Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen

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GRÄFIN. Wie Sie denken können, nach der Alteration, die mich bei meinem Eintritt überfiel.

MAGISTER. Es tat mir herzlich leid; doch, hoff' ich, soll es von keinen Folgen sein. Überhaupt aber kann Ihnen schwerlich der Aufenthalt hier so bald angenehm werden, wenn Sie ihn mit dem vergleichen, den Sie vor kurzem genossen haben.

GRÄFIN. Es hat auch große Reize, wieder zu Hause bei den Seinigen zu wohnen.

MAGISTER. Wie oftmals hab' ich Sie um das Glück beneidet, gegenwärtig zu sein, als die größten Handlungen geschahen, die je die Welt gesehen hat, Zeuge zu sein des seligen Taumels, der eine große Nation in dem Augenblick ergriff, als sie sich zum erstenmal frei und von den Ketten entbunden fühlte, die sie so lange getragen hatte, daß diese schwere fremde Last gleichsam ein Glied ihres elenden, kranken Körpers geworden.

GRÄFIN. Ich habe wunderbare Begebenheiten gesehen, aber wenig Erfreuliches.

MAGISTER. Wenngleich nicht für die Sinne, doch für den Geist. Wer aus großen Absichten fehlgreift, handelt immer lobenswürdiger, als wer dasjenige tut, was nur kleinen Absichten gemäß ist. Man kann auf dem rechten Wege irren und auf dem falschen recht gehen – –

Vierter Auftritt

Die Vorigen. Luise.

Durch die Ankunft dieses vorzüglichen Frauenzimmers wird die Lebhaftigkeit des Gesprächs erst gemildert und sodann die Unterredung von dem Gegenstande gänzlich abgelenkt. Der Magister, der nun weiterhin kein Interesse findet, entfernt sich, und das Gespräch unter den beiden Frauenzimmern setzt sich fort, wie folgt.

GRÄFIN. Was macht mein Sohn? ich war eben im Begriff, zu ihm zu gehen.

LUISE. Er schläft recht ruhig, und ich hoffe, er wird bald wieder herumspringen und in kurzer Zeit keine Spur der Beschädigung mehr übrig sein.

GRÄFIN. Das Wetter ist gar zu übel, sonst ging ich in den Garten. Ich bin recht neugierig, zu sehen, wie alles gewachsen ist und wie der Wasserfall, wie die Brücke und die Felsenkluft sich jetzt ausnehmen.

LUISE. Es ist alles vortrefflich gewachsen; die Wildnisse, die Sie angelegt haben, scheinen natürlich zu sein, sie bezaubern jeden, der sie zum erstenmal sieht, und auch mir geben sie noch immer in einer stillen Stunde einen angenehmen Aufenthalt. Doch muß ich gestehen, daß ich in der Baumschule unter den fruchtbaren Bäumen lieber bin. Der Gedanke des Nutzens führt mich aus mir selbst heraus und gibt mir eine Fröhlichkeit, die ich sonst nicht empfinde. Ich kann säen, pfropfen, okulieren; und wenngleich mein Auge keine malerische Wirkung empfindet, so ist mir doch der Gedanke von Früchten höchst reizend, die einmal und wohl bald jemanden erquicken werden.

GRÄFIN. Ich schätze Ihre guten häuslichen Gesinnungen.

LUISE. Die einzigen, die sich für den Stand schicken, der ans Notwendige zu denken hat, dem wenig Willkür erlaubt ist.

GRÄFIN. Haben Sie den Antrag überlegt, den ich Ihnen in meinem letzten Briefe tat? können Sie sich entschließen, meiner Tochter Ihre Zeit zu widmen, als Freundin, als Gesellschafterin mit ihr zu leben?

LUISE. Ich habe kein Bedenken, gnädige Gräfin.

