Das Karpatenschloss

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Das Karpatenschloss
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DAS

KARPATEN

SCHLOSS



JULES VERNE



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LLUSTRATIONEN DER

O

RIGINALAUSGABE









Mit den Illustrationen der

französischen Originalausgabe des

Verlages J. Hetzel & Cie.



Nach der deutschen Übersetzung des

A. Hartleben’s Verlages (1874-1911)

der neuen Rechtschreibung angepasst.



© 2014 Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,

Hamburg



Alle Rechte, auch das der fotomechanischen Wiedergabe

(einschließlich Fotokopie) oder der Speicherung auf

elektronischen Systemen, vorbehalten.

All rights reserved.



Titelabbildung: Bridgeman Art Library, Berlin

Umschlag: Timon Schlichenmaier, Hamburg

E-Book Erstellung:

Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH



ISBN: 978-3-86820-958-7







www.nikol-verlag.de











E

RSTES

K

APITEL



D



ie nachfolgende Erzählung ist nicht fantastischer, sie ist nur romantischer Art. Es würde ein Irrtum sein, wegen ihrer Unwahrscheinlichkeit zu glauben, dass sie nicht wahr wäre. Wir leben in einer Zeit, wo Alles möglich ... ja man wäre berechtigt zu sagen, wo Alles schon vorgekommen ist. Wenn unsere Erzählung heute auch nicht wahrscheinlich sein sollte, so ist sie es vielleicht schon morgen, Dank den wissenschaftlichen Hilfsmitteln, die sich der Zukunft bieten, und dann würde es Niemand in den Sinn kommen, sie als sagenhaft zu bezeichnen. Heute, nahe dem Abschlusse des so praktischen, so positiven neunzehnten Jahrhunderts, entstehen übrigens keine Sagen mehr, weder in der Bretagne, dem Gebiete der wilden Korrigans, noch in Schottland, der Heimat der Brownies (Heinzelmännchen) und der Gnomen; weder in dem sagenumwobenen Norwegen, dem Vaterlande der Asen, Elfen, Sylphen und Walküren, noch auch in Transsilvanien (Siebenbürgen), wo die mächtige Kette der Karpaten für Geisterbeschwörungen und Geistererscheinungen einen so günstigen Boden bietet, obwohl wir hierzu die Bemerkung nicht unterdrücken dürfen, dass gerade im transsilvanischen Lande der Aberglaube früherer Zeiten noch in üppiger Blüte steht.



Gerando hat dieses entlegene Gebiet Europas beschrieben, Elisée Reclus hat es besucht. Beide erwähnen nichts von den Vorkommnissen, worauf unsere Erzählung beruht. Vielleicht hatten sie davon Kenntnis, wollten ihnen aber keinen Glauben beimessen. Das ist schon deshalb zu bedauern, weil der Eine diese Ereignisse mit der Verlässlichkeit des Geschichtsschreibers wiedergegeben, der Andere sie mit dem unbewussten poetischen Schwunge geschildert hätte, der seine Reiseberichte so vorteilhaft auszeichnet.



Da das also beide unterlassen haben, will ich versuchen, es für sie zu tun.



Am 29. Mai eines der letzten Jahre hütete ein Schäfer seine Herde am Rande eines grünen Wiesenplans am Fuße des Retyezat, der ein mit geradästigen Bäumen besetztes und mit reichen Ackerfeldern geschmücktes Tal überragt. Über jene offene, ganz schutzlose Hochfläche streichen zur Winterszeit die Galernen, das sind die scharfen, schneidenden Nordwestwinde, wie das Messer des Barbiers. Man sagt dann auch dort zu Lande, dass die Höhe sich – und zuweilen sehr glatt – »rasiert«.



