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Das Vermaechtnis des Inka

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»Ich sage Ihnen, daß er ihn nicht kennt, daß er höchstens einmal bis an die Grenze desselben gekommen ist.«

»Aber er gehört doch zur Gesellschaft des Vaters Jaguar!«

»Das glaube ich nicht. Der Vater Jaguar braucht keine Narren.«

»Welchen Grund hätte er denn, es zu behaupten, wenn es nicht wahr wäre?«

»Das will ich Ihnen sagen, Señor. Der Mensch schwärmt bei Tage und träumt des Nachts nur von seiner Chirurgie; aus welchem Grunde, das weiß ich nicht; vielleicht sagt er es Ihnen einmal. Er rennt von einem Orte zum andern, um Knochenbrüche und andre Verletzungen zu finden. Sie haben ihm gesagt, daß Sie nach dem Gran Chaco wollen; da ist er denn sofort überzeugt gewesen, daß es Brüche, Stiche, Kugeln und Wunden geben wird, und hat sich Ihnen zur Begleitung angeboten. Der rettet Sie nicht, wenn Sie in Gefahr kommen.«

Der Estanziero meinte es aufrichtig gut. Morgenstern blickte still und nachdenklich vor sich nieder. Da sagte Fritze, der bei ihnen saß:

»Señor, machen Sie uns nicht bange! Wir sind Preußen, und ein Preuße kommt überall durch. Ich bin schon oben in Tucuman gewesen und denke, daß wir auch jetzt ganz gut hinaufkommen werden. Unsre Ideen sind nicht fix und krankhaft, sondern sehr gesund; darauf können Sie sich verlassen!«

Er sprach in dieser Weise, um die Besorgnis seines Herrn zu zerstreuen, nicht um den Estanziero zu beleidigen. Dieser aber mochte die zuversichtlichen Worte doch nicht recht am Platze finden, verzichtete darauf, guten Rat zu erteilen, und antwortete,

»Ganz wie Sie denken! Sie tragen nicht meine, sondern Ihre Haut zu Markte; es thut mir also nicht weh, wenn sie Ihnen abgezogen wird. Ich wünsche Ihnen aber alles Gute.«

Er stand auf und fragte, ob er ihnen ihre Lagerplätze anweisen dürfe. Man geht in jenen Gegenden gewöhnlich sehr früh schlafen, um zeitig aufzustehen. Die beiden Gäste wurden auf weiche Fellunterlagen gebettet und schliefen bei den Klängen der draußen noch ertönenden Lieder ein.

Als sie erwachten, ging eben die Sonne auf. Die Gauchos waren alle schon munter, obgleich sie sich viel später zur Ruhe niedergelegt hatten. Der Chirurg hatte in einem ihrer kleinen Ranchos geschlafen. Auch der Estanziero war aufgestanden. Ueber dem Herde brodelte in einem Kessel der Puchero, ein Gemisch von Kochfleisch, Maiskolben, Mandioca, Speck, Kohl und Rüben. Dazu gab es Mate zu trinken, von dem der Doktor aber, um sich nicht wieder zu verbrennen, nichts genoß.

Nach dem Essen ging man nach dem Kamp zu den Pferden. Der Estanziero war trotz der von Fritze erhaltenen Zu-

rechtweisung so uneigennützig, vier seiner besten Pferde selbst auszusuchen und sie Morgenstern zum Gesamtpreise von zweihundert Mark nach deutschem Gelde zu überlassen. Gegen den Chirurgen war er nicht so zuvorkommend; er schien ihm nicht hold zu sein. Dieser mußte selbst wählen und auch mehr bezahlen, obgleich seine Wahl keine für ihn günstige zu nennen war. Für das, was genossen worden war, eine Bezahlung anzubieten, wäre eine Beleidigung gewesen. Don Parmesan kaufte sich von einem Gaucho einen alten Sattel. Den beiden Deutschen ließ der Wirt zwei Pack- und zwei Reitsättel ab. Die letzteren waren von derjenigen Art, welche man Recado nennt und aus mehreren zusammenhängenden Teilen bestehen, die man des Nachts auseinanderschlagen und zur Herstellung des Lagers benutzen kann.

Als dies alles geschehen war, brachen die drei Reisenden auf.