GRÄFIN. Ich hatte viel Bedenken, Ihnen den Antrag zu tun. Die wilde und unbändige Gemütsart meiner Tochter macht ihren Umgang unangenehm und oft sehr verdrießlich. So leicht mein Sohn zu behandeln ist, so schwer ist es meine Tochter.

LUISE. Dagegen ist ihr edles Herz, ihre Art, zu handeln, aller Achtung wert. Sie ist heftig, aber bald zu besänftigen, unbillig, aber gerecht, stolz, aber menschlich.

GRÄFIN. Hierin ist sie ihrem Vater – –

LUISE. Äußerst ähnlich. Auf eine sehr sonderbare Weise scheint die Natur in der Tochter den rauhen Vater, in dem Sohne die zärtliche Mutter wieder hervorgebracht zu haben.

GRÄFIN. Versuchen Sie, Luise, dieses wilde, aber edle Feuer zu dämpfen. Sie besitzen alle Tugenden, die ihr fehlen. In Ihrer Nähe, durch Ihr Beispiel wird sie gereizt werden, sich nach einem Muster zu bilden, das so liebenswürdig ist.

LUISE. Sie beschämen mich, gnädige Gräfin. Ich kenne an mir keine Tugend als die, daß ich mich bisher in mein Schicksal zu finden wußte, und selbst diese hat kein Verdienst mehr, seitdem Sie, gnädige Gräfin, so viel getan haben, um es zu erleichtern. Sie tun jetzt noch mehr, da Sie mich näher an sich heranziehen. Nach dem Tode meines Vaters und dem Umsturz meiner Familie habe ich vieles entbehren lernen, nur nicht gesitteten und verständigen Umgang.

GRÄFIN. Bei Ihrem Onkel müssen Sie von dieser Seite viel ausstehen.

LUISE. Es ist ein guter Mann; aber seine Einbildung macht ihn oft höchst albern, besonders seit der letzten Zeit, da jeder ein Recht zu haben glaubt, nicht nur über die großen Welthändel zu reden, sondern auch darin mitzuwirken.

GRÄFIN. Es geht ihm wie sehr vielen.

LUISE. Ich habe manchmal meine Bemerkungen im stillen darüber gemacht. Wer die Menschen nicht kennte, würde sie jetzt leicht kennen lernen. So viele nehmen sich der Sache der Freiheit, der allgemeinen Gleichheit an, nur um für sich eine Ausnahme zu machen, nur um zu wirken, es sei, auf welche Art es wolle.

GRÄFIN. Sie hätten nichts mehr erfahren können, und wenn Sie mit mir in Paris gewesen wären.

Fünfter Auftritt

Friederike. Der Baron. Die Vorigen.

FRIEDERIKE. Hier, liebe Mutter, ein Hase und zwei Feldhühner! Ich habe die drei Stücke geschossen, der Vetter hat immer gepudelt.

GRÄFIN. Du siehst wild aus, Friederike; wie du durchnäßt bist!

FRIEDERIKE das Wasser vom Hute abschwingend. Der erste glückliche Morgen, den ich seit langer Zeit gehabt habe.

BARON. Sie jagt mich nun schon vier Stunden im Felde herum.

FRIEDERIKE. Es war eine rechte Lust. Gleich nach Tische wollen wir wieder hinaus.

GRÄFIN. Wenn du's so heftig treibst, wirst du es bald überdrüssig werden.

FRIEDERIKE. Geben Sie mir das Zeugnis, liebe Mama! wie oft hab' ich mich aus Paris wieder nach unsern Revieren gesehnt. Die Opern, die Schauspiele, die Gesellschaften, die Gastereien, die Spaziergänge, was ist das alles gegen einen einzigen vergnügten Tag auf der Jagd, unter freiem Himmel, auf unsern Bergen, wo wir eingeboren und eingewohnt sind. – Wir müssen ehester Tage hetzen, Vetter.

BARON. Sie werden noch warten müssen, die Frucht ist noch nicht aus dem Felde.

