Buch lesen: «Ein Laib Brot, ein Krug Milch»

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Josef Friedrich Perkonig

Ein Laib Brot, ein Krug Milch


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ISBN 3-85365-195-X

eISBN 9783-85365-312-8

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© Copyright by V. F. SAMMLER, Graz 2003

Printed in Austria

Layout: Klaudia Aschbacher, A-8101 Gratkorn

Gesamtherstellung: Druckerei Theiss GmbH, A-9431 St. Stefan

Inhalt

Vorwort

Zur Biographie Josef Friedrich Perkonig

Auszeichnungen und Preise

Werkverzeichnis

Zur Auswahl des vorliegenden Bandes

Erzählungen

Ein Laib Brot, ein Krug Milch

Der Heilige Abend

Das Liebespaar

Webstuhl der Väter

Christian fährt übers Eis

Das Paar im Jauk

Die Wallfahrt nach Berg Florion

Der Glockenwolf

Der Hirte Vuk

Der Steinbock

Rosental – Ferlach – Südkärntner Leben

Mich selbst im Spiegel gesehen

Die Büchsenmacher

Die Drahtzieher

Die Sänger

Merkwürdige Leute

An stillen Quellen

Die alte Drau

Mit zwei Zungen

Der Kärntner Slowene

Gedichte

Die Büchsenmacher

An Kärnten

Mein Vater

Josef Friedrich Perkonig-Gesellschaft

Veröffentlichungen

Eine Auswahl von Namen der Schriftsteller und Referenten der Literaturabende

VORWORT

Josef Friedrich Perkonig, der sich selbst zu den Menschen zählte, „die von Zeit zu Zeit sich zu den Bäumen und zur Stille unter dem Himmel“ flüchten, bezeichnete seinen Band „Ein Laib Brot, ein Krug Milch“, 1960, im Untertitel als „Ländliche Novellen“. Bereits 1953 waren seine Ich-Erzählungen „Vom Glück des ländlichen Lebens“ erschienen. Als erster Kärntner Erzähler im 20. Jahrhundert zeichnet Josef Friedrich Perkonig ein Pandämonium des Dorfes: Realistisch in der Darstellung erfaßt der Autor die bäuerliche Umwelt, zeichnet den Bauern in unverfälschter Echtheit im Denken, Fühlen, Glauben und Aberglauben, beim Arbeiten und Feste Feiern.

Zur Biographie Josef Friedrich Perkonig

Am dritten August 1890 in Ferlach im Rosental als Sohn einer Glantaler Bauerntochter und eines Ferlacher Graveurs und Büchsenmachers geboren, wuchs er im gemischtsprachigen Südkärnten auf, besuchte die Volksschule in Ferlach, die Bürgerschule und die Lehrerbildungsanstalt in der Landeshauptstadt Klagenfurt. Nach der Matura unterrichtete er in Obervellach (22. Juli – 20. November 1909) – dort fand er beim Bau der Tauerneisenbahn Anregung für seinen ersten Roman „Tagebuch des Lehrers Peter Blum“. In St. Johann am Brückl (20. November 1909 – 1. November 1912) lernte er als Junglehrer die Arbeiterkinder der dortigen Ketten- und Chlorkalkfabrik kennen. In Viktring (1. Jänner 1912 – 15. September 1919) begegnete er im Umfeld des Zisterzienserstiftes und der damals wichtigen Lodenfabrik der Familie Moro Sophie von Moro, „der seltenen begnadeten Frau“, die dem jungen Lehrer Perkonig eine Reise nach Venedig, Florenz und in die Toskana ermöglichte.

Am 30. Dezember 1918 heiratete Josef Friedrich Perkonig Anny Sanitzer, die Tochter eines Klagenfurter Kaufmannes. Das Haus Paradeisergasse Nummer 3 in Klagenfurt wurde sein dauernder Wohnsitz.

In den Jahren 1919–20 nahm er als Journalist, Chronist und Dramatiker am Kärntner Abwehrkampf und an der Volksabstimmung teil, literarisch verarbeitet im Prosaepos „Patrioten“ und in „Heimat in Not“.

