Buch lesen: «Wrong turn», Seite 2

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„Sie wissen garnichts über mich.“

„Das ist ja das Problem.“

Sie gingen weiter in einen Aufenthaltsraum, in dem eine Küche, ein Fernseher, eine breite Sitzreihe und ein Flipperautomat standen. Zwei Männer und Frauen lasen Bücher oder unterhielten sich, während Max und Hansen eintraten. Als die kleine Gruppe Max bemerkte, nahmen alle sofort Haltung an.

„Stillgestanden.“ Max lächelte und marschierte langsam mit verschränkten Armen hinter dem Rücken vor den Soldaten, die hart und mitleidlos wirkten. Er deutete auf die ersten beiden Personen, deren Körper eine einfache Geschichte aus Drill und Training erzählten. „Das sind meine Diamond dogs, Sie Held. Ich habe zwei Teams. Team Eins besteht aus Ivan und Marlene Smirnow, Bachelor in Ökonomie, CCNY Master in Strategic Studies, Naval War College. 56.000 Flugstunden, 112 bestätigte Tötungen, kein Kollateralschaden. Das sind Geschwister, Spiro, die sich ihr Leben lang gegenseitig unterstützen. 99% Disziplin.“ Die Geschwister wirkten hart und gestatteten sich ein Lächeln.

Max nickte freundlich und schlenderte gelassen zur zweiten Gruppe hin. „Team Zwei besteht aus Carsten Frost, ehemaliger GSG9- Kommandant und Seher Betham, einer paramilitärischen Offizierin aus der Türkei. Würde ich den IQ von beiden zusammenzählen, würde das jeden Universitätsprofessor blass aussehen lassen. Ruhig und analytisch, sprechen zusammen zwölf Sprachen und waren schon an Orten im Einsatz, von denen Sie nicht mal etwas gehört haben. 99% Erfolg.“ Der blonde Hüne in der Ecke beäugte Hansen, als könne er nicht einschätzen, was der Fremde bei ihnen zu suchen hatte. Die braungebrannte Soldatin mit dem keltischen Seitenscheitel zeigte sich unbeeindruckt, nickte aber lächelnd ihrem Captain zu.

Die Show war vorbei. Der Captain drehte sich triumphierend um. „Was wissen Sie über mich?“ fragte Max interessiert und wirkte dabei wie der Anführer einer Schulclique, der den Neuen abschätzend beäugte.

„Kommunikationsspezialist bei der Nationalgarde, zwanzig Jahre Felderfahrung. Sicherheitschef mit fünf Jahren Erfahrung“ gab Hansen, jetzt etwas leiser geworden, wieder.

„Wenn Sie den Anforderungen gerecht werden, die diese Profis ausmacht, dann entscheide ich, ob es Ihnen erlaubt ist, auch nur einen Fuß auf die Oberfläche zu setzen. Diese Teams sind wie Geister, ihr Vorteil liegt in der Heimlichkeit, denn wenn sie rumballern, erwacht ein ganzer Planet zum Leben. Und das wollen Sie nicht erleben.“

In seinem Büro rief Max eine Akte hervor und ließ die angehefteten Videos laufen.

„Das sind Nicole und Rene´ Andersen aus Los Angeles, er ist neunzehn und sie zwanzig Jahre alt, Geschwister. Verurteilt wegen mehrfachen Autodiebstahls und illegalen Wagenrennen. Beide wurden bislang von ihrer Familie protegiert, nun, beim dritten Verstoß halfen auch Daddys Kontakte nicht mehr aus.“ Er wies unnötigerweise auf die beiden Fotos, die zwei Jugendliche zeigten. „Der Richter hat beiden eine Freikarte spendiert. Waren zwei Wochen unten im Planquadrat vierzehn-Beta-drei-drei, und das ist… PureSky-Gebiet. Team Eins startete nachts um 0100. Landung und Ankunft Minus zwanzig. Vierzig Minuten zum Ort, ständiger Funkkontakt zur Basis.“ Das Video zeigte die russischen Geschwister, wie sie in Tarnkleidung sich an einem Hang hocharbeiteten. Die Wärmebildkameras zeigten zwei leuchtende Flecken, wie sie einen verlassenen Supermarkt umkreisten. Hansen starrte zu dem Aufbau der PowerPoint und beobachtete die Zeitleiste in der oberen Ecke. Vierzig Minuten. Die beiden bewegten sich langsam und akribisch auf das Gelände zu und kreisten es ein. Langsam, schleichend… Er unterdrückte mit Mühe ein Gähnen.

