Dirk Nowitzki - So weit, so gut

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Weshalb aber verlor Weinhauer ein Jahr nach der Tauschaktion mit Dallas eigentlich seinen Posten? Weil er im Sommer 1999 wichtige Leistungsträger nicht an den Club binden konnte und weil der von ihm selbst angestellte Trainer George Karl hinter den Kulissen um mehr Einfluss auf Personalentscheidungen antichambrierte. Die Sterne standen schlecht. Weinhauers Arbeit – die Bucks hatte 1999 zum ersten Mal seit 1991 wieder die Play-offs erreicht – galt als nicht gut genug. Und die Hoffnung auf den hochgepriesenen Traylor fiel langsam, aber sicher in sich zusammen.

Mit Nowitzki hatte das alles ganz und gar nichts zu tun.

Aber einige Fragen blieben offen. Und so beschloss ich irgendwann, mich auf die Suche nach Bob Weinhauer zu machen.

3. Kapitel

Die Milwaukee-Connection

Die Nummer von Bob Weinhauer steht im Telefonbuch. Weshalb man ihn leicht ausfindig machen kann. Zumal er zu den Basketballtrainern und -managern der alten Schule gehört. Wenn man ihm eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlässt, ruft er zurück. Und er erzählt, wie das damals wirklich war, mit Nowitzki und Nelson. Doch wie das Leben so spielt, saßen wir uns wenige Monate später höchstpersönlich gegenüber. Mitten im Atlantischen Ozean.

Es wäre falsch, allzuviel in diese eine Begegnung hineinzugeheimnissen, die sich beinahe zufällig auf einem Schiff auf halber Strecke zwischen Florida und Portugal irgendwo im Atlantik ergab. Denn wir waren uns ja wenige Monate zuvor schon einmal begegnet. Und zwar am Telefon, bei einem Gespräch, bei dem wir uns hinreichend ausgetauscht hatten.

Bob Weinhauer hatte mir bei der Gelegenheit alles Wissenswerte aus seiner Zeit als verantwortlicher Manager bei den Milwaukee Bucks erzählt. Und natürlich auch die Sache mit Dirk Nowitzki erklärt. Und die mit Don Nelson.

Dass wir uns noch einmal über den Weg liefen, und zwar auf diesem komfortablen, mit seinem Platz für 400 Passagiere gar nicht mal besonders großen Kreuzfahrtschiff namens Odyssey, ist als kleine Arabeske trotzdem durchaus des Erwähnens wert. Nicht nur weil diese Episode zeigte, dass wir auf diesem ziemlich großen Planeten in einem unsichtbaren Netzwerk zahlloser Zufälligkeiten dahinschippern. Sondern auch weil sich eine solche Begebenheit einfach sehr viel stärker im Gedächtnis einprägt als ein ganz normaler Telefonanruf.

Unser Treffen kam morgens auf dem Mitteldeck neben dem kleinen Swimmingpool zustande. Die Sonne strahlte, nur ein paar kleine schüchterne Wolken dekorierten den Horizont. Es wehte eine leichte Brise.

Es passierte, weil ich seinen Namen kurz zuvor in einer Broschüre entdeckt hatte, die alle Kreuzfahrer nach der Abreise in Fort Lauderdale erhalten hatten und die alle Passagiere in alphabetischer Reihenfolge auflistete. Verbunden mit der Information über den Wohnort. Ich war mir deshalb ziemlich sicher, dass es sich dabei um genau diesen Mr. Weinhauer handelte, mit dem ich schon einmal gesprochen hatte.

Ich wollte ihn nicht überfallen. Ich wusste nicht mal, wie er aussah, und bat deshalb einen der Concierges mir bei der Kontaktaufnahme zu helfen. So dauerte es zwei Tage, bis wir zusammenkamen und ich erneut dieses kleine Puzzle auffrischen konnte, in dem er nach meiner Einschätzung eine nicht ganz unwichtige Rolle gespielt hatte.

Wir hätten uns an diesem Morgen über vieles unterhalten können, zum Beispiel über seine lange Karriere mit den Anfangsjahren auf Long Island, wo er 1939 geboren und aufgewachsen war. Über seine Zeit als College-Basketballtrainer, der zuerst mit der University of Pennsylvania in Philadelphia Erfolg hatte und dann mit Arizona State University in Phoenix. Über seine Stationen in der unterklassigen Continental Basketball Association hätten wir auch reden können. Oder über die Phase danach in der NBA, wo er bei den Houston Rockets 1994 und 1995 als General Manager wohl den Höhepunkt erlebte: Denn seine Mannschaft gewann exakt in beiden Jahren zum ersten und bis heute letzten Mal die Meisterschaft.

