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Im Lande des Mahdi III

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»Unten. Tauchen wir nach ihm, sonst ertrinkt er uns.«

Nach dieser Aufforderung ließ ich mich sinken und wurde augenblicklich an einem Beine gepackt. Ich arbeitete mich empor und schwamm, Selim nach mir ziehend, dem Ufer zu. Er hing so fest an meinen Beinen, daß er selbst dann, als ich mich auf dem Trockenen befand, nicht losließ. Halb im Wasser und halb am Lande liegend, hatte er die Augen fest geschlossen und bewegte sich nicht. Ich mußte Kraft anwenden, um mich von seinem krampfhaften Griffe zu befreien.

»Er ist doch nicht tot?« fragte Ben Nil, welcher auch an das Ufer kam.

»Nein. So schnell ertrinkt niemand.«

»Aber ohne Besinnung. Ich will versuchen, ob er mich hört. Selim, Selim! Mach‘ doch die Augen auf!«

Er folgte dieser Aufforderung, sah uns an, kam sofort vollends an das Land, sah voller Angst nach dem Wasser rückwärts und schrie:

»Wo sind die Krokodile, wo? Schnell, fort von hier!«

Er wollte wirklich fort. Ich hielt ihn fest und gebot:

»Bleib‘, Feigling! Kein Krokodil wird so dumm sein, dich für einen guten Bissen zu halten. Du bist vollständig sicher hier. Es giebt kein Krokodil in der Nähe, aber mit unserer Jagd ist es nun auch zu Ende. Das kommt davon, daß wir dich mitgenommen haben. Ich wußte doch, daß es ohne irgend eine Dummheit nicht abgehen werde.«

Dieses Wort brachte ihn vollständig wieder zu sich. Er sah, daß keine Gefahr vorhanden war, Grund genug für ihn, eine möglichst würdevolle Haltung einzunehmen und mir in beleidigtem Tone zu antworten:

»Sprich ja nicht so, Effendi! Wer hat eine Dummheit gemacht, du oder ich? Wer hat uns nach diesem Grase gesteuert, welches ich für das feste Ufer halten mußte? Doch du?«

»Nein. ich wollte an demselben vorüber; da du aber, ohne von mir den Befehl dazu erhalten zu haben, das Ruder einzogst, so bekam das Boot eine falsche Wendung. Eigentlich hätten wir dich ertrinken lassen sollen; dann brauchten wir uns nicht mehr über einen solchen Dummkopf zu ärgern.«

»Dummkopf? Etwa ich? Nein, du kannst mich unmöglich meinen, Effendi. Und ich ertrinken? Ich sage dir, ich bin in allen Meeren und Flüssen so zu Hause, daß ich am Lande viel leichter ertrinken würde als im Wasser!«

»Wenn das ist, so gehe da hinein und hole das Boot, vor allen Dingen aber zunächst unsere Gewehre heraus!«

Da kratzte er sich die berühmten Stellen hinter den Ohren und schwieg. Meine Aufforderung war keineswegs ernstlich gemeint gewesen. Selim war nicht der Mann, uns wieder zu unsern Gewehren zu verhelfen. Ich mußte das selbst thun. Darum leerte ich meine Taschen, um den Inhalt derselben zum Trocknen in die Sonne zu legen, und gab auch den Gürtel mit allem, was sich in demselben befand, dazu. Nachdem ich mich der Stiefel entledigt hatte, ging ich in das Wasser. Es war leicht, die Flinten zu finden, da sie gerade an der Stelle unten lagen, an welcher der Unfall geschehen war. Während ich sie durch Untertauchen heraufholte, legte auch Ben Nil alles Ueberflüssige von sich, um nach dem Boote, welches kieloben trieb, zu schwimmen und es nach dem Ufer zu schaffen.

Dann saßen wir an letzterem, damit beschäftigt, die Schlösser und Läufe der Gewehre zu reinigen und zu trocknen. Dabei hielten wir die Augen dem Wasser zugekehrt und sprachen laut miteinander, da wir keinen Grund zu haben glaubten, leise zu reden und dem Walde hinter uns eine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Leider aber hatte der Häuptling, allerdings ohne Absicht, uns falsch berichtet. Seine Meinung, daß wir hier an diesem Ufer keinen Menschen treffen würden, erwies sich als falsch. Wir sollten Leute sehen, nicht bloß sehen, und zwar was für welche!

