Hey, Milla! (Band 1) – Mein geheimer Wünschesommer

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Aus der Reihe: Hey, Milla! #1
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Hey, Milla! (Band 1) – Mein geheimer Wünschesommer
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INHALT

Donnerstag, noch 8 Tage bis zu den Sommerferien

Samstag, noch eine Woche bis zu den Sommerferien

Dienstag, noch 4 Tage bis zu den Sommerferien

Samstag, erster Tag der Sommerferien

Sonntag, zweiter Tag der Sommerferien

Montag und die nächsten Tage der Sommerferien

Der heißeste Tag der Sommerferien

Freitag (vor dem Besuchstag) in den Sommerferien

Sonntag (Besuchstag!) in den Sommerferien

Montag (nach dem Besuchstag) in den Sommerferien

Montag, erster Schultag nach den Sommerferien



Hallo, ich bin Milla, – das ist mein . Wie man einen Indianernamen bekommt, fragt ihr? Das ist eine ziemlich spannende Geschichte …

Eigentlich heiße ich Emilia Freitag, bin fast zehn Jahre alt, habe hellbraune Locken, einen Hund, der Lupo heißt, und einen Papa, der Max heißt. Und ich habe ganz viele Geschichten in meinem Kopf. Der Papa sagt immer: »Bei dir weiß man nie, ob etwas wirklich passiert ist oder ob du es dir nur ausgedacht hast – so gut sind deine Geschichten.« Das stimmt natürlich nicht, denn wenn es um Außerirdische oder Drachen geht, ist ja eigentlich klar, dass es nicht wahr sein kann. Aber was ich euch jetzt erzähle, das ist wahr und es ist ganz ehrlich genau so passiert.


DONNERSTAG,

noch 8 Tage bis zu den Sommerferien

Alles begann am letzten Donnerstag vor den Sommerferien …

»Milla, Frühstück!«, ruft Papa durch die Wohnung. Und ich höre schon an seinem Tonfall, dass ich mich jetzt aber wirklich beeilen sollte. Doch ich muss unbedingt noch mein Lieblingstuch finden, das mit den bunten Blumen drauf. Ohne das kann ich nicht rausgehen! Ich finde es unter einem Haufen Klamotten, dem Stickerheft und meiner Flummisammlung neben dem Bett.


Lupo bellt. Er weiß auch, dass wir jetzt fix machen müssen. Der Papa muss in sein Büro. Er ist Grafiker, weil er supergut zeichnen kann (zum Beispiel Kühe für Milchpackungen oder so was). Und ich muss in die Schule, weil ich noch gar nichts super kann. Mal ehrlich:

Der Papa findet es toll, dass bei uns alle Kinder in die Schule gehen können und nicht, wie anderswo, in der Fabrik arbeiten müssen. Aber an manchen Tagen ist mir das egal. Dann würde ich am liebsten einfach mit meiner besten Freundin Angie auf der Schaukel sitzen, Kaugummi kauen und Geschichten erzählen, aber nein, es gibt ja eine SCHULPFLICHT!

»Halt! Abschiedsumarmung!«, fordert Papa, als wir zusammen aus dem Haus laufen.

»Zu spät, keine Zeit! Servus, Papa.«

Ich sause mit meinem Roller los und höre noch, wie er mir: »Tschüss Milla, hab dich lieb!«, hinterherruft.

»Ich dich auch!«, antworte ich und weg bin ich.


Mein Papa Max ist der Beste. Ich will ja nicht angeben, aber er ist wirklich der allertollste Papa, den ihr euch vorstellen könnt: Er ist lustig, cool, kann kochen und sogar Zöpfe flechten. Meine Mama ist gestorben, als ich noch ganz klein war, seitdem sind wir nur noch zu zweit (also eigentlich zu dritt – Lupo zählt ja auch) – und ein super Team. Bis auf die Sache mit der Pünktlichkeit …

Schon von Weitem höre ich die blöde Schulklingel. Verdammter Mist! Frau Lampe ist sauer, dass ich schon wieder zu spät bin.

