Das Auge des Panthers

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Das Auge des Panthers
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Katrin Ulbrich

Das Auge

des Panthers

Ein Katzmann-Krimi

Kriminalroman

Jaron Verlag

Katrin Ulbrich wurde 1973 in Chemnitz (damals Karl-Marx-Stadt) geboren und studierte dort Mathematik und Ethik. Sie lebt als freiberufliche Autorin im Erzgebirge. Sie hat seit 2001 eine Vielzahl von Heftromanen verfasst und veröffentlicht seit 2008 auch regelmäßig Krimi-Kurzgeschichten.

Originalausgabe

1. Auflage 2012

© 2012 Jaron Verlag GmbH, Berlin

1. digitale Auflage 2013 Zeilenwert GmbH

Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien.

www.jaron-verlag.de

Umschlaggestaltung: Bauer + Möhring, Berlin

ISBN 9783955520557

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titelseite

Impressum

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

ElF

ZWÖLF

DREIZEHN

VIERZEHN

FÜNFZEHN

SECHZEHN

SIEBZEHN

ACHTZEHN

NEUNZEHN

ZWANZIG

EINUNDZWANZIG

ZWEIUNDZWANZIG

DREIUNDZWANZIG

VIERUNDZWANZIG

FÜNFUNDZWANZIG

SECHSUNDZWANZIG

SIEBENUNDZWANZIG

ACHTUNDZWANZIG

NEUNUNDZWANZIG

NACHWORT

Es geschah in Sachsen …

EINS

ZWEI VERMUMMTE GESTALTEN huschten durch den Garten. Hager und in zerrissenen Hosen der eine, ein Kerl wie ein Baum und mit einer Werkzeugtasche unter dem Arm der andere. Beide hielten die Köpfe gesenkt. Weder wollten sie gesehen werden, noch wollten sie sich unnötig dem heftigen Regen aussetzen, der auf sie niederprasselte.

Plötzlich blieb der Dürre mit seiner Jacke an einem Rosenbusch hängen. Er zuckte zusammen, als die Dornen durch den Stoff drangen und seine Haut ritzten. «Himmelarschundzwirn!», entfuhr es ihm.

Augenblicklich fuhr sein Begleiter herum. «Sei still, Pit!», zischte er mit gesenkter Stimme. «Oder willst du das ganze Viertel alarmieren?»

«Als ob bei diesem Wetter jemand draußen unterwegs wäre», brummelte der Gescholtene in breitem Sächsisch. «Es ist stockdunkel. Und es schüttet, als stünde die nächste Sintflut kurz bevor. Kein Mensch, der halbwegs bei Verstand ist, läuft in diesem Regen herum.»

«Gut für uns!», entgegnete sein Komplize.

Dem konnte Pit nichts entgegensetzen. Es war tatsächlich von Vorteil, wenn sie bei ihrem Vorhaben unbeobachtet blieben. Immerhin konnte es ihnen mehrere Jahre Unterkunft auf Staatskosten eintragen, wenn sie ertappt wurden. Bei diesem Gedanken wurde ihm flau zumute. Unwillkürlich zog er den Kopf noch ein wenig mehr ein und eilte weiter.

Vor ihnen schimmerten die weißen Mauern einer Jugendstilvilla durch die nächtliche Dunkelheit. Üppige Rhododendronbüsche säumten das Gelände und verwehrten Passanten draußen auf dem Gehweg jeden Blick in den Garten. Es war ein Kinderspiel gewesen, über den Zaun zu klettern und sich durch das dichte Grün zu schlagen.

«Warte mal, Bruno!», raunte Pit, als sie die Tür erreichten, die von der Terrasse ins Innere des Hauses führte.

«Was ist denn nun schon wieder?», grollte sein Begleiter.

«Sieh doch mal, die Tür ist nur angelehnt! Das ist ja fast schon eine Einladung. Bist du sicher, dass wir hier einsteigen wollen? Das kommt mir wie eine Falle vor.»

