Ein Mann liest Zeitung

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Der kleine Moritz sagt: Wenn mein Vater meiner Mutter erzählt, wenn ich dabei bin, dass der Storch nächstens Tante Frieda ein Kind bringen würde, dann wissen sie, dass ich weiß, dass das mit dem Storch nicht stimmt. Sie wissen sogar, dass ich weiß, dass sie das wissen. Etwas kompliziert, wie? Ja, dergleichen mutet man dem kleinen Moritz zu. – Und genau so stellt sich der kleine Moritz die hohe Politik vor.

Der kleine Moritz kennt sich da aus. Aber wenn heute jemand aus Deutschland kommt, der hat ja gar keine Ahnung. Er braucht garnicht aus einem besonderen Gefängnis oder Zuchthaus oder Konzentrationslager zu kommen. Sondern eben einfach als ein normaler Bürger aus dem Dritten Reich. Den Kopf so eingerichtet, dass die Nase mit den Knöpfen des Waffenrocks und der Kokarde der Militärmütze eine gerade Linie bildet. Und nun liest er auf einmal die Zeitung. Der fällt ja die Treppen nur so hinauf und herunter.

Was ist denn bloß in Spanien los?, denkt der Mann, den die »Kraft durch Freude«-Organisation auf das Ausland losgelassen, damit er dort Propaganda für des Dritten Reiches Herrlichkeit mache und der stattdessen verbotene Zeitungen liest. Da haben sie uns gesagt, in Spanien hätten die Roten Revolution machen wollen. Was die Roten so Revolution nennen. Rauben, Morden, Plündern, Kinder aufspießen und Frauen vergewaltigen. Und alles kurz und klein schlagen, die Kirchen und die Häuser und den Reichstag von Madrid haben sie auch angezündet, und wenn sie es nicht getan haben, dann haben sie es jedenfalls gewollt, wenn nicht im letzten Augenblick der tapfere General Franco das alte, nationale Banner ergriffen hätte, um Ruhe und Ordnung wieder herzustellen. Und das wäre alles längst wieder in Ordnung, wenn nicht die Moskowiter den Roten in Spanien zu Hilfe gekommen wären

Das ist doch ganz klar. Das ist doch ganz einfach. Und nun, was da hier so in den Zeitungen steht. Da kennt sich doch kein Mensch aus. Englische und französische Schiffe. Na ja, Frankreich liegt ja da hinten und England sitzt in Gibraltar. Aber italienische Divisionen vor Madrid und deutsche Flieger im Baskenland. Da hat man ja keine Ahnung. Was ist denn nun eigentlich los? Nein. Am letzten Kameradschaftsabend bei »Kraft durch Freude« haben sie mir gesagt: Mensch, wenn du auf Reisen gehst, kiek dir gut um. Aber glaub nur, was du siehst. Was in den Zeitungen steht, ist alles Schwindel. Das brauchst du garnicht erst zu lesen. – Hätt ich mich nur daran gehalten.

Da fällt mir auf einmal was ein. Da wohnt bei uns in der Straße so ein kleiner Schneider. Er hat mir den Anzug gemacht, den ich anhab. Echt englischer Stoff, hat er mir gesagt. Kein Faden Ersatzgarn drin. Den kann ich bei Regenwetter ruhig tragen. Was? Wie? Nein, hier hört ja keiner zu, hier können Sie ruhig sprechen.

Da komme ich also zur Anprobe und da kommt der Mann, hat den Anzug überm Arm und ist ganz grau im Gesicht. »Na Meister«, sage ich, »was ist dann passiert?« Na, was soll ich Ihnen sagen, der Mann hatte einen Sohn beim Militär. Eines Tages kriegt er nen Bescheid, der Sohn sei zu besonderer Übung im Manövergelände und wenn er ihm zu schreiben hat, soll ers da und dahin schicken. Na und was soll ich Ihnen nun sagen. Der Mann hat nun den Bescheid gekriegt, dass sein Sohn bei einer Manöverübung verunglückt sei. »Auf dem Felde der Ehre …«

Ich denke, was soll ich dem Mann sagen, in seinem Schmerz. Aber irgendwas muss man doch sagen. Ich sage also was, von der neuen Ehre des Vaterlandes. Deutschland geachtet und gefürchtet und so. Auf einmal haut der Mann mit der Hand auf’n Tisch. »Deutschland, Deutschland über alles«, schreit er, »aber was hat das mit Spanien zu tun? Was haben wir in Spanien verloren, dass ich meinen einzigen Jungen dafür geben muss?«

