Draggheda - Resignation

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

6 Lieber tot als ein Druckmittel

Sian schlief noch als Ben zu ihr kam. Stumm stand er vor der schlafenden Frau und betrachtete sie. Er schäumte immer noch vor Wut, doch sollte Dogans Opfer nicht sinnlos gewesen sein, dann musste er Sian auf den Weg bringen. In den letzten Tagen war ihre Ablehnung für alle greifbar. Der Ausflug mit Viktor mochte sie ein wenig besänftigt haben, doch sobald sie ihn oder Farq erblickte, übernahm ihr Zorn die Oberhand.

Ben wollte diesen Zorn. Er mochte ihn und es war ok, wenn er sich gegen ihn richtete. Doch er durfte sie nicht blenden. Er musste sie irgendwie erreichen, bevor er mit ihr in den Ring stieg. Ben wollte die Dinge auf die richtige Art mit ihr angehen. Nicht als ihr Feind! Also atmete er ein letztes Mal tief durch. Dann legte er ihr die Hand in den Nacken. Ihr Verstand schaltete sich ab, bevor sie auch nur einen weiteren Atemzug getan hatte. Und gleichzeitig schloss er alle anderen aus.

Jeder seiner Brüder hatte die Fähigkeit, sich gegen das Eindringen in ihren Verstand zu wehren. Sie trugen sie nicht so stark in sich wie Dogan und Farq. Doch für eine gewisse Zeit würde es ihm möglich sein, sich mit ihr abzuschirmen. Er hoffte, dass Farq ihm die Gnade gewährte, die Dinge zu seinen eigenen Bedingungen zu regeln. Doch er verließ sich nicht darauf. Also handelte er schnell.

Er drehte Sian auf den Rücken und spreizte ihre Arme weit ab vom Körper. Flink zog er ein dünnes Seil aus seinem Hemd und fixierte ihre Hände so, dass sie sie nicht auf ihn richten konnte. Schon wurde sie unruhig unter seinen Fingern und er runzelte die Stirn. Sie war stärker geworden, seitdem sie hier war. Sie wehrte sich bereits gegen ihn. Ben ließ seinen Blick ein letztes Mal durch den Raum schweifen und stellte sicher, dass sich in Reichweite ihrer Hände nichts allzu brennbares befand. Natürlich konnte das Feuer aus ihren Händen weit genug reichen um Schaden anzurichten. Doch er hatte nicht vor, ihr viel Gelegenheit dazu zu geben.

Ihre Hände zuckten stärker und er stieg auf das Bett und setzte sich auf sie. Dann atmete er ein letztes Mal tief durch, legte er ihr die Hand auf den Mund und ließ sie aufwachen!

Ben war ein erfahrener Krieger, und er war auf einiges gefasst. Womit er nicht gerechnet hatte, war, wie gelenkig die Frau unter ihm war, und wie weit sie gehen würde, um ihn von sich herunter zu bekommen. Als Sian also die Augen öffnete, sein Gesicht vor sich sah, seine Hand auf ihrem Mund fühlte und die Fesseln an ihren Händen, da übernahm sie das, was sie in ihrem alten Leben nur mit der Dröhnung von Drogen unter Kontrolle halten konnte. Und es übernahm sie mit einer solchen Wucht, dass sie keine Möglichkeit hatte, es zu stoppen. Ihr Körper bäumte sich auf. Ihre Beine schossen in die Höhe. Ihr Kopf zuckte unter seiner Hand und im nächsten Moment fühlte Ben, der viel zu weit vorne saß und auch nicht sein volles Gewicht einsetzte, das sie sich wie eine Schlange unter ihm wand. Plötzlich war die ganze Frau in Bewegung. Eines ihrer Beine war mit einem Mal vor seinem Körper und drohte seine Hand von ihrem Mund zu schieben! Sie würde schreien und er musste das verhindern. Gerade fing er das Bein ab, da knirschte es mit ihrem nächsten Ruck ganz grässlich! Unter seiner Hand jaulte sie auf. Sie hatte sich beide Schultern ausgekugelt! Der Schmerz in ihren Augen wollte ihn versengen. Und im Moment des Kampfes wurde ihm klar, dass er niemals jemanden so sehr würde haben wollen, wie dieses Geschöpf, das sich unter schreienden Schmerzen bereit machte, ihn in die Hölle zu schicken.