Jener Schäfer zeigte in seinem Äußeren nichts arkadisches und auch nichts bukolisches in seiner Haltung. Es war kein Daphnis, Amyntas, Tityros, Lycidus oder Meliböus. Der Lignon murmelte nicht zu seinen mit plumpen Holzschuhen beschwerten Füßen; die walachische Sil war es, die mit ihrem klaren, frischen Gewässer würdig gewesen wäre, durch die Windungen des makedonischen Asträus zu fließen.



Frik, Frik aus der Dorfschaft Werst – so nannte sich der ländliche Hirt – von Person ebenso vernachlässigt wie seine Tiere, schien wie geschaffen, mit in dem am Eingange des Dorfes errichteten schmutzigen Neste zu wohnen, in dem auch seine Schafe und Schweine in empörendem Schlamm und Unrat hausten, wie das übrigens für alle Schäfereien des Comitats gleichmäßig zutrifft.



Das »

immanum pecus

« weidet also unter der Obhut des genannten Frik ... »

immanior ipse

«. Auf einem Haufen zusammengetragenen Grases ausgestreckt, schlief er mit dem einen und wachte mit dem anderen Auge, immer die dicke Tabakspfeife im Munde; nur dann und wann rief er seine Hunde an, wenn sich ein Lamm zu weit von dem Weideplatze verirrte, oder ließ er einen schrillen Pfiff ertönen, den das Echo von den Bergwänden vielfach wiederholte.








Es war jetzt vier Uhr Nachmittags. Die Sonne begann zu sinken. Einzelne Felsengipfel im Osten, deren Fuß sich in wallenden Dunstwolken badete, erglänzten schon im Abendlichte. Nach Südwesten zu ließen zwei Lücken der Bergkette ein schräges Strahlenbündel hereinfallen, so wie ein Lichtstreifen durch wenig geöffnete Türen dringt.



Das Gebirgssystem der Gegend gehörte zu dem wildesten Teile Transsilvaniens, der im Comitat Klausenburg oder Kolosvar zu suchen ist.



Ein merkwürdiges Bruchstück des österreichischen Kaisertums, dieses Transsilvanien, das »Erdely« in magyarischer Sprache, d. h. »das Land der Wälder«. Nach Norden und nach Westen zu wird es von Ungarn begrenzt; im Süden berührt es die Walachei und im Osten die Moldau. Bei einer Oberfläche von sechzigtausend Quadratkilometern oder sechs Millionen Hektaren – d. i. fast dem zehnten Teile der österreichisch-ungarischen Monarchie – erscheint es als eine Art Schweiz, ist aber, obwohl um die Hälfte größer als der helvetische Staatenbund, doch nicht volkreicher als jene. Mit seinen dem Ackerbau erschlossenen Hochebenen, den üppigen Weideflächen, den nach allen Richtungen hin streichenden Tälern und seinen schroff aufstrebenden Felsriesen, wird Transsilvanien, das die vielen plutonischen Höhenzüge der Karpaten fast überall streifig bedecken, von zahlreichen Wasserläufen durchzogen, von Zuflüssen der Theiß und der stolzen Donau, in der das sogenannte Eiserne Tor wenige geografische Meilen weiter im Süden den Abfall der Balkankette zwischen der Grenze Ungarns und des osmanischen Reiches verschließt.



So erscheint das Bild des alten Daciens, das Trajan im ersten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung eroberte. Die Unabhängigkeit, deren es sich unter Johann Zapoly und dessen Nachfolgern bis zum Jahre 1699 erfreute, hatte ein Ende mit Leopold I., der das Gebiet dem der österreichischen Kronländer einverleibte. Trotz veränderter politischer Verhältnisse ist es aber stets der Wohnsitz verschiedener Rassen geblieben, die hier mit einander in Berührung stehen, doch nicht verschmelzen, die Heimat von Walachen oder Rumänen, von Ungarn, Zigeunern, Szeklern moldauischer Abstammung, und auch von Sachsen, die durch Zeit und Umstände sich zu Gunsten der transsilvanischen Einheit doch schließlich »magyarisieren« dürften, so hartnäckig sie bisher auch ihre Stammeseigentümlichkeit behaupteten.



