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Abdahn Effendi

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Um die Mittagszeit gab es einen großen Lärm. Es kamen türkische Soldaten, zwanzig Mann, unter dem Kommando eines Leutnants und eines Sergeanten. Sie nahmen in der türkischen Karawanserei Quartier. Und gegen Abend wiederholte sich der Lärm. Es kamen persische Soldaten, zwanzig Mann, auch unter dem Kommando eines Leutnants und eines Sergeanten. Die nahmen Quartier in der persischen Karawanserei. Keiner der beiden Leutnants meldete sich und seine Truppe beim Kommandanten der betreffenden Douane. Und keiner der beiden Leutnants betrat Abdahn Effendis Haus. Das ließ nichts Gutes ahnen! Sie logierten bei ihren Mannschaften im Serai.

Was mich und Halef betrifft, so machten wir am Nachmittage einen Ausflug, bei dem uns der persische Selim Agha begleitete. Unterwegs nahm er Gelegenheit, mich zu fragen:

»Sihdi, hat mein türkischer Kamerad den Irrtum berichtigt, in dem du dich über uns befindest?«

»Ja,« antwortete ich.

»Was sagte er?«

»Das er nicht Leutnant, sondern Sergeant sei.«

»Das mußt du falsch verstanden haben. Er ist nicht Tschausch (Sergeant) und ich bin nicht Bing Sadeh (Sergeant), sondern er ist On Baschi (Korporal) und ich bin Deh-Baschi (Korporal). Ich bitte, dir dies zu merken!«

Und als wir dann zum Abendessen kamen, saßen die beiden Achmed Agha schon bereit. Der türkische fragte:

»Weißt du noch, daß ich nicht Bimbaschi (Major), sondern nur Fus Baschi (Hauptmann) bin?«

»Und ich nicht Yawär (Major), sondern Sulthan (Hauptmann)?« fügte der persische hinzu.

Ich nickte nur und winkte ab. Halef aber besaß diese Selbstbeherrschung nicht. Er lachte laut auf. Und es klang auch wirklich lächerlich, zu hören, wie diese imitierten Chargen immer tiefer herunterstiegen. Dieses Rückwärtsavancieren erreichte am nächsten Morgen seinen niedrigsten Grad, also seinen ursprünglichen Stand. Da kamen die vier Agha zum Kaffee zusammengelaufen, um einander und den Effendi zu berichten, daß die Soldaten gesagt hätten, heute sei noch Ruhe, morgen aber gehe die Untersuchung los. Die Adjutanten seien längst schon hier! Hierauf herrschte zunächst allgemeine Stille. Der Dicke nahm mich in die Augen, als ob er mich vor Haß verschlingen wolle, denn er hielt mich ja für den türkischen Adjutanten. Der türkische Achmed Agha aber sprach:

»Sihdi, du wirst dich auf das besinnen, was ich dir gestern abend offen und ehrlich sagte, nämlich, daß ich nicht Jus Baschi (Hauptmann), sondern Mälasim (Leutnant) bin!«

»Und ich nicht Sulthan (Hauptmann), sondern Naib (Leutnant)!« gestand der persische.

Diese Gelegenheit nahm der türkische Selim Agha schleunigst wahr, indem er mich fragte:

»Weißt du noch, daß ich nicht On Baschi (Korporal), sondern Nefer (Gemeiner) bin?«

»Und ich nicht Deh-Baschi (Korporal), sondern Särbahs (Gemeiner) bin?« folgte der persische Selim Agha seinem Beispiele.

Da lachte Halef wieder laut auf und rief:

»Hörst du, Sihdi, wie sie müssen, obgleich sie nicht wollen. Es drängt doch jede Lüge mit Gewalt nach der Wahrheit zurück. Sie kann keinen Augenblick länger bestehen, als Allah will!«

Da waren die vier Degradierten mäuschenstill; die Stimme Abdahn Effendis aber klang scharf zu uns herüber:

»Sihdi, ich habe eine Bitte. Der Perser und der Türke, die über euch wohnen, behaupten, daß sich Ungeziefer bei ihnen eingenistet habe. Sie können nicht schlafen. Ich will heut oben säubern und reinlichere Möbel hineinsetzen lassen, auch bei euch. Ist dir das recht?«

