Winnetou Band 2

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Winnetou Band 2
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Karl May

Winnetou Band 2

Winnetou ist die wohl berühmteste Gestalt aus den gleichnamigen Romanen des deutschen Autors Karl May (1842–1912).

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Inhaltsverzeichnis

Titel

I. Als Detektive

II. Die Kukluxer

III.Ueber die Grenze

IV. Durch die Mapirni

V.Old Firehand

VI. In der »Festung«

VII. Der Pedlar

Impressum neobooks

I. Als Detektive

Kaum ist der erste Band von Winnetou ausgegeben worden, so gehen von den Lesern desselben schon

zahlreiche Fragen nach dem weiteren Verlaufe der Ereignisse bei mir ein. Dieser wurde ein ganz anderer,

als ich damals dachte.

Wir kamen nach einem wahren Parforceritte an die Mündung des Rio Boxo de Natchitoches, wo wir

erwarteten, einen von Winnetou zurückgelassenen Apachen vorzufinden. Leider ging diese Hoffnung

nicht in Erfüllung. Freilich Spuren von Menschen, welche dagewesen waren, fanden wir, aber was für

welche! Nämlich die Leichen der beiden Traders, welche uns Auskunft über das Dorf der Kiowas

gegeben hatten. Sie waren erschossen worden, und zwar von Santer, wie ich später durch Winnetou

erfuhr.

Santers Kanoefahrt war so rasch vor sich gegangen, daß er die Mündung des genannten Flusses zugleich

mit den Händlern erreicht hatte, obgleich diese eher als er das Zeltlager Tanguas verlassen hatten. Er war

gezwungen gewesen, auf die Nuggets Winnetous zu verzichten, und also mittellos; da stachen ihm die

Waren der Traders in die Augen, und um sich derselben zu bemächtigen, erschoß er die zwei

ahnungslosen Männer, höchst wahrscheinlich aus dem Hinterhalte. Hierauf machte er sich mit ihren

Mauleseln aus dem Staube. Dies las Winnetou aus den Spuren, welche er bei seiner Ankunft an der

betreffenden Stelle vorfand.

Der Mörder hatte sich nichts Leichtes vorgenommen, denn der Transport so vieler Packtiere über die

Savanne ist für einen einzelnen Menschen mit großen Schwierigkeiten verknüpft. Dazu kam, daß er zur

größten Eile gezwungen war, weil er die Verfolger hinter sich wußte.

Unglücklicherweise trat ein mehrtägiger Regen ein, welcher alle Spuren verwischte, so daß Winnetou

sich nicht mehr auf sein Auge, sondern nur auf Kombinationen verlassen konnte. Höchst wahrscheinlich

hatte Santer, um seinen Raub zu verwerten, eine der nächstliegenden Niederlassungen aufgesucht, und so

blieb dem Apachen nichts anderes übrig, als diese Ansiedelungen nacheinander abzureiten.

Erst nach einer Reihe von verlorenen Tagen fand er auf Gaters Faktorei die verschwundene Spur wieder.

Santer war dagewesen, hatte alles verkauft und sich ein gutes Pferd erworben, um auf der damaligen Red

River-Straße nach dem Osten zu gehen. Winnetou verabschiedete alle seine Apachen, die ihm nun nur

hinderlich sein konnten, schickte sie in ihre Heimat zurück und nahm die weitere Verfolgung nun allein

auf. Er hatte genug Goldkörner bei sich, besaß also die nötigen Mittel, im Osten längere Zeit existieren zu

können.

Da er uns infolgedessen am Natchitoches keine Weisung hinterlassen hatte, wußten wir nicht, wo er sich

befand, konnten ihm also nicht folgen und wendeten uns nach dem Arkansas hinüber, um auf dem

geradesten Landwege nach St. Louis zu kommen. Es tat mir außerordentlich leid, den Freund jetzt nicht

wiedersehen zu können, doch dies zu ändern, lag ja nicht in meiner Macht.

Es war eines Abends, als wir nach langer Reise in St. Louis ankamen. Ganz selbstverständlich suchte ich

sofort meinen alten Mr. Henry auf. Als ich in seine Werkstatt trat, saß er bei der Lampe an der Drehbank

und überhörte das Geräusch, welches ich beim Öffnen der Tür verursacht hatte.

» Good evening, Mr. Henry!« grüßte ich, als ob ich erst gestern zum letztenmal bei ihm gewesen sei.

