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Das Vermaechtnis des Inka

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Die Begeisterung des Kleinen nahm sich höchst possierlich aus, und doch war sie sehr ernsthaft gemeint. Der Vater Jaguar nickte dem Knaben freundlich zu und sagte:

»Recht So, mein lieber Señorito! (Kleiner Herr, Herrchen). Es geht auch älteren Leuten, als Sie sind, das Herz auf, wenn vom heiligen Vaterlande die Rede ist. Sie scheinen ein braver Knabe zu sein, und so will ich es mir überlegen,

ob es möglich sein wird, den Wunsch Ihres Oheims zu erfüllen.«

»Thun Sie es, Señor, thun Sie es!« bat der Knabe. »Ich werde Ihnen gern gehorchen und mich in alles schicken.«

»Ja, thun Sie es!« bat auch der Bankier. »Sie erweisen mir damit einen großen, sehr großen Dienst.«

»Es kommt nicht nur auf mich, sondern auch auf meine Gefährten an,« antwortete der Vater Jaguar. »Wir werden uns besprechen. Bange dürfen Sie um den Knaben nicht sein, denn von Santa Fe aus, wo der Ritt beginnen würde, sind wir vierundzwanzig Mann, von denen kein einziger sich vor dem Schlimmsten fürchtet. Freilich würde die Reise anders, besonders langsamer, vor sich gehen, als Sie sich denken. Ihren Neffen glücklich hinüberzubringen, das kann für uns nur nebensächlich sein, da wir andre Aufgaben zu lösen haben, die sich nicht aufschieben lassen. Eine Abteilung von uns wird im Gran Chaco bleiben, um dort Thee zu sammeln.«

»lm Gran Chaco?« fragte da der kleine Gelehrte. »Gibt es dort nicht auch Versteinerungen, Señor Hammer?«

»Erst recht! Mehr als anderswo! In der Pampa hat man schon überall gesucht, im Chaco aber nicht, weil sich wegen der dortigen Indianer kein Forscher hingetraute.«

»So ist der Boden dort noch jungfräulich in dieser Beziehung?«

»Ja. Ich weiß Orte, an denen man nur nachzugraben braucht, um ausgezeichnete Funde zu machen.«

»Hurra! Da lasse ich Pampa Pampa sein, und gehe mit nach dem Gran Chaco! Einen solchen Vorteil, lateinisch Fructus und auch Commodum genannt, darf ich mir unmöglich entgehen lassen!«

»Nicht so rasch, mein Lieber! Von Buenos Ayres bis in den wilden Chaco kommt man nicht so leicht, wie von Jüterbogk nach Berlin. Und dort gibt’s auch keine deutschen Männergesangvereine. Sie könnten leicht mit Ihrem schönen ersten Baß den Todesgesang anstimmen müssen.«

»Wenn auch! Geben mir die Indianer die Noten dazu, so

singe ich ihn vom Blatte, prima vista, wie wir Deutschen sagen, wenn wir etwas gelernt haben. Sie nehmen mich doch hoffentlich mit?«

»Hoffentlich?« brummte der Vater Jaguar, indem er ein bedenkliches Gesicht machte. »Hm! Sie sprechen doch wohl nur im Scherze?«

»Es ist mein völliger Ernst, asseverare oder serio, wie der Lateiner sich ausdrücken würde.«

»Bitte, lieber Señor Morgenstern, gehen Sie in sich, und fragen Sie sich, ob Sie der Mann zu einem so gewagten Unternehmen sind!«

»Für ein Mastodon oder ein Glyptodon wage ich alles, selbst mein Leben. Sie werden doch einem Landsmann aus Jüterbogk seine Bitte nicht abschlagen!«

»Vom Abschlagen kann jetzt noch keine Rede sein, da ich Señor Salido noch nicht zugesagt habe. Es ist noch nicht genau bestimmt, wann wir abreisen, und bis dahin kann sich vieles ändern.«

Es war ihm ganz und gar nicht übel zu nehmen, daß er auf seinem gefährlichen Ritte nur zuverlässige Leute bei sich haben wollte. Man sah es ihm an, daß ihm der Antrag nicht angenehm war. Darum brachte der Wirt das Gespräch auf ein andres Thema, infolgedessen sich das Gesicht des Vaters Jaguar schnell wieder aufheiterte. Er glaubte, dem kleinen roten Gelehrten entgangen zu sein, hatte aber wohl noch nicht erfahren, mit welcher Beharrlichkeit solche Herren an einem einmal gefaßten Gedanken festhalten.

