Plädoyer für eine neue Wirtschaftspolitik

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Plädoyer für eine neue Wirtschaftspolitik
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Plädoyer



für eine neue Wirtschaftspolitik





Josef Naef 2019










Impressum



Das Werk einschliesslich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.



Copyright © Josef Naef · 2019





https://www.akademos.ch/





Sämtliche elektronischen Datenträger (PDF und EBook-Dateien) dürfen beliebig weitergeleitet und auch auf Sozialen Medien verwendet werden.



Beim Plädoyer haben Dieter Frey, Jürgen Mohr und Rita Naef Iwert mitgewirkt.




Zum Autor



Dr. phil. Josef Naef war bis Ende 2018 Professor für Wirtschaftsphilosophie. Seit 2019 leitet Naef philosophische Seminare an der Senioren-Universität in Luzern. Naef verfügt über eine dreissigjährige Erfahrung im Wirtschaftsleben, wovon viele Jahre als erfolgreicher Unternehmer. Naef studierte Betriebsökonomie, Philosophie, Soziologie, Religionswissenschaft, Didaktik sowie Pädagogische Psychologie. Naef vertritt die von Karl R. Popper begründete Philosophie des Kritischen Rationalismus.




Über das Plädoyer



Wenn es der Wirtschaft gut geht, dann hat dies positive Auswirkungen auf die Gemeinschaft, sei es hinsichtlich der Arbeitsplätze, möglicher Lohnerhöhungen, aber auch mit Blick auf die Sicherung unserer Sozialwerke. So weit so gut.



In den letzten dreissig Jahren konnte sich der Neoliberalismus durchsetzen. Nach diesem wird das Gemeinwohl dadurch gesteigert, dass die Wirtschaftsakteure ihren Eigennutzen optimieren. Um die Grundlage für die Nutzenoptimierung zu schaffen, hat sich ein Standortwettbewerb um Liberalisierung, Deregulierung, Freihandel und Steuersenkungen entwickelt.



Die neoliberale Wirtschaftspolitik hat nicht nur in der Wirtschaft tiefe Spuren hinterlassen, sondern auch in den Bereichen Gesundheitswesen, Bildung, Wissenschaft, Medien und Sport. Die Politik hat zentrale Aspekte des Gemeinwohls an den Markt und Wettbewerb übertragen. Deshalb spielt in immer mehr Gesellschaftsbereichen Geld und die finanzielle Situation des Individuums die Hauptrolle. Weil das Gesellschaftswohl am Tropf der Wirtschaft hängt, ist Wirtschaftswachstum für die neoliberale Wirtschaftspolitik so wichtig, wie der Atem für unser Leben.



Die schwerwiegenden Gesellschaftsprobleme hängen untrennbar mit dem exorbitanten Wirtschaftswachstum in den letzten Jahrzehnten und der Machtkonzentration in der Wirtschaft zusammen. Sie können mit der neoliberalen Politik nicht gelöst werden, denn diese ist Hauptverursacherin. Letzteres gilt ganz besonders für die Umweltzerstörung. Um die gravierenden Probleme effektiv angehen zu können, braucht es eine liberale Alternative. Mit dem in der Praxis bewährten Ordoliberalismus gibt es diese.




