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Katia Weber

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Alles gut, eigentlich

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Alles gut, eigentlich

Am 14. Juli 2012 beschloss Pierre, sein Leben zu ändern.

Er betrachtete das Riesenrad am Strand, das sich langsam, aber beständig drehte. Die weiß glänzende Farbe auf den Metallstreben und –stangen schien das Licht der Mittagssonne geradewegs in den Himmel zurückzuschleudern. Da Feiertag war, wimmelte es nur so von Menschen. Um ihn herum schrien und heulten kleine Kinder mit bunten Strandhüten oder schlugen mit bunten Plastikschaufeln nach ihren Geschwistern, Mütter cremten scheinbar beliebige Rücken ein, pubertierende Mädchen lachten hysterisch, um die Aufmerksamkeit pickeliger, aber total cooler Jungs auf sich zu ziehen und ein Mann pries billige Sonnenbrillen und Ringe zu Schleuderpreisen an.

Pierre fixierte seine großen Füße mit den schwarz gekräuselten Haaren auf den Zehen, hinter denen, keine zehn Meter entfernt, das Mittelmeer begann und sich bis zum Horizont erstreckte. Das Wasser war dunkelblau mit ein paar türkisgrünen Flecken in Strandnähe und sehr klar, beinahe durchsichtig. In der Nähe tanzte eine Plastiktüte auf den flachen Wellen. Die leichte Brise wehte ihm den Geruch von verschiedenen Sorten Sonnenmilch in die Nase und eine Ecke seines Handtuchs klappte immer wieder um, nur, um ihn zu ärgern, das war klar.

Pierre war auch klar, dass er eigentlich glücklich hätte sein sollen. Er hatte frei, heute Abend würde er sich das Feuerwerk mit Freunden ansehen – er liebte Feuerwerk –, er lag am Strand in der Sommersonne und hatte Sand zwischen den Zehen. Erst neulich hatte er mit einer Arbeitskollegin darüber gesprochen, dass Füße nicht in Socken stecken sollten. Füße brauchten frische Luft. Sie mussten gelegentlich über Gras laufen, und je schmutziger die Sohle und dicker die Hornhaut desto besser. Pierre rechnete kurz nach, wann er zum letzten Mal Socken getragen hatte. Das musste, hmmm, mindestens drei Monate her sein. Und er hatte dauernd Sand im Bett, weil er fast jeden Tag an den Strand ging, und wenn es nur für ein paar Minuten war. Ein tolles Leben eigentlich. Eigentlich.

Eigentlich.

Woher genau kam wohl dieses eigentlich. Es hatte sich irgendwann in seine Gedanken geschlichen. Und wenn sich einmal ein eigentlich in die Gedanken geschlichen hat, dann bleibt es. Ein eigentlich ist wie ein Hausbesetzer. Es weiß, dass es eigentlich (haha) nichts in der Gedankenwelt eines glücklichen Menschen zu suchen hat, aber sobald es ein günstiges freies Plätzchen gefunden hat, fordert es sein Recht auf Wohnraum ein. Wenn niemand sonst diesen freien Platz nutzt, warum nicht ein eigentlich?

Vielleicht war es Pierre also selbst schuld gewesen, dass sich das eigentlich in seinem Kopf einnisten konnte – weil er nicht dafür gesorgt hatte, so beschäftigt zu sein, dass für Zweifel weder Raum noch Zeit blieb.

Das eigentlich ging Pierre mächtig auf die Nerven. Nachdem es sich in seinem Kopf breitgemacht hatte, erschlich es sich einen Platz in seinem aktiven Wortschatz. Kein Tag verging, ohne dass er das Wort eigentlich benutzt hätte. Das an sich war gar nicht so ungewöhnlich, immerhin war eigentlich kein seltenes Wort. Das Anstrengende war, dass es ihm jetzt, da er einmal damit angefangen hatte, sich mit dem eigentlich auseinanderzusetzen, auffiel. Immer, wenn es ihm über die Lippen kam und er es vor der zweiten Silbe bemerkte, war sein erster Reflex, die Lippen schnell zusammenzupressen. Er wollte das Wort nicht gehen lassen und hielt es an der letzten Silbe fest.

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