Orangen und Datteln

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»Be issm lillahi, um Gottes willen, sprich leise!« bat der Alte ängstlich. »Wenn er es hört, so bist du verloren. Er kommt herbei und reißt dich in Stücke.«

»Bist du toll, Sihdi,« lamentierte Hassan-el-Kebihr, »daß du dein Fleisch zerreißen und deine Knochen zermalmen lassen willst durch den ›Herrn mit dem dicken Kopfe‹, der mehr Kraft hat als zehn Scheitans, als hundert Teufel zusammengenommen? Du hast den Panther und sein Weib getötet, Assad-Bei aber spottet der Kugel und lacht deines Messers; sein Fell ist härter als der Schild des Nurab-a-Torel-Khadra.«

»Aus deinem Munde spricht die Angst, und deine Rede trieft von Furcht, Hassan. Allah hat ein Weib geschaffen und ihm deine Gestalt gegeben!«

»Sihdi, wenn mir dies ein anderer sagte, so würde ich ihn auf der Stelle erwürgen. Hassan-Ben-Abulfeda-Ibn-Haukal al Wardi-Jussuff-lbn-Abul-Foslan-Ben-Ishak al Duli kennt weder Angst noch Furcht, denn er ist Djezzar-Bei, der Menschenwürger. Aber er ist nicht jung und auch nicht fett genug; der Löwe mag ihn gar nicht fressen!«

»Er soll dich auch nicht fressen; du bleibst mit Jussuf hier bei unseren Tieren,« tröstete ich ihn.

Er schien mit diesem Befehle außerordentlich zufrieden zu sein, nicht so aber der Staffelsteiner.

»Dos kann nix sein, Herr,« appellierte dieser gegen meinen Bescheid. »Ich geh' halt mit. Ich hab' nit mit auf den Panther gedurft, drum will ich wenigstens heut meine Büchs' probier'n. Wenn der Löwe Sie nit frißt, so mag er seh'n, wie ich ihm schmeck'. Ich bin Ihr Diener und gehör' halt dahin, wo sich mein Herr befindet.«

»So magst du mitgeh'n,« entschied ich, erfreut über diesen Beweis von Mut.

Hassan suchte mich noch immer abzuhalten; er erging sich in den kräftigsten Schilderungen der Gefahr, welche uns erwartete. Es half ihm nichts.

»Hamdulillah, Preis sei Gott,« meinte dagegen unser Wirt. »Allah ist barmherzig und gnädig; er hat dich zu uns gesendet und wird deine Waffe segnen, daß du unsere Männer errettest von den Klauen des Tieres, welches der Herr des Erdbebens ist!«

Der Morgenländer hält jeden Franken, welcher ein Gewehr trägt, für einen ausgezeichneten Schützen, und die Freude des Alten gründete sich jedenfalls auch mit auf die stille Hoffnung, daß der Löwe statt einen der Seinigen mich und Josef zerreißen werde.

»Wo ist der Löwe?« fragte ich ihn.

»Komm heraus vor das Zelt, Sihdi; ich werde es dir zeigen!«

Ich nahm meine Waffen und folgte ihm.

Vom See aus zog sich eine immer breiter werdende Vertiefung den Hügel hinan; es war ein jetzt trockener Wadi. Noch immer flüsternd, zeigte der Alte auf die mit Felsen übersäte Rinne des Wadi.

»Ganz oben in diesem Battn el Hadjar, in diesem Bauch der Steine, hat der Emir-el-Areth sein Lager. Die Männer sind hinauf, um ihn hervorzutreiben. Lauf schnell, Sihdi, daß du nicht zu spät kommst, ihn in die Tschehenna, in die Hölle, zu schicken!«

»Komm, Josef!«

Ich war meiner Büchse sicher; sie hatte mir niemals versagt, und jede der aus ihr geschossenen konischen Kugeln hatte bisher ihre Schuldigkeit gethan. Ich war überzeugt, daß sie mich auch heute nicht verlassen werde.

Um den obern Teil der Schlucht so bald wie möglich zu erreichen, vermied ich die Windungen, welche sie machte, und schritt von den Zelten aus gleich direkt den Berg hinan. Am oberen Wadi angekommen, vernahm ich einen ganz entsetzlichen Lärm, welcher aus der Tiefe der Schlucht emporscholl. Rasch eilte ich dem vor mir liegenden Rande zu, von welchem aus ich die Situation vollständig überblicken konnte.