Max bemerkte es und versteifte sich. „Verstehen Sie etwas von taktischen Positionieren in Feindgebiet?“

„Nein.“

„Dann sollten Sie zusehen und lernen. Das ist kein James Bond-Film, Spiro, das ist tödlicher Ernst. Ich sehe, ich langweile sie, also … tun Sie gefälligst so, als wollten Sie etwas lernen!“ Die letzten Worte kamen gepresst, aber ihre Schärfe war unverkennbar.

Der andere zog eine Grimasse.

Max schluckte hart und spulte vor. „Gut, die Mission war nur teilweise ein Erfolg. Rene´ war schwer dehydriert und war gefoltert worden. Das junge Mädchen schaffte es gerade so. Fragen Sie nicht nach Einzelheiten.“ Er warf ihm einen vielsagenden Blick zu. „Die Operation verlief strikt nach Zeitplan.“

„Beeindruckend.“

„Na, sehen Sie.“

„Ich wäre reingegangen und hätte sie mit einer Walther PPK und einem Schalldämpfer fertig gemacht. Raum für Raum. Fünf Minuten“, bemerkte er trocken. „Zehn, wenn ich unausgeschlafen bin.“

Max sah seinen Gegenüber an. „Sind Sie sicher, dass Sie das wollen?“

„Sonst wäre ich kaum hier, oder?“

„Ich wollte Sie nicht vor den anderen sprechen lassen, damit sie nicht merken, was für ein loses Maul Sie haben. Es ist mir schleierhaft, warum mein Freund auf diese Sache besteht, aber Sie sollten wissen, dass ihre Familien darauf hoffen, dass ihre Angehörige an einem Stück zuhause ankommen. Na, was sagen Sie?“

„Ich bin dabei.“

„So ein Dickkopf.“ Er fuhr sich über die Stirn. „Also schön. Wir haben pro Woche mindestens eine Mission. Die meisten laufen so ab: hochkonzentriert nach Lehrplan, keine Verluste. Meine Leute schießen nicht wie verrückt herum, sondern gehen behutsam vor. Sie sind wie Batman, Spiro. Mögen Sie Batman? Ich habe sechs Bruce Waynes hier, und jetzt kommen Sie. Sie sind mein Harvey.“

„Wer ist Harvey?“

„Spielt keine Rolle. Verständigen wir uns auf zweierlei: wir beide gehen gemeinsam da raus. Ich bin Ihr Captain und Sie sagen nichts anderes als Ja, Sir und Nein, Sir. Sie tun, was ich Ihnen sage, und wenn ich es sage. Wenn Sie schön artig sind, verabschiede ich Sie mit einem Händedruck. Na, wie klingt das?“

Hansen zog eine Grimasse. „Wer ist dieser Harvey?“

Max blinzelte verstört und zählte innerlich bis drei, bevor er fortfuhr: „Bei dieser Michel-Brown-Sache schicke ich Sie ganz bestimmt nicht mit meinem Team da raus, denn meine Leute will ich nicht unnötig in Gefahr bringen. Die da draußen, und ich rede von neunundachtzigtausend Sträflingen, kann ich mittlerweile ganz gut einschätzen – aber nicht Sie, Spiro. Sie wirken auf mich wie ein knallhartes Gangmitglied. Also wenn wir beide da runter gehen, dann sind wir auf uns gestellt. Zumindest ist die Location ganz nach Ihrem Geschmack, möchte ich meinen.“

Hansen rollte mit den Augen. „Wie ist das zu verstehen?“

Wie aufs Stichwort klingelte es. Max gebot seinem Adjutanten einzutreten. „Das ist Smith. Smith, das ist Hansen.“

„Ich habe das Videomaterial analysiert“, sagte er voller Eifer und ging an Hansen vorbei, als wäre er Luft. „Dieser Brown steckt seit vier Monaten ganz tief bei den PureSky mit drin und mischt Drogen und so.“

