Sia und Ras im Paradies

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Karl Reiche

Sia und Ras im Paradies

Eine Liebesgeschichte aus der Morgendämmerung der Menschheit

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Prolog

Das Erwachen

Erkenntnis

Die Höhle

Die erste Jagd

Zuneigung

Leben wie im Garten Eden

Neue Jagdwaffen

Nachwuchs kündigt sich an

Kampf gegen Hyänen

Gerben

Feuerstein

Das Ende des Sommers

Winterkleidung

Winter

Der Bär

Liebe

Pfeil und Bogen

Erste Jagd mit Pfeil und Bogen

Geburt

Wolf

Der Python

Steine zum Feuermachen

Die Löwin

Im Krankenhaus

Andere Menschen

Die neue Sippe

Der erste gemeinsame Winter

Die folgenden Jahre

Sia

Ast

Elefantenjagd

Der Aufbruch

Die Heimkehr

Epilog

Nachwort

Impressum neobooks

Inhaltsverzeichnis

Karl Reiche


Sia und Ras

im Paradies


Eine Liebesgeschichte aus der Morgendämmerung der Menschheit




Vorwort

In vielen Kulturen auf der Welt gibt es Vorstellungen von einer Reinkarnation. Der Begriff stammt aus dem Lateinischen und kann mit Wiederverkörperung übersetzt werden.

Gemeint ist damit die Vorstellung, dass die Seele, der Geist oder das Bewusstsein eines Menschen nach seinem Tod in einem anderen Wesen, Tier oder Mensch, wieder in Erscheinung tritt.

Dieser Vorgang wird auch als Seelenwanderung bezeichnet.

In den meisten christlichen Religionen wird die Seelenwanderung häufig abgelehnt, weil nach ihren Vorstellungen von einer Wiederauferstehung von Seele und Körper ausgegangen wird.

Aber es gibt und gab auch christliche Glaubensgemeinschaften, die an eine Seelenwanderung glaubten.

In den meisten Vorstellungen einer Seelenwanderung hat die Seele in dem neuen Körper keine Erinnerungen mehr an ihr früheres Leben.

Doch es gibt zahlreiche Berichte von Menschen, die sich entweder an einzelne Ereignisse oder ihr ganzes früheres Leben erinnern konnten.

Prolog

Er lag jetzt schon seit vielen Tagen im Krankenhaus und wusste, dass er sterben würde. Seine Krebserkrankung befand sich im Endstadium. Die Ärzte hatten es zwar geschafft, ihm seine Schmerzen durch starke Medikamente zu nehmen, aber das Fortschreiten seiner Krankheit konnten sie nicht aufhalten.

Vor Jahren war er an Prostatakrebs erkrankt. Die Operation war erfolgreich verlaufen und in den ersten Jahren danach hatte er keine Schwierigkeiten gehabt. Manche Folgen dieser Operation waren zwar unangenehm gewesen, wie zum Beispiel die Inkontinenz oder die Unfähigkeit, eine Erektion zu bekommen, aber er hatte sich damit abgefunden.

Doch dann war der Krebs wiedergekommen, und zwar aggressiver als vorher und hatte weite Teile seines Körpers befallen. Sein körperlicher Verfall war rasend schnell vor sich gegangen.

Jetzt fühlte er sich eigentlich ganz wohl. Er hatte keine Schmerzen mehr und das Krankenhauspersonal, insbesondere die Schwestern, waren alle freundlich und zuvorkommend zu ihm. Auch sie wussten, dass sein Leben sich dem Ende sich näherte, und bemühten sich deshalb, ihm die letzten Tage so angenehm wie möglich zu gestalten.

Seine Familie, vor allem seine Kinder und Enkel, besuchten ihn so oft wie möglich und er genoss ihre Anwesenheit, unterhielt sich viel mit ihnen und dachte, wenn er wieder alleine war, auch viel über sein eigenes Leben nach.