»Sehr recht«, antwortete ich. »Ich bin sogar überzeugt, daß du noch weit größeres und weit gefährlicheres Ungeziefer vernichten wirst, als du jetzt denkst. Ich werde dich heute abend hieran erinnern. Für jetzt lebt wohl! Sobald unsere Stuben bereitet sind, kehren wir zurück.«

Wir gingen und eilten auf das glatte Dach zu unserem Loche. Da sah und hörte ich alles, ohne selbst gesehen zu werden, denn die beiden Adjutanten waren schon fort und von unten aus konnte man nicht bemerken, daß wir platt niederlagen und horchten. Es war beschlossene Sache, daß wir heute in die Luft gesprengt werden sollten. Sie alle waren damit einverstanden, alle sechs! Es sollte nach dem Abendessen geschehen, und der Basch Tschausch war es wieder, der sich an den Pfirsichbaum zu schleichen und der Zündschnur Feuer zu geben hatte. Von Mitleid gab es nicht die geringste Spur. Man freute sich vielmehr. Man lachte schon jetzt über das Entsetzen, mit welchem die gestern angekommenen Soldaten sich beeilen würden, wieder zu verschwinden. Abdahn Effendi schloß die Beratung mit den Worten:

»Man hat gesagt, heute gehe die Untersuchung los. Sie mag beginnen. Das Urteil aber ist schon gesprochen und wird auch heute schon ausgeführt! Ihr wißt, daß ich ein Gemütsmensch bin, wenn es sich aber um Sein oder Nichtsein handelt, dann wehre ich mich bis auf das letzte Messer. Mit den vier Kerlen ist es aus! Und wenn die Soldaten sich nicht verduften wollen, so helfen wir mit unserem Heer von Paschern nach!«

Länger zu horchen, wäre unnütz gewesen. Wir gingen, und zwar direkt nach der Mühle, weil ich als sicher annahm, daß die Adjutanten dort zu finden seien. Diese Vermutung erwies sich als richtig; sie waren dort; aber die Mühle war rings von Soldaten umstellt, die uns nicht passieren lassen wollten. Ich machte kurzen Prozeß, gebärdete mich als Vorgesetzter und schob den Doppelposten, der uns zurückhalten wollte, einfach beiseite. Die Müllersleute freuten sich, als sie uns sahen. Die Adjutanten verhielten sich reserviert. Sie hatten von unseren Pässen erfahren und befanden sich nun in einer Verlegenheit, die sie nur unter der Maske der Zurückhaltung verstellen konnten. Halef wollte Gleiches mit Gleichem vergelten und nun seinerseits so tun, als ob er sie nicht sähe; ich sagte ihm aber, daß dies nicht edel sei, und da er bekanntlich mit Eifer danach trachtete, für einen edeln Menschen gehalten zu werden, so verzichtete er sehr gern auf diese Rache und befand sich sehr bald in angelegentlichem Gespräch mit ihnen.

Dieselben Soldaten, welche die Mühle umstellt hielten, hatten die beiden Väter des Müllerpaares gebracht, die einstigen hiesigen Douanenkommandanten, die als Gefangene in Ketten abgeführt und dann verurteilt worden waren. Sie waren noch heute gefangen, aber es stand im Belieben der Adjutanten, sie sofort freizulassen, sobald ein Zeichen ihrer Unschuld zu finden sei. Die Steuern hatten in den letzten Jahren keine Einnahmen mehr ergeben und man war auf das unvorsichtige prahlerische Gebaren der Söhne des dicken Effendi aufmerksam geworden. Es entstand der Verdacht, daß diese Geldquelle des Staates auf eine bisher unerhörte Weise in Privattaschen abgeleitet werde. Die Adjutanten wurden abgesandt, hier heimlich zu recherchieren. Sie konnten nichts entdecken. Sie baten um Militär und um Zusendung der abgesetzten, früheren Kommandanten, weil diese die Verhältnisse kannten und die Listen ihrer einstigen Ankläger und Widersacher wohl durchschauen würden. Nun waren sie gestern angekommen. Wir bekamen sie zu sehen, sie und ihre beiden Frauen, die bei ihren Kindern hier auf der Mühle lebten, uns aber noch nicht vor die Augen gekommen waren.

