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Das Vermaechtnis des Inka

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»Ganz gewiß!«

»Ich denke, wir kommen da viel zu weit nach rechts?«

»Nicht zu sehr, da der Wald ja nicht breit ist. Uebrigens ist es sicher, daß diese Leute an der Quelle lagern werden, von welcher der Vater Jaguar sprach. Wenn wir dieselbe erreichen, brauchen wir nur ihrem Wasser zu folgen, um an das Ziel zu gelangen.«

»Sie wird sich vielleicht unter den Bäumen befinden!«

»Möglich; aber die Menschen, deren Feuer ich bemerkt habe, lagern jedenfalls nicht unter Bäumen, da das zu unbequem sein würde, sondern auf einer freien Stelle. Verlaß dich auf mich. Wir verirren uns nicht.«

Sie setzten ihren Weg fort, schneller als bisher. Ihr Lager hatte sich in der Mitte des nördlichen Seeufers befunden; sie bogen bald um den obern, westlichen Teil des Sees. Dann hörte die Lichtung auf und der Wald begann wieder. Er bildete hier einen dunkeln Streifen, welcher einige hundert Schritte breit sein mochte. Sie ließen ihn linker Hand liegen und eilten an seinem äußern Rande nun in östlicher Richtung hin, denn sie befanden sich nun am südlichen Ufer. Sie waren da noch gar nicht weit gekommen, so blieb der junge Inka mit vorwärts gebeugtem Oberkörper stehen. Er hatte die Haltung eines angestrengt Lauschenden eingenommen. Es hatte sich ein ziemlich scharfer Wind erhoben, welcher ihnen gerade entgegenwehte.

»Hörst du etwas?« fragte Anton.

»Ja,«

»Was?«

»Ich glaube, es ist eine Glocke gewesen.«

»Eine Glocke? Es gibt doch hier keine Stadt mit Kirchenglocken.«

»Diese Art meinte ich nicht. Komm noch eine kurze Strecke weiter, so wirst du es auch hören.«

Sie schritten wieder vorwärts, diesmal aber langsamer als vorher. Bald war ein vom Winde herübergewehter metallener Ton zu hören.

»Horch!« sagte Anton. »Jetzt habe ich es gehört. Es klang beinahe wie die Glocke einer Madrina.«

Madrina ist ein dem spanischen Amerika eigentümlicher Ausdruck. Man versteht unter demselben die Stute, welche bei Herden oder auf Reisen die andern Tiere führt. Sie trägt eine Glocke am Halse, deren Ton die übrigen stets folgen.

»Ja, es kann nichts andres sein, als eine Madrina,« stimmte der junge Inka bei.

»Sollten sich Arrieros (* Maultiertreiber.) hier im Gran Chaco befinden?«

»Nein, gewiß nicht. Durch diese Gegend ziehen keine Handelskarawanen. Es werden Indianer sein.«

»Von welchem Stamme?«

»Ich weiß es nicht, denke aber, es zu erfahren.«

»Dann sind diese Menschen sehr unvorsichtig. Die einzelnen Völker leben, wie wir gehört haben, jetzt in Feindschaft miteinander. Da hängt man doch den Tieren keine Glocken um, welche zu Verrätern werden müssen!«

»Die Leute, welche sich hier befinden, werden sich so sicher fühlen, daß sie nicht glauben, solche Vorsicht anwenden zu müssen. Auch müssen sie ihre Tiere weiden lassen und dürfen sie also nicht anbinden. Hätten sie keine Madrina dabei, so würden die Pferde nach allen Richtungen auseinander laufen.«

»Wieso? Die unsrigen bleiben doch auch beisammen.«

»Das ist etwas ganz andres. Der Indianer ist kein Pferdezüchter; er raubt und stiehlt die Tiere aus allen Gegenden zusammen. Sie kennen sich also nicht, und da sie nicht in Herden gehalten werden, so haben sie keine Anhänglichkeit zu einander. Treffen dann auf einem Kriegszuge viele Reiter zusammen, so müssen sie ihren Pferden eine Madrina geben, denn jedes Roß gehorcht der Glocke unbedingt. Das ist von großem Vorteil für uns, denn der Ton, welchen wir gehört haben, wird uns als Wegweiser dienen.«

Es war so, wie er sagte, denn je weiter sie kamen, desto deutlicher war der Ton der Halsschelle zu hören. Bald mußten sie ihre Schritte noch mehr hemmen, da der Klang nun aus großer Nähe kam. Zugleich waren links die Stämme des Waldes zu sehen, da hinter demselben mehrere Feuer brannten, in deren Schein sich die Bäume deutlich hervorhoben.