Inhaltsverzeichnis





Einleitung







Teil 1 – Politische Standortbestimmung







Blitzlichter Wirtschaftspolitik







Kurze wirtschaftspolitische Geschichte







Neoklassik







John Maynard Keynes







Gründung des Neoliberalismus







Neoliberalismus gewinnt Bedeutung







Neoliberalismus und seine Konsequenzen







Neoliberalismus ist der Status quo







Teil 2 – Fortschritte







Rosling – Unkenntnis über die Fortschritte







Pinker – Fortschrittsglaube als Pflicht







Leben







Gesundheit







Ernährung







Wohlstand







Ungleichheit







Umwelt







Frieden







Sicherheit







Terrorismus







Demokratie







Gleiche Rechte







Wissen







Lebensqualität







Glück







Existenzbedrohungen







Die Zeit bringt weiteren Fortschritt







Teil 3 – Fakten-Check







Es ist nicht alles Gold, was glänzt







Öffnung des Blickwinkels







Leben







Gesundheit







Ernährung







Wohlstand







Ungleichheit







Umwelt







Frieden







Sicherheit







Fazit: unverantwortliche Kollateralschäden







Teil 4 – Wirtschaftspolitische Veränderung







Wir brauchen eine neue Wirtschaftspolitik







Der Weg zur neuen Wirtschaftspolitik







Wirtschaftspolitische Kardinalfehler erkennen







Das Bewusstsein für notwendige Veränderung schärfen







Wir brauchen ordoliberale Politikerinnen und Politiker







Umstellung der Lebensgewohnheiten







Ausreden entlarven







Nicht Selbstoptimierung – Freude am Leben







Optimismus ist moralische Pflicht







Literaturverzeichnis







Einleitung



Im kommenden Oktober 2019 finden in der Schweiz die Parlamentswahlen statt. Welche Veränderungen bei der Zusammensetzung des Parlaments sind wünschenswert? Viele Schweizer Bürgerinnen und Bürger denken wohl, dass es am besten ist, wenn sich nicht allzu viel verändert. Denn immerhin sind hierzulande relativ wenige Menschen arbeitslos, gehört unser durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen zu den höchsten weltweit und auch sonst besteht in der Schweiz kaum Anlass zur Klage. Aber ist das wirklich Grund genug, um für den Status quo einzustehen?



Ich bin der festen Überzeugung, dass die Schweizer Politik sich deutlich verändern muss, insbesondere meine ich die Wirtschaftspolitik. Die Schweiz gehört weltweit zu den wirtschaftsliberalsten Volkswirtschaften. Das wirtschaftspolitische Credo der Mehrheit des Parlaments und des Bundesrats lautet:



Wenn es den Unternehmen, insbesondere den Konzernen, gut geht, dann geht es auch den Menschen in diesem Lande gut. Folglich sollen den Wirtschaftsakteuren, vor allem den Konzernen, möglichst wenig 'Fesseln' angelegt werden.



Tatsächlich aber lassen sich die Kollateralschäden der 30-jährigen neoliberalen Wirtschaftspolitik immer weniger schönreden und schon gar nicht mehr ignorieren. An der Umweltzerstörung mit all ihren Facetten zeigt sich dies am deutlichsten. Sie ist allerdings keineswegs das einzige gravierende gesellschaftliche Problem, mit dem die Menschen konfrontiert sind. Wirtschaftspolitisch so weitermachen wie bisher, bedeutet nichts anderes, als diese Probleme zu verschärfen, anstatt verantwortungsvoll anzugehen. Die weitere Verschärfung der Probleme wäre für die Bevölkerung in der Schweiz in einzelnen Aspekten sogar noch schwerwiegender als für viele andere ökonomisch entwickelte Volkswirtschaften. Mit anderen Worten haben wir durchaus gute Gründe, über die Wahl der Politikerinnen und Politiker, aber auch über unsere Gewohnheiten nachzudenken.

 



Dieses Plädoyer für eine neue Wirtschaftspolitik besteht aus vier Teilen. Im ersten Teil möchte ich die Leserinnen und Leser hinsichtlich unserer Wirtschaftspolitik irritieren und aufzeigen, welche Politik wir tatsächlich verfolgen. Im zweiten Teil stelle ich international bekannte Autoren vor, welche die Meinung vertreten, dass wir global betrachtet in der besten aller möglichen Welten leben. Im dritten Teil unternehme ich einen Fakten-Check, der dann zum vierten Teil führt, nämlich zum Plädoyer für eine neue Wirtschaftspolitik.



Die vier Teile hängen zwar logisch zusammen, aber dennoch hat jeder Teil seinen eigenen, für sich abgeschlossenen Informationsgehalt. Ich rate der Leserin bzw. dem Leser mit wenig Zeit, direkt den vierten Teil aufzuschlagen.






Teil 1 – Politische Standortbestimmung

Blitzlichter Wirtschaftspolitik



Im Juli 2019 erfahren wir durch die Massenmedien, dass das Eidgenössische Departement für äussere Angelegenheiten (EDA) den Tabakkonzern Philip Morris als Hauptsponsor für den Expo-Pavillon in Dubai ausgewählt hat – nach der Medienschelte und unter öffentlichem Druck hat Bundesrat Ignaz Cassis sich dann gegen den Tabakkonzern als Sponsor entschieden. Der gleiche Bundesrat hat im September 2018 die Konzernspitzen von ABB und Swiss Re über seine aussenpolitische Vision eingeladen.