Die Gäste blieben bis nach dem eingenommenen Abendmahle. Als sie sich dann verabschiedeten, war der Wirt so zartfühlend, seinen Wunsch nicht zur Sprache zu bringen. Er wußte, daß der Vater Jaguar wiederkommen werde, um seine Anweisung zu präsentieren, und dann konnte über die Angelegenheit ja nochmals gesprochen werden. Doktor Morgenstern aber war weniger skrupulös; er nahm Hammer beim Arme und fragte in bestimmtem Tone:

»Also, Señor, wieviel Pferde soll ich mir kaufen?«

»Pferde? Wozu?«

»Nun, zu unsrer Reise. Ich muß doch Pferde haben und Hacken und Schaufeln und sonstige Werkzeuge.«

»Weiter nichts?« fragte der Vater Jaguar in beinahe zornigem Tone.

»Was sonst noch?«

»Einen Eisenbahngüterzug. Oder meinen Sie, wenn Sie den Riesenelefanten ausgegraben haben, laufe er allein nach Jüterbogk, um dort Mitglied Ihrer “Deutschen Lyra” zu werden?«

»Mein Himmel! Verstehen Sie es aber, einen anzublitzen und anzudonnern!« rief der Kleine, indem er erschrocken zurückfuhr. »Wir wollen doch in Ruhe und Freundlichkeit verhandeln, Señor. Ich werde Ihnen gar nicht zur Last fallen. Ich bin nicht allein; ich nehme einen Diener mit.«

»Ah! Was für einen?«

»Einen guten Germanen. Er heißt Fritz Kiesewetter und ist aus Stralau am Rummelsburger See.«

»So! Das soll ein Trost für mich sein? Lassen Sie Ihren Rummelsburger nur getrost dort, wo er ist. Da befindet er sich jedenfalls besser als im Gran Chaco, wo es keinen Stralauer Fischzug mit Eisbein und Weißbier gibt.«

Bei diesen Worten ging Hammer zur Thür hinaus und ließ den Kleinen stehen. Seine Gefährten folgten ihm und der Bankier begleitete sie bis an den Ausgang. Eben als sie im Begriff standen, sich dort zu verabschieden, kam der Kriminalbeamte, welcher den gestrigen Vorfall zu untersuchen hatte, und meldete, daß der Espada Antonio Perillo der Thäter nicht gewesen sein könne, da er im stande sei, seine Unschuld durch ein unanfechtbares Alibi zu beweisen.

Die Herren sprachen noch einige Zeit über diese Angelegenheit. Sie wurden dabei von dem Licht, welches ein Peon hielt, hell beleuchtet und bemerkten nicht, daß sie mehrere, wenn auch nicht Ohren, – so doch Augenzeugen hatten.

Als der Polizist vorhin in die Straße, in welcher die Quinta stand, eingebogen war, hatte er dieselbe nicht allein betreten, sondern es waren ihm zwei Männer gefolgt, so heimlich und so leise, daß ihm ihre Gegenwart entging. Jetzt standen sie drüben auf der andern Seite der Straße. Es war dunkler Abend; aber selbst wenn es heller gewesen wäre, hätte man sie schwerlich sehen können, da sie sich dicht an das Gebüsch des Oleanderzaunes

schmiegten. Bei mehr Beleuchtung hätte ein Lauscher bemerken können, daß von diesen beiden Männern der eine älter als der andre war. Der jüngere aber war – Antonio Perillo, der heute leicht verwundete Espada.

»Dachte es mir, daß dieser Vigilant zum Bankier gehen würde,« flüsterte er seinem Begleiter zu. »Wir haben also nicht umsonst vor seiner Wohnung gelauert. Möchte wissen, was er zu sagen hat.«

»Das weiß ich sehr genau,« antwortete der andre ebenso leise. »Er wird ihm sagen, daß du gestern um die betreffende Zeit bei mir gewesen bist.«

»Und wenn man es nicht glaubt und die Untersuchung einleitet?«

»So werde ich es schon einzurichten wissen, daß meinen Aussagen Glauben beigemessen wird.«

»Nun, ich wünsche, daß es gelinge, vorläufig glaube ich nicht daran. Bist du denn plötzlich fromm geworden, obgleich es auch dir an den werten Kragen gehen kann? Es war eine Dummheit von euch, die Sache in dieser Weise abmachen zu wollen. Der Kleine war gestern doch nicht zum letztenmal auf der Straße, und dann hätte ein stiller Messerstich viel leichter und besser gewirkt als eure unsinnige Schießerei. Ich bin – — Tempestad – Donnerwetter!« unterbrach er sich. »Wer ist denn der Kerl?«

»Welcher?«

»Der Riese, welcher neben dem Bankier steht.«

Der Schein des Lichtes war soeben hell auf Hammers Gesicht gefallen.

