Der Ring

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Jörg Reinhardt

Der Ring

Szene einer Ehe

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Der Ring (Szene einer Ehe)

Impressum neobooks

Der Ring (Szene einer Ehe)

„Mein Name ist Julia Becker, ich bin 38 und mit Manfred Becker, Filialleiter einer namhaften deutschen Bank, seit acht Jahren verheiratet. Unsere Ehe ist kinderlos, wir wohnen in einem Einfamilienhaus im Berliner Stadtteil Hermsdorf, haben ein kleines Ferienappartement an der Ostsee und sind bis auf einen kleinen Kredit finanziell unabhängig. In meiner reichlich bemessenen Freizeit betreue ich ehrenamtlich eine Seniorengruppe, einen Lesekreis für gelangweilte Frauen und engagiere mich halbherzig in einer Umweltorganisation. Zweimal die Woche schwimme ich tausend Meter, lese viel und kümmere mich um den Garten.“

Es passierte öfter in den letzten Monaten, dass sie sich morgens vor den Spiegel stellte und ihre Bestandsaufnahme wie eine Nachrichtensprecherin in den ausgeleuchteten Rahmen moderierte. Wie an diesem Samstag im April, der gebündelte Sonnenstrahlen als erste aufmunternde Frühlingsboten durch das Badezimmerfenster schickte. Bevor sie unter die Dusche ging, um sich exakt drei Minuten unter einem Luxusduschkopf abwechselnd von kaltem und heißem Wasser in Form bringen zu lassen, blieb sie dieses Mal nach ihrer Ansprache vor dem Spiegel stehen, um ihrem Abbild in die graugrünen Augen zu schauen.

Durchschnittsaugen. Ein Mann musste bei ihr auf tiefgründig blaue oder samtweiche braunen Rehaugen verzichten. Ihre hatten Straßenköterflair. Von den Fältchen an den Augenrändern wünschte sie sich, dass häufiges Lachen die Ursache wäre. Doch leider war das nicht so.

Sie wandte sich vom Spiegel ab. Keinesfalls wollte sie die Inspektion ausdehnen. Nicht an diesem Morgen, an dem sie schon beim Aufstehen das Gefühl hatte, dass es nicht ihr Tag werden würde. Da war es klüger, kritischen Checkpoints aus dem Weg zu gehen.

Während sie ihre Haarspülung suchte, hörte sie aus der Küche Geschirrklappern. Manfreds samstäglicher Frühstücksdienst begann mit einer Verteilungsorgie unnötiger Utensilien auf dem Tisch, die für ihn ein entspanntes Wochenende einleiten sollte. Gleich würde ein Fiddle-Intro durch das Haus klingen, die Live-Version von „Roll Alabama Roll“ und eine Minute später würde sein wackeliger Bass die glasklare Stimme Jon Bodens zum Background degradieren.

Sie drehte den kalten Wasserhahn voll auf, bevor es so weit war, doch schon beim ersten Wechsel auf „Heiß“ hörte sie das falsche Gebrumme seiner Bassstimme, die das Lied zur Farce werden ließ.

Sie seufzte. Das Wasser prasselte auf ihren Körper und sie spürte das Blut schnell durch ihre Adern fließen. Pünktlich mit dem Schlussakkord drehte sie das Wasser ab und schlüpfte in ihren Frotteemantel. Das weiche Material saugte die Feuchtigkeit auf. Ein Mann, der sie zärtlich abgetrocknet hätte, wäre ihr lieber gewesen. Sie schaute in die Duschkabine und überlegte, wann sie das letzte Mal mit einem Mann unter der Dusche gestanden hatte. Wieso eigentlich mit irgendeinem Mann? Warum nicht mit Manfred? Hatte sie mit ihm überhaupt schon mal zusammen geduscht? Sicher, aber wann?

Wie eine unzufriedene, verbitterte Ehefrau, dachte sie, ein Luxusweibchen, das sich in seinem goldenen Käfig zu Tode langweilte. Sahnetörtchen wären wohl die nächste Station.

„Was ist?“, fragte sie laut in den Raum, griff sich ein Handtuch, um die Haare abzureiben, stellte dabei fest, dass sie sie gar nicht gewaschen hatte. „Meine Güte, jetzt ist aber gut, pass' bloß auf!“, zischte sie leise und kämmte sich flüchtig die nassen Strähnen.

„Guten Morgen, gut geschlafen?“ Wie immer war Manfred mindestens zwei Stunden vor ihr auf den Beinen. Er stand in Wochenenduniform, Jeans und T-Shirt, am Herd und ließ zwei Eier zu Wasser. Der Tisch war vollgestellt. Alles was man vom Kühlschrank transferieren konnte, war auf Tellern über den Tisch verteilt. Messer, Gabeln, Servietten, der Brotkorb mit einem Gebirge aus Backwaren, die er auf dem Rückweg von seiner morgendlichen Joggingfron mitgebracht hatte.

„Geht so“, sagte sie und goss sich aus der Riesenkanne die erste Tasse Kaffee ein. Ihr Blick streifte kurz die Zigarettenschachtel auf der Anrichte, doch sie unterdrückte das Bedürfnis nach der ersten Zigarette vor dem Frühstück. Der gemeinsame Tag sollte nicht mit einem Misston beginnen.

Manfred drehte sich um und quittierte ihre Antwort mit einem kurzen „Aha“ und setzte sich. Seine gesunde Frische hatte etwas Anzügliches, sie konnte nicht verstehen, warum man an einem Samstag nicht ein wenig länger im Bett bleiben und sich der Stimmung eines arbeitsfreien Tages hingeben konnte. Es musste ja nicht gleich prickelnder Morgensex sein, ein paar Kuscheleinheiten mit harmlosem Gebalge würden reichen. Aber nach acht Jahren war die Gewohnheit eine zuverlässige Größe geworden.

Sie schlürfte den heißen Kaffee und bevor das Verlangen nach einer Zigarette in Gier umschlug, griff sie wahllos in den Brotkorb nach einem Brötchen. Manfred schaute auf seine Armbanduhr, stand auf und ging zum Herd. Mit einem Esslöffel entnahm er dem brodelnden Wassertopf die Eier, schreckte sie unter kaltem Wasser ab, stellte sie in die Eierbecher und servierte sie mit übertriebener Oberkellnermiene. „Drei Minuten auf die Sekunde, bitte sehr, Madame.“

Julia ließ das Messer durch das Brötchen gleiten und prüfte, ob die Hälften ohne Hindernisse einen gleichmäßigen Honigaufstrich ermöglichen würden. Sie hasste Manfreds Angewohnheit, seine Brötchen auf Holzfällerart zu bearbeiten. Wenn er seine Hälften mit Butter aus dem Kühlschrank belegte, dann wurde aus einer Ebene unübersichtliches Gelände mit Geröllhalden aus Krümeln, die über den Tisch flogen. Dafür war er schnell beim Essen. Während sie noch an den Rändern des Brötchens den überlaufenden Honig abstrich, damit nichts auf die Tischdecke lief, hatte er bereits seine erste Hälfte verschlungen. So wie jetzt. Mit einer Serviette wischte er sich die Marmeladenspuren vom Mund.

„Gut gelaufen?“, fragte sie und spürte die erste Welle der Langeweile auf sich zurollen. Er schüttelte den Kopf, was „ja“ und „nein“ bedeuten konnte.

„Die bauen hinten am Rondell die Zufahrt zum Ring zu. Ich glaube es nicht, dann müssen wir wieder außen herumfahren und am Bahnhof im Stau stehen.“

„Aha“, sagte sie und biss vorsichtig in die untere Hälfte ihres Brötchens.