FRIEDERIKE. Was will das viel schaden? es ist fast von gar keiner Bedeutung. Sobald es ein bißchen auftrocknet, wollen wir hetzen.

GRÄFIN. Geh, zieh dich um! Ich vermute, daß wir zu Tische noch einen Gast haben, der sich nur kurze Zeit bei uns aufhalten kann.

BARON. Wird der Hofrat kommen?

GRÄFIN. Er versprach mir, heute wenigstens auf ein Stündchen einzusprechen. Er geht auf Kommission.

BARON. Es sind einige Unruhen im Lande.

GRÄFIN. Es wird nichts zu bedeuten haben, wenn man sich nur vernünftig gegen die Menschen beträgt und ihnen ihren wahren Vorteil zeigt.

FRIEDERIKE. Unruhen? Wer will Unruhen anfangen?

BARON. Mißvergnügte Bauern, die von ihren Herrschaften gedrückt werden und die leicht Anführer finden.

FRIEDERIKE. Die muß man auf den Kopf schießen. Sie macht Bewegungen mit der Flinte. Sehen Sie, gnädige Mama, wie mir der Magister die Flinte verwahrlost hat! Ich wollte sie doch mitnehmen, und da Sie es nicht erlaubten, wollte ich sie dem Jäger aufzuheben geben. Da bat mich der Graurock so inständig, sie ihm zu lassen: sie sei so leicht, sagt' er, so bequem, er wolle sie so gut halten, er wolle so oft auf die Jagd gehen. Ich ward ihm wirklich gut, weil er so oft auf die Jagd gehen wollte, und nun, sehen Sie, find' ich sie heute in der Gesindestube hinterm Ofen. Wie das aus sieht! sie wird in meinem Leben nicht wieder rein.

BARON. Er hatte die Zeit her mehr zu tun; er arbeitet mit an der allgemeinen Gleichheit, und da hält er wahrscheinlich die Hasen auch mit für seinesgleichen und scheut sich, ihnen was zuleide zu tun.

GRÄFIN. Zieht euch an, Kinder, damit wir nicht zu warten brauchen. Sobald der Hofrat kommt, wollen wir essen. Ab.

FRIEDERIKE ihre Flinte besehend. Ich habe die französische Revolution schon so oft verwünscht, und jetzt tu' ich's doppelt und dreifach. Wie kann mir nun der Schaden ersetzt werden, daß meine Flinte rostig ist?

Dritter Aufzug

Erster Auftritt

Saal im Schlosse.

Gräfin. Hofrat.

GRÄFIN. Ich geb' es Ihnen recht aufs Gewissen, teurer Freund. Denken Sie nach, wie wir diesem unangenehmen Prozesse ein Ende machen. Ihre große Kenntnis der Gesetze, Ihr Verstand und Ihre Menschlichkeit helfen gewiß ein Mittel finden, wie wir aus dieser widerlichen Sache scheiden können. Ich habe es sonst leichter genommen, wenn man unrecht hatte und im Besitz war: je nun, dacht' ich, es geht ja wohl so hin, und wer hat, ist am besten dran. Seitdem ich aber bemerkt habe, wie sich Unbilligkeit von Geschlecht zu Geschlecht so leicht aufhäuft, wie großmütige Handlungen meistenteils nur persönlich sind und der Eigennutz allein gleichsam erblich wird; seitdem ich mit Augen gesehen habe, daß die menschliche Natur auf einen unglaublichen Grad gedrückt und erniedrigt, aber nicht unterdrückt und vernichtet werden kann: so habe ich mir fest vorgenommen, jede einzelne Handlung, die mir unbillig scheint, selbst streng zu vermeiden und unter den Meinigen, in Gesellschaft, bei Hof, in der Stadt über solche Handlungen meine Meinung laut zu sagen. Zu keiner Ungerechtigkeit will ich mehr schweigen, keine Kleinheit unter einem großen Scheine ertragen, und wenn ich auch unter dem verhaßten Namen einer Demokratin verschrien werden sollte.