»Den kennst du nicht?« fragte Antonio Perillo. »Ah, ich vergaß, daß du heute nicht mit beim Stiergefecht warst. Das ist der Vater Jaguar, der Halunke, der uns alle so blamiert hat. El diabolo se le lleve – der Teufel hole ihn!«

»Der – Va – ter – Ja – gu – ar?« fragte der Aeltere, indem er die einzelnen Silben weit auseinander dehnte. »Der also ist der Vater Jaguar! Der!«

»So kennst du ihn?«

»Und ob ich ihn kenne! Also so lange Jahre habe ich mich gesehnt, den Vater Jaguar zu sehen, und der Zufall, oder vielmehr mein gutes Glück hat mir diesen Wunsch stets versagt. Und nun ich ihn sehe, glücklicherweise ohne daß er mich sieht, muß ich erfahren, daß es dieser – dieser – dieser ist! Welch eine Neuigkeit! Welch eine Erfahrung, die ich da mache!«

Er flüsterte diese Worte abgebrochen, lang gedehnt und doch wie abwesend. Antonio Perillo konnte sich dieses Verhalten seines Gefährten nicht erklären; darum fragte er:

»Was ist’s denn mit dir? Wie redest du? Wer ist er denn?«

»Wer er ist, das will ich dir sagen; du kennst ja die Geschichte. Dieser Mann wurde bei den nordamerikanischen Indianern Metana Mu (* Die blitzende Hand.) genannt.«

»Dieses Wort verstehe ich nicht.«

»Die englisch sprechenden Jäger, nennen ihn Lightning-hand (* Die blitzende Hand.).«

»Auch Englisch verstehe ich nicht.«

»So sollst du hören, daß er bei den spanisch redenden Mexikanern El Mano relampagueando (* Die blitzende Hand.) hieß.«

»Wie? Was? Ist das möglich?« fragte Perillo betroffen. »So ist er also der Bruder jenes – jenes – — den du damals –?«

»Ja, ja, jenes – jenes – den ich damals –! Dieser Lightning-hand befindet sich schon so lange hier unter dem Namen des Vater Jaguar. Er ist also gleich darauf nach Argentinien gekommen. Er hat meine Fährte entdeckt und ist mir gefolgt, um den Tod seines Bruders zu rächen, hat mich aber nie getroffen, ebenso aus Zufall, wie ich ihn auch nie gesehen habe.«

»So ist es; ja, so ist es; anders kann es nicht sein. Nimm dich in acht!«

»Das werde ich. Nun ich die große Gefahr kenne, in welcher ich so lange geschwebt habe, ohne es zu ahnen, werde ich ihr in meiner Weise begegnen. Er sucht mich und hat mich nicht gefunden; ich aber habe ihn gefunden, ohne ihn zu suchen. Er wird mir nicht entkommen.«

 

»Du willst ihn – — —?«

»Ja.«

»Gerade wie seinen Bruder?«

»Geradeso! Oder meinst du etwa, daß ich ihn leben lassen soll, um ihm in die Hände zu laufen? Uebrigens was thut er hier bei diesem Bankier Salido, bei dem der kleine Rote wohnt, der sich wie ein Gaucho kleidet, ohne einer zu sein?«

»Das ist allerdings ein Umstand, welcher auch mir auffällt.«

»Sollten beide befreundet sein? Dieser Zwerg und dieser Riese? Sie müssen beide verschwinden. Willst du mir helfen?«

»Frage nicht erst! Es versteht sich ganz von selbst, daß meine Hand, mein Messer und meine Kugel dir gehören. Wir sind verwandt und haben gleiche Interessen.«

»So müssen wir zunächst erfahren, wo dieser Vater Jaguar wohnt. Horch!«

Der Gerichtsbeamte entfernte sich zuerst. Er wiederholte zu Perillos Freude mit lauter Stimme, daß dieser unschuldig sei. Dann ging, nachdem er mit dem Bankier noch einige höfliche Worte gewechselt hatte, auch der Vater Jaguar mit seinen drei Gefährten.

»Jetzt ihm nach!« flüsterte der Kamerad Perillos. »Wir müssen unbedingt erfahren, wo er sich aufhält. Lassen wir ihn also ja nicht aus den Augen!« – —

Zweites Kapitel: Die Gigantochelonia

Es war ungefähr vierzehn Tage später, als ein aus Rozario kommender Dampfer an der Landestelle von Santa Fe anlegte. Die Gehbretter wurden ausgeworfen, und die Passagiere beeilten sich, an das Land zu kommen. Am Ufer gingen mehrere Offiziere auf und ab, denen bei der Leblosigkeit der innern Stadt die Landung der Fremden ein willkommenes Schauspiel bot.