Doch ohne die Möglichkeit ihre Arme weiter als Hebel einzusetzen, und mit den Schmerzen die ihren Verstand überfluteten, wurde ihr Widerstand schwächer. Er behielt die Hand auf ihrem Mund und wand sich unter ihrem Bein heraus. Immer wieder fiel sein Blick auf ihre Hände. Doch keine Flammen waren zu sehen. Er erhöhte den Druck. Der Schmerz rollte in immer größeren Wellen über sie hinweg und er wartete, bis sie aufhörte, sich zu bewegen. Dann zwang er sie mit leiser Stimme, ihm zuzuhören. »Ich nehme dir den Schmerz wenn du aufhörst dich zu wehren!«

Sie tauschten einen Blick und er lächelte, als er ihr Zögern bemerkte. Sie war trotz der Schmerzen immer noch bereit, sich sofort wieder gegen ihn aufzulehnen. Langsam übernahm er die Kontrolle über ihre Schmerzen »Sian!«, flüsterte er »Ich werde dir nichts tun! Verstehst du?«

Er machte eine Pause und als sie sich nicht bewegte, nahm er langsam die Hand von ihrem Mund »... nicht vor mir wehzutun? Und was ist ...«, zischte sie augenblicklich und er legte die Hand wieder auf ihren Mund. Enttäuscht schüttelte er den Kopf.

»Gut, dann wird das ein einseitiges Gespräch! Ich kann verhindern dass du redest, auch ohne das ich meine Hand auf deinem Mund habe! Brauchst du einen Beweis?«

Sein Blick veränderte sich und er wartete auf eine Antwort, während er auf sie herabsah. Sian verstand die Warnung in seinem Tonfall. Endlich schüttelte sie leicht den Kopf.

»Ich habe dich gefesselt, weil ich wusste, dass du nicht vernünftig sein würdest. Doch du MUSST mir jetzt zuhören! Ich habe dir etwas zu sagen, das nur dich und mich etwas angeht und ich will nicht, dass Farq uns zuhört! Also habe ich die anderen ausgeschlossen! Doch das kann ich nicht lange durchhalten und unsere Zeit läuft! Willst du also hören was nur dich und mich betrifft, oder ziehst du es vor, dass Farq uns unseren Weg vorgibt?«

Ihre Blicke trafen einander und endlich schien sie sich zu beruhigen. Immer noch die Hand auf ihrem Mund stieg er vorsichtig von ihr herunter.

Als er sich sicher war, dass sie nicht vorhatte laut loszubrüllen, nahm er die Hand von ihrem Gesicht. Er betrachtete ihre Schultern. Er war wütend auf sich. Er hätte damit rechnen sollen. In Gedanken schickte er nach dem Heiler. Dann verlor er keine weitere Zeit.

»Hör gut zu, denn ich werde das nicht wiederholen!«

Er vergewisserte sich, dass ihr Blick aufmerksam war. Sie musste trotz seiner Einmischung Schmerzen haben wie ein Gaul, aber sie hörte ihm zu.

»Farq wird dich nicht mehr gehen lassen!«, sagte er einfach »Ich habe meinen Anspruch auf dich angemeldet. Er hat dem stattgegeben. Ich kann mit dir machen was ich will. Niemand wird dir helfen. Niemand wird auch nur einen Funken Mitleid mit dir haben.«

Er beobachtete sie genau, doch sie bewegte sich nicht »Er wird dich nicht mehr gehen lassen.«, wiederholte Ben und ihr Blick wurde dunkler »Aber ich schon!«

Sian glaubte, sich verhört zu haben. Ernst sah er auf sie herab »Ich will dich!«, fuhr er fort »Ich wollte dich vom ersten Moment an in dem ich dich sah. Ich will dich wie ich noch nie etwas zuvor in meinem Leben wollte.«

»Aber du hast doch gesagt ...«

»Das ich dich gehen lasse ...«

»Aber ...«

»Ich schlage dir ein Geschäft vor. Du bleibst hier. Du gibst mir 6 Monate eurer Menschenzeit und die verbringst du so wie ich es für richtig halte. Du wirst dich fügen und mir gehorchen. Und wenn du danach noch gehen willst, dann bringe ich dich zurück in dein Leben.«

»Sechs Monate?«

Er nickte und ein bösartiges Lächeln zog über ihr Gesicht »Und wenn ich dann gehen will bringst du mich zurück?«

Er nickte, ihr Grinsen wurde noch eine Spur gemeiner »Er wird dich umbringen ...«

»Ja, aber das ist dann nicht mehr dein Problem, richtig? Entscheidest du dich zu gehen, dann entscheidest du dich gegen mich und es wird dir egal sein was aus mir wird.«

»Stimmt!«

»Also haben wir einen Deal?«

»Du bist dir ziemlich sicher mich zu überzeugen.« Sie lachte rau »Du wirst mir das volle Programm bieten müssen wenn du denkst, dass ein Schwanz mich hier hält ...«

Er mochte das Timbre in ihrer Stimme wenn sie versuchte, ihn auf Abstand zu halten.