Ich war eben mit meinem Gewehre fertig geworden und wollte nun nach den Revolvern langen, um nachzusehen, wieweit sie vom Wasser gelitten hatten, da erklang hinter uns eine befehlende Stimme:

»Drauf! Haltet sie fest nieder und bindet sie!«

Ich wurde so schnell, daß ich nicht einmal Zeit fand, mich umzudrehen, viel weniger aber aufzuspringen, von hinten gepackt und niedergerissen. Drei oder vier dunkelfarbige Kerle knieten auf mir, und ein anderer bemühte sich, mir mit seinem Kopftuche die Arme an den Leib zu binden. Ich versuchte, sie abzuwerfen und mich aufzurichten; ich kam einige Male halb auf, wurde aber immer wieder niedergerungen, bis ich endlich gebunden und Widerstand also nicht mehr möglich war. Drei ähnliche, verwegen aussehende Menschen hatten Ben Nil bemeistert. Neben diesem lag Selim. Er, der »größte Held des Weltalls«, wurde von nur einem in Schach gehalten.

Jetzt, da wir unschädlich gemacht worden waren, ließ sich derjenige sehen, dessen Kommando wir gehört hatten. Er war im Gebüsch geblieben, um nicht etwa von uns verletzt zu werden. Jetzt, da er sich sicher fühlte, kam er hervor und redete uns an:

»Ihr seid hier am Maijeh Semkat, ihr Hunde? Das hat Allah gefügt! Er hat euch in meine Hand gegeben, und nun sollt ihr uns gewiß keinen Schaden mehr thun.«

Wir sahen zu unserm großen Erstaunen den Muza‘bir vor uns stehen, den Menschen, dem ich schon einige Male so glücklich entgangen war. Ich war der Meinung gewesen, daß er mit Ibn Asl gezogen sei. Warum war er hier am Maijeh zurückgeblieben, und was für Leute waren es, die er da befehligte?

Sein Gesicht drückte die größte Freude aus, als er, hart an mich herantretend, fortfuhr:

»Der Teufel ist dir wiederholt behilflich gewesen, uns zu entgehen, wenn wir dich ganz sicher zu haben glaubten. Dieses Mal aber wird dir seine Hilfe nichts nützen, denn wir werden dir vor allen Dingen keine Zeit zum Entkommen geben. Sobald wir mit dir das Lager erreichen, wirst du aufgehenkt. Leider ist dieser Tod ein viel zu schneller für dich; du solltest langsam totgemartert werden. Doch kann dies immer noch geschehen, wenn du dich weigerst, mir die Wahrheit zu sagen. Also willst du dir Schmerzen ersparen, so sprich aufrichtig. Wo kommt ihr her?«

Er sprach von einem Lager. Sollte Ibn Asl noch hier sein? Schwerlich! Mich aufs Schweigen zu legen, wäre albern gewesen; freilich konnte es mir auch nicht einfallen, ihm die Wahrheit zu sagen. Ich antwortete auf seine Frage:

»Wir drei kommen den Fluß herauf.«

»Weiter niemand?«

»Nein.«

»Lüge nicht, Giaur!«

»Ich sage die Wahrheit.«

»Nein, du lügst; dein Boot verrät dich. Solche Boote giebt es hier nicht; es kommt weiter her; es gehört zu einem Schiffe. Und das Schiff wird dasjenige des Reis Effendina sein. Gestehe es! Von wem hast du das Boot?«

Ich beschloß, diesmal die Wahrheit zu sagen, damit er das weitere nicht bezweifeln möge; darum antwortete ich ihm:

»Vorn Reis Effendina.«

»Dachte es mir! Wo liegt sein Schiff?«

»Unten im Flusse, anderthalbe Bootstagereise von hier.«

»Das soll ich glauben? Warum seid ihr nicht auch dort?«

»Weil er uns vorausgesandt hat, damit wir hier im Maijeh Nilpferdfallen stellen; unsere Asaker sollten übermorgen bei ihrer Ankunft gleich Fleisch finden.«

»Was wollt ihr überhaupt hier oben?«

»Wir suchen Ihn Asl.«

»Ah! Kennt ihr denn seine Seribah nicht?«

»Nein. Wir werden sie aber noch erfahren.«

»Ihr werdet nichts weiter erfahren, als wie es in der Hölle aussieht, denn ehe die Sonne gesunken ist, seid ihr tot. Seid ihr während eurer Fahrt auf keiner Seribah eingekehrt?«

»Wir hielten bei der Seribah Aliab an.«

»Wem gehört Sie?«

»Einem alten, lahmen Manne, welcher mit den Anwohnern des Flusses Handel treibt.«

»Vielleicht Sklavenhandel?«

»Nein. Er ist ein ehrlicher Mann und verkauft nur Waren.«

Da lachte er laut und höhnisch auf und sagte:

»So dumm kann doch nur ein Christ, ein verdammter Giaur sein! Mensch, um dein Gehirn muß es traurig stehen! Du hast dich von diesem »ehrlichen Manne« fürchterlich betrügen lassen. Wisse, diese Seribah Aliab gehört Ibn Asl, und der alte, lahme Mann, der sich für einen Händler ausgegeben hat, ist der Feldwebel des Sklavenjägers!«

»Alle Wetter!« rief ich aus, indem ich mich überrascht stellte.