»La enhora buena de la vuelta – Glück auf der Reise!« rief ihnen der Estanziero nach. »Nehmen Sie sich vor den Indianern des Gran Chaco in acht, welche mit vergifteten Pfeilen schießen. Die sind weit gefährlicher als Flintenkugeln!«

Diese sehr gut gemeinte Warnung war nicht unbegründet. Die Indianer Südamerikas bedienen sich noch heut kleiner, spitzer Pfeile, welche sie aus langen Blaserohren schießen. Das dazu nötige Gift bereiten sie aus dem Safte des Strychnosbaumes und einer Lianenart, welche sie Maracuri nennen. Zu diesem Safte kommen noch Pfeffer, Zwiebeln, Kockelskörner und andre, uns unbekannte Pflanzenstoffe. Er wird dick eingekocht und behält seine verderbliche Wirkung jahrelang, obgleich er frisch am schnellsten wirkt. Die kleinste Verwundung mit einem dadurch vergifteten Pfeile führt den unabänderlichen und sichern Tod von Mensch und Tier herbei, doch ist das Curare nur dann schädlich, wenn es direkt in das Blut kommt, gerade wie das Schlangengift. Die Indianer erlegen damit alle jagdbaren Tiere und verzehren dieselben, ohne Schaden davon zu haben. Der eigentlich wirksame Stoff dieses Giftes ist das Curarin, ein in der Rinde der genannten Pflanzen enthaltenes Alkaloid, welches dadurch tötet, daß es die Brustmuskeln lähmt und den Blutumlauf ins Stocken bringt. Wie stark es ist, wird dadurch bewiesen, daß ein Jaguar, von einem solchen winzigen Pfeile so leicht in die Haut getroffen, daß er es gar nicht fühlt, schon nach zwei Minuten tot zusammenbricht.

Der Weg führte, wie gestern, zunächst gerade nach Norden, zwischen dem Rio Salado und dem Rio Saladillo hin, hinter denen dichte Waldungen lagen. Nach nicht ganz einer Stunde führte eine hölzerne Brücke über den erstgenannten Fluß und dann erreichten die Reiter die meist von Deutschen bewohnte Kolonie Esperanza. Da sie den Vater Jaguar einholen wollten und also keine Zeit zu verlieren hatten, hielten sie hier gar nicht an, sondern jagten auf der Straße nach Cordova weiter.

Jagten! Ja, ein Jagen war es allerdings zu nennen, denn der Chirurg ritt in der hier zu Lande gebräuchlichen Schnelligkeit voran, und die beiden andern mußten folgen. In Argentinien legt man im Postwagen in der Stunde durchschnittlich zwanzig Kilometer zurück; ein Reiter aber macht wenigstens fünf Kilometer mehr. Wie lange das Pferd aushält, wird nicht gefragt. Dem Chirurgen fiel es auch nicht ein, sich diese Frage vorzulegen. Er bedachte nicht, daß er einer Gegend entgegenritt, in welcher es keine Estanzien gab, wo man Gelegenheit hat, ein abgetriebenes Pferd gegen Nachzahlung mit einem frischen zu vertauschen. Seine Sporen wühlten förmlich im Fleische seines armen Tieres, und wenn die Deutschen ihn baten, doch weniger grausam zu sein, lachte er gefühllos auf und trieb es nur noch ärger. Er war übrigens ein guter und, wie es schien, auch ausdauernder Reiter.

Fritze Kiesewetter saß auch nicht übel zu Pferde. Er hatte hier im Lande Gelegenheit gehabt, sich an den Sattel zu gewöhnen. Leider aber war dies bei dem kleinen Zoologen nicht der Fall. Zwar hatte er keine Angst vor dem Sattel verraten, jetzt aber zog er ein Gesicht, als ob sein Gaul mit ihm durch alle Wolken fliege. Er gab sich alle Mühe, im Gleichgewicht zu bleiben, und das gelang ihm auch recht leidlich, doch zeigten seine fest zusammengekniffenen Lippen, daß es ihm nicht allzu wohl dabei sei. Hätte er auf einem englischen Sattel gesessen, wäre es ihm wohl viel schwerer geworden, sich zu halten. Uebrigens hatte sein Pferd einen weichen, gleichmäßigen Gang, und da man meist in Carriere ritt, wurde derselbe auf das Beste zur Geltung gebracht. Dennoch war der gelehrte Paläontolog nach einem Stundenritte hinter Esperanza schon so ermüdet, daß er sein Pferd anhielt und den beiden andern zurief:

»Halt! Mein Pferd kann nicht weiter. Die Beine thun ihm weh! Es muß Ruhe haben, was der Lateiner Tranquillitas nennt.«

»Schön!« meinte Fritze, indem er halten blieb. »Ik bin’s sehr zufrieden, wenn wir eine Viertelstunde Ferien machen. Wenn wir in sonne Weise weiterjagen, kommen wir bis gegen Abend drüben in China an, und so weit wollen wir doch jar nicht.«