Von 1922 bis 1951 unterrichtete er als Professor an der Lehrerbildungsanstalt in Klagenfurt. Freundschaften verbanden ihn mit dem Kärntner Mundartdichter Hugo Moro (1865–1954), mit den Lyrikern Johannes Lindner (1896–1985) und Emil Lorenz (1889–1962), dem Schriftsteller und Politiker Guido Zernatto (1903–1943), Alexander Lernet-Holenia (1897–1976) und Josef Weinheber (1892–1945). Briefwechsel wurden geführt mit den Schriftstellern Anton Wildgans, Max Mell, Franz Karl Ginzkey, Paul Anton Keller, Peter Rosegger, Hermann Bahr u.a. In dieser Zeit entstanden seine zahlreichen Romane, Novellen und Erzählungen. Er war in erster Linie ein Heimatdichter, nahm seine Stoffe vorzugsweise aus Kärnten, benützte im Dialog auch die Mundart, lobte das einfache Leben und schilderte die Atmosphäre der Kärntner Landschaft. Perkonigs Gestalten stammen aus der bäuerlichen Welt, z.B. der Roman „Bergsegen“ oder „Der Schinderhannes zieht übers Gebirg“. Skurrile Außenseiter der Gesellschaft, Landstreicher, Scherenschleifer, Heimatlose und Besitzlose spielen eine wichtige Rolle z.B. „Gregor Rausch“ oder „Nikolaus Tschinderle, Räuberhauptmann“.

Eines der fesselndsten und heute noch aktuellsten Bücher Perkonigs ist der Roman „Mensch wie du und ich“, er erzählt realistisch in Sprache und Darstellung die Schicksale nach Kärnten verschlagener russischer Kriegsgefangener im ersten Weltkrieg. 1935 erhielt der Autor dafür den Großen Österreichischen Staatspreis, 1942 wurde dieser Roman verboten. Perkonig befaßte sich auffallend oft mit dem Motiv der Gefangenschaft.

Zwischen 1925 und 1942 reiste der Schriftsteller nach Jugoslawien, Opatija (Abbazia) und Dubrovnik (Ragusa). Die Insel Lopud wird zum Schauplatz des Romans „Lopud, Insel der Helden“.

Zitat: „Ich bin in erster Linie ein Dichter und dann erst ein Mensch des öffentlichen Lebens“. Als Obmann des Kärntner Heimatbundes förderte Josef Friedrich Perkonig das Lied, das Brauchtum, die Mundart und den volkstümlichen Tanz.

Er wirkte als volkspolitischer Referent in der Kärntner Landesleitung der Vaterländischen Front. Seine politische Entwicklung läßt sich an seiner Einstellung zu den Kärntner Slowenen ablesen: Seinem Vater war in der kritischen Zeit, 1919–20, während des Kärntner Abwehrkampfes, übel mitgespielt worden. Von diesem Feindbild führte Perkonigs Entwicklung zur Erkenntnis, daß der durch die Grenzlage Kärntens gegebene Kontakt mit einem Nachbarvolk eine außerordentliche Bereicherung sein kann. Auf seinen Jugoslawien-Reisen entdeckte er Verwandtes, den vertrauten Sprachklang. Im Zweiten Weltkrieg setze er sich für die von der Aussiedlung betroffenen Kärntner Slowenen ein, bekannte sich manchmal demonstrativ zum eigenen slowenischen Erbe – dies führte zu seiner später viel gerühmten Toleranz. In seinen Kindheitserinnerungen „Im Morgenlicht“ findet man den viel zitierten Essay „Der Kärntner Slowene“.

Josef Friedrich Perkonig bemühte sich unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg um die Übersetzung slowenischer Literatur: Ivan Cankar, Ivan Tavcar, Fran Milcinski. Wegen seiner Übersetzertätigkeit und seinen kulturpolitischen Bemühungen wurde der Schriftsteller und Pädagoge offiziell nach Ljubljana (Laibach) eingeladen, er knüpfte persönliche Kontakte zu slowenischen Dichtern – dies führte zur Übersetzung seines Romans „Honigraub“ durch Drago Druskovic, 1960.

In den letzten Lebensjahren trug Perkonig im deutschen und österreichischen Rundfunk aus seinen Werken vor: Märchen, Novellen und Essays. Seine lebendige Art zu sprechen und zu erzählen wird heute noch von seinen Freunden, Schülern und Schülerinnen hervorgehoben. Der Sender Klagenfurt brachte alle Hörspiele, viele Erzählungen und heimatkundliche Sendungen.