»Ja, so ist es! Ihr wollt Ibn Asl fangen. Lächerlich! Er ist längst nicht mehr da, wo ihr ihn sucht.«

»Wo ist er denn?« fragte ich in beabsichtigter Naivetät.

»Wo er ist? Meinst du, daß ich dir das sagen werde?« lachte er, fügte aber, schnell wieder ernst werdend, hinzu. »Doch ja, ich will es dir sagen, um dir zu beweisen, daß wir dich nicht mehr zu fürchten brauchen, daß du verloren bist. Ibn Asl ist mit über zweihundert Kriegern nach Wagunda, um die dortigen Gohk-Neger zu Sklaven zu machen.«

»Warum gingst du nicht mit? Fürchtetest du dich?«

»Fürchten? Ich? Ich sollte dir eigentlich die Antwort auf diese Frage ins Gesicht hineinschlagen! Ich bin mit dem Mokkadem hier zurückgeblieben, weil Ibn Asl, sobald er Sklaven gemacht hat, den Weg gerade nach hier einschlagen wird. Wir bauen hier eine neue Seribah, nur leichte Hütten einstweilen, in denen die Sklaven, sobald sie kommen, untergebracht werden sollen, bis wir Gelegenheit finden, sie sicher an den Mann zu bringen. Du sollst diese neue Seribah sehen, denn wir werden jetzt nach dort aufbrechen.«

Er hatte neun Männer bei sich. Je zwei von ihnen nahmen Ben Nil und Selim zwischen sich; die anderen fünf mußten mich bewachen, und er gebot ihnen, außerordentlich aufmerksam zu sein. Das Boot blieb am Ufer liegen, wo es mit dem Stricke an einem Baume hing. Es sollte, wie ich hörte, später abgeholt werden.

Wir wurden fortgeführt, längs des Ufers hin. Nach kurzem hörte der Wald auf, und eh sah eine ziemlich weite, offene Grasfläche vor mir, welche bis an das Wasser trat. Dort wurde der Maijeh nur von einem schmalen Saum von Büschen eingefaßt. Diese Prairie war jedenfalls infolge eines Waldbrandes entstanden. Es ging über sie hinweg, wohl eine halbe Stunde lang; dann sahen wir, indem wir den Maijeh immer zur rechten Hand behielten, wieder Wald vor uns, an dessen Rande mehrere Hütten errichtet waren. Das kreisrunde Gemäuer derselben bestand aus Schlamm und Schilf. Die trichterförmig sich verjüngenden runden Dächer waren nur aus Schilf gefertigt. Diese Tokuls bildeten jedenfalls die neue, im Werden noch begriffene Seribah des Sklavenjägers.

 

Als wir uns derselben näherten, kamen uns vier Männer entgegen, drei mit afrikanischen Gesichtszügen. In dem vierten erkannte ich den Mokkadem der heiligen Kadirine. Wie staunte er, als er mich erblickte! Nachdem er seine Freude, mich als Gefangenen wieder bei sich zu sehen, einen mehr als reichlichen Ausdruck gegeben hatte, fragte er, wo und auf welche Weise wir ergriffen worden seien. Der Gaukler teilte ihm nun alles mit, was ich gesagt hatte und beide glaubten es, was freilich kein Beweis von großer Klugheit ihrerseits war.

Da der Muza‘bir mir gesagt hatte, daß ich schleunigst aufgehängt werden sollte, so war ich auf eine schnelle Flucht bedacht gewesen. Das Kopftuch, mit welchem man mir die Arme platt um den Leib gebunden hatte, mußte zerrissen werden. Es war nicht neu, aber noch fest. Ich mußte versuchen, es soweit zu bringen, daß man es für einen Augenblick öffnete.

Auf der Seribah befanden sich unsere beiden Todfeinde und die zwölf Asaker, welche Ibn Asl bei ihnen gelassen hatte. Sie alle waren zwar bewaffnet, legten aber, als wir die Hütten erreichten, ihre langen Gewehre ab. Die Pistolen und Messer, welche sie nun noch bei sich hatten, konnten mir nichts schaden. Etwas seitwärts weideten zwei Ochsen, Reitochsen, wie es schien. Die an den Nasenriemen befestigten Zügel waren ihnen um den Hals geschlungen. Es versteht sich, wie ich kaum zu bemerken brauche, ganz von selbst, daß man uns alle unsere Habseligkeiten abgenommen hatte.