Diese lieben, guten, alten, unschuldigen Leute! Man sah es den beiden Frauen an, wie sehr sie sich gegrämt und nach ihren Männern gesehnt hatten! Und diese Männer trugen noch heute die von Handring zu Handring gehende Kette, durch die sie an der Flucht verhindert werden sollten. Ich sagte ihnen schon gleich während der ersten fünf Minuten, als ich mir ihnen redete, daß sie diese Ketten morgen nicht mehr tragen würden. Da fielen mir aber die beiden Adjutanten sofort in die Rede, indem sie mich aufforderten, mich nicht in ihre Obliegenheiten zu mischen; sie hätten nichts erfahren können, und es könnten noch Wochen vergehen, ehe man etwas entdeckte.

»Bis dahin seid Ihr dann längst in die Luft gesprengt!« antwortete ich.

»In die Luft gesprengt?« fragte der Perser verwundert. »Wieso?«

»Wo schlaft Ihr heute abend?« gegenfragte ich.

»Natürlich da, wo wir hier immer geschlafen haben, in unseren beiden Stuben!«

»Und Ihr wißt, daß schon einmal zwei Adjutanten hier gewesen sind, um eine Untersuchung anzustellen?«

»Wir wissen es. Sie fanden ebenso wenig wie wir, nämlich nichts. Und sie gingen sehr unvorsichtig mit ihrem Pulver und ihren Patronen um. Sie waren starke Raucher; sie machten oft Feuer; sie flogen in die Luft.«

»So? Ich weiß das anders. Es ist mit ihnen genau dasselbe geschehen, was heute mit euch und uns geschehen soll. Man hält euch beide für den persischen Adjutanten und seinen Schreiber. Weißt du, was heute mit unseren Wohnungen geschieht?«

»Sie werden gesäubert.«

»Fällt keinem Menschen ein! Man gibt nur andere Möbel hinein, um die es nicht schade ist, in die Luft zu fliegen. Man praktiziert uns Pulver oder einen anderen Sprengstoff in die Stuben. Man legt eine Zündschnur, die vom Dach an dem Pfirsichbaum niederläuft, der an der Ecke des Hauses steht. Diese Schnur wird nach dem Abendessen von dem Basch Tschausch des türkischen Kommandanten angezündet werden. Wir fliegen in die Luft und dann wird es wieder heißen, daß die Adjutanten zu dumm gewesen sein, etwas zu entdecken, und daß sie unvorsichtig mit Feuer, Pulver und Patronen gespielt haben!«

Die Wirkung dieser Worte war groß. Erst tiefe Stille, dann hundert drängende Fragen von allen Seiten. Die Adjutanten forderten Beweise.

»Holt sie euch!« sagte ich. »Heute abend! Ich habe gelauscht; ich hörte zufälligerweise sprechen. Was ich gehört habe, sage ich euch. Was ihr dann tut, ist eure Sache. Ihr habt uns ja verboten, uns um eure Angelegenheiten zu kümmern!«

Nun stand ich von meinem Sitze auf und entfernte mich, um weiteren Fragen zu entgehen. Halef tat dasselbe. Ich verbot ihm, diesen beiden Männern auch nur das Geringste zu entdecken. Wir gingen wohl gegen zwei Stunden lang spazieren, absichtlich nicht kürzere Zeit. Als wir zurückkehrten, wurde uns mitgeteilt, daß beschlossen worden sei, die Wahrheit unserer Behauptungen zu prüfen. Man werde unsere vier Stuben genau durchforschen und, falls das, was ich sage, richtig sei, die ganze Bande gefangen nehmen und mit der Untersuchung sofort beginnen. Es stehe zu erwarten, daß es infolge der gewaltigen Überraschung und des Schuldgefühles zu einem schnellen, allgemeinen und umfassenden Geständnisse komme, zumal wenn man plötzlich die früheren Kommandanten in Ketten vorführe und den Verbrechern in dieser Weise ihr eigenes Schicksal zeige. Es fiel mit nicht ein, mich über diesen Plan zu äußern. Ich deutete nach dem Steinbruch hinüber und fragte den Müller kurz:

 

»Gehören die Arbeiter da drüben zu dir?«

»Ja,« antwortete er.