Hansen stand auf. „Woher wissen Sie das?“

„Wir beobachten jeden. Sagte ich bereits“, gab Max knapp zurück und ließ sich die Daten zeigen. „Mmh, das ist nicht gut. Sehen Sie die EEG und die EKG-Spitzen? Stoßen fast bis in die Decke. Fühlt sich pudelwohl dort. Das heißt, wir müssen rein, ihn betäuben und ihn raustragen.“

„Wieso?“

Smith projizierte die Daten an die Wand und ließ ein Wärmebild dazu laufen. Zwei Punkte bewegten sich rhythmisch auf und ab und ihre Körperwärme nahm stetig zu. Selbst ein Kind hätte verstanden, was Brown dort durchleben musste. Durfte.

Beide Männer blickten Hansen fragend an. „Nur zu. Fragen Sie.“

„Er mischt Drogen und… wird mit Sex bezahlt?“

PureSky sind bekannt dafür, dass sie Sklaven halten, die sie auf ihren Farmen für sich arbeiten lassen. Erinnern Sie sich an die Konföderierten im Amerikanischen Bürgerkrieg? Nun, das sind sie. Sechshundert Rednecks, die die gute alte Zeit aufleben lassen. Zumindest ist nicht alles schlecht, was die da treiben“, bemerkte Max trocken und bewegte sich langsam zur Tür.

„Was soll an weißen Rechtsradikalen gut sein?“

„Sie geben verdammt gute Partys. Und zu so einer nehme ich Sie mit.“

Durch eine Tür mit dem Schild Materialausgabe betraten sie einen Raum, der in der grauen Farbe eines Schlachtschiffes angestrichen war. Über seine ganze Breite verlief eine Art Theke, hinter der sich ein Drahtkäfig befand, der vom Boden bis zur Decke reichte. In diesem Käfig sah Hansen ordentlich übereinandergereihte Regale mit Ausrüstungsgegenständen, die sich weit nach hinten ins Dunkle zogen.

Max betätigte einen Schalter neben der Tür, worauf nacheinander eine Reihe von Neonröhren aufflackerten und den Lagerraum erhellten. Ein breitschultriger Wachmann tauchte die Hand in seine Tasche und brachte einen Schlüsselbund zum Vorschein. Dann ging er um die Theke herum und begann, einen Schlüssel nach dem anderen an dem Käfigschloss zu probieren. Er steckte einen hinein, rüttelte an dem Schloss, bis der ganze Käfig wackelte, fluchte leise und versuchte es dann mit dem nächsten.

„Ich habe schon eine ganze Weile nichts mehr zwischen die Zähne bekommen“, bemerkte Hansen.

„Seit wann?“ fragte Max und fuhr, zu dem Wachmann gewandt, fort: „Wie hat Real Madrid gespielt, Stefan?“

„Lagen in der ersten Halbzeit noch hinten und gewannen anschließend mit zwei Toren gegen FC Liverpool.“

„Mist, ich hätte wetten sollen“, grübelte Max und tippte ihn ungeduldig an. „Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit. Pronto.“

„Diese verfluchten Dinger sind nicht markiert“, verteidigte sich der Wachmann mit einer Stimme, in der eine Spur Resignation mitschwang.

„Immer mit der Ruhe.“

„Seit gestern“, meldete sich Hansen.

„Blöde Technik. Alles veraltet“, murmelte der Wachmann böse.

„Sie machen mir aber nicht den Eindruck, als würden Sie vom Fleisch fallen“, gab Max zurück.

„Das ist ihr Bier“, zuckte Hasen die Achseln. „Ich meine nur, wenn ich Sie wäre, würde ich jedenfalls kein Risiko eingehen. Bestimmt würde ein halb verhungerter Mann…“

„Okay, der Punkt geht an Sie“, unterbrach ihn Max und holte sein Tablet hervor. „Zwei belegte Brötchen und eine Pepsi.“

„Keinen Käse. Keine Pepsi.“

Max tat, als hätt er nichts gehört. Als der Wachmann endlich aufgeschlossen hatte, legte Max das Tablet auf den Tisch und begann sich langsam auszuziehen. Sprachlos sah ihn Hansen an. „Was wird das?“