HOFRAT. Es ist schön, gnädige Gräfin, und ich freue mich, Sie wiederzufinden, wie ich Abschied von Ihnen genommen, und noch ausgebildeter. Sie waren eine Schülerin der großen Männer, die uns durch ihre Schriften in Freiheit gesetzt haben, und nun finde ich in Ihnen einen Zögling der großen Begebenheiten, die uns einen lebendigen Begriff geben von allem, was der wohldenkende Staatsbürger wünschen und verabscheuen muß. Es ziemt Ihnen, Ihrem eignen Stande Widerpart zu halten. Ein jeder kann nur seinen eignen Stand beurteilen und tadeln. Aller Tadel heraufwärts oder hinabwärts ist mit Nebenbegriffen und Kleinheiten vermischt, man kann nur durch seinesgleichen gerichtet werden. Aber eben deswegen, weil ich ein Bürger bin, der es zu bleiben denkt, der das große Gewicht des höheren Standes im Staate anerkennt und zu schätzen Ursache hat, bin ich auch unversöhnlich gegen die kleinlichen neidischen Neckereien, gegen den blinden Haß, der nur aus eigner Selbstigkeit erzeugt wird, prätentios Prätentionen bekämpft, sich über Formalitäten formalisiert und, ohne selbst Realität zu haben, da nur Schein sieht, wo er Glück und Folge sehen könnte. Wahrlich! wenn alle Vorzüge gelten sollen, Gesundheit, Schönheit, Jugend, Reichtum, Verstand, Talente, Klima, warum soll der Vorzug nicht auch irgendeine Art von Gültigkeit haben, daß ich von einer Reihe tapferer, bekannter, ehrenvoller Väter entsprungen bin! Das will ich sagen da, wo ich eine Stimme habe, und wenn man mir auch den verhaßten Namen eines Aristokraten zueignete.

 

Hier findet sich eine Lücke, welche wir durch Erzählung ausfüllen. Der trockne Ernst dieser Szene wird dadurch gemildert, daß der Hofrat seine Neigung zu Luisen bekennt, indem er sich bereit zeigt, ihr seine Hand zu geben. Ihre frühern Verhältnisse, vor dem Umsturz, den Luisens Familie erlitt, kommen zur Sprache, so wie die stillen Bemühungen des vorzüglichen Mannes, sich und zugleich Luisen eine Existenz zu verschaffen.