„Die machen Dinge, die sie selbst nicht verstehen.“ Er fuchtelte mit dem Messer über den Marmeladengläsern herum und versenkte es dann in den Kirschgelee. Ein zitternder Berg schaffte es ganz knapp auf seine zweite Brötchenhälfte, die aber so überladen war, dass eine gehörige Portion Gelee auf den Teller rutschte. „Scheiße“, fluchte er leise und versuchte die glitschende Substanz zurück auf das Brötchen zu streichen, doch sie rutschte auf der anderen Seite wieder herunter. Mittlerweile sah der Teller aus, als hätte man darauf ein Kleintier geschlachtet. Er legte das Messer beiseite, hielt den Kopf über den Teller und biss in das Brötchen. Dabei verschob sich ein noch größerer Teil des Gelees und platschte auf den Teller zurück.

Julia kannte den Ablauf dieser Nahrungsaufnahme, der sich jede Woche wiederholte. Gelee war natürlich noch unappetitlicher als Marmelade, weil es nun auch noch die Tischdecke verzierte. Die Prozedur war immer dieselbe und es erinnerte sie an kleine Kinder, die aus Frühstückstischen Kriegsschauplätze machen konnten. Doch Manfred war Direktor einer Bank und sie fragte sich, wie er sich auf Geschäftsreisen in First-Class-Hotels beim Frühstück verhielt.

Wenn er wenigstens wie andere Männer dabei die Zeitung lesen und das Gemetzel teilweise verstecken würde. Aber so war er nicht. Er las keine Zeitung beim Frühstück. Ein Wirtschaftsmensch, der nichts von den ersten Börsennotierungen des Tages wissen wollte. Keiner ihrer Bekannten glaubte ihr das. Wenn sie dann noch erwähnte, dass kein Handy auf dem Tisch lag und auch der Fernseher im Hintergrund stumm blieb, schüttelten alle ungläubig die Köpfe. Allerdings glaubte ihr auch niemand, wie oft sie beim Frühstück schon „Liilybaleero“ gehört hatte.

Mit dem Rest seines Brötchens wischte er nun am Tellerrand entlang, um den dort verteilten Gelee zusammenzukehren und mit dem letzten Stück im weit geöffneten Mund verschwinden zu lassen. Für Julia war das alles ein Rückfall in steinzeitliche Essmanieren und sie wusste genau, dass der Höhepunkt noch bevorstand. Das Ei, das mit einem Messer geköpft wurde.

„Ich muss nach dem Frühstück noch zwei Telefonate führen“, teilte er ihr mit halbvollem Mund mit und schob sich ein paar Krümel, die ihm unter der Lippe hingen, in den Mund zurück, „aber danach können wir uns in das Wochenende stürzen.“ Was auch immer das bedeuten mag, dachte sie. Anfangen tat das Wochenende damit, dass sie das Chaos auf dem Tisch zu beseitigen hatte, während der Herr Direktor auch am freien Tag die Brötchen verdienen musste, die er gerade in sich hineinstopfte.

„Was meinst du?“, fragte er, während er die erste geleeverschmierte Serviette des Morgens zerknüllte. „Sollen wir in die Stadt oder willst du was im Garten machen?“ Er schaute kurz aus dem Fenster und fügte hinzu: „Gutes Wetter wäre ja.“

Ihr blieb fast der Bissen im Hals stecken. Natürlich hatte er nicht bemerkt, dass sie im Laufe der Woche die gesamte Frühjahrspflanzung erledigt, den Rasen vertikutiert und die Sträucher beschnitten hatte. Er kam abends nach Hause, fuhr seine dämliche Karre in die Garage und betrat das Haus durch die Verbindungstür zum Flur. Die ganze Woche über dachte er wahrscheinlich nicht ein einziges Mal daran, dass es hinter den Hauswänden Freiflächen gab, die zu ihrem Grundstück gehörten. Und jetzt am Samstag fragte er sie, ob sie etwas im Garten machen wolle. Unglaublich.

 
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