Er hatte kein besonders erfolgreiches Leben geführt, so gestand er sich ein, war aber trotzdem ganz zufrieden. Vieles in seinem Leben hätte er, jetzt aus der Rückschau, ganz sicher anders gemacht. Er hatte oft falsche Entscheidungen getroffen und, so räumte er jetzt ein, auch vieles falsch gemacht. Was bleibt am Ende von meinem Leben? Fragte er sich jetzt. Die Antwort gab er sich selbst:

Er hatte es, trotz aller Probleme in seinem eigenen Leben, doch geschafft, für seine Kinder einen guten Start in ihr eigenes Leben zu arrangieren. Sie alle waren in ihrem Leben erfolgreich, hatten es zu etwas gebracht und er war stolz auf sie. – Und damit auch ein ganz klein wenig auf sich selbst.

Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, dachte er, würde ich wohl alles besser machen. Aber das sind müßige Überlegungen. Er musste mit dem zufrieden sein, wie sein Leben verlaufen war. Und wenn er seine Kinder und deren Leben betrachtete, dann sagte er sich, dass er doch etwas in seinem Leben erreicht hatte und ganz zufrieden sein konnte.

Es ist schön, dachte er, diese Welt zu verlassen, wenn alle seine Kinder und Enkel bei ihm waren. Das gibt mir doch das Gefühl, ein halbwegs sinnvolles Leben geführt zu haben. Etwas bleibt von mir und ich habe also nicht vollkommen umsonst gelebt.

Das Ende kam fast unvermittelt.

Ihm wurde schwindelig.

Die Instrumente, an denen sein Körper angeschlossen war, schlugen Alarm,

die Schwestern riefen nach dem Arzt und informierten telefonisch seine Familie.

Als seine Kinder herbeigeeilt kamen, erklärte ihnen der Arzt:

„Er liegt jetzt im Sterben. Es ist nur noch eine Frage von wenigen Stunden.“

Er spürte die Dunkelheit kommen und ergab sich ihr ohne Widerstand.

Es ist, als würde ich einschlafen, war das Letzte, was er dachte.



Das Erwachen

Er erwachte mit fürchterlichen Kopfschmerzen. Um ihn herum schien Dunkelheit und Schwärze zu sein. Trotz der Schmerzen spürte er aber auch ein Gefühl der Verwunderung:

Das Letzte, woran er sich erinnern konnte, war nämlich, dass er gestorben sei. Zumindest waren das die letzten Worte des Arztes im Krankenhaus gewesen, an die er sich noch erinnern konnte, als er schon am Davongleiten war. Dann war die Dunkelheit gekommen und er hatte nichts mehr gespürt.

Jetzt diese Kopfschmerzen. Was hatten die zu bedeuten?

Konnte man auch als Toter noch Kopfschmerzen verspüren, oder bedeuteten diese Kopfschmerzen, dass er gar nicht gestorben war?

 

Das Grübeln strengte ihn aber an, und nach einer Weile kam wieder die Dunkelheit.

Er erwachte wieder und glaubte, dass nur ein kurzer Moment vergangen sei. Doch dann erinnerte er sich, geträumt zu haben. Also versuchte er, sich an diesen Traum zu erinnern:

Er war mit anderen Männern in einem savannenartigen Grasland auf der Jagd. Er, aber auch die anderen Männer, war nackt und jeder von ihnen trug einen hölzernen Speer. Sie unterhielten sich untereinander und freuten sich erwartungsvoll auf ihre Jagdbeute.

Als sie eine Herde Antilopen aufscheuchten, begann die Jagd. Sich immer abwechselnd trieben sie zwei der Tiere in einem sehr großen Kreis vor sich her, bis die Tiere erschöpft waren und keuchend stehenblieben. Dann erlegten sie sie mit ihren Speeren.

Er wunderte sich über diesen Traum, denn er hatte nichts mit seinem bisherigen Leben zu tun; glaubte aber, dass dies ein prähistorischer Traum gewesen sei, der irgendwo tief aus seinem Inneren gekommen war und für ihn keine Bedeutung hatte. Stattdessen konzentrierte er sich auf sich selbst.