Eine Szene zwischen der Gräfin, Luisen und dem Hofrat gibt Gelegenheit, drei schöne Charaktere näher kennen zu lernen und uns für das, was wir in den nächsten Auftritten erdulden sollen, vorläufig einigermaßen zu entschädigen. Denn nun versammelt sich um den Teetisch, wo Luise einschenkt, nach und nach das ganze Personal des Stücks, so daß zuletzt auch die Bauern eingeführt werden. Da man sich nun nicht enthalten kann, von Politik zu sprechen, so tut der Baron, welcher Leichtsinn, Frevel und Spott nicht verbergen kann, den Vorschlag, sogleich eine Nationalversammlung vorzustellen. Der Hofrat wird zum Präsidenten erwählt, und die Charaktere der Mitspielenden, wie man sie schon kennt, entwickeln sich freier und heftiger. Die Gräfin, das Söhnchen mit verbundenem Kopfe neben sich, stellt die Fürstin vor, deren Ansehen geschmälert werden soll und die aus eigenen liberalen Gesinnungen nachzugeben geneigt ist. Der Hofrat, verständig und gemäßigt, sucht ein Gleichgewicht zu erhalten, ein Bemühen, das jeden Augenblick schwieriger wird. Der Baron spielt die Rolle des Edelmanns, der von seinem Stande abfällt und zum Volke übergeht. Durch seine schelmische Verstellung werden die andern gelockt, ihr Innerstes hervorzukehren. Auch Herzensangelegenheiten mischen sich mit ins Spiel. Der Baron verfehlt nicht, Karolinen die schmeichelhaftesten Sachen zu sagen, die sie ihren schönsten Gunsten auslegen kann. An der Heftigkeit, womit Jakob die Gerechtsame des gräflichen Hauses verteidigt, läßt sich eine stille, unbewußte Neigung zu der jungen Gräfin nicht verkennen. Luise sieht in allem diesen nur die Erschütterung des häuslichen Glücks, dem sie sich so nahe glaubt, und wenn die Bauern mitunter schwerfällig werden, so erheitert Bremenfeld die Szene durch seinen Dünkel, durch Geschichten und guten Humor. Der Magister, wie wir ihn schon kennen, überschreitet vollkommen die Grenze, und da der Baron immerfort hetzt, läuft es endlich auf Persönlichkeiten hinaus, und als nun vollends die Brausche des Erbgrafen als unbedeutend, ja lächerlich behandelt wird, so bricht die Gräfin los, und die Sache kommt so weit, daß dem Magister aufgekündigt wird. Der Baron verschlimmert das Übel, und er bedient sich, da der Lärm immer stärker wird, der Gelegenheit, mehr in Karolinen zu dringen und sie zu einer heimlichen Zusammenkunft für die Nacht zu bereden. Bei allem diesen zeigt sich die junge Gräfin entschieden heftig, parteiisch auf ihren Stand, hartnäckig auf ihren Besitz, welche Härte jedoch durch ein unbefangenes, rein natürliches und im tiefsten Grunde rechtliches weibliches Wesen bis zur Liebenswürdigkeit gemildert wird. Und so läßt sich einsehen, daß der Akt ziemlich tumultuarisch und, insofern es der bedenkliche Gegenstand erlaubt, für das Gefühl nicht ganz unerträglich geendigt wird. Vielleicht bedauert man, daß der Verfasser die Schwierigkeiten einer solchen Szene nicht zur rechten Zeit zu überwinden bemüht war.

Vierter Aufzug

Erster Auftritt

Bremens Wohnung.

Breme. Martin. Albert.

BREME. Sind eure Leute alle an ihren Posten? Habt ihr sie wohl unterrichtet? Sind sie gutes Muts?

MARTIN. Sobald Ihr mit der Glocke stürmt, werden sie alle da sein.

BREME. So ist's recht! Wenn im Schlosse die Lichter alle aus sind, wenn es Mitternacht ist, soll es gleich angehen. Unser Glück ist's, daß der Hofrat fort geht. Ich fürchtete sehr, er möchte bleiben und uns den ganzen Spaß verderben.

ALBERT. Ich fürchte so noch immer, es geht nicht gut ab. Es ist mir schon zum voraus bange, die Glocke zu hören.

BREME. Seid nur ruhig. Habt ihr nicht heute selbst gehört, wie übel es jetzt mit den vornehmen Leuten steht? Habt ihr gehört, was wir der Gräfin alles unters Gesicht gesagt haben?

MARTIN. Es war ja aber nur zum Spaß.

ALBERT. Es war schon zum Spaße grob genug.

BREME. Habt ihr gehört, wie ich eure Sache zu verfechten weiß? wenn's Ernst gilt, will ich so vor den Kaiser treten. Und was sagt ihr zum Herrn Magister, hat sich der nicht auch wacker gehalten?

ALBERT. Sie haben's Euch aber auch brav abgegeben. Ich dachte zuletzt, es würde Schläge setzen; und unsere junge gnädige Comtesse – war's doch, als wenn ihr seliger Herr Vater leibhaftig da stünde.

