Seewölfe - Piraten der Weltmeere 62

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 62
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Impressum

© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-379-4

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1.

Kapitel 2.

Kapitel 3.

Kapitel 4.

Kapitel 5.

Kapitel 6.

Kapitel 7.

1.

„In ein paar Stunden ist die Hölle los“, sagte Ben Brighton nach einem abermaligen Blick in den Himmel.

An Bord der „Isabella VIII.“ gab es keinen Mann, der seine Worte bezweifelte.

Erst ein paar Stunden war es her, daß sie zusammen mit der Roten Korsarin die Schlangen-Insel verlassen hatten – bei strahlend blauem Himmel und ruhiger See. Aber dann hatte sich der Himmel verändert. Das anfängliche Blau war erst einem grünlichen Ton gewichen, später war das Grün mehr und mehr in ein schwefliges Gelb übergegangen, das nun schon gut ein Drittel des Himmels bedeckte und sich von Westen her weiter und weiter ausdehnte.

Auch der Seewolf hatte in den letzten Stunden mehr als einen besorgten Blick zum Himmel emporgeschickt. Er kannte sich mittlerweile in der Karibik aus und wußte, wie schnell sich das Wetter dort ändern konnte.

Ed Carberry, der Profos, trat zu Ben Brighton und Hasard.

„Das wird ein Höllenwetter“, sagte er nur. „Wir sollten zusehen, daß wir irgendwo einen Nothafen finden.“ Er deutete auf die einige Kabellängen voraussegelnde Karavelle der Roten Korsarin. „Der Zweimaster hält das Wetter nicht durch. Ferris hat ihn zwar wieder hervorragend zusammengeflickt, aber das Schiff ist zu klein. Da, Backbord voraus, das müßten die Caicos-Inseln sein. Ich weiß, daß es auf der größten von ihnen eine tiefeingeschnittene Bucht gibt, die Schutz bieten würde. Wenn ihr auf mich hört, dann setzen wir jetzt jeden Fetzen Tuch, den unsere Lady tragen kann, und segeln dem Teufel ein Ohr ab. Vielleicht können wir ihm ein Schnippchen schlagen.“

Ferris Tucker, der Schiffszimmermann der „Isabella VIII.“, ein Hüne von Gestalt, fuhr sich durchs rote Haar. Nachdenklich sah er Carberry an, dann glitt sein Blick zum Himmel hoch, dessen Farbe immer bedrükkender und unheimlicher wurde. Das blaue Wasser der Karibik sah schon fast schwarz aus, hell leuchteten erste Gischtkronen zu ihnen herüber. Ferris Tucker kannte den Profos besser als die meisten anderen an Bord. Er wußte, daß sich dieser Mann vor Tod und Teufel nicht fürchtete. Um so bedenklicher stimmte es ihn, daß ausgerechnet Carberry vorschlug, einen Nothafen anzulaufen. Das war noch nie dagewesen.

„Ich glaube, Ed hat recht“, sagte er in die Stille hinein. „Wir sollten die Rote Korsarin verständigen. Wenn sie klug ist, dann zieht sie mit. Ihr Zweimaster ist ein starkes, gutes Schiff, aber bei einem Hurrikan hilft ihr das auch nicht viel.“

Der Seewolf hatte bisher zu allem geschwiegen, er wußte jedoch, daß er sich schnell entschließen mußte. Die Wetter in der Karibik waren äußerst tückisch, zudem befanden sich die beiden Schiffe in gefährlicher Nachbarschaft von kleineren und größeren Inseln, das allein schon konnte bei einem losbrechenden Hurrikan tödlich werden.

„Signalisiert Siri-Tong, daß sie auf Rufweite heransegeln soll“, sagte er, und die erste Bö, die in diesem Moment durch die Takelage der „Isabella“ fuhr und das Schiff weit nach Backbord überholen ließ, unterstrich seine Worte.

Am westlichen Horizont hatte sich ein winziger schwarzer Fleck gebildet, fast nur ein Punkt und für das bloße Auge gerade noch in dem schwefligen Gelb zu erkennen.

Ferris Tucker flitzte zur Kuhl hinunter und von dort auf das Vorkastell der „Isabella“, das aber genauso wie das Achterkastell wesentlich flacher gehalten war als bei Galeonen ihrer Größe sonst üblich.

