Orangen und Datteln

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»Madame, wir befinden uns in einer Lage, welche schnelles Handeln erfordert, und wenn Sie mir erlauben, werde ich Sie nach unserer Rückkehr um Ihre Gastfreundschaft ersuchen. Vielleicht gestatten Sie mir, bis dahin diejenigen meiner Effekten, welche ich nicht mitnehmen kann, bei Ihnen einzustellen!«

»Sûr, assurément, Monseigneur! ich werde sofort nach dem Schiffe senden, um alles, was – –«

»Pardon, Madame, ich stieg bereits im Hotel de Paris ab.«

»Wirklich, das thaten Sie? Wissen Sie, Monseigneur, daß dies eine große Beleidigung für uns ist?«

Ich hatte einige freundliche Vorwürfe zu hören, dann wurde die Angelegenheit einem Diener übergeben. Eben war ich bereit, mich in das mir angewiesene Zimmer zurückzuziehen, als ein Araber gemeldet wurde, welcher mit Monseigneur zu sprechen wünsche. Der Mann wurde in meiner Gegenwart im Sprechzimmer empfangen.

Er war von langer, hagerer und sehniger Gestalt. Sein Burnus war außerordentlich mitgenommen; die ausgefransten Kamelhaarschnüre hingen ihm in Fetzen um die Kapuze, und jeder Zollbreit an ihm zeigte den echten Wüstensohn, der vor keiner Gefahr zurückbebt und jede Entbehrung mit Gleichmut zu ertragen weiß.

»Sal – aaleïk –!« grüßte er mit stolzer Abkürzung der beiden Worte. Nicht die leiseste Neigung seines Hauptes ließ sich bemerken; der Kolben seines langen Gewehres klang mit rücksichtslosem Tone auf den Marmorfließen, und sein dunkles Auge flog mit einem Blick, in welchem sich die Ueberlegenheit des freien Mannes und Rechtgläubigen aussprechen sollte, von einem zum anderen.

»Sprechen Sie mit ihm, Monseigneur,« raunte mir Latréaumont zu. »Es ist der Tuareg, welcher wegen Rénald bereits bei mir war.«

Nichts konnte mir lieber sein, als daß der Bote gerade heute noch kam.

»Sal – aal –!« antwortete ich noch kürzer. Der Beduine giebt durch diese Art der Ausdrucksweise gern den Grad der Achtung zu erkennen, welche er dem andern widmet. »Was willst du?«

»Du bist nicht der, mit dem ich zu sprechen habe!«

»Du hast mit keinem andern als mit mir zu reden!«

»Ich komme nicht zu dir.«

»So kannst du wieder gehen!«

Ich drehte mich um. Auch die andern wandten sich dem Ausgange zu.

»Sihdi!« sagte er.

Ich schritt weiter.

»Sihdi!« rief er dringlicher.

Ich wandte bloß den Kopf.

»Was noch?«

»Ich werde mit dir sprechen!«

»So bemühe dich, höflich zu sein, sonst sende ich dich hinab auf die Straße. Wie ist dein Name?«

»Ich heiße Mahmud Ben Mustafa Abd Ibrahim Jaakub Ibn Baschar.«

»Dein Name ist länger als dein Gruß. Euer Prophet, der große Mohammed Ibn Abdallah el Haschemy, sagt: ›Seid höflich auch mit den Ungläubigen und Feinden, damit sie euren Glauben und die Kaaba achten lernen!‹ Merke dir das! Du bist ein Tuareg?«

»Ein Tuareg und Imoscharh.«

»Von welchem Stamme?«

»Hedjahn-Bei, der Karawanenwürger, erlaubt seinen Kriegern nicht, den Franken ihren Stamm zu nennen.«

Beinahe hätte mich ein kleiner Schreck erfaßt. Also Rénald war Gefangener des berüchtigten Hedjahn-Bei! Das war das Schlimmste, was ich erfahren konnte. Ich hatte selbst in der Ferne von diesem ebenso grausamen wie verwegenen Wüstenräuber gehört und wußte, daß er der Schrecken aller Karawanen sei. Niemand vermochte zu sagen, zu welchem Stamme er eigentlich gehöre; die ganze, weite Wüste war sein Jagdgebiet. Von der algerischen Steppe bis hinunter zum Sudan und von den ägyptischen Oasen bis hinüber nach Wadan und Walada in der westlichen Sahara war sein Name bekannt. Bald hier, bald dort auftauchend, war er stets ebenso schnell verschwunden, wie er gekommen war; doch stets und überall kostete sein Erscheinen Opfer an Gütern und Menschenleben. Er mußte geheime Aufenthaltsorte haben, die über die ganze Sahara zerstreut lagen; er mußte Agenten besitzen, die ihm von jeder bedeutenden Kaffila Nachricht brachten und ihm behilflich waren, die geraubten Güter an den Mann zu bringen. Aber seine Person und seine Thaten waren in so geheimnisvolles Dunkel gehüllt, daß eine Aufklärung bisher unmöglich gewesen war. – Ich hielt es für geraten, gegen seinen Boten so zu thun, als ob ich noch gar nichts von ihm gehört habe.