«Unsinn! Was denn für eine Falle? Diese Reichen sind doch einfach nur leichtsinnig.»

«Bist du sicher, dass niemand zu Hause ist?»

«Völlig sicher! Ich habe es schließlich zwei Tage lang ausbaldowert. Der Besitzer ist mit seiner Mieze heute Abend im Kino.»

«Im Kino? Ehrlich? Da war ich schon ewig nicht mehr. Viel zu teuer.» Pit seufzte sehnsüchtig. «Was läuft denn zurzeit?»

«Was weiß denn ich? Irgendein Film aus Amerika mit zwei komischen Gestalten, ‹Dick und Dürr› oder so ähnlich. Keine Ahnung, wer sich so einen Mist ansehen soll. Na, vermutlich wird man von denen nie wieder was hören.»

«Wer weiß, der Titel klingt doch eigentlich ganz witzig.»

«Das mag schon sein … Aber können wir endlich weitermachen?»

«Klar. Ich meine ja nur, ich wäre jetzt auch lieber woanders – in der Revue im Schauspielhaus zum Beispiel. Dort tritt eine Kleine auf, die hat endlos lange Beine. Und wenn sie in ihrem dünnen Flatterkleid tanzt, dann wippt und wogt alles an ihr.» Pit verdrehte schwärmerisch die Augen und deutete mit den Händen die Rundungen jener Tänzerin an.

«Konzentriere dich gefälligst!», herrschte ihn sein Komplize an. «Sonst kannst du in den nächsten zehn Jahren hinter schwedischen Gardinen von ihr träumen!»

«Schon gut», murrte Pit, «nun fahr mich doch nicht gleich an! Ist halt nicht jeder so ein Eisklotz wie du.» Er stieß die Terrassentür ein Stück weit auf. Das Innere der Villa lag in völliger Dunkelheit. Vorsichtig schlich Pit hinein, sein Begleiter folgte ihm auf dem Fuße. Ihre Augen hatten sich längst an die Dunkelheit gewöhnt, und so konnten sie die Umrisse von zahlreichen schweren Vasen, gerahmten Gemälden und silbernen Leuchtern mit verschnörkeltem Fuß ausmachen. Sie befanden sich in der Wohnstube.

«Sieh dir das an!» Bruno pfiff zwischen den Zähnen hindurch. «Nicht übel, was?»

«Unglaublich, was hier alles herumsteht! Das ist ja fast wie in einem Museum.»

«Wenn der Bruch gelingt, können wir uns auch solches Zeug leisten.»

«Was soll ich denn damit? Nein, ich werde von dem Geld mit meiner Guten verreisen. Sie liegt mir schon lange in den Ohren, dass wir nie zusammen in die Sächsische Schweiz fahren.»

«Du und die Weiber!», schnaufte sein Begleiter. «Sie werden dir dein Geld abnehmen, bevor du es auch nur zählen kannst. Aber mir kann es egal sein. Komm jetzt, wir müssen rauf in den ersten Stock. Dort muss der Tresor sein!»

Lautlos verließen die beiden Männer die Stube und eilten die geschwungene Treppe hinauf in die obere Etage. Hier erwartete die beiden Komplizen eine unliebsame Überraschung: Die Tür am Ende des Flurs stand offen – und es fiel Licht heraus!

Pit blieb so abrupt stehen, als wäre er gegen eine Mauer gelaufen. «Da ist jemand», keuchte er. «Nichts wie weg hier!»

«Nichts da!» Sein Partner packte ihn am Schlafittchen. «Der Besitzer hat sicherlich nur vergessen, das Licht auszuschalten. Wir hätten einen Rundgang ums Haus machen sollen, bevor wir eingestiegen sind. Dann hätten wir das Licht schon von draußen gesehen. Egal.»