Die letzten beiden an das Land Gehenden waren zwei kleine Gestalten, als Gauchos ganz in Rot gekleidet und zwar so ähnlich, daß man sie in Beziehung auf ihre Anzüge sehr leicht hätte verwechseln können. Sie trugen beide auch genau dieselben Waffen, nämlich jeder ein Gewehr, zwei Revolver, deren Griffe aus dem Gürtel blickten, und ein Messer. Als die Offiziere diese zwei Männer erblickten, schienen sie sehr überrascht zu sein. Einer von ihnen, ein Kapitän, sagte zu den andern:

»Was ist das? Da kommt Coronel (Oberst) Glotino, und zwar verkleidet! Will er unerkannt bleiben, oder machen wir ihm die Honneurs?«

»Warten wir ab, ob er uns beachtet,« meinte ein Oberlieutenant.

Die beiden Roten kamen langsam näher und zwar gerade auf die Offiziere zu. Diese schlugen also die Füße sporenklirrend zusammen und erhoben die Hände zum Salut.

»Buenos mañanas – guten Morgen!« dankte der kleine Gelehrte, denn dieser war es, indem er Zeig- und Mittelfinger seiner rechten Hand an die Hutkrempe legte. Sein Begleiter, Fritz Kiesewetter

aus Stralau, that dasselbe. »Schönes Wetter heute, Señores. Nicht?«

»Allerdings, mein Oberst,« antwortete der Hauptmann. »Euer Gnaden haben eine gute Fahrt gehabt. Werden der Herr Oberst heute hier bleiben?«

»Vielleicht.«

»Befehlen Euer Gnaden die Dienstwohnung?«

»Ich befehle nichts.«

»Ich verstehe,« nickte der Hauptmann verständnisinnig. »Aber die Wohnung steht trotzdem zur augenblicklichen Verfügung.«

»Schön! Ich nehme sie gern an.«

»Erlauben der Herr Oberst, Sie zu begleiten?«

»Ich erlaube es gern, bin aber nicht Oberst.«

»Zu Befehl! Wir begreifen! Diplomatische Sendung oder vielleicht auch gar private militärische Inspektion. Welchen Charakter dürfen wir Euer Gnaden erteilen?«

»Sie meinen, welchen Namen? Ich bin Zoolog und heiße Doktor Morgenstern aus Jüterbogk.«

»Ganz recht! Je fremder und unaussprechlicher die Namen, desto tiefer und undurchdringlicher ist das Inkognito. Und dieser Señor neben Euer Gnaden?«

»Ist Fritz Kiesewetter, mein Diener, aus Stralau am Rummelsburger See.«

»Das ist noch unaussprechlicher, also noch undurchdringlicher. Gestatten Euer Gnaden, nach dem Cuartel!«

Die Gruppe setzte sich in Schritt, voran der Gelehrte, zu seiner Linken, respektvoll einen Schritt zurück, der Hauptmann, hinter ihnen Fritz Kiesewetter mit den andern Offizieren zu beiden Seiten.

Das Cuartel von Santa Fé war ein noch aus der alten spanischen Zeit stammendes, mehrstöckiges Gebäude mit Turm. Die Fenster und selbst die Balkone waren mit starken Eisengittern versehen. Vor der Fassade dieses Gebäudes standen einige Kanonen; Soldaten standen oder saßen vor den Thüren, und zahlreiche Arrestanten schauten durch die vergitterten Fenster.

»Sapperlot!« meinte der Gelehrte in deutscher Sprache zu seinem Diener. »Das ist ja ein Gefängnis. Hält man uns etwa für Räuber und Diebe, was der Lateiner einen Expilator und Vulturius nennt?«

»Det jloobe ick nicht,« antwortete Fritz. »Nach sonne freundliche und höfliche Empfänglichkeit werden sie uns doch nich insperren! Ick bin vielmehr von diejenigte Ansicht, dat man mit uns die nobelsten Absichten kultiviert. Jehen wir also man rin! Raus werden wir schon wiederkommen, und wenn’s jeschmissen anstatt jejangen ist.«

Die anwesenden Soldaten salutierten nach Vorschrift, und die Herren traten ein. Die beiden Deutschen wurden über einen Innenhof und eine Treppe nach einigen ganz komfortabel eingerichteten Zimmern geführt, an deren Eingang sich die Offiziere verabschiedeten. Dabei bemerkte der Hauptmann:

»Ein Imbiß wird unverzüglich besorgt und ebenso eine Ordonnanz kommandiert werden. Bin heute Kommandant, da der Herr Major nach Parana mußte. Haben der Herr Oberst – Pardon, wollte sagen der Herr Zoolog einen Befehl?«

»Keinen Befehl, sondern eine Bitte. Lassen Sie doch schnell nachfragen, ob ein Yerbatero, der zugleich Sendador ist und schlechthin Vater Jaguar genannt wird, vorgestern oder gestern hier in Santa F& ankam. Ich muß wissen, wo er logiert.«

»Kam er mit dem Schiff, Euer Gnaden?«

»Ja, aus Buenos Ayres.«

»Dann hoffe ich binnen einer halben Stunde rapportieren zu können.«

Er trat ab, und kurze Zeit später meldete sich ein Unteroffizier zum persönlichen Dienst und servierte zugleich Fleisch, Brot, Früchte und Bordeauxwein, welcher am La Plata viel getrunken wird.