Früh erkannte der Schriftsteller die Magie des Films. So verfaßte er die Drehbücher für „Krambambuli“, Uraufführung 10. Mai 1940 in Wien, und „Im Schatten des Berges“, Hauptrolle Attila Hörbiger. 1950 entstand der historische Heimatfilm „Erzherzog Johanns große Liebe“, 1951 arbeitete er gemeinsam mit dem Regisseur Luis Trenker in Bozen. Es entstanden die Kulturfilme: „Die Männer von Kaprun“, „Das Haus der heiligen Hemma“ (Der Dom zu Gurk), „Die Abtei im Paradies“ (Stift St. Paul im Lavanttal), „Die Büchsenmacher von Ferlach“, „Die Stadt Noreja wird gesucht“. Die letztgenannten Filme befinden sich im Besitz der Josef Friedrich Perkonig-Gesellschaft im Kärntner Landesarchiv.

Josef Friedrich Perkonig verstarb am 8. Februar 1959 in Klagenfurt. Für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts – vor der Ära Ingeborg Bachmann, Peter Handke, Peter Turrini und Josef Winkler – bleibt er die zentrale Persönlichkeit des Bundeslandes Kärnten. Mit genauem Blick stellt er die beharrenden Kräfte im Dreieck von deutscher, slawischer und romanischer Welt dar. Der Kärntner Autor muß als Produkt seiner Zeit und seiner Generation gesehen werden. Das vorliegende Buch trägt dazu bei, diesen Schriftsteller wieder kennen zu lernen und lesen zu können.

Auszeichnungen und Preise


1935: Großer Österreichischer Staatspreis
1950: Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Ferlach und der Landeshauptstadt Klagenfurt

Werk:


1965–68: Gesamtausgabe in acht Bänden, Hrsg Josef Friedrich Perkonig-Gesellschaft, Verlag Johannes Heyn, Klagenfurt
1914: Das Tagebuch des Lehrers Peter Blum
1923: Siebenruh
1928: Die stillen Königreiche. Roman
1920: Trio in Toskana. Roman
1921: Heimat in Not. Bericht
1923: Heimsuchung. Tragödie in Kärnten. Zweiakter Liebe, Leid und Tod. Novellen
1924–25: Landschaft um den Wörthersee. Essays
1925: Das Volk steht auf. Wie Kärnten um seine Freiheit rang. Bericht
1926: Dorf am Acker. Novellen
1928: Ingrid Pan. NovelleBergsegen. Roman
1932: Mensch wie du und ich. Roman
1934: Lopud, Insel der Helden. RomanDer Schinderhannes zieht übers Gebirg. Novelle
1935: Honigraub oder Der Hügel St. Joseph.Roman – slowenische Übersetzung „Ugrabljena strd“ 1960 durch Drago DruškovičGuslaspieler. ErzählungGlück im Hause Beauregard. ErzählungDas Zauberbründl. SagensammlungKärnten, Deutscher Süden. Essays
1936: Deutsche OstmarkNikolaus Tschinderle, Räuberhauptmann, Übersetzungen ins Tschechische und Schwedische
1937: Mein Herz ist im Hochland. Landschaftsbuch
1940: Die Fischer. Novellen
1942: Ländliches Leben. Anhandlung
1947: Fröhlicher Sommer. RomanfragmentKärnten, sonniges Bergland. Essays
1948: Im Morgenlicht. Lebenserinnerungen
1949: Erweckung des Don Juan. Roman
1950: Patrioten. Roman
1951: Maturanten. Roman
1952: Ev und Christopher. Roman
1953: Vom Glück des ländlichen Lebens. Erzählungen
1960: Ein Laib Brot, ein Krug Milch. Ländliche Novellen.

Zur Auswahl des vorliegenden Bandes

In der Titelnovelle „Ein Laib Brot, ein Krug Milch“ leben uralter Sonnenkult und heilige Verbundenheit von Mensch und Natur. Im ersten Abschnitt der „Ländlichen Novellen“ wird das Dorf zum Spiegel der Welt: Der Autor zeichnet in realistischer Darstellung das Bauernleben in unverfälschter Echtheit: Tod, Geburt und Hochzeit sind wichtige Metaphern, ebenso Arbeit und Feste. Betrachtungen über den Glauben und Aberglauben, das Mythisch-Bäuerliche, Christlich Heidnische spielen eine wichtige Rolle: ein geschlossenes Bild des bäuerlichen Lebens, das zum größten Teil der Vergangenheit angehört.