«Egal?» Pit starrte seinen Begleiter ungläubig an. «Bist du wirklich so kaltschnäuzig? Hast du etwa vergessen, wem dieser Schuppen gehört? Dieser Bertram Steinert ist mir nicht geheuer. Er soll früher mal der Vermögensverwalter von irgendeinem hohen Tier gewesen sein. Alter Adel, glaube ich. Hat sich mit den Preziosen aus dem Staub gemacht und hier verkrochen.»

 

«Das sind doch alles nur Gerüchte.»

«Und wenn etwas Wahres dran ist? So ein Kerl fackelt nicht lange. Der hat bestimmt eine Waffe. Und wir haben nur das hier!» Pit packte seinen Knüppel fester.

«Nun mach dir nicht in die Hosen, wir haben es doch fast geschafft. Wir sind drin und kurz vor dem prall gefüllten Tresor. Wir kehren jetzt auf keinen Fall um!»

«Ich will aber nicht mit einer Kugel im Bauch enden.»

«Hör bloß auf! Wir gehen rein und sind im Nu wieder weg. Ein Kinderspiel! In der Zeitung war diese Woche ein Artikel über die vermögendsten Männer von Chemnitz, und der hier stand auf Platz zwei in der Rangliste. Hier sind wir richtig, glaub mir.»

«Und wenn er doch zu Hause ist?»

«Ist er nicht!», sagte Bruno bestimmt.

«Woher weißt du eigentlich, wo der Tresor ist?»

«Vom Hausmädchen. Ein paar Pralinen und Komplimente, und sie hat gesungen wie ein Vögelchen.» Bruno grinste breit.

In diesem Augenblick drang von draußen der hohle Ruf eines Käuzchens herein. Pit zuckte zusammen.

«Was ist denn nun schon wieder?», brummte sein Komplize.

«Hast du das nicht gehört? Käuzchen bedeuten Unglück. Das ist bestimmt ein böses Omen. Wir sollten hier auf der Stelle verschwinden!»

«Ich schlag dir dein böses Omen gleich um die Ohren!», zischte Bruno. «Und jetzt geh endlich in die verdammte Schlafkammer, ehe wir hier noch Wurzeln schlagen!»

Zögernd schob sich Pit vorwärts. Auf Zehenspitzen und jedes Geräusch vermeidend. Unter seinen Füßen knarrte eine Diele.

Erschrocken blieb er stehen, aber im Haus blieb alles still. Offenbar hatte das Geräusch niemanden alarmiert. Er machte sich selbst Mut und ignorierte das mulmige Gefühl in seinem Magen. Schließlich machte er den Hals lang und spähte ins Schlafzimmer.

Neben dem breiten Bett aus Mahagoniholz stand ein Herrendiener mit einem achtlos übergeworfenen Morgenmantel aus nachtblauer Seide. Eine Schachtel Zigarren lag auf der Frisierkommode. Das Fenster stand einen Spaltbreit offen. Der Wind blähte den Vorhang auf. Eine Petroleumlampe brannte auf der Kommode. Der Messingspiegel reflektierte das Licht und roch noch nach dem Sidol, mit dem er geputzt worden war. Außerdem hing ein seltsamer metallischer Geruch in der Luft. Woran erinnerte er ihn nur? Während Pit noch darüber grübelte, fiel sein Blick auf eine nackte Gestalt, die ausgebreitet neben dem Bett lag.

Es war ein Mann mittleren Alters, mit graumelierten Haaren und einer knochigen Statur. Sein Gesicht wurde von einer Hakennase und einem buschigen Schnauzbart dominiert. Das Auffälligste an ihm aber war der Kaminhaken, der mitten aus seiner Brust ragte. Eine rote Lache hatte sich unter ihm ausgebreitet und war in das weiße Schaffell gesickert.

«O lieber Herr, gib mir Kraft!», murmelte Pit und taumelte zurück.