Der Mokkadem war ganz damit einverstanden, daß wir durch den Strick sterben sollten, doch stellte er den Antrag, wenigstens mich vorher ein kleinwenig zu martern. Während man darüber verhandelte, flüsterte ich meinen beiden Gefährten, welche nahe bei mir standen, zu:

»Ich schneide euch los. Dann rennt ihr geradewegs, ohne euch umzusehen, nach unserem Boote und steigt ein, um sofort abrudern zu können, wenn ich nach euch komme.«

»Wie willst du schneiden können!« antwortete Ben Nil, für unsere Feinde unhörbar. »Du bist doch gebunden und hast kein Messer.«

»Ich mache mich frei.«

»Werden wir entkommen? Sie werden alle hinter uns her sein.«

»Hinter euch nicht. Ich schlage zunächst eine andere Richtung ein, und da sie es doch meist auf mich abgesehen haben, werden sie mir nachrennen und nicht euch. Wartet dann aber ja, bis ich komme, sonst werde ich doch noch erwischt!«

Ich bewegte die Oberarme, um das Tuch zu lockern. Das that ich nicht etwa heimlich, sondern man sollte es bemerken. Der Muza‘bir sah es zuerst, trat auf mich zu und sagte:

»Hund, willst du dich etwa losmachen? Das soll dir nicht gelingen. Ah, das Tuch ist wahrhaftig schon gelockert. Werde es wieder fester binden.«

Er bedachte nicht, daß er, um dies zu thun, den Knoten aufmachen mußte. Dieser wurde, allerdings nur für einen kurzen Moment gelöst; aber in demselben Augenblicke stieß ich die Ellbogen von mir ab, bekam die Arme frei, drehte mich nach dem Muza‘bir um, riß ihm mit der Rechten das Messer aus dem Gürtel, schlug ihm die Linke ins Gesicht, daß er hintenüber stürzte, dann zwei rasche Schnitte – Ben Nils und Selims Banden waren entzwei, und die beiden rannten, was sie nur laufen konnten, davon. Diese Bewegungen waren in größter Schnelligkeit geschehen, aber doch nicht zu schnell für den Mokkadem, welcher herbeisprang und mich beim linken Arme ergriff, um mich festzuhalten. Ich hatte das Messer in der Rechten, mußte von ihm los, wollte ihn aber doch nicht erstechen; darum warf ich es fort und schlug ihn mit der geballten Faust nieder, so daß er meine Linke fahren lassen mußte, und rannte dann auch fort, aber nicht gerade aus, wie meine Gefährten es thaten, sondern nach rechts in die Prairie hinein. Dabei mußte ich an den beiden Ochsen vorüber. Es kam mir ein Gedanke. Ich sprang auf den Rücken des einen, ergriff die Zügel und schlug ihm die Fersen so kräftig gegen die Weichen, daß er augenblicklich mit mir davonrannte. Schon nach den ersten Sprüngen, welche er that, bemerkte ich, daß er den Zügeln gehorchte und mich also, wenigstens in dieser Beziehung, nicht in Verlegenheit bringen werde.

Hinter mir schrieen die Sklavenjäger wie toll; sie rannten mir nach. Ich sah mich nach ihnen um und bemerkte, daß der Muza‘bir sich schnell wieder aufgerafft hatte und soeben den zweiten Ochsen bestieg, um mir auf demselben nachzujagen. Das war mir sehr lieb. Man bekümmerte sich nicht um Ben Nil und Selim, und ich hatte bereits einen solchen Vorsprung, daß ich nicht zu befürchten brauchte, eingeholt zu werden.

Leider aber erwies diese Zuversicht sich als unbegründet. Mein Ochse trat mit einem Vorderbein in ein Loch, welches ich nicht hatte bemerken können, da es mit Gras bewachsen war, blieb hängen und überschlug sich. Ich wurde abgeschleudert und flog in einem weiten Bogen mit solcher Gewalt zur Erde, daß ich eine kleine Weile wie geprellt liegen blieb. Dann raffte ich mich auf. Ich war unverletzt, aber der ganze Körper »brummte« mir, wie man dieses sonst schwer zu beschreibende Gefühl mit einem volkstümlichen Ausdrucke zu bezeichnen pflegt.