»Nein Sian, kein Fick. Das ist es nicht was dich hier halten wird ...«

»Was ...«

Doch statt einer Antwort schüttelte er den Kopf »Ja oder Nein? Du verbringst 6 Monate mit mir! Zu meinen Bedingungen! Du gehorchst wenn ich dir etwas befehle, du folgst wenn ich eine Richtung vorgebe!«

»Und danach bringst du mich zurück?«

Er nickte, lächelte »Wenn du das dann noch willst, dann bringe ich dich zurück!«

Für einen Moment überlegte sie. Über ihr lächelte der Mann unter seinen Zöpfen. Endlich nickte sie. Der Schmerz den diese Bewegung auslöste, ließ sie ihr Gesicht verziehen. Plötzlich war die Pein viel präsenter als noch Augenblicke zuvor. Ihr ganzer Oberkörper schrie im Schmerz und sein Lächeln wurde ein wenig breiter. Dann stand er auf und öffnete die Tür. Der Heiler trat ein und betrachtete für einen Moment die Szene die sich ihm bot. Ben kam zurück zu ihr »Wenn ich dich jetzt losbinde, dann gilt unser Deal?«

Und als sie ein diesmal nickte, löste er ihre Fesseln und zog sich aus ihr zurück. In diesem Moment überfiel sie der ganze Schmerz ihrer Schultern und sie brüllte laut auf. Ihr Körper hob sich und die Schmerzen taten ihr Übriges. Sie fiel in Ohnmacht, bevor sie ein zweites Mal brüllen konnte.

Um ihre Schultern wieder einzurenken, benötigte der kleine Mann Bens Hilfe. Er richtete den bewusstlosen Körper auf, setzte sich hinter sie und hielt sie so, dass der Heiler sein Werk tun konnte. Er fühlte unter seinen Händen, wie dünn sie war. In diesem Körper schien kaum Kraft zu wohnen und doch hatte sie sich mit aller Gewalt gegen ihn gewehrt. Der Instinkt, der in ihr war und den sie sich zu erkennen weigerte, war bereit gewesen ihre Arme zu opfern, um ihm zu entkommen. Sie wollte lieber tot sein als schwach und besiegt. Er zuckte, als der erste Arm in sein Gelenk zurückglitt. Das schabende Geräusch verursachte ihm Gänsehaut und nachdem der Heiler sich um den zweiten Arm gekümmert hatte, war Ben froh, das es vorbei war. Leise forderte der Heiler »Zieh sie aus!«

 

Die Männer wechselten einen Blick »Sie ist nicht gut beieinander.«, flüsterte der kleine Mann vorsichtig. »Willst du nicht wissen, ob sie durchhält?«

Natürlich hatte er recht, trotzdem passte es Ben nicht, sie auszuziehen ohne das sie bei Bewusstsein war. Doch es würde leichter für sie sein, wenn sie sich nicht wehrte. Also zog er ihr ohne weiteres Zögern das Shirt über den Kopf. Er ließ sie vorsichtig zurückgleiten und schälte sie aus der Hose. Dann standen die beiden Männer vor der fast nackten Frau und betrachteten sie wortlos.

Sie blickten auf einen ausgemergelten Körper. Er wirkte wie der einer alten Frau. Ihre Haut war grau, überall waren die Narben von alten Abszessen zu sehen. Ihre Armbeugen waren vollständig vernarbt. Ihre Rippen, die Beckenknochen und die Gelenke an Knien und Schultern standen weit hervor.

Der Heiler beugte sich über sie. Sanft fuhren seine Finger über ihren Körper. Er zählte fast zwanzig kleine runde Brandwunden. Auf ihren Oberschenkeln waren Narben, die wie ein Gittermuster aussahen.

Wortlos drehte er sie auf den Bauch. Ben atmete tief durch. Er hatte sie schon so gesehen, als er sie hierher gebracht hatte, doch damals war seine Verbindung zu ihr noch nicht so tief gewesen.