»Da wird zuweilen gesprengt?«

»Ja.«

»So hast du Zündschnur?«

»Einen Vorrat für lange Zeit,« nickte er.

»So bring´ mir ein Stück, vielleicht zwanzig Spannen lang! Wir brauchen es heute abend.«

»Wozu?« fragte der türkische Adjutant.

»Um den Basch Tschausch auf der Tat zu ertappen, so daß kein Leugnen möglich ist. Man wird mit dem angeblichen Säubern erst fertig sein, wenn es dunkel ist, damit wir nichts sehen und entdecken können. Wir brauchen die Stuben gar nicht zu untersuchen. Es genügt vollständig, wenn wir finden, daß die Zündschnur am Pfirsich niederhängt. Sie führt nach unseren Wohnungen. Wir entfernen sie und bringen an ihre Stelle eine andere, die nur bis auf das Dach führt, aber nicht weiter. Ihr Funke erlischt, wo sie aufhört; sie ist ungefährlich. Dann warten wir, bis nach dem Essen der Basch Tschausch kommt. Sobald er sie angezündet hat, wird er ergriffen. Es ist bewiesen. Er kann nicht leugnen.«

Dieser Vorschlag fand allseitigen Beifall. Es wurde beschlossen, ihn auszuführen, und uns lud man ein, bis zum Abend hier zu bleiben. Wir taten dies gerne, hüteten uns aber, während der ganzen Zeit, noch weiteres mitzuteilen.

Als die Zeit gekommen war, brach ich mit Halef zuerst auf. Wir beide hatten es übernommen, den Pfirsichbaum zu untersuchen und die zweite Zündschnur zu befestigen. Es war so eingerichtet, daß keiner von uns vor Nacht eintraf. Die beiden früheren Kommandanten, mit denen man die Täter überraschen wollte, sollten den hierzu geeigneten Augenblick heimlich in der Karawanserai erwarten. Der Müller bat, mit dabei sein zu dürfen. Es wurde ihm erlaubt. Von Abdahn Effendis verschwundener Frau war während des ganzes Tages kein Wort gesprochen worden.

Wir kamen an, als es schon völlig dunkel war, und schlichen uns durch das Gebüsch, welches bis nahe an die betreffende Ecke des Hauses reichte. Kein Mensch war in der Nähe. Wir huschten zum Baume hin. Ja, da hing die Zündschnur herab.

Wir fühlten sie. Man hatte sie nicht an den Baum befestigt, sondern sie nur lose herabgelassen, und zwar so, daß sie am Stamme niederging. Das machte uns die Sache leicht. Ich wickelte die mitgebrachte Schnur, die von ganz derselben Nummer war, auseinander und verband sie durch einen Knoten mit der ersteren, um sie an dieser emporzuziehen. Dann schlich ich mich ganz ungesehen hinauf auf das Dach. Halef blieb unten, um aufzupassen. Er ließ, als ich oben zog, die Schnur solange nach oben gleiten, bis die mitgebrachte genau soweit herniederhing, wie die vorherige. Dann gab er mir das Zeichen und entfernte sich, um nicht doch noch entdeckt zu werden. Ich aber knüpfte den Knoten wieder auf und befestigte das Ende der neuen, kurzen Schnur an einem hervorstehenden Nagel, bis zu dem der Funke also laufen konnte, weiter aber nicht. Die alte, lange aber wickelte ich zu einem Knäuel zusammen, den ich eben, ohne die Leitung zu zerreißen, durch den geöffneten Laden hinein in meine Stube legen wollte, als die beiden Adjutanten eintrafen und hierauf nach ihrer Wohnung kamen. Das gab mir gute Gelegenheit, ihnen den Befund zu melden. Nun war der zerschmetternde Stein im Rollen; er konnte nicht mehr aufgehalten werden. Ich schlich mich wieder hinab, wo Halef unten an der Treppe auf mich wartete. Hierauf stellten wir uns, indem wir taten, als ob wir erst jetzt kämen, beim Abendessen ein.