»Sieh, wie leicht wir das Lager gefunden haben,« flüsterte Haukaropora Anton zu.

»Vor uns liegt der sich um den Wald ziehende Grasstreifen; auf ihm weiden die Pferde. Links von uns sticht er in den Wald hinein und bildet da eine offene Stelle, auf welcher sich die Quelle befindet. Wir haben also die Pferde gerade vor uns und die Reiter links hinter den Bäumen.«

»So müssen wir in dieser letzteren Richtung weiter?«

»Ja, aber nicht sogleich. Wir haben alle Ursache, vorsichtig zu sein, und so will ich erst sehen, ob sich Wächter bei den Pferden befinden. Warte hier, bis ich zurückkehre!«

Er schlich sich davon, und Anton stand allein, wohl über eine Viertelstunde lang, dennoch wurde ihm um den Inka nicht bange, denn er fühlte ein solches Vertrauen zu dessen Tüchtigkeit, daß es ihm gar nicht beikam, Angst um ihn zu haben. Nach dieser Zeit tauchte der Inka wieder aus dem Dunkel auf und meldete mit leiser Stimme:

»Es war kein einziger Wächter da. Die Pferde waren alle so zutraulich, daß sie sich von mir streicheln ließen. Sie gingen frei im Grase, und nur der Madrina sind die Vorderbeine leicht gefesselt, damit sie keine weiten Schritte machen kann.«

»Wie viele Pferde waren es?«

»Ich konnte sie natürlich nicht zählen, ich merkte aber, daß es nicht wenige sind. Ich fand sie alle mit den Köpfen nach der Madrina gerichtet und habe mich sehr darüber gefreut.«

»Warum?«

»Weil dies ein Zeichen ist, daß sie ihr unbedingt folgen werden.«

»Und darüber freust du dich?«

»Ja, denn wenn es etwa feindliche Indianer, also Abipones sind, so möchte ich ihnen ihre Pferde nehmen.«

»Ist das dein Ernst? So viele Tiere können wir zwei unmöglich fortbringen!«

»Warum nicht? Wenn wir die Madrina mit uns führen, laufen die andern alle hinterdrein.«

»Aber die Indianer würden am Klange der Glocke hören, daß die Stute sich entfernt!«

»Wenn man schläft, hört man das nicht, und du gibst doch wohl zu, daß diese Leute schlafen werden?«

»Ja; aber Wachen haben sie jedenfalls ausgestellt.«

»Allerdings; aber da sie, wie ich vermute, sich hier so sicher fühlen, werden die Wächter nicht zahlreich sein. Wir werden das gleich zu erfahren suchen. Komm, und halte dich stets hinter mir! Wir dürfen nicht mehr gehen, sondern müssen kriechen, damit wir nicht bemerkt werden.«

Sie legten sich auf die Erde nieder und bewegten sich nun mit äußerster Vorsicht von ihrer bisherigen Richtung ab nach links hinüber, um unter die erwähnten Bäume zu gelangen. Als sie dieselben erreicht hatten, befanden sie sich zugleich ganz nahe dem Rande der offenen Waldlücke, in welcher der Inka das Lager vermutet hatte. Diese Lücke war nicht breit, und die Feuer leuchteten von einem Ende derselben bis zum andern. Man sah also genau, was dort vorging. Die beiden Jünglinge lagen hinter zwei nahe beieinander stehenden Bäumen und beobachteten mit scharfen Augen, was da vor ihnen vorging.

Es war eine sehr zahlreiche Schar von Indianern, welche ihr Nachtlager aufgeschlagen hatte. Da, wo die Lichtung sich gegen das freie Land öffnete, drang die Quelle aus dem Boden, um ihr Wasser links nach dem See zu schicken. Zu beiden Seiten dieses Wasserlaufes brannten acht Feuer, um welche sich wohl gegen achtzig Rote bewegten, denn sie waren soeben beschäftigt, sich die bequemsten Stellen zum Schlafen zu suchen. Zwischen zwei Feuern, welche diesseits des Wassers brannten, lagen sechs Gestalten, welche gefesselt zu sein schienen. Fünf von ihnen waren wie Indianer gekleidet; den Sechsten konnte man seinem Anzuge nach für einen Weißen halten. Da sie mit den Köpfen nach den zwei heimlichen Beobachtern zu lagen, war es diesen unmöglich, die Gesichter zu sehen.