«Was …», setzte sein Begleiter an, verstummte aber jäh, als er dessen Blick folgte. «Verdammt, das ist der Kerl, dem die Villa gehört! Anscheinend ist uns jemand zuvorgekommen.»

«Wir müssen hier sofort weg, Bruno!»

«Nicht ohne die Beute! Wo wir schon so weit gekommen sind …» Bruno stockte. In die gegenüberliegende Wand war ein Tresor eingelassen. Dessen Tür stand sperrangelweit offen. Das Innere war leer. «Das gibt es doch nicht!»

«Wir können unser Pech später verwünschen», drängte Pit.

«Jetzt müssen wir erst mal sehen, dass wir Land gewinnen.» Er hatte kaum ausgesprochen, als draußen eine Sirene aufheulte. Ein Blick hinaus ließ ihn aufkeuchen. «Die Polizei ist da! Was machen wir denn jetzt? Wenn sie uns hier bei der Leiche finden, sind wir geliefert!»

ZWEI

AN DIESEM ABEND ging es in der Redaktion der Leipziger Volkszeitung zu wie in einem Bienenstock. Die Redakteure arbeiteten mit Hochdruck daran, die nächste Ausgabe fertigzustellen. Es wurde getippt, gegrübelt und geflucht. Volontäre hasteten zwischen den Schreibtischen herum, sammelten fertige Texte ein und brachten sie in die Setzerei, während von draußen der Regen gegen die Fenster des Verlagsgebäudes trommelte.

Die Leipziger Volkszeitung war 1894 gegründet worden und lieferte seitdem tagtäglich die neuesten Nachrichten. Die Redaktion war zusammen mit der Setzerei und der Druckerei unter einem Dach in der Tauchaer Straße vereint.

Konrad Katzmann rauchte der Kopf. Der Reporter war seit dem frühen Morgen auf den Beinen. Er hatte drei verschiedene Artikel geschrieben, redigiert und sich obendrein mit einem Leser herumgeschlagen, dem sein Beitrag zum Zeppelinflug nicht ausführlich genug gewesen war.

Angefangen hatte er bei der LVZ als Dresdenkorrespondent. Inzwischen war er festangestellter Reporter und ging in seinem Beruf auf. Er liebte es nachzuforschen, zu berichten und seine Erkenntnisse niederzuschreiben.

Mit seinen einsachtzig war er großgewachsen und drahtig. Hinter seiner runden Brille blitzte ein Paar eisvogelblauer Augen. Seine dichten Haare waren seitlich gescheitelt, weil er fand, dass ihm das besser stand als der vor einigen Jahren in Mode gekommene Mittelscheitel. Er ging nie ohne einen Notizblock und einen Bleistift aus dem Haus. Und sein bester Freund war ein kleiner, in die Jahre gekommener Terrier, der bei seiner Schwester Lotte in einem Haus am Rande von Leipzig lebte, wo er viel Auslauf im Grünen hatte.

Konrad Katzmann wollte gerade Feierabend machen, als Eugen Leistner, der Chefredakteur der LVZ , vor seinem Schreibtisch auftauchte. «Ich brauche einen Kommentar zum Briand-Kellog-Pakt, Genosse Konrad!»

«Jetzt noch?»

«Aber nein, in vier Wochen reicht es völlig. Unsere Leser sind ja bekannt für ihre Geduld … Nein, natürlich jetzt noch! Ich brauche ihn für die Abendausgabe. Wir haben ein Loch, weil dieser verflixte Kulturredakteur nicht rechtzeitig geliefert hat.»

Katzmann griff zum Notizblock, während er in Gedanken bereits einen Aufhänger für den Kommentar suchte. An seinen Feierabend war vorerst nicht zu denken.