»Hedjahn-Bei? Wer ist das?«

»Kennst du den Karawanenwürger nicht? Ist dein Ohr taub, daß du noch nichts von ihm vernommen hast? Er ist der Herr der Wüste, fürchterlich in seinem Zorne, gräßlich in seinem Grimme, schrecklich in seinem Hasse und unüberwindlich im Kampfe. Der junge Ungläubige ist sein Gefangener.«

Ich lachte.

»Unüberwindlich im Kampfe? So kämpft er wohl nur mit dem kleinen Schakal und der feigen Hyäne? Kein Franke fürchtet sich vor ihm und seiner Gum. Warum giebt er den Gefangenen nicht frei? Hat er nicht zweimal Lösegeld erhalten?«

»Die Wüste ist groß, und der Hedjahn-Bei hat viele Männer, welche Kleider, Waffen und Zelte brauchen.«

»Der Karawanenwürger ist ein Lügner und Betrüger. Sein Herz kennt nicht die Wahrheit, und seine Zunge ist falsch; sie hat zwei Spitzen wie die Zunge der Schlange, der man den Kopf zertritt. Mit welcher Botschaft sendet er dich?«

»Gieb uns Burnus und Schuhe, Waffen und Pulver, Spitzen für unsere Speere und Tücher für unsere Zelte!«

»Ihr habt bereits zweimal erhalten, was du begehrst. Du wirst nicht den Zipfel eines Tuches und nicht ein Körnchen Pulver mehr erhalten!«

»So stirbt der Gefangene!«

»Der Hedjahn-Bei giebt ihn nicht los, auch wenn er erhält, was er von uns fordert.«

»Er wird ihm seine Freiheit schenken. Der Würger der Karawanen ist gnädig, wenn er den Preis erhält.«

»Wie viel fordert er?«

»So viel, als er bereits erhalten hat.«

»Das ist viel. Du willst die Waren mitnehmen?«

»Nein. Du wirst sie ihm senden wie die beiden andern Male.«

»Wohin?«

»Nach dem Bab-el-Ghud.«

Das war ja derselbe Ort, nach welchem mich Emery bestellt hatte! War dies Zufall oder wußte er, daß der Räuber sich dort befinden würde?

»Werden wir den Gefangenen dort treffen und gegen das Lösegeld erhalten?«

»Ja.«

»Sagst du die Wahrheit?«

»Ich lüge nicht!«

»Du hast bereits zweimal ja gesagt, und doch gelogen. Schwöre es mir!«

»Ich schwöre es!«

»Bei der Seele deines Vaters?«

»Bei – der Seele meines – – Vaters!« stieß er zögernd hervor.

»Und beim Barte des Propheten!«

Jetzt wurde er vollständig verlegen.

»Ich habe geschworen; das ist genug!«

»Du hast geschworen bei der Seele deines Vaters, die nicht mehr wert ist, als die deinige. Für beide zusammen gebe ich nicht eine einzige Sisch oder Bla halef, und ein Schwur bei ihnen ist kein Sandkorn wert, deren doch die Wüste voll ist vom Aufgang bis zum Niedergang. Schwörst du beim Barte des Propheten?«

»Nein.«

»So ist dein Wort wieder Lug und Trug, und du wirst die Sterne der Wüste nicht wieder sehen.«

Sein Auge leuchtete auf.

»Wisse, Ungläubiger, daß die Seele des Gefangenen zur Tschehennah (Hölle) fahren wird, wenn ich nicht bis zur rechten Zeit beim Hedjahn-Bei eingetroffen bin; dieses schwöre ich dir allerdings beim Barte des Propheten, der seine Gläubigen zu schützen weiß!«

»Dann wird deine Seele ihr vorangehen, und die Gebeine des Karawanenwürgers und seiner Gum werden bleichen im Sonnenbrande, das schwöre ich dir bei Jesus, dem Sohn Mariens, den ihr Isa Ben Marryam nennt, und der mächtiger und größer ist als Mohammed; denn ihr selbst sagt, daß er sich einst auf die Moschee der Ommijaden zu Damaskus niederlassen wird, um zu richten alle Kreaturen der Erde, der Luft und des Wassers!«

Er warf den Kopf empor und fuhr sich mit den Nägeln der geöffneten Rechten rasch unter den Bart, bei den Beduinen die Gebärde der vollständigsten Verachtung.