Diese Schar war indianisch bewaffnet. Sie hatte an den in der Erde steckenden langen Lanzen ihre Köcher und Bogen aufgehängt. Daran lehnten die Blasrohre, deren kleine Geschosse, wenn sie vergiftet sind, so schnell tödlich wirken. Drüben stand unter einem Baume der einzige, welcher ein Gewehr besaß; er hatte es neben sich auf seinem Poncho liegen und schien der Häuptling zu sein, denn er erteilte soeben verschiedene Weisungen, denen sofort nachgekommen wurde. Er bediente sich dabei einer Sprache, welche einen singenden Tonfall hatte. Anton verstand kein Wort davon und fragte darum seinen Gefährten leise:

»Das ist nicht Ketschua und auch nichts andres, was ich verstehe. Welche Sprache redet der Mann?«

»Es ist Abiponisch; ich verstehe es ziemlich. Er ist der Anführer dieser Leute, er sagt ihnen, wie sie lagern sollen, und hat soeben befohlen, daß die Nacht in drei Wachen geteilt wird. Jede dieser Wachen betrifft nur zwei Personen, von denen die eine den Pferden und die andre den Gefangenen ihre Aufmerksamkeit zu schenken hat.«

»Also doch Gefangene! Wer mögen sie sein?«

»Warte nur! Wahrscheinlich erfahren wir es noch. Ich kenne den Häuptling nicht, habe ihn noch nie gesehen, aber seiner Sprache nach gehört er mit seinen Leuten den Abipones, also unsern Feinden an.«

»Daraus können wir schließen, daß die Gefangenen Freunde von uns sind.«

»Ja, denn wer gegen sie ist, der muß für uns sein.«

»Wenn wir sie befreien könnten! Denkst du, daß dies möglich ist?«

Der Inka wartete eine kleine Weile, ließ den Blick nachdenklich, aber scharf über die Scene gleiten und antwortete dann:

»Ich halte es für möglich und bin bereit, den Versuch zu machen. Was sagst du dazu?«

»Einverstanden!« Er hätte fast vor Freude laut gesprochen und fügte nun desto leiser hinzu: »Aber wie wollen wir das anfangen, da wir nur zu Zweien sind? Wir haben nicht einmal unsre Gewehre mit.«

»Die würden uns schaden anstatt uns zu nützen. Du hast gehört, wie oft der Vater Jaguar gesagt hat, daß in den meisten Fällen die Klugheit der Gewalt vorzuziehen ist. Nach diesem Rate werden wir handeln.«

»Ja, handeln werden wir; ich bin bereit dazu. Aber in welcher Weise, das weiß ich noch immer nicht.«

»Warte nur! Erst müssen diese Abipones eingeschlafen sein; eher läßt sich nichts thun. Wir werden dann erfahren, ob die Wächter vorsichtig sind und ob man die Feuer verlöschen läßt oder nicht.«

 

Jetzt kam der Häuptling über den Quell herüber, um persönlich nach den Gefangenen zu sehen. Er warf ihnen drohende und verächtliche Worte zu und stieß sie dabei mit den Füßen. Sie wollten diesen Mißhandlungen ausweichen und veränderten dabei ihre bisherige Lage. Dabei konnte man das Gesicht des einen deutlich erkennen. Er war wirklich kein Indianer, sondern ein Weißer. Dann bäumte sich ein Zweiter halb empor, um einem nach ihm gerichteten Fußtritte zu entgehen. Er wendete während dieser Bewegung sein Gesicht nur für einen Augenblick zur Seite, doch war das für das scharfe Auge des Inka genug; er hatte ihn erkannt und flüsterte Anton zu:

»Das war der Häuptling der Kambas, welchen die Weißen El Craneo duro, den harten Schädel, nennen. Hast du einmal von ihm gehört?«

»Nein.«

»Man hat ihm diesen Namen gegeben, weil er einmal acht oder zehn Kolbenhiebe auf den Kopf erhielt und doch nicht an denselben starb. Als die Feinde, welche ihn für tot hielten, sich entfernt hatten, stand er auf, rieb sich den Kopf ein wenig und ging ihnen dann heimlich nach, um sich zu rächen. Sie waren Abipones und sind von seiner Hand getötet worden.«

»So ist er ein Bekannter von dir?«

»Sogar ein Freund. Wir waren bei ihm, und er hat uns oft besucht. Welch ein Glück, daß ich da drüben in unserm Lager das Feuer sah und den Rauch gerochen habe! Ich werde das Leben wagen, um ihn zu befreien.«

»Ich das meinige auch!« raunte ihm Anton begeistert zu. »Sage nur, wie wir es anzufangen haben. Ich werde alles thun, was du für richtig hältst.«

