stück Holz in der brodelnden See zu erkennen. Er holte tief Luft.

„Schlafen könnt ihr später!“ schrie er über das Orgeln des Sturms hinweg. „Hoch mit der Fock! Heißt die Blinde! Wir brauchen Fahrt in dem verdammten Kahn, oder der Teufel holt uns lotweise!“

„Aye, aye!“ brüllte der Profos. „Habt ihr’s gehört, ihr müden Säcke? Wir sind noch nicht raus aus dem Mist, also bewegt euch, sonst zieh ich euch die Haut in Streifen …“

Und so weiter und so weiter.

Ein fluchender Profos war die Seele des Schiffs. Die Männer hätten auch so gespurt, aber ohne die finsteren Drohungen wäre ihnen ziemlich mulmig geworden. So flitzten sie, keuchten, schufteten, was das Zeug hielt, und wußten, daß sie es schaffen würden. Und wenn nicht, dann würde sie irgendein Wunder davor retten, zur Hölle zu fahren. Denn zur Hölle zu fahren, ohne daß der Profos noch Gelegenheit erhielt, den Schuldigen die Haut in Streifen von gewissen edlen Körperteilen zu ziehen – das war schlechterdings unmöglich.

In Minutenschnelle blähte sich die Blinde unter dem Bugspriet.

Die Fock wurde gesetzt, der heulende Wind fuhr hinein, noch bevor die Galeone endgültig querschlagen konnte. Jetzt raste sie wieder dahin, als veranstalte sie einen Wettlauf mit den Windsbräuten. Luke, Ferris und Dan gingen daran, mühsam auf die kläglichen Reste der Manntaue geklammert, das Achterkastell aufzuklaren.

Smoky stand an der Schmuckbalustrade und sah aus, als wisse er nicht genau, ob Sommer oder Winter sei.

Heiliger Bimbam, dachte Hasard erschüttert.

Wenn nur nicht wieder Smokys Erinnerungsvermögen in Mitleidenschaft gezogen worden war! Etwas in der Art hatte er schon einmal gehabt. Temporären Gedächtnisschwund nannte es leicht hochtrabend der Kutscher, der auf der „Isabella“ als Koch und Feldscher fungierte. Die anderen sprachen kürzer und ebenso eindeutig vom „Tempo-Dingsda“. Nur über eins waren sie sich einig: daß Smokys „Tempo-Dingsda“ seinerzeit eine Strafe gewesen war, die das Geschick nur in einem Anfall übelster Laune für die Männer der „Isabella“ hatte ersinnen können.

Hasard kam nicht dazu, sich über den Geisteszustand seines Decksältesten zu vergewissern.

Als er an die Schmuckbalustrade trat, hangelte sich auf der Kuhl eine schlanke Gestalt an einem straff durchgeholten Strecktau entlang. Siri-Tongs langes rabenschwarzes Haar flatterte im Sturm. Die Rote Korsarin trug einfache Schifferhosen und eine zinnoberfarbene Bluse wie immer. Hasard mußte grinsen, als er bemerkte, daß sie die obersten Knöpfe des Kleidungsstücks rigoros geschlossen hatte – vermutlich, um auf Hasard und Philip, die achtjährigen Zwillingssöhne des Seewolfs, seriöser und respektgebietender zu wirken.

Pech, daß das an dem Mißtrauen der Zwillinge nicht viel änderte.

Siri-Tong war an Bord, da es eine ganze Weile dauern würde, bis der Schwarze Segler wieder instand gesetzt war. Hasard hatte sie gebeten, ihn zu begleiten, da er glaubte, daß ein bißchen weiblicher Einfluß seinen reichlich wild und ungebärdig geratenen Söhnen guttun würde.

Nur verstanden die Zwillinge unter „weiblich“ etwas ganz anderes. Sie waren im Orient aufgewachsen. Ihrer Meinung nach hatte eine Frau im Harem zu sitzen, Süßigkeiten zu knabbern, türkischen Kaffee zu trinken und allenfalls die eine oder andere Intrige zu spinnen. Der Schleier? Nun ja, darauf konnte man notfalls verzichten – andere Länder, andere Sitten.

Daß der Seewolf unverständlicherweise keinen Harem sein eigen nannte, mußte man eben akzeptieren. Aber das mindeste wäre gewesen, daß sich Siri-Tong in ihre Kammer zurückgezogen und das süße Nichtstun gepflegt hätte. Eine Frau in Hosen, die zupackte, einen Degen trug, ihn zu führen verstand und vor keiner Arbeit zurückscheute – das ging entschieden über das Begriffsvermögen der Zwillinge.