Welchem Typus der Schäfer Frik angehörte und ob er etwa ein entarteter Nachkomme der alten Dacier war, das hätte man angesichts seines wirren Haarschopfes, des nicht gerade sauberen Antlitzes, des struppigen Bartes, der dichten, wie aus rötlichen Borsten gebildeten Augenbrauen und der zwischen grün und blau schillernden, stechenden, doch am Hornhautrande schon den sogenannten Greisenbogen zeigenden Augen des Mannes nur schwer bestimmen können. Dass er bereits fünfundsechzig Jahre zählte, konnte man schon leichter sehen. Dabei war er groß, sehnig und hielt sich straff unter dem weichen Filzhute, der freilich weniger Haare zeigte als seine halb entblößte Brust – kurz, ein Maler würde ihn, wenn er so, auf den langen Stab mit Krähenschnabelgriff gestützt, unbeweglich wie ein Felsen dastand, gewiss gern als Modell benutzt haben.



Als die Sonnenstrahlen sich durch die Berglücke im Westen Bahn brachen, drehte Frik sich um; dann formte er aus der halb eingeschlagenen Hand eine Art Fernrohr – ganz wie er diese als Sprachrohr verwendet hätte, wenn er sich weithin vernehmbar machen wollte – und blickte aufmerksam in jener Richtung hinaus. Am hellen Hintergrunde des Horizontes erhoben sich in der Entfernung einer Meile und deshalb stark verkleinert die Umrisse einer Burg. Dieser altertümliche Schlossbau nahm auf einem einzeln stehenden Seitengipfel des Berges Vulkan den mittleren Teil eines Hochplateaus ein, das den Namen des Plateaus von Orgall führte. Bei dem schimmernden Lichte hoben sich die Umrisse des Ganzen deutlich und mit derselben Schärfe wie stereoskopische Bilder vom Himmel ab. Nichtsdestoweniger musste das Auge des Hirten mit seltener Sehschärfe ausgestattet sein, um irgend eine Einzelheit der entfernten Gegenstände unterscheiden zu können.



Plötzlich rief er, den Kopf in die Höhe werfend:



»Altes Schloss! ... Altes Schloss! ... Immer stütze Dich nur auf Deine Grundfeste! ... Noch drei Jahre, und es ist zu Ende mit Dir, denn Deine Buche hat nur noch drei Äste!«



Die betreffende, nahe am Rande einer der Bastionen der Burg wurzelnde Buche erschien am Himmelsgrunde wie ein feiner Papierausschnitt, und in dieser Entfernung möchte sie schwerlich für jemand Anders als den Schäfer Frik sichtbar gewesen sein. Die Deutung jener geheimnisvollen Worte, die mit einer das Bergschloss betreffenden Sage in Beziehung stand, wird an passender Stelle nachfolgen



»Ja«! wiederholte der Mann, »nur drei Äste!« ... Gestern waren es noch vier; der vierte ist aber im Laufe der letzten Nacht abgefallen ... jetzt steht nur noch ein Stumpf des stolzen Baumes da ... Ich zähle nur noch drei über dem starken Stamme ... nur noch drei, alte Burg ... nur noch drei lebende Äste!«

 