»Für jetzt hast du nichts zu thun, als still zu sein und dich so hinter deinem Baume zu halten, daß kein Lichtschein auf deinen Körper fällt.«

Die Abipones legten sich in Kreisen so um die Feuer, daß sie denselben ihre Füße zukehrten. Sie hüllten sich in ihre Ponchos, von denen viele zwei Stück besaßen. Der Häuptling war über den Quell zurückgekehrt und legte sich da drüben in derselben Weise nieder. Es hatten sich alle gelagert, die beiden Wächter ausgenommen, von denen der eine hinaus zu den Pferden ging, während der andre langsam auf- und abzuschreiten begann. Er hatte sich gegen den scharf wehenden Wind in seine zwei Decken gehüllt. Die eine trug er wie einen Weiberrock um die Hüften, und in die andre hatte er den Kopf in der Weise gehüllt, daß sie vorn nur die Augen frei ließ und ihm hinten lang über den Rücken herunterhing.

Die Umstände, welche von den beiden mutigen und unternehmenden Jünglingen in besondere Betracht gezogen werden mußten, waren folgende: Sie lagen natürlich nicht ganz unter den vordersten Bäumen. Um auf den Lagerplatz zu kommen, mußten sie zehn bis fünfzehn Schritte gehen. Von den äußersten Bäumen bis zu der Stelle, an welcher die Gefangenen lagen, war es ebensoweit. Der Wächter schritt an den Bäumen, also fast genau zwischen diesen beiden Punkten, hin und her, trat im Verlauf der ersten halben Stunde einige Male zu den Gefesselten, um nachzusehen, ob dieselben eingeschlafen seien. Das Lager war durch den Wald nicht vollständig vor dem Winde geschützt; er blies zuweilen so heftig in die Feuer, daß die Funken aufstoben und auf die Decken der Schläfer fielen. Um dieselben vor dem Versengtwerden oder gar Anbrennen zu bewahren, ging der Posten von Feuer zu Feuer und schob die brennenden Aeste und Zweige so zusammen, daß die Flammen bedeutend kleiner und niedriger brannten. Er legte kein neues Material dazu, so daß vorauszusehen war, daß die Feuer bald erlöschen würden. Nur einem von den beiden, zwischen denen die Gefangenen lagen, gab er neue Nahrung, um sein Wächteramt treu ausführen zu können.

Es war fast eine Stunde vergangen, seit die Roten sich niedergelegt hatten. Da wurde Anton das Schweigen doch zu schwer, und er flüsterte seinem Gefährten, welcher während dieser langen Zeit nicht die geringste Bewegung gemacht hatte, zu.

»Ich glaube, sie schlafen jetzt fest, und wir dürfen nicht länger warten. Bedenke, welche Sorgen man drüben bei uns haben wird, wenn man unsre Abwesenheit bemerkt!«

»Man wird nur im ersten Augenblicke bange um uns sein,« antwortete der Inka; »dann aber wird mein Anciano die andern beruhigen. Er kennt mich und weiß, was er in diesem Falle zu denken hat. Dennoch bin ich mit deinen Worten einverstanden, wir müssen handeln.«

»Hast du dir überlegt, was wir thun werden?«

»Das bedarf keiner Ueberlegung, sondern es ist ganz selbstverständlich. Ich locke den Wächter hierher.«

»Wie ist das möglich?«

»Es ist möglich.«

»Womit, wodurch?«

»Das wirst du gleich hören. Paß genau auf, ob einer der Schläfer sich bewegt, wenn ich mich vernehmen lasse! Wenn das, was ich vorhabe, vollständig gelingen soll, darf keiner von ihnen munter sein.«

Er legte seine beiden Hände an den Mund und ließ ein leises, müdes Krächzen hören, wie man es wohl von einem Papagei vernimmt, welcher im Schlafe gestört worden ist.

Keiner der Indianer regte sich; aber der Posten blieb stehen, um zu horchen, woher der Ruf kam.

»Sieh, er lauscht,« flüsterte der Inka. »Wahrscheinlich kommt er her. Hast du etwas gesehen, daß ein Schläfer wach wurde?«

»Nein.«

»Ich auch nicht. Kriech rasch noch um zwei Bäume zurück, und lege dich platt auf die Erde, sonst sieht er dich, wenn er kommt!«

Anton gehorchte dieser Aufforderung, und der Inka ließ das Krächzen zum zweitenmal hören. Der Posten trat näher; beim drittenmal kam er unter die Bäume, und als es sich dann wiederholte, bog er sich zusammen und kam leise und höchst vorsichtig herbeigeschlichen, die Augen mit Spannung auf den Punkt gerichtet, von welchem aus die Töne erschollen waren. Dieser unbefangene Mensch glaubte also wirklich, es mit einem Papagei zu thun zu haben.