Die Kopfschmerzen waren immer noch da, wenn auch nicht mehr ganz so stark, wie bei seinem ersten Aufwachen. Außerdem spürte er etwas Schweres auf seiner Brust liegen, das ihn nur schwer atmen ließ. Immer noch herrschte völlige Dunkelheit um ihn herum, glaubte er. Er versuchte die Augen zu öffnen, merkte aber, dass dies aus irgendeinem Grund nicht ging. Er beschloss, nach der Stationsschwester zu rufen.

„Schwester! Kommen Sie bitte! Ich kann nichts sehen, und entfernen Sie, was immer auf meiner Brust liegt.“

Es tat sich nichts, also rief er weiter und immer lauter werdend: „Schwester, können Sie mal kommen, bitte!“

Noch, während er rief, spürte er auf einmal, dass jemand oder irgendetwas in seiner Nähe war. Dann wurde das Gewicht auf seiner Brust entfernt. Erleichtert atmete er tief durch und hörte eine weibliche Stimme, die irgendetwas zu ihm sagte. Er verstand zunächst einmal nichts. Doch der Klang der Worte kam ihm irgendwie vertraut vor.

Dann erkannte er: Es war die Sprache aus seinem Traum.

Wenn ich diese Sprache in meinem Traum verstanden habe, dachte er. Dann müsste ich sie eigentlich auch jetzt verstehen.

Also konzentrierte er sich und tatsächlich, bereits bei den nächsten Worten der Frau verstand er, was diese sagte:

„Bleib ruhig liegen. Ich bin ja so froh, dass ich dich gefunden habe.“

Dann fühlte er, wie Hände seinen Körper abtasteten.

„Du scheinst dir nichts gebrochen zu haben“, hörte er wieder die Stimme der Frau.

„Du hast großes Glück gehabt. Du bist in eine Felsspalte gestürzt und nur ein wenig Geröll ist auf dich gefallen. Ein Stein muss dich am Kopf getroffen haben. Auf jeden Fall hast du eine große Platzwunde auf der Stirn und deine Augen sind durch das Blut verklebt. Warte einen Moment, ich werde dieses Blutgerinnsel gleich entfernen. Dann kannst du auch wieder die Augen öffnen“.

Wieder spürte er die Berührung der Frau und wie ihre Finger das geronnene Blut von seinen Augen entfernten.

„Danke Schwester“, murmelte er und schlug die Augen auf.

Erstaunt blickte er in ein dunkles Gesicht mit wuscheligem schwarzen Haaren und intelligenten braunen Augen.

Diese Schwester habe ich bisher noch nie gesehen, dachte er. Wahrscheinlich ist sie eine Ausländerin, möglicherweise eine Asylantin aus Afrika.

Deshalb lächelte er sie freundlich an. Ebenso freundlich lächelte die Frau zurück.

Immer noch interessiert sah er sie an. Ihr Gesicht hatte eine sehr dunkelbraune Hautfarbe und wurde von einem ungekämmten Wust schwarzer Haare eingerahmt. Er ließ seinen Blick an ihrem kräftigen Kinn weiter nach unten gleiten. Eigentlich erwartete er bereits an ihrem Hals, den Kragen eines weißen Kittels zu sehen. Doch da war nichts. Etwas erstaunt ließ er seinen Blick weiter nach unten wandern. Da sie über ihn gebeugt vor ihm hockte, konnte er an ihren Schultern, Brüsten und ihrem Bauch vorbei bis zu ihren Schenkeln blicken.

Es dauerte eine Weile, bis sein Gehirn registrierte, was er da sah:

Diese Krankenschwester trug so gut wie gar nichts an ihrem Körper. Sie war nur mit einem kurzen Rock aus Leder bekleidet und ansonsten vollkommen nackt.

Und noch etwas irritierte ihn: Er hatte noch nie zuvor eine so stark behaarte Frau gesehen.

In unserer Zeit entfernen die Frauen doch jegliche Körperbehaarung, bis auf die auf ihren Köpfen natürlich. Entfernen die Afrikanerinnen ihre Körperhaare nicht?

