Buch lesen: «Hšr nichts Bšses»
Hör nichts Böses
Copyright © 2019 by Kayla Gabriel
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln ohne ausdrückliche, schriftliche Erlaubnis der Autorin elektronisch, digital oder analog reproduziert oder übertragen werden, einschließlich, aber nicht beschränkt auf, Fotokopieren, Aufzeichnen, Scannen oder Verwendung diverser Datenspeicher- und Abrufsysteme.
Veröffentlicht von Kayla Gabriel als KSA Publishing Consultants, Inc.
Gabriel, Kayla: Hör nichts Böses
Coverdesign: Kayla Gabriel
Foto/Bildnachweis: Depositphotos: fxquadro & VolodymyrBur
Anmerkung des Verlegers: Dieses Buch ist ausschließlich für erwachsene Leser bestimmt. Sexuelle Aktivitäten, wie das Hintern versohlen, die in diesem Buch vorkommen, sind reine Fantasien, die für Erwachsene gedacht sind und die weder von der Autorin noch vom Herausgeber befürwortet oder ermutigt werden.
Inhalt
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Die Tore von Guinee
Sieben Nächte
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
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Bücher von Kayla Gabriel
Ausschnitt: Sprich nichts Böses, Buch 3
Über den Autor
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Die Tore von Guinee
Ein Auszug aus Withiels Enzyklopädie der Magie, Band IV
Die Tore von Guinee
Die Tore von Guinee stellen den Eingang zu dem spirituellen Raum zwischen dieser Welt und der nächsten dar. Seit eh und je ranken sich zahllose Geheimnisse um die Tore, über die man lediglich mit Bestimmtheit weiß, dass sie in New Orleans, Louisiana, liegen, höchstwahrscheinlich in einem der vielen betörend schönen Friedhöfe der Stadt. Es heißt, dass die Tore von Guinee von Vodou Loa Baron Samedi beschützt werden, dessen Hinweis, wie man den Zugang zu den Toren erreicht, für immer in einem uralten Kinderreim festgehalten wurde:
Sieben Nächte
Sieben Monde
Sieben Tore
Sieben Gräber
Man sagt, dass für den wahrhaft eifrig Suchenden der Schlüssel zur Reise zwischen den Reichen aus Fleisch und Geist einzig eine Frage der richtigen Reihenfolge und des Timings ist.
1
Cassandra Chase stand vor dem Ganzkörperspiegel in ihrem großzügig geschnittenen begehbaren Kleiderschrank und drehte sich nach links und rechts, während sie den wunderschönen Rosie Assoulin Rock bewunderte, der gerade für sie angekommen war. Der Rock war im intensivsten Saphirblau gefärbt, das man sich nur vorstellen konnte, saß hoch auf Cassies Taille und fiel wie ein Vorhang weich zu ihren Füßen. Sie hatte ihn mit einer glatten, ärmellosen weißen Satinbluse kombiniert, ihre flammendroten Haare nach hinten gebunden und das Outfit mit einem Paar Diamantohrstecker abgerundet. Ein Hauch Rouge auf ihren hohen Wangenknochen hob die zarten Züge ihres herzförmigen Gesichts hervor, ein wenig Mascara betonte ihre dichten Wimpern und ein rot-oranger Lippenstift akzentuierte ihre dramatischen, vollen Lippen.
Cassie drehte sich abermals zur Seite und musterte ihre Figur. Sie war groß und kurvig, ihr Vorbau und Hüften breiter als sie sein sollten. Dennoch liebte Cassie nichts mehr als wirklich hübsche Designerklamotten, weshalb sie die Kleider, die ihr sofort ins Auge stachen, kaufte und dann so abänderte, dass sie ihrer sündigen Gestalt passten.
Jeder brauchte ein Hobby. Frauen, die nur selten die vier Wände ihrer persönlichen Bleibe verließen, brauchten sie umso dringender.
Zufrieden damit, wie sie sich zurechtgemacht hatte, wirbelte Cassie herum und kehrte in den Wohnbereich ihrer Suite zurück. In dem Zimmer befand sich eine hübsche vergoldete Esszimmergarnitur von Anthropologie, eine umwerfende Bücher-Sitzecke mit Möbeln von West Elm sowie ein Bereich zum Nähen und zur Stoffaufbewahrung. Zusammen mit Cassies dekadentem Schlafzimmer und Bad und dem riesigen begehbaren Kleiderschrank machten diese Räume ihre ganze Welt aus.