Der Inka nahm seinen schweren Streitkolben von der linken Seite und krächzte noch einmal, und als der Posten fast den Stamm erreicht hatte, hinter welchem er sich befand, sprang er blitzschnell hervor und schlug auf ihn ein – ein einziger Hieb, und der Indianer brach zusammen, um sich nicht mehr zu bewegen.

»Mein Gott, du hast ihn erschlagen!« flüsterte Anton, indem er rasch herbeikam.

»Wahrscheinlich ist er tot; dennoch ist es möglich, daß er noch lebt. Bleib hier bei ihm. Wenn er erwacht, ehe ich zurückkehre, stößest du ihm dein Messer in das Herz. Du hast doch den Mut, dies zu thun?«

»Im Kampfe, ja; aber einem Wehrlosen – — —!«

»Wir befinden uns im Kampfe, und wenn er erwacht, ist er nicht wehrlos. Seine Stimme ist dann eine Waffe, wie es für uns gar keine gefährlichere geben kann. Ich verlange unbedingt, daß du mir gehorchest!«

Der sonst so schweigsame Inka war während ihres abenteuerlichen Ganges ungewöhnlich mitteilsam gewesen, jedenfalls um seinen jungen Gefährten zu belehren. Jetzt zeigte er sich von einer noch andern Seite. Er trat als Herr und Gebieter auf, und obgleich er nur leise sprach, geschah dies doch in einer Weise, welche keine Widerrede duldete.

Jetzt nahm er eilends die beiden Ponchos, welche der Posten getragen hatte, und hüllte sich genau in derselben Weise hinein. Dann schritt er langsam und würdevoll unter den Bäumen hinaus und ging dort ebenso wie vorher der Wächter auf und ab. Wer es nicht wußte, was geschehen war, mußte ihn unbedingt für diesen halten.

Anton blieb mit gezogenem Messer bei dem gefallenen Indianer sitzen und beobachtete bald diesen und bald seinen jungen mutigen Freund, dessen jetziges Gebaren er freilich nicht sofort begreifen konnte.

Als Haukaropora eine Zeit lang den Posten nachgeahmt hatte, ging er mit leisen Schritten von einem Feuer zum andern, nicht um sie zu schüren, sondern um die Schläfer zu beobachten. Es war keiner von ihnen wach; dann begab er sich zu den Gefangenen und setzte sich bei ihnen nieder.

Sie waren noch wach, denn die Lage, in der sie sich befanden, scheuchte den Schlaf von ihren Augen.

Sie hielten ihn natürlich für den Indianer, welcher sie bewachen sollte, denn er hatte den Poncho so um den Kopf und das Gesicht geschlagen, daß nur seine Augen zu sehen waren. Er kannte auch die roten Begleiter des Häuptlings, den Weißen aber, welcher ein noch ziemlich junger Mann war, hatte er noch nie gesehen. Aus Rücksicht auf diesen letzteren mußte er spanisch sprechen. Dies that er, indem er nach einer Weile den Poncho so weit lüftete, daß man sein Gesicht nicht sehen, aber seine Stimme hören konnte, und sagte in halblautem Tone:

»El Craneo duro ist betrübt; bald aber wird er fröhlich sein. Wenn er mir jetzt antwortet, mag er leise sprechen!«

Der Häuptling hatte halb von ihm abgewendet gelegen; jetzt wendete er ihm das Gesicht voll zu und antwortete, wie ihm geboten war, mit leiser Stimme:

»Was sprichst du zu mir? Willst du mich verhöhnen, indem du freundlich zu uns thust?«

»Es ist nicht Hohn, sondern Aufrichtigkeit. Ihr seid Männer und werdet euch also beherrschen können. Laßt keinen Ton hören, der mich und euch verraten könnte! Ich bin da, um euch zu retten.«

»Du, der Abipone?«

»Ich bin kein Abipone, sondern ich heiße Haukaropora und bin der Sohn deines Freundes Anciano.«

»Du wärst Haukaro – — —«

Der Name blieb ihm vor Verwunderung auf der Zunge hängen.