»Nun beruhigen Sie sich nur, Meister«, sage ich, »um Gottes willen, nicht so laut. Wenn sie einer hörte.«

»Mir können se hören. Mir kann jeder hören. Ich sag es sie ins Gesicht. Meinetwegen den Dokter und den Hermann und Adolf auch. Mir kann keener. Ich bin alter Kämpfer mit Parteibuch vom 26. Deutschland, in Ordnung Herr. Wenn uns einer an den Wagen fährt, bis zum letzten Hauch von Ross und Mann. Aber Spanien, was geht uns Spanien an? Und General Franco und überhaupt Mussolini? Det steht nicht ins Programm. Det nicht. Det stimmt nicht. Denn wenn es stimmte, dann können se uns das ja ruhig sagen. Und nich sone Geheimtuerei. Alle Tage der Krach wegen die katholischen Klöster und Unzucht am Altar und verderbte Priester. Mit einmal. Und dass unsre Jungs in Spanien fechten und fallen müssen, da, davon kein Wort? Ja, wofür denn? Wofür hab ich denn nu meinen Jung gegeben, wenn es noch nicht mal einer wissen darf?«

Ich dachte, der Kummer hat den Mann ganz verwirrt gemacht. Ist ja auch keine Kleinigkeit. Und nun liest man das auf einmal hier alles in den Zeitungen. Was ist dann bloß los? Rebellion? Das ist keine Rebellion. Bürgerkrieg? Das ist kein Bürgerkrieg. Das ist ein richtiger Krieg. Italienische Divisionen, deutsche Soldaten, marokkanische Neger, spanische Reaktionäre, die diesen oder jenen König wieder einsetzen möchten, kämpfen gegen das spanische Volk. Richtiger Krieg.

Aber da sind die internationalen Brigaden, auf der Seite des spanischen Volks. Das sollen die Moskowiter sein? Das sind ja Kämpfer aus aller Welt, aus allen Erdteilen. Da sind ja auch Deutsche und Italiener. Und nun stehen sich an den Fronten vielleicht an beiden Seiten Deutsche und Italiener gegenüber? Was ist dann das für ein Krieg? Warum steht denn das nicht im Völkischen Beobachter, den wir zu Hause alle Tage lesen?

Was ist das für ein Krieg? Wer gegen wen? Wo laufen denn die Fronten? Mitten durch die Nationen? Man muss sich das doch genauer ansehen.

Da sind die Negersoldaten des Generals Franco. Die Mohren. Die Mauren. In der Schule haben wir mal gelernt, dass früher die Mauren in Spanien waren. Das spanische Volk und die spanischen Ritter haben sie hinausgejagt, nach Afrika, wo sie hingehören. Da war ein Held, hieß der Cid, ein großer Held, haben wir gelernt. Und nun holt der General Franco die Mauren wieder zurück, damit diese Mohren das Land erobern und unterwerfen sollen? Wie ist denn das? Da stimmt doch was nicht? Aber was stimmt da nicht?

Frankreich ist eine vernegerte Nation. Na ja, das ist so. Auf allen unseren Parteiversammlungen wurde das immer gesagt, Das ist eine hundertprozentige Wahrheit, wurde gesagt. Im Buch Mein Kampf steht es doch auch, Und wenn der Führer das geschrieben hat, dann ist es so. Und es ist eine Schande und eine Schmach. Schwarze Schmach. Französische Negersoldaten am Rhein. Französische Negersoldaten an der Ruhr, an der Saar. Schwere Schmach. Vierzehn Jahre der Schmach. Vierzehn Jahre. Und dann hat der Führer das Land wieder frei gemacht.

Aber warum kämpfen und fallen jetzt deutsche Männer Schulter an Schulter mit den Mohren des General Franco? Da stimmt doch etwas nicht? Aber was stimmt da nicht?

Wahrscheinlich weiß der Führer davon garnichts. Bestimmt weiß er nichts davon. Dass würde er doch nicht dulden. Darum darf nichts davon bei uns in der Zeitung stehen. Sie verheimlichen es dem Führer. Aber ich werde da Ordnung machen. Ich werde ins Parteibüro gehen, wenn ich erst wieder zu Hause bin. Ich werde einen Brief an den Führer schreiben. Jawohl, ich habe meine SA-Uniform immer in Ehren getragen. Ich bin auch ein alter Kämpfer.

Die Juden und die Neger. Das eine wie das andere verdirbt die arische Rasse. Die Neger und die Juden. Wozu haben wir den Kampf gegen den Juden geführt? Hatte ich da nicht manchen guten Bekannten, wo ich mir sagte, der ist anständig wie nur einer. Aber es kommt doch nicht darauf an, dass ein Jude einmal ein anständiger Mensch ist. Der Jude ist eben der Feind. Der Jude ist der Teufel. Keine Gemeinschaft mit Juden und Negern. Reine Rasse, reines Blut. Blut und Boden. Heil.