»Dat muß man sagen,« meinte Fritz, »dat Militär hat doch immer Lebensart. Ick ärgere mir noch heut, daß ick nicht assentiert worden bin. Bei meine moralische Veranlagung hätte ick mir jewiß bald weit in die Höhe afanziert und könnte heut auch mit dem Schleppsäbel und Portepee rasseln. Jreifen wir zu, Herr Doktor; ick werde injießen.«

Er füllte die Gläser. Die beiden aßen und tranken, gemütlich nebeneinander sitzend, woraus der Unteroffizier natürlich schloß, daß Fritze Kiesewetter nicht ein Diener, sondern auch ein höherer Offizier sei. Fritze genoß das Gebotene mit heiterem Mute, dem Doktor aber kam die Sache doch nicht ganz geheuer vor; er meinte in bedenklichem Tone:

»Man nannte mich Coronel, also Oberst. Ich bin ein Jünger der friedlichen Wissenschaft und kein argentinischer Partisan. Wie also komme ich zu diesem militärischen Grade?«

»Jedenfalls wie der Pudel zur sauren Jurke, indem er sie für eine Wurst jehalten hat. Machen Sie sich nur keine Jedanken! Mir können sie meinetwejen Jeneral nennen, ick bleibe, wat ick bin und esse mit Vergnüjen, was uns die Ordonnanz aufjetafelt hat.«

»Aber, Fritze, scheint es nicht, daß ich mit einem Offizier verwechselt werde?«

»Dat ist die Möglichkeit, aber noch kein Fehler, solange Sie sich nicht selbst mit sich verwechseln.«

»Aber dieser Irrtum, lateinisch Error genannt, kann uns sehr leicht in Verlegenheit bringen.«

»Zunächst hat er uns zu dieses Jabelfrühstück jebracht, wat ick keinen Irrtum nennen möchte. Man hat sich im Jegenteile in mich jar nicht jeirrt, sondern ick jreife zu, so lange wat zu haben ist.«

»Aber die Folgen! Fritze, Fritze, du scheinst ein wenig von der Eigenschaft zu besitzen, welche der Lateiner mit dem Worte Levitas bezeichnet.«

»Wie wird dieses Wort ins Deutsche überjesetzt?«

»Leichtsinn.«

»Dat kann nicht stimmen, Herr Doktor. Haben die Römer jehungert, wenn sie wat zu essen bekamen?«

»Ich glaube nicht.«

»So kann mir auch kein Römer Levitas nennen, wenn ick mir dahin setze, wo ick jespeist werden soll.«

Da erschien der Hauptmann und meldete in strammer Haltung:

»Der Vater Jaguar ist gestern nachmittag hier angekommen und heute früh mit dreiundzwanzig Erwachsenen und einem Knaben nach der Laguna Porongos aufgebrochen.«

»Zu Pferde?«

»Ja. Zwanzig seiner Begleiter haben einige Tage lang hier auf ihn gewartet.«

»Ich muß ihm nach. Können Sie uns Pferde verschaffen?«

»Ganz zu Befehl! Wie viele, Euer Gnaden?«

»Zwei als Reserve, also vier Stück.«

»Auf Requisition oder vom Regimente?«

»Vom Regimente nicht, da ich nicht soldatenmäßig zu reiten verstehe.«

»Also auf Requisition,« meinte der Offizier mit einem feinen Lächeln, da der angebliche Oberst sagte, daß er nicht reiten könne. »Wann befehlen Euer Gnaden, daß die Pferde gesattelt bereitstehen?«

»in einer Stunde.«

Der Hauptmann entfernte sich salutierend. Als kurz darauf die Ordonnanz erschien, um Zigaretten zu bringen und die Speisereste abzuräumen, fragte Morgenstern:

»Könnte ich nicht meine Sachen bekommen, mein Lieber? Da das Schiff erst am Nachmittag von hier abgeht und ich nicht wußte, wo ich bleiben würde, haben wir unser Gepäck einstweilen an Bord gelassen. Es ist ein Bündel, lateinisch Sarcina genannt, in welchem sich Werkzeuge befinden, und ein Paket, mit Leder umwickelt, Fascis geheißen, welches Bücher enthält.«

»Wird sofort geholt, Señor Coronel!« Mit diesen Worten eilte der Unteroffizier hinaus.