»Seid Ihr mit dem neuen Stutzen bald im Geschick?«

Bei diesen Worten setzte ich mich auf die Ecke der Bank, grad so, wie ich es früher oft getan hatte. Er

fuhr von seinem Sitze auf, starrte mich eine Weile wie abwesend an und schrie dann vor Freude förmlich

auf.

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»Ihr - Ihr - - Ihr seid es? Ihr seid da? Der Hauslehrer--der - - der Surveyor -- der - - der - der verteufelte

Old Shatterhand!«

Dann warf er seine Arme um mich, zog mich an sich und küßte mich wiederholt hüben und drüben auf

die Wangen, daß es nur so klatschte.

»Old Shatterhand! Woher kennt Ihr diesen Namen?« fragte ich, als der Ausdruck seiner Freude ruhiger

geworden war.

»Woher? Das fragt Ihr noch? Es wird ja überall von Euch erzählt, Ihr Schwerenöter! Seid ein Westmann

geworden, wie er im Buche steht! Mr. White, der Ingenieur von der nächsten Sektion, war der erste,

welcher Nachricht brachte; war voll des Lobes über Euch; das muß ich sagen. Die Krone hat Euch

Winnetou aufgesetzt.«

»Wieso?«

»Hat mir alles erzählt - alles!«

»Was? Wie? War er denn da?«

»Natürlich war er da - natürlich!«

»Wann denn, wann?«

»Vor drei Tagen. Ihr hattet ihm von mir erzählt, von mir und dem alten Bärentöter, und da konnte er nicht

hier sein, ohne mich zu besuchen. Hat mir wohl gesagt, was für ein Westmann Ihr geworden seid.

Büffelbulle, Grizzlybär und so weiter, und so weiter! Habt sogar die Würde eines Häuptlings erhalten!«

In diesem Tone ging es noch lange Zeit fort, und es half nichts, daß ich ihn verschiedene Male unterbrach.

Er umarmte mich wieder und immer wieder und freute sich riesenhaft darüber, daß er es gewesen war, der

meinem Lebenswege die Richtung nach dem wilden Westen gegeben hatte.

Winnetou hatte Santers Spur nicht wieder verloren und war ihr in Eilmärschen bis nach St. Louis gefolgt,

von wo aus sie nach New Orleans gezeigt hatte. Diese seine Eile war der Grund, daß ich später als er nach

St. Louis gekommen war. Er hatte bei Henry hinterlassen, daß ich ihm nach New Orleans folgen solle,

falls ich Lust dazu verspüre, und ich war sofort entschlossen, dies zu tun.

Natürlich mußte ich vorher meinen geschäftlichen Obliegenheiten nachkommen, was am nächsten

Morgen geschah.

Da saß ich schon zeitig mit Hawkens, Stone und Parker hinter jener Glastür, wo man mich ohne mein

Wissen examiniert hatte. Mein alter Henry hatte es nicht unterlassen können, mitzugehen. Da gab es denn

zu erzählen, zu berichten, zu erklären, und es stellte sich heraus, daß unter allen Sektionen die meinige die

interessantesten und gefährlichsten Erlebnisse gehabt hatte. Freilich war ich als der einzige Surveyor

übrig geblieben.

Sam gab sich alle Mühe, eine Extragratifikation für mich herauszuschlagen, doch vergeblich; wir

bekamen unser Geld sofort, aber keinen einzigen Dollar mehr, und ich gestehe aufrichtig, daß ich die mit

solcher Mühe angefertigten und geretteten Zeichnungen und Notizen nicht ohne das Gefühl ärgerlicher

Enttäuschung ablieferte. Die Herren hatten fünf Surveyors angestellt, bezahlten aber nur einen und

steckten das Honorar der vier übrigen in ihre Taschen, obgleich sie das volle Resultat unserer

Gesamtarbeit in die Hände bekamen - - eigentlich freilich aber das Resultat nur meiner Überanstrengung.

Sam ließ deshalb eine geharnischte Rede los, erreichte aber dadurch weiter nichts, als daß er ausgelacht

und mit Dick und Will zur Türe hinauskomplimentiert wurde. Ich ging natürlich mit und schüttelte den

Staub von den Füßen. Übrigens war die Summe, welche ich erhalten hatte, für meine Verhältnisse eine

bedeutende.