Der Ochse konnte nicht auf; er hatte den Fuß gebrochen, und ich war also auf die Schnelligkeit meiner eigenen Beine angewiesen. Der Muza‘bir war mir bis auf zweihundert Schritte nahe. Er stieß ein Triumphgeschrei aus und schwang die Pistole in der rechten Hand. Weit hinter ihm kam der Mokkadem mit den andern gelaufen. Die letzteren brauchte ich nicht zu fürchten, desto gefährlicher aber war mir der erstere; er holte mich auf alle Fälle ein. War es da nicht besser, ihn stehenden Fußes zu erwarten? Zwar war er bewaffnet und ich nicht, doch glaubte ich, mich auf meinen scharfen Blick und mein gutes Glück verlassen zu können. Ich blieb also stehen. Er kam herangejagt, richtete die Pistole auf mich und rief, wohl noch hundert Schritte von mir entfernt:

»Stirb, Hund! Willst du dem Stricke entgehen, so trifft dich meine Kugel!«

Er drückte ab und – traf mich nicht, wie mit fast absoluter Sicherheit zu erwarten gewesen war. Wer aus solcher Entfernung und auf einem Ochsen galoppierend mich treffen wollte, mußte ein besserer Schütze sein und jedenfalls auch eine bessere Waffe haben. Die Pistole hatte nur einen Lauf. Er steckte sie in den Gürtel und zog die andere. Noch einmal schoß er und fehlte wieder. Jetzt gehörte der Mann mir; darauf hätte ich jede Wette eingehen mögen.

Er steckte auch die zweite Pistole ein und riß das Messer aus dem Gürtel. Aus Wut über die beiden Fehlschüsse und im grimmigen Verlangen, meiner habhaft zu werden, verlor er das richtige Augenmaß und vergaß, sein Tier im richtigen Augenblicke zu zügeln. Es blieb nicht bei mir halten, sondern schoß eine kleine Strecke über mich hinaus. Er riß in die Zügel und versäumte dabei, sich nach mir umzusehen. Es waren nur wenige Augenblicke, welche er verlor, doch genügten sie mir vollständig, seine Unvorsichtigkeit zu benutzen. Ich rannte ihm nach, und noch hatte er den Ochsen nicht vollständig zum Stehen gebracht, so sprang ich hinter ihm auf und preßte ihm mit meinen Armen die seinigen fest an den Leib, das Tier erschrak und rannte in erneutem Laufe weiter.

»Hund!« brüllte er, »laß mich los, sonst brechen wir beide Hals und Beine!«

»Ich breche nichts,« lachte ich; »aber dir zerknicke ich die Knochen. Laß das Messer fallen, sonst drücke ich dir die Rippen ein!«

Er hielt mit beiden Händen die Zügel und nebenbei das Messer in der Rechten. Er ließ es fallen, als ich bei meinen Worten die Arme fester um ihn schlang.

»Halt ein!« stöhnte er, »du zermalmst mir die Brust!«

»Falls du gehorchst, geschieht dir nichts; im ersten Augenblicke des Ungehorsams aber zerquetsche ich dich wie eine faule Frucht. Du hast die Zügel. Lenke den Ochsen mehr nach links!«

Seine Leute waren immer noch so weit zurück, daß ich sie nicht zu beachten brauchte. Meine beiden Begleiter hatten die Savanne durchquert; sie näherten sich, wie ich sah, dem jenseitigen Walde und konnten nicht mehr belästigt werden. Es handelte sich nur noch darum, ihnen zu folgen, und zwar nicht allein; der Muza‘bir mußte mit. Darum zwang ich ihn, nach links einzubiegen, in die Richtung, welche mich zu unserm Boote führte. Ich preßte ihm die Rippen so zusammen, daß er gezwungen war, meinen Befehl auszuführen. Er stöhnte laut unter meinem Griffe, gehorchte aber, ohne ein Wort zu sagen.

Der Ochse stürmte in vollem Laufe über die Prairie dahin und dem Walde zu. Die Sklavenjäger schlugen hinter uns unter der Leitung des Mokkadem dieselbe Richtung ein. Sie schrieen wie besessen, konnten mir aber nun nicht die geringste Sorge mehr machen. Wir hatten beinahe den Wald erreicht, da hob der Muza‘bir das eine Bein, um es auf die andere Seite des Ochsen zu bringen und dadurch vielleicht meiner Umarmung zu entschlüpfen. Ich war keineswegs gewillt, mich damit zu begnügen, daß ich meinen Feinden entkommen war. Hatte ich diesen Menschen einmal in meinen Händen, so sollte er auch in denselben bleiben. Darum ließ ich ihn für einen kurzen Augenblick los, faßte ihn mit der Linken am Halse und schlug ihm die Faust gegen die rechte Schläfe. Er ließ das bereits erhobene Bein wieder sinken und wollte mit dem Oberkörper nach vorn fallen. Ich riß die Zügel aus seinen erschlaffenden Händen und zog mit der andern Hand seinen jetzt wie leblosen Körper wieder an mich.