Und nun sollen in Spanien die Neger die Retter der Nation sein? Germanische Blondlinge kämpfen Seite an Seite mit krollhaarigen Negern? Vierzehn Jahre schwarze Schmach? Und auf einmal sollen Negersoldaten so malerisch sein? Da stimmt doch etwas nicht. Und ich sehe doch ganz genau, was da nicht stimmt. Der Führer muss davon erfahren. Der Führer muss da Ordnung machen. Ich werde ihm einen Brief schreiben.

Schreibe deinen Brief an den Führer, wenn du wieder daheim sein wirst, alter Kämpfer. Es war einmal ein seltsamer Mensch und erhabener Dichter, Friedrich Hölderlin, der schrieb auf kleine Zettelchen Briefe an den lieben Gott und warf sie zum Fenster hinaus. Es bleibe dahingestellt, ob diese Briefe angekommen sind. Aber dein Brief, alter Kämpfer, wird nicht beim Adressaten ankommen, nur du hast eine Chance, dabei im Konzentrationslager zu landen. Aber bei jener Art des Mutes, die eine so hervorragende Eigenschaft der landläufigen Nazis ist, wirst du den Brief ja garnicht erst schreiben. Weil du ja auch ganz genau weißt, dass der Führer ganz genau informiert ist, über das, was in Spanien getrieben wird. Und was hülfe das deinem Schneider, der dir aus seinem letzten englischen Stoff einen Anzug gemacht hat? Sein ganzes Leben lang hat der als braver Schneider Röcke zugeschnitten und genäht, Hosen gebügelt, Flicken kunstvoll eingesetzt. Und selbst nie einen ordentlichen Anzug getragen, weil es nicht reichte, von vorne nicht und von hinten nicht. Und jeder übrige Groschen sollte für den Jungen sein, dass der eine ordentliche Erziehung hätte und eine gute Schulung und einmal etwas werden sollte. Hoch hinaus sollte es mit dem Jungen. Und nun liegt er, ein zerschmetterter Ikarus, irgendwo in baskischer Erde von Irun. Die vornehmen Badegäste von Biarritz haben damals mit Feldstechern zugesehen, wie er mit brennendem Flugzeug abstürzte. Deine Sorgen und Nöte. Deine Entbehrungen und Hoffnungen. All die tausend kleinsten Freuden, die du dir dein Menschenleben durch versagtest, dass ein Tag war wie der andere, ein leeres Stroh. Du kleiner Mann mit dem großen Bügeleisen. Mit dem heißen Bügeleisen in der kleinen Werkstube, dass du immer hast hüsteln müssen. Und dann kamen deine Feiertage, wo du Fähnchen geschwenkt hast und Fackel getragen und Heil gerufen, mit dünner, etwas lädierter Stimme, und hast dich als große Sache gefühlt, weil auf einmal die Juden da waren, auf die du heruntersehen konntest. Und nun liegt dein Leben und dein Hoffen, dein Königreich liegt da, ein namenloses Grab zwischen namenlosen Gräbern von Irun. Und deine Frau, du kleiner Mann, mit dem großen Bügeleisen? Die immer so grau aussah, wie ihre Kleider waren und auch so fadenscheinig? Oh, die ist jetzt eine Heldenmutter. Heldenmutter inkognito. Und wenn es niemand sieht – sie ist ja viel allein –, dann darf sie sich die Augen ausweinen bei Tag. Und ihre Muttertränen fallen auf dich nieder, in der Nacht. Glühende Tropfen, die durch die Haut brennen und tief hinein, bis in das Herz. So ruf doch Heil. So trag doch deine Fackel.

 

Warum denn das? Für wen denn? Für was denn? Kleiner Mann mit dem großen Bügeleisen, wie soll man dir das sagen? Alter Kämpfer von der »Kraft durch Freude«, wie soll man dir das sagen? Ein Glück, dass ihr nur Gespinste seid, der Fantasie des Mannes Leonhard Glanz, der mit der ersten Seite der Zeitung nicht zurechtkommen kann, obwohl er schon anfängt, sich in der Zeit auszukennen. Aber er weiß das auch nicht. Und obwohl er nun schon tagelang mancherlei Zeitungen gelesen hat, kennt er sich da nicht aus. Denn in den Zeitungen steht es nicht drin.