Er sah wieder zu ihrem Gesicht hinauf und nahm auf ihrer Oberlippe den leichten Flaum eines kleinen Schnurrbarts war. Dann betrachtete er ihre Arme. Neben einer starken Achselbehaarung sah er auch einen deutlichen schwachen Haarwuchs auf ihren Unterarmen. Wieder glitt sein Blick weiter nach unten. Er bemerkte, dass sie schöne, stattliche apfelförmige Brüste hatte, mit großen dunklen Vorhöfen und fast schwarz wirkenden Nippeln. An diesen Brüsten vorbei konnte er, da ihr kurzes Röckchen bis zu den Hüften horchgerutscht war, aber auch ihre Schambehaarung sehen. Sie bedeckte nicht nur den Bereich zwischen ihren Beinen, sondern reichte bis zu ihrem Unterbauch. Auch ihre Oberschenkel waren etwas behaart.

An den Füßen trug sie ein, mit einem Lederriemen über den Knöcheln zusammengebundenes, Stück Leder.

Warum hat sie nichts an? Und warum trägt sie nur ein Stück Leder an den Füßen anstatt Schuhe? Das, was sie da an den Füßen trägt, sieht aus wie ein Bundschuh, dachte er.

So etwas haben doch die einfachen Menschen in der Vergangenheit bis ins Mittelalter hinein getragen, um ihre Füße zu schützen, wenn sie nicht ganz barfuß gingen.

Sein Verstand war alarmiert, weigerte sich aber, das, was er da sah, richtig zu begreifen.

Was ist hier los?

Wieder blickte er in ihr Gesicht. Sie hatte hübsche, ovale Gesichtszüge mit einer kurzen geraden Nase und vollen, zum Küssen einladenden, Lippen. Ihre Stirn war gerade. Doch dann bemerkte er, dass diese Stirn in deutlich sichtbaren leichten Augenbrauenwülsten endete, was ihren Zügen einen etwas verwegenen Ausdruck verlieh.

So sieht doch niemand in meiner Zeit aus, dachte er. Dann zuckte er innerlich zusammen. Er hatte in meiner Zeit gedacht.

War er denn nicht in seiner Zeit?

Jetzt sah er der Frau direkt in die Augen und konnte rund um diese Augen Lachfältchen entdecken. Dann hörte er sie leise lachend fragen:

„Na, Musterung beendet? Gefällt dir, was du da siehst?“

Wie schon vorhin bei der Sprache beschlich ihn auch jetzt das Gefühl von etwas Bekanntem.

Kannte er diese Frau etwa?

Wieder sah er nach unten, bemerkte die Schönheit ihrer Brüste und sein Blick blieb bei dem dichten Gebüsch zwischen ihren Beinen hängen. Dann aber fuhr er fast erschrocken zusammen. Er bekam eine Erektion.

Wie war das möglich? Er war doch im Krankenhaus, weil er Prostatakrebs gehabt hatte und bei der Operation waren ihm die Erektionsnerven durchtrennt worden. Er konnte doch eigentlich keine Erektion mehr bekommen.

Auch die Frau hatte bemerkt, was in seinem Unterleib vor sich ging und lachte ihn strahlend an:

„Also, ich sehe, dass du jetzt vollkommen wach bist. Wenn du aufstehen kannst, dann lass uns schnell von hier verschwinden.“

„Wo bin ich?“, fragte er erstaunt. Als er sah, dass die Frau ihn überrascht und verständnislos ansah, wiederholte er seine Frage in der anderen Sprache.

„Du bist von einem Bergrutsch verschüttet worden. Wir wollten dieses Gebirge hier durch eine Schlucht passieren, als über uns der halbe Berg ins Rutschen kam und uns alle verschüttete. Da ich vorausgegangen war, war ich die Einzige, die von den Geröllmassen nicht erwischt wurde. Zwei Tage lang habe ich das Geröll nach Überlebenden abgesucht. Ich hatte die Suche eigentlich schon aufgegeben. Ich habe für mich einen Lagerplatz in einer kleinen Höhle am Rande dieses Gebirges gefunden. Eigentlich wollte ich mich dort nur ausruhen und darüber nachdenken, wie es für mich weitergehen sollte. Ich bin nur noch einmal zurückgekehrt, um ganz sicher zu sein, dass wirklich niemand überlebt hat. Dann habe ich dich rufen gehört. Du hast großes Glück gehabt, das ich noch einmal zurückgekommen bin und du gerufen hast. Ich hätte dich sonst nie gefunden.“

Was die Frau da erzählte, ergab für ihn keinen Sinn. Er war doch im Krankenhaus. Oder nicht?