In diesem Augenblicke hatte ich den Wald erreicht und mußte den Ochsen zügeln. Er gehorchte und schritt langsamer vorwärts. Dennoch war es nicht leicht, mich auf seinem Rücken zu halten, ohne den Muza‘bir fallen oder mich von dem Gezweig abstreifen zu lassen. Später, als die Bäume dichter zusammentraten, sah ich mich gezwungen, abzusteigen. Ich ließ den Ochsen laufen, nahm den Muza‘bir auf die Schulter und eilte der Stelle zu, an welcher ich das Boot wußte.

Es lag noch da. Ben Nil und Selim saßen, meiner ängstlich wartend, darin.

»Hamdulillah!« rief mir der erstere, als er mich sah, entgegen. »Wie gut, daß du kommst! Wir hatten große Sorge um dich, Effendi. Aber wen bringst du da getragen? Das ist – —bei Allah, das ist ja der Muza‘bir!«

»Allerdings! Er wollte uns haben, und da haben wir ihn!«

»Welch ein Glück! Welch ein Streich von dir! Wie hast du das fertig gebracht?«

»Davon später. Jetzt müssen wir rasch fort, denn die Verfolger werden bald da sein.«

»Sie haben unsere Waffen und Sachen. Wollen wir ihnen das lassen?«

»Nur für einstweilen. Jetzt gilt es, von hier fortzukommen.«

»Direkt über den Maijeh?«

»Nein. Sie würden uns sehen und also erfahren, wohin wir uns wenden. Wir rudern immer nahe am Ufer zurück, wo sie uns nicht entdecken können. Sind wir dann unserer Nilpferdfalle gegenüber angekommen, so ist es inzwischen dunkel geworden, daß sie unser Boot nicht mehr sehen können, wenn es quer über den Maijeh geht.«

Ich war während dieses kurzen Wortaustausches in das Boot getreten, hatte den besinnungslosen Muza‘bir niedergelegt und mich dann an das Steuer gesetzt. Die beiden legten sich in die Ruder, und wir flogen, uns so nahe wie möglich an das Ufer haltend, unter den Bäumen dahin. Die Sonne stand schon tief hinter dem jenseitigen Walde, und mußte in einigen Minuten hinter dem Horizonte verschwinden. Wir beeilten uns, bis dahin diejenige Stelle zu erreichen, an welcher wir, der Nilpferdfalle gegenüber, vorhin gelandet waren und vergeblich nach Federwild gesucht hatten. Während die beiden fleißig ruderten, erzählte ich ihnen, auf welche Weise es mir gelungen war, mich des Muza‘bir zu bemächtigen. Als ich diese Mitteilung beendet hatte, sagte Ben Nil:

»Wer hätte das gedacht! Als man uns fortschleppte und von unserm Tode sprach, glaubte ich alles verloren. Und nun ist das Gegenteil geschehen; wir kehren als Sieger zurück, denn wir haben den Muza‘bir gefangen.«

Er war meines Lobes voll; sein Mund floß über. Selim aber verhielt sich schweigend; er sagte kein Wort, sodaß Ben Nil ihm unwillig zurief:

»Und du bist still? Kannst du dem Effendi nicht danken? Ohne ihn hingst du jetzt, gerade wie ich auch, an einem Baume!«

Selim begann nun wieder seine gewöhnlichen Prahlereien; ich gebot ihm aber Schweigen, weil wir an der ins Auge gefaßten Stelle angekommen waren und der Muza‘bir sich zu regen begann. Wir legten an und fesselten den letzteren mit seinem eigenen Gürtel. Er ließ das geschehen, ohne einen Laut von sich zu geben oder nur den leisesten Versuch des Widerstandes zu machen.

Die Schatten des Waldes lagen schon längst auf dem Wasser; jetzt begann es zu dunkeln, und wir stießen nun wieder ab, um den Kiel gerade nach der Nilpferdfalle zu richten, wo das Schiff im Dunkel des Abends lag. In Anbetracht der Feinde, denen wir entkommen waren, war es mir lieb, daß kein Licht auf demselben brannte. Sie hätten es vielleicht doch drüben sehen können.