»Ihr werdet alles bringen, was wir verlangen! Ich war zweimal bei euch, und ihr habt es nicht gewagt, eure Hände an den Gesandten des Hedjahn-Bei zu legen; ihr werdet es auch heute nicht thun. Hundert Männer wie du vermögen nicht, ihn zu besiegen, und tausend Männer deinesgleichen werden seine Gum nicht überwinden, denn du bist – ein Giaur!«

Ich trat sofort mit erhobener Faust auf ihn zu.

»Ist dein Kopf leer und dein Geist verdorrt, daß du es wagst, mir dieses Wort zu sagen, du, der du nichts bist als ein Kelb den man zur Erde schlägt?!«

Er ließ sofort die Flinte zur Erde gleiten und erhob die beiden Arme. An jedem Handgelenke hing ihm ein scharfes, spitzes Kussa (Messer) von wohl acht Zoll Klingenlänge. Während der gewöhnliche Beduine nur ein solches Messer trägt, führt der Wüstenräuber deren zwei, welche er in der Weise gebraucht, daß er den Feind umarmt und ihm die beiden Klingen dabei in den Rücken stößt. Mein Tuareg hielt sich zu demselben Verfahren bereit.

»Willst du das Wort widerrufen?« fragte ich.

»Ich sage es noch einmal, Giaur!«

»So falle nieder vor dem Giaur!«

Noch ehe er eine Bewegung machen konnte, traf ihn meine Faust auf die Stirn; er knickte zusammen und sank besinnungslos zu Boden. Es war dies ganz derselbe Jagdhieb, wegen dessen man mich in der Prairie Old Shatterhand genannt hatte.

»O mon Dieu!« kreischte Madame auf, »Sie haben den Mann erschlagen; er ist tot; vollständig tot!«

Mademoiselle lag in halber Ohnmacht auf dem Diwan, neben welchem sie gestanden hatte, und Latréaumont war sprachlos und machte ein Gesicht, als ob der Blitz grad vor ihm in den Boden gefahren sei.

»Keine Sorge, Madame,« tröstete ich; »dieser Geselle lebt noch, wenn ihm auch die Besinnung für einige Zeit abhanden gekommen ist. Ich kenne meine Faust genau; wäre es meine Absicht gewesen, ihn zu töten, so hätte ich ein wenig weiter ausgeholt.«

 

Diese Worte brachten den erschrockenen Franzosen wieder zu Atem.

»Aber Sie sind ja ein Gigant, ein wahrer Goliath, Monseigneur! Bei mir hätte es wenigstens einiger hundert Hiebe bedurft, um diesen Mann par terre zu bringen!«

Das kleine Männchen, welches mir kaum bis zur Schulter reichte und die Hände eines Kindes besaß, hatte jedenfalls recht. Er hätte wohl Monate lang auf dem Schädel des Tuareg herumhämmern können, ohne ihm einigermaßen wehe zu thun.

»Bitte, Monseigneur,« erwiderte ich, »sorgen Sie dafür, daß dieser Beduine gebunden und der Polizei überliefert werde: ihre Gewalt reicht zwar nicht bis in die Wüste; hier aber wird sie sich Ihnen gern zur Disposition stellen.«

Er sah mich ganz überrascht an.

»Ist das Ihr Ernst, Monseigneur

»Gewiß!«

»Mon ciel, das dürfen wir doch nicht thun, denn dann wird der fürchterliche Hedjahn-Bei unsern armen R6nald töten! Ich glaube vielmehr, daß dieser gräßliche Hieb schon ein ganz außerordentliches Wagnis ist!«

»Ich werde Ihnen meine Gründe erklären, ersuche Sie aber dringend, bis dahin so zu handeln, wie ich es von Ihnen erbitte. Oder sagten Sie nicht vorhin, daß ich im Besitze Ihres vollständigen Vertrauens sei?«

»Gewiß, gewiß, Monseigneur. Ich stehe ja schon im Begriffe, die Dienerschaft zu rufen!«

Er eilte nach dem Klingelzuge, und auf den ungewöhnlich lauten Ton der Glocke kam die sämtliche disponible Domestikenschaft herbeigestürzt.

»Bindet diesen Menschen, und werft ihn in ein festes Gewölbe, bis die Polizei kommt, um ihn abzuholen!« befahl der Hausherr mit einer Miene, als sei er es gewesen, der den ›gräßlichen Hieb‹ geführt hatte.