Aber unterhalten haben wir uns am Ende vor allem übers Reisen und seine familiäre Wurzeln in Europa. Das ersparte uns, ein weiteres Mal über Dirk Nowitzki zu reden, denn die entscheidenden Informationen hatte er mir bereits am Telefon gegeben.

Trotzdem versuchte ich ihm noch einmal zu erklären, in welchem seltsamen Mysterium er als jene völlig falsch beschriebene Figur existierte. Als Teil eines scheinbar unausrottbaren Narrativs, dem erstaunlich viele Menschen aufgesessen waren, weil sie besserwisserisch darauf bestanden, zu wissen, wie das 1998 vor und bei der Draft rund um Dirk Nowitzki abgelaufen war.

Es existierten allerdings in der Öffentlichkeit auch nur wenige brauchbare Informationen über den wahren Sachverhalt. Und diejenigen, die kursierten, waren offensichtlich von niemandem überprüft worden, ehe sie in die Welt gesetzt wurden. Ein gutes Beispiel ist der schon genannte Bericht in der Online-Ausgabe der Wochenzeitung Die Zeit, in dem auf einer kurzen Strecke von wenigen Sätzen gleich drei Behauptungen zu lesen sind, die alle dazu dienten, Weinhauer ins Lächerliche zu ziehen, weil der angeblich nicht erkannt hatte, welche sportlichen Talente in dem jungen Basketballer aus Würzburg steckten.

Zum besseren Verständnis hier die drei wesentlichen Fehler dieser Passage, die alle mit sehr viel Überzeugungskraft vorgetragen wurden:

Erster Fehler – die Charakterisierung der Transaktion: Demnach hätten die Bucks damals den Dallas Mavericks im Tausch für Dirk Nowitzki den Amerikaner Robert Traylor „entreißen“ können.

Zweiter Fehler – die Gesamtbewertung des Vorgangs: Angeblich sei die Tauschaktion „als einer der schlechtesten der Klubgeschichte“ der Milwaukee Bucks zu betrachten.

Dritter Fehler – es hätten sich für den damaligen Chefmanager der Bucks daraus sogar persönliche Konsequenzen ergeben. Zitat: „Ein Jahr nachdem Weinhauer Dirk Nowitzki für Traylor verramscht hatte, war er seinen Job los.“

Übrigens geistern nicht nur in Deutschland seit Jahren Darstellungen herum, die den Tausch missbilligen oder sogar ins Lächerliche ziehen. Manche gehen so weit, ihn als eine der größten Fehlleistungen in dieser Kategorie in der Geschichte der Liga einzustufen. So schaffte es der Nowitzki-Trade 2011 beim vielgelesenen Online-Sportinformationsanbieter Bleacher Report auf Platz elf der „schlimmsten Trades in der Geschichte der NBA“. Die Webseite The Sportster hievte ihn 2014 sogar auf Rang acht in einer ewigen Schlechtesten-Liste und nannte das Arrangement zwischen den Mavericks und den Bucks „einen der katastrophalsten Draft-Tag-Trades in der NBA-Geschichte“.

Dabei hätte die Recherche locker einen Artikel lokalisiert, der bereits 2011 im Milwaukee Sentinel Journal erschienen war, als die Dallas Mavericks auf dem Weg Richtung Titelgewinn unterwegs waren. Schon die Überschrift erklärte alles: „Harris says Bucks never had Dirk“ – Die Bucks hatten Nowitzki zu keinem einzigen Zeitpunkt gehabt, wie Larry Harris, 1998 unter Weinhauer Direktor der Scouting-Abteilung der Bucks und einer der Zeitzeugen erklärte: „Die Absprache wurde bereits vor der Draft getroffen.“

Weinhauer selbst hatte sich bis zu unserem Telefonat zu dem Thema niemals ausführlich geäußert. Warum auch? Er hatte gar nicht verstanden, wie Leute überhaupt darauf gekommen waren, die Aktion zu thematisieren. Die Bucks hätten Nowitzki den Mavericks ohnehin niemals einfach wegschnappen können. Wir erinnern uns: Dallas war 1998 bereits an Platz 6 an der Reihe, Milwaukee an Platz 9. Don Nelson hätte also Nowitzki, den er unbedingt haben wollte, nur an die fünf Teams verlieren können, die vor ihm auf der Draft-Liste standen. Aber die hatten ganz andere Spieler im Visier, wie sich im Verlaufe des Abends zeigte: Auf den Plätzen eins bis fünf wurden gezogen: der Center Michael Olowokandi, der Spielmacher Mike Bibby, der ebenfalls als Center eingestufte Raef LaFrentz, der Forward Antawn Jamison, der sich mit seinem Spiel in North Carolina die Auszeichung „College-Spieler des Jahres“ erworben hatte, und der sprunggewaltige Shooting Guard Vince Carter.