 

Der Reis Effendina hatte Posten ausgestellt, befand sich aber bei den Tokuls der Bor. Wir begaben uns dorthin, indem wir den Muza‘bir so fest zwischen uns nahmen, daß es keine Möglichkeit des Entkommens für ihn gab. Wie staunte der Emir, als er ihn sah und von mir hörte, was geschehen war! Man hatte schon ein Feuer angezündet. Er nahm den Gefangenen beim Arme, schob ihn näher zu der Flamme, warf einen finstern, forschenden Blick auf ihn und fuhr ihn dann an:

»Kennst du mich?«

Als der Gefragte nicht antwortete, wiederholte er:

»Weißt du, wer ich bin? Antworte, sonst laß ich dich hauen, daß dir das Fleisch von den Knochen fällt!«

»Du bist der Reis Effendina,« erklang es in trotzigem Tone.

»Ja, der Reis Effendina, der bin ich. Aber weißt du denn auch, was das für dich bedeutet? Als Reis Effendina bin ich dein Richter, und du wirst von mir gehört haben, daß ich nicht zu fackeln pflege.«

»Ich habe dich nicht zu fürchten!«

»Ob du dich vor mir fürchtest oder nicht, das ist deine Sache; die meinige aber ist, den Stab der Gerechtigkeit zu schwingen.«

»Falls du gerecht bist, mußt du mich entlassen. Ich habe dir nichts gethan.«

»Du bist Sklavenjäger!«

»Beweise es mir! Bringe mir einen Sklaven, den ich gefangen habe!«

»Belle nur, Hund; bald wirst du winseln! Hast du nicht diesem Effendi nach dem Leben getrachtet?«

»Er lügt. Und selbst wenn es wahr wäre, müßte er sich nicht an dich, sondern an seinen Konsul wenden.«

»Du irrst. Du bist Unterthan des Vizekönigs, an dessen Stelle ich hier vor dir stehe. Deine Missethaten sind mir alle bekannt. Der Effendi hatte sehr oft Nachsicht mit euch; ich aber wußte, daß du in dem Augenblicke, an welchem ich dich fassen würde, verloren seist. Jetzt habe ich dich, folglich ist es aus mit dir.«

»Bringe mir Beweise! Was andere sagen, geht mich nichts an. Ich kann Zeugen dafür bringen, daß ich nichts gethan habe und fälschlicherweise angeschuldigt werde.«

»Ich will mich durch deine Worte nicht erzürnen lassen, weil du in meinen Augen bereits eine Leiche bist und ich mich über einen Toten unmöglich ärgern kann. Deine Zeugen gelten nichts; ich glaube denen, die deine Ankläger sind. Mein Gesetzbuch ist dasjenige der Wüste: Gleiches mit Gleichem. Wehe dem, der wehe thut! Aziz, bringe einen Strick!«

Aziz war bekanntlich der Liebling und Urteilsvollstrecker des Reis Effendina. Er ging in einen Tokul, um den verlangten Strick zu holen. Als er ihn brachte, rief der Muza‘bir aus:

»Effendina, willst du etwa Ernst machen? Bedenke die Verantwortung! Der Mokkadem der heiligen Kadirine ist mein Freund. Er weiß, daß ich unschuldig bin, und würde dich wegen meines Todes vor den Vizekönig fordern!«

»Dieser Mokkadem ist auch mein Freund und wird, noch ehe es Morgen wird, zu seinem Vergnügen hier neben dir hängen. Hinauf mit ihm an den Ast!«

Drei Asaker hielten den Muza‘bir fest; Aziz legte ihm die Schlinge um den Hals, um das andere Ende des Strickes zwei andern Asakern, welche auf den nächsten Baum kletterten, zuzuwerfen. Der Verurteilte versuchte, sich zu wehren. Er schrie und heulte, in einem fort seine Unschuld beteuernd. Ich konnte es nicht unterlassen, den Emir um Gnade zu bitten, erhielt aber, wie zu erwarten stand, die zornige Antwort:

»Schweig‘! Du weißt, wie oft ich dir zuliebe Milde walten ließ. Hätte ich das nicht gethan, so wären wir längst mit diesen Hunden fertig. Kommst du nun, da wir fast am Schlusse stehen, mir wieder mit solchen Bitten der Schwachheit und des Unverstandes, so begiebst du dich in die Gefahr, mich in der Weise zu erzürnen, daß ich nichts mehr von dir wissen mag. Halte also den Mund, und entferne dich, wenn du es nicht vertragen kannst, einen solchen Halunken hängen zu sehen!«

Nun, das war deutlich genug! In dieser Weise hatte noch kein Freund zu mir gesprochen. Ich verzichtete natürlich auf jedes weitere Wort und wendete mich schweigend ab. Es widerstrebte mir zwar, Augenzeuge der Hinrichtung zu sein, doch war es keineswegs Schwäche, welche mir meine Bitte diktiert hatte. Darum blieb ich seitwärts stehen, um zuzusehen.