Also ich wollte Winnetou nach, welcher mir die Adresse eines Hotels in New Orleans bei Mr. Henry

zurückgelassen hatte. Aus Höflichkeit oder auch Anhänglichkeit fragte ich Sam und seine beiden

Gefährten, ob sie mitwollten; sie hatten aber die Absicht, sich in St. Louis erst einmal gehörig

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auszuruhen, was ich ihnen nicht übel nehmen konnte. Ich kaufte Wäsche u. s. w., auch einen neuen

Anzug, den ich mit meinem indianischen vertauschte, und dampfte nach dem Süden ab. Die wenigen

Habseligkeiten, welche ich nicht mitnehmen wollte, darunter auch den schweren Bärentöter, übergab ich

Henry, der sie mir heilig aufzuheben versprach. Den Rotschimmel ließ ich natürlich auch zurück; ich

brauchte ihn nicht mehr. Wir alle waren der Ansicht, daß meine Abwesenheit nur eine kurze sein werde.

Es sollte aber anders kommen. Wir befanden uns, was ich noch gar nicht erwähnt habe, weil es auf die

bisher erzählten Ereignisse keinen Einfluß gehabt hatte, mitten im Bürgerkriege. Zufälligerweise war grad

jetzt der Mississippi offen, denn der berühmte Admiral Farragut hatte ihn wieder in die Gewalt der

Nordstaaten gebracht; dennoch aber wurde die Fahrt des Steamers, auf dem ich mich befand, durch

 

allerlei Maßregelungen, die freilich wohl notwendig waren, sehr verzögert, und als ich in New Orleans

ankam und in dem betreffenden Hotel nach Winnetou fragte, wurde mir der Bescheid, daß er gestern fort

sei und für mich die Weisung zurückgelassen habe, daß er nach Vicksburg hinter Santer her sei, mir aber

der Unsicherheit wegen nicht raten könne, ihm zu folgen, und später bei Mr. Henry in St. Louis sagen

werde, wo er zu finden sei.

Was nun tun? Es drängte mich, meine in der Heimat befindlichen Verwandten, welche der Unterstützung

bedurften, zu besuchen; die Mittel hatte ich ja dazu. Nach St. Louis zurückkehren, um da auf Winnetou zu

warten? Nein. Wer weiß, ob es ihm möglich war, dorthin zu kommen. Ich erkundigte mich nach einem

abgehenden Schiffe. Es gab eines, einen Yankee, welcher die gegenwärtige ruhige Kriegslage benutzen

wollte, nach Cuba zu gehen, wo ich Gelegenheit nach Deutschland oder wenigstens zunächst nach New

York finden konnte. Ich entschloß mich kurz und ging an Bord.

Vorsichtigerweise hätte ich mein Bargeld bei einer Bank gegen eine Anweisung umtauschen sollen; aber

auf welchen Bankier in New Orleans war damals Verlaß! Dazu kam, daß es kaum die nötige Zeit dazu

gab, weil ich nur kurz vor der Abfahrt des Schiffes hatte Passage nehmen können; ich trug also mein

ganzes Geld bar in der Tasche bei mir.

Um über dieses fatale Ereignis kurz hinwegzugehen, will ich nur sagen, daß uns des Nachts ein Hurrikan

vollständig überraschte. Wir hatten zwar trübes, windiges Wetter, aber gute Fahrt gehabt, und nichts

deutete am Abende auf einen gefährlichen Wirbelsturm. Ich ging also, ebenso wie die andern Passagiere,

welche die Gelegenheit, aus New Orleans fortzukommen, auch benutzt hatten, unbesorgt schlafen. Nach

Mitternacht wurde ich von dem plötzlichen Heulen und Brausen des Sturmes geweckt und sprang vom

Lager auf. In diesem Augenblicke erhielt das Schiff einen so gewaltigen Stoß, daß ich hinstürzte und die

Kabine, welche ich mit noch drei Passagieren teilte, mit ihrem ganzen Inhalte auf mich niederkrachte.

Wer denkt in einem solchen Augenblicke an das Geld. Das Leben kann an einem einzigen Momente

hängen, und bei der tiefen Finsternis und heillosen Verwirrung konnte lange Zeit vergehen, ehe ich

meinen Rock mit der Brieftasche fand. Ich arbeitete mich also schnell aus den Trümmern heraus und eilte

- nein taumelte nach dem Deck hinaus, denn das Schiff schlingerte und stampfte entsetzlich.

Draußen sah ich nichts; es war stockdunkel; der Hurrikan warf mich augenblicklich nieder, und eine

Sturzsee rollte über mich weg. Ich glaubte schreiende Stimmen zu hören, doch war das Heulen des

Wirbelsturmes stärker als sie. Da zuckten kurz nacheinander mehrere Blitze durch die Nacht, die sie auf

einige Augenblicke erhellten. Ich sah Brandung vor uns und jenseits derselben Land. Das Schiff hatte

sich zwischen Klippen eingebohrt und wurde durch den Andrang der Wogen hinten hoch emporgehoben.