Schweigend betrachteten die Männer die Narben auf dem Rücken und der Kehrseite der Frau. Sie zogen sich über den gesamten Rücken, über ihren Po bis in die Kniekehlen. Es waren keine Schnitte von Messern. Es waren die Spuren von Schlägen. Sie war gepeitscht worden. Nicht mit Peitschen wie Dogan sie verwendete. Irgendetwas das nicht so verheerende Wunden riss. Doch es hatte trotzdem Narben hinterlassen und Ben wusste, dass sie es freiwillig über sich ergehen ließ. Er wusste, dass das der Preis war, den sie für die beschissenen Drogen bezahlt hatte. Er wusste noch mehr. Noch viel mehr. Er war wesentlich weiter in sie gedrungen als die anderen. Sie hatten ihre Vergangenheit nur oberflächlich gestreift. Schließlich hatte Ben bereits seinen Anspruch auf sie angemeldet. Ben schloss die Augen und zog sich zurück, als der Heiler ihre Beine spreizte.

Seine Untersuchung dauerte nur wenige Minuten. Danach zog er sie behutsam wieder an. Für einen Moment schwieg der kleine Mann, dann blickte er zu Ben auf »Ich denke nicht, dass sie dir Kinder schenken wird.«

Er wartete, doch Ben reagierte nicht.

»Sie ist schwach, doch sie ist zäh. Lass sie ein paar Tage schlafen und gib mir Zeit sie ein wenig aufzurichten. Es wird nicht lange dauern, dann wird sie durchstehen was nötig ist.«

7 Die Minen

Einige Tage lang schien der Berg ebenso zu ruhen wie Sian. Ben nahm sie aus dem Rennen und tat, was der Heiler vorschlug. Er schickte sie in eine tiefe Bewusstlosigkeit und verbrachte den größten Teil der Zeit an ihrer Seite.

Die Männer der Wache nahmen die seltsame Ruhe wahr, und sie bereiteten sich vor. Es hatte solche Zeiten schon oft gegeben und sie waren immer nur ein kurzes Durchatmen vor einem großen Sturm. Jeder absolvierte sein Training, man schärfte seine Waffen, wartete. Lediglich aus Dogans unterirdischem Reich war Geschäftigkeit wahrzunehmen. Eine stille, eine schwarze Geschäftigkeit. Schatten kamen, Schatten gingen. Niemals hatte man sie so offen sehen können. Sie kamen am Tag. Sie verschwanden in der Nacht. Seine Krieger kannten diese Schatten. Die Bewohner des Berges kannten sie nicht. Sie wagten sich nicht mehr in die Nähe des Abganges zu Dogans Reich. Sie wichen ihm weiträumig aus. Ihn selbst sah man tagelang nicht. Stattdessen aber wurden seine Echsen gesehen. Sie betraten den Berg nicht, aber sie blieben in Sichtweite. In den Nächten zischten Flusswolken durch die Ritzen des Berges. Ihr Pfeifen beunruhigte das Gesinde. Vieh ging durch. Am morgen fand man von den Echsen angefressene Kadaver. Die Stimmung veränderte sich, wurde angespannt, abwartend, furchtsam.

Ben nahm all das nur am Rande wahr. Seine Aufmerksamkeit galt einzig der Frau in seinem Bett. Er rührte sie nur selten an. Wenn es darum ging, ihr Wasser einzuflößen, richtete er sie auf. Er kämmte ihre Haare, veränderte ihre Stellung, dass sie sich nicht wundlag. Den Rest der Zeit saß er an ihrer Seite und versank in ihrer Vergangenheit. Er tat sich an, was man ihr angetan hatte. Jede ihrer Erinnerungen, jeden Schlag, jede Demütigung, jedes Eindringen in ihren Körper verfolgte er mit Schmerz. Doch er ließ nichts aus. Er ging so weit zurück in ihre Vergangenheit, wie er konnte. Doch es gab Grenzen. Es war ihm nicht möglich herauszufinden, wo sie herkam. Wie es sie in die verdammte Welt der Menschen verschlagen hatte. Doch zu viel Kraft verschwendete er nicht daran. Zu sehr beschäftigte ihn die nähere Vergangenheit.

So beobachtete er, was man mit ihr gemacht hatte. Und dabei fragte er sich, wie sich all das auf das Wesen auswirken würde, dass sie an seiner Seite werden sollte. Sein Blick lag auf ihrem Gesicht. Ihre Augen flohen unter den geschlossenen Lidern. Schatten zogen über ihr dunkles Gesicht und er betrachtete die hohen Wangenknochen und die langen Wimpern. Sie bewegte sich und eine ihrer Haarsträhnen glitt in ihre Stirn. In ihrer Bewusstlosigkeit träumte sie, ihre Hände verkrampften sich in den Laken. Er folgte ihren Gedanken, folgte ihr in ihren Albtraum und sein Gesicht verdunkelte sich.

Als Dogans Stimme hinter ihm erklang, fuhr er zusammen.

