Draggheda - Resignation

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Draggheda - Resignation
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Swiwa

1 Wie das Ende begann

Luther tanzt

Der Andere

2 Falk

Der Tod eines Huhnes

3 Auf keinen Fall

4 Lieber ein Druckmittel als tot

5 Ein letztes Zaudern

6 Lieber tot als ein Druckmittel

7 Die Minen

8 Sians Wut

9 Zac und die Zwillinge

10 Sie haben Flaschen benutzt

11 Eine Armee aus Schatten

12 Seine wahre Armee

13 Die Bestrafung

Die nächste Runde des Spieles

14 Lasqua

15 Die Tunnel

16 Das Brückenland

17 Wilder Flieder

18 Yagros Zeichen

Resignation ...

19 Schritt für Schritt

20 Ein totes Pferd

21 Der Loa

22 Nur ein Kopf

23 Ist da noch etwas?

24 Die Mutter des Sehers

25 3 Frauen

26 Die Amme der Chimoren

27 Blut!

28 Ein wunderbarer Ort

29 Farqs Wut

30 Lasquas Spiel

31 Wo warst du?

32 Ein Junge namens Nick

Wenn Mauern zum Einsturz kommen

33 Diesmal wird er nicht kommen ...

34 Der Verräter

35 Der Dreiheiler

36 Legba

37 Dogan und der Heiler

38 Die Geburt

39 Gedanken einer Loa

40 Geh zu ihm!

41 Dogan sieht das Kind

42 Viktors Erinnerung

43 Fast ein Zuhause

44 Halt dich bereit

45 Die Nachricht wird überbracht

46 Wir haben eine Wahl getroffen

Der letzte Gang

47 Endlich frei!

48 Ein Atemzug folgt dem nächsten

49 Werden, was er immer hatte sein wollen!

50 Die Stunden danach

51 Ein König der Macht über die Hexe hat

EPILOG – EINE LETZTE GEBURT

Neun Monate später

... und wieder ein paar Worte der Autorin

Draggheda - Resignation

Teil II

Von Karin Pfeiffer

Friedensstr. 52

63500 Seligenstadt

info@karinpfeiffer.de

https://www.karinpfeiffer.de

https://www.instagram.com/karins_dark_tales https://www.facebook.com/Karins.dark.tales

1. Auflage, 2022

© 2022 Karin Pfeiffer – alle Rechte vorbehalten.

Friedensstr. 52

63500 Seligenstadt

info@karinpfeiffer.de

https://www.karinpfeiffer.de

Swiwa
1 Wie das Ende begann

Immer wenn die Raben Swiwa einen neuen Körper brachten und ihn dann sich selbst überließen, versank er in der Erinnerung. Das war alles, was ihm geblieben war.

Die Erinnerung an sein Versagen.

Die Erinnerung an sein Ende.

Die Erinnerung an Odile.

All das lag nun so lange zurück und doch erinnerte er sich an ihren Geruch, ihre Blicke und die Gefühle die sie in ihm auslöste. An die Momente, in denen er sich eingeredet hatte, das Richtige zu tun ...

Swiwas Erinnerung

... Odile hatte ihn heftig gebissen und vor Schmerz hatte er aufgeschrien. Dann sah Swiwa in ihr lachendes Gesicht und sank glücklich über ihr zusammen. Sie fühlte sich wunderbar an. Vielleicht lag es daran, dass das was sie taten so unverzeihlich war. Doch er konnte nicht genug von ihr bekommen. Er musste sie haben. Immer und immer wieder.