{1}

 Der Rohstoffkonzern Glencore mit Sitz in Zug macht wegen prekärer Arbeitsbedingungen, Umweltverschmutzung und Korruption seit Jahren Negativschlagzeilen. Am 7. Januar 2019 besuchte Bundesrat Cassis eine Glencore-Kupfermine im Norden Sambias, die seit Jahren von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert wird – das Kupferschmelzwerk stösst riesige Mengen von Schwefeldioxid aus. Cassis zeigte sich in einem Tweet stark beeindruckt über die Modernisierungsanstrengungen von Glencore und diese benützte den Cassis’ Tweet sogleich für Werbung in eigener Sache. Weiter teilte der Sprecher des EDA mit, dass Glencore sich betreffend Ausstoss von giftigen Gasen an die Richtlinien der Weltgesundheits-Organisation (WHO) halte – laut eigenen Angaben von Glencore werden diese jedoch beim Hochfahren der Anlage überschritten!

{2}

 Parteikollege und Ex-Ständerat Dick Marty antwortet auf die Frage, was er von diesem Besuch und diesen Aussagen hält:



«Ich dachte, "bedauerlich, aber nicht überraschend", denn der Bundesrat hat schon immer einen unterwürfigen Respekt vor allen Wirtschaftsmächten gezeigt. Das ist bedauerlich, weil derselbe Bundesrat nie bereit war, sich mit Vertretern von NGOs zu treffen, um über die Problematik der Ausbeutung dieser Minen zu diskutieren.»

{3}



Weltweit gelten 29 Konzerne, darunter die Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse, als global systemrelevant.

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 Bei der Gefahr eines Konkurses müssten diese, entgegen der Logik der Marktwirtschaft und des Wettbewerbs, durch politische Massnahmen gerettet werden. Damit fehlen jedoch wichtige Anreize für eine gemeinwohlverträgliche Ausrichtung der Geschäftsmodelle dieser Konzerne. Multinationale Unternehmen minimieren ihre Steuern und sorgen damit sowohl für einen internationalen wie auch nationalen Steuerwettbewerb. Die Schweizer Kantone mit den tiefsten Steuern für Unternehmen haben mittlerweile Steuersätze unter 13 Prozent festgelegt. Nach der OECD verlieren nationale Finanzministerien weltweit jedes Jahr ca. 100 bis 245 Milliarden Franken an Einnahmen durch den Steuerwettbewerb.

{5}

 In der Schweiz werden die Unternehmen im Kanton Luzern am tiefsten besteuert. Aus Spargründen hat das Kantonsparlament im Jahre 2016 eine Woche Zwangsferien für Schulen beschlossen.

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 Die ausserordentlich gefährliche Finanzkrise in den Jahren 2007/08 hatte eine stärkere Regulierung der Banken zur Folge. Nun will Bundespräsident Ueli Maurer die unabhängige Aufsichtskommission über den Finanzmarkt (Finma) der Politik unterordnen und damit faktisch entmachten – ganz im Sinne der Grossbanken.

{7}






Kurze wirtschaftspolitische Geschichte



Das Hätscheln der Konzerne seitens der Wirtschaftspolitik der ökonomisch entwickelten Volkswirtschaften ist offensichtlich. Aber wie kam es dazu? Auf welchen Grundlagen basiert dieses wirtschaftspolitische Denken? Im Buch «Wirtschaftsliberalismus»

{8}

 habe ich versucht, die Geschichte der heutigen Wirtschaftspolitik in den wichtigsten Zügen nachzuzeichnen. An dieser Stelle begnüge ich mich mit der Skizzierung von Kernelementen, welche die wirtschaftspolitischen Veränderungen besonders betreffen. Im Folgenden werde ich den Begriff «Wirtschaftspolitik» so verwenden, dass er sämtliche staatlichen Massnahmen für die Gestaltung der Wirtschaftshandlungen seitens der Wirtschaftsakteure beinhaltet.