Da ist der General Franco. Gott des Krieges? Der hat damals einen Militärputsch machen wollen. Höchstens dreimal vierundzwanzig Stunden meinte er zu brauchen, um Spanien um zweihundert Jahre zurückschieben zu können. Was will er denn? Er will die Stiergefechte in Spanien verewigen. Das spanische Volk meint, man könne zu seiner Bildung und Erheiterung auch etwas anderes tun. Zum Beispiel Bücher lesen. Oder wenn es eine Schau sein sollte, könnte man in gutes Theater gehen. Aber General Franco meint, Kraft durch Freude in spanisch-nationalem Sinne, das ist: Stiergefecht. Er meint, Kultur ist Stiergefecht. Und darum schießt er die Theater von Madrid zusammen und die Bibliotheken, legt er die heilige Geistigkeit von Guernica mit Bomben in Trümmer. Mehr weiß der General Franco nicht. Aber schließlich führt man keinen Krieg, nur weil der eine unter Kultur Stiergefecht versteht und der andere Bücher. Der General Franco ist kein Gott des Krieges. Er trägt nur gerne Orden. Viereckige, runde und zackige, einerlei, wenn sie nur blitzen und blank sind. Es gibt mehr solcher Kriegsgötzen, die sich mit Silberblech und Goldblech behängen, mit Schnüren und Firlefanz. Die Urindianer von Amerika hatten in dieser Sitte viel mehr Geschmack entwickelt, wenn sie sich Kronen aus bunten Federn aufsetzten. Aber nicht jeder kann es bis zum Indianerhäuptling bringen. Winnetou bleibt eine unerfüllte arische Sehnsucht und wenn man auch alle Klassiker verbrennen würde und nur Karl May übrig ließe.

Da ist der Mann Juan March. Der macht sich garnichts aus Orden. Der weiß überhaupt nicht, woraus er sich etwas macht. Dem geht es um die 650 Millionen Dollar, die er in das Franco-Unternehmen hineingesteckt hat, gewiss nicht aus Liebe zu irgendwem und zu irgendwas. Aber der Ursache des Krieges sind wir hier doch schon greifbar näher. Man merkt schon wie und was. 650 Millionen Dollar sind eine Menge Geld, auch dann, wenn man es zum Teil von den werten Kollegen der spanischen Hautefinance bekommen, zum anderen Teil aus dem spanischen Tabakmonopol herausgeplündert hat.

Auf in den Kampf, Torero. Jedesmal, wenn du dir ein Päckchen schwarzer Cigaretten gekauft hast, um besser husten und zielsicher spucken zu können, hast du eine Steuer in Juans Marchs Kriegskasse gezahlt. Vielleicht ist die Fliegerbombe, die dein eigenes Kind erschlagen hat, auch mit deinem eigenen Geld bezahlt. Und du weißt es nicht einmal. Caballeros, es lebe das Tabakmonopol!

Leonhard Glanz, pass auf. Alter, ehrlicher Hamburger Getreidehändler. Prima Börsenaufgabe. Sichere Kontraktsunterschrift. Pass auf.

Dein Kollege Juan March hat vor einem Menschenalter noch mit Zwiebeln gehandelt. Ob’s nun canadischer Weizen ist oder spanische Zwiebel, das wäre am Ende einerlei. Nur hat er nicht, wie du, sich in wohlformulierten Kontrakten bewegt, er hatte seine Zwiebeln gleich vor sich auf der Karre und verkaufte sie stückweise oder in Bündeln, je nachdem.

Wir haben nichts gegen Zwiebeln. Zwar sagen die echtbürtigen Nazis, Zwiebel sei der Juden Speise. Was aber nur innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches recht ist, solange es nützt, etwa als Ersatz für einen Punkt des sozialistischen Programms, den man für die Dauer des Dritten Reiches schuldig zu bleiben fest entschlossen ist. Sonst: Nichts gegen Zwiebeln. Das Geld, das sich Juan March damit als Anfangskapital verdient hat, riecht nicht nach Juden.