Stellt man sich einen Hirten von seiner idealen Seite vor, so erscheint er einem gewöhnlich als Denker oder Träumer; er unterhält sich mit den Planeten; er spricht mit den Sternen und versteht sich darauf, die Schrift des Himmels zu lesen. In Wirklichkeit ist er im Allgemeinen ein unwissender, vernagelter Bursche. Trotzdem dichtet ihm die Leichtgläubigkeit so oft übernatürliche Fähigkeiten an; er versteht sich auf Hexerei je nach Laune; er wendet Verzauberungen durch Besprechen ab oder verzaubert selbst Mensch und Tier – was in diesem Falle ja fast auf Eines hinauskommt; er handelt mit sympathetischen Pülverchen; man kauft von ihm Liebestränke und Zaubersprüche. Ja, es geht so weit, dass er die keimende Frucht der Ackerfurche tötet, indem er verhexte Kieselsteine hineinwirft, oder dass er die Schafe unfruchtbar macht, indem er sie mit dem linken Auge ansieht. Ein derartiger Aberglaube findet sich in allen Ländern und fand sich zu allen Zeiten. Selbst in mehr zivilisierten Ländern gehen gar viele Leute nicht an einem Schäfer vorüber, ohne diesem ein paar freundliche Worte zuzurufen, ohne ihm einen hergebrachten Gruß zu bieten, indem er speziell »Hirt« genannt wird, worauf der Mann besonderen Wert legt. Ein Abnehmen des Hutes schützt bereits gegen manches Übel, und in Transsilvanien ist man deshalb damit nicht sparsam.



Frik wurde nun als ein solcher Hexenmeister betrachtet, der Geistererscheinungen hervorzuzaubern vermochte. Nach Aussage der Einen gehorchten ihm die Vampire und die Stryges; nach der Anderer konnte man ihn bei abnehmendem Monde in halbfinstren Nächten, wie in anderen Gegenden das Gespenst des Großen Schalttages, auf dem Schutzdache von Mühlrädern reiten sehen, von wo aus er mit den Wölfen schwatzte oder träumerisch zu den Sternen hinausstarrte.



Frik ließ die Leute reden, denn er stand sich ganz gut dabei. Er verkaufte Zaubermittel ebenso wie Schutzmittel gegen solche. Doch war er, wohl zu bemerken, nicht weniger gläubig als seine Kundschaft, und wenn er vielleicht auch an seinen eigenen Zauberkräften zweifelte, so galt ihm doch der Inhalt der landläufigen Sagen als unbestreitbare Wahrheit.



Hiernach kann es nicht Wunder nehmen, dass er sich jene, das baldige Verschwinden der Burg betreffende Vorhersage zurechtlegte – da die Schicksalsbuche jetzt bis auf drei Äste zusammengebrochen war – und dass er sich beeilte, diese Neuigkeit in Werst bekannt zu geben.



Nachdem er also seine Herde zusammengerufen, indem er mit vollen Backen eine aus weißem Holz geschnitzte Schäferpfeife anblies, schlug Frik den Heimweg nach dem Dorfe ein. Die Tiere in Ordnung haltend, folgten ihm seine Hunde – zwei Terrier-Bastarde, bissige, wilde Köter, die mehr geschaffen schienen, Lämmer zu zerfleischen als solche zu beschützen. Die Herde bestand aus etwa hundert Widdern und Schafen; darunter etwa einem Dutzend Lämmern, sonst aber aus drei- bis vierjährigen Tieren mit vier und mit sechs Zähnen.








Diese Herde gehörte dem Ortsrichter von Werst, dem Biró Koltz, der der Gemeinde einen tüchtigen Weidepacht bezahlte und seinen Schäfer Frik hoch schätzte, weil er ihn als ebenso brauchbar bei der Schur, wie erfahren in der Behandlung der Schafkrankheiten, der Drehkrankheit, des Leberwurmes, der Trommelsucht, der Pocken, der Unfruchtbarkeit und anderer ähnlicher Störungen kannte.



Die Tiere zogen in geschlossenem Haufen dahin, voran der Leithammel mit der Glocke und ein altes Mutterschaf mit Schellenhalsband, die beide inmitten des Geblökes »den Ton angaben«.



