Die Bücherschlacht

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Die Bücherschlacht
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Jonathan Swift

Die Bücerschlacht

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Inhaltsverzeichnis

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Die Vorrede des Verfassers.

Ein ausführlicher und wahrhaftiger Bericht usw.

Die Vorrede des Verfassers.

Die Satire ist eine Art Spiegel, in dem die Beschauer allgemein jedermanns Gesicht erkennen, nur ihr eigenes nicht; das ist der Hauptgrund, weshalb sie in der Welt eine so gute Aufnahme findet und weshalb so wenig Leute an ihr Anstoss nehmen. Wenn es aber anders gehn sollte, so ist auch da die Gefahr nicht gross, und die lange Erfahrung hat mich gelehrt, niemals von einem Verstand Unheil zu befürchten, den ich habe reizen können; denn wenn Zorn und Wut auch die Kraft der Sehnen des Körpers steigern, so zeigt sich doch, dass sie die der Sehnen des Geistes schwächen und all seine Anstrengungen matt und ohnmächtig machen.

Es gibt ein Gehirn, das nur ein einziges Abschäumen gestattet; der Besitzer möge das Ergebnis sorgfältig sammeln und seinen kleinen Vorrat sparsam verwalten; vor allen Dingen aber möge er sich hüten, ihn unter die Peitsche Überlegner zu bringen, denn dann wird das Ganze in Unverschämtheit aufschäumen, und er wird keinen neuen Vorrat finden. Witz ohne Wissen ist eine Art Rahm, der über Nacht nach oben steigt und sich von geschickter Hand gar schnell zu Schaum schlagen lässt; ist er aber einmal abgeschäumt, so wird, was darunter zu Tage tritt, für nichts mehr taugen, als dass man es den Schweinen vorwirft.

Ein ausführlicher und wahrhaftiger Bericht usw.

Wer mit der nötigen Umsicht die ›jährlichen Zeitberichte‹ durchsieht, wird angemerkt finden, dass der Krieg das Kind des Stolzes, der Stolz aber der Sohn des Reichtums sei. Die erste Behauptung wird man ohne weiteres anerkennen, aber die zweite kann man nicht so leicht unterschreiben, denn der Stolz ist durch seinen Vater oder seine Mutter und bisweilen durch beide eng mit dem Bettelstab und dem Mangel verwandt; und um ohne Umschreibung zu reden, so zeigt er sich selten unter den Menschen, wenn alle genug haben, denn Angriffe wandern in der Regel von Norden nach Süden, das heisst, von der Armut zur Fülle. Die ältesten und natürlichsten Anlässe aller Streitigkeiten sind Wollust und Habgier; und obgleich wir beide als Schwestern oder als Seiten verwandte des Stolzes anerkennen können, so sind sie sicherlich doch Nachkommen des Mangels. Um in der Sprache politischer Schriftsteller zu reden, so können wir in der Republik der Hunde (als welche ihrem Ursprung nach eine Einrichtung der Masse zu sein scheint) beobachten, dass der ganze Staat nach einer reichlichen Mahlzeit stets im tiefsten Frieden lebt, und dass sich Bürgerkriege zwischen ihnen nur dann erheben, wenn ein einziger, grosser Knochen von irgendeinem führenden Hund aufgeschnappt wird, der ihn entweder unter die wenigen verteilt, was auf eine Oligarchie hinausläuft, oder für sich behält, was sich zur Tyrannei versteigt. Derselbe Gedankengang bleibt unter ihnen auch bei jenen Streitigkeiten stichhaltig, die wir erleben, wenn eins ihrer Weibchen anschwillt. Denn da das Besitzrecht allgemein ist (in so heiklen Fragen ist es unmöglich, Eigentumsrechte festzustellen), so ist die Eifersucht und der Argwohn so allgemein verbreitet, dass der ganze Staat einer Strasse klärlich in Kriegszustand gerät: Jeder Bürger kämpft wider jeden Bürger, bis irgendeiner, der mehr Mut, mehr Sicherheit oder mehr Glück hat als die andern, die Beute packt und geniesst, worauf sich natürlich viel Ingrimm, Neid und Knurren wider den glücklichen Hund erhebt. Und wenn wir dann einen jener Staaten betrachten, die in der Fremde in einen Angriffs- oder Verteidigungskrieg verwickelt sind, so werden wir sehn, dass auch in bezug auf die Grunde und Anlässe dieselben Gedanken ihre Gültigkeit behalten, und dass die Armut oder der Mangel in irgendeinem Grade (und es macht dabei keinen Unterschied, ob sie wirklich sind oder eingebildet) auf der Seite des Angreifers ebenso stark beteiligt ist wie der Stolz.

Wer nun geruht, dieses System zu nehmen und es entweder auf einen intellektuellen Staat oder auf die Gelehrtenrepublik anzuwenden oder anzupassen, der wird bald erkennen, welches der erste Anlass des Streites zwischen den beiden grossen Parteien war, die jetzt unter Waffen stehn; und er kann richtige Schlüsse auf die Verdienste der beiden Sachen ziehn. Aber der Ausgang dieses Krieges lässt sich nicht so leicht erraten; denn der Zank ist durch die heissen Köpfe beider Parteien so hitzig und die Ansprüche sind irgendwie so ungeheuerlich geworden, dass an die geringsten Vergleichsverhandlungen nicht zu denken ist. Der Streit begann zuerst (wie ich von einem alten Bewohner der Gegend gehört habe) um einen kleinen Fleck Bodens, der auf einem der beiden Gipfel des Hügels Parnassus hegt. Der höhere und breitere dieser beiden Gipfel war, so scheint es, seit unvordenklichen Zeiten im ruhigen Besitz gewisser Pächter gewesen, die man die Alten nennt; den andern hielten die Modernen besetzt. Da aber diesen ihre gegenwärtige Stellung nicht gefiel, so schickten sie gewisse Gesandte zu den Alten und führten über einen grossen Missstand Klage; darüber nämlich, dass die Höhe jenes Gipfels des Parnassus die Aussicht des ihren, zumal nach Osten hin, völlig verdürbe; und um daher einen Krieg zu vermeiden, stellten sie sie vor eine Alternative. Entweder sollten die Alten mit ihrem Gerät auf den niedrigeren Gipfel umziehn, den die Modernen ihnen huldvoll überlassen wollten, um an ihre Stelle hinaufzurücken; oder die Alten sollten den Modernen erlauben, mit Schaufeln und Hacken zu kommen und besagten Gipfel so weit abzutragen, wie es ihnen gut dünken würde. Die Alten erwiderten, sie hätten eine solche Botschaft wenig erwartet, zumal von einer Kolonie, die sie aus freiem Antrieb so dicht in ihrer Nähe aufgenommen hätten. Was ihren eigenen Wohnsitz angehe, so seien sie dort als Ureinwohner ansässig, und demnach sei es eine Sprache, die sie nicht verständen, wenn man ihnen einen Umzug oder eine Preisgabe zumutete. Wenn die Höhe ihres Gipfels die Aussicht der Modernen hemmte, so sei das ein Nachteil, dem sie nicht abhelfen könnten; aber sie möchten doch bedenken, ob dieser Nachteil, wenn es einer sei, nicht reichlich wieder dadurch aufgewogen würde, dass ihr Gipfel ihnen Schatten und Windschutz gewähre. Ein Abtragen oder Abgraben könne nur Wahnsinn oder Unwissenheit vorschlagen, denn sie wüssten oder wüssten es eben nicht, dass jene Seite des Berges aus einem einzigen Felsen bestände, der ihnen, ohne selber Schaden zu nehmen, die Werkzeuge und die Herzen zerbrechen würde. Sie würden also den Modernen eher raten, ihren eigenen Gipfel zu erhöhen, statt daran zu denken, den der Alten einzureissen; jenes würden sie nicht nur erlauben, sondern sie würden sogar in grossem Umfange dabei mithelfen. All das wurde von den Modernen in heller Entrüstung abgewiesen, und sie bestanden immer noch auf einem der beiden Auswege. Und so entwickelte sich diese Streitfrage zu einem langen und hartnäckigen Kriege, der auf der einen Seite durch Entschlossenheit und durch den Mut gewisser Führer und Verbündeter, auf der andern aber durch die ungeheure Überzahl, die bei jeder Niederlage beständigen Nachschub lieferte, ausgehalten wurde. In diesem Streit sind ganze Ströme von Tinte erschöpft worden, und der Ingrimm beider Parteien steigerte sich ungeheuer. Nun muss man hier wohl verstehn, dass die Tinte das grosse Wurfgeschoss in allen Schlachten der Gelehrten ist; es wird mit einer gewissen Kriegsmaschine, die man einen Kiel nennt, geschleudert; von diesen schiessen die Helden der beiden Seiten mit gleicher Geschicklichkeit und Gewalt, als wäre es ein Kampf von Stachelschweinen, unendliche Mengen wider den Feind. Die boshafte Flüssigkeit wurde von dem Ingenieur, der sie erfand, durch Mischung zweier Stoffe, nämlich der Galle und des Vitriols, hergestellt; durch ihre Bitterkeit und ihr Gift passte sie bis zu einem gewissen Grade zum Genius der Kämpfer, den sie zugleich in Aufruhr erhielt. Und wie die Griechen nach einem Kampf, wenn sie sich über den Sieg nicht einigen konnten, auf beiden Seiten Trophäen zu errichten pflegten – die geschlagene Seite nahm die gleichen Kosten auf sich, um sich bei Stimmung zu erhalten (eine löbliche und alte Sitte, die jüngst in der Kriegskunst ihre Auferstehung feierte) –, so hängen auch die Gelehrten nach einem scharfen und blutigen Disput auf beiden Seiten ihre Trophäen auf, welche auch unterlegen sein mag. Diese Trophäen tragen eine ausführliche Inschrift über die Verdienste der Sache, einen vollen unparteiischen Bericht über eine solche Schlacht, und sie erklären, dass der Sieg handgreiflich der Seite zugefallen sei, die diese Trophäe errichtet habe. Sie sind der Welt unter vielerlei Namen bekannt, als da sind: Erörterung, Argumente, Entgegnung, Kurze Erwägung, Antwort, Erwiderung, Anmerkung, Reflektionen, Einwände und Widerlegung. Ein paar Tage lang werden sie entweder selbst oder ihre Vertreter Titelblätter oder Plakate; ›Aushängebogen‹. an allen öffentlichen Orten aufgepflanzt, damit die Vorübergehenden sie anstarren; von dort werden die wichtigsten und grössten in gewisse Magazine gebracht, die man Bibliotheken nennt, und in denen sie in einem ihnen eigens angewiesenen Viertel bleiben, um hinfort den allgemeinen Namen ›Polemika‹ zu führen.

 

In diese Bücher wird der Geist eines jeden Kriegers eingeträufelt, um dort konserviert zu werden, solange er lebt; nach seinem Tode aber wandert seine Seele hinein, um sie zu beleben. Wenigstens ist dies der verbreitetste Glaube; ich aber denke, es geht mit den Bibliotheken wie mit andern Totenackern, wo, wie manche Philosophen versichern, ein gewisser Geist, den sie brutum hominis nennen, über dem Monument schwebt, bis die Leiche verwest ist und sich in Würmer oder Staub verwandelt; dann aber verschwindet er oder löst sich auf. So können wir auch sagen, über jedem Buche schwebe ein rastloser Geist, bis der Staub oder die Würmer es fressen, was manchen nach wenigen Tagen begegnet, andern aber erst später; und da nun vor allen andern die polemischen Bücher von den aufrührerischsten Geistern heimgesucht werden, so hat man sie stets von den andern getrennt untergebracht; und aus Furcht, sie möchten Gewalttaten aneinander begehen, hielten unsre Vorfahren es für geraten, sie mit starken Eisenketten zum Frieden zu zwingen. Zu dieser Erfindung gab den ersten Anlass folgendes Ereignis. Als die Werke des Scotus erschienen, brachte man sie in eine gewisse Bibliothek und wies ihnen eine Wohnung an; kaum aber hatte dieser Autor sich häuslich niedergelassen, so suchte er seinen Meister Aristoteles auf, und beide verabredeten sich, sich mit Gewalt Platos zu bemächtigen und ihn aus seiner alten Stellung unter den Gottesgelehrten, die er achthundert Jahre lang friedlich innegehabt hatte, zu vertreiben. Der Versuch war erfolgreich, und die beiden Usurpatoren haben seither an seiner Stelle geherrscht; um aber in Zukunft die Ruhe aufrechtzuerhalten, wurde bestimmt, dass alle Polemika grössern Formats mit einer Kette zu fesseln seien.

Durch dieses Auskunftsmittel wäre der öffentliche Friede der Bibliotheken sicherlich bewahrt geblieben, wenn nicht in den letzten Jahren eine neue Gattung polemischer Bücher aufgekommen wäre, die infolge des oben erwähnten Krieges zwischen den Gelehrten um den höhern Gipfel des Parnasses von einem boshafteren Geist belebt waren.

Als diese Bücher zuerst in die öffentlichen Bibliotheken aufgenommen wurden, sagte ich, wie ich mich entsinne, gelegentlich zu allerlei daran interessierten Leuten, ich sei sicher, das würde Zank im Gefolge haben, wohin sie auch kämen, wenn man nicht unendlich auf der Hut sei; und deshalb gab ich den Rat, die Vorkämpfer der beiden Seiten aneinander zu fesseln oder sie sonstwie zu mischen, damit ihre Bosheit wie bei der Vermischung entgegengesetzter Gifte, nur unter ihnen selber wirkte. Und es scheint, ich erwies mich da weder als schlechter Prophet noch als übler Ratgeber; denn nur die Missachtung solcher Vorsichtsmassregeln hatte den furchtbaren Kampf zur Folge, der am letzten Freitag zwischen den alten und den modernen Büchern der königlichen Bibliothek ausbrach. Da nun das Gerede über diese Schlacht noch so frisch in jedermanns Munde, und die Ungeduld der Stadt, über die Einzelheiten aufgeklärt zu werden, so gross ist, so habe ich, der ich jede Befähigung besitze, die von einem Historiker verlangt wird und den keine Parteigesichtspunkte zurückhalten, mich entschlossen, dem angelegentlichen Drängen meiner Freunde nachzugeben und einen ausführlichen, unparteiischen Bericht über diese Schlacht zu schreiben.

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