»Ja, ich bin es,« fuhr der Jüngling fort. »Ueberzeuge dich!«

Er öffnete jetzt den Poncho so, daß sein Gesicht vollständig zu sehen war. Der Weiße beobachtete die Scene, ohne sich zu regen, die Cambas erkannten den Inka, der sein Gesicht schnell wieder verdeckte. Sie hätten gern vor Freude aufgejubelt, blieben aber still; doch sagte ein nicht zu beherrschendes Zucken und Bewegen ihrer gefesselten Körper deutlich genug, wie freudig sie überrascht waren.

»Habt ihr mich erkannt?« fragte er sie.

»Ja, ja,« stieß der Häuptling hervor, »du bist der Sohn unsres Freundes und selbst unser Freund. Es geschehen große Wunder. Wie kommst du unter die Abipones? Ich habe dich bis jetzt noch gar nicht bemerkt.«

»Ich gehöre nicht zu ihnen und war nicht bei ihnen; ich bin erst seit kurzer Zeit hier im Walde, um diese unsre Feinde zu beobachten. Ich lagerte mit mehr als zwanzig weißen Männern drüben jenseits des Sees und bemerkte eure Feuer. Da schlich ich mich, ohne daß jemand es bemerkte, mit einem jungen Freunde herüber, um zu erfahren, von wem diese Feuer angezündet seien. Ich sah die Abipones, und ich erkannte dich. Da nahm ich mir vor, euch zu befreien.«

»Das ist kühn, außerordentlich kühn! Wo ist denn unser Wächter?«

»Er liegt erschlagen dort unter den Bäumen. Ich habe mich in seine Decken gehüllt, um für ihn gehalten zu werden.«

»Welche Klugheit, welche List! Hast du dein Messer mit?«

»Ja.«

»So schneide uns los; schnell, schnell!«

»Wer zu viel eilt, kommt zu spät an. Ehe ich euch befreie, müßt ihr wissen, was ihr zu thun habt. Ihr habt Zeit. Und wenn jetzt in diesem Augenblicke alle Abipones erwachten, es würde ihnen doch nicht gelingen, einen von euch zurückzuhalten.«

»Du sprichst nur von weißen Männern. Ist Anciano auch dabei?«

»Ja, du weißt, daß ich mich nie von ihm trenne.«

»Und wer sind die Weißen?«

»Der Vater Jaguar führt sie an.«

»Der Vater Jaguar? O, wenn der hier in der Nähe ist, so befinden wir uns nicht mehr in Gefahr.«

»Auch wenn er sich nicht hier befände, wärt ihr jetzt außer Gefahr. Ich zerschneide jetzt eure Banden; aber bleibet trotzdem genau so liegen, wie ihr jetzt liegt!«

Er zog sein Messer hervor und befreite sie in der Weise von ihren Fesseln, daß ein in diesem Augenblick erwachender Abipone doch nicht bemerkt hätte, was vorgenommen wurde. Dabei sprach er weiter:

»Die Feuer verlöschen, und nur dieses eine brennt noch. Wir sehen unsre Feinde nicht mehr genau; sie aber können uns beobachten. Darum müssen wir vorsichtig sein. Ich stehe jetzt auf und gehe wieder an den Bäumen hin und her; auch werde ich nach den Schläfern sehen. Finde ich, daß keiner von ihnen wach ist, so werde ich leise husten, und ihr kommt, einer hinter dem andern, nach der Stelle gekrochen, an welcher ich mich befinde. Unter den Bäumen dort wartet mein junger Freund Antonio. Sind wir bei diesem angelangt, so gehen wir, um die Pferde alle zu holen.«

»Ist nicht ein Wächter dort?« fragte der Häuptling.

»Ja, einer.«

»Den fürchten wir nicht. Ich habe zwar keine Waffe, aber ich erwürge ihn.«

»Du wirst ihn mir überlassen. Hörst du? Ich will euch ganz befreien; ihr sollt nichts dazu thun. Waffen werdet ihr auch haben. Es gibt hier Lanzen, Bogen, Pfeile und Blasrohre genug.«

Da nahm der Weiße zum erstenmal das Wort:

»Was nützen mir Bogen und Pfeile! Ich möchte mein Gewehr, mein gutes Gewehr haben.«

»Wo ist es?«

 

»Der Häuptling dort hat es bei sich liegen. Er hat es mir abgenommen. Ich hole es mir.«

»Ich kenne dich nicht und weiß nicht, ob du vorsichtig genug sein kannst. Ich werde es selbst holen.«

Da meinte EI Craneo duro:

»Du darfst diesen Señor nicht Du nennen, denn er ist Offizier. Auch ist er im Leben der Wildnis erfahren, und ich versichere dich, daß er sehr wohl im stande ist, sich sein Gewehr selbst zu holen.«