Von dem Weideplatze aus schlug Frik einen breiten, von ausgedehnten Feldern umgebenen Fußweg ein. Hier wogten die prächtigen Halme eines Getreides, das ebenso hoch im Stroh, wie lang in den Ähren war; dort wucherten üppige Kulturen von »Kukuruz«, dem Mais des Landes. Der Weg führte nach dem Saume eines aus Fichten und Tannen bestehenden Waldes, der in seinem Schatten erquickende Kühle bot. Weiter unten schlängelte sich das spiegelnde Band der Sil hin, deren Wasser sich an den Kieseln des Grundes klärte, und auf der Stämme und Klötze aus den stromaufwärts liegenden Sägemühlen hinab schwammen.



Hunde und Schafe machten am rechten Ufer des Flusses Halt und stillten gierig ihren Durst am steilen Rande, dessen Rosengebüsch sie durchbrochen hatten.



Werst lag nur wenige Flintenschuss weit von hier entfernt, und zwar jenseits eines dichten, halbhohen Weidebusches mit natürlich entwickelten Bäumen, nicht solchen verkrüppelten Kröpfweiden, deren Zweigruten nur wenige Fuß über der Wurzel ausstrahlen. Dieses Weidengebüsch erstreckte sich bis zu den Abhängen des Vulkan, auf dem das gleichnamige Dorf den Vorberg eines nach Süden verlaufenden Zweiges des Piesagebirges einnimmt.



Die Landschaft war jetzt menschenleer. Die Feldarbeiter kehren erst mit einbrechender Dunkelheit nach ihrem häuslichen Herde zurück, und Frik hätte jetzt wohl kaum Gelegenheit gefunden, den althergebrachten »Guten Tag!« Mit ihm begegnenden Leuten zu wechseln. Nachdem seine Tiere sich gesättigt, wollte er eben nach einem verschlungenen Talwege einbiegen, als ihm, etwa fünfzig Schritte stromabwärts der Sil, ein dort auftauchender Mann in die Augen fiel.



»He! Guter Freund!« rief dieser dem Hirten zu.



Es war einer jener fremden Händler, die alle Märkte des Comitats besuchen und die man dazwischen in Städten, Flecken und selbst in den geringsten Dörfern antrifft. Sich den Leuten verständlich zu machen, ist ihnen eine Kleinigkeit, sie sprechen eben alle Mundarten. Niemand hätte sagen können, ob der hier Erschienene ein Italiener, Sachse oder Walache sei; man erkannte aber leicht, dass er Jude, polnischer Jude war, an seiner langen hageren Gestalt, der gebogenen Nase, dem spitz auslaufenden Vollbarte, wie an der vorspringenden Stirn und den lebhaften Augen darunter.



Dieser Hausierer handelte mit Brillen, kleinen optischen Instrumenten, Thermometern, Barometern, geringwertigen Wanduhren u. dgl.



Was nicht in seinem, an starken Achselgurten hängenden Warenkasten untergebracht war, das hing ihm am Halse und am Leibgürtel – ein richtiger wandelnder Kramladen.



Wahrscheinlich hegte auch dieser Jude die Achtung, vielleicht die stille Scheu, die nun einmal alle Schäfer anderen Leuten einflößen. So begrüßte er denn Frik zunächst mit einer Handbewegung. Dann begann er in rumänischer Sprache, diesem Gemenge aus Latein und Slavisch, mit fremdem Tonfalle:



»Es geht Euch doch nach Wunsch, guter Freund?



– Jawohl ... je nach der Witterung,« antwortete Frik.



– »Dann geht‘s Euch heute also gut, denn es ist schönes Wetter.



– Und morgen desto schlechter, denn da wird‘s regnen.



– Regnen ...?« rief der Händler. »Regnet‘s in Eurem Lande auch ohne Wolken?



– Nun, Wolken werden diese Nacht schon kommen ... und zwar von da draußen ... von der schlimmen Seite des Berges.



– Woran erkennt Ihr das?



– An der Wolle meiner Schafe, die starr und trocken wie gegerbte Haut ist.



– Das ist freilich eine schlimme Aussicht für die, die draußen im Freien ihre Arbeit haben.



– Und desto angenehmer für die, die in ihrem Hause unter Dach bleiben können.