Juan March wurde aber jetzt nicht etwa Zwiebelhändler en gros. Nein, hier trennen sich seine Wege von denen etwa des Kaufmanns Leonhard Glanz. Juan March zog dem Leben bürgerlicher Ordnung ein Leben indianischer Beweglichkeit vor. Er wurde Tabakimporteur. Allerdings einer, der bei seinen Tabakimporten niemals den Steuerbehörden ihre Taxen bezahlte. Er importierte längs den Küsten des Mittelmeers. Zumeist bei der Nacht und an einsamen Stellen. Ein brillantes Schmugglergeschäft. Den späteren, großen amerikanischen Alkoholschmugglern aus der Trockenperiode mindestens ebenbürtig, umso mehr, als das Unternehmen von etwas anarchischem Kleinimport von Fall zu Fall, zum Großimport, zur Versorgung ganzer Märkte überging. Dazu war sogar ein allgemeiner Mittelmeer-Zollfrieden abgeschlossen worden. Die bösen Feinde, die Zöllner, wurden versöhnt, sie partipizierten sogar an dem Geschäft. Juan March studierte damals eifrig die Geschichte der Petroleumkönige, Eisen- und Stahlkönige und anderer Könige, mit dem Vorsatz, auch einer zu werden. Ob in der Türkei oder in Ägypten, in Spanien, Marokko oder gar in Marseille, das war noch nicht heraus. Gute Freunde hatte er dort schon überall.

Auf einmal kam der Weltkrieg. Im Krieg an sich dürfte der Tabakkonsum wesentlich steigen. Soldaten können nicht immer nur Schlachten schlagen und in der Freizeit rauchen sie, so spekulierte Juan March ganz richtig, aber sein gut aufgezogenes Geschäft geriet doch heillos durcheinander. Beamte wechselten. Wie mit den neuen zu reden sei, war unklar. Juan March lag verkehrt. Er lag überhaupt verkehrt. Im Krieg soll man doch mit Waffen handeln. Also umstellen. Das aber gelang nicht. Überall, wo man in den Waffenhandel sich hätte einschalten können, saß schon einer, nämlich Mister Zaharoff.

Juan March war ernstlich böse, nämlich auf sich selbst. Da hatte er einen Bekannten, der wegen geplatzter Wechsel und entsprechender Zusammenhänge nach Mexico gegangen war. Der hatte drüben einen Export von Musca angefangen. Musca hat nichts mit dem Gewürz zu tun, das Muskat heißt, im Gegenteil, es ist eine scheußliche stinkende Sache. Musca ist die mexikanische Sumpffliege, die in ungeheuren Mengen gefangen wird. Haben Sie schon einmal eine Fliege zu fangen versucht? S – t, mit der Hand an der Wand entlang, oder an der Fensterscheibe. Weg ist sie, Sie haben sie nicht gekriegt. Es war einmal ein General, der hielt sich einen Laubfrosch. Der Laubfrosch fraß lebendige Fliegen, und zur Beschaffung dieses Laubfroschfutters hatte die Division einen Mann ständig kommandiert, der nichts zu tun hatte, als Fliegen zu fangen. In Mexico ist das anders. Es ist egal, wie man da die Fliegen fängt und zu Millionen nach Gewicht in Kisten verpackt, als Fischfutter oder zu chemischen Zwecken. Ist ja egal. Eines Tages schrieb der geplatzte Wechselmann aus Mexico, es sei Blödsinn in dieser Zeit mit Musca zu handeln, wo in Mexico jeden Tag Revolution ausbrechen könne. Man müsse mit Gewehren und Maximkanonen handeln. War das nicht ein Wink vom Himmel gewesen? Und nicht befolgt. Sonst wäre Juan March jetzt in Trade. Anstatt daneben zu sitzen.

Aber schließlich und Gott sei Dank, wird Krieg ja nicht nur mit Waffen und Munition geführt. Da haben die Deutschen einen sehr gescheiten Mann aus der Elektrizitätsbranche. Er soll auch sonst was verstehen. Rathenau heißt er. Der soll den Krieg der allgemeinen Wirtschaft organisiert haben. Rohstofforganisation. Diese Deutschen. Wenn sie nur organisieren können. Der Ballin soll übrigens geflucht haben, dass man ihn nicht rechtzeitig informiert hatte, dass und wann man Krieg machen würde. Er hätte sonst mit seiner Flotte Deutschland so voll Getreide geworfen, dass eine Brotsorge nie hätte kommen können.

Haben die Deutschen Brotsorgen? Aufpassen, Juan March. Da gibt es was, um einzuhaken. Aber der Haken lässt sich nicht einschlagen, keine ordentliche Verbindung möglich, zu den Mittelmächten. Und die Alliierten haben selbst alles. Soll Juan March die großartige Chance versäumen? Lebt in einem neutralen Land und kann am Kriege nicht verdienen? Ist er ein Trottel? Ein Greenhorn? Ein Caballero sin caballo. So einen Krieger erlebt man doch nur einmal im Leben (Höchstens zweimal, oder … abwarten, Sie werden schon sehen). Sitzt Juan March völlig daneben, rauft sich die Locken, die ohnehin nicht mehr fest sitzen. Der Kummer lässt sie ihm ausgehen.