Tatsächlich liegt der Clou an diesem Vorgang nicht darin, dass Milwaukee einen zukünftigen Star-Spieler hätten haben können, den jedoch ahnungslos und dummerweise verschmähte. Sondern er besteht einzig und allein in dem Manöver von Nelson, für einen Spieler, den er sowieso verpflichten wollte, einen Tausch einzufädeln, mit dem er einen zusätzlichen Baustein erhielt, der ihm das Kapital gab, um weiter zu schachern.

Wie funktionierte das? Er tat Milwaukee einen Gefallen, als er an Platz sechs den Spieler zog, den die Bucks unbedingt haben wollten – den hoch eingeschätzten Robert Tractor Traylor – und bekam dafür eine Extra-Gegenleistung: die Rechte am Pick auf Platz 19, den die Bucks besaßen. Diesen Spieler – Pat Garrity – konnte Nelson unmittelbar nach der Draft als werthaltiges Objekt für einen zweiten Tausch einsetzen. Mit ihm sicherten sich die Mavericks am selben Abend ein zweites vielversprechendes Talent: Aufbauspieler Steve Nash, der damals bei den Phoenix Suns unter Vertrag war, aber dort völlig unter Wert eingesetzt wurde.

Natürlich weihte Nelson die Bucks nicht in diesen komplizierten Plan ein, als man sich über die Nowitzki-Aktion verständigte. So etwas gehört zum geschickten Taktieren zwischen Clubmanagern in der NBA, die gewöhnlich nur sehr vorsichtig signalisieren, was sie im Schilde führen. Wie es im amerikanischen Sport üblich ist, wurde das Arrangement erst nach der Draft der Öffentlichkeit und den anderen Clubs in der Liga mitgeteilt. Damals konnte niemand außerhalb der eingeweihten Kreise überhaupt nachvollziehen, was es mit diesem Manöver auf sich hatte. Nur soviel war klar: Der unberechenbare Zocker Nelson hatte nicht etwa Bob Weinhauer überlistet, sondern das gesamte eingefahrene Denkschema einer Managementwelt, die sich nicht ausmalen konnte, dass jemand wie Dirk Nowitzki der NBA eines Tages eine völlig neue Dimension im Basketball aufschließen würde: den riesengroßen Spieler, der sich nicht wie ein Center nahe am Korb aufhält, sondern aus der Distanz mit traumwandlerischer Sicherheit seine Würfe versenkt.

 

Das Protokoll des Telefongesprächs mit Bob Weinhauer über den Draft-Abend von Vancouver und seine Beziehung zu Don Nelson liefert eine detaillierte Beschreibung der Abläufe:

Herr Weinhauer, lassen Sie uns zunächst einmal darüber sprechen, wie das 1998 im Detail ablief. Wer hat damals wen angerufen und den Tausch initiiert?

Ich habe in den Wochen vor der Draft vermutlich mit fast jedem Team über mögliche Szenarios gesprochen. Wer macht was? Wer ist an wem interessiert? Dabei mit Dallas und in diesem Fall mit Don Nelson zu reden, war nichts Ungewöhnliches. Ob wir nur einmal oder mehrmals miteinander gesprochen haben, weiß ich nicht mehr. Aber er war es, der vorschlug, dass wir uns auf einen Tausch verständigen, bei dem wir beide für einander ziehen.

Sie dürfen aber nicht vergessen: Zu dem Zeitpunkt haben wir in Milwaukee eine Reihe von unterschiedlichen Kombinationsmöglichkeiten gesehen. Unser europäischer Scout hatte Nowitzki spielen gesehen und uns einen Bericht übermittelt. Wir waren auf Platz 9 und hatten ihn nicht auf unserer Liste. Unser Bedarf bestand aus zwei Spielertypen. Wir brauchten einen Power Forward, der gut rebounden konnte. Und wir brauchten einen Guard, der sowohl als Aufbauspieler als auch als Korbschütze fungieren konnte.