Vorsichtig drehte er seinen Kopf und sah sich um:

Er lag nicht in seinem Bett im Krankenhaus, sondern lag in einer Spalte in einem Felsen. Die Frau hockte am Rande der Spalte und beugte sich zu ihm hinunter.

„Wie lange bin ich schon hier?“

„Das habe ich doch gerade gesagt. Ich habe zwei Tage lang nach Überlebenden gesucht. Dann habe ich für mich ein Lager gefunden und bin heute zurückgekommen. Du liegst seit vier Tagen hier.“

Jetzt verstand er gar nichts. Wo war er und was war mit ihm geschehen?

Ganz vorsichtig bewegte er seinen Kopf und sah an sich selbst hinunter. Er nahm einen hochgewachsen kräftigen Körper wahr mit langen, geraden und schlanken Beinen. Wie die Frau war auch er, bis auf eine Art Lendenschurz, nackt. Auch er trug an seinen Füßen diese lederne Fußbekleidung. Aber was ihn fast um den Verstand brachte, war die Farbe seiner Haut. Sie war dunkel wie die der Frau.

Ich habe doch eine fast weiße Haut und durch den langen Krankenhausaufenthalt bin ich sehr blass. Was ist hier los? Wer bin ich und was ist mit mir geschehen?

Doch die Frau ließ ihm keine Zeit mehr, weiter über diese Situation zu grübeln.

„Komm jetzt. Wir müssen hier fort. Wenn noch weitere Teile des Berges ins Rutschen kommen, dann verschütten sie auch uns. Kannst du aufstehen?“

„Ich weiß es nicht. Aber wenn du sagst, das nichts gebrochen ist, dann müsste es wohl gehen. Hilf mir doch bitte auf.“

Die Frau nahm seine Arme und half ihm, sich aus der Felsspalte hinauszuarbeiten. Sobald er auf den Knien hockte, waren die Kopfschmerzen in fast rasender Stärke wieder da und als er endlich stand, wurde ihm schwindelig. Schwer atmend stützte er sich mit beiden Händen an den Schultern der Frau ab.

„Kannst du gehen?“

„Ja, aber du musst mich stützen.“

Er legte einen Arm um die Schultern der Frau, sie einen Arm um seine Hüften, und so machten sie die ersten Schritte. Das Schwindelgefühl wurde immer stärker und fast wäre er, trotz der Stützung durch die Frau, in sich zusammengesunken. Verzweifelt riss er sich zusammen und setzte mit zusammengebissenen Zähnen einen Schritt vor den anderen.

„Ist es weit bis zu deinem Lager?“

„Ich sagte es ja schon. Es ist am nördlichen Rand dieses Gebirges. Wir müssen aus diesen Bergen heraus. Dort, wo es in die Ebene übergeht, habe ich einen Felsüberhang mit einer passenden kleinen Höhle gefunden. Aber es ist ein ziemlich weiter Weg bis dorthin.“

Es wurde für ihn nicht nur ein weiter, sondern auch sehr schmerzhafter und beschwerlicher Weg und nur mit größtem Kraftaufwand schaffte er ihn überhaupt. Mehrmals mussten sie eine Pause einlegen, weil seine Kopfschmerzen unerträglich wurden und das Schwindelgefühl ihn zum Erbrechen brachte. Sein Magen war aber leer und so würgte er nur keuchend. Als sie es endlich geschafft hatten, war er nicht nur am Ende seiner Kräfte, sondern hatte es bereits überschritten. Er war einer erneuten Bewusstlosigkeit sehr nahe.

Die Frau hatte in der Höhle für sich ein Lager aus dünnem Reisig und Gras hergerichtet, auf das sie ihn jetzt legte.