Unterwegs griff er sich Will Thorne, den Segelmacher.

„Will, ein paar Fetzen her, mit denen ich der Roten Korsarin signalisieren kann!“ stieß er hervor, und der Segelmacher begriff sofort. Er wußte, daß zwischen ihnen und der Karavelle der Piratin eine ganze Reihe Signale zur Verständigung verabredet worden war, und zwar schon im Hinblick darauf, daß sie Caligu, den Schrecken der Karibik, jagen wollten.

Der Segelmacher tauchte in die Vorpiek, war aber schon Minuten später wieder an Deck. In den Händen hielt er zwei rechteckige, yardgroße Lappen, die er an hölzerne Stiele angeschlagen hatte.

Ferris nahm sie ihm aus der Hand, dann begann er mit beiden Segeltuchstücken kreisende Bewegungen auszuführen.

Der Erfolg zeigte sich sofort, Siri-Tongs scharfen Augen war das Signal nicht entgangen, denn ohnehin warf sie von Zeit zu Zeit einen Blick zu der in ihrem Kielwasser dahinsegelnden „Isabella“ hinüber. Und sooft sie es tat, geriet sie von neuem in inneren Aufruhr, denn sie war weit entfernt davon, mit den Ereignissen auf der Schlangen-Insel – dem verlorenen Kampf um die „Isabella“ und ihrer Errettung aus den Fangarmen des Riesenkraken durch den Seewolf – fertig zu sein, Ihre Gedanken kreisten ständig um diesen Mann und seine Besatzung, Siri-Tong hatte in ihrem ganzen Piratendasein so etwas noch nie zuvor erlebt.

Sie sah die Signale und reagierte sofort.

Die Karavelle fiel ab und schob sich wenig später neben die heransegelnde Galeone.

Der Seewolf legte die Hände trichterförmig an den Mund. Dann brüllte er der Roten Korsarin zu, was er vorhatte.

„Wir laufen die große Caicos-Insel an. Südliche Bucht. Segelt voraus, ihr seid schneller. Wir kriegen einen Hurrikan, der sich gewaschen hat. Der schlägt unsere Schiffe kurz und klein, dann ist es aus mit unserer Jagd auf Caligu!“

Er sah, wie Siri-Tong ihn einen Moment lang anstarrte, dann jedoch nickte. Anschließend gab sie die nötigen Befehle.

Die Karavelle ging sofort hoch an den Wind, ihre roten Lateinersegel blähten sich, während das Schiff weit nach Backbord krängte.

Der Zweimaster der Roten Korsarin zog an der „Isabella“, die bei diesem Wind durch ihre rahgetakelten Masten im Nachteil war, vorbei und drehte dann nach Backbord ab, genau auf die dunkle Silhouette zu, die sich als feiner, gezackter Strich an der Kimm abzeichnete.

Auch auf der „Isabella“ trieb Carberry die Männer jetzt mit seiner Donnerstimme an. Völlig unnötig, denn die Männer hatten den Himmel gesehen und wußten, was ihnen drohte.

Der Himmel bezog sich mehr und mehr, der winzige schwarze Fleck vergrößerte sich. Er stand im Westen wie ein unheimliches Auge, das die beiden Schiffe böse anzustarren schien.

Die Sonne verschwand in dem schwefligen Gelb, das Wasser wirkte nunmehr schwarz. Der Wind nahm zu, vereinzelt jagten Böen über die See und peitschten Gischtkronen auf die Wogen.

„Niedergänge verschalken!“ befahl Hasard, und der Schiffszimmermann nickte nur.

Mit ein paar Mann ging er sofort an die Arbeit. Die schweren Bohlentüren, die ins Schiffsinnere führten, wurden gesichert. Die Eingänge zum Vor- und Achterkastell ebenfalls. Tucker wußte genau, was es bedeutete, wenn die Decks von überkommenden Brechern überflutet wurden und das Wasser die Türen zerschmetterte und sich den Weg ins Schiff bahnte. Auf diese Weise waren schon viele große und durchaus seetüchtige Galeonen gesunken.

Carberry scheuchte die übrigen Männer unterdessen in die Takelage. Sie setzten jeden Fetzen, den die „Isabella VIII.“ zu tragen vermochte, denn der Seewolf und seine Männer waren sich darüber im klaren, daß sie jetzt mit dem Tod um die Wette segelten. Einem Tod, der sie aus dem schwarzen Auge anstarrte, das sich weiter und weiter am Horizont hochschob und dabei ständig größer wurde.