Ich hatte Larry Hughes aus St. Louis als Guard identifiziert nach dem Vorbild von Spielern, wie sie die Detroit Pistons eingesetzt hatten: Isiah Thomas und Vinnie Johnson. Wir hatten bereits Ray Allen, einen großartigen Korbschützen. Und wir hatten Sam Cassell. Ich wollte Larry Hughes für diese Rolle. Bei den großen Spielern hatten wir Glenn Robinson, ein exzellenter Schütze aus Purdue, Spitzname „Big Dog“. Wir hatten Armen Gilliam, ebenfalls ein exzellenter Schütze als Power Forward, aber kein guter Rebounder. Wir hatten Tim Thomas, auch ein guter Schütze, aber kein guter Rebounder. Wir hatten Scott Williams aus North Carolina, der das ganze mehr oder weniger komplettierte. Wir hatten Sorge, dass Robert Traylor an Draft-Platz 9 schon von jemand anderem gezogen sein könnte.

Wie muss man sich das vorstellen, wenn Sie in der Phase mit anderen Clubs reden? Wie vorsichtig gibt man zu erkennen, was man vorhat? Wie offen ist man? Die Teams sind schließlich Konkurrenten.

Man kann eigentlich niemandem wirklich glauben, was er sagt. Gewöhnlich machst du das in der frühen Phase folgendermaßen: Du achtest nicht auf die Namen, die sie erwähnen, sondern auf die, die sie nicht erwähnen. Die schreibst du dir auf. Denn das sind gewöhnlich die Personen, für die sie sich vermutlich interessieren. Man lügt einander nicht an, aber man versucht, möglichst wenig von den eigenen Plänen durchblicken zu lassen, wenn man jemandem einen Tausch anbietet.

Nellie hat mit einem Szenario angerufen, in dem wir Robert Traylor an Draft-Platz 6 bekommen konnten. Sie waren daran interessiert, Nowitzki an Platz 9 zu bekommen, weil der Besitzer der Mavericks ihm nicht das höhere Gehalt bezahlen wollte, das ihm mit dem sechsten Platz zugestanden hätte. Ich sage das mit dem Hinweis darauf, dass Dallas vermutlich Nowitzki am besten und am gründlichsten gescoutet hatte und eine Idee davon hatte, wer er ist.

Also kamen Sie an einen Punkt, an dem Sie das Gefühl hatten, Sie können Nelson vertrauen und sie verstehen beide, um was es bei diesem Tauschgedanken für beide Seiten geht?

Nellie und ich haben diesen Punkt schon ziemlich früh erreicht. Ich wusste, was er wollte.

Sie konnten ihm also offen sagen: Ich will Traylor, aber mache mir Sorgen, dass er an Platz 9 nicht mehr zu haben ist?

Ja, wir konnten das zugeben, einen Tag vor der Draft oder am Draft-Tag, so genau weiß ich das nicht mehr. Wir hatten das auch mit unserem Club-Besitzer [Herb Kohl] abgesprochen, mit dem wir immer alles geklärt haben. Wir waren alle einer Meinung. Wir wollten einen Power Forward. Und wir hatten nichts dagegen, das Nellie zu sagen. Denn wir wussten: Er will Nowitzki. Er würde nicht Traylor an 6 ziehen und ihn dann behalten. Das Ganze basierte natürlich auf der Prämisse, dass Traylor an 6 und Nowitzki an 9 beide noch zu haben waren. Und dass Pat Garrity an 19 noch nicht weg war. Ich dachte damals, dass es für Dallas am wichtigsten war, Nowitzki zu bekommen. Mir war nicht klar, dass Nelson versuchen wollte, Garrity in einem Paket an Phoenix weiterzugeben, um Steve Nash zu holen. Das hat uns auch nicht weiter interessiert. Aber im Blick zurück denke ich, wir hätten Dallas nur einen Zweit-Runden-Draft-Platz anbieten sollen und nicht unseren 19. Platz in der ersten Runde.

Weil die Chance, von Platz 9 auf Platz 6 vorzurücken, keinen so großen Unterschied bedeutete?

Das hängt davon ab, wen man an 6 bekommen kann. Lassen Sie uns nochmal diese Draft anschauen. An eins wurde Michael Olowokandi von den Los Angeles Clippers gezogen. Er hat in seiner ganzen Karriere nichts in der NBA bestellt. Nummer 2, Mike Bibby, der ging an Vancouver. Drei: Raef LaFrentz aus Kansas war ebenfalls in seiner Karriere kein bedeutender NBA-Profi. Zwei der Topspieler, die vor Robert gezogen wurden, stellten sich als nicht viel wert heraus.