Juan March liefert Schweine an die französische Heeresverwaltung. Das ist nicht viel, aber ein Anfang. Auf einmal sind deutsche Kriegsschiffe in spanischen Häfen. U-Boote. Etwas klein. Aber da muss Juan March eben kleine Geschäfte machen. Stolz weht die Flagge schwarz, weiß, rot. Allons enfants de la patrie. Britannia, rule the waves.

Der Gott des Krieges lächelt dem wackeren Juan March zu. Der König und die Granden sind für die Mittelmächte. Die Finanz ist für die Alliierten. Spanien bleibt neutral. Juan March schwimmt dazwischen. Juan March geht in die Politik. Juan March liefert dem Geheimdienst der Deutschen geheime Nachrichten. Juan March liefert den geheimen Dienst der Alliierten geheime Nachrichten. Juan March hört etwas vom deutschen Gesandten und verkauft es dem englischen Generalkonsul. Er hört etwas vom französischen Botschafter und verkauft es dem österreichischen Attaché. Juan March spricht viele Sprachen und handelt mit vielen Waren, Juan March steigt sachte in die Börse ein und kauft unter der Hand ein paar Majoritäten auf. Ein paar Banken, ein paar Industriewerke, ein paar Reedereien. Land? Nein. Land kauft er nicht auf. Mit den Granden will er nicht konkurrieren. Im Gegenteil. Er will in die Hofsonne. Orden? Was soll Juan March mit Orden? Den wohlriechenden Zwiebelorden? Den treugeschmuggelten Tabakorden? Den wohlgemästeten Schweineorden? Den patriotischen Geheimdienstorden? Was soll ein Kaufmann mit Bändchen und Blech? Der Krieg steht faul. Er frisst zu viel Menschen. Das kann nicht ewig weiter gehen. Faul. Der Krieg neigt sich seinem Ende zu. Juan March muss sich nach einem soliden Geschäft umsehen und nach einem seriösen Partner, der die richtigen Verbindungen hat. Noch einmal will man nicht halb daneben sitzen und zusehen, wie dieser Basil Zaharoff die Sahne abschöpft, von einem Meer von Blut.

Wer ist der beste Geschäftsmann von ganz Castilien? Nach Juan March, natürlich. Denn dass er das Fixeste ist, das weiß er sowieso. Sie sagen, der beste Geschäftsmann sei der König. Sie sagen auch, dass er der beste Tennisspieler, Reiter, Fechter sei. Das ist das Vorrecht aller Majestäten. Das war Wilhelm, der von Gottes Gnaden auch. Was habe ich Ihnen gesagt? Faul, der Krieg. Wilhelm ist nicht mehr der beste Mann im Staate. Er ist nur noch der beste Holzhauer von Doorn. Majestäten an sich sind schlecht im Kurs. Aber dieser Alfons ist ein guter Geschäftsmann.

Politisch hat sich die Majestät von Spanien schiefgelegt. Der Rifkrieg, mit den schneidigen Reiterattacken. Das hat er noch von Wilhelm von Doorn her. Nichts gelernt. Dieser Alfons XIII. hat sich verdammt unpopulär gemacht. Das eben ist nun Juan Marchs Chance. Der hat die Popularität. Viel Geld, viel Geld, viel Geld und alle halten ihn für einen netten Kerl. Warum auch nicht? Mit der frühen Glatze und der Brille sieht der aus wie ein Professor im Film. Ein Haifisch, der wie ein Professor aussieht.

Seine Majestät brauchen Geld. Ha, ha, ha. Das ist alles? Der beste Geschäftsmann von Castilien und León. Und er braucht Geld. Ein König von Spanien aus dem Hause Habsburg und braucht Geld. Von einem Zwiebelhändler, der oft genug zum Mittagessen sich eine Knoblauchzwiebel vom eigenen Wagenstück stibitzt hat. Majestät, es ist mir eine Ehre. Wieviel befehlen Majestät, dass ich mit meinen bescheidenen Kräften zu dero erlauchter Verfügung stelle? Majestät sind sehr gnädig. Sehr gütig, Majestät. Juan March, wie stehst du da, vor deinem König. Als du anfingst, mit Zwiebeln, hast du geglaubt, der König geht mit Purpurmantel und Hermelin zu Bett. Und die Krone stellt er auf das Nachtschränkchen.