Zur selben Stunde, rund hundertfünfzig Meilen südlich der Caicos-Inseln, bahnten sich ebenfalls schlimme Ereignisse an.

Die „Schildkröte“, eine üble Spelunke, die sich Caligu und seine Spießgesellen in einer der Grotten an der Südseite der Insel eingerichtet hatten, war das Hauptquartier des riesigen Piraten. Dort hielt Caligu zusammen mit Maria Juanita, seiner ihn ständig begleitenden Geliebten, und seinen wüsten Kerlen noch wüstere Gelage ab. In dieser Grotte wurde gesoffen, gehurt und geprügelt. Nicht selten gab es Tote, und die warf man der Einfachheit halber gleich ins Wasser, wo die Haie über sie herfielen. Denn die See zwischen Tortuga und den anderen vorgelagerten Inseln wimmelte nur so von diesen gefährlichen Räubern, und längst hatten die Haie gemerkt, daß es an der Schildkröteninsel oft fette Beute für sie gab, vor allem an der Steilklippe westlich des Hafens, der sogenannten „Totenrutsche“.

An diesem Tag, an dem sich über der Karibik ein Hurrikan zusammenbraute, hielt Caligu, vor dem die ganze Inselwelt der Karibik zitterte, wieder eins seiner Gelage ab. Das Gegröle der Betrunkenen und das Girren und Gekreische der Weiber in der Grotte drang weit über die Insel. Nur ein Unterschied zu seinen sonstigen Gelagen bestand: Caligu war diesmal noch nicht sinnlos betrunken, sondern er befand sich in einem Zustand, in dem ihm jeder, der ihn kannte oder der auch nur von ihm gehört hatte, in weitem Bogen aus dem Wege ging.

Maria Juanita beobachtete ihn aus schmalen Augen. Sie kannte Caligu von allen seinen Kreaturen am besten. Mehr noch – sie verstand es, Caligu um den kleinen Finger zu wikkeln, wenn ihr das notwendig erschien. Sie beeinflußte seine Entscheidungen weit mehr, als es ihm je bewußt wurde, aber sie hütete sich auch, Caligu das merken zu lassen.

 

Maria Juanita hatte eine harte Zeit hinter sich – und diese Zeit hatte ihre Spuren an ihr hinterlassen. Eine brandrote Messernarbe durchzog ihr Gesicht – eines der Andenken aus ihren gemeinsamen vielen Zusammenstößen mit dem Seewolf, die jedesmal ihr Ende in vernichtenden Niederlagen gefunden hatten. Maria Juanita kannte keinen Menschen, den sie so glühend haßte, wie den Seewolf. Denn er hatte sie um alles gebracht, was sie sich in langen Jahren in der Neuen Welt als spanische Hure zusammen mit den anderen Mädchen erschuftet hatte. Jedenfalls sah Maria Juanita das so.

Bei den Cayman-Inseln war sie auf Caligu gestoßen, und der wilde Pirat hatte sie sich genommen, ob ihr das paßte oder nicht, indem er ihren vorherigen Liebhaber kurzerhand umbrachte.

Zunächst hatte Maria Juanita auch Caligu gehaßt, glühend gehaßt für all die Demütigungen, die der Pirat ihr vor den Augen der Mädchen zufügte. Aber dann war plötzlich alles anders geworden. Sie hatte erkannt, was in diesem Caligu steckte. Ganz abgesehen davon, daß sie ihm schon nach wenigen Wochen völlig verfallen war, benutzte sie ihn als ihr Werkzeug. Sie suggerierte ihm in all den Nächten, die sie mit dem riesigen Piraten verbrachte, was er unternehmen sollte und was nicht.

Sie hetzte Caligu auf den Seewolf, immer wieder – und sie hatte auch ihren Haß auf diesen Mann niemals vergessen. Als sie dann ihre Jagd nach der letzten, entscheidenden Schlacht in der Windward Passage hatten abbrechen müssen und die „Isabella“ mit ihrer Beute für immer verschwunden war, hatte sich der Haß Juanitas auf den Seewolf nur noch tiefer in ihr Bewußtsein gebrannt. Und irgendwie spürte sie, daß sie dem Seewolf und seinen Männern noch einmal in der Karibik begegnen würden.