»Es ist Zeit,« sagte sein Hauptmann leise »lass ab von ihr!« Ben fragte nicht, er begehrte nicht auf. Einen langen Blick noch warf er ihr zu, dann folgte er Dogan, ohne Fragen zu stellen. Als die Männer aus dem Berg traten, lag der Hof im Dunkeln. Ben hatte keine Ahnung gehabt, dass es tiefe Nacht war. Wortlos stieg er auf seinen wartenden Hengst und folgte Dogan.

Sie ritten gen Norden, hatten den dichten Wald der den Berg umschloss bald hinter sich gelassen und waren eine Zeitlang an der Grenze des Getreideringes entlang geritten. Sie nutzten keine Tunnel, keine Abkürzungen.

In der Ferne konnte Ben die verlassene Grenzregion sehen. Man sah deutlich die Linie des verpesteten Landstriches. Die Männer schwiegen fast die ganze Zeit, doch irgendwann richtete Ben das Wort an Dogan »Ich danke dir!«, sagte er leise und Dogan nickte wortlos. Natürlich wusste Dogan, dass Ben ihm für sein Einlenken dankte. Der Dank war unnötig. Doch er wusste auch, dass Ben etwas auf dem Herzen hatte. Also wartete er. »Ich glaube nicht, dass sie ein Kind empfangen wird ...«, sagte Ben schließlich leise.

»Ich weiß.«

»Du weißt es?«

Dogan nickte.

»Hast du sie mir deshalb überlassen?«

Dogan würdigte Ben auf diese Frage weder eines Blickes noch einer Antwort und Ben entschuldigte sich sofort.

»Tut mir leid!«

»Schon gut«

»Was wird Farq tun wenn er das ...«

»Es wird ihm egal sein« unterbrach Dogan ihn spröde und sein Ton ließ Ben aufhorchen »Wie meinst du das?«

»Er ist zu sehr mit mir beschäftigt als das er sich noch um etwas anderes kümmert. Wenn er wollte, dann wüsste er, was du gesehen hast, er wüsste was ich gesehen habe und was sie durchgemacht hat. Wenn es ihm um dich und deine Nachkommen ginge, dann wäre die Frau bereits tot und in deinem Bett läge eine neue Geisel.«

Die abschätzigen Worte und der beleidigende Ton ließen Ben erschauern. Dogan gab sich nicht einmal mehr Mühe, ihre Entfremdung zu verbergen. Das Schweigen, das ab diesem Moment zwischen ihnen herrschte, war befremdlich. Doch Ben brach es nicht. So ritten sie den ganzen Tag. Als sie am Abend Rast machten, hielt das Schweigen an und selbst als sie am nächsten Morgen aufbrachen, blieb Dogan wortkarg. Doch dann kam ihr Ziel in Sicht und das machte Ben klar, dass Dogan sich vielleicht von Farq entfernte, aber nicht von seiner Aufgabe, nicht von Draggheda. Denn am Horizont ragte ein steiler Turm auf.

Grobe aber perfekt geschlagene Quader ragten einige Meter in die Höhe. Sie markierten den Eingang in einen Lebensraum, den kaum einer der Draggheda je betreten hatte: Die Minen! Das Reich von Mesara der Tiefenhexe, das Reich der Verbannten!

Als sie näherkamen, lösten sich mehrere Gestalten aus dem Schatten des Turmes. Die Wächter der Minen traten ihnen entgegen.

»Irgendetwas das ich wissen sollte?«, raunte Ben Dogan noch zu, doch der brach sein Schweigen immer noch nicht. Ohne Ben Antwort gegeben zu haben, stoppte er seinen Hengst. So warteten die Krieger, bis Mesaras Wächter sie in Empfang nahmen und nach unten geleiteten. Niemand forderte sie auf, die Waffen abzulegen. Dogans Rang bedeutete in den tiefen Gängen nichts, doch das bedeutete nicht, dass man seiner Person den nötigen Respekt verweigerte. Seine Bitte um eine Audienz bei Mesara wurde mit einem Stirnrunzeln quittiert, doch nach einer kurzen Wartezeit wurden sie vorgelassen.