Es war verloren und konnte jeden Augenblick auseinandergerissen werden. Die Boote waren fortgespült.

Wo gab es Rettung? Nur durch Schwimmen! Ein neuer Blitz zeigte mir Menschen, welche, auf dem Deck

liegend, sich an allen möglichen Gegenständen festhielten, um nicht von den Sturzseen mitgenommen zu

werden. Ich hingegen war der Ansicht, daß man grad nur einer solchen See sich anvertrauen müsse.

Da kam eine, scheinbar haushoch, heran, trotz der Dunkelheit durch ihren phosphoreszierenden Glanz zu

erkennen. Sie erreichte das Schiff; dieses krachte, daß ich sicher war, es geht jetzt in Trümmer. Ich hatte

mich an einem eisernen Träger festgehalten, ließ aber jetzt los; Herrgott, hilf, und rette mich! Es war mir,

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als ob ich von der See turmhoch emporgetragen würde; es drehte mich wie einen Ball im Kreise; es

wirbelte mich in die Tiefe hinab und nahm mich wieder nach oben. Ich bewegte kein Glied, denn jetzt

hätte mir alle Anstrengung nichts genützt, aber sobald die See das Land erreichte, mußte ich arbeiten, um

nicht von ihr wieder zurückgerissen zu werden.

Ich befand mich jedenfalls kaum eine halbe Minute in der Gewalt der stürzenden See, aber es dünkte mir,

stundenlang zu sein. Da wurde ich von der gewaltigen Woge durch die Luft geschleudert. Sie spie mich

aus und warf mich zwischen Felsen in ruhiges Wasser. Nur nicht wieder von ihr erfaßt werden! Ich stieß

und strich aus Leibeskräften mit Armen und Beinen aus und schwamm mit einer Anstrengung, wie ich

noch nie geschwommen hatte. Wenn ich soeben den Ausdruck ›ruhiges Wasser‹ gebraucht habe, so war

dies natürlich nur relativ gemeint. Die Sturzsee hatte mich über die Brandung hinweggetragen; ich hatte

es nun nicht mehr mit haushohen Wogen zu tun, aber der Sturm wühlte und pflügte das Wasser doch so

auf, daß ich auf und nieder und hin und her geworfen wurde wie ein leichter Kork in einem geschüttelten

Wassergefäße. Es war ein großes Glück, daß ich das Land gesehen hatte. Ohne diesen günstigen Umstand

wäre ich höchst wahrscheinlich verloren gewesen. Ich wußte, nach welcher Richtung ich zu schwimmen

hatte, und wenn ich in dem fürchterlichen Aufruhr der Elemente auch nur geringe Fortschritte machte, so

erreichte ich endlich doch die Küste, aber nicht in der Weise, wie ich es wollte. Die See war dunkel und

das Land auch; ich konnte in der dichten Finsternis die eine nicht von dem andern unterscheiden, mir also

keine zum Landen passende Stelle suchen und trieb mit dem Kopfe in der Weise gegen eine Klippe an,

als hätte mir jemand mit einem Beil einen Hieb gegeben. Ich hatte noch die Geistesgegenwart, mich

schnell an diesen Felsen emporzuarbeiten, und verlor dann das Bewußtsein.

Als ich wieder zu mir kam, war der Hurrikan noch nicht vorüber. Mein Kopf schmerzte mich, doch

beachtete ich dies nicht. Viel größere Sorge machte mir der Umstand, daß ich nicht wußte, wo ich mich

befand. Lag ich auf dem festen Lande, oder auf einer aus dem Wasser ragenden Klippe? Ich durfte nicht

von der Stelle fort, auf welcher ich mich befand. Sie war glatt und eben und ich hatte Mühe, sie zu

behaupten, denn die Kraft des Sturmes war groß genug, mich wegzufegen. Nach einiger Zeit aber

bemerkte ich, daß sie sich verminderte, und dann dauerte es, wie es bei derartigen Wirbelstürmen fast

stets der Fall zu sein pflegt, gar nicht lange, so war der Hurrikan ganz plötzlich, wie mit einem Schlage,

vorüber, der Regen auch, und die Sterne erschienen am Himmel.

Bei ihrem Scheine konnte ich mich orientieren. Ich befand mich an der Küste. Hinter mir tobte die

Brandung; vor mir sah ich einzelne Bäume stehen. Ich ging auf dieselben zu; sie hatten dem Sturme

getrotzt; andere aber hatte er aus der Erde gerissen und niedergeworfen, oder gar streckenweit mit

fortgenommen. Dann bemerkte ich einige Lichter, welche sich bewegten; da mußten Menschen sein, und

ich beeilte mich, sie aufzusuchen.