In den vergangenen Monaten war der Briand-Kellog-Vertrag fast täglich ein zentrales Thema in der Zeitung gewesen. Es handelte sich um einen Kriegsächtungspakt, der nach langem Hin und Her vor wenigen Wochen in Paris unterzeichnet worden war. Darin verpflichteten sich die teilnehmenden Staaten, den Krieg niemals zum Werkzeug ihrer Politik zu machen, sondern Streitigkeiten friedlich zu lösen. Angriffskriege waren damit ausgeschlossen. Der Vertrag ließ nur die Möglichkeit zur Selbstverteidigung offen. Neben den USA, Australien und acht weiteren Staaten gehörte auch das Deutsche Reich zu den Unterzeichnern.

«Halte nicht mit deiner Meinung hinter dem Berg, Genosse Konrad», verlangte Leistner und krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch. «Dieser Pakt ist viel mehr als nur ein Mittel gegen den Krieg. Er ist eine Taktik!»

«Aber in erster Linie soll damit der Frieden zwischen den Völkern gesichert werden.»

«Eben nicht! Nach dem Weltkrieg ist das Deutsche Reich gerade dabei, erneut zu erstarken. Es ist auf dem besten Weg, wieder eine Vormachtstellung in Europa einzunehmen, und das ist so manchem ausländischen Staatsmann ein Dorn im Auge. Was glaubst du denn, warum sich der französische Außenminister Briand um diesen Vertrag bemüht hat? Er will durch einen völkerrechtlichen Vertrag mit den USA die Machtposition seines Landes stärken. Es geht ihm weniger darum, den Krieg zu ächten, als vielmehr darum, seinem Land in Europa eine stärkere Stimme zu verschaffen.»

«Das glaube ich nicht», wandte Katzmann ein. «Dieser Vertrag wird seinen Teil dazu beitragen, den Frieden auf der Welt zu sichern. Das sollten wir nicht vergessen.»

«Aber das will kein Mensch mehr lesen! Schreib mir einen Artikel mit Biss, sonst muss ich dich wohl ab morgen die Todesanzeigen bearbeiten lassen …»

«Aber die Gefahr eines Krieges ist das zentrale Thema des Vertrags. Ich bezweifle, dass bloßes Taktieren dahintersteckt.» Katzmann blieb ruhig. «Ein weiterer Krieg muss unbedingt verhindert werden.»

«Große Worte von einem Mann, der nie an der Front war. Du weißt doch gar nicht, wovon du redest, Genosse Katzmann.»

Der Reporter biss die Zähne zusammen. Leistner schien heute besonders angriffslustig zu sein. Und er hatte einen wunden Punkt getroffen: Denn Katzmann war bereit gewesen, im Krieg von 1914 seinen Beitrag zu leisten, aber er war ausgemustert worden. Mit seinem Asthma hatte man ihm den Dienst verwehrt. Seine Mutter hatte das als Glücksfall betrachtet. Sie war froh gewesen, dass Katzmann nicht ins Feld geschickt wurde. Für seinen Vater indes war es eine Schmach: Er schämte sich immer noch dafür, dass sein Sohn nicht für sein Vaterland gekämpft hatte.

Katzmann hielt eine herbe Erwiderung zurück und antwortete Leistner nur: «Du kennst meine Ansicht. Und etwas anderes werde ich auch nicht schreiben.»

«Also schön, wie du willst. Aber mach ein bisschen flott! In einer halben Stunde brauche ich den Kommentar auf meinem Schreibtisch.» Damit wandte sich Leistner um und kehrte in sein Bureau zurück, das nur durch eine Glasscheibe von den übrigen Redakteursplätzen getrennt war. So konnten nun alle sehen, wie er sich an seinen Schreibtisch setzte und auf seiner Schreibmaschine herumhackte.

«Der ist heute aber gut gelaunt», murmelte Rolf Hofer. Der Sportredakteur hatte seinen Schreibtisch neben dem von Katzmann stehen und ein gutmütiges Grinsen im Gesicht.

Katzmann winkte ab.