Allerdings hatte Caligu die Zeit nach dem endgültigen Verschwinden des Seewolfs und seiner „Isabella“ aus den karibischen Gewässern genutzt. Er hatte Beutezüge unternommen und auch reiche Beute gemacht. Niemals ließ er einen seiner Gefangenen am Leben, alle wurden entweder bestialisch umgebracht oder den Haien in der Karibischen See zum Fraß vorgeworfen.

Auch auf Tortuga, der Schildkröteninsel, hatte sich Caligu zum absoluten Herrscher emporgeschwungen. Er verfügte neben seiner eigenen Galeone – einem Beuteschiff – noch über zwei andere Schiffe. Zwei schnelle Karavellen, die zumeist die Aufgabe hatten, den Gegner aufzuspüren, zu stellen und lahmzuschießen. Und bisher hatte diese Taktik auch immer geklappt.

Caligu hob einen schweren Krug und leerte ihn auf einen Zug. Dann rülpste er laut und vernehmlich und sah Maria Juanita aus schmalen Augen an.

„Du denkst wieder an diesen verfluchten Bastard von Seewolf“, sagte er und langte blitzschnell zu. Seine dunklen Augen hatten sich zu Schlitzen verengt und starrten Maria Juanita an. Wie bei Maria Juanita zog sich auch über seine Wange eine breite Messernarbe. Unter seiner dunklen Haut spielten die Muskeln, seine leicht wulstigen, sinnlichen Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen.

„He, besorg ich es dir nicht gut genug?“ grölte er plötzlich in die Grotte hinein. „Oder warum denkst du ständig an diesen dreimal verfluchten Hurensohn von Seewolf?“

Er zog Maria Juanita zu sich heran und langte ihr unter den Rock, dessen raffinierter Schnitt ihren vollkommenen Körper voll zur Geltung brachte.

Maria Juanita entzog sich geschickt seinen Händen.

„Du weißt genau, warum ich an diesen Dreckskerl denke. Ich habe es dir schon oft genug gesagt. Dieser Hund kehrt in die Karibik zurück, eines Tages taucht er hier wieder auf. Er hat uns alle hereingelegt, oder glaubst du etwa immer noch, daß dieser Kerl und seine Männer all die Schätze, die seine „Isabella“ geladen hatte, nach England gesegelt und dort der Königin brav abgeliefert haben?“

Sie entzog sich Caligu mit einer geschmeidigen Bewegung, als er erneut zupacken wollte.

Caligu lachte dröhnend, und das war der Moment, in dem seine Galgenvögel begannen, zu ihrem Anführer hinüberzusehen. Langsam – weil sie witterten, daß etwas in der Luft lag – rückten sie näher.

„Als ob ich je so ein Dummkopf gewesen wäre, das zu glauben. So dämlich ist niemand, eine solche Beute abzuliefern. Mit dem, was diese verfluchte „Isabella“ an Schätzen in ihrem Rumpf hatte, können der Seewolf und seine Bastarde bis in alle Ewigkeit ein Leben führen, von dem wir nur träumen werden!“

Das Gesicht des Piraten verzerrte sich, denn in diesem Moment tauchten alle jene bitteren Niederlagen vor seiner Erinnerung auf, die der Seewolf ihm damals zugefügt hatte. Und zwar immer dann, wenn Caligu sich bereits am Ziel seiner Wünsche gewähnt, wenn er schon geglaubt hatte, den Seewolf endgültig in der Falle zu haben.

Er sprang auf und riß sein langes Entermesser heraus.

„Wo immer mir dieser Hundesohn begegnet“, brüllte er in die plötzliche Stille hinein, „werde ich ihn niedermachen und abstechen wie einen tollen Hund!“

Unwillkürlich zogen sich die Männer einige Schritte zurück. Sie kannten Caligu, und sie wußten, daß man sich besser von ihm fernhielt, wenn er in dieser Stimmung war. Nur einer, ein Mann, der noch nicht lange zu seiner Crew zu gehören schien, begriff das offenbar nicht. Er trat einen Schritt auf Caligu zu.