Ben war sich der Blicke die sie musterten, durchaus bewusst. In den Minen hauste der Abschaum, der seinen Platz an der Sonne verwirkt hatte. Die jüngeren Generationen der Verbannten hatten ihr Los fast ausnahmslos Dogan zu verdanken. Bösartiges Schweigen umgab sie und er nahm den Kopf hoch. Spannung erfasste ihn und er hieß diese Erregung willkommen. Endlich fühlte sich wieder einmal etwas vertraut an. Lange hatten er und seine Kameraden diese Spannung nicht mehr gefühlt. Viel zu lange schon ertranken sie in der Suppe von Farqs abartigen Gelüsten. Ben fühlte wie sich die Haare an seinen Armen aufrichteten und es war ihm, als ob er sich streckte. Das Lächeln in seinem Gesicht und das Blitzen in seinen Augen war ihm nicht bewusst.

Man ließ sie Ebene um Ebene tiefer absteigen. Seltsamerweise wurde es nicht dunkler. Als man ihnen bedeutete zu warten, trat er an Dogans Seite. Ein Blick in dessen Gesicht zeigte ihm, dass auch Dogan sich der wohlvertrauten und vermissten Spannung ergab. Mit der Bewegung seines Kopfes ertönte das vertraute Knirschen seiner Halswirbel und Bens Lächeln vertiefte sich.

Dann öffnete sich die Tür, durch die die Wache verschwunden war und eine kleine Gestalt schob sich hindurch. Sie wurde von hinten angestrahlt und so konnte Ben nur die Umrisse erkennen. Doch als Dogan den Kopf zum Gruß neigte, tat Ben es ihm nach. Ein meckerndes Lachen ertönte, dem ein derber Befehl folgte »Sklaven!«, schnarrte eine alte Stimme »Sollen sich unsere Gäste etwa auf den Boden setzen?«

Sofort tauchten mehrere Gestalten auf, die sich hinter Ben und Dogan kauerten. Dogan zögerte nicht und nahm auf ihren Rücken Platz. Ben tat es ihm nach und verkniff sich ein Grinsen. Er hatte davon gehört, dass die Tiefenhexe sich ihren Hausstand aus Sklaven schuf. Doch nun auf einem von ihnen Platz zu nehmen war amüsant. Aufmerksam verfolgte er, wie sich hinter ihr eine Menge Gestalten in Stellung brachten. Sie schufen eine Art Bank für sie. Eine Bank mit Lehne, eine Bank mit Fußstütze und ...

Die Hexe verkniff sich ihr Grinsen im Gegensatz zu Ben nicht, als sie ihren Rock lüftete und sich auf das Gesicht setzte, das die Sitzfläche ihres Thrones markierte. Sie grunzte wohlig, als sie die Zunge ihres Sklaven zwischen ihren Beinen fühlte.

Ben war dankbar dafür, dass sie den Rock über dem ausbreitete, was dann geschah. Das erleichterte es ihm, Ordnung in seine Gesichtszüge zu bringen. Dogan dagegen schien völlig unbeeindruckt. Er gab der Hexe einige Momente, doch als er sie ansprechen wollte, hieß sie ihn mit einer derben Handbewegung weiter zu schweigen. Ein leichtes Lächeln spielte um seine Mundwinkel, während er ihr Gesicht beobachtete. Sie bewegte sich und ein seltsames Geräusch drang aus ihrem Mund. Ihre Augen waren geschlossen und ihr Atem ging schneller. Dann zuckte sie kurz und nach einem Klaps zwischen ihre Beine, öffnete sie die Augen. Sie war fertig und nun suchte sie Dogans Blick. Sie erwiderte sein Lächeln »In meinem Alter muss man die Feste feiern, wie sie fallen ...«, schmunzelte sie, und die Falten um Dogans Mund vertieften sich ein wenig. Einen weiteren Moment schwieg er respektvoll, doch dann funkelte ihr Blick ungeduldig und er nickte. »Ich danke dir, dass du uns empfangen hast!«, begann er das Gespräch und die dunklen Augen der Alten glitzerten listig. »Wer bin ich denn, den ersten Krieger nicht einzulassen ...«

»Du bist die Tiefenhexe« gab Dogan tonlos zurück. »Die Herrscherin über den Teil der das Land an der Sonne trägt. Du bist die Herrscherin der Minen, uneingeschränkt, unbezwungen, unbesiegt ...«

Sie nickte salbungsvoll »... und?«, forderte sie ihn auf, und Dogan zögerte nicht »... und außerhalb meines Einflusses.«

 

Ben wurde es bei Dogans Worten kalt. Er hatte erwartet, dass die Alte ihre Stellung bestätigt haben wollte, doch mit seinen letzten Worten hatte Dogan auch seine eigene Stellung bekräftigt, und es waren nicht die Worte gewesen, die Ben erwartet hatte. SEINES Einflusses? Nicht Farqs?

Wie Ben hatte auch die Alte den feinen Unterschied wohl bemerkt. Sie hob ihre Augenbrauen.