Sobald er sich hinlegen konnte, lies das Schwindelgefühl etwas nach, aber die Kopfschmerzen blieben.

„Was fehlt dir?“, fragte sie.

„Ich habe sehr starke Kopfschmerzen, und mir ist schwindelig.“

„Vielleicht kann ich dir helfen.“

Sie entzündete neben ihm ein kleines Feuer und legte frische Kräuter auf die Flammen. Den Rauch dieser Kräuter fächelte sie ihm zu. Dann hockte sie sich neben ihn, umfasste seinen Kopf mit beiden Händen und begann einen eintönigen Gesang zu intonieren, wobei sie sich vor und zurück wiegte. Seine Müdigkeit, die Berührung ihrer Hände und der eintönige Gesang ließen ihn in einem Dämmerzustand versinken, der aber auch die Kopfschmerzen vergehen ließ.

 

Plötzlich zuckte sie zurück, ließ seinen Kopf los, und als er die Augen öffnete und sie ansah, bemerkte er, dass ihr Mund vor Erstaunen weit offenstand und ihre Augen vor Entsetzen weit aufgerissen waren.

„Was ist?“, fragte er. „Die Berührung deiner Hände und dein Gesang haben mir geholfen. Die Kopfschmerzen sind fast vergangen.“

„Du bist nicht allein“, antwortete sie. „Der Geist eines anderen Menschen ist in dir. Ich konnte zwar auch deinen Geist erfassen, aber der scheint durch den Schlag auf den Kopf schwer beschädigt zu sein. Ich weiß nicht, ob er heilen wird. Aber ganz deutlich ist in dir der Geist eines anderen Menschen zu spüren. Kannst du mir sagen, wer er ist und was du von ihm weißt?“

„Was meinst du damit, dass der Geist eines anderen Menschen in mir ist?“

„Du bist Ras, der Sohn einer Cousine meiner Mutter. Wir kennen uns schon, seit wir Kinder waren. Aber von dem Geist von Ras konnte ich in dir so gut wie gar nichts spüren. Stattdessen ist dort jemand anderes.“


Erkenntnis

Überrascht sah er sie an. Er erinnerte sich an den Traum, in dem er als Jäger mit einer Gruppe anderer Männer unterwegs gewesen war.

War es kein bedeutungsloser Fantasietraum gewesen, sondern hatte er eine Erinnerung geträumt? Er war sich ganz sicher, dass er in seinem Leben noch nie auf der Jagd gewesen war und schon gar nicht nackt mit anderen Männern und dazu auch noch mit Speeren bewaffnet. Er hatte vorhin seinem Körper betrachtet und gesehen, dass dies ganz bestimmt nicht sein eigener war. Er wusste, dass es in vielen Kulturen auf der Welt die Vorstellung einer Seelenwanderung gab. War ihm das auch geschehen? War der Traum eine Erinnerung des Mannes gewesen, in dessen Körper sein Bewusstsein jetzt steckte? Und wenn ja, was war geschehen, und wo war er jetzt?

Verwirrt betrachtete er wieder das Gesicht der jungen Frau.

Er sah erneut mit Erstaunen ihre ebenmäßigen Gesichtszüge, ihre sehr kräftigen Augenbrauen mit den deutlich erkennbaren Augenbrauenwülsten und der fast geraden Stirn und blickte versonnen auf ihre sehr vollen Lippen.

Kein Homo erectus aber auch kein moderner Mensch. Wahrscheinlich Homo Heidelbergensis. Dachte er plötzlich.

Dann fuhr er erschrocken zusammen.

Was fällt mir denn ein? Der Homo Heidelbergensis lebte vor etwa 600.000 bis vor etwa vor 200-300.00 Jahren! Ich kann doch jetzt keiner Frau der Homo Heidelbergensis begegnen.

Doch der Floh hatte sich ihm ins Ohr gesetzt und jetzt betrachtete er die Frau noch genauer als vorhin.

Sie hatte eine schlanke Figur, schmale Hüften, lange und gerade Beine und kräftige Arme. Beim Anblick ihrer Brüste spürte er wieder, dass er bald eine Erektion bekommen würde und deshalb überlegte er schnell weiter.