Nach einer Viertelstunde kehrte der Hauptmann zurück und meldete, daß die Pferde bereit ständen.

»Was kosten sie?« fragte Morgenstern.

»Natürlich nichts, Euer Gnaden,« lächelte der Offizier.

»Aber ich will sie ja bezahlen!«

»Ein Zoolog braucht nicht zu zahlen.«

»Warum nicht?«

»Es ist die Sitte dieses Landes, Señor.«

»Sonderbar! Dieses Land wurde doch von den Spaniern zivilisiert, welche ihre Sprache und Sitten von den Römern bekamen; ich habe aber nirgends gelesen, daß bei diesen letzteren die Gelehrten resp. Zoologen die Pferde gratis erhielten. Ich werde später eifrig darüber nachschlagen, da es sich dabei um ein kulturhistorisches Moment von bedeutendem Werte handelt. Es scheint, Argentinien ist das einzige Land, welches diesen schönen Gebrauch beibehalten hat. Es ist auch in andrer Beziehung höchst konservativ. Bewahrt es uns doch in seinen Pampas die Zeugen und Beweise eines längst untergegangenen Lebens auf! Ich will nicht vom Mastodon und Megatherium sprechen, aber fragen muß ich Sie doch, Señor, ob auch Sie schon so glücklich gewesen sind, hier einen tertiären Menschen zu sehen?«

»Tertiär?« antwortete der Hauptmann verlegen. »Wollen Euer Gnaden befehlen, was für eine Person ich mir unter einem tertiären Menschen vorstellen soll?«

»Ich befehle nicht, sondern ich bitte bloß. Man hat schon in den älteren Pliocänschichten Feuerspuren und Steinwerkzeuge gefunden. Später entdeckte man da gar drei menschliche Skelette. Es hat also in den Pampas schon zur mittleren Tertiärzeit Menschen gegeben, welche sonderbarerweise ein durchbohrtes Brustbein und dreizehn Rückenwirbel anstatt zwölf besaßen. Möglich, daß wir nach Jahrtausenden deren nur noch elf oder zehn oder auch noch weniger besitzen, was mich gar nicht wundern würde.«

»Woraus zu schließen ist,« fiel Fritze sehr ernst in spanischer Sprache ein, »daß der noch spätere Mensch gar keine Knochen haben wird.«

»Möglich,« nickte der Doktor. »Die Umbildung der Lebewesen nimmt ihren ununterbrochenen Gang; wenn wir uns die kommenden Formen auch nicht vorzustellen vermögen. Nehmen wir, um von einem interessanten Beispiel zu sprechen, den Zahn eines Höhlenbären an. Haben Sie schon einen solchen gesehen, Señor Kapitän?«

»Nein,« schüttelte der Gefragte, der jetzt allerdings nicht wußte, was er von dem »Oberst« halten solle.

»Dieser Zahn, nämlich der Backzahn, ist in der Weise – — —«

Er wurde unterbrochen. Es traten mehrere Soldaten herein, welche das Gepäck brachten und auf den Boden niederlegten, um sich dann zu entfernen. Das eine Bündel enthielt, wie man sah, zwei Hacken, zwei Spaten und zwei Schaufeln; das andre war aufgeplatzt, so daß ihm einige Bücher entfielen. Der Hauptmann bückte sich dienstbereit, um sie aufzuheben und auf den Tisch zu legen. Dabei fiel, da sich eins derselben öffnete, sein Blick auf den Titel desselben. Da stand gedruckt »Nuestros predecesores de los Pampas« – die Vorwelt in den Pampas. Und drüben auf der Innenseite des Einbandes war der Name Dr. Morgenstern, Jüterbogk zu lesen. Schnell öffnete der Offizier das zweite, dritte und vierte Buch; sie waren alle mit demselben Namen gezeichnet. Da fragte er in hastiger Weise:

 

»Wie nannten Sie sich vorhin, Señor – — Zoolog?« »Doktor Morgenstern aus Jüterbogk.« »Ist das etwa Ihr wirklicher Name?« »Allerdings.« »Können Sie das beweisen?« »Sehr leicht.« »Womit?« »Mit meinem Paß.« »Her damit!«

Das klang befehlend, zornig. Der Gelehrte zog seine Brieftasche mit dem Passe hervor und gab den letzteren dem Offizier. Kaum hatte dieser einen Blick hineingeworfen, so rief er aus:

»Que yerro y que desvergüenza! Mas aun que semejanza! Sois bribones, sois embusteros – welcher Irrtum und welche Frechheit! Aber auch welche Aehnlichkeit! Ihr seid Schurken, seid Betrüger!«

»Schurken? Und Betrüger? Wir?« fragte Morgenstern. »Señor, wollen Sie gefälligst uns sagen, wie Sie zu einem Urteile gelangen, welches völlig unbegründet ist, inaniter würde der Lateiner sagen.«

»Lassen Sie mich mit Ihrem Lateiner in Ruhe! Was werfen Sie überhaupt mit dem Latein um sich, da Sie, wie ich aus Ihrem Passe ersehe, ein Deutscher sind! Wie können Sie uns belügen und sich für den Obersten Glotino, den Schwager unsres Generals Mitre ausgeben?«

»habe ich das?« fuhr Morgenstern nun seinerseits scharf auf. »Wie können Sie es wagen, mich, einen deutschen Unterthan, einen Lügner zu nennen? Haben Sie mich für irgend wen gehalten, so ist das Ihre, aber nicht meine Sache!«

»Schweigen Sie! Wissen Sie, daß ich Sie sofort einsperren kann?«

»Das können Sie; aber sich dann rechtfertigen, das können Sie nicht. Und ein Deutscher läßt sich nicht einsperren, ohne den Betreffenden dann zur Verantwortung ziehen zu lassen!«

»Es sind Ihnen Honneurs erwiesen worden; ich habe Ihnen zu essen und zu trinken gegeben, und meine Soldaten haben sich mit den Gauchos herumgestritten, um Ihnen Pferde zu verschaffen. Und nun stellt es sich heraus, daß Sie ein Gringo (verächtliche Bezeichnung für Ausländer), ein deutscher Bücherwurm sind!«

Morgenstern trat kräftiger auf, als von ihm zu erwarten gewesen war. Fritze hatte bis jetzt geschwiegen, nun aber antwortete auch er, und zwar nicht in höflichem Tone:

»Mäßigen Sie sich, Señor, sonst können Sie in Erfahrung bringen, daß ein deutscher Gelehrter, den Sie Gringo und Bücherwurm schimpfen, kein so unbedeutender Mensch ist, wie Sie zu denken scheinen. Es läuft vielleicht mancher hier herum, mit dem zu tauschen uns gar nicht einfallen würde.«

»Meinen Sie etwa mich?« fragte der Hauptmann scharf.

»Wen ich meine, brauche ich nicht zu sagen. Wollen Sie meine Worte auf irgendwen beziehen, so habe ich gar nichts dagegen. Ich wundere mich über die Vorwürfe, welche Sie uns machen. Sie haben uns eingeladen, weil Sie uns verkannten; uns aber ist es nicht eingefallen, Sie zu täuschen. Was wir genossen haben, werden wir bezahlen. In Beziehung auf die uns erwiesenen Honneurs sind wir quitt, denn wir haben auch gegrüßt. Und was die Pferde betrifft, so können Sie dieselben ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückstellen, denn wir kaufen uns andre. Was kostet das Essen, und was kostet der Wein, dem man es anschmeckt, daß er kein echter Bordeaux ist, sondern aus einer hiesigen Fabrik stammt?«

Er zog den Beutel, um zu bezahlen. Da aber fuhr der Kapitän zornig auf:

»Was? Ich soll von einem Bedienten Geld annehmen? Bist du toll, Kerl!«

Da trat Fritze einen Schritt auf ihn zu und drohte:

»Kerl? Ich ein Kerl? Ich heiße Friedrich Kiesewetter und bin ein Preuße. Verstanden? Und wer mich du nennt, der macht mit mir Bruderschaft und wird von mir auch geduzt.«

»Welch ein frecher Patron! Mensch, ich stecke dich unter meine Soldaten und werde dafür sorgen, daß dein Rücken für ein ganzes Jahr die schönste blaue Farbe annimmt!«

»Versuche es! Ich bin ein Unterthan

des Königs von Preußen, dessen Arm gar wohl so weit reicht, dich zu fassen und zu bestrafen, wenn du es wagst, dich an mir zu vergreifen!«

Diese Worte entflammten den Zorn des Offiziers auf das höchste. Er sagte sich zwar, daß er nicht wagen dürfe, seine Drohung auszuführen, wollte aber das Verhalten des Preußen nicht unbestraft lassen; darum eilte er zur Thür, hinter welcher die Ordonnanz stehen mußte, öffnete sie und rief hinaus:

»Herein! Werft mir schnell diesen Menschen hinaus, bis vor das Thor, und greift so fest wie möglich zu! Je mehr blaue Flecke er bekommt, desto besser ist es.«

Es standen auch noch diejenigen Soldaten draußen, welche die Pakete gebracht hatten. Sie waren durch die lauten Stimmen, welche sie gehört hatten, zurückgehalten worden und kamen schnell herein, um den Befehl auszuführen. Es war ein Gaudium für sie, einen Fremden hinauszuwerfen, und es kam bei ihnen gar nicht in Betracht, daß sie ihn noch vor wenigen Minuten für einen Offizier gehalten hatten.