In der ersten Stunde haben wir Deutsch. Ich hasse Deutsch, also das Unterrichtsfach. .

»Milla, liest du bitte den Text auf Seite dreizehn im Deutschbuch laut vor?«, sagt Frau Lampe und es ist klar, dass es eigentlich keine Bitte ist, sondern ein Befehl. Über ihre eckige Brille hinweg starrt sie mich an.

Laut vorlesen? Ich? Vor der ganzen Klasse?

Das ist mein schlimmster Albtraum. Ich versuche, mich unsichtbar zu machen. Funktioniert aber nicht.

»Doch, Milla, fang einfach mal mit dem ersten Satz an«, sagt Frau Lampe jetzt ungeduldig. Einfach mal anfangen? Die hat gut reden. Meine Beine beginnen zu zittern und ich bekomme Schweißausbrüche. Starr vor Schreck blicke ich in mein Buch. Kein Wort bringe ich heraus. Auf der Buchseite ist ein kleiner Hund abgebildet, der vor einem Haus sitzt. Vielleicht kann ich dazu einfach eine Geschichte erfinden?

»Soll ich, soll ich?«, meldet sich Louis, unser .

»Nein. Milla ist dran. Los, versuch es doch wenigstens«, fordert meine Lehrerin eisern.

»Frau Lampe ist wirklich gnadenlos«, flüstert Angie mir zu. »Der sollte man mal den Stecker rausziehen.«

Ich kaue an meinem Bleistift und versuche, mir nicht anmerken zu lassen, dass meine Hände zittern. Je schneller ich anfange, desto schneller ist es vorbei, sage ich mir dann und schaue auf das erste Wort.

In diesem Moment verwandeln sich die Buchstaben vor meinen Augen in . Sie sehen so aus, wie der Papa sie zeichnen würde. Die Ameisen lösen sich von der Buchseite und krabbeln über den Tisch davon. Und es werden immer mehr!

»Milla kann das doch nicht. Das dauert doch wieder ewig«, höre ich Charlotte, die hinter mir sitzt, ungeduldig flüstern. Und da hat sie leider vollkommen recht.


Ich schaue fragend zu Angie und deute auf die Ameisen, aber sie zuckt nur mit den Schultern. Anscheinend kann nur ich die Ameisen sehen. Werde ich vielleicht verrückt? Ich kneife die Augen zusammen und halte die Luft an. Drei Ameisen bleiben auf der Buchseite stehen und alle drei recken ihre Köpfe zu mir hoch. Eine von ihnen grinst, eine fletscht ihre Beißzähnchen und die dritte schaut mich dämlich an. Ich taufe sie innerlich


Dann beginnen die Ameisen, in meinem Deutschbuch zu tanzen und zu singen:

»Milla-Muh, dumm wie ’ne Kuh.

Milla-Muh, stumm wie ein Schuh.

Die ganze Bande, was ’ne Schande,

kannst du nicht lesen!

Milla-Muh, dumm wie ’ne Kuh.

Milla-Muh, wie dumm bist du …«

Ich bin nicht dumm! Oder doch? Die Ameisen sind echt gemein und am liebsten würde ich einfach aufstehen und weglaufen. Die ganze Klasse starrt mich an. Ich halte die Luft an und versuche, die bösen Ameisenwörter zu ignorieren. Wenn ich einfach so tue, als ob nichts wäre, dann verschwinden sie vielleicht wieder.

Es klappt: Die Ameisen erstarren und werden wieder zu Wörtern. Erleichtert atme ich aus und versuche, so schnell wie möglich zu lesen, bevor sich die Buchstaben wieder zurückverwandeln.

»Mmm-or-gen-s fff-r-u-üüü, morgens früh, ha-ha-ha-d-en …«, stottere ich.

»Haben«, verbessert mich Frau Lampe. Und ich sehe, wie meine Mitschüler die Augen verdrehen.

»Haben … Hu-n-b-b-b …«, lese ich weiter.