Der Chirurg aber wollte von einem Aufenthalte nichts wissen. Er gab als Grund an:

»Wir müssen heut noch bis Fort Tio kommen, und das sind wohl noch hundert Kilometer. Nur in diesem Falle können wir die Laguna Porongos bis morgen abend erreichen. Ich reite weiter!«

»In Gottes Namen!« antwortete Morgenstern, indem er abstieg und sich ins weiche Camposgras setzte. »Wenn Sie Ihr Pferd zu Tode hetzen wollen, so thun Sie es. Wo nehmen Sie dann ein andres her? Ein Pferd ist auch ein Geschöpf Gottes. Sehen Sie nur, wie Sie es in diesen zwei Stunden zugerichtet haben! Es blutet an beiden Seiten. Sie sind von einer fürchterlichen Grausamkeit, lateinisch Atravitas oder Crudelitas, auch Duritas oder Immanitas, sogar Saevitia genannt.«

»Was ich mit meinem Pferde thue, das ist meine Sache, denn ich bin es, der es bezahlt hat, Señor.«

»Was das betrifft, so werden wir Ihnen nicht widersprechen,« meinte Fritze, »obgleich wir behaupten könnten, daß der Umstand, daß Sie es bezahlten, Ihnen noch nicht das Recht gibt, es zu martern. Wir quälen unsre Pferde nicht, sondern gönnen ihnen und uns die nötige Ruhe. Wir können Sie, wenn Sie partout weiter wollen, nicht halten.«

Er setzte sich neben seinen Herrn nieder. Der Chirurg brummte einige unwillige Bemerkungen in den Bart, hielt es aber doch für besser, sich zu fügen anstatt weiter zu reiten. Schon nach einer halben Stunde aber drängte er wieder zum Aufbruche, und die beiden andern thaten nach seinem Willen, nachdem sie vorher den ihrigen durchgesetzt gehabt hatten.

Der weite Campo, durch den sie ritten, war vollständig eben und nur mit Gras bewachsen. Nirgends zeigte sich ein Strauch

oder gar ein Baum; Wälder und Buschwerk findet man nur da, wo es Wasser gibt. Als sie eine Weile geritten waren, vernahmen sie einen wüsten Lärm hinter sich. Sich nach demselben umdrehend, gewahrten sie, daß die Diligence, welcher die Post- und Passagierverbindung zwischen Santa Fé und Cordova oblag, ihnen folgte.

Eine solche Diligencereise ist etwas ganz andres als eine Fahrt mit einer ehrbaren deutschen Postkutsche. Der Unterschied zwischen beiden ist dem Kontraste zwischen einem linden Mailüftchen und einem rasenden Pamperosturm zu vergleichen.

Man spricht oder sprach zwar auch in den La Platastaaten von Straßen; aber bei diesem Worte darf man nicht etwa an chaussierte Wege, welche von Baumreihen eingesäumt werden, denken. Landstraßen oder gut und regelmäßig unterhaltene Wege gibt es dort nicht, da das Material zum Bau derselben vollständig mangelt. Holz ist selten, und Stein findet man gar nirgends. Ein jeder reitet oder fährt in der Richtung, welche ihn zum Ziele bringt, ganz gleich, ob dabei einen oder einige Kilometer weit nach rechts oder nach links abgewichen wird.

 

Das, was man Straße nennt, besteht aus einer mehr oder weniger breiten Reihe von Spuren und Geleisen, welche in beliebiger Art und Weise über die Pampas führen. Bald hat man einem Bodeneinschnitte zu folgen, bald einen Sumpftümpel zu umgehen oder einen jener kleinen aber steiluferigen Flüsse zu durchqueren, welche hie oder da vorkommen, um ohne alle Verbindung mit einem größeren Strome oder Flusse in der Pampa nach und nach zu verlaufen.

Genau so mangelhaft wie diese Straßen sind auch die Stationen, an denen die Pferde gewechselt werden, meist armselige Ranchos, in welchen der Reisende nicht eine Spur von jenen Bequemlichkeiten findet, auf welche bei uns jeder Passagier Anspruch machen zu müssen glaubt.