Ihr hübscher, sorgsam erbauter und erdrückender goldener Käfig.
Cassie nahm ein Tablet in die Hand und spielte ein neues Album ab, das sie mochte und dessen Sängerin Florence Welsh genauso wie sie ein Rotschopf war. Sie verbrachte einige Minuten damit, zur Musik zu summen und ihren Nähbereich aufzuräumen. Da sie auf einem so begrenzten Raum lebte, konnte Cassie nicht das kleinste bisschen Unordentlichkeit ertragen. Es gab einfach keine Möglichkeit in ihren Räumlichkeiten irgendetwas zu entkommen, weshalb sie sie so ordentlich wie möglich hielt.
Es half, dass ihre Kidnapper ihr erlaubten, sich zu kaufen, was sie sich wünschte. Wenn Cassie online etwas sah und der Meinung war, es könnte sie amüsieren, musste sie einfach nur darum bitten. Solange der Gegenstand ihr nicht zur Flucht aus der ausladenden Villa verhelfen würde, in der sie lebte und mit einem Dutzend oder mehr anderer nützlicher Hexen gefangen gehalten wurde, würde ihr jeder Herzenswunsch erfüllt werden.
Cassie lebte mittlerweile seit vier Jahren in dem Vogelkäfig, wie die Bewohner der Villa ihn nannten. Nach dem ersten Jahr hatte sie jegliche Fluchtversuche vollständig eingestellt. Pere Mal mochte sie zwar an der kurzen Leine halten und ungefähr einmal die Woche den Gebrauch ihrer Kräfte verlangen, aber ansonsten hatte Cassie ein gewisses Maß an Freiheit gewonnen. Manchmal holte Pere Mal sie sogar aus dem Vogelkäfig raus und nahm sie mit zu schicken Kith-Clubs im French Quarter, wo sie wichtige Leute kennenlernte.
Cassie machte einen Satz, als ein leises Klopfgeräusch aus ihrem Schlafzimmer drang. Sich auf die Lippe beißend eilte sie in ihr Schlafzimmer und zog den schweren Schrank von der Wand weg. Hinter dem Schrank befand sich ein rundes Loch in der Wand, das ungefähr einen halben Meter im Durchmesser maß.
In dem Loch kauerte mit einem wilden Blick in den faszinierenden dunkelblauen Augen Alice. Cassies einzige Freundin und Vertraute und ebenfalls Gefangene des Vogelkäfigs. Spatzen, nannten sie sich.
„Du musst leiser sein“, schimpfte Cassie Alice.
Alice zog eine dunkle Augenbraue hoch und kletterte aus dem Tunnel, den sie zwischen ihre Schlafzimmer gegraben hatten. Anschließend strich sie über die zwei dunklen Fischgrätenzöpfe, zu denen ihre langen, welligen rabenschwarzen Haare frisiert waren. Alice trug ein schlichtes, aber umwerfendes schwarzes Kleid, dessen Vorderseite von Perlknöpfen und einem weißen Kragen geziert wurde. Es war zweifelsohne genauso teuer wie Cassies Outfit. Vermutlich ein Rag and Bone Kleid, wenn Cassie sich bezüglich des Designers nicht irrte.
„Wir werden schon nicht erwischt werden“, meinte Alice achselzuckend.
Cassie schürzte die Lippen und musterte Alice einen Augenblick. Mit sechsundzwanzig war Cassie nur zwei Jahre älter als Alice, aber Alice nahm oft das nervtötende, unbekümmerte Verhalten eines sehr viel jüngeren Mädchens an. Cassie vermutete, dass Alices jugendliche Momente ein Produkt leichten Wahnsinns waren, ein Ort, an den sich Alice zurückzog, wenn die Welt um sie herum bedrohlich oder erdrückend war.
Oder vielleicht war es auch nur eine Show und Alice verbarg ihr wahres Selbst vor Cassie genauso wie vor allen anderen. Obwohl Alice bereits vor drei Monaten angefangen hatte, ein kleines Loch zwischen ihren Zimmern zu graben und Cassie Botschaften zukommen zu lassen, hatte Cassie noch immer nicht das Gefühl, dass sie die andere Frau ganz verstand.