Vor ihrer ersten gemeinsamen Nacht noch war er bei klarem Verstand. Ihm war bewusst, dass Ihre Vereinigung Konsequenzen nach sich ziehen musste. Doch er hatte keine Ahnung, welchen Preis ihr Verhältnis wirklich forderte. Nur langsam verstand er, aber da war es bereits zu spät. Viel zu spät. Denn zu viele seiner Brüder und ihrer Schwestern waren bereits tot. Sie starben. Jedes einzelne Mal wenn Swiwa und Odile sich vereinigten, starb einer von ihnen. Anfangs noch versuchte er sich Einhalt zu gebieten. »Nur noch einmal! Ein allerletztes Mal noch!«, hatte er oft gedacht. Und am nächsten Tag war er wieder in ihr. Denn er kam nicht dagegen an. Nicht gegen sie und nicht gegen die Gier die ihn packte wenn er Odile in seiner Nähe wusste. Er brauchte sie nur zu riechen und schon schaltete sich sein Verstand ab. »Und was soll´s«, dachte er, »es gab mehr als genug von ihnen«. Selbst als seine Entscheidung nicht mehr nur ein Leben kostete, sondern als sie reihenweise umsanken, wenn er in ihr kam, wenn sie auf ihm kam; selbst dann noch konnte er nicht von ihr ablassen.

Und Odile lachte und rief nach ihm. Sie forderte ihn, mehr und mehr. So pflasterten die Leichen toter Hexen und Zauberer bald ihren Weg. Und nicht lange darauf fand er es nicht nur richtig, nein, es gefiel ihm immer besser. Sie hatten sich gegenseitig verdient und es scherte ihn einen Dreck, was aus den anderen wurde. Sie hatte ihn überzeugt, dass es so sein musste. »Warum?«, fragte sie ihn. »Warum wohl gibt es Zwei wie uns?« Er erinnerte sich daran, dass sie nackt gewesen war als sie ihn das fragte. »Wir beide sind einzigartig! Warum wohl?« Fest zog sie ihn an sich.

»Wir beide sind die Auserwählten! Wir sind die die herrschen müssen! Nur wir! Keiner von ihnen ist es wert sich das zu versagen! KEINER!«

Nach diesem Tag hinterfrage er nichts mehr. Er reagierte nur noch, und er genoss es. Mehr als alles andere in seinem bisherigen Leben!

Odile war weich und sie war hart. Sie war sanft und sie war aggressiv. Sie war alles gleichzeitig und immer genau das, was er sich wünschte. Mal war sie blond und zierlich. Mal war sie schwarz und dominant. Mal war sie seine Schwester, dann war sie die Hure um die Ecke. Er wusste nie, in welcher Erscheinung sie sich ihm nähern würde. Erst wenn sie ihn berührte, erst wenn er sie roch, dann wusste er: SIE WAR ES! SIE WAR ODILE! SIE WAR SEINE BELOHNUNG!

 

Sein eigener Wille brach völlig zusammen. Der letzte wirkliche Zauberer war nur noch auf die schwarze Hexe ausgerichtet. Willig folgte er ihren Anweisungen. Er fügte sich ihren Bedürfnissen, tat was sie verlangte. Zusammen überzogen sie Draggheda mit Schmerz und Leid. Sie nahmen den Kampf auf gegen den weißen Zauber, der für Odile schlimmer war als Pest und Krankheit. Als sie sich entschloss, den Draggheda die Möglichkeit zu nehmen, Töchter zu gebären, da war er es, der ihr half, den Zauber zu erschaffen. Und er war es, der den Bann über Draggheda legte. Er war es, der jedes Mädchen mit Mal tötete, dessen sie habhaft wurden. Und auch das war etwas, was er genoss. Er genoss ihren Blick, wenn er mit den Leichen der Mädchen auf sie zutrat. Er genoss ihre Berührung und ihre Dankbarkeit wenn sie sich zurücklegte und die Beine für ihn öffnete. Sie gesattte ihm alles, wonach sein Herz begehrte. Sie lieferte sich ihm aus, ließ sich übernehmen und gab sich ihm völlig hin. Und niemals, kein einziges Mal stellte er in Frage was er für sie tat. Er schwelgte in ihrer beider dunkler Macht und zum ersten Mal in seinem Leben verlor er das große Ganze aus dem Blick.