Im zweiten Abschnitt „Rosental – Ferlach – Südkärntner Leben“ ist die nationale Zweiheit, der deutsch slawische Dualismus wichtig. Der Autor stellt sich und sein Werk in den Abhandlungen „Mich selbst im Spiegel gesehen“ und „Heimat und Heimatkunst“ vor. Das ehemalige Leben der Klein- und Industriestadt Ferlach im Rosental wird lebendig. Gekürzt wiedergegeben sind die Essays „Der Kärntner Slowene“ und „Mit zwei Zungen“. Josef Friedrich Perkonig als Lyriker wird abschließend in drei Gedichten vorgestellt.

Dr. Helgard Kraigher

Vorsitzende der Josef Friedrich

Perkonig-Gesellschaft

ERZÄHLUNGEN

Ein Laib Brot, ein Krug Milch

Am zwölften März um die Mittagszeit springt die Sonne aus dem Berg, gerade nur für ein paar Augenblicke, daß man sie wieder sehen kann; ausgelöscht ist sie also in vier Monaten hinter dem Gebirge nicht, sie macht ein paar winzige Schritte in den freien Himmel hinein, daß man sie leuchten und glänzen sieht und daß die steinalte Sonnenuhr auf der Hauswand in der Rauth schnell die Mittagstunde schlagen kann, dann ist sie auch schon wieder dahin, in den anderen grauen Kalkberg hinein. Der Stundenschlag der Sonnenuhr geht über steiniges Feld und dürre Wiese hin, bis hinauf in den steilen Wald des Ainetter, aber auch nicht ein Haar über seine Marchen hinaus, und genau so weit hören sie auch, wie das goldene Sonnenlicht rauscht, da es zwischen zwei Felszinken für ein paar Augenblicke seine Macht wieder errungen hat.

An den ersten Sonnensprung am zwölften März denken die Ainetterischen seit anno Schnee einen Winter lang immer wieder; wird die Sonne ein roter Kürbis sein und ein gutes Jahr verheißen, oder ein blasser Eidotter und einen dürftigen Sommer anzeigen, oder wird sie sich gar hinter Gewölk verstecken und die Leute in der Rauth um ihre Feier bringen?


In der Rauchküche. Vater, Tochter und zwei Söhne saßen auf dem Herd, von der Flamme angeglüht, und die Bäurin kochte das Abendmahl. Die fünf müden Menschen schwiegen, aber es redete für sie alle der Herd; er war so alt wie das lärchene Haus, und um sein Feuer waren alle Geschlechter gesessen, die darin wohnten, und jedes hatte denselben ehrwürdigen Namen; der währte an diesem Herde nun schon beinahe vierhundert Jahre lang.

(Mein Herz ist im Hochland)


Alle Jahre am zwölften März geschieht das nämliche: die Ainetterleute stehen, angetan wie am Sonntag, um den Tisch herum und warten andächtig, bis die Sonne aus dem Berge kommt, dann wird sie dort durch das kleine tiefe Fenster scheinen, der Glanz wird sich auf die wurmstichige Tischplatte legen, gerade nur auf sie und sonst nirgendshin in der Stube, es ist ein dickes Sonnenlicht, so dick, daß es das Fenster genau ausfüllt. Es stürzt sich herrisch auf den Tisch, die Sonne ist hinter den Bergen hungrig geworden, kein Wunder, wenn sie beinahe vier Monate lang hat fasten müssen, aber der Tisch ist gedeckt, wie zu Zeiten des ersten Ainetter, der schon die Sonne gefüttert hat.

Ein Laib Brot, ein Krug Milch, es ist immer dieselbe Zehrung, die man ihr hinstellt auf den Tisch, davon sie essen und trinken wird bei ihrer kurzen Einkehr; es ist noch immer der grünliche, bauchige Tonkrug des ersten Ainetter, der die Sonnenuhr an die Hauswand sinniert hat, nicht einmal der Henkel ist abgebrochen.

Der jetzige Ainetter ist erst zu Lichtmeß aus dem Kriege heimgekehrt und hat ein hölzernes Bein und ein steinernes Herz mitgebracht.