 

Und jetzt bist du wirklicher, geheimer Hofbankier. Und teilst mit der Majestät von Spanien einen hübschen Geschäftsertrag, nämlich den des spanischen Tabakmonopols. Vom Tabakschmuggel bis zum Tabakmonopol. Ein ganz hübscher Weg schon über die Krone. Eines Tages dankt der König ab und geht nach Monte Carlo, Roulette spielen, und nun ist Juan March alleiniger Besitzer des Tabakmonopols. Und nun sieht man wieder, warum der Krieg in Spanien kam, wie er kam. Dass die spanische Republik dich nicht zum Teufel jagte, Juan March, dich und die anderen deinesgleichen, das war ihr großer Fehler. Dass sie Leute wie dich geduldet hat und erlaubt hat, dass die Juan Marchs politische Parteien finanzierten »zur Verteidigung des Besitzes« nebst »spanischer Phalanx«, das war ihr unverzeihlicher Fehler. Dass der radikale Mann des Volkes Alejandro Lerroux so einen Menschenfresser für ganz in Ordnung hielt, das war sein volksverräterischer Irrtum. José Maía Gil-Robles und Juan March, hinab in die Zwiebeln, woher ihr kamt. Da es nicht geschah, gab es Krieg.

Zwar hatte ein erstes spanisches Parlament so viel Ehrgefühl – wieviel hatte der Sitz gekostet –, einen Abgeordneten Juan March nicht in seinen Reihen haben zu wollen. Zwar gab es einen Korruptionsskandal, Untersuchungsgefängnis und Prozess, aber das war schon ein frischfröhliches Gefängnis. Die Gefängniszelle als Zentralbüro der faschistischen Partei. Die Gefängniszelle als Chefredaktion von so und so viel politischen Zeitungen, die Gefängniszelle, in der das Kabinett des Ministeriums Lerroux ernannt wird, die Gefängniszelle von der aus ein höchster Gerichtshof von fünfzehn Ehrenmännern zur Garantie der Konstitution dirigiert wird – der Gefangene, der die Regierung kontrolliert, die ihn eingesperrt hat –, und schließlich die Luxus-Limousine vor dem Gefängnis und der sehr ehrenwerte Don Juan steigt ein, unter Assistenz von drei Posten und dem Zellenwächter, der mit Tränen in den Augen von seinem spendabelsten Gast Abschied nimmt und die Wagentür schließt – kleine Reisezuschlagskarte hat zwanzigtausend Dollar gekostet –, ab nach Paris.

So sieht der Glatzkopf mit der Brille aus, der Typ des braven Filmprofessors. So sehen die feinen Herren aus, deren Besitz der General Franco verteidigt, und er ist wenigstens einer, der sich den Besitz selbst zusammengeräubert hat. Wie aber erst die anderen Hidalgos, die Herren vom Adel und Großgrundbesitz, von denen eine Hundertschaft mehr Land besitzt als Millionen Bauern. Die patriotischen Patrioten, die damals von Biarritz aus zugeschaut haben, als der deutsche Kampfflieger vor Irun in einer Säule von Rauch und Feuer niederschmetterte und des kleinen Schneiderleins, mit dem großen Bügeleisen, Lebenshoffnung begrub.

Was hatte der deutsche Flieger an der baskischen Front in Spanien verloren? Warum musste er das Kapitel des Juan March verteidigen und die riesigen Güter des stolzen Hidalgos? Weil die Marxisten und Moskowiter immer von der Internationale sprachen, hatte doch der Führer Deutschlands nationale Revolution gemacht. Deutschland den Deutschen. Juden raus. Marxistische Internationalisten raus. Raus mit dem jüdischen Gott, raus mit der verjudeten Bibel, raus mit dem Franken Karl, dem Sachsenschlächter, es lebe Widukind, deutscher Boden, deutsche Art, deutsche Frauen, deutsche Treue. Wer liegt denn da im Bett, bei einer deutschen Frau? Ein jüdischer Teufel. Ein Rassenschänder. Ich habe es durch die Wand gehört. Ich habe es durch das Schlüsselloch gesehen. Ich habe es mit Schweinerüssel erschnüffelt, als Verteidiger der deutschen Ehre. Und wenn ich es zehnmal nicht gesehen, nicht gehört, nicht erschnüffelt hätte, den Eid möchte ich sehen, den ein deutscher Mann im Thing nicht schwören würde, wider Juda, den rassistischen Verderber.

Aber was haben die blonden und blauäugigen Deutschen aller Schattierungen nun wirklich in Spanien zu tun? Alles mal herhören. Streng vertraulich. Wer das Maul nicht halten kann, wer vaterländische Geheimnisse ausplaudert, wird auf der Flucht erschossen, noch ehe er ans Fliehen auch nur denken kann.