Sie befanden sich bei einigen Gebäuden, denen der Sturm arg mitgespielt hatte; von einem derselben

hatte er das ganze Dach mit fortgenommen. Wie staunten die Leute, als sie mich erblickten! Sie starrten

mich an, als ob sie mich für ein Gespenst hielten. Die See tobte noch so, daß wir brüllen mußten, um uns

zu verstehen. Sie waren Fischersleute. Der Sturm hatte unser Schiff gegen die Tortugas getrieben, und

zwar gegen diejenige Insel, auf welcher sich Fort Jefferson befindet. In diesem waren damals

konföderierte Kriegsgefangene interniert.

Die Fischer nahmen sich meiner auf das freundlichste an und versahen mich mit frischer Wäsche und den

notwendigsten Kleidungsstücken, denn ich war nur so bekleidet, wie man sich während einer Seereise

schlafen zu legen pflegt. Dann schlugen sie Alarm, denn es galt, die Küste nach andern vielleicht

Geretteten abzusuchen. Es wurden bis zum Morgen sechzehn Personen gefunden. Bei dreien gelang es,

sie ins Leben zurückzurufen; die andern waren tot. Als es Tag wurde, sah ich das Ufer mit angespülten

Trümmern bedeckt; das Schiff war zerschellt; das Vorderteil des Rumpfes saß auf der Klippe, auf welche

ihn der Hurrikan getrieben hatte.

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Ich war also ein Schiffbrüchiger, und zwar im vollsten Sinne des Wortes, denn ich besaß nichts, gar

nichts mehr; das Geld, welches einem so Freude erregenden Zweck hatte dienen sollen, lag auf dem

Grunde der See. Natürlich bedauerte ich diesen Verlust, doch nicht ohne mich über denselben zu trösten;

ich selbst war ja gerettet worden, ich und noch drei von so vielen, gewiß ein großes Glück!

Der Kommandant des Forts nahm sich unser an; wir bekamen, was wir brauchten, und mir erwirkte er die

Gelegenheit, per Schiff nach New York zu gehen. Dort angekommen, stand ich ärmer da, wie damals, wo

ich die Stadt zum erstenmal betreten hatte. Ich besaß nichts als den Mut, von neuem anzufangen.

Warum hatte ich mich nach New York und nicht nach St. Louis gewendet, wo ich Bekannte besaß und

wenigstens auf die Hilfe des alten Henry sicher rechnen konnte? Weil ich ihm schon so sehr zu Dank

verpflichtet war und diese Verpflichtung nicht gern vergrößern wollte. Ja, wenn ich sicher gewesen wäre,

Winnetou dort zu treffen! Dies war aber keineswegs der Fall. Seine Jagd nach Santer konnte monatelang

und noch länger dauern, wo hatte ich ihn während dieser Zeit zu suchen? Ich war zwar fest entschlossen,

wieder mit ihm zusammenzukommen; da mußte ich aber nach dem Westen, nach dem Pueblo am Rio

Pecos, und um dies zu können, mußte ich mich vorher auf eigene Füße stellen. Bei den jetzigen

Verhältnissen konnte mir dies, so war ich überzeugt, am besten in New York gelingen.

Diese Voraussetzung täuschte mich nicht; ich hatte Glück. Ich machte die Bekanntschaft des sehr

honorablen Mr. Josh Tailor, Dirigent eines damals berühmten Privatdetektiv-Corps, und bat ihn um

Aufnahme in dasselbe. Als er hörte, wer ich war und was ich in der letzten Zeit getrieben hatte, erklärte

er, eine Probe mit mir machen zu wollen, obgleich ich ein Deutscher sei. Er hielt nämlich die Deutschen

nicht für sehr brauchbar für sein Fach, doch gelang es mir, durch einige gute Erfolge, welche ich aber

mehr dem Zufalle als meinem Scharfsinne zu verdanken hatte, sein Vertrauen zu erwerben, welches sich

nach und nach vergrößerte, so daß er mir schließlich gar sein besonderes Wohlwollen schenkte und mich

vorzugsweise mit solchen Aufträgen bedachte, die ein sicheres Gelingen und nebenbei eine gute

Gratifikation verhießen.