Es scherte ihn nicht mehr, ob die Draggheda und das Land über das er seinen Bann gelegt hatte, lebten oder starben. Es scherte ihn nicht mehr, dass sein Handeln seine Brüder und ihre Schwestern vernichtet hatte. Es scherte ihn nicht mehr, dass das Licht in seinem Verstand langsam erlosch. Er lebte nur noch für den Moment, in dem er seine Hand auf ihren Körper legte. Der Moment, in dem er die Schlinge die er um ihren Hals legen durfte, fester und fester zuzog. Er lebte nur noch für den Blick aus ihren Augen, für die Dankbarkeit in ihrem Gesicht, wenn er ihr wieder Luft zum Atmen gab. Keinen einzigen Augenblick lang verstand er, dass es in Wirklichkeit nicht sie war, die eine Schlinge um den Hals trug, sondern er.

Er verstand es nicht und es wäre ihm auch egal gewesen. Er war ihr Geschöpf geworden. Das war alles was zählte. Anfangs noch ließ sie ihn Distanz halten, kam in Abständen über ihn. Sie näherte sich ihm überraschend und es trieb ihn fast in den Wahnsinn, nie zu wissen, wann sie kam. Dann wurden die Abstände kürzer und für ihn sah es so aus, als ob sie ihn genauso wollte wie er sie. So, als ob sie ihn brauchte. Odile war voller Gier. Sie war leidenschaftlich, biss sich in ihm fest und verlangte nach ihm. Und er war bereit, ihr alles zu geben. Wenn sie mit ihm redete, hörte er zu und danach war er immer bereit, ihr zuzustimmen. Immer war sie dabei nackt. Immer war sie dabei unter ihm und immer war es so, als ob sie ihm aus der Seele spräche. Schließlich erschien sie ihm jeden Tag und wenn sie ihn verließ, war er am Boden zerstört. So lange bis sie blieb und nicht mehr ging. Es war, als ob seine Träume sich erfüllten. Sie verlangte mehr und mehr. Sie ließ ihn Spielzeuge benutzen und er tat Dinge mit ihr, von denen er vorher keine Ahnung gehabt hatte. Sie zwang ihn dazu, sie zu fesseln, wollte, dass er sie schlug. Anfangs schrak er zurück, doch ein Blick in ihr ekstatisches Gesicht machte ihm klar, was sie erwartete. Und so ließ er sich auch darauf ein. Bald schlug die dunkle Woge vollständig über ihm zusammen.

Sie liebten sich auf den Leichen der Kinder, die er für sie tötete.

Sie liebten sich in den Häusern der Menschen, die sie für ihn tötete. Und schließlich war sein Lächeln ebenso böse wie ihres. Und in jedem Menschen, auf jedem Platz, in jedem Tier sah er nur noch Gelegenheiten, um seine Triebe mit ihr auszuleben. Er ging jede ihrer Spielarten mit. Sex mit Tieren, Vergewaltigung von Kindern, alles worauf ihrer beider Blick fiel, diente nur noch ihrer gegenseitigen Gier. Alles war vorstellbar! Alles war erlaubt. Swiwa fühlte sich frei! Er fühlte sich stark! Und sie lachte und lachte. Das Töten wurde bald ein Bestandteil ihrer Triebe. Immer öfter schleppte sie Männer und Frauen an, die ihr Liebesspiel nicht überlebten und nach kurzer Zeit wurde auch Swiwas Gier nach Blut immer stärker. Skrupel hatte er schon lange keine mehr. Alles um was es ihm ging, war Odile!

Odile vor ihm, unter ihm. Odile mit leidenschaftlich verzerrtem Gesicht während er tötete. Und dann die Schlinge um ihren Hals! Der Moment, in dem sie ihm das erste Mal die Macht gegeben hatte, sie zu töten. Als sich ihr Gesicht verfärbte während ihr die Luft ausging, da war er gekommen, wie er noch nie zuvor gekommen war.