»Was gibt es Neues in der hellen Welt?«

»Tod und Verderben« beantwortete Dogan ihre Frage.

»... und Verblendung?«

»Ja,« sagte er »seit neuestem gibt es auch Verblendung unter der Sonne ...«

Die Hexe bewegte sich und ein gedämpftes Geräusch ertönte aus dem Bereich unter ihren Röcken. Sie reagierte nicht weiter und lächelte Dogan neugierig an »So so,« sagte sie leise »Verblendung?« Ihre Blicke trafen sich »Und weshalb kommst du zu mir? Denkst du, ich könnte dir etwas mitgeben, das die Blinden zu Sehenden macht?«

»Nein, deshalb bin ich nicht hier.«

»Warum dann?«

Dogan lächelte. Er machte es sich bequemer auf den Rücken die ihn trugen, und auf einen Klaps von ihm richtete sich einer der Sklaven hinter ihm auf, um ihm als Lehne zu dienen. Nun lächelte auch Mesara. Sie trafen einander nicht zum ersten Mal. Wie ihr Gegenüber lehnte auch sie sich zurück. Als weitere Sklaven eintraten und Getränke reichten, zögerte Dogan nicht. Er nahm einen tiefen Zug aus dem Krug der ihm gereicht wurde und Ben tat dasselbe. Es gelang ihm, das bittere Gebräu zu schlucken ohne das Gesicht zu verziehen, doch er war froh, dass Dogans Worte die Aufmerksamkeit der Hexe auf sich zogen. Denn als er hörte, was Dogan sagte, reagierte sein Gesicht von ganz allein.

»Meine Zeit als Farqs Schild neigt sich dem Ende zu.« Die Brauen der Hexe stiegen steil in die Höhe.

»Die Verblendung wächst und ich werde mich ihr beugen« sagte er.

»Du lässt ihn im Stich?«

»Im Gegenteil.« Keiner der beiden lächelte nun noch »Ich gebe ihm was er verlangt.«

»Dann lässt du ihn im Stich« stellte sie trocken fest. Für einen Moment lang starrte Dogan in seinen Krug, dann hob er den Blick »Ich habe ihm einen Schwur geleistet und er fordert dessen Einhaltung. Damit bleibt mir keine Wahl!«

»Ja ja ja!« zischte die Alte. »Ihr Idioten und eure Schwüre!« Für einen Moment schien sie zu überlegen, dann legte sie den Kopf schief »Gut, dann ist es so. Dogan unterwirft sich und verschafft dem Verblendeten das schwarze Geschwür das er sich so wünscht! Was geht es uns an?«

»Es wird unruhig werden ... für eine gewisse Zeit«

»Ach, wird es das?« Sie nahm einen tiefen Schluck »Auch das geht uns hier unten nichts an« stellte sie fest. »Es sei denn, du suchst einen Ausweg?« In ihrer Stimme lag eine lauernde Warnung. Dogan lächelte milde. »Nein Mesara,« gab er leise zurück. »Ich suche keinen Ausweg und schon gar nicht hier unten.« Er streckte den Arm aus und verlangte ein Nachfüllen seines Kruges.

»Ich hätte mir einen anderen Ausgang meiner Reise gewünscht,« sagte er »aber du kennst mich: Am Ende jeden Weges steht eben ein Ende. Und meines liegt nicht in dieser Art der Dunkelheit!«

»Schade!« Bedauernd blickten die alten Augen ihn an »Du wärst willkommen gewesen.«

Dogan Zähne blitzten lachend in der Dunkelheit »Das wäre ein netter Denkzettel für Farq. Es würde ihn ziemlich wütend machen. Aber es würde das Ende nur nach hinten verschieben. Und ich mag nicht mehr. Es wird Zeit Farbe zu bekennen. Wir haben schon zu lange gezögert.«

»Gut Großer! Dann wissen wir also, dass du am Ende deines Weges stehst. Was willst du dann von mir?«

»Zwei Dinge« nun zögerte Dogan nicht weiter »Es wird einige Zeit unruhig werden ...«

»Das sagtest du schon.«

»Und danach wird es irgendwie weitergehen müssen.«

»Unter welchem König?«

»Unter Farq!«

»Du klingst sehr sicher«

Dogan nickte »Er ist König. Mit mir oder ohne mich.«

Jetzt lachte die Alte. Sie wusste, dass Dogan vor Ben nicht frei reden würde. So stieg sie auf seine Scharade ein. »Du bist dir also sicher das Farq überleben wird?«