Man stürzte sich mit echt südlicher Lebhaftigkeit auf den Besinnungslosen, und in zwei Augenblicken war er mit allen möglichen Dingen, die einstweilen als Fesseln dienen konnten, so eng zusammengeschnürt, daß ihm nach seinem Erwachen sicherlich keine Bewegung möglich war. Dann faßten acht eifrige Hände den Gefangenen, um ihn fortzuschleifen.

Ein einziger von den Dienern war am Eingange stehen geblieben, ohne sich an den Bemühungen der andern zu beteiligen. Er war eine untersetzte, breitschulterige Figur und hatte ein Gesicht, welches mir zu der morgenländischen Kleidung, welche er trug, gar nicht recht zu passen schien. Als er den Aufwand von Kräften bemerkte, mit welchem die andern vier den Tuareg nach der Thür zogen, trat er heran und schob sie beiseite.

»Maschallah, tausend Schwerebrett, is des aan Gezieh und an Gezerr! Packt euch fort, ihr Nixnutz ihr, denn dos bring' ich halt ganz allein fertig!«

Ein Ruck, ein kräftiger Schwung, und er hatte den Tuareg auf die Achsel geworfen.

Vor Freude über die so unerwarteten deutschen Laute ließ ich ihn fast aus dem Zimmer laufen, ohne ihn nur zurückzuhalten.

»Halt!« rief ich, als er bereits die Thür geöffnet hatte. »Du bist ein Deutscher?«

Im Nu hatte er sich trotz seiner Last zu mir herumgedreht.

Sein breites, ehrliches Gesicht glänzte von einem Ohre bis zum andern.

»Dos will ich wohl meinen, Herr! Sie wohl auch?«

»Allerdings. Wo bist du daheim?«

»Ich bin zu Haus' in Kaltenbrunn bei Staffelstein.«

»Also in Bayern. Aber dein Dialekt ist ein anderer als der in der Gegend von Staffelstein, wo ich ein so gutes, laufiges Bier getrunken habe!«

»Ja, Herr, dos is – – aber da habt ihr halt den Kerl wieder! Schleift ihn meinetweg'n, wohin ihr wollt!« unterbrach er sich, indem er den Tuareg zur Erde gleiten ließ. Dieser wurde hinausgeschafft, der Landsmann aber wandte sich wieder zu mir und reichte mir treuherzig die Hand. »So, itzt hab' ich halt nun die Händ' wieder frei. Grüß' Gott, Herr, in Afrika! ja, in Staffelstein, da giebt's aan Bier, aan Bier, sag' ich, dos läuft wie die Maus ins Loch; drum ist's ganz richtig, wenn Sie sag'n, daß es laufig is. Also dort gewes'n sind Sie? Na, dos is halt schön; dos is halt prächtig! Und an meiner Sprach' is halt niemand schuld als die Leut' aus Baden und der Rheinpfalz hier, die mir den Staffelsteiner Dialekt halt ganz verdorben hab'n.«

»Es sind Süddeutsche hier?«

»Satt und genug, Herr. Sie sind drauß'n auf dem Dorf Dely Ibrahim bei EI Biar, wo's Trappistenkloster is. Aber wo sind denn Sie zu Haus'?«

»Ich bin ein Sachse.«

»Maschallah, tausend Schwerebrett, aan Nachbar von daheim! Darf ich halt frag'n, wie lange Sie noch hier bleiben werd'n?«

»Morgen früh reise ich wieder ab.«

»Schon! Wohin denn, wenn's erlaubt sein wird?«

»In die Sahara.«

»In die Sand- und Mördergrube? Aan Stück bin ich schon d'rin gewes'n, nämlich in Farfar, und hab' schon lang wieder 'mal hineingewollt. Maschallah, Herr, darf ich halt mit?«

Diese Frage kam mir nicht unwillkommen. Einen Diener mußte ich haben, und ein Deutscher war mir auf alle Fälle lieber als jeder andere.