Ja, nach all dem war Swiwa bereit, tausende von Jahren so mit ihr zu verbringen. Er war bereit, Millionen von Menschen für sie zu töten. Konsequenzen spielten schon lange keine Rolle mehr.

So hatten sie viele Jahre gelebt, vielleicht hundert Jahre, wahrscheinlich mehr. Und Zeit und Raum verschwammen für Swiwa. Und plötzlich war sie verschwunden!

Sie war fort, als ob er all das nur geträumt hätte. Panisch suchte Swiwa nach ihr. Er suchte überall, war hysterisch und voller Angst. Und schließlich übermannte ihn der Hass. Er war überzeugt davon, dass man sie ihm genommen hatte. Etwas, JEMAND hatte sie ihm genommen! Auf die Idee, dass sie einfach gegangen war, kam er nicht. Er suchte immer weiter und als er schließlich erschöpft aufgab, ließ er seiner Wut freien Lauf. Er tötete und folterte, er brach jeden der ihm begegnete und so wurde seine Dunkelheit fast schwärzer, als es ihre jemals gewesen war. Doch nirgends fand er sie. Nie konnte ihm jemand einen Anhaltspunkt geben, was aus ihr geworden war. Sie war einfach fort. Und zum Schluss brach er zusammen. Er hatte sie verloren! Monatelang zog er durch das Land. Immer in engen Kreisen um den Punkt, an dem sie einander das letzte Mal geliebt hatten. Menschen die ihm begegneten, starben schreiend. Swiwa war am Ende. Er war allein und ohne Hoffnung. Weitere Monate siechte er vor sich hin und war nicht in der Lage den Kopf zu erheben.

Doch eines Tages während er blicklos in die Leere gestarrt hatte, konnte er einen Schatten in der Ferne ausmachen. Einen Umriss, der ihm so vertraut erschien. Doch er traute seinen Augen nicht. Swiwa wähnte sich in einem Traum, denn da war sie! Sie kam lächelnd auf ihn zu und sie kam nicht alleine. Sie trug ein Kind bei sich und als er seinen Augen endlich traute und das Kind in ihren Armen ansah, da wusste er: Dieses Kind war kein Opfer! Kein Kind, das er töten sollte. Dieses Kind war sein Kind! Sie kam zurück! Und sie brachte ihm seinen Sohn!

Die Monate, die darauf gefolgt waren, schienen für Swiwa so unfassbar hell, dass sie ihm selbst heute noch völlig unwirklich vorkamen. Alles war in gleißendes Licht getaucht und in diesem Licht erkannte er nur noch das Antlitz seines Kindes und der Hexe, die er liebte. Zuvor hatten sie kein Zuhause gehabt. Sie hatten dort ihr Lager aufgeschlagen, wo sie abends zur Ruhe kamen. Sie hatten ganze Familien ausgelöscht, nur um eine Nacht in deren Betten zu schlafen und am Morgen weiter zu ziehen. Doch nun verschaffte er ihnen ein Zuhause. Er brachte Odile und den Jungen auf eine prächtige Burg. Er schuf ihnen ein warmes Nest und ließ seine Familie einziehen. Und Odile trug seinen Sohn lächelnd über die Leichen des Burgherren und seiner Kinder. Danach lebten und liebten sie. Sie nahmen ihr Liebesspiel wieder auf. Sie gab sich ihm hin und er nahm sie. Nie fragte er, warum sie ihn verlassen hatte. Nie erklärte sie sich ihm. Und wenn er sie nicht liebte, dann hielt er seinen Sohn auf den Armen. Er war vernarrt in das Kind und zum ersten Mal seit Ewigkeiten fühlte er etwas, das nichts mit ihr zu tun hatte. Wenn er in die Augen seines Sohnes blickte, dann fühlte er Licht und Wärme. Und er erkannte den Unterschied zu dem, was Odile in ihm auslöste. Doch es störte ihn nicht. Die Dunkelheit mit der sie ihn erfüllte, war das, wonach er sich sehnte, wenn der Junge schlief. Und lächelnd erwartete sie ihn mit der Schlinge um ihren Hals.