Sie ist entweder ein früher moderner Mensch oder ein später Homo Heidelbergensis. Ich habe mich doch in meinem Leben immer für Geschichte interessiert und ganz besonders für die Entwicklung der frühen Menschen bis zum Homo sapiens. Der Übergang vom Homo Heidelbergensis zum modernen Menschen soll, neuesten Forschungen zufolge, vor etwa 300.000 bis 200.000 Jahren oder etwas später stattgefunden haben. Er dachte daran, wie sein Körper ausgesehen hatte. Wenn Sie eine Frau des späten Homo Heidelbergensis ist, was bin ich dann?

Jetzt musste er es genau wissen. Er zeigte auf den Lederbeutel, den die Frau die ganze Zeit über der Schulter getragen hatte und der jetzt neben ihr lag.

„Was hast du da drin?“

„Du hast selbst auch einen solchen Beutel“, antwortete sie ihm.

„Er hat neben dir in dem Geröll gelegen und ich habe ihn mitgenommen. Hier ist er.“

Sie reichte ihm einen Beutel, der dem Ihrigen sehr ähnlich sah, aber wesentlich größer war. Verdutzt nahm er ihn entgegen, zog den Lederriemen auf, mit dem Beutel verschlossen war, und griff hinein.

Als Erstes berührten die Finger seiner Hand einen größeren Gegenstand, der offensichtlich aus Stein war. Er zog ihn heraus und betrachtete ihn ohne wirkliche Überraschung.

Ein Faustkeil dachte er.

Dann griff er wieder in den Beutel und holte ein zusammengerolltes Stück Leder heraus. Als er es auseinanderfaltete, kamen verschiedene Werkzeuge aus Feuerstein zutage, hauptsächlich zum Schneiden oder Schaben.

Der restliche Inhalt des Beutels bestand aus in Ledertücher eingewickeltem Fleisch, das schon etwas abgehangen roch, aber noch nicht verdorben zu sein schien.

Beim Anblick des Fleisches meldete sich sein Magen wieder. Immerhin hatte er seit vier Tagen nichts mehr gegessen. Auch bei der Frau löste der Anblick sofort praktische Überlegungen aus.

„Wir sollten etwas essen. Ich habe gestern einige essbare Wurzeln gefunden und einige Körner. Nur mein Fleisch war alle. Am Fuß dieses Berges ist ein See. Ich hole schnell etwas Wasser, damit wir zum Essen auch etwas trinken können.“

Sie verließ ihn und kam bereits kurze Zeit später mit einem mit Wasser gefüllten Lederbeutel wieder.

In der Zeit, in der sie fort war, begann sein Geist die Situation zu akzeptieren:

Ich bin nicht mehr ich selbst und bin offensichtlich augenblicklich in der älteren Steinzeit.

Während sie aßen - er beobachtete fasziniert, wie geschickt sie mit den Schneidewerkzeugen aus Feuerstein hantierte - dachte er weiter nach:

Was auch immer geschehen ist, wie auch immer ich hierhergekommen bin, offensichtlich bin ich in der Zeit zurückgereist. Aber nicht mein Körper, sondern nur mein Bewusstsein. Das befindet sich nun im Körper eines Mannes aus dieser Zeit. Ich bin also in der frühen Steinzeit. Der moderne Mensch hat sich aus dem Homo Heidelbergensis etwa vor knapp 300.000 Jahren oder etwas später entwickelt. Und zwar in Afrika. Es ist hier sehr warm. Sie trägt nur dieses kurze Lederröckchen und ich nur diesen komischen Lendenschurz. Also muss ich in Afrika sein. Die Frage ist nur wo?

Deshalb stellte er ihr die nächste Frage:

„Wo sind wir hier?“

Sofort antwortete sie: „Wir sind hier am nördlichen Rand dieser Berge. Nördlich von uns breitet sich eine große Grasebene aus, in der es viel Wild gibt. Deshalb sind wir durch dieses Gebirge gezogen, um zu dieser Ebene zu gelangen.“

Das beantwortete zwar nicht seine Frage, gab aber Gelegenheit, nachzufragen.