 

»Hun e!«, unterbricht mich Frau Lampe ungeduldig, »das ist ein kleines und kein , Milla.«

Die Klasse lacht und Charlotte äfft meinen Fehler nach: »Haden Hunbe, haden Hunbe.«

Wie peinlich! Ich würde am liebsten im Boden versinken. Aber es hilft nichts, also versuche ich tapfer weiterzulesen. Plötzlich höre ich, wie die Ameisen wieder über mich lachen.

»Kannst nicht lesen, was ’ne Schande – wir sind die Ameisenbande …«, singen sie und hüpfen vor mir auf der Buchseite herum.

Die Unruhe in der Klasse wächst. Mir schießen Tränen in die Augen. Nein! Jetzt bloß nicht auch noch anfangen zu heulen! Angie legt mir zur Unterstützung die Hand auf den Arm.

»Willst du in die Idiotenklasse? Mach schon, Milli!«, flüstert sie mir zu.

»Ich kann das aber nicht«, flüstere ich verzweifelt zurück. Dann springe ich auf und laufe unter dem Gelächter meiner Mitschüler aus dem Klassenzimmer.

In der Sporthalle hinter einem Stapel Turnmatten ist mein Geheimversteck. Angie findet mich natürlich trotzdem und setzt sich zu mir.

»Das mit dem Lesen, das lerne ich nie! Und im Schreiben bin ich auch voll schlecht«, erkläre ich und versuche, dabei nicht wie ein Jammerlappen zu klingen.

»Quatsch«, erklärt Angie, »du musst dich nur mal gescheit anstrengen.«

»Du hast recht, ich muss in die «, sage ich.

»Wirklich?« Angies Augen weiten sich. »Das ist die absolute Hölle, habe ich gehört. Weißt du, wie die Lehrerin heißt?«

Natürlich weiß ich es nicht und zucke mit den Schultern. Angie macht eine Pause, dann holt sie tief Luft. »Frau von Teufel!«, verkündet sie bedeutungsvoll. »Constanze von Teufel.«

»Wirklich …, also … ?«, stottere ich und bin nicht sicher, ob das ein Scherz sein soll. Angie nickt und schaut sehr ernst. Also kein Scherz! Ich schlucke. Mein Leben ist gelaufen! Ich werde in der Hölle landen.


In der großen Pause habe ich den ersten Schock einigermaßen überwunden. Vielleicht finde ich ja noch irgendeinen Ausweg. Angie und ich sitzen auf der Schulhofmauer und machen riesige Kaugummiblasen.

Meine Kaugummiblasen sind größer als Angies, dafür zerplatzen ihre immer mit einem total lauten Knall.

»Hast du Erdbeer-Bubble und Minze schon mal gemischt?«, frage ich sie gerade, als sie plötzlich den Finger auf die Lippen legt und nach vorne deutet.

Da steht Frau Lampe zusammen mit unserer Musiklehrerin Frau Bach und spricht über unsere Klasse. Klar, dass wir da zuhören müssen.

»Sorgen macht mir nur Milla. Die wird die Versetzung wohl nicht schaffen.«

Fast vergesse ich zu atmen. Frau Bach hört interessiert zu, genauso wie Angie und ich.

»Millas Lese-Rechtschreib-Schwäche ist einfach zu schwerwiegend. Sie muss in die Förderklasse. Aber die Arme hat ja auch keine Mutter mehr.«

Mitleid wegen Mamas Tod kann ich gar nicht leiden. Natürlich ist es nicht schön, dass sie nicht mehr da ist, aber was geht das bitte Frau Lampe an oder Frau Bach? Ich schnaube wütend, doch Angie legt den Finger an die Lippen.

»Ihre Mutter ist bei einem Unfall gestorben, als Milla noch klein war. Elisabeth Freitag, eine ganz bekannte Violinistin war das, vielleicht kannten Sie die?«

Frau Bach nickt betroffen.

»Tragische Geschichte, dabei bräuchte das Kind so dringend eine im Leben«, erklärt Frau Lampe weiter und seufzt.