„Das kannst du nicht wissen, Alice“, wand Cassie ein, wobei sie sich bemühte, ihre Ungeduld nicht in ihrem Tonfall durchklingen zu lassen.
„Tatsächlich kann ich das“, sagte Alice und neigte den Kopf zur Seite. „Um dir das zu erzählen, bin ich hergekommen. Ich habe endlich eine Möglichkeit gefunden, einen Hilferuf abzusetzen. Es ist wie das Abschießen einer Leuchtpistole, aber mit magischer Energie.“
Alice hob ihre Hand und ahmte die Bewegung nach, wie sie einen Schuss über ihrem Kopf abgab, und Cassies Neugier war geweckt.
„Ich dachte, du könntest die Schutzzauber, die auf dem Vogelkäfig liegen, nicht entfernen“, erwiderte Cassie.
„Ich kann alles tun, was ich mir in den Kopf setze, Cassandra.“ Alice nannte jeden bei seinem vollen Namen. „Du solltest das doch mittlerweile von allen am besten wissen.“
Sie hatte natürlich vollkommen recht. Alice hatte den Großteil des Tunnels zwischen ihren Zimmern in einer einzigen Nacht gegraben, nur unter der Verwendung eines Metalllöffels, den sie von einem der Essenstabletts stibitzt hatte, die ihnen von der Küche geschickt wurden. Alice war sowohl entschlossen als auch furchtlos, eine bemerkenswerte und manchmal furchterregende Kombination.
„Das stimmt allerdings. Du glaubst also, dass du uns wirklich retten kannst?“, fragte Cassie.
„Ich bin mir so sicher, dass ich dir rate, deine Lieblingssachen einzupacken. Wenn ich ein Signal absetze, wird Pere Mal gezwungen sein, den Vogelkäfig zu räumen und uns alle woanders hinzubringen. Wenn wir erst einmal nach draußen kommen, werden wir unsere Taschen verstecken und dann werde ich für Ablenkung sorgen. Ab da…“ Alice zog ihre Augenbrauen hoch. „Flucht voraus.“
Cassie dachte eine Sekunde darüber nach.
„Wohin sollen wir denn gehen?“, fragte sie und schämte sich zugleich. Die Vorstellung von so viel Freiheit auf einmal jagte ihr Angst ein. Anders als Alice hatte Cassie niemanden, außer man zählte ihre Junkie-Eltern mit, die sie mit sechzehn verlassen hatte. Ihr beschissenes Zuhause war der erste vieler Faktoren und großen Peches gewesen, die sich lawinenartig gehäuft hatten, bis Cassie schließlich im Vogelkäfig gelandet war.
Wenigstens bist du nicht in einem der Blutbordelle auf dem Graumarkt, rief sie sich stets in Erinnerung. Hättest du keine Kräfte, würdest du jetzt genau dort sein.
„Irgendwohin“, antwortete Alice und kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum. „Wir können alles tun, was wir wollen.“
„Und wann setzt du das Signal ab?“, wollte Cassie wissen.
„Oh…“ Alice blickte Cassie mit großen Augen an. „Vor zehn Minuten, plus minus.“
„Alice!“, rief Cassie, packte ihre zierliche Freundin an den Schultern und schob sie zurück zur Wand. „Geh zurück in dein Zimmer. Wenn sie den Tunnel sehen, werden sie wissen, dass du das Signal ausgesandt hast.“
Alice seufzte.
„Cassandra, du liebes Mädel. Das wissen sie vermutlich bereits. Deswegen müssen wir ja fliehen.“
Ihrer Freundin einen finsteren Blick zuwerfend, drängte Cassie sie in den Tunnel.
„Wir treffen uns an der Seite des Hauses in der Nähe des Meerjungfrauen-Springbrunnens“, flüsterte Cassie. „Wenn sie kommen, um dir zu sagen, dass du packen sollst, versuch dir nicht anmerken zu lassen, dass du mit ihnen gerechnet hast, okay?“
Alice trat ohne ein weiteres Wort den Rückzug an und Cassie schob den Schrank ächzend zurück an die Wand. Einige lange Sekunden lehnte sie einfach nur an dem Schrank, ganz paralysiert vor Schreck, und starrte auf ihre liebevoll ausgewählten Schlafzimmermöbel. Es mochte ihr goldener Käfig sein, aber er war auch mit weiblichen, hübschen Dingen ausgestattet, die Cassie liebte.