„Du nimmst das Maul ziemlich voll, nach allem, was ich über die Sache gehört habe“, sagte er. „Wenn das so einfach gewesen wäre, wie du heute tust, dann hätte dir dieser Seewolf niemals entwischen dürfen.“

Caligu fuhr herum. Seine kohlschwarzen Augen begannen zu glühen. Seine leicht wulstigen Lippen verzerrten sich, und die Flügel seiner geraden, schmalen Nase begannen zu beben.

Langsam ging er auf den Neuling zu.

„Ich nehme also mein Maul zu voll?“ fragte er gefährlich leise. „Und du lausige Ratte wagst es, mir das ins Gesicht zu sagen? Wo warst du verfluchter Dreckskerl denn, als wir in der Windward Passage gegen den Seewolf kämpften? Und wir hätten ihn auch erwischt, wenn nicht dieser Verrückte mit seinem riesigen Schiff aufgetaucht wäre, dieser verdammte Wikinger! Der Seewolf saß in der Falle, und er wußte es auch. Aber dieser tollwütige Bursche, der hat dann alles verdorben. Der Teufel mag wissen warum, denn er selbst ist dabei mit Mann und Maus in die Luft geflogen!“

Der Neuling begriff noch immer nicht, daß Caligu ihm eine allerletzte Chance gab, zu verschwinden und sich nie wieder blicken zu lassen.

Er sah ihn an – ein Riese von Gestalt, unter dessen gelbbrauner Haut die Muskelstränge spielten.

„Du warst längst aus dem Gefecht, als das passierte. Dein Schiff hatte der Seewolf in Brand geschossen. Du hättest diesen Burschen also auf gar keinen Fall erwischt.“

Caligu stand wie erstarrt. Zum erstenmal sah er diesen Mann mit vollem Bewußtsein, und tausend Gedanken schossen durch seinen Kopf. Wer war dieser Kerl? Was gab ihm die Dreistigkeit, ihm, Caligu, hier vor seinen Männern solche Dinge zu sagen?

Caligus Rechte mit dem Messer zuckte hoch, aber noch einmal beherrschte er sich.

Caligu trat noch näher an den ihm inzwischen unheimlichen Fremden heran.

„Wer bist du?“ fragte er, und wieder klang seine Stimme gefährlich leise. „Gehörst du zu meinen Männern? Wie kommst du hierher?“

Der Hüne mit der gelbbraunen Haut blickte den Piraten gelassen an.

„Ich gehöre noch nicht zu euch, doch vielleicht habe ich Lust, in deine Crew einzutreten, Caligu“, erwiderte er. „Aber erst wollte ich mich mal umsehen auf Tortuga, und was ich gesehen habe, gefällt mir ganz gut. Auch von dir habe ich schon eine Menge gehört, vielleicht bist du der richtige Mann für das, was ich zu bieten habe!“

Caligu ließ unwillkürlich das Messer sinken, und auch Maria Juanita trat einen Schritt näher.

„Zu bieten? Mir? Los, ’raus mit der Sprache, oder du verläßt die Grotte nicht mehr lebend!“

Der Fremde grinste geringschätzig.

„Du nimmst das Maul schon wieder zu voll, Caligu – paß mal auf!“

Mit einer blitzschnellen Bewegung hatte er dem völlig überraschten Piraten das Entermesser entrissen und es ihm mit der Spitze an den Hals gesetzt.

Caligu stand stocksteif, denn er wußte plötzlich, was für ein gefährlicher Bursche dieser Fremde war.

„Bei der geringsten Bewegung stoße ich zu, Caligu“, sagte er drohend. „Mit mir kannst du nicht so umspringen wie mit deinen Kerlen, merk dir das!“

Caligu wich alles Blut aus den dunklen Wangen, sein Gesicht nahm eine graue Farbe an. Aber nicht vor Angst – der Pirat kannte dieses Wort gar nicht, sondern vor Wut und Haß. Er wußte nur eins, daß er diese Schlappe nicht auf sich sitzen lassen durfte, oder mit seiner Herrschaft auf Tortuga war es ein für allemal vorbei.

Und wieder bezwang er seine Wut.

„Nimm das Messer weg“, erklärte er. „Laß uns vernünftig miteinander reden. Was hast du mir zu sagen?“

Der Fremde blickte Caligu mißtrauisch an. Die plötzliche Nachgiebigkeit des Piraten ließ ihn stutzig werden. Aber dann überzog wieder jenes geringschätzige Grinsen sein Gesicht, für das allein schon Caligu ihn kaltblütig umgebracht hätte.