»Ja, eine – das verändert alles«, bestätigt jetzt auch meine Musiklehrerin. »Das arme Kind.«

So, das reicht! Ich habe genug gehört! Die können mich mal! Ich springe von der Mauer und laufe verärgert in Richtung Schaukel davon. Angie springt mir hinterher und die Lehrerinnen schauen uns überrascht nach.

Ich bin sauer, ziemlich sauer – also versuche ich, immer höher zu schaukeln. Wenn man ganz oben ist, kurz bevor die Schaukel zurückschwingt, dann kribbelt es so schön im Bauch und es ist, als würde man fliegen. Vielleicht fliegt ja dann auch der ganze Ärger weg. Angie setzt sich auf die Schaukel neben mir und schaut mich sauer an.

»Ich habe echt keine Lust, dir dauernd hinterherzulaufen.«

»Ja, sorry«, sage ich und schwinge höher und höher, bis ich über die Schulhofmauer auf die Straße schauen kann.

»Also, meine Mama sagt, wer sitzen bleibt, der hat kein gutes Leben vor sich«, sagt Angie. Ich schaue sie finster an.

»Aber die findet auch, dass Spinat mit Knoblauch lecker ist«, scherzt Angie.

Mit voller Kraft strecke ich meine Beine nach vorne und ziehe sie im Rückwärtsflug wieder an.

»Ich glaube, ich brauche ganz dringend so eine «, rufe ich, vom vielen Schwungholen schon total außer Atem. »Weißt du, wo man so was herbekommt?«

Angie denkt nach, dann hat sie eine Idee. »Eine neue Mutter brauchst du, so einfach ist das.«

»Was? Eine neue Mutter?«, wiederhole ich ungläubig. Angie nickt.

»Ja, die sorgt dann schon für eine und so was, hat die Lampe doch gesagt.«

Jetzt lasse ich die Beine baumeln. Ich muss auch nachdenken und das geht nicht, wenn man so hoch fliegt. Auf den Gedanken, dass eine neue Mutter die Lösung sein könnte, bin ich bisher noch gar nicht gekommen. Aber wie soll das auch gehen? Ich meine, neue Mütter kann man ja nicht einfach im Supermarkt kaufen oder im Internet ersteigern. Und was wird erst der Papa dazu sagen? Pause zu Ende!

Ich drehe den Schlüssel um und öffne die Wohnungstür. Mein großer zotteliger Hund Lupo kommt schwanzwedelnd angelaufen und drückt sich an meinen Bauch. Er merkt sofort, dass ich schlecht gelaunt bin, und legt seinen Kopf schief, als wollte er fragen: »Hey, was ist denn mit dir los, Milla?« Und dann bringt er mir seinen roten Lieblingsball.

»Danke, Lupo! Aber ich habe gerade keine Lust zum Spielen«, erkläre ich und lasse mich traurig auf mein Bett fallen. Er trottet mir hinterher und legt sich zu mir. Ich vergrabe meinen Kopf in Lupos Fell und versuche, den blöden Schultag zu vergessen. Lupo riecht nach Zuhause.

Über meinem Bett hängt ein Bild von Mama. Es ist mein Lieblingsfoto von ihr. Sie steht auf einer Bühne im Theater, trägt ein langes weißes Kleid und spielt auf ihrer Geige. Sie lächelt, weil sie so gerne spielt, und sie weiß, dass alle sie anschauen und bewundern. Der Scheinwerfer leuchtet sie an und sie sieht aus wie ein Engel. Papa sagt immer: »Deine Mama, die wohnt im Himmel. Sie sitzt auf einer Wolke und schaut auf uns hinunter.« Ich glaube nicht, dass das stimmt, aber andererseits, wo soll sie denn sonst sein?


Papa kommt nach Hause und sieht, dass ich mit Lupo auf dem Bett liege. Er schaut besorgt, weil wir Mamas Musik hören und das eigentlich immer ein Zeichen dafür ist, dass ich traurig bin. Dabei ist meine schlechte Laune schon fast wieder weg, weil ich Lupo gerade eine von meinen Geschichten erzähle.