Da ging es sehr ruhig zu. Es wollte heute kein Gespräch zu stande kommen, obgleich sie alle da waren, der Effendi, die beiden Achmed Agha, die zwei Selim Agha und sogar der Feldwebel, der den tödlichen Funken in der Gestalt eines Zündholzes in der Tasche trug. Abdahn Effendi stand mehrere Male von Essen auf und ging hinaus und wieder herein. Er befand sich in großer Aufregung. Seine Hände zitterten. Sein Gesicht hatte einen blauaschfarbenen Schein. Er holte oft tief und röchelnd Atem und trank aber trotz oder wohl gerade wegen dieser Aufregung den schweren Wein wie pures Wasser. Als wir beide fertig waren, stand ich auf und sagte:

»Wir gehen schlafen. Allah schenke auch allen eine gute Nacht und freundlichere Gedanken, als die sind, die jetzt hier in diesem Zimmer wohnen!«

Da sprang der Dicke auf und schrie mich, scheinbar ohne alle Ursache, zornig an:

»Meinst du etwa, daß ich es sage?«

»Was?« fragte ich.

»Das Wort! Den Schuß, der hier geladen ist!« antwortete er, indem er sich mit der Hand an die Brust schlug.

»Ja, auch das meine ich. Du wirst es sagen!«

»Nein!« rief er.

»Doch!« behauptete ich.

»Nein! Nein, nein!«

»Aber doch! Du sollst und du mußt es sagen! Und wir alle, die wir hier versammelt sind, wir werden es hören! Noch heute! Vor Mitternacht!«

Da sank er in seinen Sitz zurück, stemmte das Gesicht in die Hände und jammerte:

»Dieser Mensch, dieser Mensch! Hinaus mit ihm, hinaus!«

Wir gingen. Auf dem Dache angekommen, bemerkten wir, daß die beiden Adjutanten auf uns warteten. Sie schlichen sich hinab, um den Feldwebel zu ergreifen. Sie hatten, während wir aßen, ihre Maßregeln getroffen. Ihre Lampen brannten, damit man denken solle, daß sie daheim seien. Ich riet ihnen, aufzupassen, weil ich ihnen wahrscheinlich sagen könne, wann der Feldwebel komme. Als sie fort waren, brannten auch wir unsere Lampen an. Dann legte sich Halef an das Loch, um aufzupassen. Ich setzte mich in seine Nähe, meine beiden Revolver in der Tasche, denn ich ahnte, daß wir sie wohl brauchen würden, und sei es auch nur zum Drohen. Auch Halef hatte seine Drehpistolen eingesteckt.

Die Entscheidung nahte schnell. Man war da unter über das, was ich gesagt hatte, in höchstem Grade aufgebracht. Man beschloß, mit der Antwort auf meine Frechheit keinen Augenblick zu warten. Der Basch Tschausch solle gehen und, falls Licht in allen Stuben sei, die Schnur anzünden.

»Sihdi, er kommt!« meldete Halef, indem er das Loch wieder schloß.

»So komm! Wir sehen zu,« antwortete ich.

Wir huschten über das Dach an der Ecke hinüber, wo der Baum stand.

»Pst! Seid ihr schon da?« raunte ich hinunter.

»Ja,« antwortete es.

»Er kommt! Paßt auf!«

Wir kauerten uns nieder und schauten hinab. Ja, er kam. Wir hörten ihn. Er trat an den Baum. Das Zündholz brannte auf. Als er es ausblies, sahen wir, daß etwas langsam wie ein Leuchtkäferchen am Baume in die Höhe lief. Er wollte sich entfernen. Da aber wurde er gepackt. Er schrie vor Schreck laut auf.

»Herbei, herbei!« kommandierten die beiden Adjutanten.