Max hielt inne und stopfte seine Hose in einen Karton. Nur im Slipper stand er da und sah sich um, als wäre ihm gerade eingefallen, wo er war. „Bedenken Sie, dass die Kriminellen etwas verdutzt wären, wenn wir im Konfirmandenanzug und Zylinder erscheinen. Im Ernst, Spiro, die tragen seit Jahren die gleichen Klamotten. Die würden sich für ein sauberes Paar Socken gegenseitig die Augen auskratzen, und dann kommen Sie mit ihren manikürten Fingern, ihrem schicken Anzug und strahlen eine Sauberkeit zur Show, als würden Sie für Persil Werbung machen…“

„Schon gut.“

„Wir tragen Jeans und billige Hemden. Bloß kein Aftershave. Kein Deo. Das ist mein Ernst. Sie sehen einfach zu gut aus.“

Hansen stutzte und überlegte kurz, ob er sich weiter ausziehen wollte. „Keine Anmache.“

Max verdrehte die Augen. „Käme mir nie in den Sinn. Ach, und keinen Schmuck.“

„Jaja.“

„Das hätten wir“, ließ sich der Wachmann vernehmen, der gerade hinter dem Käfig stand und seine Waren präsentierte. „M1911A1, gebrauchte Militärwaffe. Kennen Sie sich damit aus?“

Hansen nahm eine probeweise in die Hand und strich fast wehmütig über die Maserung. „Das ist eine Kaliber .45 ACP mit acht Patronen. Sehr gewöhnlich, sogar. Haben Sie nichts Besseres?“

„Hätten wir schon“, seufzte Max leise „Aber was habe ich gesagt? Nicht auffallen.“

„Stimmt, da war ja was“, grummelte er leise und zog die Hose aus.

Und da sah Max es.

Kleine Narben am ganzen Körper, und zwar den rituellen Skarifizierungen der Ureinwohner Papua-Neuguineas nachempfunden, der sogenannten „Krokodil-Skarifizierung“, die zum Initiationsritus junger Männer gehört und ihnen Ähnlichkeit mit dem Krokodil – und somit symbolisch deren Kraft – verleihen soll. Er schluckte schwer, sagte aber nichts dazu. „Ziehen Sie den Ganzkörperanzug an. Besteht aus Kevlar. Atmungsaktiv. Wasserdicht.“ Er wies auf einen Kleiderständer in der Ecke. Dort hingen schwarze Kevlar Anzüge in drei verschiedenen Größen. Hansen verzog das Gesicht, sagte aber nichts und tat, wie ihm geheißen.

„Es heißt übrigens Sir“, verbesserte der Wachmann und sah Hansen nach. „Ist der neu?“

„So neu, dass du ihn gleich wieder vergessen kannst“, bemerkte Max leise.

„Ah, Tourist.“

„Das habe ich gehört.“

„Das war auch so gedacht, Spiro. Und jetzt ziehen sie die Jeans und das Hemd darüber. Wir mischen uns unters Volk.“

„Ich will einen Schalldämpfer“, sagte er zum Wachmann gedehnt und probierte eine weite zerlöcherte Jeans an. „Dazu noch drei Reservemagazine, zwei Messer und eine MP5A4 – Feuerstoßautomatik mit drei Reservemagazinen.“

Max schüttelte den Kopf und zog ein schmutziges Hawaiihemd über. „Wir wollen kein Land besetzen, Spiro. Gib mir noch die Kiste mit dem Sedativum, die Umhängetasche und das Erste-Hilfe-Set. Zwei Flaschen Wasser, sechs Riegel Müsslikonzentrat und zehn Bitcoins.“ Er wandte sich an Hansen. „Bevor Sie fragen, ja, die haben sogar eine eigene Währung. Sie haben Treibhäuser und in manchen Bezirken funktioniert sogar der Strom. Zweiundzwanzig Clans und dazu noch kleinere Splittergruppen unterteilt in Mexikaner, Schwarze, Inder, Orientalen, Europäer, nur Frauen, nur Männer, religiöse und sogar Kinder.“ Er unterdrückte ein Schaudern. „Beten Sie, das wir niemals den Kindern begegnen.“

„Oh, ja, die sind wirklich schlimm“, bekräftigte der Wachmann und machte ein sorgenvolles Gesicht. „Wie bei den Kinderkreuzzügen. Nur böse. Bestimmt nicht auf der Suche nach Jerusalem.“