Aber das gehört doch immer zur Draft dazu, dass man vorher nicht weiß, was aus den Spielern wird, und dass sich die Teams bei ihren Entscheidungen in 50 Prozent der Fälle verschätzen.

Ja. Das gehört zur Draft. Das kann man auch anhand der Zahl der Spieler belegen, die nach nur einem oder zwei Jahren von den Teams abgegeben werden. Weil es mit ihnen in der Mannschaft, von der sie gedraftet wurden, nicht funktioniert hat. Manchmal passen sie woanders besser hinein. Aber was ich schon gesagt habe: Nellie hat das damals vorgeschlagen. An Nowitzki waren wir nicht interessiert. Ehrlich gesagt, in den ersten beiden Jahren in der Liga war er allenfalls ein durchschnittlicher Spieler. Es gab keine Anzeichen dafür, dass er ein so großartiger Spieler werden würde. Und so hatte es auch nichts mit meinem Abgang in Milwaukee zu tun.

Völlig unabhängig von der Entscheidungslage 1998 – wann hatten Sie zum ersten Mal das Gefühl, dass Nowitzki ein vielversprechender Spieler war?

Vielleicht zwei oder drei Jahre später. Wir haben ihn in der Summer League nach der Draft gesehen. Ehrlich gesagt, er war so gut wie kein Faktor. Er war langsam und sah aus wie ein großgewachsener Typ, den man sich als Distanzschütze ausmalen konnte. Aber von denen hat es schon immer jede Menge gegeben. Niemand kann wirklich abschätzen, was in jemandem steckt, wieviel Zeit und Energie er in etwas steckt. Aber er hat das getan und hat aus sich ein Spitzenspieler in der Liga gemacht. Und das für mehr als die letzten zehn Jahre.

Er wirkte damals nicht wie ein Typ, der in ein nach klassischen Kriterien zusammengestelltes Team gepasst hätte?

Das gilt sicher für die ersten Jahre. Ich glaube nicht, dass damals jemand gesagt hat, er würde gerne um Nowitzki herum ein komplettes Team aufbauen. Man war 1998 auf gewisse Weise fasziniert, weil es vor ihm bereits ein paar erfolgreiche europäische Spieler in der NBA gegeben hatte. Wie sich herausstellte, war das für die Mavericks eine exzellente Entscheidung. Er spielt noch immer in Dallas.

Nachdem Mark Cuban den Club gekauft hatte, zeichnete sich in Dallas ab, dass man um Nowitzki als zentraler Figur herum eine komplette Mannschaft aufbauen kann.

Als Mark Cuban kam, wusste man bereits, dass Nowitzki ein sehr, sehr guter Spieler werden würde. Und man wusste, dass man um ihn herum Spritzigkeit und Athletik brauchen würde, um ein gutes Team aufzubauen. Das haben sie sehr gut hinbekommen.

Haben Sie sich seit 1998 jemals mit Don Nelson oder seinem Sohn Donn, der damals ebenfalls beteiligt war, über ihre Erinnerungen an die Draft unterhalten?

Nein. Wir kannten uns gut, aber waren keine engen Freunde. Ich hatte aber die Gelegenheit, in Nellies Haus auf Maui zu wohnen. Zwei Wochen lang. Er war so nett, meiner Frau und mir das anzubieten. Über diesen Trade haben wir noch nie gesprochen. Ich will ihm auch nicht die Chance geben, sich allzu diebisch zu freuen.

Die NBA ist so etwas wie eine Zunft oder eine Burschenschaft, korrekt?

Auf dem Platz kämpft man gegeneinander. Abseits vom Spielfeld geht man freundschaftlich miteinander um. Man macht miteinander Geschäfte. Es gibt Kollegen, die man im Laufe der Zeit besser kennenlernt. Und andere nicht. Aber ich habe Nellies Basketballverstand immer respektiert.

4. Kapitel

Holger – zwei Gespräche mit einem Meister seines Fachs

Es sind einige Begriffe im Umlauf, um die besondere Rolle von Holger Geschwindner im Leben und in der Karriere von Dirk Nowitzki zu charakterisieren: Entdecker, Mentor, Manager, persönlicher Trainer. Der Grund: Der Einfluss des Mathematikers und Physikers auf den Werdegang des besten Basketballers Europas geht über ein paar schrullig wirkenden Anleitungen zur Technik des Sprungwurfs weit hinaus.