Cassie stieß sich vom Schrank ab, rannte zu ihrem begehbaren Kleiderschrank und fing an, die Sachen herauszuziehen, die sie einfach nicht zurücklassen konnte. Der Haufen nahm innerhalb weniger Minuten gigantische Ausmaße an, weshalb sie gezwungen war, ihn wieder und wieder zu reduzieren.
Zu dem Zeitpunkt, an dem die Wachen an Cassies Tür hämmerten, hatte sie ihre Auswahl getroffen.
„Herein!“, rief sie und lief in den Wohnbereich.
„Du machst einen Ausflug“, erzählte ihr eine grimmige Wache im dunklen Anzug und warf zwei Koffer auf Rollen in den Raum. „Sei in zehn Minuten fertig.“
Cassie nickte nur, während ihr das Herz wie wild in der Brust schlug. Die Wache knallte die Tür hinter sich zu und das Geräusch ließ Cassie erschaudern. Sie sah sich einen Augenblick in dem Zimmer um und wünschte sich, sie hätte ein paar persönliche Erinnerungsstücke, die sie mitnehmen könnte. Ihre Finger tasteten instinktiv nach ihrer Halskette, ein Silbermedaillon an einer Kette, die so lang war, dass sie den Anhänger unter allem verstecken konnte, das sie anzog. Der Anhänger war das Einzige, das sie von ihrer Familie behalten hatte. Das letzte Geschenk ihrer geliebten Großmutter, die gestorben war, als Cassie zwölf gewesen war.
Sie schleifte ihre Koffer zum Schrank und verbrachte die nächsten Minuten mit Packen. Nachdem sie ihre Kleider eingepackt hatte, wühlte sich Cassie bis auf den Boden ihres Schranks vor und zog mehrere dicke Geldbündel hervor. Diese hatte sie im Verlauf der letzten Jahre sorgsam angesammelt, indem sie so getan hatte, als würde sie die Gegenstände, nach denen sie verlangt hatte, umtauschen und sie stattdessen verkauft hatte.
Nachdem sie die Stapel aufgeteilt und in T-Shirts eingewickelt hatte, legte sie einen Teil des Geldes in jeden der Koffer, falls sie einen verlieren sollte. Anschließend rollte sie die Koffer zurück zur Eingangstür und wartete. Cassie streifte sich ein Paar leichter, armlanger Ziegenlederhandschuhe von Burburry über, atmete langsam aus und versuchte, ihre Nerven zu beruhigen. In ihrem Kopf herrschte das reinste Chaos, ihre Hände zitterten und ihre Zunge war so trocken wie Sand.
Die Vorstellung, dem Vogelkäfig zu entkommen, war so aufregend und dennoch…
Die Tür schwang erneut auf, bevor Cassie Zeit hatte, ihren Gedanken zu beenden.
„Auf geht’s“, verkündete die Wache und winkte sie durch die Tür.
Tief Luft holend und die Schultern straffend packte Cassie ihre Koffer und lief aus der Schlafzimmertür, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen, weil sie sich ihre Beklommenheit nicht anmerken lassen wollte.
Cassie wusste, dass sie mit jedem Schritt, den sie machte, auf ein völlig neues Leben zuging. Vielleicht war ein Neuanfang ja genau das, was nötig war, um Cassandra Chases Herz aus seinem goldenen Käfig zu befreien.
2
Gabriel Thorne zog sein Langschwert und seine Lippen bewegten sich lautlos, als er einen Zauber wirkte, um seine Sicht zu schärfen, während er in die Tiefen einer langen, stockdunklen Gasse in New Orleans berühmtem French Quarter vordrang. Im Moment beschattete er einen garstig aussehenden Drekros Dämonen. Die schaurig bleiche Kreatur mit der von Beulen übersäten Haut kroch auf täuschend schwachen Beinen vorwärts. Ihr langer, dünner Hals trug einen grausamen Kopf, der hauptsächlich aus messerscharfen gelben Zähnen bestand. Speichel tropfte aus dem geöffneten Mund auf den grässlichen Körper.