Er riß sich von ihnen los. Aber wohin er sich wendete, sah er die Gestalten der Soldaten, die sich näherten. Es blieb ihm nur die Flucht in das Haus und die wurde von ihm genommen; er rannte hinein. Wir eilten an unser Loch. Ich öffnete es wieder und schaute hinab. Ich sah sie alle, die da von ihren Sitzen aufgesprungen waren und nun Zetermordio heulten. Ich sah auch den Basch Tschausch. Er hatte das lange, scharfe Vorlegemesser vom Tische gerissen und stürzte sich damit auf die Adjutanten, die soeben eintraten, um ihn wieder festzunehmen. Das konnte schlimm werden! Wir eilten hinab. Der Hausgang und die vordere gewöhnliche Stube standen voller Soldaten. Wir bahnten uns einen Weg nach dem Eßzimmer. Jeder, der ein Maul hatte, schrie, so weit er es nur aufsperren konnte. Als wir es erreichten, war das kurze Handgemenge bereits vorüber. Der wütende Feldwebel hatte dem türkischen Adjutanten vier Finger der rechten Hand abgeschnitten; nur der Daumen war geblieben. Und der persische Adjutant hatte einen Schnitt quer über die Nase bekommen; sie war für immer entstellt. Außerdem hatte es einige Messerstiche für die Soldaten gegeben, die nun auf dem am Boden liegenden Menschen knieten, um ihn derart zu fesseln, daß er sich nicht mehr bewegen konnte. Seine Mitschuldigen hatten sich gehütet, ihm beizustehen.

Sie saßen jetzt wieder auf ihren Plätzen und stellten sich wie Kinder, die keine Ahnung haben. Ich versuchte zunächst, den entsetzlichen Lärm zu stillen. Es gelang. Dann galt es, nach den Wunden zu sehen. Die Soldaten verbanden einander selbst. Sie hatten Verbandstoffe in ihren Taschen. Auch die Hand des einen Adjutanten machte wenig Mühe. Das Gesicht des anderen aber setzte mehr Kenntnisse und Übung voraus, als hier vorhanden war. Dennoch hatten wir nach einer Stunde die Blutung gestillt und den klaffenden Schnitt so viel wie möglich wieder zusammengezwungen. Beide Herren waren nun für das ganze Leben gezeichnet, und zwar wahrscheinlich so, daß sie nicht weiterdienen konnten. Man kann sich denken, in welcher Stimmung sie sich befanden. Sie bestanden trotz ihrer Verletzungen darauf, die Sache gleich ein- für allemal, also gleich jetzt, zu Ende zu bringen, und so sehr ich sie aufforderte, sich zu schonen, sie führten es aus. Die Speisestube wurde zum Verhörzimmer, und die draußen in der vorderen Stube postierten Soldaten hatten die Aufgabe, dem, was die beiden Herren befahlen, Nachdruck zu geben.

Zunächst wurde der Basch Tschausch vernommen. Er wußte von nichts. Er sagte, er habe sich dort an der Ecke des Hauses eine kleine Sighara (Zigarette) anbrennen wollen, und da habe man ihn plötzlich gepackt, er wisse nicht, warum. Natürlich habe er sich gewehrt. Kein Mann aus Basrah und kein Mann aus Laristan habe ihm etwas zu befehlen. Er sei Basch Tschausch und gehorche nur Offizieren.

Jetzt begannen die Adjutanten einzusehen, wie fehlerhaft sie verfahren waren. Die anderen fünf Personen verhielten sich genau ebenso. Sie behaupteten, nichts zu wissen und nichts zu ahnen. Da griffen die beiden Befehlenden zu dem Mittel, auf dessen Wirkung sie sich so sehr verlassen hatten: Sie ließen die zwei früheren Kommandanten kommen. Der Müller begleitete sie. Aber auch das war vergeblich. Die Bande war nicht einmal überrascht, viel weniger erschrocken über das Erscheinen dieser ihrer alten Bekannten. Das Resultat der ganzen Untersuchung war, die Angeklagten heute einzeln einzusperren und sie morgen einzeln zu vernehmen. Nachdem die Adjutanten die hiezu nötigen Instruktionen erteilt hatten, wollten sie sich entfernen. Da rief mir Abdahn Effendi höhnisch zu:

»Nun, Sihdi, wo bleibt mein Wort und wo bleibt deine Drohung? Adjutant bist du nicht; das sehen wir nun! Also bleibt es beim Pferdedieb!«

Da wendete ich mich an die beiden Befehlenden:

»Geht hinauf nach den beiden Douanen und steigt in die Brunnen! Da werdet ihr die Keller finden, welche von dem Gelde der Regierungen heimlich erbaut worden sind und nun voller Schmuggelwaren stecken!«

Die beiden Achmed Agha und die beiden Selim Agha schrien vor Schreck lauf auf. Abdahn Effendi ließ ein tiefes, röchelndes Stöhnen hören. Ich fuhr fort:

»Und geht auf der türkischen Douane in die hintere, kleine Stube links, wo ein Herd zu finden ist. Da wohnt der Basch Tschausch. Das hinterste Bein seiner Bettstelle ist hohl, mit einer dünnen Holzscheibe vernagelt, die man aber mit dem Messer leicht losmachen kann. Darin stecken die Beweise, daß diese Kerle hier ihre damaligen Vorgesetzten ermordet haben!«

Zunächst klang ein vereinter, großer Schrei durch das Zimmer. Dann brüllte Abdahn Effendi den am Boden liegenden Feldwebel an:

»Das Bein, das Bein! Das also ist das Bein, das ich nie erraten konnte! Mensch, ich erwürge dich!«

Er wollte sich auf ihn stürzen, wurde aber von der Wache daran verhindert.

»Sihdi, bist du allwissend?« fragte der persische Adjutant erstaunt.

»Pah!« antwortete ich. »Tut erst das! Dann werdet ihr noch mehr erfahren!«

»Noch mehr? Noch mehr?« schrie der Dicke, indem sich sein Gesicht dunkel färbte. »Mensch, ich schlage dich tot, ich —«

»Schweig!« unterbrach ich ihn, denn nicht nur er wollte zu mir her, sondern auch die vier Agha machten Miene, aufzuspringen. Darum nahm ich meine Revolver heraus und legte sie vor mich hin. Halef zeigte sofort auch die seinen. Dann fuhr ich fort:

»Die beiden Kommandanten tun jetzt, was ich gesagt habe! Inzwischen werden diese Leute hier alle gefesselt! Einem jeden, der sich wehrt, schieße ich eine Kugel durch den Kopf!«

 

So geschah es! Die Kerls hatten Angst vor den Revolvern; sie ließen sich binden. Abdahn Effendi war so fürchterlich erregt, daß ich von Augenblick zu Augenblick einen Schlaganfall erwartete. Seine Brust bebte und keuchte. Seine Augen füllten sich mit Blut. Einmal stand er auf, öffnete den Mund, als ob er reden wolle; dann setzte er sich nieder und stöhnte:

»Nein, nein! Ich sage es nicht, ich sage es nicht! Lieber sterbe ich – sterbe – sterbe, sterbe ich!«

Es dauerte lange Zeit, wohl bis eine Stunde vor Mitternacht, da kehrten die Adjutanten von ihrer Suche zurück. Sie jubelten.

»Wir haben alles gefunden, alles!« rief der türkische, und der persische fuhr schnell und ganz begeistert fort: »Die Beweise in dem Beine! Die Keller! Zwei vollständige Buchführungen! Und eine Menge von Pascherwaren im Werte von vielen Hunderttausenden!«

»Aber ich bin unschuldig, ich, ich, ich!« brüllte der Dicke. »Auf mich bringt ihr nichts, nichts, nichts!«

Da ging ich langsam nach dem Herde, nahm den Besen und kehrte den Schmutz hinweg. Im Zimmer herrschte tiefe Stille. Jeder wußte, es komme etwas Unerwartetes. Ich hob die Herdplatte zur Seite. Da tat es hinter mir einen entsetzlichen Schrei und einen schweren Fall. Der Schrei kam von Abdahn Effendi; dann war er vom Stuhl gestürzt. Ein konvulsivisches Zittern ging über seinen Körper. Aber er war nicht tot. Seine Augen standen offen. Sein Blick folgte meinen Bewegungen.