So lebten sie einige Jahreswechsel. Und während dieser Zeit schmiedeten sie Pläne. Pläne für ihr Fortbestehen und wie immer folgte Swiwa ihr. Dima, sein Sohn, fing an zu laufen und zu lachen. Er war ein fröhliches Kind und Swiwa fühlte sich glücklich, wenn er ihm zusah. Dass Odile sich immer mehr veränderte, fiel Swiwa zwar auf, aber er schob es auf die Langeweile die sie ergriffen hatte. Sie hatte das Leben auf der Burg satt. Sie wollte wieder nach draußen. Sie wollte tanzen, durch das Land ziehen, sie wollte morden. Swiwa zog nach wie vor noch aus und brachte ihr Spielzeuge mit. Doch anstatt an den Männern und Frauen Befriedigung zu finden, schienen sie ihre Sehnsucht zu bestärken. Diese Opfer kamen von dort, wohin es sie zog. Sie hatten, was Swiwa ihr versagte! Er brachte ihr dieses Pack nur um ihr zu zeigen, was er ihr nicht zugestand. Sie konnte sie an ihnen riechen: die Freiheit! Das freie Land durch das sie gezogen waren. Arrogant und selbstgerecht war dieses Pack gewesen! So lange, bis sie Swiwa in die Finger gerieten! Odile kam in ihrer verdrehten Wahrnehmung gar nicht auf den Gedanken, dass die Toten zu ihren Füßen einfache Bauern gewesen waren. Einfache Menschen, die nichts getan hatten, um das Schicksal zu verdienen, dass sie getötet hatte.

Und dann kam die Nacht, in der sich die Dinge zwischen Swiwa und Odile änderten. Denn in dieser Nacht, sie hatte schon zwei junge Männer getötet, in dieser Nacht holte sie sich Dima ins Bett. Entsetzt riss Swiwa ihr den Jungen aus den Armen. Sie fügte sich mit einem bösen Lächeln, doch nun nagte der Zweifel an ihm. Würde sie es wirklich tun? Wäre sie in der Lage sich an seinem Sohn schadlos zu halten, um ihre Langeweile zu befriedigen?

Ab da ließ er den Jungen kaum noch aus den Augen. Anfangs blieb sie friedfertig, aber das hielt nicht lange vor. Immer öfter fiel Swiwa auf, wie sie das Kind lauernd betrachtete. Immer öfter lockte Odile Dima von ihm fort. Und immer öfter lächelte das Kind, wenn sie ihn rief. Bald veränderte sich der Blick des Jungen, wenn er seinen Vater ansah. Anfangs hatte das Kind ihn angehimmelt. Nun wich die Liebe in seinem Blick schnell einem Ausdruck, der ihn an den lauernden Blick seiner Mutter erinnerte.