«Mit seinem hohen Blutdruck ist er viel zu schnell auf hundertachtzig. Wäre kein Wunder, wenn er mal einen Herzkasper bekäme.» Sein Kollege angelte sich einen Apfel aus seiner Schreibtischschublade und polierte ihn an seinem Hemdsärmel. Dann runzelte er plötzlich die Stirn. «Oh, ich glaube, da ist noch mehr Ärger im Anmarsch!»

«Wie meinst du das?»

«Sieh doch mal zur Tür», gab Rolf ihm einen unauffälligen Wink. «Hast du vielleicht den Geburtstag deiner Freundin vergessen?»

«Nein, wieso?»

«Weil sie gar nicht glücklich aussieht. Wenn Blicke töten könnten, hätten wir im Handumdrehen die Polizei im Haus.»

Konrad Katzmann wandte sich verwundert um und stutzte. Eine bildhübsche junge Frau in einem Regenmantel kam gerade herein. Auf ihrem braunen Bubikopf saß eine Kappe aus Samt, die mit einer Stoffblüte geschmückt war. Ihr blasses Gesicht wurde von leuchtenden grünen Augen dominiert. Als ihr Blick auf ihn fiel, schürzte sie missbilligend die roten Lippen.

Katzmann ahnte nichts Gutes. «Frieda, was machst du denn hier?»

«Was ich hier mache?», echote sie. «Sag bloß, du hast es vergessen!»

«Was denn?»

«Also hast du es vergessen!» Sie seufzte leise. «Ich sollte wohl froh sein, dass du überhaupt noch weißt, wer ich bin …»

«Was habe ich denn verbrochen?»

«Du wolltest mich heute zum Polterabend meiner Freundin Hedwig begleiten.»

Die Besucherin stemmte die Hände in die Hüften und funkelte ihn an. Dabei sah sie so reizend aus, dass Katzmann sie am liebsten in den Arm genommen und geküsst hätte. Doch das ließ er wohlweislich bleiben.

Frieda Schneider hatte als Näherin angefangen und einige Jahre als Assistentin des Künstlerischen Leiters in einem Leipziger Varietétheater gearbeitet. Nachdem das Theater vor zwei Jahren in mehrere Mordfälle verwickelt worden war, hatte sie kurzerhand gekündigt und war in den Modesalon Gerstenberger gewechselt, eine der ersten Adressen von Leipzig, wenn es um Stil und Mode ging. Nach einigen Turbulenzen war sie seine Freundin geworden und gehörte nun seit über zwei Jahren zu seinem Leben. In letzter Zeit jedoch hatten sie sich kaum noch gesehen. Und das hatte auch seinen Grund: Er war ihr aus dem Weg gegangen.

«Polterabend?», fragte er irritiert. «Ist das schon heute?»

«Ja, natürlich! Hast du wirklich nicht mehr daran gedacht?»

«Das tut mir leid. Ich dachte, das wäre erst nächste Woche. Ich habe so viel Arbeit um die Ohren, dass ich den Termin verwechselt haben muss.»

«Kannst du dir nicht schnell noch freinehmen?»

«Das geht leider nicht. Nach Feierabend fahre ich gleich nach Chemnitz.»

«Was machst du denn in Chemnitz?»

«Ich besuche einen alten Schulkameraden. Max hat dort eine Bar und wünscht sich schon lange, dass ich mal ein paar Tage zu ihm komme. Wir wollen ins Erzgebirge fahren, ein bisschen wandern gehen und die Seele baumeln lassen.»

«Dann sehen wir uns ja tagelang nicht!»

«Ja, aber das wusstest du doch.»

 

«Eben nicht! Ich würde mich bestimmt daran erinnern, wenn du mir davon erzählt hättest. Du meidest mich, Konrad. Schon seit einer ganzen Weile. Glaubst du, ich merke das nicht? Warum suchst du immer Vorwände, um mich nicht sehen zu müssen? Hast du mich satt?»