Natürlich weiß der Führer. Der, in seiner alles bedenkenden Weisheit, hat es sogar angeordnet. Der Führer in seiner Allwissenheit, treusorgend der deutschen Nation Belange besinnend, bei Tag und bei Nacht, der klug vorausschauende Führer denkt an die spanischen Erze, an die Quecksilbergruben, an Kupfer und Zinn und alles das, so wie die deutsche Industrie es ihm eingab. Heil!

Der Führer in allerhöchster Klugheit besinnt und bedenkt nicht nur die wirtschaftlichen Möglichkeiten und Erfordernisse, sondern auch die militärisch-politischen. Und da er den Frieden will, was er ja selbst immer sagt – ich glaube, was ich sage, du sagst, was du glaubst, er sie es glaubt nicht, was er sie es sagt, wir glauben, was wir nicht sagen, ihr sagt, was ihr nicht glaubt, sie glauben nicht, was sie nicht sagen –, der Führer also, der den Frieden liebt und die Pazifisten nur wegen ihres fremdwörtlichen Namens hasst – Doitscher schbräche Doitsch –, muss mit allen Kräften den Krieg vorbereiten, um den Frieden verteidigen zu können. Etwa gegen die Franzosen, von denen in der Nationalbibel Mein Kampf der drittreichigen Deutschen nachgewiesen ist, dass sie die gefährlichsten Friedensfeinde sind. Und nun denkt der Führer so: Ein faschistischer Spanier würde im Fall eines Krieges, in dem das Frankreich der Volksfront stehen würde, zunächst schon etliche französische Divisionen an den Pyrenäen festhalten. Ein faschistisches Spanien, verstärkt durch deutsche Militärstationen, Flugzeug- und Marinebasen, könnte Frankreich von seinen afrikanischen Kolonien und damit von einem wichtigen Soldatenreservoir abriegeln. Der Führer muss alles edel und klug bedenken, nach seinen Intuitionen, wie ein deutscher Generalstabs sie ihm eingibt. Heil!

Der Kaffeehausemigrant bei seinem Zeitunglesen meint wunders was für Erleuchtungen und Erkenntnisse ihm da werden. Er ahnt ja garnicht, dass alles das platteste Binsenweisheiten sind, die jedermann kennt, und dass es ein unausgesprochenes Übereinkommen zwischen den Politikern, Diplomaten, Staatsmännern der Welt ist, darüber nicht zu reden. Hier sind wir bei den Dingen, von deren Ablauf das Leben, das Leben, das ganze einmalige Leben von vierhundert Millionen Europäern abhängen kann (abhängen wird), samt dem Leben von etlichen weiteren hunderten von Millionen nicht europäischer Menschen, die damit hineinschliddern (erfinden Sie nun endlich mal ein neues Wort für diese infernalische Dummheit) werden. Und nun meint dieser Weltfremdling, man müsse da etwas tun. Zum Beispiel einen Brief an den Völkerbund schreiben. Als ob es für den nicht sehr viel wichtigere Dinge gäbe. Etwa den Schutz patagonischer Minderheiten auf Island.

Schließlich wäre daran zu erinnern, dass Führer auf Italienisch »Duce« heißt. Dass da irgendwo in Rom jemand davon träumt, ein British Empire zerschlagen zu können, um ein neues Imperium Romanum an seine Stelle zu setzen, und dass diesem Traum zuliebe zehntausende italienischer Soldaten, die – zur Ehre der italienischen Nation sei es gesagt – zu den schlechtesten Berufssoldaten der Welt gehören, gegen die unabhängige Freiheit des spanischen Volkes kämpfen und zu tausenden fallen müssen. Da ist Guadalajara. Singt Guadalajara. Da haben die spanischen Sansculottes von 1937 eine italienische Interventionsarmee zusammengeschlagen, so wie die französischen Sansculottes eine Interventionsarmee europäischer Reaktion zusammengeschlagen hatten. Die ruhmreiche italienische Armee, die kurz vorher mit allen Waffen moderner Industrie gegen die barbarischen Abessinier mit Flitzbogen und Pfeilen glorreich gesiegt hatten. Und der Krieg in Spanien wäre nicht – mit und ohne Drittes Reich und seinen Führer –, wenn nicht vorher der italienische Eroberungskrieg in Äthiopien gewesen wäre. Und der italienische Eroberungskrieg in Äthiopien wäre nicht gewesen, wenn nicht vorher im arabischen Hedschas-Yemen-Krieg der italienische Yemen-König aus dem Lande jener Asra, welche sterben, wenn sie lieben, gegen den englischen Ibn-Saud von Hedschas verloren hätte. Und so weiter, und so weiter. So wie rückwärts so auch vorwärts.