»Gingst du wirklich mit?«

»Auf der Stell' und mit Plaisir!«

»Kannst du reiten?«

»Reiten? Wie der Teufel, Herr! Ich bin ja mit der Fremdenlegion herübergekommen und hab' halt bei den Chasseurs d'Afrique gestand'n.«

»Verstehst du Arabisch?«

»Grad was gebraucht wird, ja.«

»Was warst du früher?«

»Schreiner. Hab' auch was Tüchtiges gelernt, Herr, besonders das Dreinschlag'n. Nachher bin ich halt in die weite Welt 'gangen und unter die Legion gerat'n, hol' sie der Kuckuck! Dann hab' ich in Dely Ibrahim gearbeitet, bis ich hier den Dienst erhalt'n hab'. Fragen Sie den Herrn; er wird halt zufried'n mit mir sein!«

»Du gehst mit. Ich werde dir seine Erlaubnis auswirken!«

»Maschallah, tausend Schwerebrett, dos is ja, als hätte heut' das Christkind beschert! Geht auch der große Hassan mit, der den langen Namen hat?«

»Ja. Er wird unser Führer sein.«

»Juch! Der gefällt mir schon! So lange er da is, hat's zwischen ihm und mir halt nix gegeben als Lust und Katzbalgerei. Ich geh' mit; ich geh' halt mit; drauf können Sie sich verlassen, Herr! Juch, Maschallah!«

Mit der Zunge und allen zehn Fingern schnalzend, sprang er in die Höhe und fuhr zur Thüre hinaus. – –

Assad-Bei, der Herdenwürger

Die Steppe! –

Im Süden des Atlas, des Gharian und der Gebirge von Derna liegt sie, von welcher Freiligrath so treffend sagt:

»Sie dehnt sich aus von Meer zu Meere;

Wer sie durchritten hat, dem graust.

Sie liegt vor Gott in ihrer Leere

Wie eine leere Bettlerfaust.

Die Ströme, die sie jach durchrinnen,

Die ausgefahrnen Gleise, drinnen

Des Kolonisten Rad sich wand,

Die Spur, in der die Büffel traben –

Das sind, vom Himmel selbst gegraben,

Die Furchen dieser Riesenhand.«

Von dem Gebiete des Mittelmeeres sich bis zur Sahara erstreckend, also zwischen dem Sinnbilde der Fruchtbarkeit, der Civilisation und dem Zeichen der Unfruchtbarkeit, der Barbarei, bildet sie eine breite Reihe von Hochebenen und nackten Höhenzügen, deren kahle Berge wie die klagenden Seufzer eines unerhörten Gebetes aus traurigen, öden Flächen emporsteigen. Kein Baum, kein Haus! Höchstens ein einsames, halb verfallenes Karawanserai bietet dem Auge einen wohlthätigen Ruhepunkt, und nur im Sommer, wenn ein armseliger Pflanzenwuchs den sterilen Boden durchdringt, wandern einige Araberstämme mit ihren Zelten und Herden zur Höhe, um ihren mageren Tieren eine kaum genügende Weide zu bieten. Im Winter aber liegt die Steppe vollständig verlassen unter der Decke des Schnees, welcher auch hier trotz der Nähe der glühenden Sahara mit seinen Flockenwirbeln über die erstorbene Einöde fegt.

Nichts ist rundum zu schauen als Sand, Stein und nackter Felsen. Kieselbruch und scharfes Geröll bedeckt den Boden, oder wandernde Ghuds (Dünen) schleichen sich, von dem fliegenden Sande genährt, Schritt um Schritt über die traurige Fläche, und wo sich irgend einmal ein stehendes Gewässer zeigt, da ist es doch nur ein lebloser Schott, dessen Wasser in seinem Becken liegt, wie eine tote Masse, aus welcher jeder frische, blaue Ton verschwunden ist, um einem starren, unbelebten und schmutzigen Grau zu weichen. Diese Schotts vertrocknen während der Sommerhitze und lassen dann nichts zurück als ein mit Steinsalz geschwängertes Bett, dessen stechende Reflexe den Nerv des Auges töten.

Einst hat es auch hier Wälder gegeben; aber sie sind verschwunden, und nun fehlen die segensreichen Regulatoren der feuchten Niederschläge. Die Betten der Bäche und Flüsse, Wadis genannt, ziehen sich im Sommer als scharfe Einschnitte und wilde, felsige Schluchten von den Höhen herab, und selbst der Schnee des Winters vermag ihr grausiges Gewirr nicht genugsam zu verhüllen. Schmilzt er aber unter der Wärme der plötzlich eintretenden heißen Jahreszeit, so stürzt sich die brausende, tobende und donnernde Wassermasse ganz unvorhergesehen mit weithin hörbarem Brüllen zur Tiefe und vernichtet alles, was nicht Zeit findet, die schleunige Flucht zu ergreifen. Dann faßt der Beduine an die neunundneunzig Kugeln seines Rosenkranzes, um Allah zu danken, daß er ihn nicht dem Wasser begegnen ließ, und warnt die Bedrohten durch den lauten Ruf: »Flieht, ihr Männer, der Wadi kommt!«

Durch diese zeitweilige Flut und die stehenden Wasser der Schotts werden an den Ufern der Seen und Wadis dornige Sträucher und stachelige Mimosen hervorgelockt, welche die Kamele vermöge ihrer harten Lippen benagen können, unter deren Schutze aber auch der Löwe und der Panther schlafen, um von ihren nächtlichen Razzias auszuruhen. –

Wie vorher bestimmt, war ich am andern Morgen mit Hassan, dem Kubbaschi, und Josef Korndörfer, dem Staffelsteiner, von Algier abgereist. Wirklich hatten wir bis Batna die Steppenpost benützt; hier aber stellte sich unserer Weiterfahrt ein unerwartetes Hindernis entgegen.