«Aber nein, natürlich nicht!»

«Und warum kommst du dann nicht mehr bei mir vorbei? Ich erwarte wirklich keine teuren Geschenke, nur ab und zu einen Anruf, ein Telegramm – oder meinetwegen auch ein Rauchzeichen. Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder?» Frieda sprach leise, und ihr Blick verriet, wie verletzt sie war.

«Es tut mir wirklich leid», erwiderte Katzmann. «Hier geht es gerade wieder drunter und drüber. Ich komme selten vor Mitternacht aus der Redaktion. Und jetzt brauche ich wirklich ein paar Tage Erholung. Außerdem habe ich das verlängerte Wochenende schon fest mit Max ausgemacht.»

«Sag mal, ist das nicht der Hehler, der seine Geschäfte hinter einer Bar versteckt?»

«Er ist kein Hehler. Das behaupten nur böse Zungen.»

«Ich habe da so meine Zweifel. Schließlich heißt es nicht umsonst: Wo Rauch ist, ist auch Feuer.»

«Max ist schon in Ordnung. Und ich verspreche dir, nächstes Wochenende nehme ich mir viel Zeit für dich.»

«Wirklich?» Friedas Augen leuchteten.

«Versprochen!», erwiderte er.

«Na gut.» Lächelnd reckte sie ihr Gesicht in seine Richtung und bot ihm ihre roten Lippen zum Kuss an.

Da ließ sich Katzmann nicht zweimal bitten.

«Kannst du nicht noch bleiben und erst morgen früh fahren?», fragte sie schließlich atemlos. «Du wirst es sicher nicht bereuen, wenn du mich zum Polterabend begleitest.»

«Es geht wirklich nicht, Frieda. Max erwartet mich. Es tut mir leid, dass ich vergessen habe, es dir zu sagen.»

«Ist schon gut», gab Frieda etwas beleidigt zurück. «Ich frage mich nur, ob es immer so sein wird. Wenn wir einmal verheiratet sind, werde ich dich dann auch kaum sehen?»

«Ich weiß es nicht», gab Katzmann ehrlich zurück. «Noch sind wir ja nicht verheiratet.»

Im Hintergrund schlug sein Kollege die Hände über dem Kopf zusammen. Das war ein Fehler, besagte sein Augenrollen.

«Willst du mich überhaupt heiraten?», fragte Frieda mit einem Kratzen in der Stimme. «Oder wäre es dir lieber, es bliebe alles so, wie es ist?»

«Was ist denn daran verkehrt?»

«Einfach alles ist daran verkehrt! Wir müssen doch vorwärtskommen. Ich bin inzwischen 28 und hätte gern Kinder und eine eigene Familie. Aber das ist dir anscheinend völlig egal.»

«Nein, das ist mir nicht egal, aber ich kann diesen Schritt auch nicht überstürzen. Ich bin einfach noch nicht so weit, mich fürs ganze Leben zu binden.»

«Und warum nicht?»

«Ich weiß es nicht», erwiderte er. «Ich habe nur das Gefühl, wir würden beide etwas verpassen, wenn wir jetzt schon heiraten.»

«So.» Friedas Lippen waren plötzlich nur noch ein schmaler Strich. «Ich bin dir nicht genug. Das ist es, nicht wahr?» Frieda reckte das Kinn, aber ihre Unterlippe zitterte dabei.

Katzmann seufzte leise. Offenbar konnte er an diesem Tag nichts tun oder sagen, was sie nicht falsch auffasste. «Ich habe gerade eine Menge um die Ohren und keine Zeit, an so etwas wie das Heiraten zu denken. Versteh das doch bitte!»

«Natürlich verstehe ich das», erwiderte Frieda. Und zur Bekräftigung knallte sie im nächsten Moment die Tür hinter sich zu, dass die Wände nur so wackelten.