Hansen sah beide an und suchte nach einer verräterischen Spur von Galgenhumor. „Wollt ihr mich auf den Arm nehmen?“

Das Innere des Hangars war von dieser Neonkrankheit erhellt, die sich Licht schimpfte. Das Raumschiff stand allein mitten in dem gewaltigen Hangar. Max und Hansen schritten über den Zementfussboden, und jeder Schritt hallte laut wider. Unter der Maschine hockten zwei Mechaniker, die damit beschäftigt waren, mit hochsensiblen Messgeräten nach feinen Rissen alles abzusuchen. Als Max neben dem Raumschiff stand, spürte er, wie eine Welle der Erregung durch sein Inneres raste. Es weckte alte Erinnerungen in ihm. Die Gulfire war schlank und geschmeidig. In ihrem lackschwarzen Anstrich spiegelten sich das Neonlicht, das ihre Konturen als Schattenumriss auf den Boden abzeichnete. Die Pilotenkanzel war schwarz und undurchsichtig und erlaubte keine Sicht nach draußen. Max war erstaunt, dass ihn die Aussicht, wieder in den Krieg zu ziehen, so erregte. Er hatte immer gedacht, damit wäre es aus und vorbei. Aber alte Soldaten sterben nie…

„Fünf Minuten, bitte, Sir“, ertönte eine Stimme von irgendwo unter dem Raumschiff.

„Keine Sorge, Jungs, lasst euch Zeit“, erwiderte er und strich sanft über den Anstrich. „Ein Dreisitzer“, erläuterte er leise. „Fliegt automatisch und gleitet wie ein Segelflug dahin. Ganz geräuschlos. Dann steigen wir aus und die Gulfire fliegt zurück.“

„Und wenn uns jemand bei der Landung beobachtet?“

„Wir sehen sie zuerst. Die da oben suchen schon einen Platz, wo es keine Gaffer gibt. Hier“, sagte er und reichte ihm eine große blaue Pille, die er aus einem Schutzumschlag holte. „Ein starkes Antitoxin“, klärte ihn Max auf. „Das Mittel stoppt für sechs Tage Bakterien und Infektionen.“

„Und wenn ich es nicht nehme?“

„Hansen“, begann Max gedehnt und spürte langsam, wie seine Laune sich von Minute zu Minute verschlechterte. „Zusammen mit den Investoren sind auch vor Jahren die Hygiene und sauberes Trinkwasser von diesem Planeten geflüchtet. Meinetwegen nehmen Sie es nicht, aber dann beschweren Sie sich nicht, wenn Sie zuhause wie ein Obdachloser aus dem Mittelalter aussehen.“

„Schon gut, schon gut.“

Preston Smith winkte seinem Chef kurz zu und wartete geduldig, bis Max schlendernd näherkam. „Sir, ich vermute, Sie wollen unserem Gast nur den Hangar zeigen…“

„Nein, wir werden in zwei Stunden wieder hier sein.“

„Sir, das verstößt gegen ein Dutzend Paragraphen.“

„Ich weiß, was ich tue, Preston.“

„Wenn der Vorstand …“

„Wird er nicht“, unterbrach er ihn schroff. „Und Sie halten auch dicht. Wenn Anrufe reinkommen…“

„…denke ich mir etwas aus. Schon klar“, zischte Preston leise als würden sie beide versuchen ein Geheimnis zu bewahren. „Ist es das wert?“

„Ja, muss sein.“

„Bitte, Sir.“

„Jetzt gehen Sie schon. Ich mache das. Kontrollieren sie die Locks und schwärzen Sie die Zahlen ein bisschen. Ich halte den Deckel drauf. Was soll schon schiefgehen?“

Preston sah nicht glücklich aus, nickte aber und verschwand so schnell wie er gekommen war.