Und die Postwagen erst! Diese Fahrzeuge scheinen aus einer Zeit zu stammen, in welcher der Mensch mit dem Höhlenbären auf du und du verkehrte. Sie sind so roh gearbeitet und von so unbehilflicher Form, daß ihr Anblick einem zivilisierten Reisenden, der gezwungen ist, sich ihrer zu bedienen, Grauen einflößt. Das Innere derselben faßt gewöhnlich acht Menschen, während nach unsern Begriffen

nur vier Platz hätten. Und dazu müssen diese acht all ihr Reisegepäck bei sich haben. Draußen, hinter dem Kutscher oder Mayoral, gibt es noch zwei Plätze. Das Verdeck wird mit Poststücken und andern Dingen so hoch beladen, daß man glaubt, die Diligence könne unmöglich im Gleichgewichte bleiben und müsse schon bei den ersten Schritten der Pferde umstürzen. Und doch kommt es vor, daß überzählige Reisende noch da oben auf diesem Turmbaue Platz nehmen.

Zu dieser Kutsche gehören acht Pferde. Vier sind vor den Wagen nebeneinander gespannt, vor ihnen zwei und vor diesen eins, auf welchem der Vorreiter sitzt. Auf dem achten »Rößli« sitzt ein Peon, welcher nebenher reitet und die Aufgabe hat, die Pferde anzutreiben und etwa herab- oder herausfallende Gegenstände aufzulesen.

Die Geschirre sind im höchsten Grade primitiv. Jedes Zugpferd bekommt einen Ledergurt um den Leib geschnallt, an welchem ein Lasso befestigt ist, mit dem es an dem Wagen hängt.

Der Mayoral hat einen spitzen Stock, mit dem er die hintern Pferde anstachelt und eine lange Peitsche, mit welcher er die vordern Tiere erreichen kann. Auch der Vorreiter und der Peon sind im Besitze von je einer Peitsche, so daß also an Mitteln, den Pferden »gütlich« zuzureden, kein Mangel ist. Oft sitzt auf einem der beiden Mittelpferde noch ein Gaucho, welcher natürlich auch mit einer Peitsche versehen ist.

Diese vier Bediensteten der Diligence haben, mit unsern Postillonen verglichen, das Aussehen von Räubern, denen man sein Eigentum und Leben für keinen Augenblick anvertrauen möchte, sind aber brave und ehrliche Leute, die ihr Fach verstehen und ihren Verpflichtungen in einer Weise nachkommen, daß einem Hören und Sehen vergehen möchte.

Nehmen wir an, die Kutsche ist beladen und die Passagiere sind eingestiegen. Sie haben sich nach Möglichkeit zurechtgesetzt und sind überzeugt, daß die Fahrt nun beginnen werde. Sie beginnt auch, denn der Mayoral stößt ein tigerartiges Gebrüll aus und stößt den hintern Pferden die Spitze seines Stockes in die offenen Wunden, welche von früher zurückgeblieben sind, und handhabt zu gleicher Zeit die Peitsche, als ob er die vordern Pferde erschlagen wolle. Der Mittelreiter, der Vorreiter und der Peon brüllen ebenso und hauen mit ihren Peitschen auf die Tiere ein. Diese springen an; der schwerfällige Wagen thut einen Ruck nach vorn, neigt sich nach rechts, nach links und wird dann von den gepeitschten Pferden vorwärts gerissen. Die Passagiere stoßen bei dem gewaltigen Rucke die Köpfe zusammen und verlieren ihre Hüte; ihr Gepäck rollt ihnen auf den Schoß oder zwischen die Beine; sie strecken die Arme aus, um sich gegenseitig aneinander festzuhalten; der eine erfaßt den andern beim Barte und dieser ihn an der Uhrkette.

»Was wollen Sie mit meinem Barte, Señor?« fragt dieser.

»Und was haben Sie mit meiner Kette?« fragt jener.

»Es geschah ohne Absicht. Entschuldigen Euer Gnaden!«

»Bitte ebenso um Verzeihung, Señor. Ich hatte wirklich keine Absicht auf Ihren Bart.«

Die Diligence fliegt aus der Station hinaus. Da thut es hinten einen Krach.

»Anhalten, anhalten!« schreit der Peon. »Bei San Jago, Mayoral, wir müssen halten!«

Dieser zügelt die Pferde und brüllt:

»Was geht mich dein San Jago an! Ich habe zu fahren, nicht aber zu beten. Was störst du mich?«

»Es ist eine Kiste heruntergefallen. Da hinten liegt sie.«

»So hole sie und wirf sie wieder hinauf!«

»Sie scheint zerbrochen zu sein.«

»Kann ich dafür? Warum nimmt man kein stärkeres Holz zu diesen Kisten. Was ist denn drin?«

»Werde nachsehen.«

Er steigt ab und bringt die Kiste herbei. Der Deckel ist losgesprungen. Auf demselben ist die Adresse eines Professors an der Universität von Cordova zu lesen. Die Kiste enthält Flaschen, von denen einige zerbrochen sind. Eine rote Flüssigkeit tropft heraus und duftet angenehm in die Nase des Peons.