„Erzähl mir mehr über eure Umgebung. Gibt es hier so etwas wie einen Winter?“

Er hatte tatsächlich in ihrem Wortschatz einen Begriff gefunden, der seinen Vorstellungen von einem Winter am Nächsten kam.

„Ja, wir kennen zwei Jahreszeiten: eine lange Zeit des Sommers und eine kürzere Zeit des Winters. Im Augenblick haben wir Sommer. Aber wenn einige Monde vergangen sind, dann beginnt das schlechte Wetter. Dann wird es manchmal kalt und ich habe schon einmal Schnee erlebt.“

Er hatte sein Gedächtnis der anderen Sprache durchforstet und tatsächlich in ihrem Wortschatz einen Begriff für Schnee entdeckt.

„Wenn es in dieser Gegend manchmal sehr kalt wird, warum hast du dann nur so wenig an?“

Sie lachte wieder: „Oh, jetzt ist Sommer. Wie du selber spüren kannst, ist es zurzeit sehr warm. Aber wenn es kälter wird, dann habe ich auch wärmere Kleidung für mich dabei.“

Sie zeigte auf eine große Fellrolle, die an einer der Wände der Höhle lag.

„Du hast auch so eine Kleiderrolle gehabt. Aber leider ist sie bei dem Bergsturz verlorengegangen.“

Immer noch beschäftigte ihn die Überlegung, wo er sich genau befand. Wenn die Frau schon einmal Schnee gesehen hatte und es in ihrer Sprache ein Wort für Schnee gab, dann konnten sie nicht in Zentralafrika sein. Dann fiel ihm wieder ein, was er über die Eiszeiten wusste. Die vorletzte Eiszeit, die Saale Eiszeit, begann vor etwa 300.000 Jahren.

Wobei ein Zeitraum von 1000 Jahren so gut wie bedeutungslos war. Während der Eiszeiten aber waren die Klimazonen nach Süden verschoben und das Gebiet der Sahara war viel feuchter gewesen und hatte eine üppige savannenartige Vegetation gehabt.

Er befand sich also irgendwo im Norden Afrikas, wahrscheinlich im Gebiet der Sahara, und sein Bewusstsein lebte hier im Körper eines Mannes der Homo Heidelbergensis.

Dann wollte er aber eine letzte Gewissheit haben.

„Du hast erzählt, dass hier in der Nähe ein See ist. Können wir dorthin gehen?“

„Natürlich. Folge mir einfach.“

Sie stand auf, führte ihn aus der Höhle, unter dem Felsüberhang hindurch einen schmalen Tierpfad hinunter. Als sie um eine Felskante herumgingen, lag unter ihnen der See. Es war ein windstiller Tag und die Oberfläche des Sees war spiegelglatt. Er beugte sich am Ufer über die Wasserfläche und hatte damit die letzte Gewissheit.

Er sah in ein markantes Gesicht, ebenfalls mit starken Augenbrauenwülsten, aber, wie bei der Frau, mit einer fast geraden Stirn und dunklen, fast schwarz wirkenden Augen.

Meine Augen sind blau! Dann verbesserte er sich: Waren blau. Und das ist auch nicht mein Gesicht. Schließlich habe ich es jahrzehntelang jeden Morgen beim Rasieren gesehen. Das bestätigt meine Vermutung. Mein Geist ist durch die Zeit gereist und befindet sich jetzt im Körper dieses Mannes.

Sie hatte ihn beobachtet und jetzt fragte sie: „Na, erkennst du dich wieder?“

Er antwortete nicht, sondern führte seine Überlegungen erst einmal zu Ende.

Also später Homo Heidelbergensis oder früher Homo sapiens. Wahrscheinlich kurz vor dem Übergang zu modernen Menschen.

Dann drehte er sich zu ihr um. „Ich muss nachdenken. Ich weiß im Augenblick selbst nicht, wer oder was ich bin. Fest steht nur, dass dieser Körper nicht der Körper ist, den ich von mir kenne.“