Die steile Böschung grad mir gegenüber zog sich ein Gebüsch von Wacholder und stacheligen Mimosen hinan, welches von den Arabern umzingelt war. Es mußte den Löwen verbergen, denn die oberhalb des Gestrüppes Befindlichen rollten große Steine in dasselbe, um das Tier herauszutreiben. Die Männer schwangen ihre Flinten und tanzten dabei vor Aufregung und suchten sich durch kreischende Zurufe zu ermutigen. Ich empfing einen eigentümlichen Eindruck von dieser untaktischen Art und Weise, ein Wild zu jagen, welches sich am besten des Nachts, Auge in Auge und ohne Lärm erlegen läßt.

Da bemerkte ich inmitten des Gebüsches eine leise Bewegung; sie wurde stärker, und jetzt trat er hervor, nicht plötzlich, nicht nach Katzenart springend und schnellend, sondern langsam, mit sicheren, majestätischen Schritten. Die reiche, dunkle Mähne hing ihm wirr um Kopf und Vorderleib; den stark bequasteten Schwanz zog er lang gestreckt hinter sich her; es war wirklich ein prachtvoller Anblick, das edle, gewaltige Tier so selbstbewußt und ruhig inmitten der schnell auf seinen Leib gerichteten Gewehre stehen zu sehen und es wollte mir wirklich scheinen, als bemerke ich ein verächtliches Funkeln der großen rollenden Augen. Ich hatte viel von dem Fürsten der Tiere gehört und noch mehr von ihm gelesen, gesehen aber hatte ich nur einige Exemplare in Menagerien und zoologischen Gärten. Sie alle hielten keinen Vergleich aus mit diesem prächtigen, machtvollen Sihdi-el-salssali, dessen Anblick meine Erwartungen weit übertraf. Dieser charaktervolle, hoch- und breitstirnige Kopf, dessen langsames Schütteln ein Zeichen der Verwunderung über das verwegene Beginnen der Araber zu sein schien; dieser ungebeugte Nacken, dieser kurze, breite Rücken, diese mächtigen Flanken, diese Pranken, denen man es ansah, daß ein einziger Schlag von ihnen genügend sei, ein Rind niederzustrecken; dieses drohende Oeffnen der Lefzen – die Natur hatte hier alles vereinigt, um die wilde, physische Kraft in all ihrer Majestät zur Darstellung zu bringen. Und jetzt hob er den Kopf und ließ jene furchtbaren Töne erschallen, derentwegen ihn der Sohn der Wüste den ›Herrn des Erdbebens‹ nennt, und von welchen der Dichter schreibt:

Da liegt der Maure unter Palmen,

Vom Sonnenbrand herbeigeführt,

Das Dromedar nascht von den Halmen,

Die noch der Samum nicht berührt;

Da trinkt das Gnu sich an der Quelle,

Der frischen, lebensvollen, satt,

Da naht verschmachtend die Gazelle,

Vom wilden Jagen todesmatt;

Da geht der Löwe nach der Beute,

Der König, kampfesmutig aus,

Und in die unbegrenzte Weite

Brüllt er den Herrscherruf hinaus.

Und Mensch und Tier, Gnu und Gazelle,

Sie zittern vor dem wilden Ton

Und jagen mit Gedankenschnelle,

Entsetzt, von Furcht gepackt, davon.

Es war mir wirklich, als zittere der Boden unter mir bei dem leise beginnenden, dann zu unbeschreiblicher Stärke anwachsenden und sich endlich in einem grimmigen Rollen verlierenden Gebrüll, welches der Araber so treffend mit dem Worte ›Rad‹, Donner, bezeichnet.

Da blitzte es aus allen Läufen auf; der Löwe wurde von mehreren Kugeln, aber nur leicht, getroffen. Er duckte sich nieder und fuhr dann mit einem einzigen, weiten Satze mitten unter die Angreifer hinein. Zwei von ihnen lagen unter seinen Tatzen. Länger durfte ich nicht zögern. Mehr gleitend als steigend warf ich mich, gefolgt von Korndörfer, den steilen Abhang des Wadi hinunter. Die Araber, welche ein beinahe betäubendes Geschrei erhoben, bemerkten mein Kommen nicht. Einer von ihnen hatte seine Flinte noch nicht abgeschossen. Mutiger als die anderen, deren größter Teil sich nach der Salve zur Flucht gewandt hatte, blieb er stehen, zielte und drückte los. Die Kugel traf, doch nicht zum Tode. Das Tier zuckte zusammen, schnellte im nächsten Augenblick durch die Luft und riß den Schützen nieder. Ihm die beiden Vordertatzen auf die Brust setzend, stieß es ein zweites, wo möglich noch erschreckenderes Brüllen aus als vorher. Im folgenden Momente mußte der Mann zerrissen sein.