»Bei meiner Seligkeit, es ist Rotwein!« ruft er aus. »Vier Flaschen sind zerbrochen, glücklicherweise nur oben an den Hälsen.«

»Nimm sie heraus! Jedem von uns eine. Man wird dieses Labsal doch nicht zur Erde laufen lassen.«

Die leeren Flaschen werden ausgetrunken, worauf man die Kiste mit einem Riemen zuschnürt und oben auf dem Verdeck anbindet. Dann geht die Fahrt weiter, wobei die Passagiere wieder aneinander geraten.

»Entschuldigen Euer Gnaden! Das ist mein Bein!« sagt einer derselben, der an seinem Beine gezerrt wird.

»O Verzeihung, Señor! Ich hielt es für das meinige, welches ich zwischen diesen Paketen hervorziehen wollte. Wo haben Sie Ihren Hut?«

»Auf Ihrem Kopfe. Euer Gnaden haben ihn soeben aufgesetzt. Der Ihrige ist aus dem Fenster gefallen.«

»Himmel! Zum Fenster hinaus? So ist er verloren. Woher bekomme ich einen andern! Schreckliche Geschichte, so eine Fahrt mit der Diligence!«

Glücklicherweise ist der Hut nicht verloren. Der Peon hat ihn fliegen sehen, ist umgekehrt, hat ihn, ohne abzusteigen, aufgehoben und bringt ihn jetzt zurück. Indem er ihn zum offenen Fenster hereinwirft, ruft er:

»Hüte festhalten oder anbinden, Señores! Wir haben fast dreißig Kilometer in der Stunde zurückzulegen und können auf Ihre Hüte keine Rücksicht nehmen.«

Dann reitet er wieder vor, um die Zugpferde mit Gebrüll und Peitschenhieben anzutreiben. Gelangt man zufälligerweise an einen ausgetrockneten Bach oder kleinen Fluß, so geht es in Carriere hüben hinab, hindurch und drüben wieder hinauf. Der Peon aber springt vom Pferde, um im Bette des Flusses nach Rollkieseln, den einzigen Steinen, welche es in den Pampas gibt, zu suchen. Er füllt seine Taschen damit und sprengt der Diligence nach, um, wenn die Hiebe nicht genug fruchten, die Pferde dadurch anzutreiben, daß er sie mit Kieseln bombardiert.

Dieser Peon ist ein Meister im Reiten, wird aber von dem Vorreiter womöglich noch übertroffen. Dem letzteren liegt es ob, die Richtung anzugeben. Er hat das Gelände zu überschauen, um mit sicherem Blicke die zu vermeidenden Stellen zu entdecken. Dazu gehört, da man stets in Carriere fährt, eine große Uebung. Oft muß er, um eine gefährliche Stelle zu umgehen, eine ganz plötzliche Wendung machen. Dann schreit er wie verrückt; der Mayoral brüllt und haut und sticht auf die Pferde ein, und der Mittelreiter und der nebenher jagende Peon heulen ebenso laut. Die Passagiere, denen himmelangst wird, lassen ihre Stimmen auch hören. Das Gefährt wird in die betreffende Richtung gerissen, um dann gleich wieder auf die andre Seite gezerrt zu werden, was sich besonders dadurch so gefährlich ausnimmt, daß der Vorreiter

jede Abweichung von der geraden Linie übertreiben muß.

Will er, daß der Wagen in einem Winkel von zehn Grad abweiche, so reitet er selbst in einem Winkel von dreißig Grad nach der betreffenden Seite. Kommt dann eine ebenso große und ebenso rasche Biegung nach der andern Seite vor, so hat er sein Pferd auf einer Strecke von nur wenigen Metern in einem Winkel von sechzig Graden hin und her gerissen, wobei dem angstvoll zuschauenden Passagiere sich die Haare auf dem Kopfe sträuben möchten.

Man legt, wie bereits erwähnt, auf diese Weise wohl fünfundzwanzig Kilometer in der Stunde zurück, doch nur mit frischen Pferden, welche durch das unsinnige Jagen bald so ermatten, daß dieses Resultat nach und nach ein geringeres wird.