Während Gabriel dem Drekros folgte, folgte dieser wiederum einem Paar kichernder Collegemädchen, die durch die dunkle Gasse schwankten zweifellos in dem Bemühen, zurück zur Straßenbahn zu gelangen, um damit zurück zur Tulane zu fahren. Der Drekros stoppte, hob seinen missgestalteten Kopf und schien anscheinend die Brise zu testen. Gabriel konnte im Gesicht des Drekros‘ keine Nase sehen, aber das hieß nicht, dass die Kreatur sein Herannahen nicht spüren konnte.
Die Kreatur drehte sich mit einem schrillen Stöhnen zu Gabriel um und versprühte säureartige Spucke in alle Richtungen, die alles verbrannte, was sie berührte.
„Oh, habe ich dir das Abendessen verdorben?“, fragte Gabriel grinsend.
Die Kreatur stöhnte erneut und starrte ihn an, da sie ihn nicht zu verstehen schien. Vielleicht hatte Gabriels englischer Akzent die Kreatur durcheinandergebracht. Vielleicht sprach das Ding aber auch nicht oder verstand Sprachen im Allgemeinen nicht. Gabriel wusste es nicht und es war ihm auch herzlich egal. Er wollte das Ding nur aus dem Verkehr ziehen und die letzte Stunde seiner Patrouille hinter sich bringen.
Die Morgendämmerung würde die Stadt schon bald erhellen und dann könnte Gabriel ins Herrenhaus zurückkehren und sein Bett aufsuchen, möglicherweise nachdem er einen kurzen Stopp in einem der Kith-Clubs eingelegt hatte, um sich eine sexy paranormale Bettgefährtin zu suchen. Dieser Tage war er vor allem an Succubi interessiert, solange sie versprachen, artig zu sein.
„Komm schon“, sagte Gabriel und schwang mit seinem Schwert nach der Kreatur.
Sie stürzte sich mit einem grollenden Fauchen auf Gabriel, Mordlust offenkundig in den Knopfaugen. Gabriel schenkte dem Drekros ein strahlendes Grinsen, während er ihn in zwei Hälften spaltete. Der Dämon röchelte, als er in Flammen aufging und sein Körper verschwand in einem hellen Aufblitzen von Feuer, Schwefel und Rauch.
„Viel Spaß in der Hölle. Grüß deinen Schöpfer von mir“, sagte Gabriel, obwohl die Kreatur schon längst verschwunden war. Gabriel zog ein dickes Stoffstück hervor und putzte damit seine Schwertklinge, ehe er die Waffe zurück in seine Scheide steckte. Er warf das Tuch in den nächsten Mülleimer und ging zurück zur St. Louis Kathedrale.
Nur wenige Schritte vom geheiligten Boden der Kathedrale entfernt, befand sich der Spitfire Coffee Shop, wo Gabriel am liebsten eine lange Nacht des Patrouillierens ausklingen ließ. Der Laden hatte wahnsinnig lang geöffnet und machte den verflucht besten Espresso, den er jemals gekostet hatte.
Nicht, dass es im London des neunzehnten Jahrhunderts haufenweise Espresso gegeben hätte. In Gabriels eigentlichem Zeitalter hatte man lediglich die bittersten vorstellbaren Kaffeebohnen produziert und geröstet, nicht die reichen, fruchtigen, nussigen Aromen, die Gabriel in seinem Espresso bevorzugte.
Mit einem traditionellen Macchiato, zwei Schuss Espresso getoppt mit einem Klecks Milchschaum, aus dem Spitfire zu laufen, war das perfekte Ende von Gabriels Nacht. Er nippte an seinem Getränk, während er zurück zum Herrenhaus lief und die Augen offenhielt. Die letzten Stunden der Dunkelheit warteten oft mit einer Menge Ärger auf, weil Kith Menschen oder einander nachstellten.
Als er ans andere Ende des French Quarter lief und die Frenchmen Street entlangschlenderte, schweiften Gabriels Gedanken ab. Er musterte mehrere Kith-Clubs, aber keiner von ihnen reizte ihn heute Abend. Seine selbstauferlegte dreiwöchige Trockenphase würde also vermutlich andauern.
Rhys Macaulay hatte alles verdorben. Rhys, ein Wächterkollege, der wie er mit dem Schutz der Stadt beauftragt war und für Gabriel einem Freund am nächsten kam, war gerade mal vor einem Monat seiner vorherbestimmten Gefährtin direkt in die Arme gerannt. Bärengestaltwandler erkannten ihre Gefährtinnen auf den ersten Blick und wenn sie ihre vom Schicksal vorherbestimmte Gefährtin erst einmal gefunden und sich mit ihr niedergelassen hatten, dann akzeptierte der Bär nie wieder eine andere.