»Und die Patronen dazu,« ergänzte der Weiße, indem er mit den Zähnen knirschte. »Dieser Hund hat mir auch die Uhr und den Kompaß abgenommen. Er soll keinen Nutzen davon haben!«

»Thun Sie, was Ihnen beliebt,« meinte der Inka; »nur wecken Sie niemand auf!«

»Wird mir nicht einfallen! Ich habe es nur mit einem zu thun, und der wird länger schlafen, als er, da er sich niederlegte, für möglich gehalten hat. Er hat es gewagt, einen Offizier mit Füßen zu treten!«

Der Inka steckte sein Messer wieder zu sich, stand auf und patrouillierte wieder hin und her. Nach einiger Zeit ging er von Feuer zu Feuer und überzeugte sich, daß alle schliefen. Auch zum Häuptling begab er sich. Dieser schnarchte. Er hatte das Gewehr nicht neben sich liegen, sondern zu sich in die Decke gewickelt.

Darauf schritt der Inka wieder nach der andern Seite, stellte sich an dem Rande der Lichtung auf und klatschte leise in die Hand. Infolge dieses Zeichens kamen sie herbeigekrochen, erst der »Harte Schädel«, dann seine vier Cambas und endlich der Offizier. Der Inka deutete auf die in der Erde steckenden Spieße und sagte zu dem Weißen, als die Cambas sich beeilten, zu den Waffen zu gelangen:

»Ihr Gewehr ist leider nicht zu erlangen. Der Häuptling hat dasselbe zu sich in die Ponchos gewickelt.«

»Unsinn! Ich werde es mir nehmen, ohne ihn darum zu bitten.«

Er eilte davon, ehe es möglich war, ihn zurückzuhalten. Ja, dieser Mann mußte, wie der Häuptling gesagt hatte, sich in der Wildnis bewegt haben! Er glitt unhörbar und doch blitzschnell über den Platz hinüber. Man sah, wie er sich auf den Häuptling warf und daß er eine Minute lang auf ihm liegen blieb. Kein Laut war zu hören. Dann erhob er sich wieder und steckte etwas ein. Hierauf kam er ebenso gewandt herüber, sein Gewehr in der Linken und ein bluttriefendes Messer in der Rechten.

»Ich habe alles wieder, was er mir abgenommen hat!« sagte er grimmig. »Die Büchse, das Messer, die Uhr, die Munition, alles, alles; dieser Mann tritt keinem Offizier wieder mit den Füßen gegen den Leib. Aber nun weiter! Wo geht es jetzt hin?«

Der Inka schritt ihnen voran, unter die Bäume hinein bis zu Anton, welcher alles mit angesehen hatte. Der niedergeschmetterte Abipone hatte sich noch nicht geregt. Man ließ ihn natürlich liegen. Von hier aus wendete man sich den Weg zurück, den Hauka und Anton gekommen waren, bis man die Glocke der Madrina hörte. Da blieb der Inka stehen und sagte:

»Wartet hier, bis ich den andern Wächter unschädlich gemacht habe!«

»Nicht du! Das ist meine Sache,« entgegnete der »Harte Schädel«.

»Nein, sondern die meinige!« fiel der Offizier ein. »Diese Hunde wollten mich morgen im See ersäufen. Nun können sie die Leiche ihres Häuptlings hineinwerfen, und den Posten da bei den Pferden will ich ihnen auch noch liefern.«

Hauka wollte das nicht gelten lassen; aber der grimmige Mensch war bei dem letzten Worte auch schon fort. Die andern warteten und lauschten in die Nacht hinein. Es war nichts zu hören, aber nach höchstens zwei Minuten tauchte er wieder vor ihnen auf und berichtete:

»Es ist gut; der Bursche hat kein Wort dazu gesagt. Nun wollen wir uns Pferde nehmen, für jeden eins.«

»Nein,« antwortete der Inka. »Wir nehmen alle.«

»Alle? Wie ist das zu machen?«

»Es ist doch eine Madrina dabei, welcher sie folgen werden.«

»Qué pensamiento! Das ist wahr! Dieser Knabe ist kein dummer Kerl; das können wir machen. Also jenseits des Sees lagert der Vater Jaguar? Werdet ihr ihn finden?«

»Ja,« antwortete der Inka.