In eiligen Sprüngen lief ich hinzu und kniete nur wenige Schritte von dem Löwen nieder. Dieser bemerkte mich und trat von seinem Opfer zurück, ein Umstand, welcher nur außerordentlich selten vorzukommen pflegt. Ich legte an. Es war nicht Furcht und nicht Angst, was ich in diesem Augenblick empfand; es giebt keine Bezeichnung für das Gefühl, welches jede Faser in mir anspannte. Die rollenden Augen glühten mir vernichtend entgegen, der Schwanz krümmte sich verräterisch; die kraftvollen Pranken zogen sich zum Sprunge zusammen, ein kurzes Zucken ging über den sich niederduckenden Leib – ich drückte los und sprang sofort zurück, das Messer aus der Scheide ziehend.

Der Löwe hatte sich im Augenblick des Schusses emporgeschnellt; er stürzte mitten im Sprunge zur Erde, wälzte sich einige Male hin und her und blieb dann unbeweglich liegen. Meine Kugel war ihm in das Auge gedrungen – er war verendet.

»Hamdulillah, Allah akbar, Preis sei Gott, der Herr ist groß!« erscholl es aus allen Kehlen. »Hasa nessieb, das hat Gott geschickt; der Kelb, der Hund, der Sohn von einem Hunde, der Enkel von einem Hundesohne ist tot; er ist schmachvoll gefallen, gestürzt und gestorben wie ein Ungläubiger, ohne Ruhm und Ehre. EI Thibb, der Schakal, und el Tabäa, die Hyäne, werden ihn fressen; el Büdj, der gewaltige Bartgeier, mag ihm das feige Herz zerhacken, und el Rhassahl, die Gazelle, mag ihn und seine Väter beschimpfen, ihn, der ohne Kampf und Gegenwehr aus dem Lande der Lebendigen gegangen ist. Er, der sich el Jawuhs, den Grausamen, nennen ließ, muß aus seinem Felle steigen. Holt die Hariri, die Musikanten, herbei; sie mögen auf der Nogara seine Schande trommeln und ihm mit der Rababa seine Schmach vorpfeifen!«

So klang es jubelnd und verhöhnend von allen Seiten. Man trat den toten Körper mit den Füßen; man schlug ihn mit den Fäusten, stieß ihn mit den Kolben und spie ihn verächtlich an. Die Spannung hatte mich verlassen; es war mir, als sei ich einer unvermeidlichen Todesgefahr entgangen, und tief atmend sah ich dem Treiben der heißblütigen Söhne einer glutüberfluteten Länderstrecke zu, die mich in ihrem Eifer um das gefallene Tier vollständig übersahen.

 

»Maschallah, tausend Schwerebrett,« meinte der Staffelsteiner, »is dos aan Gejauchz' und Gelärm'! Ich werd' nur schaun, ob sie sich halt auch bedanken werd'n!«

»Ama di bacht, welch ein Glück, daß du noch zur rechten Zeit gekommen bist!« klang es da neben mir.

Es war der, der zuletzt unter dem Löwen gelegen hatte. Von langer, hagerer, aber sehniger Figur, besaß er ein Gesicht, welches die Sonne beinahe schwarz gebrannt hatte. Seine großen, scharfen, dunklen Augen hatten ein eigentümliches Licht. Ein zorniger Blick aus ihnen konnte wohl auch einen beherzten Mann aus dem inneren Gleichgewichte bringen, das war ihnen leicht anzumerken.

»Gieb nicht mir, sondern dem Herrn die Ehre, der dich errettet hat!« antwortete ich, vielleicht etwas unfreundlicher als ich selbst beabsichtigte. Ich hätte diesem Manne nie mein Vertrauen schenken mögen.

»Ja, Allah die Ehre und dir den Dank!« stimmte er bei, indem sein Auge scharf und forschend über mich glitt. »Du bist fremd unter den Kindern der Wüste?«

»Ich komme aus Frankhistan, um Assad-Bei, den Herdenwürger, zu töten.«

»Du hast ihn getötet; Allah gab dir Heil und Gnade.«

Er wandte sich jetzt zu den noch immer schreienden und jubilierenden Arabern.