Und so wuchs etwas zwischen diesen beiden schwarzen Kräften, das ihr Gleichgewicht ins Schwanken brachte. Die Stimmung wurde angespannter, die Liebe die empfunden hatte, kühlte sich ab. Und vielleicht zum ersten Mal sah er sie, wie sie wirklich war: kalt und berechnend, nur auf ihren Vorteil bedacht. Es schauderte ihn, als ihm klar wurde, dass sein Sohn sich ihr zuwandte. Doch Swiwa hielt an ihrer Seite aus. Einen weiteren Winter hielt er durch und bewachte seinen Sohn eifersüchtig. Doch je stärker er versuchte, ihn vor ihr zu schützen, desto stärker wurde das Band zwischen Mutter und Sohn. Und so kam Swiwa eines Tages dazu, als der Junge an ihrer Seite vor dem Feuer saß. Er hörte die beiden flüstern und beobachtete sie unbemerkt. Das war der Moment, in dem er sich eingestand, dass sie gewonnen hatte. Sie hatte aus dem Jungen ihr Geschöpf gemacht. Als Dimas Blick ihn traf, erkannte Swiwa, dass seine Tage gezählt waren. Ohnmächtig überlegte er, wie er Dima retten sollte. Und wieder einmal erkannte er nicht das wirkliche Problem. Denn nicht das Kind musste gerettet werden. Nein, er, Swiwa, war der, der Hilfe brauchte.

Es war einige Tage später, als Odile Streit suchte. Sie suchte ihn mit einem abschätzigen Lächeln unter einem fadenscheinigen Grund, und sie suchte die Auseinandersetzung vor dem Jungen. Swiwa versuchte, ihr auszuweichen. Mittlerweile hatte er Angst vor ihrer Macht über den Jungen und vor dem Kind selbst. Denn der Kleine war tagelang nicht von ihrer Seite gewichen. Sein Blick war verhangen und seine Gestalt fing an, die untrüglichen Zeichen eines Brechers auszubilden. Odile wusste um diese Angst und sie nutzte sie schamlos aus. Ihr Lächeln verursachte einen tiefen Schmerz in Swiwas Seele. Dann erhob sie sich und fing an, sich vor dem Jungen auszuziehen. Das Lächeln veränderte sich nicht, als sie ihre Finger bewegte. Wie von Fäden gezogen stand sein Sohn auf. Seine Augen waren voller Freude auf Odile gerichtet. Swiwa erkannte die Gier, die er selbst so oft gefühlt hatte, wenn sie ihn an sich zog. Voller Abscheu beobachtete er, wie sein Sohn sich seiner nackten Mutter näherte und dann voller Inbrunst das Gesicht zwischen ihren Schenkeln versenkte. Swiwa hatte keine Wahl. Sein Körper reagierte einfach. Frontal ging er auf sie los und riss das Kind von ihr fort. Doch anstatt sich zu wehren, lehnte sie sich einfach langsam zurück. Und vor sie schob sich sein Sohn.

 

So war das letzte was Dogan an diesem Tag sehen sollte, wie der Sohn sich gegen den Vater wandte. Was Augenblicke zuvor noch ein Kind war, hatte sich in einen Brecher verwandelt. Ein Wesen, dessen Bestreben einzig und allein das Blutvergießen war. War ein Brecher erst einmal auf Spur, gab es keine Möglichkeit mehr, ihn vom Töten abzuhalten. Diese Hexenkinder hatte es lange nicht mehr gegeben. Sie waren ausgestorben, als man die Verbindungen zwischen Hexen und Zauberern verbot. Brecher gehörten niemandem. Sie waren mehr Maschinen als lebende Wesen. Sie verschrieben sich keinem König, keiner Aufgabe. Ihr Gott war das Blut, dass vergossen werden musste. Und Swiwa und Odile hatten genau so einen Brecher gezeugt.

Dima würde sich nun nicht mehr von ihm abbringen lassen. All das war Swiwa einem einzigen Moment klar geworden. Doch er brachte es nicht fertig, sich gegen sein Blut zu wenden. Und so ging er langsam zu Boden, während das Kind wie tollwütig auf ihm tobte und seinem Namen alle Ehre machte. Denn er war Dima! Dima der Brecher! Und sein erster Toter würde sein Vater sein.

Wie aus weiter Ferne hörte Swiwa die blubbernden Geräusche die das Kind von sich gab, das wie besessen an ihm riss und ihm seine Eingeweide aus dem Körper brach. Dann hörte er nichts mehr. Für lange Zeit hörte er nichts mehr.

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