Der Muza‘bir bekam einen zweiten Strick unter den Armen hindurch, an welchem er emporgezogen wurde; dann band man den ersten Strick, dessen Schlinge ihm um den Hals ging, an einem starken Aste fest. Nun wurde der vorige Strick losgelassen, und die Schlinge zog sich fest; die Arme und Beine bewegten sich eine kurze Zeit krampfhaft in der Luft, worauf sie schlaff herabhingen. Als dies geschehen war, kam der Emir zu mir. Sein Zorn war so schnell verraucht, wie er gekommen war.

»Effendi, die Gerechtigkeit ist befriedigt, doch nicht vollständig,« sagte er. »Wir müssen auch den Mokkadem noch haben. Hoffentlich wirst du mir dabei deine Hilfe nicht versagen?«

»Wie kommst du zu dieser Frage?«

»Infolge deiner sogenannten Humanität. Du wolltest vorhin den Muza‘bir freibitten, und ich muß dir aufrichtig sagen, daß ich den Mokkadem, sobald wir ihn haben, an dem selben Baume aufhängen lassen werde. Ist dir das nicht recht, so mag Ben Nil uns nach der neuen Seribah führen, und du bleibst hier, damit dein zartes Gewissen dir später keine Vorwürfe machen kann.«

»Mein Gewissen ist ebenso kräftig wie das deinige. Laß tausend Menschen hängen, ich sehe ruhig zu, wenn sie es verdient haben. Wenn aber ich es bin, an dem sie sich versündigten, so halte ich es für meine Pflicht, wenigstens ein gutes Wort für sie einzulegen. Fruchtet das nichts, so habe ich eben meine Schuldigkeit gethan und brauche mir nichts vorzuwerfen.«

»So bist du einverstanden, daß ich den Mokkadem auch hängen lasse, und wirst mitgehen?«

»Ja.«

»Das ist mir sehr lieb, denn du bist ein besserer Führer und Berater, als Ben Nil es sein würde. Ich muß dich sogar schon jetzt um deinen Rat bitten. Denkst du, daß wir die Schufte ergreifen werden?«

»Ich bin überzeugt davon.«

»Und ich befürchte, daß sie entflohen sein werden. Sie können sich doch denken, daß du zurückkommst!«

»Wenn sie dies denken, so glauben sie doch jedenfalls nicht, daß ich so bald komme. Ich habe dafür gesorgt, daß sie sich heute noch sicher fühlen. Sie glauben, du seist anderthalbe Tagereise von hier entfernt. Ich muß, da man uns die Waffen abgenommen hat, auf deine Ankunft warten, ehe ich etwas gegen sie unternehmen kann. Ich bin ihnen entflohen, jedenfalls weit fort, um von ihnen nicht gefunden zu werden. Das ist ihre Ansicht, und darum werden sie sich auf ihrer neu angelegten Seribah so sicher fühlen, als ob heute gar nichts geschehen wäre.«

»Wenn du dich nicht irrst, so sind wir allerdings sicher, ihrer habhaft zu werden. Wann brechen wir auf?«

»Möglichst bald. Ich bin schon jetzt bereit dazu. Wir haben zwei Boote und brauchen uns nur eins noch von den Bot zu borgen, so fassen sie mehr Leute, als wir brauchen, um diese wenigen Gegner zu überwältigen.«

»Da müssen wir aber einen anderen Weg nehmen, daß sie unser Kommen nicht bemerken.«

»Natürlich! Sie wissen, daß wir in westlicher Richtung geflohen sind, und werden also, falls sie überhaupt aufpassen, ihre Aufmerksamkeit nach dieser Gegend wenden. Wir müssen von Osten kommen. Um dies zu können, rudern wir im Schatten der Bäume immer nahe am diesseitigen Ufer hin, bis wir über die jenseits liegende neue Seribah hinaus sind. Dann fahren wir quer über den Maijeh, landen, lassen die Boote zurück und schleichen uns zu Fuße zu ihnen hin.«

»Können wir uns nicht verirren?«

»Nein. Der Mond geht bald auf. Dann ist der dunkle Wald am jenseitigen Ufer leicht von der Savanne zu unterscheiden, an deren Rande die Seribah liegt. Nimm außer mir und Ben Nil zwanzig Mann mit. Das genügt.«