»Laßt ihn gehen, den Herrn mit dem dicken Kopfe! Er hat seine Schande genugsam vernommen, und seine Seele wird in die Haut eines Flohes fahren. Auf, ihr Männer, laßt uns Allah danken, der uns errettet hat. Knieet nieder und betet mit mir die heilige Fathha!«

EI Fathha (die Eröffnung) ist das erste Kapitel des Kuran, welches bei allen religiösen Handlungen der Moslemin eine Hauptrolle spielt. Die Männer knieten, das Angesicht gegen Morgen gewandt, nieder und beteten eintönig:

»Lob und Preis dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrscht am Tage des Gerichts. Dir allein wollen wir dienen, und zu dir wollen wir flehen, auf daß du uns führest den rechten Weg, den Weg derer, die deiner Gnade sich freuen, und nicht den Weg derer, denen du zürnest, und nicht den der Irrenden!«

Nach Beendigung des Gebetes wandten sie nun auch mir ihre volle Aufmerksamkeit zu. Die Fragen und Lobpreisungen wollten kein Ende nehmen, bis endlich einer von ihnen meine Hand ergriff und mich ihnen entzog.

»Du hast nur ruhen wollen unter dem Dache des Arabers, aber du mußt bei uns bleiben viele Tage! Ich bin der Bei-el-Urdi, der Vorsteher des Lagers, und du sollst mein Zelt haben, so lange es dir bei uns gefällt.«

»Ich danke dir, du Freund des Wanderers, doch ist mein Weg lang und mein Ziel noch weit. Ich werde das Fell des Löwen nehmen und dann weiter ziehen.«

»Wie heißt dein Ziel?« fragte der, welcher zuerst mit mir gesprochen hatte.

»Timbuktu,« antwortete ich, da ich es nicht für notwendig hielt, Bab-el-Ghud anzugeben.

»So könntest du mit mir reisen, denn ich gehöre zu den Kriegern der U8lad Sliman, die gegen Mittag wohnen. Doch muß ich hier warten auf einen unserer Männer, welcher mit einer Botschaft in die Stadt der Franken geritten ist.«

Diese letzten Worte erregten meine Aufmerksamkeit. Er war einer der Gäste, von denen der Alte gesprochen hatte.

»Ich kann nicht warten. Du aber reitest bessere Kamele als ich und wirst mich einholen.«

»Wie viele Männer sind bei dir?«

»Zwei.«

»Und du fürchtest dich nicht, mit so wenigen in das Bahr billa ma, in das ›Meer ohne Wasser‹ (Wüste) zu gehen?«

»Ich fürchte mich nie.«

»Fürchtest du auch Hedjahn-Bei, den Karawanenwürger, nicht? Du kannst seiner Gum gar leicht begegnen!«

»Er wird mich friedlich ziehen lassen, denn sonst geht es ihm wie Assad-Bei, dem Herdenwürger.«

Es war ein eigentümliches Aufleuchten seines stechenden Auges, welches mir bei diesen Worten entgegenblitzte.

»Du hast Assad-Bei getötet, Fremdling; der Hedjahn-Bei aber würde dich zermalmen. Er ist fürchterlicher als Areth, der Donnerstimmige.«

»Kennst du ihn?«

»Ihn kennt jeder Tuareg und Tebu; warum sollte ich ihn nicht kennen? Spricht nicht jedermann von ihm?«

»So kennst du wohl auch Mahmud Ben Mustafa Abd Ibrahim Jaakub Ibn Baschar, den Imoscharh?« fragte ich, es möglichst verbergend, daß ich sein Gesicht scharf beobachtete.

Er entfärbte sich trotz seines dunklen Teints.

»Wer ist dieser Mann?«

»Er ist kein Mann, sondern ein Weib, dessen Zunge nicht zu schweigen weiß. Ich traf ihn, und er sagte mir, daß er ein Bote des Hedjahn-Bei sei und zu einem Franken gehe, um ein Lösegeld zu fordern.«

Die Brauen des Arabers zogen sich finster zusammen.

»Allah inhal el Kelb, Gott verderbe den Hund! Und du bist zu dem Franken gegangen, um ihn zu warnen?«

»Warum ich? Der Imoscharh wird schon selbst mit ihm sprechen!«

»Sihdi, du hast klug und weise gehandelt, denn Reden ist Silber, Schweigen aber Gold!«

Ich wußte genug. Dieser Araber war jedenfalls einer der Leute des Hedjahn-Bei und wartete hier auf die Rückkehr des Boten, der in Algier gefangen gehalten wurde, und der Bei el Urdi war wohl ein geheimer Verbündeter des Karawanenwürgers. Ich konnte die Gastfreundschaft dieser Leute, denen ich vielleicht noch feindlich gegenübertreten mußte, nicht in Anspruch nehmen und beschloß, sofort wieder aufzubrechen.