»Wie wäre es, wenn es einen Hundeplaneten gäbe, auf dem Hunde lebten, die Kinder als Haustiere hätten. Es gäbe da auch Supermärkte für Hunde und Hundefernsehen, Hundeautos und einfach alles … und wäre DEIN Haustier.«

Lupo bellt, also hält er es für eine gute Idee.

»Und dann müsste ich auch nicht mehr in die Schule«, beende ich meine Geschichte und merke, dass Papa zuhört.

Er seufzt. »Hi, alles okay bei euch?«

Ich nicke.

»Hast du an das Deutschbuch gedacht? Wir wollten doch noch üben.«

»Nein, Mist. Vergessen. Ohne Absicht, « versuche ich mich zu rechtfertigen. Und das ist die Wahrheit. Aber Papa runzelt die Stirn und seufzt noch einmal. Und schon ist meine schlechte Laune zurück! Da fällt mir wieder ein, was Frau Lampe gesagt hat.

»Papa, wieso bringst du eigentlich keine in mein Leben? Dann wäre alles viel einfacher. Eine Mutter, die könnte das.«

Es sollte eigentlich gar nicht so vorwurfsvoll klingen, aber ich merke, dass es Papa trotzdem ziemlich hart trifft. Entsetzt schaut er mich an.

»Was? Wer behauptet denn so was? Deine Lehrerin? Diese Frau Lampe?«, fragt er verärgert. Ich beiße mir auf die Lippe. Hätte ich bloß nichts gesagt.

Ich höre, wie Papa im Flur mit Frau Lampe telefoniert. Er ist ziemlich geladen.

»Aber es kann ja nicht sein, dass meine Tochter jeden Tag frustriert aus der Schule kommt«, schimpft er in den Telefonhörer und geht dabei ungeduldig auf und ab. Ich kann nicht hören, was die Lampe sagt, aber es scheint ihn echt aufzuregen.

»Nein, das liegt ganz sicher nicht daran, dass Emilia Halbwaise ist.«

Ich finde, Halbwaise klingt irgendwie richtig doof. So wie halb gar oder halb leer – nichts Ganzes, sondern irgendwas zwischen »geht so« und »schlecht«.

Beim Abendessen lässt Papa die Bombe platzen.

»Also Frau Lampe meint, dass diese Förderklasse wahrscheinlich gar keine so schlechte Idee ist.«


»Ich gehe da nicht hin«, erkläre ich, um gleich klarzumachen, dass keine Option für mich ist. Papa schaut mich nachsichtig an, während er versucht, einen Pfannkuchen in der Luft zu wenden. Es funktioniert aber nicht und der Pfannkuchen platscht direkt vor mir auf den Küchentisch.

»Milli, ich weiß nicht, ob wir da eine Wahl haben«, sagt er ernst.

»Man hat immer eine Wahl, das sagst du doch immer«, entgegne ich. »Ich will bei Angie bleiben. Und ich muss auch gar nicht Lesen und Schreiben können – das ist eh doof und langweilig.«

Papa verteilt Schokocreme auf dem Pfannkuchen und schaut mich an, als wäre ich verrückt.

»Das ist doch Quatsch. Sei doch nicht so ein Baby, jeder muss Lesen und Schreiben lernen.« Das war gemein. Ich verschränke die Arme vor der Brust und schmolle.

 

»Ich nicht. Und überhaupt, du hast ja keine Ahnung: Diese Förderklasse ist die . Die Lehrerin …«

»Milla!«, unterbricht Papa mich genervt, »mit deinen Geschichten kommst du nicht jedes Mal durch.«

Jetzt bin ich sauer und strecke ihm die Zunge raus, auch wenn das zugegebenermaßen wirklich etwas Baby ist.

»Weil ich einfach zu dumm bin, oder was?«, frage ich und renne aus der Küche. Vielleicht stimmt es ja und in meinem Kopf ist irgendwas falsch verdrahtet und ich bin wirklich zum Lesenlernen – kann doch sein.

Papa ruft mir hinterher, dass es nichts nützt, immer wegzulaufen. Ich knalle trotzdem meine Zimmertür zu.