Neoklassik



Die neoklassische ökonomische Lehre hat den Klassischen Liberalismus, wie er vom schottischen Moralphilosophen Adam Smith begründet wurde, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts abgelöst. Anders als die ökonomische Lehre des Klassischen Liberalismus versteht sich die Neoklassik nicht als Politische Ökonomie, sondern als eine reine wissenschaftliche Disziplin. Mit anderen Worten ist die neoklassische Ökonomie nicht auf die Befriedigung von wirtschaftspolitischen Anliegen ausgerichtet. Im Zentrum der Neoklassik stehen mathematische Modelle, mit denen das Gleichgewicht der Marktprozesse, beispielsweise im Arbeitsmarkt, im Sinne eines bestmöglichen gesellschaftlichen Zustandes herbeigeführt werden kann. Dabei geht die Neoklassik vom Modell des Homo oeconomicus aus. Nach diesem Konstrukt optimieren Wirtschaftsakteure (Unternehmen, Konsumenten, Investoren und Arbeitnehmer) ihren eigenen Nutzen bzw. Gewinn. Die Optimierung erfolgt einerseits nach mehr oder weniger konstanten Präferenzen, zum Beispiel grösstmöglicher Gewinn, und andererseits nach den gegebenen Restriktionen (beispielsweise Geldressourcen). Das bedeutet, dass nach der Neoklassik der bestmögliche gesellschaftliche Zustand dann erreicht wird, wenn die Wirtschaftsakteure ihren eigenen Nutzen bzw. Gewinn optimieren können. Diese Nutzen- und Gewinnoptimierung gelingt den Wirtschaftsakteuren dann, wenn ihnen möglichst grosse Handlungsfreiräume zugestanden werden.






John Maynard Keynes



Anfang des letzten Jahrhunderts – wir erinnern uns an die Soziale Frage

{a}

, die Grosse Depression Ende des 19. Jahrhunderts, an die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre, aber auch an die Oktoberrevolution 1917 in Russland – wurde der Begriff «Wirtschaftsliberalismus» zum Schimpfwort. Es stand fest, dass der Wirtschaft keine selbstregulierenden Kräfte innewohnen. Stattdessen muss das Wirtschaftsgeschehen von der Politik geleitet werden. Mit dem Aufkommen der Lehre des britischen Ökonomen John Maynard Keynes verfügte die Politik dann auch über die dafür notwendigen ökonomischen Ideen. Zur Kritik an der Neoklassik schreibt Keynes:



«Die hervorstechenden Fehler der Wirtschaftsgesellschaft, in der wir leben, sind ihr Versagen, für Vollbeschäftigung Vorkehrung zu treffen, und ihre willkürliche und unbillige Verteilung des Reichtums und der Einkommen.»

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Das Denken von Keynes war nicht nur durch den Ersten Weltkrieg und die anschliessenden Friedensverhandlungen beeinflusst, sondern ebenfalls durch die Weltwirtschaftskrise der dreissiger Jahre. Zur Idee der Gleichgewichtstheoretiker, wonach sich die Märkte langfristig auf ein Gleichgewicht zubewegen, antwortete Keynes in einem Radiointerview im Jahr 1939 ironisch, dass wir auf lange Sicht ohnehin alle tot seien. In seinem Hauptwerk «General Theory» sieht Keynes die Einkommensverteilung und die Beschäftigung als die beiden grossen sozialökonomischen Probleme. In den folgenden Jahrzehnten orientierte sich die Wirtschaftspolitik in den ökonomisch fortgeschrittenen europäischen Volkswirtschaften an der regulativen Idee der Vollbeschäftigung, welche durchaus mit staatlichen Massnahmen im Sinne von Konjunkturpolitik unterstützt werden soll. In Deutschland entwickelte sich unter Wirtschaftsminister Ludwig Erhard und dem Kultursoziologen Alfred Müller-Armack eine soziale Marktwirtschaft, die von der ökonomischen Lehre der Freiburger Schule (Ordoliberalismus) beeinflusst war. Auf diese neoliberale Strömung werde ich im Verlaufe dieses Plädoyers noch zurückkommen.






Gründung des Neoliberalismus



Der Neoliberalismus hat seinen Ursprung in den 1930er Jahren. Eine Gruppe liberaler Ökonomen aus verschiedenen Ländern wollte am Wirtschaftsliberalismus festhalten. Dies konnte gesellschaftspolitisch jedoch nur dann gelingen, wenn die Fehler des

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