Noch war mir die wahrhaft halsbrecherische Fahrt mit einem italienischen Vetturino von den Alpen nach Italien hinunter im Gedächtnisse; noch klang mir das haarsträubende ›Allegro, allegrissimo!‹ welches er stets gerufen hatte, wenn ich ihn bat, langsamer und vorsichtiger zu fahren, in die Ohren; die alte Carrette wurde von den im Galopp bergab stürmenden Pferden am Rande grausiger Abgründe dahin- und um scharfe Felsenkanten herumgerissen, als habe ich meine Reise nur unternommen, um in der Tiefe irgend einer Gebirgsschlucht zerschmettert zu werden; und als ich endlich wohlbehalten die Ebene erreichte, war es mir, als sei ich einer Gefahr entronnen, gegen welche es für mich weder Wehr noch Waffe gegeben hatte.

Was aber war selbst diese Allegrissimotour gegen eine Reise mit der Steppenpost! Die Diligence bestand aus einem Wagen mit Interieur, Coupé und Blanquet und war mit acht Pferden bespannt, von denen zwei vorn und dann je drei neben einander gingen. Von einer Straße gab es keine Spur; die Fahrt ging immer in gestrecktem Laufe durch Löcher, über halsbrecherische Flußbetten, steile Pässe hinan, jähe Abhänge hinunter, und alle Augenblicke waren wir gezwungen, auszusteigen, um in rührender Geduld unsere Kräfte mit denen der unglücklichen Pferde zu vereinen, wenn es galt, den Wagen aus einem Loche herauszuarbeiten oder über eine Steilung hinwegzubringen, die selbst für einen Fußgänger beschwerlich gewesen wäre. Ich fühlte mich schon nach den ersten Stunden wie gerädert; Korndörfer raisonnierte ein ›Maschallah‹ nach dem andern, und Hassan el Kebihr gab sich mit allen Kräften denjenigen interessanten Zerstreuungen hin, welche gewöhnlich mit der Seekrankheit verbunden zu sein pflegen. Der gute Araber vom berühmten Stamme der Kubabisch und dem Ferkah en Nurab hatte noch nie in einem Wagen gesessen; ich mußte unwillkürlich an seine grandiose Versicherung denken: »Die Steppe bebt, und die Sahel erzittert, wenn Djezzar Bei erscheint!« jetzt bebte und zitterte er an allen Gliedern in der Steppe, und es war ihm anzusehen, daß es ihm ganz fürchterlich ›giaur‹ zu Mute sei.

Sein Grimm über diesen unwürdigen Zustand machte sich erst in Batna Luft:

»Allah kerihm, Gott ist gnädig, und ihm sei Dank, daß mich meine Haut zusammengehalten hat! Ist denn Hassan-Ben-Abulfeda-Ibn-Haukal al Wardi-Jussuff-lbn-Abul-Foslan-Ben-Ishak al Duli ein Blutegel, daß er wieder von sich geben muß, was er genossen hat? Ich schwöre es beim Barte des Propheten, daß Hassan el Kebihr nie wieder in ein Räderhaus steigen wird, wo ihm zu Mute wird, als ob er unter die Haschasch (Haschischraucher) gehöre! Djezzar-Bei, der Menschenwürger, hat seine Heimat im Serdj (Sattel); du wirst ihn nur nach Bab-el-Guhd bringen, Sihdi, wenn du ihm erlaubst, zu reiten!«

 

»Hassan hat Recht,« stimmte der Staffelsteiner bei. »Maschallah, tausend Schwerebrett, war dos aan Gerumpel und Gerassel in der alt'n Bude, die sie Diligence schimpfen! ich fahr' mit acht Pferden und soll halt noch selber Vorspann thun? Dos hält kaan Mensch nit aus! Ich war Chasseur d'Afrique und will lieber die ärgste Bestie reiten als noch 'mal in die Bud' hineinschau'n!«

Ich mußte den beiden erbitterten Passagieren Recht geben, zumal ich mich bereits entschlossen hatte, auf die weitere Benutzung der Diligence zu verzichten. Ein Aufenthalt in Batna war mir nicht gestattet, und so engagierte ich einen Beduinen, mich und meine zwei Begleiter auf Pferden nach Biscara zu schaffen, wo ich mir Kamele zur Weiterreise kaufen wollte. Er aber riet mir, dies nicht zu thun, sondern mit ihm über das Auresgebirge nach einem arabischen Duar zu gehen, wo ich bessere und zugleich billigere Kamele finden würde, als in Biscara.