Es gab keinen Zweifel daran, daß sie sich dem „weiblichen Einfluß“ zielstrebig widersetzten.

Hasard amüsierte sich darüber und war gespannt, wie sich Siri-Tong am Ende aus der Affäre ziehen würde. Aber sein Lächeln erlosch, als er das blasse, angespannte Gesicht der Roten Korsarin sah.

Sie turnte den Niedergang hoch und hielt sich an der Balustrade fest. Auch sie war es gewohnt, Sturm und Wellen zu übertönen – schließlich kommandierte sie normalerweise den Schwarzen Segler.

„Die Jungen!“ rief sie. „Ich wollte nach ihnen sehen, aber sie sind weg! Verschwunden!“

„Himmelkreuzdonnerwetter und Gewittersturm noch mal!“

Hasard knirschte den Fluch nur, niemand außer ihm selbst konnte ihn hören. Diesmal, schwor er sich, würde er seinen Söhnen eigenhändig die Leviten lesen, und zwar so, daß sie die nächsten Nächte auf dem Bauch schlafen mußten. Sie hatten Himmel, Hölle und das Blaue vom Firmament versprochen, um an Bord bleiben zu dürfen, statt an Land bei Doc Freemont in den Genuß einer nützlichen, aber langweiligen Schulbildung zu kommen. Jetzt waren sie an Bord. Und jetzt mußten sie, verdammt noch mal, auch lernen, sich wie zukünftige Seeleute zu benehmen.

Dazu gehörte, daß sie nicht mitten im Sturm durch ihre Eskapaden Männer ablenkten, die ihre Kräfte dringend anderweitig brauchten.

Nichtsdestoweniger mußten sie gefunden werden. Es gab hunderterlei Dinge, die ihnen auf der sturmgeschüttelten „Isabella“ zustoßen konnten. Hasard hatte zunächst in der Kombüse nachgesehen, aber dort jagte nur der Kutscher seinen Pfannen nach, die die grünen Sturzseen sonstwohin gespült hatten.

Jetzt standen sie mit finsteren Mienen zusammen und überlegten: der Seewolf und Siri-Tong, Old O’Flynn, der sich mit verbiestertem Gesicht auf seine Krücken stützte, Donegal Daniel junior, Big Old Shane, der Kutscher und Ed Carberry, der schon wieder etwas von „Affenärschen“ und „Hautabziehen“ vor sich hin murmelte.

Dabei wußte jeder, daß er sich eher selbst verhackstückt hätte, statt zuzulassen, daß den Zwillingen etwas angetan wurde.

Den anderen ging es im Grunde genauso. Aber Strafe mußte sein, und deshalb schnitten sie alle höchst ergrimmte Gesichter.

Big Old Shane, der frühere Schmied der Feste Arwenack, ließ einen finsteren Blick unter buschigen Brauen in die Runde wandern.

„Hier sind sie nicht“, stellte er fest, was angesichts der leeren Kombüse keine überragend geistreiche Bemerkung war. Seine nächste Schlußfolgerung stützte sich auf eine tiefgründige Kenntnis der Psyche hungriger Knaben im Wachstumsalter: „Also sind sie in einem der Laderäume.“

„Bestimmt“, sagte Dan O’Flynn. Auch er verfügte, was hungrige Knaben betraf, über tiefgründige Kenntnisse. Schließlich hatte er vor Jahren selbst ständige Raubzüge auf die Kombüse unternommen. Bis man ihm dann einen Bandwurm andichtete, das nicht vorhandene Tierchen mit einer legendären Rizinus-Kur vertrieb und ihn zwar nicht von seiner Freßlust, aber immerhin von seinen räuberischen Eskapaden kurierte.

„Dann sehen wir doch nach“, knurrte Hasard und überlegte dabei, ob es im Orient Bandwürmer gab oder ob man sich zwecks Disziplinierung der beiden hungrigen Knaben etwas anderes einfallen lassen mußte.

An der Rückwand der Kombüse gab es eine Tür, die in den Schiffsbauch führte.

Hasard ging voran. Siri-Tong folgte ihm, eine steile Falte auf der Stirn. Sie war von Natur aus nicht besonders nachsichtig geartet, aber sie hatte nie einen Zweifel an ihrer Ansicht gelassen, daß Kinder Dummheiten anstellen mußten und daß man ihnen keinen Gefallen tat, wenn man ihre Narrenfreiheit zu früh und zu gründlich einschränkte.