– Gewiss, Schäfer; doch dazu muss man auch ein Haus besitzen.



– Habt Ihr Kinder?« fragte Frik weiter.



»Nein.



– Seid Ihr verheiratet?



– Nein.«



Diese Fragen stellte Frik, weil sie hier landesüblicherweise an Jeden gerichtet werden, dem man auf der Landstraße begegnet.



Dann fuhr er fort:



»Woher kommt Ihr, Hausierer?



– Von Hermannstadt.«



Hermannstadt ist eine der bedeutendsten Städte Siebenbürgens. Von dieser aus gelangt man in das bis nach Petroseny herabreichende Tal der ungarischen Sil.



»Und Ihr geht ...?



– Nach Kolosvar.«



Um nach Kolosvar (Klausenburg) zu kommen, hat man sich weiterhin im Tale des Maros zu halten und erreicht dann über Karlsburg, längs der ersten Ausläufer der Bilarberge hingehend, die Hauptstadt des Comitats. Die Wegstrecke beträgt etwa zwanzig Meilen (150 Kilometer).



Diese Händler mit Thermometern, Barometern und allerhand Kleinkram erscheinen immer wie Gestalten besonderer – nur nicht hofmännischer – Art. Das liegt in ihrem Geschäft. Sie »verkaufen Zeit und Wetter« in jeder Form, die Zeit, wie sie verfließt, das Wetter, wie es eben ist und wie es sein wird, wie andere »zweibeinige Ballentiere« Körbe, Strick- und Baumwollwaren verhandeln. Man wäre versucht, sie Reisende des Hauses Saturn & Cie. – mit dem »Goldenen Stundenglas« als Warenschutzmarke – zu nennen. Zweifelsohne machte der Handelsjude diese Wirkung auf den biederen Frik, der verwundert diese Menge von Gegenständen betrachtete, die ihm so gut wie ganz neu waren und deren Bestimmung er nicht kannte.



»He, Hausierer,« fragte er, den Arm vorstreckend, »wozu dient das Ding da, das wie die Zähne eines alten Gehenkten an Eurem Gürtel klappert?



– Oh, das sind lauter wertvolle Sachen,« erwiderte der Fremde, »lauter Dinge, die all‘ und jedem nützlich sind.



– All‘ und jedem,« entgegnete Frik mit den Augen zwinkernd ... »auch für einen Schäfer?



– Auch jedem Schäfer und Hirten.



– Und das lange glänzende Ding da ...?



– Dies Instrument,« belehrte ihn der Jude, indem er einen Thermometer in der Hand auf und ab gleiten ließ, sagt Euch, ob es warm oder kalt ist.



– Aber, guter Freund, das weiss ich doch allein, wenn ich unter der dünnen Jacke schwitze oder unter dem dicken Flausrock friere.«



Offenbar genügten solche Wahrnehmungen einem Schäfer, der sich um das Warum? Dabei nicht kümmerte.



»Und die alte dicke Uhr dort mit dem einen Zeiger dran?« erkundigte er sich weiter, auf einen Aneroidbarometer weisend.



»Das ist keine alte Uhr, sondern ein Instrument, das Euch vorhersagt, ob‘s morgen schön sein oder regnen wird ...



– Ist das wahr ...?



– Gewiss, darauf könnt Ihr Euch verlassen.



– Na, ‚s mag ja sein; ich möchte das Ding aber doch nicht, und wenn‘s nicht mehr als einen Kreuzer kostete. Ich brauche ja nur nachzusehen, wie die Wolken durch die Berge ziehen oder ob sie hoch über deren Gipfeln hingehen, da weiß ich das Wetter für vierundzwanzig Stunden auch im Voraus. Da draußen, Ihr seht wohl den Nebel, der fast auf der Erde hinschleicht? ... Na, wie ich Euch sagte, das bedeutet für morgen Wasser.«



Der Schäfer Frik, ein langgeschulter Wetterbeobachter, konnte in der Tat jedes Barometer entbehren.