Der Fremde nahm das Messer vom Hals des Piraten, aber er hielt es so, daß er dennoch jeden Augenblick zustoßen konnte.

„Ich gehörte früher zur Mannschaft Siri-Tongs, der Roten Korsarin“, sagte er dann. „Ich weiß alles, was passiert ist. Damals wollte ich dich umbringen dafür, was du mit ihr getan hast, Caligu. Aber ich habe es mir anders überlegt. Es ist besser, ich schlage mich auf eure Seite, denn Siri-Tong wird früher oder später von deiner Hand sterben, ihre Tage sind gezählt. Schade, daß ich niemals jenen geheimen Schlupfwinkel kennengelernt habe, von dem die anderen Kerle der Crew häufig sprachen. Ich weiß nicht einmal, wo er liegt, es war für mich als neuen Mann an Bord unmöglich, darüber etwas in Erfahrung zu bringen. Aber ich sage dir, Caligu, dieses Weibsbild hortet dort Schätze, auch wenn es ein dunkles Geheimnis um diese Insel zu geben scheint, in deren Hafen kein normaler Sterblicher einzulaufen vermag. Sie muß mit dem Teufel im Bunde sein, denn ich hörte einen der Männer sagen, daß nur sie selbst das Ruder führt, wenn die wilden Wasser der Hölle das Schiff durch das riesige Felsentor reißen!“

Caligu hörte dem Fremden verständnislos zu. Er wußte einfach nicht, wovon dieser Kerl dort faselte. Er kannte die Karibik und alle ihre Inseln genau, aber von einer solchen Insel hatte er noch nie etwas gehört.

Doch der Fremde ließ ihm keine Zeit zu weiteren Überlegungen.

„Aber nicht das war es, was ich dir berichten wollte, Caligu. Ich wüßte Beute für dich und deine Männer. Ein spanisches Schiff, mit Gold und Silber beladen, das durch die Windward Passage nach Norden segelt und in den nächsten Tagen in diesen Gewässern aufkreuzen wird. Siri-Tong wußte davon, und sie wird versuchen, es sich zu holen. Du kannst dann zwei Sachen gleichzeitig erledigen: Siri-Tong und den Spanier.“

Caligu hatte aufmerksam zugehört.

„Warum hast du Siri-Tong verlassen?“ fragte er, während sich seine Gedanken überschlugen.

„Sie hat mich auspeitschen lassen, weil ich das von ihr wollte, was du dir genommen hast. Und ich habe noch Glück gehabt, normalerweise wäre ich dafür gehängt worden.“

Caligu starrte den Fremden immer verständnisloser an. Dieser Kerl mußte ein Narr sein, ausgerechnet ihm das alles zu erzählen. Aber gerade, weil er es tat, mußte es noch einen gefährlichen Haken bei der Sache geben.

„Und wie willst du mich jetzt daran hindern, den Spanier zu kapern und mit Siri-Tong abzurechnen?“ fragte er lauernd. „Auch ohne dich?“

Wieder überzog das Gesicht des Fremden ein spöttisches Lachen.

„Gar nicht, denn ich werde dir jetzt noch etwas sagen: Diesem einen Schiff werden weitere folgen. Ich kenne den Hafen, aus dem sie auslaufen und den Kurs, den sie segeln werden. Du kannst mit einem Schlage ein reicher Mann werden, aber ein Viertel der Beute gehört mir. Nur wenn du diese Bedingungen erfüllst, werde ich dir verraten, wo du die anderen Schiffe findest. Ich weiß, daß du eine Galeone und zwei Karavellen hast, dazu Mannschaften, die sich vor dem Teufel nicht fürchten. Du könntest es schaffen, jetzt kommt es allein auf dich an.“

In Caligus Augen war bei den letzten Worten des Fremden ein begehrliches Funkeln getreten. Aber dann dachte er wieder daran, wie dieser Kerl ihn vor seinen Leuten gedemütigt hatte – nein, das schrie nach sofortiger Vergeltung. Solche Schmach konnte nur mit Blut abgewaschen werden. Beute hin – Beute her. Außerdem würde er das eine Schiff kapern. Hatte er es erst, dann würden ihm die Spanier schon ein Liedchen davon singen, von wo aus und auf welchem Kurs die anderen Schiffe segeln würden.