»Ja das bin ich!«

»Gut! Und? Was geht´s mich an?«

»Das was Draggheda bedroht, wird dann immer noch da sein. Das was vorgeht im Land, hat nichts mit mir zu tun. Etwas hat Farq auf diesen Weg gezwungen. Etwas, dass ihn lähmt und blendet. Und es wird noch da sein, wenn ich weg bin.«

»Ja, das wird es!«

»Weißt du etwas darüber?« fragte er langsam »Kam es durch die Minen?«

Wortlos blickten sich die beiden alten Wesen in die Augen und es dauerte lange, bis Mesara den Kopf schüttelte. »Nein« sagte sie schließlich »Es kam nicht durch die Minen.«

»Aber du weißt, woher es kam?«

Wieder schüttelte sie den Kopf, doch Dogan gab noch nicht nach »Deine Männer? Wissen sie etwas?«

»Vielleicht«

»Wirst du sie bitten mit mir zu reden?«

»Nein«

Dogan nickte. Er hatte nichts anderes erwartet. Also brachte er seine Bitte vor. »Halte deine Leute davon ab, sich einzumischen!«

»Warum sollte ich das tun? Du und deine Flüche sind das Einzige das sie hier unten hält. Sobald du weg bist können sie ...«

»Ja, das könnten sie. Sie könnten morden und plündern. Sie könnten sich so richtig austoben!«

»Und? Warum sollte ich sie davon abhalten?«

»Weil es sein wird wie ich sagte: Farq wird König bleiben. Mit mir oder ohne mich. Er wird nicht vergessen, wer sich gegen ihn stellt oder sich auf seine Seite schlägt. Er wird Hilfe brauchen, wenn er in die Schlacht zieht. Das bietet euch die Möglichkeit euch zu rehabilitieren.«

Mesara lachte abschätzig »Und du denkst, dass meine Männer das wollen? Sich rehabilitieren? Himmel Dogan! Bist du zivilisiert geworden! Hast du vergessen wer du warst?« Sie lachte weiter, doch dann schüttelte sie den Kopf »Rehabilitieren! Es wird lustig werden, wenn ich ihnen deine Worte übermittele!«

Auch sie ließ sich nachschenken »Dogan,« sagte sie durchaus freundschaftlich »Sie hassen dich, sie hassen Farq! Aber dieses Leben hier, das gibt ihnen etwas. Ja, die Sonne fehlt. Die frische Luft, die Brise, der Regen, all das fehlt. Aber dafür sind sie hier unten frei. Sie unterliegen nicht euren Gesetzen, nicht euren Zwängen. Du solltest dich hier mal umsehen. Schau dir an, wie viele Frauen hier leben. Weit mehr als an der Oberfläche. Ist euch jemals der Gedanke gekommen, dass es hier unten gar nicht so schlecht ist? Sie kämpfen. Sie sind gefragtes Kapital. Einige von ihnen sind zu beachtlichem Vermögen gekommen. Ja, sie können nicht Draggheda zurück, doch in den anderen Welten sind sie willkommen. Die meisten gehen ein oder zweimal dorthin. Doch sie kommen fast alle wieder! Denn hier ist Platz für all die, die oben in der Welt da oben ihren Zweck verloren haben!«

Unmerklich atmete Dogan aus. Damit hatte sie gesagt, was gesagt werden musste und weswegen sie hier waren. Alles Weitere war nur eine Dreingabe. Denn ihr Grinsen war das einer Wölfin »Ja Dogan, ihr habt Luft und Sonne, Helligkeit und Wind. Aber ich habe etwas, dass ihr ihnen nicht geben könnt: Ich habe Ventile für ihre Gier! Hier in meinen Schächten, in meinen Untiefen und in den dunklen Löchern finden sie was sie suchen: Den Platz an dem ihre Schlechtigkeit, ihre Verderbtheit, die Gier und ihnen etwas einbringt. Und deshalb werden sie warten was bei euch geschieht. Und sobald sie können werden sie ihre langen ungewaschenen Nasen in die Sonne halten. Sie werden durch Draggheda ziehen. Sie werden morden, brandschatzen und plündern. Und wahrscheinlich werden eine Menge von ihnen sterben. Doch der Rest wird zurückkommen. Zurück in die warme Dunkelheit die sie einhüllt und willkommen heißt. Denn hier dürfen sie sein was sie sind: Abschaum! Gestrandet, verbannt, ... aber am Leben!«

Als sie fertig war, nickte Dogan. »Ich musste es versuchen« sagte er bedauernd und sie lachte leise »War ein schwacher Versuch! Du warst schon besser!«

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?

Weitere Bücher von diesem Autor