Ich ging auf seinen Vorschlag ein, behielt mir aber vor, das Gebirge über den Fuhm-es-Sahar (Mund der Wüste) zu erreichen, um so lange wie möglich dem gewöhnlichen Reisewege folgen zu können. Ich konnte mir allerdings denken, daß ich im Duar frische und ungeschwächtere Tiere erhalten würde, als in der Stadt, wo vielleicht nur abgetriebene zu finden waren, die man notdürftig wieder aufgefüttert hatte; doch gab es noch einen Grund, welcher mich bestimmte, der Ansicht des Führers zu folgen. In den wilden Thälern des Auresgebirges ist der Löwe keine Seltenheit, und wenn ich auch wegen der Eile, mit welcher wir reisten, keine Hoffnung hatte, mit dem König der Tiere persönlich zusammenzutreffen, so war es doch vielleicht möglich, seine Spur zu sehen oder gar seine Stimme zu hören. Uebrigens war eine kleine Ewigkeit vergangen, seit ich den letzten Schuß gethan hatte, und ich fühlte eine wirkliche Sehnsucht, den Klang meiner Büchse wieder zu vernehmen und irgend ein jagbares Geschöpf auf das Korn zu nehmen. Zwischen den Bergen bot sich dazu jedenfalls die Gelegenheit, und ich suchte daher meinen Bärentöter und den Henrystutzen hervor.

Wir waren der Diligence voraus und gaben ihr auch keine Gelegenheit, uns einzuholen. Die Pferde, welche wir ritten, gehörten zu jener kleinen Berberrasse, deren brave Leistungen in keinem Verhältnisse zu ihrer Größe stehen. Wir saßen bereits zwölf Stunden im Sattel, und dennoch trabten sie in der Richtung, welcher wir noch vier volle Stunden zu folgen hatten, ganz unverdrossen dahin, und selbst das Grauschimmelchen, von dessen niederem Rücken die unendlichen Beine des ›großen Hassan‹ beinahe bis zur Erde niederhingen, schien sich aus seiner schweren Last nicht viel zu machen und blieb um keinen Schritt breit hinter uns zurück.

Vor und um uns lag die Steppe in gelblichem Lichte. So weit das Auge reichte, war das Plateau vollständig kahl und leer, aber diese Landschaft zeigte heute eine seltene und lebensvolle Staffage. Der Fuhm-es-Sahar, der Mund der Wüste, hatte sich geöffnet, um zahlreiche beduinische Hirten über die Steppe zu speien, welche ihre Herden den Wadis und Schotts zutrieben, um den spärlichen Pflanzenwuchs abzuweiden. Auf schnellen Pferden, mit wehendem Burnus und schimmernden Lanzen ihre Kamele und Schafe umreitend, zogen sie, gefolgt von ihren Frauen und Kindern, welche auf bunt bedeckten Dromedaren saßen, nach allen Richtungen über die Ebene dahin und brachten auf das ungewohnte Auge den Eindruck einer Phantasmagorie hervor, die einen halb wachen und halb träumenden Geist gefangen hält.

Von jetzt an traten die Höhenzüge, welche die weite Fläche begrenzten, näher aneinander und schoben sich endlich zu einem immer enger werdenden Felsenthale zusammen. Der Blick, welcher bisher in die unendlich scheinende Weite zu schweifen vermochte, wurde von kahlen, nackten Abhängen festgehalten, welche beinahe senkrecht aus der Thalsohle emporstiegen. Wir ritten zwischen ihnen und Abgründen, in deren unterster Tiefe das Auge das graugelbe Wasser eines reißenden Bergstromes erblickte, über welchen wir, nach abwärts gerichtetem Ritte bei ihm angelangt, drei- bis viermal setzen mußten. Es war der Wed-el-Kantara, in dessen Fluten Jules Gérard, der kühne Löwenjäger, seinen Tod gefunden hatte. An der Stelle, wo er in den Fluß gegangen war, hatte ihm eine vorüberziehende Abteilung französischer Truppen aus aufgehäuften Steinen ein einfaches Monument errichtet. Ich ließ halten.