Eines Tages ließ er mich nach dem Appell in sein Kabinett kommen, wo ein älterer, sorgenvoll

dreinschauender Herr saß. Bei der Vorstellung wurde er mir als ein Bankier Ohlert genannt, der

gekommen sei, sich in einer Privatangelegenheit unseres Beistandes zu bedienen. Der Fall war für ihn

ebenso betrübend wie für sein Geschäft gefährlich.

Er besaß ein einziges Kind, einen Sohn, Namens William, fünfundzwanzig Jahre alt und unverheiratet,

dessen geschäftliche Dispositionen dieselbe Gültigkeit hatten, wie die des Vaters, der mit einer deutschen

Frau verheiratet gewesen und selbst deutscher Abstammung war. Der Sohn, mehr träumerisch als

tatkräftig angelegt, hatte sich mehr mit wissenschaftlichen, schöngeistigen und Büchern metaphysischen

Inhaltes als mit dem Hauptbuch beschäftigt und sich nicht nur für einen bedeutenden Gelehrten, sondern

sogar für einen Dichter gehalten. In dieser Überzeugung war er durch die Aufnahme einiger Gedichte in

einer der deutschen Zeitungen New Yorks bestärkt worden. Auf irgend eine Weise war er auf die Idee

geraten, eine Tragödie zu schreiben, deren Hauptheld ein wahnsinniger Dichter sein sollte. Um dies zu

können, hatte er gemeint, den Wahnsinn studieren zu müssen, und sich eine Menge darauf bezüglicher

Werke angeschafft. Die schreckliche Folge davon war gewesen, daß er sich nach und nach mit diesem

Dichter identifizierte und nun glaubte, selbst wahnsinnig zu sein. Vor kurzem hatte der Vater einen Arzt

kennen gelernt, welcher angeblich die Absicht gehabt hatte, eine Privatheilanstalt für Geisteskranke

gründen zu wollen. Der Mann wollte lange Zeit Assistent berühmter Irrenärzte gewesen sein und hatte

dem Bankier ein solches Vertrauen einzuflößen gewußt, daß dieser ihn gebeten hatte, die Bekanntschaft

seines Sohnes zu machen, um zu versuchen, ob sein Umgang mit dem letzteren von guter Wirkung sei.

 

Von diesem Tage an hatte sich eine innige Freundschaft zwischen dein Arzte und Ohlert junior

entwickelt, welche die ganz unerwartete Folge hatte, daß beide ganz plötzlich - - verschwanden. Nun erst

hatte der Bankier sich genauer nach dem Arzte erkundigt und erfahren, daß derselbe einer jener

Medizinpfuscher sei, wie sie zu Tausenden in den Vereinigten Staaten ungestört ihr Wesen treiben.

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Tailor fragte, wie dieser angebliche Irrenarzt heiße, und als der Name Gibson und dessen Wohnung

genannt wurde, stellte es sich heraus, daß wir es da mit einem alten Bekannten zu tun hatten, welchen ich

bereits wegen einer anderen Angelegenheit einige Zeit lang scharf im Auge gehabt hatte. Ich besaß sogar

eine Photographie von ihm. Sie lag im Bureau, und als ich sie Ohlert zeigte, erkannte dieser sofort den

zweifelhaften Freund und Arzt seines Sohnes.

Dieser Gibson war ein Schwindler ersten Ranges und hatte sich lange Zeit in verschiedenen

Eigenschaften in den Staaten und Mexiko herumgetrieben. Gestern war der Bankier zu dem Wirt

desselben gegangen und hatte erfahren, daß er seine Schuld bezahlt habe und dann abgereist sei, wohin,

das wisse niemand. Der Sohn des Bankiers hatte eine bedeutende Barsumme mitgenommen, und heute

war von einem befreundeten Bankhause in Cincinnati die telegraphische Meldung eingelaufen, daß

William dort fünftausend Dollars erhoben habe und dann nach Louisville weiter gereist sei, um sich von

dort seine Braut zu holen. Das letztere war natürlich Lüge.

Es war alle Ursache vorhanden, anzunehmen, daß der Arzt seinen Patienten entführt habe, um sich in den

Besitz großer Summen zu setzen. William war den hervorragendsten Geldmännern seiner Branche

persönlich bekannt und konnte von ihnen erhalten, so viel ihm nur beliebte. Infolgedessen galt es, sich

des Verführers zu bemächtigen und den Kranken nach Hause zu bringen. Die Lösung dieser Aufgabe

wurde mir anvertraut. Ich erhielt die nötigen Vollmachten und Anweisungen, auch eine Photographie von

William Ohlert, und dampfte zunächst nach Cincinnati ab. Da Gibson mich kannte, so nahm ich auch

diejenigen Requisiten mit, deren ich bedurfte, wenn ich in die Lage kommen sollte, mich durch

Verkleidung unkenntlich zu machen.