Als Mentor und Privatcoach bis heute regelmäßig an Nowitzkis Seite: Holger Geschwindner. (imago/Camera 4)

Es ist nie ganz klar, wann eine Geschichte so richtig beginnt. Sicher nicht mit der Geburt. Denn wer konnte schon am 19. Juni 1978, als Dirk Werner Nowitzki in Würzburg auf die Welt kam, davon ausgehen, dass er als Teenager auf enorme 2,13 Meter heranwachsen würde? Seinen siebten Sinn für den Basketball konnte man da auch noch nicht prognostizieren. Auch wenn Mutter Helga bei der TG Würzburg zum Stamm gehörte und so gut war, sich in die deutsche Basketball-Nationalmannschaft hochzuarbeiten. Genauso wie Dirks vier Jahre ältere Schwester Silke eine Generation später. Vater Jörg-Werner, von Beruf Malermeister, hatte aktiv Handball gespielt und es damit in die Zweite Bundesliga geschafft.

Der junge Dirk kam mit zehn Jahren nur deshalb zum Basketball, weil ihn sein Lehrer Jörg Meng für die Schulmannschaft des Würzburger Röntgen-Gymnasiums rekrutierte und so die ersten Grundlagen schuf. Nowitzki hatte anfänglich null Spaß an der Sache. Das legte sich erst, als der Vater für seine Schwester und ihn vor dem Haus einen Korb installierte. Sein wirkliches Interesse galt nämlich zunächst dem Tennis. Bis zur achten Klasse, als sich seine Ambitionen und seine Lust auf eine Mannschaftssportart, in der er Eindruck machte, eindeutig in eine andere Richtung wiesen.

Also begann die Geschichte zu diesem Zeitpunkt? Nein, eigentlich nicht mal dann. Denn etwas fehlte noch: Ein Typ, der in dem Potenzial mehr sah als für eine Karriere in der deutschen Bundesliga. Sondern ein Projekt mit Aussichten auf sehr viel mehr.

Dieser Typ – das war Holger Geschwindner, ein ehemaliger Basketballnationalspieler, der im Fränkischen nach dem Ende seiner Laufbahn noch immer gerne mit den Alten Herren unterwegs war und rein zufällig bei einem Abstecher nach Schweinfurt den damals 16-Jährigen mit der Jugendmannschaft vom DJK Würzburg erlebte. „Sag mal, wer hat dir das denn alles beigebracht?“, fragte er ihn bei der nächsten Begegnung. Und der antwortete: „Niemand.“

Das war der eigentliche Anfang, der Moment, in dem die Geschichte losging. Denn Dirk kam nach Hause und erzählte: „Da war ein Mann in unserer Halle, könnt ihr mit dem mal reden?“ Und so saß man „einige Tage später zusammen bei Kaffee und Kuchen“ bei den Nowitzkis „und vereinbarte einmal die Woche ein gemeinsames Training“.7

Geschwindner, ein studierter Physiker und Mathematiker mit eigener Projekt-Management-Firma, erklärte den Eltern, um was es geht. „Wenn es euch reicht, dass Dirk der beste deutsche Basketballer wird, dann braucht ihr mich nicht, denn den hält hierzulande keiner auf.“ 8

Es ging um mehr. Weshalb von da an auch Extra-Trainingsschichten anberaumt wurden – in der Turnhalle in Rattelsdorf, zwölf Kilometer von Bamberg entfernt, mit täglichen Trainingseinheiten, bei denen der Zahlenmensch Geschwindner dem Jungen gleich noch die theoretischen Grundlagen eines wichtigen Aspekts des Basketballspiels vermittelte. „Dass bei Geschwindigkeit X, Winkel Y und Flugkurve Z einfach der Korb getroffen wird – wir können ja nicht aus der Physik rausfallen.“ 9

 

Den Kopf von Dirk Nowitzki erreicht er gleich auf mehreren Ebenen. Er schenkt ihm schon bald ein Saxophon, gibt ihm anspruchsvolle Bücher von Carl Friedrich von Weizsäcker und Joseph Conrads, lässt ihn auf dem Trampolin an der Beweglichkeit und Körperkoordination arbeiten und bringt ihn mit anderen ehemaligen Spitzensportlern zusammen. Nowitzki rudert. Nowitzki steht auf der Planche Olympiateilnehmern aus Tauberbischofsheim gegenüber. Immer nach dem Motto: „Der Körper ist das Instrument, das es zu putzen und zu pflegen gilt, um darauf erfolgreich spielen zu können.“ 10