Die Minuten zogen sich hin. Endlich waren sie bereit und die Gulfire erwachte zum Leben, während sich beide anschnallten. Die Haube glitt über ihre Köpfe und verriegelte sich selbst. Einen Moment lang herrschte völlige Dunkelheit um ihn herum, bis die Kontrolllampen und die Meßanzeigen aufleuchteten. Um sie herum leuchteten Panoramaschirme auf und erfüllten das Cockpit mit einem unheimlich blauen Schein. Zu Hansens Überraschung gab es nur wenige Knöpfe – untypisch für ein hochkomplexes technisches Wunderwerk der Menschheit, das die Gravitation und die tödliche Kälte des Alls übertrumpft hatte. Max drückte auf einen Schalter. „Startfreigabe. System online, Kurs zwei-sieben, Manöver Beta Vierzehn, Eins-neun auf acht-sieben. Spruch des Tages: Wenn du einen Hammer hälst, sieht bald alles für dich wie ein Nagel aus.“

Hansen wandte sich fragend an Max. Der zuckte nur belustigt mit den Schultern. „Ein kleiner Scherz von unseren Technikern. Lässt sich nicht mehr löschen, aber ich finde es ganz gut…“

„Sehr tiefsinnig. Tatsache ist, dass ich lieber der Hammer als der Nagel bin“, sagte Hansen. „Ich agiere lieber, statt zu reagieren.“

„Freiheit. Eine Illusion. Je mehr sie sich sträuben, desto mehr verstricken sie sich. Sie müssen essen, trinken, aufs Klo gehen, das Gefühl haben geliebt zu werden und zu lieben, das Gefühl gebraucht zu werden und etwas zu verändern. Sonst hätten Sie es wohl nicht aus Ihrem Ghetto rausgeschafft, meinen Sie nicht? In unseren Innersten wollen wir alle nochmal auf den Arm unserer Mutter und glückselige Zufriedenheit erfahren… und auch dort versteckt sich Abhängigkeit. Was ich sagen will, ist, dass das Ihre letzte Chance ist, Hansen. Sobald ich den Knopf vor mir drücke, endet Ihre Freiheit. Sobald Sie auf Oasis sind…“

Für einen kurzen Moment zögerte Hansen. Der Moment zog sich, und je mehr Sekunden verstrichen, desto breiter wurde Maxs Grinsen. „Hansen?“

„Los jetzt.“

„Wollte nur sichergehen.“ Max drückte einen Knopf an der Konsole. Langsam rollte die Gulfire los. Sie hatten die Startbahn erreicht, als auf einem Monitor Zahlen und Daten auftauchten. Luftdruck, Air-Condition, Energieversorgung, Kühlmittel… Max las die Richtwerte und nickte zufrieden. Es bedeutete, dass seine Profis an einem Strang zogen. Fast geräuschlos beschleunigte die Gulfire, während sich hinter ihnen das Tor schloss. Jetzt zog die Gulfire durch einen länglichen Schacht und beschleunigte langsam auf dem Weg zum Schott, hinter dem das eisige Vakuum lauerte. Mit der Öffnung des Schotts entstand ein Sog, der die Maschine auf die gewünschte Geschwindigkeit von 740 km/h beschleunigte, mit einer Schubkraft von 8,6 Tonnen. Wie ein Papierkügelchen in einem Strohhalm katapultierte das Gefährt raus ins All, wo es durch den natürlichen Antrieb und den vier General Electric F266-GE-Triebwerken in die richtige Position für den Eintritt in die erdähnliche Atmosphäre von Oasis kam.

Schweiß rann über Hansens Gesicht. Max bemerkte es mit einem schadenfrohen Grinsen.

Sanft und langsam bekam die Gravitation des Planeten das kreisende Objekt in seiner Gewalt. Die Flügelkanten schoben sich aus dem Schiff. Es hatte keine Eile. Das S-förmige Inlett der Gulfire mutete wie ein Boomerang an, der aber weder kreiselnd noch stürzend zur Oberfläche fand, sondern sanft und ohne große Reibung wie eine Feder ihrem Bestimmungsort anstrebte.

Selbst wenn auf der sonnenzugewandten Seite jemand zufällig den kleinen schwarzen Punkt am Himmel gesehen hätte, war es bedeutungslos, denn die Gulfire sank kontrolliert weiter zur dunklen Seite des Planeten und landete mit der graziösen Sicherheit eines Schmetterlings auf einen Kamm.

Tausendmal probiert. Tausendmal Erfolg. Auf die Technik war Verlass.

Max wusste es nicht, aber das war das Einzige, das mit Sicherheit funktionierte…

€3,49

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Umfang:
400 S. 1 Illustration
ISBN:
9783754185032
Verleger:
Rechteinhaber:
Bookwire
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