Nähert man sich einer Station, auf welcher Pferdewechsel stattfindet, so jagt der Peon voraus, um die Leute dort zu benachrichtigen. Die Diligencegesellschaften haben nämlich mit denjenigen Estancieros, Hacienderos und Rancheros, deren Besitzungen in der Nähe des Weges liegen, Kontrakte abgeschlossen. Sobald der Peon kommt, werden die Pferde in den Corral getrieben, um da gefangen zu werden. Man hält sie fest und legt ihnen den Gurt an. Die Tiere wissen, welche Anstrengungen und Mißhandlungen ihnen bevorstehen, und wehren sich aus Leibeskräften. Das führt dann wieder zu Scenen, von denen der gebildete Mann sich mit Unwillen abwendet. Die gebrauchten Pferde werden frei gelassen und rennen, vor Freude wiehernd, davon; die frischen werden, indem sie sich bäumen und schnaubend um sich schlagen, an den Wagen gehängt, und dann geht die tolle Fahrt von neuem an.

In den Jahreszeiten des fetten Graswuchses sind die Pferde besser genährt und vermögen solche Anstrengungen leidlich auszuhalten. Ist aber die Weide mangelhaft, oder liegen die Pampas gar dürr, so sind die armen Tiere ausgehungert und vermögen den schweren Wagen kaum zu schleppen. Sollen sie dann noch in rasender Carriere laufen, so können sie es nicht aushalten und brechen schließlich mitten im Rennen zusammen. Das thut aber nichts. Man hat Reservepferde mitgenommen. Man schnallt dem Gurt einem derselben um und läßt das gestürzte Pferd einfach liegen. Es lebt noch, ist aber so abgehetzt und ermattet, daß es nicht aufstehen kann. Seine Flanken schlagen; seine Extremitäten zucken krampfhaft; seine Augen sind mit Blut unterlaufen, und die Zunge hängt ihm weit aus dem geöffneten Maule. Die Geier, welche in Menge auf den Pampas vorhanden sind, und denen niemand etwas thut, weil sie die Gesundheitspolizei bilden, nähern sich und reißen dem armen Tiere das Fleisch fetzenweise vom Leibe. Nach wenigen Stunden ist von dem Pferde nur das vollständig fleischlose Gerippe noch vorhanden. Daher kommt es, daß man fast bei jedem Schritte gebleichten Knochen begegnet. Das Leben eines Pferdes hat eben für den Gaucho keinen Wert. Und wollte man ihn auf die moralische Seite dieser Behandlung eines Geschöpfes Gottes aufmerksam machen, so würde er erstaunt auflachen, weil er nicht das mindeste Verständnis dafür besitzt.

Eine solche Diligence kam jetzt hinter den drei Reitern her. Sie fuhr schneller, als diese ritten und hatte sie also sehr bald eingeholt. Im Vorüberjagen rief der Peon fragend:

»Wohin, Señores?«

»Nach Fort Tio, Euer Gnaden,« antwortete der Chirurg.

»Wir kommen dort vorüber. Soll ich für Euer Gnaden Quartier bestellen?«

»Ja, ich bitte Sie darum, Señor!«

Die wilde Jagd ging weiter und war sehr bald am Horizonte verschwunden.

»Ist so etwas erhört?« meinte Fritze kopfschüttelnd. »Bei uns zu Hause würde diesen Leuten sehr bald dat Handwerk jelegt werden. Und da soll man sie noch mit Euer Gnaden titulieren! Wat sagen Sie zu sonne Tierquälerei, Herr Doktor?«

» Gar nichts, als daß man diese Menschen einmal so behandeln sollte, wie sie ihre Pferde behandeln. Dann würden sie vielleicht zur Einsicht kommen, was der Lateiner Intelligentia oder auch Perspicientia nennt.«

Morgenstern hatte die Ruhepause nur wegen sich selbst, nicht aber seines Pferdes wegen gehalten. Dieses war noch gar nicht ermüdet gewesen, und so ging es jetzt im fröhlichen Galopp weiter. Er freilich machte kein sehr fröhliches Gesicht dazu, denn das Reiten strengte ihn an. Er gab sich alle Mühe, dies nicht merken zu lassen, doch mußte am Nachmittage noch ein längerer Halt gemacht werden, und so war es beinahe Abend geworden, als sie das Fort vor sich liegen sahen. Es war ihnen leicht gewesen, den Weg zu demselben zu finden. Das Geleise der Diligence war ein zuverlässiger Führer gewesen.

Unter einem Fort an der argentinischen Indianergrenze darf man sich nicht das denken, was man hier bei uns unter einem Fort versteht. Fort Tio bestand aus einer von dichten, stachelichten Kaktushecken eingefriedigten Fläche, welche von einem Graben umgeben war. Auf dieser Fläche standen einige Ranchos, in denen jetzt wohl zwanzig Soldaten lagen, deren Kommandeur ein Lieutenant war. Der Eingang stand weit offen. Als die drei Männer hineinritten, kam ihnen dieser Lieutenant entgegen.