In Cincinnati suchte ich den betreffenden Bankier auf und erfuhr von ihm, daß Gibson sich wirklich bei

William Ohlert befunden habe. Von da ging es nach Louisville, wo ich in Erfahrung brachte, daß die

beiden sich Billetts nach St. Louis genommen hatten. Natürlich reiste ich nach, fand aber erst nach

längerem und angestrengtem Suchen ihre Spur. Hierbei war mir mein alter Mr. Henry behilflich; denn es

versteht sich ganz von selbst, daß ich ihn sofort aufsuchte. Er war nicht wenig erstaunt, mich als

Detektive zu sehen, bedauerte den Verlust, den ich durch den Schiffbruch erlitten hatte, auf das

lebhafteste und nahm mir, als wir uns trennten, das Versprechen ab, nach Lösung meiner jetzigen

Aufgabe meine Stellung aufzugeben und nach dem wilden Westen zu gehen. Ich sollte dort sein neu

erfundenes Repetiergewehr probieren, und den Bärentöter wollte er mir auch aufheben.

Ohlert und Gibson waren auf einem Mississippidampfer nach New Orleans gefahren, wohin ich ihnen

folgen mußte. Ohlert sen. hatte mir ein Verzeichnis derjenigen Geschäftshäuser gegeben, mit denen er in

Verbindung stand. In Louisville und St. Louis war ich zu den Betreffenden gegangen und hatte erfahren,

daß William bei ihnen gewesen sei und Geld erhoben habe. Dasselbe hatte er auch in New Orleans bei

zwei Geschäftsfreunden getan; die übrigen warnte ich und bat sie, sofort zu mir zu schicken, falls er noch

kommen werde.

Das war alles, was ich erfahren hatte, und nun stak ich mitten in der Brandung der Menschenwogen,

welche die Straßen von New Orleans durchfluten. Wie sich ganz von selbst versteht, hatte ich mich an die

Polizei gewendet und konnte nun weiter nichts tun, als abwarten, welchen Erfolg die Hilfe dieser Leute

haben werde. Um nicht ganz untätig zu bleiben, trieb ich mich suchend in dem Gewühl herum. Vielleicht

kam mir ein günstiger Zufall zu statten.

New Orleans hat einen ganz entschieden südlichen Charakter, besonders in seinen älteren Teilen. Da gibt

es schmutzige, enge Straßen mit Häusern, die mit Laubenvorbauten und Balkons versehen sind. Dorthin

zieht sich dasjenige Leben zurück, welches das Licht des Tages zu scheuen hat. Da sind alle möglichen

Gesichtsfarben vom krankhaften gelblichen Weiß bis zum tiefsten Negerschwarz vertreten.

Leierkastenmänner, ambulante Sänger und Gitarrespieler produzieren ihre ohrenzerreißenden Leistungen.

Männer schreien, Frauen kreischen; hier zerrt ein zorniger Matrose einen scheltenden Chinesen am Zopfe

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hinter sich her; dort balgen sich zwei Neger, von einem Kreise lachender Zuschauer umgeben. An jener

Ecke prallen zwei Packträger zusammen, werfen sofort ihre Lasten ab und schlagen wütend aufeinander

los. Ein dritter kommt dazu, will Frieden stiften und bekommt nun von beiden die Hiebe, welche

ursprünglich nicht für ihn bestimmt waren.

Einen bessern Eindruck machen die vielen kleinen Vorstädtchen, welche aus netten Landhäusern

bestehen, die sämtlich von sauberen Gärten umfriedet sind, in denen Rosen, Stechpalmen, Oleander,

Birnen, Feigen, Pfirsiche, Orangen und Zitronen wachsen. Dort findet der Bewohner die ersehnte Ruhe

und Beschaulichkeit, nachdem ihn der Lärm der Stadt umtobt hat.

Am Hafen geht es natürlich am regsten zu. Da wimmelt es förmlich von Schiffen und Fahrzeugen aller

Arten und Größen. Da hegen riesige Wollballen und Fässer aufgestapelt, zwischen denen sich Hunderte

von Arbeitern bewegen. Man könnte sich auf einen der Baumwollenmärkte Ostindiens versetzt denken.