„Wir haben in dem Jahr zu wenig Brot“, sagte er in den ersten Märztagen, „und es sind nicht die Zeiten für verschimmelte Bräuche.“

Die Ainetterin blickt ihn mit großen Augen stumm an, als so die kranke Welt aus ihm redet.

Es ist wahr, die letzte Gerste wird bald vermahlen sein, und sie essen wochenweise Erdäpfel statt Brot; die Sonne im vorigen Jahr war nicht umsonst wie eine weiße Topfenkugel. Am zwölften März aber bringt die Bäuerin den Brotlaib, sie drückt ihn an den Bauch und wischt mit der Blaudruckschürze die graue, schwarz durchsprengelte Asche von ihm ab; dann legt sie ihn auf den Tisch.

„Es ist an dem Brot genug“, meint der Ainetter finster, denn die eine Kuh ist im Herbst am Milchfieber eingegangen, er hat sie nicht mehr angetroffen; die andere hat sich an der früh aperen Wiese eine Kolik an den Leib gefressen, und er mußte sie selber schlagen; und die dritte hat noch das Kalb. Es ist also keine Milch beim Haus, und hie und da muß man sie vom Bödner in der Äußeren Rauth ausleihen. Wenn der Krug nur nicht so groß wäre!

Die Ainetterin geht aus der Stube und kommt mit dem vollen Krug, sie wischt mit der Schürze den Rand ab, daß jemand rein zu trinken hat, und stellt ihn neben den Brotlaib hin. Und jetzt kann die Sonne kommen, sie findet Speise und Trank vor.

Die Ainetterin schaut hinauf zu dem Berg, schon hat er auf der einen Seite, wo die Sonne aus ihm springen wird, einen silbernen Rand, sie weiß es von anderen Jahren her, daß es nun nicht mehr lange währen wird; gleich darauf ist der Rand dunkler und wird bald wie Kupfer sein.

Jetzt ist es nahe an dem heiligen Augenblick, und man darf die Sonne nicht versäumen, es wäre ein nie begangener Frevel, auf den göttlichen Gast nicht zu achten, der sich schon angekündigt hat und gleich durch das Fenster eintreten wird.

Und nun gilt es, die ganze Familie beisammen zu haben, sonntäglich gewandet sind die drei Knaben schon seit dem frühen Vormittag, aber noch schwärmen sie draußen herum. Der Großvater, ja, der ist in der Stube, er sitzt steif und still auf der Ofenbank seit dem Morgengrauen, es leidet ihn die halben Nächte nicht im Bett, und er zieht mühsam die Luft ein, gegen Mittag nimmt das Asthma zu, wie alles mit dem Tage aufsteigt, das Wasser im Leib, der Brand in der Wunde; er ist blau im Gesicht und netzt die Lippen mit der Zunge. Die Ainetterin weiß, er möchte einen Schluck Milch.

Zwei Buben hat sie schnell herinnen. Stephan, der Älteste, tritt hin zum Tisch und verlangt von dem seltenen Brot, gerade die vergangene Woche haben sie es alle wieder nicht gehabt. Da besinnt er sich, für wen der Brotlaib gerichtet ist, erschrickt ein wenig und berührt ihn nur mit dem Zeigefinger behutsam; den Finger aber leckt er ab.

„Die verdammte Sonne“, neidet er; für einen vierzehnjährigen Knaben ist es schon ein furchtbarer Fluch.

Der Ainetterin stockt der zornige Verweis im Munde, denn der Mann ist eingetreten, und sie möchte ihn nicht zum Helfer für Stephan machen. Er hat kein Sonntagsgewand an, das Holzbein ist hoch hinauf schmutzig vom Stallmist, als hätte er mit ihm absichtlich darin herumgerührt, aber er ist noch zur rechten Zeit gekommen. Wohl tut er, als suche er etwas in der Stube, aber sie weiß, daß er nichts finden will.

Gleich hinter ihm schreitet Franz, der Mittlere, durch den Hausflur herein. Was für eine Trompete so eine fünfjährige Stimme schon sein kann! Er stößt die Tür mit dem Fuß auf und reckt eine blutige Hand vor sich her. Rührt das von einem Messer, einer Glasscherbe, einem Draht, die Mutter kann es jetzt nicht erfragen, sie kann auch nicht die Leinwand aus der Truhe droben holen und einen Fleck davon abschneiden, die Hand soll bluten, die Hand muß bluten, jetzt, da die Sonne in jedem Augenblick aus dem Berge springen kann.