 

»Willkommen!« rief er ihnen zu. »Wir freuen uns, Señores, Sie bei uns zu – — —«

Er hielt inne. Sein Auge war auf den Chirurgen gefallen. Da lachte er fröhlich auf und fuhr fort:

»El Carnicero! Ah, sehen wir uns einmal wieder? Welche Operationen haben Sie ausgeführt, seit wir uns in Rosario zum letztenmal sahen?«

Dies war in einem einigermaßen spöttischen Tone gesprochen. »Don« Parmesan fühlte sich beleidigt und antwortete spitz:

»Ich liebe es, daß sich für meine Operationen nur diejenigen Leute interessieren, welche ich operiert habe oder operieren soll. Soll ich Ihnen oder einem Ihrer Untergebenen ein Bein oder einen Arm abnehmen?«

»Nein, Señor, wir sind glücklicherweise alle sehr gesund und wohl.«

»So lassen Sie uns nicht von solchen Sachen sprechen, obgleich ich Sie wohl fragen könnte, was Sie zum Beispiel zu einer Entfernung der untern Kinnlade sagen. Würde der Patient auch ohne dieselbe leben können?«

»Das vermag ich nicht zu sagen. Ich weiß nur, daß ich ohne die meinige nicht leben möchte. Was für Señores darf ich neben Ihnen begrüßen?«

»Zwei deutsche Gelehrte, von denen der eine der Diener des andern ist. Ihre Namen mögen sie selbst sagen; meine Zunge ist nicht im stande, sie auszusprechen. Ich will lieber einem Elefanten alle beide Zähne ziehen, als mich an diesen beiden Namen vergreifen, welche mit Mor – Mor – und —Kies – Kies – anfangen und sodann mit Silben enden, welche mir höchst unbegreiflich sind.«

Morgenstern nannte seinen und Fritzens Namen und wurde mit diesem nach dem Rancho geführt, welchen der Lieutenant bewohnte. Der letztere hatte schon einige

Male nach ihnen ausgeschaut, da der Peon sein Versprechen wirklich gehalten und sie angemeldet hatte.

Die Soldaten besaßen Pferde und Rinder, welche sie am Tage im Freien weiden ließen und abends in das Innere des Forts trieben. Die Rinder gehörten mit zur Verproviantierung des Ortes. Fleisch gab es also genug. Es wurde den Gästen so viel vorgelegt, daß diese es gar nicht zu bewältigen vermochten.

Im Laufe der Unterhaltung bemerkte der Offizier gar bald, wes Geistes Kinder er vor sich hatte. Ein Mensch, der in die Pampas oder gar in den Gran Chaco ritt, um Knochen auszugraben, mußte seiner Ansicht nach wenn nicht ganz, so doch wenigstens halb wahnsinnig sein. Er sah ein, daß gegen diese Idee nichts zu machen sei; aber in Beziehung auf die Ausführung derselben wollte er denn doch einige Bemerkungen machen, welche er für notwendig hielt. Er sah, in welch unvollkommener Weise diese drei Männer ihre Vorbereitungen zu einer so beschwerlichen und gefährlichen Reise getroffen hatten, und fragte deshalb in wirklich neugierigem Tone Morgenstern:

»Sie verweilen jedenfalls einige Zeit hier, um Gefährten oder Diener zu erwarten, welche noch zu Ihnen stoßen werden, Señor?«

»Nein. Ich habe nur einen Gefährten; das ist Señor Parmesan, und auch nur einen Diener; das ist Fritze Kiesewetter, den Sie hier vor sich sehen.«

Parmesan hielt sich nämlich nicht beim Lieutenant, sondern bei dessen Soldaten auf.

»Wie?« meinte der Offizier verwundert. »So kommt niemand, der Ihnen diejenigen Gegenstände nachbringt, die Ihnen im Gran Chaco unentbehrlich sind?«

»Niemand. Was ich brauche, das habe ich bereits.«

»Sie irren, Señor. Wovon wollen Sie dann leben? Haben Sie Mehl?«

»Nein.«

»Dürrfleisch, Fett und Speck?«

»Nein.«

»Kaffee und Thee? Kakao und Tabak?«

»Nein.«

»Pulver, Zündhölzer und alle diejenigen Kleinigkeiten, welche ein gebildeter Mann nicht entbehren kann? Kleider, Schuhzeug, Scheren und andres Handwerkszeug?«

»Meine Kleider habe ich an. Pulver habe ich einen ganzen Lederbeutel voll.«

»Das ist nicht genug. Und das andre alles fehlt Ihnen auch. Was wollen Sie

trinken und essen? Haben Sie Geschirr zum Kochen?«

»Das brauche ich nicht, da ich nicht kochen werde. Trinken werde ich Wasser, und essen werde ich Fleisch.«