Mit Hilfe Josefs schälte ich den Löwen schnell aus seinem Felle und kehrte dann unter der jubelnden Begleitung sämtlicher Männer nach dem Duar zurück. Die glückliche Jagd hatte kein Menschenleben gekostet, denn auch die zwei, welche der Löwe niedergerissen hatte, waren nur verwundet worden, allerdings so schwer, daß sie in das Dorf getragen werden mußten.

Hassan der Große kam mir freudig entgegen geeilt.

»Du lebst, Sihdi, du bist wieder da und hast den Herrn mit dem dicken Kopfe getötet? Hamdulillah, Preis und Ruhm sei dem Herrn, der dein Schutz gewesen ist! Ich habe um dich gezittert, wie der Halm des Grases, wenn der Smum über die Oase geht.«

»Maschallah, tausend Schwerebrett, is dos aan Vergleich: aan Grashalm und Djezzar-Bei, der Menschenwürger!« antwortete Josef statt meiner. »Schämst du dich nit, Hassan el Kebihr, zu deutsch der große Haas'? Mach dich rasch aufs Kamel, denn die Reis' geht wieder vorwärts!«

Als ich im Begriffe stand, Abschied zu nehmen, führte mich der Uëlad Sliman zu seinen Kamelen.

»Sihdi, du hast kein Djemmel, wie du es brauchst. Deine Hand hat mich vom Tode errettet. Sieh dieses Tier an! Es ist ein Hedjihn, ein Bischarinhedjihn, wie es in der ganzen Sahel kein zweites giebt; maktub ala salamtek, es ist auf deinen Namen geschrieben; ich schenke es dir!«

Es war ein kostbares Geschenk. Hatte dieser Mann die Mittel dazu? Ich wollte widersprechen, weil ich ihn als meinen Feind betrachten mußte; er aber winkte mit einem wahrhaft gebieterischen Ausdrucke zum Schweigen und zog dann ein eigentümlich geformtes Korallenstück hervor.

»Du hast gelernt, den Mund verschlossen zu halten. Nimm diese Anaia (Zeichen), und wenn du der Gum des Hedjahn-Bei begegnest, so zeige sie vor. Sie wird dir Schutz gewähren, denn du hast einen Gläubigen aus den Klauen des Sihdi-el-salssali errettet. Steige auf, und reise ohne Furcht!«

Um ihn nicht zu erzürnen oder gar sein Mißtrauen zu erwecken, mußte ich das Tier annehmen. In der Ecke der Satteldecke sah ich eine Arabeske, in welcher sich die Buchstaben A. L. eingestickt befanden. Es waren die Anfangsbuchstaben des Namens André Latréaumont.

Ich sagte dem Alten und seiner Tochter, in deren Zelte ich Aufnahme gefunden hatte, Dank und wurde dann vom Bei el Urdi und von einigen seiner Leute eine Strecke weit begleitet. Als er von mir schied, meinte er:

»Sihdi, du bist ein tapferer Krieger, doch der Hedjahn-Bei ist mächtiger als du. Aber ich habe gesehen, daß du seine Anaia bekommen hast. Du wirst sicher sein, so weit die Wüste reicht. Sallam aaleikum, Friede und Heil sei mit dir!« –-

Hedjahn-Bei, der Karawanenwürger

Die Wüste! –

Von der Nordwestküste Afrikas zieht sich mit wenigen kurzen Unterbrechungen bis hinüber nach Asien hinauf zu dem mächtigen Kamme des Chinggangebirges eine Reihe von öden, unwirtlichen Länderstrecken, die einander an Grausen überbieten. Die großen Wüsten des afrikanischen Kontinentes springen über die Landenge von Suez hinüber in die öden Flächen des steinigen Arabiens, denen sich die nackten, dürren Strecken Persiens und Afghanistans anschließen, um hinauf in die Bucharei und Mongolei zu steigen und dort die grauenvolle Gobi zu bilden.

Wohl über 120 000 Quadratmeilen groß, erstreckt sich die Sahara vom Cap Blanco bis zu den Bergwänden des Nilthales und vom Rif bis in die heißdunstigen Wälder des Sudan. Ihre Einteilung ist eine sehr mannigfaltige. Die an die Nilländer stoßende libysche Wüste geht nach Westen in denjenigen Teil der eigentlichen Sahara über, von welcher der Dichter sagt:

».... bis da, wo sich im Sonnenbrande

Die öde Hammada erstreckt,

Und man im glühend heißen Sande

Nicht einen grünen Halm entdeckt ....«

und von hier aus zieht sich dann die Sahel bis an die Küste des Atlantischen Oceans. Der Araber unterscheidet die bewohnte (Fiafi), unbewohnte (Khela), gesträuchige (Haitia), bewaldete (Ghoba), steinige (Serir), mit Felsblöcken übersäte (Warr), gebirgige (Dschebel oder Nedsched), flache (Sahel oder Tehama) und von beweglichen Dünen durchzogene Wüste (Ghud).