Florian, der Jüngste, mag schon mit drei Jahren kein Blut sehen; es würgt ihn zuerst ein paarmal, dann tritt er von einem Fuß auf den anderen und fängt an zu weinen. Die Ainetterin weiß, was es zu bedeuten hat, aber sie kann den zappelnden Florian jetzt nicht zum hohen Schierling hinausführen, wo er eigensinnig immer zu hocken wünscht, und sie läßt das kleine große Unglück geschehen.

Haben sich vier Mannsleute, zwei laute und zwei stille, gegen sie verschworen, die von dem Hausgeist in ihrer Treue bestärkt worden ist, warum sollte es nicht auch das fünfte Mannsbild tun? Sie wirft einen Blick auf den Großvater, er ist violett im Gesicht, zwischen den Lippen stehen ein paar kleine Blasen, er reckt den Kopf hoch aus dem Hals; und wenn er jetzt in den letzten Zügen läge, sie könnte nichts anderes tun, als ihm zu heißen, mit dem Sterben zu warten.

Zuerst muß die Sonne zu Besuch gewesen sein … jetzt … jetzt blitzt ein Strahl über den Tisch … und noch einer … noch einer … wie drei lange, leuchtende Messerklingen, sie schneiden den Brotlaib an, sie tauchen in die Milch. Und dann fällt die ganze Sonne über die Gaben her; oh, hat die hungrige Sonne eine Gier, sie hat nur ein paar Augenblicke Zeit, sich zu sättigen, es ist ein wildes Gerausch von dem Licht in der Stube, sie hören es alle, bis zu dem Büblein mit der Rotzglocke unter der Nase hinab, und einen Sonnensprung lang setzt ihr Leben aus.

Auf einmal ist es kirchenstill in der Stube, ein dünner Strahl greift noch an den Tischrand, es ist ein blinder Strahl, er findet nicht mehr zu Brotlaib und Milchkrug hin. Der andere Bergrand oben ist noch Kupfer, bald wird er Silber sein und zuletzt nur noch ein eisgrauer Fels.

Und nun wird Blut wieder Blut und Ungemach wieder Ungemach, ein finsterer Mann geht aus der Stube, als müßte er anderswo im Haus suchen, was ihm hier nicht unter die Augen gekommen ist. Der Großvater sinkt in sich zusammen, die Brust hat wieder Luft, und Stephan möchte von dem Brotlaib mit den Fingern ein Stück schwarzbraune Rinde abbrechen.

„Es ist steinhart“, sagt die Ainetterin ruhig, als höre sie das Zetern und Winseln der jüngeren Knaben nicht, „seit Heiligen-dreikönig aufgespart.“

Sie trägt den Brotlaib wie eine riesige dunkle Hostie vor sich zum Herd und legt ihn in das Feuer; er beginnt bläulich zu brennen und bald schlagen an manchen Stellen winzige gelbe Flämmchen aus ihm.

„Wir müssen es der Sonne nachschicken“, sagt sie geheimnisvoll, und alle drei Knaben schweigen plötzlich am Herde, bis der Brotlaib dunkelrot glüht wie ein Holzscheit.

Aber sie fangen wieder an zu jammern, zu schreien, zu winseln, als die Ainetterin den Krug holt. Sie sieht wohl, wie sich der alte Ainetter die blauen Lippen leckt und der Milch nachstarrt.

„Die Sonne ist durstig“, sagt sie draußen im Flur zu den drei wieder verstummenden Knaben, die sie begleiten, „wir dürfen sie nicht verkürzen.“

Und sie vergessen Hunger, Schmerz und Unbehagen, während die Mutter die Milch dahin gießt, wo sie am Zaun in sieben Wochen die Sonnenblumen pflanzen wird. Der Ainetter schaut ihr vom Stall aus zu und wendet sich finster ab.

Die Ainetterin lächelt ein wenig, soweit ihr ernstes Gesicht überhaupt lächeln kann. Fünf merkwürdige Mächte haben ihr in diesem Jahr etwas verwehren wollen, was nicht aufhören darf. Und die Sonne hat doch ihren Laib Brot, hat doch ihren Krug Milch!

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