Aus irgendeinem Grund machte Rhys‘ überschäumende Freude, nachdem er seine hübsche blonde Gefährtin gefunden hatte, Gabriel unglücklich. Weiß Gott, wenn es jemanden gab, der ein wenig Glück in seinem Leben verdiente, dann war es der noble, loyale Rhys. Aber das hinderte Gabriels Nackenhaare nicht daran, sich jedes Mal aufzustellen, wenn er Rhys und Echo dabei erwischte, wie sie in irgendeiner abgelegenen Ecke des Herrenhauses wie Teenager herummachten.
Gabriel war sich ehrlich nicht sicher, ob es Neid, Ekel, Angst oder eine Mischung aus allen dreien war, aber das Ganze hatte ihm One-Night-Stands madig gemacht.
„Nur ich und mein Kaffee“, sinnierte er laut, während er die letzten Tropfen seines geliebten Getränks hinabschluckte und den Becher in einen Mülleimer fallen ließ.
Sein Handy vibrierte irgendwo in seiner Kampfweste und er fischte es mit einer skeptischen Grimasse heraus. Ein klingelndes Handy bedeutete, dass von irgendwo in der Stadt ein Notruf eingegangen war. Notrufe wiederum bedeuteten, dass Wächter zu der Szene geschickt werden mussten. Als der Wächter auf Patrouille würde Gabriel höchstwahrscheinlich umkehren und zurück zum Quarter eilen müssen. Vielleicht handelte es sich um einen Kampf zwischen zwei Werwölfen oder einen schwachen Kith, der von einer der fieseren Dämonenrassen bedroht wurde.
„Ja“ sprach Gabriel in das Handy.
„Du wirst nicht glauben, was ich heute Nacht für dich habe.“ Echo, Rhys‘ neue Gefährtin, hatte die Aufgabe einer Art paranormalen Einsatzleitstelle übernommen und immer einen lockeren Spruch auf den Lippen, wenn sie Gabriel auf Missionen schickte.
„Ich hätte auf betrunkene Werwölfe getippt“, antwortete Gabriel und blieb an der Ecke Frenchmen und Dauphine stehen.
„Tatsächlich habe ich gehört, dass heiße Mädels involviert sind“, sagte Echo, die amüsiert klang. „Eine Gruppe Hexen, die in einem von Pere Mals Schlupfwinkel gefangen ist und verzweifelt auf Rettung hofft. Also im Grunde genommen genau das Richtige für dich.“
„Wie lautet die Adresse?“, fragte Gabriel. Echo nannte ihm die Adresse, die ungefähr sechs Blöcke in nordöstlicher Richtung in der St. Roch Nachbarschaft lag. Gabriel konnte die Kreuzung vor seinem inneren Auge sehen, einen stark gentrifizierten Block neuer und alter Häuser. „Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen sollte?“
„Eine der Hexen hat ein gigantisches Notrufsignal abgesetzt und Pere Mal namentlich erwähnt. Ich würde mich an deiner Stelle beeilen, bevor er sie zum Schweigen bringt. Dauerhaft“, erklärte Echo.
„Bin auf dem Weg“, sagte Gabriel. „Schick die anderen zwei zur Verstärkung, nur für den Fall.“
„Erledigt und erledigt“, erwiderte Echo. Sie beendete den Anruf, bevor Gabriel das tun konnte, und er stopfte das Handy zurück in seine Tasche und joggte los in Richtung der Adresse, die sie ihm gegeben hatte.
Als Gabriel das Stadtgebiet erreichte, bestand absolut kein Zweifel daran, zu welchem Haus er gehen musste. Ein baufälliges weißes Cottage mitten in einer ansonsten ruhigen Wohnstraße brummte vor Aktivität und zog Gabriel wie einen Magneten an. Der größte Hinweis war das Schwadron besorgt dreinblickender, bulliger Kerle in dunklen Anzügen, was ein Bild war, das man bei jeder von Pere Mals Operationen vorfand. Der Kerl mochte ein eiskalter Killer und ein Irrer sein, der vorhatte das Universum auf seiner persönlichen Suche nach Macht zu zerstören, aber er besaß definitiv Geschmack, wenn es darum ging seine Crew einzukleiden.