»Hast du von Gérard, dem Löwentöter gehört, Josef?« fragte ich den Staffelsteiner.

»Versteht sich, Herr!« antwortete er. »Er war aan Franzos' und is endlich halt in das Wasser gestürzt und drin elend versoffn.«

»Kennst du den Emir-el-Areth, den ›Herrn des Löwen‹, Hassan?« fragte ich auch den Kubbaschi.

»Er war ein Ungläubiger, aber beinahe so tapfer wie Hassan el Kebihr,« antwortete er stolz. »Er hat den ›Herrn mit dem dicken Kopf‹ (den Löwen) des Nachts und ganz allein aufgesucht, um ihn zu töten; aber der Wangil-el-Uah (König der Oasen) hat ihn doch noch zerrissen und verzehrt, denn er war kein Moslem, sondern ein Mannaus dem Darharb (nicht muselmännisches Land).«

»Du irrst, Hassan. Der Emir-el-Areth wurde nicht von dem Löwen zerrissen, der eher hundert Moslemin als einen Christen erwürgt, sondern er starb hier in den Fluten des Wed-el-Kantara, und seine Brüder haben ihm dieses Denkmal erbaut. Nehmt eure Gewehre, ihr Männer; ihre Stimmen sollen seinem Geiste verkünden, daß der Wanderer den Gebieter des ›Herrn mit dem dicken Kopfe‹ kennt!«

»Soll meine Büchse zu den Ohren eines Geistes klingen, der den Er-Rait nicht kennt, Sihdi?« fragte Hassan.

»Auch der Christ lebt im Er-Rait (Anblick Gottes), wenn er gestorben ist, Hassan, denn Gott ist überall, auf allen Sternen und in allen Himmeln. Oder spricht nicht dein Prophet von Aissa (Jesus) und Marryam, Imrams Tochter (die heilige Jungfrau), die im Himmel wohnen und Gott sehen von Angesicht zu Angesicht?«

»Sihdi, warum bist du nicht ein Sayd (Abkömmling von Hassan und Hossein)! Du kennst den Fuhm-el-Kuran (Mund des Korans), die Hand-el-Ard (Rinnen der Erde) und die Battn-el-Djinne (Berge des Paradieses). Deine Stimme ist wie die Stimme des Khatib (Vorbeter in der Moschee), die nur die Wahrheit spricht. Ich werde thun, was du von mir forderst!«

Aus vier Läufen – denn auch der Führer fügte sich in meinen Willen – erklang eine dreimalige Salve zu Ehren des Löwenjägers, ein von den Felswänden wiederhallender Totengruß, welchen ein › Rifleman‹ dem andern brachte; dann ging der Ritt weiter nach dem Paß von Kantara.

Hier traten die Steinwände bis an die Ufer des Flusses heran, der die ganze Breite des Engpasses ausfüllte. Wir mußten fast eine Viertelstunde lang in den schäumenden Wellen reiten und gelangten dann in einen Thalkessel von wild-großartigem Charakter.

Steil, schroff und himmelhoch stiegen die schwarzgelben Schieferwände, an dem Fuße mit wirren Steinmurren bedeckt, ringsum empor und bildeten im Süden mit einer gigantischen Felsenmauer eine kolossale Schlucht, die einer klaffenden Wunde im Haupt des Gebirges glich.

Das war der Fuhm-es-Sahar; er führte hinab nach den Oasen des Siban. Die schroffen Felsen zur Rechten gehörten den Höhenzügen des Auresgebirges an; die dunklen Schieferwände zur Linken bildeten den Anfang des Dschebel Sultan. Zwischen ihnen lag das Karawanserai EI Kantara, wo wir für die Nacht Einkehr hielten.

Der Seraidschi bereitete uns einen echt türkischen Kawuah, und nachdem wir unser frugales Abendbrot verzehrt hatten, wurden die Pfeifen angebrannt, und ich lehnte mich zurück, um den Gesprächen der anwesenden Reisenden zu lauschen, welche außer uns und zwei von Tolga kommenden Juden sämtlich Araber waren, deren Weg sich hier am ›Munde der Wüste‹ begegnete.

Der Hauptsprecher war mein guter Hassan el Kebihr, welcher sich die größte Mühe gab, seinen Zuhörern einzuprägen, daß er Djezzar-Bei, der Menschenwürger, genannt werden müsse. Josef Korndörfer dagegen saß still neben mir und hielt, gelangweilt, seine Augen geschlossen. Nur zuweilen öffnete er sie, und dann vernahm ich entweder einen müden Seufzer oder ein zorniges Maschallah über die Selbstverherrlichung des Kubbaschi vom Ferkah en Nurab.