»Hebt – — hebt – — hebt mich auf!« lallte er. »Hal – halt – haltet mich!«

Vier Soldaten gehörten dazu, den schweren Körper aufzurichten und festzuhalten. Er stand aufrecht, mit an den Leib gefesselten Armen. Der Schweiß stand ihm in dicken Tropfen nicht nur auf der Stirn, sondern im ganzen Gesichte. Eine entsetzlichere Angst als die, welche sich jetzt in diesem unförmlichen Fleischklumpen offenbarte, ist nicht zu denken! Da griff ich in das Loch, zog den hohen Korb heraus und stellte ihn, weil der Platz das so erforderte, gerade vor den Effendi hin.

»Du siehst, das Ungeziefer wird ausgerottet!« sagte ich zu ihm. »Du siehst, ich halte Wort! Ich gab dir Zeit bis Mitternacht! Nur noch wenige Minuten, dann ist´s vorbei!«

Da öffnete es ihm den Mund, und erst leise, dann immer stärker preßte es sich heraus.

»Führe uns nicht in Versuchung – — erlöse uns von allem Übel – - erlöse uns von Abdahn Effendi und von seinen Freunden!«

Und nun geschah etwas unendlich Ergreifendes. Nämlich der Müller und die beiden früheren Kommandanten erhoben ihre Hände und beendeten das Gebet, indem sie lauf hinzufügten:

»Du kannst es, wenn du willst! Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen!«

Die vier Soldaten hatten, als der Effendi sprach, ihre Hände von ihm genommen; er stand allein.

»Amen!« wiederholte er das letzte Wort der nach ihm Betenden. Dann war es, als ob ihn eine fremde, außer ihm liegende Kraft einmal um seine eigene Achse drehe; er sank in beide Knie und brach dann langsam in sich selbst zusammen, nicht wie ein fester, schwerer Körper, sondern wie ein lockerer Haufen von Erde oder Asche, der sich in nichts verlieren will. Ich untersuchte ihn. Er war tot. Da wendete ich mich an die beiden Adjutanten:

»Hier steht der Christ, den Ihr von Gott verlangtet! Und das Wort, welches Abdahn Effendi sprechen sollte, ist erklungen – — «

»Aber ich, ich warnte Euch vor dieser Lästerung!« fiel mit der Müller in die Rede. »Ich wollte Euch bewahren vor den Folgen – —«

»Die kamen allerdings!« unterbrach ihn der Türke, indem er den Stummel seiner Hand hob. »Ich muß den Abschied nehmen! Vorher aber sollen mir diese Halunken an Gott glauben lernen, so wie er mich durch dich gezwungen hat, an ihn zu glauben!«

»Solche Menschen,« fiel der Perser ein, »können ihn nicht in seiner Liebe, sondern nur in seiner Gerechtigkeit kennen lernen und die soll ihnen werden, Buchstabe für Buchstabe, Silbe für Silbe, Wort für Wort! Sihdi, du hast uns besiegt! Aber ich danke dir dafür!«

»Ich auch!« fügte der Türke hinzu.

Beide reichten mir ihre Hände. Da bat ich sie:

»Nicht Dank will ich, sondern auch nur Gerechtigkeit, und zwar für diese hier.« Ich zeigte auf die früheren Kommandanten. »Könnt Ihr diese Ketten öffnen?«

»Ja; wir haben die Schlüssel zu den Spangen.«

»So gebt diese Schlüssel mir! Durch einen Christen sollen sie erlöst werden. Ich bitte, diese Bedingung auch wörtlich nehmen zu dürfen!«

Die Schlüssel befanden sich in den Händen der beiden Leutnants. Sie wurden geholt und ich hatte dann die Freude, die Gefangenen mit meinen Händen von ihren Fesseln befreien zu können. Sie waren so tief ergriffen, daß sie nicht wünschten, der Gerichtssitzung weiter beiwohnen zu müssen. Mir ging es genau so wie ihnen. Sie wollten sich nach der türkischen Karawanserai zurückziehen, und ich versprach ihnen dorthin sehr bald zu folgen. Da ich nur noch als Zeuge gebraucht wurde und Halef ebenso auch, so hatten wir nur noch Bericht zu erstatten über die Art und Weise, in welcher wir zu so genauer Kenntnis der Tatsachen gekommen waren. Dann wurden wir entlassen, mußten aber versprechen, im Serai zu bleiben, bis die Angelegenheit für heute erledigt sei.