Die Ansicht, daß die Sahara eine Tiefebene bilde, welche niedriger liege, als der Wasserspiegel des Meeres, ist eine durchaus irrige; vielmehr ist die Wüste ein ausgedehntes Tafelland von tausend bis zweitausend Fuß Höhe und gar nicht so arm an Abwechslung der Bodengestaltung, wie man bisher immer meinte.

Das Letztere ist besonders der Fall im östlichen Teile, in der eigentlichen Sahara, welche sich dem Wanderer freundlicher zeigt, als die westliche Sahel, die der eigentliche Schauplatz der Wüstenschrecken und des gefürchteten Flugsandes ist, der, vom Winde zu fortrückenden Wellen angehäuft, langsam durch die Wüste wandert; daher der Name Sahel, d. i. Wandermeer. Diese Beweglichkeit des Sandbodens muß natürlich dem Wachstume der Pflanzen außerordentlich hinderlich sein, und dazu kommt der außerordentliche Mangel an Quellen und Brunnen, ohne welche das Entstehen von Oasen eine absolute Unmöglichkeit ist. Der dürre Sandboden vermag kaum einige wertlose Salzpflanzen, höchstens noch etwas dürren Thymian, ein paar Disteln und einige stachelige, krüppelhafte Mimosen zu nähren. Durch das glühende Sandmeer streift nicht der wilde Leu, obgleich der Dichter behauptet:

»Wüstenkönig ist der Löwe;« nur Vipern, Skorpione und ungeheure Flöhe finden in dem heißen Boden ein behagliches Dasein, und selbst die Fliege, welche den Karawanen eine Strecke in die Wüste hinein folgt, stirbt bald auf dem Wege. Und dennoch wagt sich der Mensch in den Sonnenbrand und trotzt den Gefahren, welche ihn von allen Seiten umdrohen. Freilich ist deren Schilderung oft eine übertriebene, aber es bleibt trotzdem genug Übrig, um die Sehnsucht nach einem ›Wüstenritte‹ zu verleiden, dessen Opfer man in der Sahel häufiger findet, als in der wasserreicheren eigentlichen Sahara. Da liegen dann die ausgedorrten Leichen der Menschen und Tiere in Grauen erregenden Stellungen neben- und übereinander; der eine hält den leeren Wasserschlauch noch in den entfleischten Händen; ein anderer hatte wie wahnsinnig die Erde unter sich aufgewühlt, um sich Kühlung zu verschaffen; ein dritter sitzt als vertrocknete Mumie auf dem gebleichten Skelett seines Kameles, den Turban noch auf dem nackten Schädel, und ein vierter kniet am Boden; das Gesicht ist gegen Morgen nach Mekka gerichtet, und die Arme sind über die Brust gekreuzt. Sein letzter Gedanke hat, wie es dem frommen Moslem geziemt, Allah und seinen Propheten gesucht.

Und dennoch hat die Wüste ihren Zweck zu erfüllen in dem großen Haushalte der Natur. Sie bildet den Glutofen, welcher die erhitzten Lüfte emporsteigen läßt, daß sie nach Norden streichen und, sich dort zur Erde niedersenkend, den Gegenden der Mitternacht die notwendige Wärme und Belebung bringen. Die Weisheit des Schöpfers duldet keinen Ueberschuß und hat von Anbeginn dafür gesorgt, daß alle Gegensätze und Extreme zur wohlthätigen Ausgleichung gelangen. – –

Das berüchtigte Bab-el-Ghud liegt ungefähr auf dem einundzwanzigsten Breitengrade an der Grenze zwischen der Sahara und Sahel, wo auch das Gebiet der Tuareg oder Imoscharh mit demjenigen der Tebu oder Teda zusammenstößt.