Auf der Straße vor dem Haus parkten vier große SUVs und einige von Pere Mals Kerlen scheuchten verwirrt aussehende junge Frauen in Handschellen im Gänsemarsch von der Eingangstür zu den Autos. Nach einer raschen Zählung kam Gabriel zu dem Schluss, dass bereits ein knappes Dutzend Hexen in die SUVs gequetscht worden sein mussten.
Gabriel zog im Näherkommen sein Schwert, während sein Kopf schnell einen Plan ersann, wie er so viele von Pere Mals Handlangern wie möglich aus dem Weg räumen konnte, ohne eine ihrer Gefangen zu verletzen. Gabriel beschloss, so viele von Pere Mals Männern zu betäuben wie er konnte, da er davon ausging, dass die Frauen, wenn er sie erst mal befreit hatte, von allein fliehen würden.
Die erste Überraschung war der Fakt, dass er es mehrere Schritte auf das Grundstück schaffte, ehe ihn auch nur einer der Bösewichte bemerkte. Gabriel war fast zwei Meter groß, bemerkenswert gut aussehend und im Moment strahlte er Magie in Wellen aus. Die Tatsache, dass seine Anwesenheit unbemerkt blieb, war ein Zeichen für das Chaos, das um ihn herum herrschte. Dutzende von Körpern bewegten sich in alle möglichen Richtungen, Männer luden Gepäck in die SUVs, manche der weiblichen Gefangenen schluchzten, während sie zu den wartenden Autos geschleift wurden.
„Hey!“, erklang ein Schrei.
Gabriel sah, wie einer von Pere Mals Kerlen eine große, gertenschlanke Blondine zu Boden stieß, bevor er eine Feuerwaffe zog. Gabriel holte eine kleine Phiole von Mere Maries Betäubungstrank aus seiner Tasche und schleuderte sie dem Kerl entgegen, der sofort wie ein Sack Kartoffeln zu Boden ging.
Unglücklicherweise wählte die Blondine genau diesen Moment, um einen ohrenbetäubenden Alarmschrei auszustoßen, und nur Sekunden später musste sich Gabriel gegen ein weiteres halbes Dutzend Männer erwehren. Er wollte keinen von ihnen töten oder zum Krüppel machen, wenn es sich vermeiden ließ, weshalb er einige durch Schläge auf den Kopf oder Verwundungen der Gliedmaße außer Gefecht setzte. Dämonen zu töten, war eine Sache, aber er tötete Kith oder Menschen wirklich nur dann, wenn es keine andere Wahl gab.
Gabriel drehte sich um und entdeckte zwei Männer, die einen wild kämpfenden Rotschopf an den Armen festhielten und sie zum letzten SUV zerrten. Ein anderer Mann folgte ihnen und schleppte zwei große Koffer hinter sich her. Die Frau schaute hoch und ihre hellgrauen Augen fingen Gabriels Blick ein. Da war etwas…
Die Welt entglitt ihm einen Augenblick. Gabriels Bär war normalerweise sehr zurückhaltend, wenn nicht sogar schweigsam, und spielte hinter seiner menschlichen Seite immer die zweite Geige. Jetzt erwachte sein Bär jedoch und ein ausgeprägtes Empfinden von Hunger und Besitzgier vibrierte durch Gabriels gesamten Körper.
Gefährtin. Der Gedanke sang in seinem Herzen auch dann noch, als ein Laut der Verleumdung über seine Lippen kam. Diese Frau, diese Fremde, war jetzt seine einzige Priorität. Ihre Augen lagen auf ihm und flehten um Hilfe.
Er verlor plötzlich und völlig die Kontrolle. Sein Bär verdrängte ihn, Gabriel, tief in sein Innerstes. Der Bär brauchte die Frau. Der Bär wollte nicht, dass diese Männer sie anfassten.
Dem Bären würde Folge geleistet werden.
Ein wütendes Brüllen entriss sich Gabriels Kehle, als er seinen Zauberstab und Pistole los und sich selbst nach vorne fallen ließ, während sein Körper zuckte und sich wandelte. In der Sekunde, in der seine Verwandlung vollzogen war, setzte er sich in Bewegung und galoppierte auf die Frau und ihre Wachen zu.