»So steigst du auf die Madrina, um voranzureiten, und wir andern treiben die ganze Herde hinterdrein.«

Er hatte etwas Rauhes, Befehlendes, was leicht verletzen konnte, in seiner Ausdrucksweise und seinem Tone. Hauka nahm dies schweigend hin, suchte die Madrina auf, löste ihr den Riemen von den Vorderbeinen, stieg auf und ritt langsam voran. Als die andren Pferde bemerkten, daß ihre Führerin sich in Bewegung setzte, folgten sie ihr sofort. Der Offizier und die fünf Cambas sprangen auf die letzten Tiere, um die Tropa (Herde) zu treiben; Anton aber, welcher selbstverständlich auch ein Pferd bestiegen hatte, hielt sich vorn zu dem Inka. Der Offizier wollte ihm nicht gefallen. In dieser Ordnung ging es um den halben See, und zwar nicht ganz auf demselben Wege zurück, welchen die beiden Jünglinge vorwärts eingeschlagen hatten. Diese waren erst mühsam durch den dichten Wald gegangen; er war bei dieser Finsternis für die Pferde unwegsam, darum wurde er umritten, da man auf diese Weise das Lager auch erreichen konnte.

Dort war nicht alles so still geblieben, wie Hauka und Anton es verlassen hatten. Der Vater Jaguar ließ die Posten alle Stunden ablösen und besaß die Angewohnheit, falls er einmal erwachte, einmal nachzusehen, ob alles in Ordnung sei. So auch heute. Das Zerspringen der Flaschen hatte ihn auf eine jähe Veränderung des Wetters aufmerksam gemacht, und als er sich schlafen legte, war der Himmel schon bewölkt. Die Sorge weckte ihn. Er sah, daß der Himmel ganz schwarz geworden war, und fühlte, daß sich ein eigentümlich scharfer und dabei doch hohler Wind erhoben hatte. Das deutete nach seiner Erfahrung auf einen Orkan, untermischt mit jenen Regenschauern des Gran Chaco, welche so schwer herabfallen, daß sie einen Menschen zu Boden schlagen können.

Was war da zu thun? Hier unter den Bäumen, welche den Blitz anziehen und im Sturme brechen konnten, zu bleiben, war nicht geraten. Aber das Unwetter draußen im offenen Campo oder der ebenso offenen Wüste abzuwarten, das hatte Bedenklichkeiten, welche wenigstens ebenso groß waren. Er rief also die Schläfer wach, um mit ihnen zu beraten, und ließ ein großes Feuer anzünden, damit man sich dabei sehen könne. Da stellte sich denn heraus, daß Anton und der Inka fehlten.

Man rief nach ihnen; aber sie kamen nicht und antworteten nicht. Anton war dem Vater Jaguar anvertraut worden; darum verstand es sich ganz von selbst, daß dieser über das unbegreifliche Verschwinden seines Schützlings in ungewöhnliche Besorgnis geriet. Man stellte allerlei Vermutungen auf, von denen keine sich als stichhaltig erwies, bis der Vater Jaguar auf den sehr natürlichen Gedanken kam, mit Hilfe eines Feuerbrandes nach den Spuren der Vermißten zu suchen. Man wußte ja die Stelle, an welcher sie gelegen hatten.

Ein harziger Ast diente als Fackel. Bei ihrem Scheine entdeckte man, daß die beiden Knaben sich heimlich in den Wald geschlichen hatten. Die Fackel verlöschte, und der Vater Jaguar, Geronimo und Anciano, welche diese Untersuchung vorgenommen hatten, standen im Dunkeln. Sie riefen wiederholt in den Wald hinein, doch ohne eine Antwort zu bekommen.

»Welch eine Unvorsichtigkeit!« meinte der Vater Jaguar fast zornig. »Ich habe bei unsrer Ankunft gesagt, daß es hier Jaguars geben kann. Wie nun, wenn sie einem solchen in die Klauen fallen! Sie haben ihre Gewehre zurückgelassen, können also gar nicht schießen.«

»Unvorsichtigkeit?« meinte Anciano. »Hauka ist nicht unvorsichtig. Er weiß stets, was er thut und warum er es thut. Und daß er seine Waffen nicht mitgenommen, beweist nur, daß er sie für überflüssig oder hinderlich gehalten hat.«

»Ueberflüssig sind sie in einer solchen Nacht niemals,« bemerkte Geronimo.

»Aber hinderlich,« fiel Anciano ein. »Hinderlich sind sie beim Gehen durch den Wald, bei einem heimlichen Schleichen an den Feind, bei –«

»Beim Schleichen an den Feind?«

unterbrach ihn der Vater Jaguar. »Das ist’s, das ist’s! Die verwegenen Knaben wollen ein Abenteuer haben, welches ihnen das Leben kosten kann. Wir müssen sofort aufbrechen, um das zu verhindern.«