»Aber das finden Sie nicht überall.«

»O doch. Wasser gibt’s an allen Orten, und Fleisch werde ich mir schießen.«

»Sind Sie ein guter Schütze?«

»Fritze schießt ausgezeichnet.«

»So will ich Ihnen sagen, daß es Wasser nicht überall gibt. Jenseits des Rio Salado kommen Sie in Montes impenetrabiles sin agua, in die undurchdringlichen und wasserlosen Waldungen. Da können Sie wochenlang dürsten, ohne einen Schluck Wasser zu finden. Und Fleisch? Wenn Sie kein guter Jäger sind, müssen Sie verhungern.«

»Schwerlich! Ich habe gelesen, daß Hunderte von Trappern und Fallenstellern in Nordamerika von dem Fleische wilder Tiere leben. Hunger, was der Lateiner Fames nennt, werden wir nicht leiden.«

»Südamerika ist nicht Nordamerika. Dann die Indianer!«

»Die werden mir nichts thun, weil ich ihnen nichts thue.«

»Sie irren. Wir müssen ihnen zu bestimmten Zeiten einen Tribut – wir nennen es freilich Geschenk – an Pferden, Rindern und Schafen geben, damit sie unsre Herden nicht lichten und uns unsre Tiere nicht stehlen. Dennoch kommen sie häufig über die Grenze, und treiben uns das Vieh zu Hunderten von Stücken weg. Dabei nehmen sie auch

Menschen gefangen und schaffen sie nach dem Chaco, um sie nur gegen Geld freizugeben. Sie kommen dann ganz offen in unsre Städte und zu unsern Behörden, um das Lösegeld zu fordern.«

»So gebt es ihnen nicht, sondern bestraft sie!«

»Das geht nicht, Señor. Würden wir einen solchen Boten von ihnen züchtigen, so wären die weißen Gefangenen, um welche es sich handelt, verloren. Wie nun, wenn Sie auch von ihnen festgenommen werden?«

»Mich bekommen sie nicht. Ich bin außerordentlich schlau und vorsichtig, was der Lateiner astutus und catus oder prudens nennt.«

»Mag sein. Ich will das nicht untersuchen. Aber Ihre Kleidung! Wie lange wird sie bleiben, wie sie ist? In der Wildnis geht sie bald in Stücke.«

»Ich nehme sie in acht.«

»Und die Stiefel. Sie haben ja Gauchostiefel ohne Sohlen an. Meinen Sie, daß Ihre Füße über die Dornen und Stacheln des Gran Chaco auch kommen werden?«

»Ich reite ja!«

»Ihr Pferd kann krepieren!«

»So haben wir Reservepferde. O, ich habe an alles gedacht. Uebrigens sind wir nicht ganz allein auf uns angewiesen. Wir werden Freunde finden.«

»Wer ist das?«

»Die Truppe des Vaters Jaguar.«

»Ah! Kennen Sie diesen?«

»Ja. Wir haben uns in Buenos Ayres getroffen. Er ist uns vorangeritten, und wir werden ihn einholen.«

»Wenn das der Fall ist, so werden Sie sich allerdings in sehr guten Händen befinden. Er war hier; er wollte nach der Laguna Porongos, um dort zwei Tage zu bleiben.«

»Dann treffen wir ihn gewiß, denn wenn wir morgen zeitig aufbrechen, kommen wir gegen Abend bei der Laguna an.«

»Weiß er denn, daß Sie vorweltliche Tiere ausgraben wollen?«

»Ja. Er hat mir versichert, daß im Chaco welche zu finden sind.«

»Und hat Sie aufgefordert, dorthin ihm nachzukommen?« fragte der Offizier ungläubig.

»Das nicht. Ich bat ihn, mich mitzunehmen; er aber verweigerte es mir.«

»Das konnte ich mir denken. Er hat andres zu thun, als mit Ihnen nach alten Knochen zu suchen. Und so sind Sie ihm also heimlich gefolgt, ohne daß er es weiß?«

»Ja, heimlich, was der Lateiner clanculum oder clandestinus, auch furtinus und latito nennt.«

»Ich befürchte, Sie sind des Lateinischen sicherer, als einer freundlichen Aufnahme von seiten dieses berühmten Mannes. Kehren Sie um! Graben Sie auf der Pampa nach alten Resten! Das ist nicht so gefährlich, wie eine Reise durch den Chaco, wo hinter jedem Baume ein Jaguar oder Indianer lauern kann!«