Der Kerl mit dem Gepäck warf einen Blick auf Gabriel und rannte davon. Die Koffer ließ er, ohne zu zögern, zurück. Die anderen zwei Männer tauschten Blicke aus. Einer zog eine Pistole, während der andere die Frau zu dem wartenden Fahrzeug bugsierte.
Gabriel erledigte den Ersten problemlos, indem er ihn mit einem einzigen Hieb niederschlug. Der andere Mann warf einen verängstigten Blick über seine Schulter und schluckte, ehe er die Frau nach hinten auf Gabriels wütende Gestalt zuschubste.
Gabriel fing sie auf und drehte seinen Körper so, dass er sie vor der Wache und dem Auto abschirmte. Sein tierisches Gehirn wusste nicht so recht, was es als Nächstes tun sollte, was Gabriel die Möglichkeit gab, das Steuer wieder an sich zu reißen und seine eigenen Handlungen einen Moment zu bestimmen. Sein erster Gedanke war, dass er die Frau zuerst von dem überall vorherrschenden Chaos wegschaffen und dann weitersehen musste.
Sich auf seine Hinterbeine erhebend gab Gabriel ein leises Grunzen von sich und scheuchte die Frau nach links, weg von den Autos und zu dem Nachbarshaus. Sie sah zu ihm, eindeutig in Todesangst, und floh.
„Gabriel!“
Er hörte Aerics starken nordischen Akzent in der Ferne, aber Gabriel wurde immer noch von seinem Bären beherrscht und war unfähig, sich von seiner Gefährtin abzuwenden. Er sank auf alle Viere und jagte ihr hinterher, überrascht, wie schnell sie war. Innerhalb kürzester Zeit gelang es ihm, sie auf der vorderen Veranda des Nachbarhauses in die Enge zu treiben.
Der Rotschopf drehte sich um, starrte Gabriel an und schlang die Arme um ihren Körper. Der Bär in seinem Inneren zwang Gabriel dazu, einen Schritt auf sie zuzumachen, dann noch einen. Ehe er sich versah, war er ihr fast so nah, dass er sie berührte. Gabriel verfluchte sich, aber er hatte jetzt jegliche Kontrolle verloren.
Er legte den Kopf schief, beugte sich zu ihr und atmete den Geruch seiner Gefährtin tief ein. Sie roch nach Vanille und Zimt, eine verlockende Kombination.
„Bitte“, flüsterte die Frau, die silbernen Augen weit aufgerissen in ihrem herzförmigen Gesicht. „Bitte, tu mir nicht weh.“
Gabriel entrang seinem Bären die Kontrolle. Er dämpfte seine Wut und trat einen kleinen Schritt nach hinten, um ihr ein wenig Freiraum zu geben, während er sich zurück in seine menschliche Gestalt wandelte.
In den Augen der Frau blitzte Erkennen auf, ganz kurz Schock und Verstehen, und dann rollten ihre entzückenden Augen nach hinten. Sie brach ohne einen Laut zusammen und Gabriel hatte wirklich Schwierigkeiten sie rechtzeitig aufzufangen, bevor ihr liebreizender Körper auf die Betonstufen der Veranda knallte.
„Verdammt nochmal, Gabriel.“
Die Worte wurden in einem unverkennbar schottischen Grollen ausgesprochen, einem, das der Engländer nur allzu gut kannte.
Gabriel drehte seinen Kopf und entdeckte, dass Rhys und Aeric hinter ihm standen, die Schwerter gezogen, aber gesenkt. Seine Wächterkollegen, einer dunkelhaarig und einer blond, beugten sich über einen Mann, der auf dem Boden zwischen ihnen kniete. Gabriel nahm an, dass es sich dabei um die einzige Wache handelte, die das Pech hatte, den Vorfall unbeschädigt überstanden zu haben. Jetzt würden sie ihn festhalten und über seinen Arbeitgeber befragen. Hinter ihnen war der Vorgarten mit einem Dutzend bewusstloser Wachen und einem ganzen Haufen Koffer übersät.
„Wo sind die SUVs?“, fragte Gabriel verwirrt.
„Fort“, antwortete Aeric und wedelte mit einer Hand. „Sie sind weggefahren, sobald sie sahen, dass ein riesiger Grizzly auf sie zukam.“
„Ah“, sagte Gabriel und verlagerte die Frau in seinen Armen.