Fünf Minuten später klopft er an und kommt mit dem Pfannkuchenteller in mein Zimmer. Er setzt sich zu mir auf den Teppich und nimmt mich in den Arm. Dann teilen wir uns den Schokocreme-Pfannkuchen und beschließen, noch mal über die Sache zu schlafen.

Leichter gesagt als getan. In der Nacht quält mich ein gruseliger Albtraum: Ich sitze mitten in der Idiotenklasse. Frau von Teufel, die Lehrerin, hat sogar Hörner. Grusel! Lachend schwingt sie eine brennende Peitsche. Dabei ruft sie: »Idioten, Idioten!«

Ich verstecke mich unter meinem Tisch, damit sie mich nicht findet. Doch dann bemerke ich die Ameisen. Sie schauen von draußen durch das Fenster in die Förderklasse und sie sind RIESIG! Die Bande grinst mich an und singt: »Milla-Muh, dumme Kuh, ein Idiot, das bist du!« Sie zeigt auf mich. Und jetzt beugt sich auch die von Teufel zu mir herunter und entdeckt mich.

Ich versuche abzuhauen, aber sie kommt immer näher.

»Hiiilfe! Paaapaaa!« Ich schreie, so laut ich kann – und davon wache ich auf.

Papa kommt angelaufen, macht das Licht an und nimmt mich in den Arm. Mein T-Shirt ist ganz verschwitzt und mein Herz klopft superschnell. Alles nur ein Traum! Ich atme tief durch.

»Alles gut. Ich bin hier, es kann nichts passieren«, flüstert Papa und drückt mich fest. Ich nicke. Dann bemerke ich, dass noch jemand im Türrahmen steht. Es ist Greta, eine Kollegin von Papa. Wir waren schon mal mit ihr Pizza essen. Ich mag sie, aber dass sie gehört hat, wie ich so kleinkindhaft herumschreie, ist mir jetzt irgendwie peinlich. Deshalb versuche ich, tapfer zu sein und meine Tränen ganz schnell zu stoppen.

»Was war denn los?«, fragt Papa und küsst meinen Kopf. Aber ich schaue zu Greta und will es nicht erzählen. Sie lächelt mich an und meint: »Du siehst aus, als hättest du gerade im Traum gegen ein riesiges Monster gekämpft.«

Ich nicke. »So was Ähnliches.«

»Dann hast du jetzt bestimmt Durst«, folgert sie. Und es stimmt. Meine Kehle ist total ausgetrocknet. Woher weiß sie das? Ich nicke und sie geht in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen.

Im Wohnzimmer kuschle ich mich auf das Sofa, trinke das Wasser schnell aus und dann geht es mir wirklich schon viel besser. Ich lächle Greta dankbar an. Dann bemerke ich, dass auf dem Tischchen vor dem Sofa zwei halb volle Weingläser und einige flackernde Teelichter stehen.

»Was macht ihr denn hier?«, will ich wissen und merke, dass Papa und Greta verlegen werden.

»Wir, …«, stammelt Papa, »wir haben gearbeitet … an einer Präsentation. Also, an einer ganz wichtigen.«

Er lügt, das merke ich sofort an seinen roten Ohren. Greta lächelt verschmitzt. Okay, die beiden haben ein Geheimnis, so viel ist mal sicher. Wäre Greta vielleicht eine gute neue Mutter?, überlege ich.

»War es ein gruseliges Monster?«, fragt Papa und streicht mir besorgt über den Rücken. Sofort schießen mir wieder die Tränen in die Augen. Verdammt!

»Nein. Es war wegen der «, platzt es aus mir heraus. »Die Lehrerin heißt Teufel und sie hat eine Peitsche und die Ameisen haben mich ausgelacht.« Ich schniefe und Papa schaut mich mitleidig an.

»Ach Milli, das war doch nur ein Traum.«

»Nein, das ist bestimmt total furchtbar da. Bitte, Papa, ich mach ALLES, ich verspreche es. Ich gebe mir ganz viel Mühe und so, aber

Mit dem Ärmel wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht und schiele zu Greta, um zu sehen, ob sie mich jetzt total albern findet. Sie runzelt die Stirn und seufzt.