Mit diesem Rüstzeug landen die beiden im März 1998 in San Antonio bei einem Schau-Wettkampf, zu dem die besten Highschool-Basketballer Amerikas angereist sind und gegen ein Weltteam antreten. Nowitzki spielt natürlich in der Weltauswahl – mit der Rückennummer 15 – und demonstriert sein Format, als er seine Gegenspieler ausdribbelt und jede Menge Körbe erzielt. Angefeuert von Holger Geschwindner, der zunächst keinen Zugang zur Arena erhält, aber dann von seinem Kontaktmann bei der Sportausrüsterfirma, die für diesen Nike Hoop Summit verantwortlich ist, einen Stuhl neben die Spielerbank gestellt bekommt.

Nowitzki verwandelt Freiwürfe und Dreier und geht keinem Körperkontakt aus dem Weg, erzielt 33 Punkte, wird zum MVP ernannt, dem wertvollsten Spieler der Begegnung, und gibt sein erstes Fernseh-Interview auf Englisch. Das Aufsehen um ihn ist ihm unangenehm. Er will anschließend „nichts wie heim nach Würzburg“, wie er Jahre später im Buch „Nowitzki“ verrät.11

Auf der Tribüne sitzt Donn Nelson, der Sohn des kurz zuvor in Dallas installierten General Managers und Cheftrainers der Mavericks und traut seinen Augen nicht: „Ich habe mich umgeschaut, um zu sehen, wer sonst noch das Spiel gescoutet hat.“ So entsteht in Dallas der Plan, Nowitzki, wenn er denn zu einem Wechsel in die NBA bereit sein würde, zum Club der Nelsons zu lotsen.

So etwas klingt einfacher als es ist. Denn in den populären amerikanischen Mannschaftssportarten gibt es ein System, genannt Draft, das ausschließt, dass sich Teams direkt auf dem Spielermarkt der jungen Talente bedienen können. Das bedeutet konkret für die NBA: Jeder Nachwuchs-Basketballer, der einen Vertrag in der besten Liga der Welt möchte, kann sich sein Team gar nicht aussuchen. Die Rangfolge der Draft eines Jahres, bei der die schlechten Mannschaften des Vorjahres zuerst an der Reihe sind, ehe die besseren Teams sich im Pool der Aspiranten bedienen können, ist der entscheidende Faktor dafür, was geschieht. Diese Methode sorgt für eine Leistungsparität zwischen den Teams und dafür, dass wohlhabende Clubs in den größeren Städten die ärmeren in den kleineren Orten nicht ausmanövrieren können.

Die Dallas Mavericks haben als sechstes Team der Ziehung theoretisch also eine hervorragende Chance, andere Interessenten auszustechen. Trotzdem will Don Nelson an diesem Abend im Juni 1998 in Vancouver noch ein wenig pokern. Erstens, um Nowitzki nicht an Platz sechs auszuwählen, weil man ihm damit aufgrund der Lohnliste der NBA für sogenannte Rookies mehr Geld garantieren muss als jemandem, der auf einem niedrigeren Draftplatz gepickt wird. Und zweitens um zu testen, ob sich daraus nicht ein schickes Tauschgeschäft entwickeln lässt, bei dem Dallas nicht nur Nowitzki erhalten würde, sondern vielleicht sogar noch mehr. Nelsons Rechnung geht auf, wie vorne ausführlich beschrieben.

Und auch die Bitte an den jungen Spieler, sich nicht erst einmal in der Bundesliga einzunisten und das Abenteuer Amerika in eine ferne Zukunft zu schieben, fällt auf fruchtbaren Boden. Sein erstes Punktspiel zum späten Auftakt der wegen einer Tarifauseinandersetzung zwischen der Liga und der Spielergewerkschaft verkürzten Saison wird allerdings in der Heimat zu einem mittelgroßen Spektakel aufgeputscht. Denn beim Gegner, den Seattle SuperSonics, spielt der bis dahin bekannteste deutsche Basketball-Profi, der Leverkusener Detlef Schrempf.12

Erst zwölf Jahre danach ergibt sich die Gelegenheit zu einem Interview mit Holger Geschwindner, diesen langen Weg, der beinahe schon etwas eher zum Titelgewinn geführt hätte, ausführlich zu analysieren. Eine Momentaufnahme, zu der wir uns im Juni 2011 in Miami während der Finalserie treffen, als die Mannschaft nach fünf Spielen mit einer 3:2-Führung nach Florida zurückgekehrt ist und die Chancen auf den Meisterschaftserfolg überraschend gut aussehen.