»Da ist wohl die Frage überflüssig, ob Ihr vielleicht eine Uhr braucht?« nahm der Handelsjude wieder das Wort.



»Eine Uhr? ... Ach, ich habe eine, die geht ganz allein und hängt mir, wo ich gehe und stehe, über dem Kopfe – das ist die Sonne da oben. Seht Ihr, Freundchen, wenn die sich über die Spitze des Roduk da drüben stellt, dann ist es Mittag, und wenn sie durch das Loch des Egelt guckt, ist es sechs Uhr Abends. Das wissen meine Schafe ebenso gut wie ich; die Schafe und die Hunde erst recht. Da behaltet nur Euren Kram.



– Freilich,« bemerkte der Händler, »wenn ich nur Schäfer zu Kunden hätte, da würd‘ es mir schwer werden, etwas zu verdienen. Ihr braucht also gar nichts von meinen Waren?



– Nicht das geringste!«



Die billigen Ramschwaren des Juden waren übrigens auch wirklich nicht viel wert; die Barometer zeigten gerade dann nicht auf »Schön Wetter« oder »Veränderlich«, wenn es ihre Pflicht gewesen wäre, und die Uhrweiser bezeichneten die Stunden zu lang oder die Minuten zu kurz – mit einem Worte, der Jude trug den reinen Ausschuss trödeln. Den Schäfer mochte auch ein gewisses Misstrauen beschleichen, denn er machte gar keine Miene, den Beutel zu ziehen. Da, als er schon den langen Stab zum Weitergehen bewegte, tippte er noch auf eine Art Röhre, die am Traggurt des Hausierers hing, und sagte:



»Wozu dient denn die kleine Röhre hier?



– Diese Röhre ist keine simple Röhre.



– Na, ‚s ist doch auch kein Ofenrohr?«



Der Schäfer verstand darunter eine Art altmodischer Pistole mit erweiterter Mündung.



»Nein,« erklärte der Jude, »das ist ein Fernrohr.«



Es war in der Tat eines jener Jahrmarkt-Instrumente, die die betrachteten Gegenstände fünf- bis sechsmal vergrößern oder sie um ebenso viel näher zu bringen scheinen, was ja in der Wirkung auf dasselbe hinauskommt.



Frik hatte das Fernrohr losgebunden; er besah es sich genau, drehte und wendete es nach allen Seiten und verschob die Einzelzylinder übereinander.

 



Dann richtete er wie ungläubig den Kopf hoch auf.



»Ein Fernrohr?« sagte er.



»Ja, Schäfersmann, und zwar ein ganz vorzügliches, das Euch befähigt, viel weiter als gewöhnlich zu sehen.



– Oho, ich habe sehr gute Augen, Freundchen. Bei klarer Luft erkenne ich die entlegensten Felsen bis zur Spitze des Retyezat und die letzten Bäume im Grunde des Talweges des Vulkan.



– Ohne die Augen halb zu schließen?



– Ohne solche Kunststückchen. Das verdank‘ ich dem heilsamen Tau, wenn ich vom Abend bis zum Morgen unter freiem Himmel schlafe. Glaubt nur, das wäscht die Pupille rein.



– Was ... der Tau?« erwiderte der Hausierer. »Der macht ja die Leute weit eher blind ...



– Nur die Schäfer nicht!



– Mag sein! Doch wenn Ihr auch gute Augen habt, so sind meine doch noch besser, sobald ich sie ans Ende meines Fernrohres bringe.



– Das müsst‘ ich erst sehen.



– Werft doch einmal selbst einen Blick durch das Fernrohr.



– Ich? ...



– Versucht‘s nur.



– Und das kostet nichts?« fragte Frik, der von Natur etwas misstrauisch vorsichtig war.