Diese Grenzverhältnisse geben sowohl der Landschaft als auch ihrer menschlichen Staffage etwas fortwährend Kampfbereites. Die wandernden Sandberge der Sahel werden von dem herrschenden Westwinde immer weiter nach Osten getrieben und stoßen beim Bab-el-Ghud auf die Felsen der Serir, an denen sie sich aufbäumen und, die Thäler, Schluchten und sonstigen Zwischenräume mit unerbittlicher Sicherheit ausfüllend, tiefe Sandlager bilden, denen die Feuchtigkeit mangelt, um zu einer festen kompakten Masse zusammengepreßt zu werden. Wehe dem Wanderer, der in eine solche verräterische Sandsee gerät! Noch vor einigen Augenblicken hat sein Dromedar den sichern felsigen Boden unter den Hufen gefühlt, plötzlich aber reicht ihm der feine, leichte Sand bis an den Leib; es macht eine kräftige Anstrengung, zurückzukehren, und gerät durch dieselbe nur noch tiefer in die brennende Körnerflut. Der Reiter darf nicht vom Tiere steigen, weil er sonst versinkt; er kämpft mit den Krallen des Sandes, die ihn immer enger, immer fester umschließen; das Dromedar arbeitet sich immer tiefer hinab; es verschwindet endlich ganz; das Bahr-el-Ghud, das Dünenmeer, reicht immer höher an dem Reiter hinauf; es faßt ihn bei den Beinen, bei den Hüften, an den Schultern; schon kann er sich nicht mehr regen; er wendet das Haupt nach der heiligen Kaaba –»Allah kehrim, wie Gott will, Allah ist gnädig!« flüstern seine bleichen vertrockneten Lippen, die nun der Sand verschließt. Die Düne schnürt ihm die Brust zusammen, die Lider schließen sich; der Engel des Todes rauscht vorüber, und hoch oben in der Luft schwebt der Bartgeier. Er hat den letzten Kampf des Wanderers beobachtet, aber in einer langsamen, weit sich aufwickelnden Spirallinie läßt er sich von seinen gewaltigen Schwingen in die Ferne tragen; er weiß, daß die Düne ihre Opfer vollständig verschlingt und ihm nicht den mindesten Anteil an ihrem Raube gönnt.

 

Das ist das Bab-el-Ghud. Wer sich zwischen seine Felsen und Sandwogen wagt, muß von schwer wiegenden Gründen dazu gedrängt werden.

Und doch giebt es wilde Gestalten, welche vor einem solchen Wagnisse nicht zurückbeben. Sie schöpfen den Mut dazu aus dem fürchterlichen ›Ed dem Ued dem – en nefs Wen nefs, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut‹. Neben der Gastfreundschaft ist die Blutrache das erste Wüstengesetz, und wenn es auch zwischen den Angehörigen verwandter Stämme vorkommt, daß ein Mord mit der Entrichtung des Diyeh (Blutpreis) gesühnt wird, so ist dies doch wohl niemals der Fall bei einem Verbrechen, welches durch das Glied einer fremden oder feindlichen Völkerschaft begangen wurde. Da erfordert die Schuld blutige Rache; sie wandert herüber und hinüber, wird größer und immer größer, bis sie endlich ganze Stämme erfaßt und zu jenem öffentlichen und heimlichen Hinschlachten führt, zu welchem das Bab-el-Ghud zwischen den Tuareg und Tebu den Schauplatz bildet. Hier ist das Blutgesetz mächtiger als die Natur, welche alle ihre Schrecken aufbietet, die Feinde zu trennen, und doch grad durch diese Schrecken den Feindseligkeiten ein Grausen verleiht, wie es die zerfleischenden Kämpfe der wilden Indianerhorden Amerikas nicht größer bieten können. –

Seit unserm letzten Abenteuer waren mehrere Wochen vergangen, und ich hatte Hassan wirklich als einen ausgezeichneten Führer kennen gelernt, ein Umstand, welcher mich mit seinem Mangel an Mut zur Genüge aussöhnte. Er kannte nicht nur die Wege genau, sondern verstand es, alle seine Vorkehrungsmaßregeln so zu treffen, daß wir bisher nicht den geringsten Schaden oder Mangel zu leiden hatten. Seine Anhänglichkeit an mich hatte sich nach und nach zu einer ganz erfreulichen Stärke entwickelt, und ich hätte ihm gern mein vollständiges Vertrauen geschenkt, wenn mir nicht eine außerordentliche, beängstigende Aufregung aufgefallen wäre, an welcher er seit einiger Zeit, und zwar nur des Morgens, zu leiden schien. Er saß dann auf seiner Matte, von welcher er nicht aufzubringen war, weinte und schluchzte, lachte und jubelte in einem Atem, nannte sich bald einen Helden und bald eine Memme, bald einen guten Moslem und bald einen Ungehorsamen, der in die Tschehenna fahren müsse. Es war eine Art Wahnsinn, der ihn er faßt haben mußte und dessen Ursache ich gar zu gern auf die Spur gekommen wäre; doch stand es fest, daß ich mich der Führung eines geistig gestörten Mannes nicht ohne ganz besondere Vorsicht anvertrauen konnte, was mir seiner sonstigen Zuverlässigkeit wegen herzlich leid that.