Recht hat sie, dachte Hasard.

Er erinnerte sich nur zu deutlich an seine eigene Kindheit unter der Fuchtel des tyrannischen Sir John Killigrew, der nicht sein wirklicher Vater war. Der kleine Philip Hasard hatte sich an Big Old Shane angeschlossen. Und eines Tages hatte Sir John dann im Hirschgeweih über dem Kamin gezappelt, als er dem damals Siebzehnjährigen die letzte Ohrfeige seines Lebens verpaßte. Hasard hatte sich vorgenommen, daß sich seine eigenen Söhne später einmal nicht wünschen sollten, ihren Erzeuger in einem Hirschgeweih zappeln zu sehen.

Trotzdem würden sie ihre Lektion erhalten.

Eigensinnige Eskapaden mitten in einem Sturm, der allen das Leben kosten konnte, durften einfach nicht durchgehen. Mit grimmigem Gesicht riß Hasard das Schott des Laderaums auf – und blieb stehen, als sei er gegen eine unsichtbare Wand geprallt.

Da waren sie.

Zwei kleine Gestalten, mit Armen und Beinen an ein halbleeres Wasserfaß geklammert, das die Gewalt des Sturms aus seinen Laschungen gelöst haben mußte. Die rollenden Bewegungen des Schiffs hätten es eigentlich in ein außer Rand und Band geratenes Geschoß verwandeln müssen. Es hätte den gesamten Laderaum in Kleinholz verwandeln und die Vorräte für Wochen vernichten können. Aber die Zwillinge hatten es geschafft, das Ding aufzuhalten und mit ihrem Körpergewicht gegen den Boden zu pressen.

Ed Carberry und Dan sprangen hinzu und hielten das Faß fest.

Der kleine Philip taumelte gegen die nächstbeste Kiste. Hasard junior balancierte die Schiffsbewegungen mit gespreizten Beinen aus und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Scheißfaß“, erklärte er in seinem holprigen, durch waschechte Carberry-Flüche angereicherten Englisch. „Hat sich losgerissen und fürchterlich gepoltert. Wir wollten gucken nach Gepolter, gingen in Laderaum, und da hatten wir den Schlamassel.“

„Und dann habt ihr das Teufelsding die ganze Zeit über festgehalten?“ fragte Dan zweifelnd.

„Klar! Was sollten wir tun? Faß zu schwer für einen allein. Also wir mußten warten, bis jemand uns sucht.“

Ed Carberry grinste. Donegal Daniel senior warf Hasard einen Blick zu, der ungefähr besagen sollte, daß man da mal wieder sehen könne, was in „halben“, aber waschechten O’Flynns steckte. Der Seewolf grinste breit.

„Das habt ihr gut gemacht“, erklärte er ehrlich.

„Na und? Sind wir Seeleute, oder sind wir nicht?“

Es war der kleine Philip, der das sagte. Sein Vater erklärte salomonisch, daß sie zumindest auf dem besten Wege seien, und schloß gleich die Frage an, ob die beiden „Seeleute“ wohl schon zu erwachsen für eine Handvoll von den Rosinen wären, die der Kutscher sonst eifersüchtig hütete.

„Rosinen?“

Das zweistimmige Echo klang begehrlich. Die „Seeleute“ waren durchaus nicht zu erwachsen, um in den süßen getrockneten Weinbeeren die höchste aller irdischen Wonnen zu erblicken. Mit glänzenden Augen nahmen sie ihre Belohnung in Empfang und bewiesen dabei auch gleich, daß ihnen inzwischen wirklich Seebeine gewachsen waren. Das Schiff mochte schaukeln, rollen und stampfen, wie es wollte – nicht eine einzige der köstlichen Früchte landete auf den Planken.

Der Rest der Nacht verging mit dem endlosen, ermüdenden Kampf gegen den Sturm.

Erst gegen Morgen flaute er ab. Als hätten die Elemente endlich eingesehen, daß die Männer der „Isabella“ zu zäh und hartgesotten waren, um von den Fischen verdaut zu werden – so plötzlich verebbte das Toben. Eine frische Brise wischte den Himmel sauber. Klar und leuchtend blau schimmerte das Meer in der Sonne. Immer noch kämpfte sich die Galeone mühsam durch die steile Dünung, doch die Crew begann aufzuatmen.

 

Wieder einmal hatten sie den Kampf gegen die entfesselte Natur gewonnen.

Daß die „Isabella“ dabei reichlich gerupft worden war, nahmen sie gelassen hin, da sie es nicht ändern konnten.

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