– »Nichts ... gar nichts, wenigstens wenn Ihr das Fernrohr nicht kauft.«



In dieser Hinsicht beruhigt, nahm Frik das Instrument, das der Hausierer für ihn passend einstellte. Nachdem er dann das linke Auge geschlossen, brachte er das rechte nahe an das Okular.



Erst blickte er in der Richtung des Vulkan und aufwärts nach dem Plesa hinaus. Nachher senkte er das Instrument und richtete es nach dem Dorfe Werst hinab.



»Wahrlich,« rief er, »‚s doch richtig! Das trägt weiter als meine Augen ... Da die Landstraße... ich erkenne darauf die Leute! ... Richtig, Nic Deck, der Forstwächter, der, die Flinte auf dem Rücken, vom Rundgange heimkehrt, mit ...



– Wie ich‘s Euch sagte!« unterbrach ihn der Hausierer.



»Ja ... richtig ... das ist Nic! fuhr der Schäfer fort. Und wer ist das Mädchen im roten Rocke und schwarzen Leibchen, die aus dem Hause des Meister Koltz tritt, wie um jenem entgegenzugehen?



– Seht nur ordentlich hin, Schäfer, und Ihr werdet das Mädchen ebenso gut erkennen, wie den jungen Mann ...



– Ja ... wirklich ... das ist Miriota ... die schöne Miriota! – Oh, diese verliebten Leute! Jetzt mögen sie aber auf ihrer Hut sein, denn ich habe sie hier deutlich am Ende des Fernrohres und es entgeht mir keine Zärtlichkeit.



– Nun, was sagt Ihr jetzt von dem Instrumente?



– Was soll ich sagen? – dass man damit weiter sehen kann als sonst.«



Wenn Frik in seinem Leben noch niemals durch ein Fernrohr geblickt hatte, musste das Dorf Werst doch wohl zu den Ortschaften des Comitats Klausenburg gehören, die am weitesten hinter der Zeit zurückgeblieben waren. Und dass es an dem war, wird der Leser bald selbst erkennen.



»Jetzt, Schäfer,« fuhr der Fremde fort, »schaut noch einmal hindurch, aber weiterhin als nach Werst. Das Dorf liegt viel zu nahe. Seht darüber hinaus, weit, weit hinaus!



– Und das kostet auch nicht mehr?



– Keinen Heller mehr.



– Gut. Ich will mich einmal in der Gegend der ungarischen Sil umsehen. Aha ... da ist der Kirchturm von Livadzel! Den erkenn‘ ich an dem Kreuze, woran der eine Arm fehlt. Da ... und weiter draußen seh‘ ich den Turm von Petroseny, auch seinen Weißblech-Wetterhahn mit geöffnetem Schnabel, so als wollte er seine Glucken rufen! ... Und ganz unten ... das muss der Turm von Petrilla sein ... Doch, nicht wahr, Hausierer, Ihr sagtet, das kostete deshalb immer nicht mehr ...



– Das Hindurchsehen kostet nichts, Schäfer.«



Frik wendete sich jetzt nach dem Plateau von Orgall hin; dann folgte er mit dem Fernrohre den Waldmassen im Schatten der Abhänge des Plesa, und schließlich trat die Burg in das Gesichtsfeld des Glases.



»Richtig!« rief er. Der vierte Ast liegt zu Boden ... ich hatte doch recht gesehen! Na, den wird auch Keiner aufheben, um ihn am Johannisfeste als hübsche Fackel zu gebrauchen ... Nein, Keiner ... nicht einmal ich selbst! Das hieße ja Leib und Seele der Hölle verschreiben! Doch keine Sorge; Einen gibt‘s doch, der ihn noch diese Nacht in seiner Höllenküche verbrennen wird ... das ist der Chort!«



Der Chort – so heißt der Teufel, wenn er hier im Lande gesprächsweise erwähnt wird.



Der Jude hätte vielleicht nach einer Erklärung dieser Worte gefragt, die für Jeden unverständlich sein mussten, der nicht au