Fritze griff nach seinem Gewehre, um sich zu verteidigen, war aber klug genug, diese Absicht wieder aufzugeben. Er warf es am Riemen über den Rücken und sagte:

»Rührt mich nicht an; ich gehe selbst! Kommen Sie, Señor Doktor!«

Indem er diese Worte sprach, hob er das Bündel mit den Werkzeugen auf, hob es auf die Achsel und schritt der Thür zu. Man hätte dem kleinen Kerlchen gar nicht zugetraut, daß es ihm gelingen werde, das schwere Paket mit solcher Leichtigkeit zu bewältigen. Seine drohende Haltung imponierte den Soldaten; sie wichen vor ihm zurück und ließen ihn zur Thür hinaus. Da aber herrschte sie der Kapitän an:

»Nennt ihr das Hinauswerfen, ihr Halunken? Sofort ihm nach, sonst setzt es Arrest!«

Sie gehorchten diesem Befehle; der Hauptmann aber wendete sich an den Gelehrten:

»Sie sehen, Señor, wie weit man kommt, wenn man einem Offizier nicht diejenige Höflichkeit erweist, welche er unbedingt zu fordern hat. Was werden Sie thun, wenn ich Sie einsperren lasse?«

»Mich mit Hilfe des Vertreters meines Monarchen an Ihren Präsidenten wenden,« antwortete Morgenstern ruhig. »Dann würden Sie ebenso eingesperrt, um zu erfahren, wie weit man kommt, wenn man einem deutschen Unterthan diejenige Rücksicht versagt, welche er unbedingt zu fordern hat.«-

»Ich finde, daß Sie sehr hochtrabend sprechen.«

»Ich spreche stets so, wie die Umstände es erfordern.«

»Dann sollten Sie weniger zuversichtlich sein. Die Lage, in welcher Sie sich gegenwärtig befinden, ist keineswegs eine ehrenvolle.«

»Die Ihrige noch weniger. Wer einen Señor, den er einsperren will, vorher Oberst genannt und Euer Gnaden tituliert hat, muß befürchten, schwer blamiert zu werden. Ich hoffe, wir sind miteinander fertig. Die Bücher, welche hier liegen, werde ich durch einen Boten holen lassen. Leben Sie wohl, Señor.«

Er wendete sich nach der Thür und ging, ohne daß der Kapitän Miene machte, ihn zurückzuhalten, hinaus. Als er die Treppe hinabstieg, hörte er auf dem Hofe einen Lärm, und als er diesen erreichte, sah er ein dichtes Knäuel von Soldaten, in welchem Fritze steckte. Sie hatten die Fäuste erhoben und wollten ihn schlagen, wagten dies aber nicht, da er den Revolver gezogen hatte und drohte, auf jeden zu schießen, der es wagen würde, sich an ihm zu vergreifen. So räsonnierten sie nur und schoben hinter ihm her, auf welche Weise sie ihn im Trab bis vor das Thor brachten, wo er stolperte und mit seinem Bündel niederfiel. Da packten sie ihn, rissen ihm den Revolver aus der Hand und gaben ihm ihre Fäuste zu fühlen. Er wehrte sich mit Händen und Füßen gegen sie und schlug und stieß wacker um sich, bis Morgenstern kam und einige von ihnen mit dem Kolben seines Gewehres zurückstieß.

»Zurück, ihr Halunken!« gebot er. »Habt ihr vergessen, daß ich Offizier bin! Euer Kapitän ist verrückt geworden, daß er es wagt, euch auf den Begleiter eines Coronel zu hetzen. Lauft schnell zum Medico militar (Militärarzt)! Ich befehle ihm, den Kapitän sofort zu untersuchen und in Behandlung zu nehmen.«

Diese List wirkte sofort. Sie zogen sich verblüfft zurück, und einige von ihnen liefen wirklich fort, um nach dem Arzte zu suchen. Fritze sprang auf, teilte schnell noch einige kräftige Rippenstöße aus, nahm dann sein Bündel wieder auf die Achsel und folgte dem Doktor, welcher sich mit ziemlich raschen Schritten entfernte. Er ging wieder nach der Stadt zurück und that dies so eilig, um möglichst schnell aus der Nähe der Soldaten zu kommen. Als Fritze ihn eingeholt hatte, schimpfte er: