Psychophysiologie (1899)

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Entsprechend den verschiedenen Funktionen, die sie ausführen, hat man die Nervenzellen unterteilt. So gibt es Bewegungsnerven, Hemmungsnerven, Ausscheidungsnerven, ernährende Nervenzellen bzw. Nervenzellen, die einen direkten Einfluss auf die Ernährung ausüben, zentripetale Nervenzellen ohne sensorische Funktionen und sensorische Nervenzellen oder solche, deren Erregung zu bewusster Sinnesempfindung führen kann. Eine bessere Unterteilung nach Funktionen stellt jedoch die Unterscheidung in afferente und efferente Nervenzellen dar. Man nimmt an, dass der Nervenimpuls eine molekulare, sich wellenförmig verbreitende Schwingung darstellt, die mit bestimmten chemischen Veränderungen einhergeht. Die Frage lautet: Basiert diese Unterscheidung der Funktion auf der Struktur – oder stellt sie einfach nur einen funktionellen Unterschied dar? Man hat stark betont, dass die Nervenzellen sich in ihren funktionsabhängigen Prozessen unterscheiden. Diese Unterscheidung basiert auf Experimenten mit Wärme und bestimmten chemischen Substanzen an afferenten Nervenzellen. Dabei trat keine Kontraktion der versorgten Muskeln auf. Afferente und efferente Nervenzellen scheinen die Impulse daher mit derselben Frequenz zu übertragen. Die physiologischen Prozesse innerhalb der Nervenzellenscheinen nahezu identisch zu sein. Der Unterschied in der hervorgerufenen Wirkung geht offensichtlich auf die Ursache und den Ursprung der Stimulation zurück, wobei die einen durch die Endorgane, die anderen durch die zentralen Organe erregt werden. Man hat versucht, die beiden Nervenarten miteinander zu kreuzen und so zu demonstrieren, dass die eine die Funktion der anderen ausführen kann. Derartige Versuche verliefen aber erfolglos oder nur teilweise erfolgreich, bis es Bert gelang, den Verlauf der Nervenfasern in einem Rattenschwanz umzukehren, indem er den Schwanz zurückbog und in den Rücken der Ratte implantierte. Nachdem der Heilungsprozess abgeschlossen war, wurde der Schwanz nahe an der Wurzel geteilt. Dabei zeigte sich, dass er reziprok zur natürlichen Ordnung empfindlich war, was zu belegen scheint, dass ein afferenter Nerv, wenn er umgedreht wird, afferente Impulse entlang einer zuvor efferenten Nervenbahn übermitteln kann. Bei neueren, von Dr. Cunningham aus New York an Hunden durchgeführten Experimenten wurden die Nerven eines zentralen Motoneurons mit einem peripheren verbunden. Die Impulse riefen in der entsprechend innervierten Muskulatur unkoordinierte Bewegungen hervor. Werden hingegen zwei vergleichbare Motoneuronen miteinander gekreuzt, vereinen sie sich und die Muskelbewegungen sind nicht sehr unkoordiniert. Werden dagegen Muskeln, die völlig unterschiedliche Funktionen haben, von gekreuzten Nervenzellen innerviert, geht die Bewegungskoordination völlig verloren, obgleich sich die Nervenfasern nach dem Kreuzen regenerieren. Diese neueren Experimente scheinen zu belegen, dass sich das Zentrale Nervensystem nicht an veränderte periphere Zustände der Innervation anzupassen scheint, um der Leitung der peripheren Nervenzellen zu folgen. Mit anderen Worten: Die Impulse sind nicht an die peripheren Organe angepasst. Dies scheint zu belegen, dass es in den Funktionen des Nervensystems einen spezifischen Unterschied gibt, der wahrscheinlich von strukturellen Bedingungen und den molekularen Veränderungen in Verbindung mit verschiedenen Nervenzellen abhängt. Fügen wir noch die Abweichung in dem Organ hinzu, in dem der Stimulus entsteht – sei es nun ein Endorgan oder ein zentrales Organ –, haben wir alle modifizierenden Bedingungen, die die spezifischen Funktionen der afferenten oder efferenten Nervenzellen bestimmen. Das ist auch wichtig in Hinblick auf die Psyche, denn es bezieht die Tatsache mit ein, dass das impulsleitende Medium stetig und konstant ist, weshalb seine Funktionsweise unveränderlich strukturell determiniert sein muss.

Daraus schließen wir, dass mentale Aktivität vom Nervensystem und dessen angemessener Ernährung im Zusammenhang mit der Blutversorgung abhängt. Zweifellos stellen die Nervenzellen das Zentrum mentaler Aktivität dar und sie sind insoweit aktiv, als sie ausreichend versorgt werden. Die Versorgung der Nervensubstanz ist daher die wesentliche Voraussetzung für statisches Denken, das ein Gleichgewicht zwischen mentalen und nicht-mentalen Prozesse einschließt und durch Veränderungen der einzelnen Nervenelemente dynamisch wird. Diese Veränderungen manifestieren sich somit mental. Existiert also im Geist ein Gedanke, kommt es im Gehirn zu einer korrelativen Veränderung, ohne die er nicht existieren könnte. Diese Veränderung im Gehirn geht mit Bewegung einher, sei es rhythmische Schwingung oder molekulare Veränderung, und eben diese Bewegung bildet die Basis für Stimulation und diese wiederum ruft jene Nervenreaktionen hervor, die den durch die leitenden Nervenbahnen gesendeten Impulsen zugrunde liegen. Einen wichtiger Faktor bei diesen Bewegungen und Impulsen stellt die Zeit dar. Muskuläre Veränderungen, Herz- und Lungenrhythmus repräsentieren das Element Zeit dabei aus physiologischer Sicht. Das menschliche System ist folglich nicht nur ein großartiger neuronaler und muskulärer, sondern auch ein psychischer Mechanismus, der zu jedem Teil des Organismus bestimmte Zeitbeziehungen hat. Weiterhin bestehen über die peripheren Endorgane, die in Kontakt mit äußeren Objekten stehen, auch Raumbeziehungen. Beide Beziehungen zusammen halten das menschliche Subjekt im Leben aufrecht.

Systematische Kombination der primären Nervenelemente

In der letzten Woche haben wir die primären Elemente des Nervensystems isoliert, das heißt ohne irgendwelche Beziehungen und Kombinationen betrachtet. Sie existieren aber freilich nicht für sich allein, vielmehr sind alle Bestandteile im Nervensystem in Bezug auf bestimmte Organe kombiniert und verbinden sich allesamt zu einem symmetrischen Ganzen. Zustand und Funktion der einzelnen Teile hängen von Zustand und Funktion des gesamten neuronalen Organismus ab. Foster behauptet: »In allen höheren Gehirnprozessen müssen wir erkennen, dass bei allen Abläufen in der Nervensubstanz der Vorgang die Struktur bestimmt, wobei mit Struktur molekulares Gefüge und Design gemeint ist.« Zwar können wir eine Nervenfaser und einen neuronalen Zellkörper mikroskopisch und elektrisch untersuchen, dies stellt jedoch eine Abtrennung ihrer organischen Beziehung zum gesamten System dar und folglich einen pathologischen Zustand, sodass ihre normale Funktionsweise beeinträchtigt ist. Der Nervenmechanismus besteht aus dem Beziehungsgeflecht der Systemteile und der interfunktionellen Aktivität ihrer kombinierten Elemente. Wir finden im Nervensystem Zellkörper und Fasern in großer Zahl, wobei die Kombination dieser Nervenelemente in den verschiedenen Teilen beachtlich variiert und damit die funktionelle Differenzierung ausdrückt.

Die Hauptfunktion des Nervensystems als Ganzes besteht in der Kombination verschiedener Körperfunktionen, um gleichsam einen einheitlichen Plan der organischen Entwicklung zu schaffen. Dies erfordert eine Menge Arbeit und das Harmonisieren einer Vielfalt von Funktionen, wobei Letzteres an sich die höchste aller Funktionen beschreibt. Mit anderen Worten: Hier begegnet uns ökonomische Arbeitsteilung in Reinform. In Amöben finden wir wenig anscheinend undifferenziertes Protoplasma mit einem Kern. Soweit eine Differenzierung besteht, liegt sie in der Unterscheidung der äußeren Schicht von der inneren granulären Materie. So klein dieser Organismus auch erscheinen mag, er besteht doch aus einer Vielzahl zarter Moleküle, die beim Ablauf metabolischer, respiratorischer und reproduktiver Funktionen alle miteinander kombiniert werden. Die Chemie des amöbischen Lebens schließt Veränderungen des Protoplasmas mit ein, wobei das alte auseinandergebrochen und das neue in Verbindung mit Sauerstoffabsorption und Kohlendioxidausstoß gebildet wird. Beim Protoplasma bemerken wir Irritierbarkeit und eine automatische amöboide Beweglichkeit, die von den Veränderungen im inneren Mechanismus abhängen. Anders ausgedrückt: Es trägt in sich eine selbstregulierende Kraft – den Anfang von Geist. Steigen wir von dieser niedrigsten Form animalischen Lebens zu den höheren Formen und der höchsten Form, dem Menschen, auf, entdecken wir eine zunehmende Komplexität der Struktur, begleitet von einer zunehmend komplexen und variierenden Entwicklung von Funktionen. Die bei den Amöben festgestellte Unterscheidung der äußeren und inneren Formen bildet sozusagen nur die Vorstufe einer zunehmenden Arbeitsteilung in den differenzierten Funktionen der höchsten Formen animalischen Lebens. Die Irritierbarkeit und die von innen kommende automatische Bewegung der amöbischen Moleküle deuten auf eine Differenzierung hin. Diese erfolgt, sobald Erstere als Reaktion auf äußere Stimuli und Letztere mit der Hervorbringung automatischer Impulse verbunden wird, was wiederum stark von der vitalen Aktivität abhängt. Wir haben damit also eine Teilung in Oberflächenfunktion und innere Funktion, die auf irgendeine Weise vereint werden müssen. Wie geschieht das? Um dies zu vollbringen, gibt es im primitiveren Nervensystem ebenso wie im höchstentwickelten Organismus

(1) Oberflächenzellen, die äußere Stimuli empfangen und auf sie reagieren,

(2) innere Zellen, die innere Impulse initiieren können, und

(3) einen Verbindungspfad aus Nervengewebe, der diese beiden – das Innere und das Äußere – vereint.

Um diese Vereinigung zu vervollständigen, müssen wir aber noch ein weiteres Element hinzufügen:

(4) die Muskeln, die in direkte Beziehung zu den Zellen im Zentrum und zu den Zellen an der Oberfläche gebracht sind und durch automatische Impulse bzw. Refleximpulse gesteuert werden.

Das sind die fundamentalen Elemente eines kombinierten Nervenmechanismus – der Basis aller mentaler Phänomene.

Bei der ausdifferenzierenden Entwicklung dieses Mechanismus ergibt sich Folgendes:

 

(1) Die Oberflächenzellen werden ihrer jeweiligen Spezialfunktion entsprechend voneinander unterschieden und bilden so einerseits die sensorischen Organe oder Sinnesorgane und andererseits die motorischen Organe mit ihren motorischen Endplatten und Bewegungs-Endorganen.

(2) Die zentralen Nervenzellen werden ebenfalls je nach ihren Funktionen differenziert: (a) Rezeption, Modifikation, Klassifikation und reflektorische Verteilung der sensorischen Impulse nach der Koordination (b) Initiierung autonomer Impulse und (c) Verbindung mit den bewussten Phänomenen des sensitiven Lebens.

(3) Die Nervenfasern und -bahnen bilden die Vereinigung äußerer und innerer sensorischer, afferenter, zentripetaler sowie motorischer, efferenter und zentrifugaler Funktionen.

So vollzieht sich aus psychophysiologischer Sicht die komplexe Entwicklung des gesamten menschlichen Nervensystems. Und hier finden wir auch die Grundlage für differenzierte Sinnesempfindungen, Erkennen, Emotion und Volition – jene höchsten Funktionen also, die sich aus den ersten primitiven Sinnesempfindungen und Bewegungen entwickelt haben.

»Jedes zerebrale Element«, sagt Hering, »unterliegt dem erzieherischen Einfluss der sensorischen Fasern, mit denen es automatisch verbunden ist.« Das liefert uns den Schlüssel zur Psychologie: Sie beginnt mit Sinnesempfindungen, vermittelt durch einen sensorischen Apparat als einfachster psychophysiologischer Tatsache. Wir finden die zu Nervenbahnen gebündelten Nervenfasern und die zu mehr oder weniger komplexen Ganglien zusammengefassten Zellkörper, so wie sie im Gehirn und im Rückenmark vorkommen.

Es gibt zwei große Nervensysteme: das Vegetative15 und das Zerebrospinale. Der Sympathikus besteht aus zwei Neuralsträngen beidseits des Rückenmarks und bildet drei große Plexus in den Hohlräumen von Thorax und Abdomen. Dazu kommen über den Körper verteilt reich vaskularisierte Ganglien sowie eine große Anzahl einzelner verteilender und kommunizierender Nervenzellen. Die Plexus und die Ganglien verbinden das Sympathische System eng mit den inneren Organen und den Blutgefäßen, während die einzelnen Nervenzellen eng mit dem Zerebrospinalen System in Verbindung stehen. Die drei Hauptganglien sind Ansammlungen von Zellkörpern und Nervenfasern im Bereich der Herzbasis, im oberen Bereich der Bauchhöhle und anterior zu L5. Gaskell zufolge zeigt sich die enge Verbindung der sympathischen Grenzstrangganglien mit dem spinalen System an den posterioren Ganglien im Rückenmark. Das Vegetative System bildet ein Bindeglied zwischen den Sinnesempfindungen, Emotionen und Ideen, die im molekularen Zustand der zerebrospinalen Zentren und der Körperorgane entstehen, und stellt zudem enge Beziehungen zwischen dem Herz und den Bauchorganen her, die ihrerseits eng mit psychischen Zuständen verbunden sind. Auf diese Weise beeinflusst die Emotion Blutkreislauf, Herztätigkeit, Ernährung usf. Die meisten Stimulationen der thorakalen und abdominalen Organe laufen über das Vegetative Nervensystem zu den zentralen Organen. Maudsley ist der Ansicht, dass die Grenzstrangganglien die einfachste Form des Individuationsprinzips darstellen, indem sie die verschiedenen Gewebeaspekte koordinieren.

Das Zerebrospinale System besteht aus zwei großen Zentralelementen: Gehirn und Rückenmark. Zu ihnen gehören bestimmte Membranen, wie etwa die eng am Knochenhohlraum verlaufende Dura mater, welche sich im kranialen und im spinalen Hohlraum anatomisch unterschiedlich ausgeprägt zeigt. Die Schädelhöhle wird durch drei Fortsätze der Dura mater in zwei Hälften geteilt. Weiterhin gibt es den Spatium subarachnoidales. Er enthält jene Flüssigkeit, mit der die Räume zwischen Zellsubstanz und Dura mater gefüllt sind. Schließlich entdecken wir die Pia mater. Sie bildet eine reich mit Arterien und Venen vaskularisierte Membran, wobei die Verzweigungen der Blutgefäße vom und zum Gehirn oder Rückenmark in feines Bindegewebe eingebettet sind. Die gesamte zerebrospinale Nervensubstanz wird von diesen drei Membranen eng zusammengebunden und geschützt.

Druck und Blutzirkulation bilden wichtige Elemente für die Ernährung des Gehirns. Das Rückenmark erstreckt sich entlang des spinalen Kanals über etwa 40 oder 50 cm und wiegt ungefähr 42 Gramm. Die Fissuren teilen es in zwei Hälften, die jeweils wieder in drei Säulen, die anteriore, die posteriore und die laterale, separiert sind. Vereint werden beide Hälften durch die sogenannten Kommissuren – die weiße anteriore und die graue posteriore – wovon die weiße sehr viel größer ist als die graue. Nur in den zervikalen und lumbalen Bereichen verhält es sich umgekehrt. Entlang der gesamten Länge der grauen Kommissur verläuft der kreisförmige und mit Flimmerepithel ausgekleidete Zentralkanal. In der weißen Substanz des Rückenmarks befinden sich Lymph- und Blutgefäße, Bindegewebe und Nervenfasern mit dem Achsenzylinder als ihrem Hauptbestandteil. Die Nervenfasern variieren in Größe und Ausrichtung, wobei die meisten vertikal, einige horizontal und andere diagonal verlaufen. In der grauen Substanz des Rückenmarks finden wir die gleichen Elemente wie in der weißen und zusätzlich Zellkörper. Die Nervenfasern sind hier nicht-myelinisiert und unterscheiden sich von jenen in der weißen Substanz durch ihre winzigen Vernetzungen. Die Anzahl der Nervenfasern ist sehr groß. Birge hat in den anterioren Wurzeln des Rückenmarks von Fröschen zwischen 5.984 und 11.468 gezählt und es erscheint unmöglich, alle Nervenbahnen im Rückenmark exakt zu verfolgen. Die Myelinisierung der Axone erfolgt in einem späten Stadium der medullären Entwicklung, sodass sich hier bestimmte Differenzierungsmöglichkeiten ergeben. Trennt man die Axone beispielsweise von ihrem Ursprung, degenerieren sie und werden durch Bindegewebe ersetzt. So können Nervenbahnen bis zu einem gewissen Grad experimentell nachverfolgt werden.

In den antero-lateralen Säulen unterscheidet man zwei Stränge: die Pyramiden- und die Kleinhirnseitenstrangbahn.16 Erstere verläuft zum anterioren Teil der Pyramide, Letztere liegt zwischen der lateralen Pyramidenbahn und der äußeren Oberfläche des Rückenmarks. Man hat auch noch weitere Bahnen entdeckt, wie etwa den Goll’schen Strang17. Das Rückenmark stellt auf diese Weise Nervenbahnen für Impulsübertragung zur Verfügung sowie eine Reihe von Reflexzentren. Die Stränge repräsentieren afferente und efferente Nervenströme und die Zentren differenzierte Bereiche funktioneller Aktivität, die allesamt mit den oberen Zentren in Verbindung stehen. Und genau dies bezeichnet einen Mechanismus, der Innen und Außen verbindet.

Einen vergleichbaren Aufbau mit Zellkörpern, Nervenfasern, Bindegewebe und Neuroglia, zusammengehalten durch umhüllende Membranen, finden wir in der Struktur des Gehirns. Dieses besteht aus

(1) der Medulla, also der superioren Verlängerung des Rückenmarks,

(2) dem Zerebellum, das den oberen posterioren Teil der Medulla bedeckt und sich auf beiden Seiten über sie hinaus erstreckt und dessen Oberfläche lobulär unterteilt wird,

(3) dem Pons, der anterior und oberhalb der Medulla erweitert ist, und

(4) dem oberhalb von Pons und Zerebell umliegenden Zerebrum, dass ich in zwei Hemisphären teilt und den größten Teil der Schädelhöhle ausfüllt.

In der Medulla entdecken wir wie im Rückenmark graue und weiße Substanz. Die graue Substanz bildet hier zu Massen gesammelt eine Fortsetzung der grauen Substanz des Rückenmarks, daneben existieren aber auch unabhängige Zellansammlungen. Im Zerebellum ist die Anordnung von grauer und weißer Substanz umgekehrt zu jener in Rückenmark und Medulla. Die graue Substanz liegt außen und die weiße bildet drei große Bündel, die mit den drei Crura cerebelli verbunden sind. Diese bilden eine komplexe Zellkombination und verbinden das Cerebellum mit allen anderen Teilen des Gehirns. Der Pons ist der gemeinsame Treffpunkt aller Nervenbahnen innerhalb der zentralen Organe und stellt eigentlich eine Erweiterung der Wand des vierten Ventrikels dar. Das Zerebrum, also das Großhirn, besteht aus einzelnen Bereichen, die sich in Größe und Funktion unterscheiden. So finden wir zwei kortikale Hemisphären, die großen Basalganglien, Corpora striata, Thalami optici, die Corpora quadrigemina und die Epiphyse. Das Zerebrum wird durch die mittlere Fissura longitudinalis cerebri in zwei Hemisphären geteilt. Beim Sezieren dieser Fissur stellt man fest, dass die beiden Hemisphären basal durch das Corpus callosum verbunden sind. Die Außenflächen der Hemisphären sind konvex und passen sich der Form der Schädelhöhle an, während die Innenflächen entlang der mittleren Fissura longitudinalis cerebri eben sind. Die Trennung der Hemisphären erfolgt durch einen Fortsatz der Dura mater. Die Oberfläche des Bodens wird vom Zerebellum und dem Pons durch einen weiteren Fortsatz der Dura mater abgetrennt. Die Peripherie der Hemisphären enthält in Gyri angeordnete graue Substanz. Diese Gyri werden durch Sulci oder Fissuren getrennt. Manche davon sind so gut markiert, dass sie natürliche Unterteilungslinien der Hirnlappen bilden, wohingegen alle weniger markanten Vertiefungen die Lappen in Windungen teilen.

Aus dieser Teilung in Lappen und Windungen ergibt sich die spezielle neuronale Funktionalität und psychische Bedeutung des Cortex cerebri. Die allgemeine Struktur des Zerebrums ist der des Zerebellums ähnlich. Ein innerer Anteil an weißer Substanz wird von einem Oberflächen-Kortex aus grauer Substanz umgeben. Die beiden Seiten der weißen Substanz werden durch starke Kommissurfasern (Corpus callosum) zusammengehalten, die vom Gyrus fornicatus überlappt werden. Das Corpus callosum bildet das Dach des inneren Hohlraums jeder Hemisphäre: die lateralen Ventrikel, die von einer feinen, transparenten Wand umgeben und mit ventrikulärer Flüssigkeit gefüllt sind. Am Boden dieser Ventrikel befinden sich die Oberflächen der Basalganglien. Hier findet sich ein großer birnenförmiger Körper, dessen schmales Ende nach außen und dessen großes Ende zu den anterioren Cornua der Ventrikel ragt: das Corpus striatum. Dessen beide Anteile werden durch die Capsula interna unterteilt. Zwischen den sich erstreckenden Teilen der Corpora striata finden wir die länglichen Thalami optici. Posterior und inferior davon befinden sich zwei Paare von Körpern, die Corpora quadrigemina.

Die Faserfaszikel des Zerebrums verbinden dessen Hemisphären, vereinigen diese mit den unteren Teilen des Gehirns und bilden zusammengefasst den Ursprung einiger Nervenzellen. Die kruralen Fasern werden in zwei Gruppen ausgebildet und durch graue Substanz getrennt. Dabei hängt Erstere mit den longitudinalen Fasern des Pons zusammen, die von den medullären Pyramiden kommen, in den Corpora striata enden und durch die Capsula interna zur grauen Substanz des Cortex cerebri verlaufen. Die mit den Basalganglien zusammenhängenden Nervenelemente sind alle so angeordnet, dass sie es diesem Bereich des Gehirns ermöglichen, als Koordinationszentrum in Bezug auf die motorischen und sensorischen Nervenbahnen zu fungieren, indem sie diesen Basalganglien ganz charakteristische sensomotorische Funktionen reflektorischer und automatischer Art verleihen. Sie sind den zerebralen Zentren untergeordnet. Die Bahnen zu diesen höheren Zentren verlaufen von den Basalganglien im Kontext der Corona radiata, die durch die sternförmigen Fasern der Corpora striata, der Thalami optici, der Capsula interna gebildet wird und direkt zu den Gehirnwindungen der zerebralen Hemisphären führt. Äußerlich betrachtet variieren diese Gehirnwindungen der zerebralen Hemisphären beträchtlich. Da einige von ihnen in der Entwicklungsphase schon ab dem frühen fötalen Leben gut erkennbar sind, ist eine Unterteilung dieser Gehirnwindungen in drei Klassen möglich. Die erste stellt die Hauptunterteilung der Oberfläche der Hemisphären in fünf Lappen dar: den frontalen, den parietalen, den sphenoidalen, den okzipitalen und den zentralen – obgleich eine scharfe Trennung streng genommen nicht möglich ist. Die zweite und die dritte Klasse bilden kleinere Unterteilungen dieser Lappen durch Sulci, die in verschiedene Richtungen verlaufen. Die graue Substanz ist an der Oberfläche einförmig angeordnet, ebenso die weiße Substanz im Inneren des Cortex cerebri. Doch es gibt markante Unterschiede bezüglich der Zellen und ihrer Anordnung. Meynert führt aus, dass die gewöhnliche Anordnung aus fünf plattenförmigen Schichten mit einer Gesamtdicke von ungefähr 0,25 cm besteht. Diese Schichten werden durch eine Matrix weniger globulärer Zellen gebildet, wohingegen die beiden nachfolgenden Schichten aus pyramidalen Zellen bestehen. Die vierte Schicht weist eine große Anzahl kleiner unregelmäßiger und globulärer Zellen auf und die fünfte Schicht zeichnet sich durch kompakt verbundene spindelförmige Zellen mit weit verzweigten lateralen Fortsätzen aus.

 

In der Neuroglia finden wir kleine Korpuskeln und Zellen, die wie einfache Kerne aussehen. Die ganze weiße Substanz steht mit der grauen kortikalen Substanz in Verbindung, wobei stielförmige, kommissurale oder bogenförmige Nervenfasern existieren. Die ersten verbinden das Zerebrum und die basalen Anteile des Gehirns. Von den zweiten hat man früher angenommen, dass sie die beiden Hemisphären gleichseitig verbinden. Da die Bahn jedoch im Corpus callosum liegt, überschneiden sich die Fasern auf dem Weg zu den Hemisphären des Zerebrums und bilden somit eine Kreuzverbindung. Die dritten schließlich verbinden die graue Substanz der getrennten Gehirnwindungen in denselben Hemisphären. Meynert betrachtet die grauen Substanzen und die konvergierenden bzw. divergierenden Stränge des zerebrospinalen Nervenmechanismus als eine Serie von Projektionssystemen, wobei die sensorischen Nervenzellen die Fühler und die motorischen Nervenzellen die Arme der kortikalen grauen Substanz repräsentieren. Die graue Substanz bezeichnet demnach einen senso-motorischen Kortex, in dem sich afferente Impulse sammeln und efferente Impulse entstehen und verteilt werden. Letzteres bildet ein Projektionssystem in Bezug zum muskulären System. Die graue Substanz des Gehirns, die tief in den Hemisphären eingebettet liegt, repräsentiert Meynert zufolge im Kontext dieses Projektionssystems entweder Unterbrechermassen oder einen hemmenden Modulationsbereich in Bezug auf das gesamte System. Hier teilen sich die Nervenbahnen vom Cortex cerebri auf und verzweigen sich in verschiedene Richtungen. Dies ist ein wichtiger funktioneller Aspekt in der Verbindung des Zerebrums mit den unteren Teilen des Nervensystems und ist daher ein interessanter Bereich, wenn es um psychische Phänomene geht.