»Das hört sich echt ziemlich grässlich an«, sagt sie.

Und ich bin froh, dass sie mir recht gibt. Vielleicht kann sie Papa ja überzeugen.

»Als ich so alt war wie du, hatte ich auch Probleme in der Schule«, erzählt sie, »bei mir war es Mathe. Ich dachte, ich kapier das nie. Aber dann war ich im Sommer in einer Ferienschule in den Bergen und das hat mir geholfen. Das war in … Bergaudorf, glaube ich.«

Papa lächelt sie die ganze Zeit voll nett an, aber als sie Bergaudorf sagt, zuckt er richtig zusammen.

»Bergaudorf im Chiemgau?«, fragt er erstaunt und zieht dabei die Augenbrauen hoch.

»Ja, da gibt es ein Internat und die haben eine Sommerschule. Kennst du das?«

Aber ich bin nicht sicher, ob Papa überhaupt gehört hat, was Greta ihn gefragt hat, denn er ist plötzlich ganz woanders. Irgendwie traurig schaut er aus. Also stupse ich ihn an und hole ihn ins Hier und Jetzt zurück.

»Hallo? Erde an Papa!«

»Bergaudorf … ja, ja, ich kenne den Ort – sehr gut sogar. Ferienschule, was meinst du, Milla? Wäre das vielleicht eine gute Idee?«

Also mal ehrlich, wenn euch jemand fragt, ob ihr Ferienschule für eine gute Idee haltet – dann schreit ihr sicher nicht , oder?

»Schule in den Ferien? Ist das euer Ernst?«, frage ich und versuche, nicht ganz so entsetzt zu klingen.

Greta lacht. Bis eben fand ich sie noch nett, aber das mit der Ferienschule ist wirklich die blödeste Idee, die ich jemals gehört habe.

»Ich hatte echt eine tolle Zeit dort und Mathe habe ich da auch verstanden«, versucht sie es noch einmal.

»Klingt doch super«, meint jetzt auch Papa und lächelt mich aufmunternd an.

Wie bitte? Ich finde, das klingt Wozu sollen denn die Ferien gut sein, wenn man da in die Schule muss? Das ist sicher verboten! Das ist Kinderquälerei! Aber das traue ich mich nicht zu sagen.

»Vielleicht können wir ja so die Sache mit der Förderklasse lösen. Ich glaube, wir sollten uns diese Superschule am Wochenende mal anschauen«, schlägt Papa vor.

Super Idee! Warum ins Freibad gehen oder grillen, wenn man sich auch eine Ferienschule anschauen kann? Ist Papa verrückt geworden? Ich zucke mit den Schultern. Was für eine schreckliche Nacht, erst der Albtraum und jetzt auch noch das …

Papa bemerkt mein finsteres Gesicht. Also steht er auf, packt mich, wirft mich über seine Schulter und dreht sich mit mir im Kreis. Das macht er immer, wenn er mich zum Lachen bringen will, und obwohl ich eigentlich zu alt für so etwas bin, funktioniert es auch dieses Mal: Ich kann nicht anders, als loszugackern. »Nein, hör auf!«, schreie ich lachend.

»Zu spät. Ab ins Bett mit dir, Prinzessin!«, sagt er und hüpft mit mir über der Schulter in Richtung Kinderzimmer.

»Gute Nacht, Milla. Schlaf gut!«, ruft mir Greta hinterher und winkt. Ich winke zurück. »Gute Nacht, Greta.«

Als Papa mich zudeckt, erinnere ich mich an etwas.

»Was hat Greta gesagt? Wie heißt das Dorf, wo die Ferienschule ist?«

»Bergaudorf«, antwortet Papa leise und irgendwie wehmütig.

»Da waren wir schon mal, oder?«

»Ja, das ist das Dorf, wo deine Mama herkommt«, erklärt er und ich bekomme ein komisches Gefühl in der Brust.

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