So wanderte ich durch die Stadt und hielt die Augen offen - vergeblich. Es war Mittag und sehr heiß

geworden. Ich befand mich in der schönen, breiten Common-Street, als mir das Firmenschild einer

deutschen Bierstube in die Augen fiel. Ein Schluck Pilsener in dieser Hitze konnte nichts schaden. Ich

ging hinein.

Welcher Beliebtheit sich schon damals dieses Bier erfreute, konnte ich aus der Menge der Gäste ersehen,

welche in dem Lokale saßen. Erst nach langem Suchen sah ich einen leeren Stuhl, ganz hinten in der

Ecke. Es stand da ein kleines Tischchen mit nur zwei Sitzplätzen, deren einen ein Mann eingenommen

hatte, dessen Äußeres wohl geeignet gewesen war, die Besucher von der Benutzung des zweiten Platzes

abzuschrecken. Ich ging nichtsdestoweniger hin und bat um die Erlaubnis, mein Bier bei ihm trinken zu

dürfen.

Über sein Gesicht ging ein fast mitleidiges Lächeln. Er musterte mich mit prüfendem, beinahe

verächtlichem Blicke und fragte:

»Habt Ihr Geld bei Euch, Master?«

»Natürlich!« antwortete ich, mich über diese Frage wundernd.

»So könnt Ihr das Bier und auch den Platz, den Ihr einnehmen wollt, bezahlen?«

»Ich denke es. »

» Well, warum fragt Ihr da nach meiner Erlaubnis, Euch zu mir setzen zu können? Ich kalkuliere, daß Ihr

ein Dutchman seid, ein Greenhorn hierzulande. Der Teufel sollte einen jeden holen, der es wagen wollte,

mich zu verhindern, da Platz zu nehmen, wo es mir gefällt! Setzt Euch also nieder; legt Eure Beine dahin,

wo es Euch beliebt, und gebt demjenigen, der es Euch verbieten will, sofort eins hinter die Ohren!«

Ich gestehe aufrichtig, daß die Art und Weise dieses Mannes mir imponierte. Ich fühlte, daß meine

Wangen sich gerötet hatten. Streng genommen, waren seine Worte beleidigend für mich, und ich hatte

das dunkle Gefühl, daß ich sie mir nicht gefallen lassen dürfe und wenigstens einen Versuch der Abwehr

machen müsse. Darum antwortete ich, indem ich mich niedersetzte:

»Wenn Ihr mich für einen German haltet, so habt Ihr das Richtige getroffen, Master; die Bezeichnung

Dutchman aber muß ich mir verbitten, sonst sehe ich mich gezwungen, Euch zu beweisen, daß ich eben

kein Greenhorn bin. Man kann höflich und doch dabei ein alter Schlaukopf sein.«

» Pshaw!« meinte er gleichmütig. »Ihr seht mir just nicht so schlau aus. Gebt Euch keine Mühe, in Zorn

zu kommen; es würde zu nichts führen. Ich habe es nicht bös mit Euch gemeint und wüßte faktisch nicht,

wie Ihr es anfangen wolltet, Euch mir gegenüber ein Relief zu geben. Old Death ist nicht der Mann, der

sich durch eine Drohung aus seinem Gleichmute bringen läßt.«

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Old Death! Ah, dieser Mann war Old Death! Ich hatte von diesem bekannten, ja berühmten Westmanne

oft gehört. Sein Ruf war an allen Lagerfeuern jenseits des Mississippi erklungen und auch bis in die

Städte des Ostens gedrungen. Wenn nur der zehnte, der zwanzigste Teil dessen, was man von ihm

erzählte, auf Wahrheit beruhte, so war er ein Jäger und Pfadfinder, vor welchem man den Hut ziehen

mußte. Er hatte sich ein ganzes Menschenalter lang im Westen umhergetrieben und war trotz der

Gefahren, denen er sich ausgesetzt hatte, niemals verwundet worden. Darum wurde er von denen, welche

abergläubisch waren, für kugelfest gehalten.

Wie er eigentlich hieß, das wußte man nicht. Old Death war sein nom de guerre; er hatte denselben wegen

seiner außerordentlich dürren Gestalt erhalten. Der ›alte Tod‹! Als ich ihn so vor mir sitzen sah, leuchtete

es mir ein, wie man darauf gekommen war, ihn so zu nennen.

Er war sehr, sehr lang, und seine weit nach vorn gebeugte Gestalt schien wirklich nur aus Haut und

Knochen zu bestehen. Die ledernen Hosen schwappten ihm nur so um die Beine. Das ebenfalls lederne

Jagdhemde war mit der Zeit so zusammen- und eingeschrumpft, daß ihm die Ärmel nicht viel über den