31 Paare spinaler Nervenbahnen und 12 Paare Hirnnerven verbinden das Zerebrospinale System mit den Sinnesorganen und den Bewegungsorganen. Die spinalen Nervenzellen liegen im Rückenmark. Sie ziehen durch die intervertebralen Foramina hinaus und repräsentieren damit den zervikalen, den thorakalen, den lumbalen, den sakralen und den kokzygealen Bereich. Die zwölf paarigen Hirnnerven entspringen an der Schädelbasis und ziehen durch die verschiedenen Foramina aus der Schädelhöhle aus. Die Hirnnerven I, II und VIII repräsentieren die sensorischen Nervenzellen im engeren Sinn, Hirnnerv III, IV, VI, VII, IX und XII die motorischen Nervenaktivitäten bezüglich der Augen, des Gesichts und der Zunge und die Hirnnerven V, IX und X stehen schließlich für jene sensomotorischen Nervenzellen, die die faszialen, laryngealen und pharyngealen Muskeln, die Hirnhäute sowie die inneren Organe des Körpers innervieren. Das ist also der vollständige systematisierte Nervenmechanismus.

Wir kommen zu der Schlussfolgerung, dass der durch Differenzierung immer vollkommener werdende Gesamt-Nervenmechanismus in das Körpersystem eingepasst ist, um so die verschiedenen Nervenfunktionen der Leitermedien und der Endorgane sowie die zentralen Funktionen auszuführen – denn das sind die drei großen Funktionen des Nervensystems. Obgleich wir aber diese Funktionen in gewisser Weise als verschieden betrachten, wohnt den Gehirnzellen, wie Meynert sagt, doch nur eine einzige funktionelle Energie inne – nämlich die der Sensitivität. Die sensorischen Nervenzellen bilden jene Schlüssel, die den Nervenmechanismus steuern und zu Muskelaktivität führen. »Spezifische Energien« – schreibt Meynert – »hängen gänzlich von den Besonderheiten der Endorgane ab und Sensitivität ist die einzige spezifische Eigenschaft der Gehirnzellen. Im Vorderhirn wird Sensitivität in tatsächliche Sinnesempfindungen umgewandelt.« Genau hier sind die dargestellten anatomischen Beziehungen von besonderer Bedeutung, denn sie verbinden diesen Sitz der Sinnesempfindung mit dem gesamten Rest des Nervenmechanismus. Hier, im Cortex cerebri, und nicht in irgendeinem seiner Teile, sind Intelligenz und Bewusstsein angesiedelt. Jede Hemisphäre besteht aus »Projektionssystemen«, die den Kortex mit den sensitiven Bereichen, aber auch mit den Bewegungsorganen vereinen. Die weiße Substanz bildet »Assoziationssysteme« aus winzigen Fasern und Nervenansammlungen, die alle Teile des Kortex zusammenbringen und die Grundlage aller mentalen Wahrnehmungen und Urteile bilden. Dies ermöglicht die sogenannten »Innervierungsgefühle«. Mit anderen Worten: Die Gesamtsumme der Zentren, die mit bestimmten Aktivitäten von Muskeln und Körperorganen korrelieren, bildet das, was man Individualität nennt. Die Individualität der Psychologie besteht aus dieser primären physiologischen Individualität, erweitert und entwickelt in Verbindung mit der sekundären Individualität, die sekundären, durch Assoziation verbundenen mentalen Wahrnehmungen entspringt. Daran sehen wir, dass Geist völlig durch das Nervensystem bedingt ist.

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