Aber unbeschwert und abgrundtief zuversichtlich ist in diesem Augenblick niemand. Denn schon einmal – 2006 – hatten die Dallas Mavericks in der Endspielserie – damals nach einer 2:0-Führung – unverständlicherweise ihren Vorteil einfach verschenkt. Auch diesmal geht es wieder gegen die Miami Heat. Und viele im Kreis der Experten hadern erneut vor allem mit Nowitzki. Ist er einfach mental nicht der richtige, um in der entscheidenden Situation mit dem notwendigen Killerinstinkt die Spiele für sich und seine Mannschaft zu entscheiden?

„Hier in den USA will man immer den kürzesten Weg zu Ziel“, meint Geschwindner vor der alles entscheidenden Begegnung, an deren Ende für die Mavericks, Nowitzki und Geschwindner alle Anstrengungen kulminieren. Sisyphos schafft es auf den Gipfel. Und der schwere Ball, den er jahrelang immer wieder hinaufzurollen versucht hat, bleibt für einen Moment lang da oben liegen. Nowitzki muss kurz vor dem Schlusspfiff in die Umkleidekabine laufen, weil er die Tränen verbergen will, die ihn übermannen. Auch Holger Geschwindner hat an diesem Abend feuchte Augen.

Der Druck fällt ab. Nicht aber jene Souveränität, mit der sich Geschwindner in den Tagen davor unter anderem über die Fragen der amerikanischen Basketball-Journalisten amüsiert hatte, die nicht nachvollziehen können, mit welchem Rezept er und sein Schützling gearbeitet haben. Ein privater persönlicher Technik-Trainer in der NBA? Wie geht das?

Die Neugier reicht allerdings nicht tief – „der Weg dorthin spielt für die alle keine Rolle“, sagt Geschwindner, der über eine schroffe Art verfügt, die im Kontrast zu der üblichen amerikanischen Art der schönfärberischen, ecken- und kantenlosen Erklärungen seiner Berufsgenossen steht.

Wir sitzen nachmittags auf der Tribüne des American Airlines Center, während die Spieler auf dem Parkett eine Trainingseinheit abspulen und gehen am Horizont einer Profikarriere entlang, um alles ein wenig einzuordnen. Darunter auch die Treue von Nowitzki zu einem einzigen Club, in der besten Basketballliga der Welt eine absolute Rarität.

Herr Geschwindner, Sie haben in Ihrer Arbeit immer das Wort Werkzeugkasten benutzt, um zu beschreiben, was ein Spieler wie Dirk Nowitzki mit seinem Können als hervorragender Sprungwurfspezialist braucht, um das Beste aus seinen Möglichkeiten zu machen. Besitzt er inzwischen alle Werkzeuge?

HOLGER GESCHWINDNER: Mit 2,13 Meter kann man nicht die gleichen Dinge tun wie ein Turner wie Fabian Hambüchen am Reck. Aber im Rahmen seiner körperlichen Voraussetzungen und was er mit seiner Denke mitbringt, haben wir jedes Jahr etwas dazugepackt. Und es gibt noch ein paar Sachen, die er in petto hat. Die kann er noch nicht auspacken. Wenn man die vorführt, dann muss man auch gewährleisten, dass die mit einem hohen Prozentsatz realisierbar sind und funktionieren.

Im Moment beschäftigen sich viele Journalisten in den Vereinigten Staaten mit seiner Fähigkeit, mit einem ungewöhnlichen Sprungwurf den Ball in den Korb zu befördern. Er springt auf einem Bein ab, das andere hängt irgendwie in der Luft. Dabei fällt er zurück und wirkt so, als ob er auf dem Hosenboden landen würde. Die Verblüffung, dass das gelingt, ist groß.

HOLGER GESCHWINDNER: Da macht man jetzt ein Mordsgedöns draus. Das hat es alles schon mal gegeben. Nur geht das dann verloren. Kareem Abdul-Jabbar hatte früher einen Hakenwurf im Repertoire, einen Hook Shot. Heute schießt kein Mensch mehr einen Hook Shot. Der gehört auch wieder eingeführt. Das sind tolle Werkzeuge. Das wird hier als Wunder dargestellt. Das ist gar nichts.

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