 

Caligu hatte seinen Entschluß gefaßt. Dieser gelbhäutige Affe dort war ein Narr, und er würde für seine Frechheit büßen.

Genau in diesem Augenblick registrierte Caligu den Blick, den ihm Maria Juanita zuwarf, und das Murren, das von seinen Männern zu ihm herüberdrang.

Caligu handelte blitzschnell. Aus dem Stand warf er sich plötzlich mit einer wilden Drehung zur Seite, dabei schlug er gleichzeitig mit der Linken zu. Der Schlag, der den Fremden traf, noch während seine Rechte mit dem Entermesser nach vorn zuckte, war von furchtbarer Wucht, denn Caligu hatte ihn aus der Drehung seines bärenstarken Körpers abgefeuert. Es war auch nicht das erstemal, daß er mit diesem Schlag einen Gegner von den Beinen holte.

Der Schlag fegte den Fremden zur Seite, er strauchelte, stürzte, und dabei entglitt ihm das Entermesser Caligus.

Der Pirat warf sich mit einem federnden Sprung nach vorn, packte das Messer, riß es vom Boden hoch und stieß es dem Fremden mit einer gedankenschnellen Bewegung in den Leib.

Der Hüne mit der gelbbraunen Haut brüllte auf, aber Caligu hatte die Klinge seines Entermessers tief in die Bohlen des Fußbodens der Grotte gerammt und seinen Gegner auf diese Weise am Boden festgenagelt.

Der Fremde schrie, verzweifelt schnellte er die Arme hoch, die Hände griffen nach dem Entermesser, aber Caligu war schneller. Er packte das Entermesser und hielt es erbarmungslos fest.

„So verreckt jeder, der es wagt, Caligu zu beleidigen!“ brüllte er in die Grotte. „Hat noch jemand Lust, mit mir Streit anzufangen? Er soll nur kommen, ich werde ihn auf die gleiche Weise zur Hölle schicken!“

Die Bewegungen des Fremden wurden schwächer. Aber seine dunklen Augen öffneten sich noch einmal.

„Ich verfluche dich, du Bastard! Du unterschätzt die Rote Korsarin, sie wird dich töten und ihre Schmach mit deinem Blut abwaschen, schade, daß ich dich ihr nicht mehr ans Messer liefern kann …“

Ein letztes Aufbäumen ging durch seinen gewaltigen Körper – und Caligu glotzte ihn an wie eine Erscheinung. Er hatte die letzten Worte des Fremden noch gerade verstanden. Aber dann ging der Zorn mit ihm durch. Er zuckte hoch, riß das Messer aus den Bohlen und packte den Toten. Allein mit der freien Linken wuchtete er ihn hoch, ließ sein Entermesser fallen und schleuderte den Fremden seinen Männern entgegen.

„Werft ihn den Haien zum Fraß vor!“ brüllte er, außer sich vor Wut. „Schafft ihn zur Totenrutsche und laßt euch erst wieder hier sehen, wenn die Haie ihn zerrissen haben!“

Gleich darauf packte er Juanita.

„Komm her, jetzt feiern wir ein Fest! Die Rote Korsarin will Caligu töten! Ho! Und dann schickt sie einen solchen Narren, um Caligu in ihre Falle zu locken? Sie wird sich wundern – sie wird sterben, viele Stunden lang und viele Tode! Sie wird um Gnade winseln, aber Caligus Ohren werden sie nicht hören! Her mit dir, Juanita! Zeig Caligu, was du kannst!“

Mit einem Ruck riß er ihr die Kleider vom Leib. Eins der Mädchen, das sich hinten bei den Männern befand, die immer noch den Toten in ihren Fäusten hielten und ihren Anführer anstarrten, kreischte auf und riß sich ebenfalls die Kleider vom Leib.

Eine wüste Orgie begann – und Juanita sträubte sich nicht. Sie hatte in der Neuen Welt weit Schlimmeres erlebt. Außerdem galt es, Caligu bei Laune zu halten, denn sie hatte bereits wieder einen Plan, zu dessen Ausführung sie ihn brauchte.

Die erste Sturmbö fegte über Tortuga und heulte durch den Hafen. Auch über der Schildkröteninsel hatte sich der Himmel bezogen. Und von Westen her drängten schwefliges Gelb und schwarze Wolken heran, die in Minutenschnelle die Sonne verfinsterten.

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