Wir waren noch immer bloß drei Personen und zählten eine hinreichende Anzahl Packkamele, um die Lasten verteilen zu können; darum reisten wir mit doppelter Schnelligkeit als eine gewöhnliche Karawane und konnten sicher sein, das Bab-el-Ghud nach drei guten Tagemärschen zu erreichen. Da mein Hedjihn ein besserer Läufer als die andern Tiere war, so pflegte ich des Morgens später als Josef und Hassan aufzubrechen und, wenn ich sie eingeholt hatte, ihnen eine Strecke vorauszueilen, um dann bis zu ihrem Nahen entweder meinen Tschibuk in Gemütlichkeit rauchen zu können oder für die Bereicherung meiner Naturaliensammlung Sorge zu tragen.

So ritt ich auch jetzt ganz allein zwischen den Dünen dahin und hielt zuweilen mein Tier an, um dem eigentümlichen Klingen des Sandes zu lauschen, welches, beinahe unhörbar, für ein scharfes Ohr dennoch zu vernehmen war. Die einzelnen Körnchen berührten sich, drängten einander vorwärts, an der westlichen Seite der Dünen empor, an der entgegengesetzten wieder hinab, und verursachten jenes seltsame, beinahe singende Geräusch, welches in seinem zarten, metallischen Klange dem heimlichen Flüstern von Millionen Liliputkehlen gleicht. Die Myriaden und aber Myriaden Körnchen bewegten sich, ohne daß ich einen nennenswerten Lufthauch bemerkt hätte; sie waren einmal in Gang gebracht und behielten ihre Stetigkeit infolge einer so geringen Bewegung der Atmosphäre, daß die menschliche Haut für dieselbe keine Empfänglichkeit besaß.

D a bemerkte ich zwischen zwei Erhöhungen einen kleinen Sandberg, welcher nicht auf natürliche Weise entstanden sein konnte. Ich ließ mein Hedjihn niederknieen und stieg ab, um ihn zu untersuchen. Ich hatte recht vermutet. Hier lag die Leiche eines Arabers samt derjenigen seines Tieres, welche der wandernde Sand bereits überflutet hatte. Das Tier war ein echtes Bischarin gewesen und – wahrhaftig, es hatte, wie ich jetzt sah, eine Kugel vor die Stirne bekommen. Sollte hier ein Akt der Blutrache vorliegen? Ich entfernte den Sand weiter, um den Reiter genauer in Augenschein zu nehmen. Ich fand ihn in vollständiger Bekleidung und Bewaffnung; der Kapuze seines Burnus war ein A. L. eingestickt, und dieselben zwei Buchstaben fand ich auch dem Kolben seiner Flinte und dem Griffe seines Messers eingebrannt. Grad einen Zoll über der Nasenwurzel sah ich ein scharfes rundes Loch, welches von einer Kugel herrührte, die dem Manne vorn in den Kopf und hinten wieder hinaus gedrungen war.

»Emery Bothwell!« rief ich überrascht, obgleich kein Mensch in der Nähe war, der mich hören konnte.

Ich kannte diesen Kapitalschuß; ich hatte dasselbe Loch in mancher Indianerstirne gesehen, welche der sichern Büchse meines englischen Freundes zu nahe gekommen war, und wußte daher ganz genau, daß er auch hier der Schütze gewesen sei. Er befand sich also bereits in Bab-el-Ghud, und es mußten wenigstens drei Wochen seit diesem Schusse vergangen sein, wie ich aus der Höhe des Sandes und an genugsam andern Zeichen sah. Ich sagte mir augenblicklich, daß dies nicht der einzige Tote sei, dessen Gebeine, getroffen von der Kugel des ›verytablen Englishman‹, in der Wüste bleichten; das verhängnisvolle Zeichen mußte jedem den Tod bringen, an dessen Kleidern oder Waffen er es bemerkte.

Ich vermutete auch hier ganz richtig, denn in einiger Entfernung fand ich eine zweite und dann noch eine dritte Leiche, einen Zoll hoch über der Nasenwurzel in die Stirn getroffen. Der Hedjahn-Bei hatte einen fürchterlichen, unerbittlichen Feind gefunden, der sicherlich nicht eher ruhte, als bis R6nald Latréaumont gefunden oder gerächt worden war.