BREME. Laßt mir das gnädige weg, es wird sich bald nichts mehr zu gnädigen haben. Seht, hier hab' ich die Briefe schon fertig, die schick' ich in die benachbarten Gerichtsdörfer. Sobald's hier losgeht, sollen die auch stürmen und rebellieren und auch ihre Nachbarn auffordern.

MARTIN. Das kann was werden.

BREME. Freilich! Und alsdann Ehre, dem Ehre gebührt! euch, meine lieben Kinder. Ihr werdet als die Befreier des Landes angesehn.

MARTIN. Ihr, Herr Breme, werdet das größte Lob davon tragen.

BREME. Nein, das gehört sich nicht; es muß jetzt alles gemein sein.

MARTIN. Indessen habt Ihr's doch angefangen.

BREME. Gebt mir die Hände, brave Männer! So standen einst die drei großen Schweizer, Wilhelm Tell, Walther Staubbach, Fürst von Uri, die standen auf dem Grütliberg beisammen und schwuren den Tyrannen ewigen Haß und ihren Mitgenossen ewige Freiheit. Wie oft hat man diese wackern Helden gemalt und in Kupfer gestochen! Auch uns wird diese Ehre widerfahren. In dieser Positur werden wir auf die Nachwelt kommen.

MARTIN. Wie Ihr Euch das alles so denken könnt.

ALBERT. Ich fürchte nur, daß wir im Karrn eine böse Figur machen können. Horcht! es klingelt jemand. Mir zittert das Herz im Leibe, wenn sich nur was bewegt.

BREME. Schämt Euch! ich will aufziehen. Es wird der Magister sein, ich habe ihn herüber bestellt. Die Gräfin hat ihm den Dienst aufgesagt; die Konteß hat ihn sehr beleidigt. Wir werden ihn leicht in unsere Partei ziehen. Wenn wir einen Geistlichen unter uns haben, sind wir unserer Sache desto gewisser.

MARTIN. Einen Geistlichen und Gelehrten.

BREME. Was die Gelehrsamkeit betrifft, geb' ich ihm nichts nach, und besonders hat er weit weniger politische Lektüre als ich. Alle die Chroniken, die ich von meinem seligen Großvater geerbt habe, waren in meiner Jugend schon durchgelesen, und das Theatrum Europäum kenn' ich in- und auswendig. Wer recht versteht, was geschehen ist, der weiß auch, was geschieht und geschehen wird. Es ist immer einerlei; es passiert in der Welt nichts Neues. Der Magister kommt. Halt! wir müssen ihn feierlich empfangen. Er muß Respekt vor uns kriegen. Wir stellen jetzt die Repräsentanten der ganzen Nation gleichsam in Nuce vor. Setzt euch.

Er setzt drei Stühle auf die eine Seite des Theaters, auf die andere einen Stuhl. Die beiden Schulzen setzen sich, und wie der Magister hereintritt, setzt sich Breme geschwind in ihre Mitte und nimmt ein gravitätisches Wesen an.

Zweiter Auftritt

Die Vorigen. Der Magister.

MAGISTER. Guten Morgen, Herr Breme. Was gibt's Neues? Sie wollen mir etwas Wichtiges vertrauen, sagten Sie.

BREME. Etwas sehr Wichtiges, gewiß! Setzen Sie sich. Magister will den einzelnen Stuhl nehmen und zu ihnen rücken. Nein, bleiben Sie dort, sitzen Sie dort nieder! Wir wissen noch nicht, ob Sie an unserer Seite niedersitzen wollen.

MAGISTER. Eine wunderbare Vorbereitung.

BREME. Sie sind ein Mann, ein freigeborner, ein freidenkender, ein geistlicher, ein ehrwürdiger Mann. Sie sind ehrwürdig, weil Sie geistlich sind, und noch ehrwürdiger, weil Sie frei sind. Sie sind frei, weil Sie edel sind, und sind schätzbar, weil Sie frei sind. Und nun! Was haben wir erleben müssen! Wir sahen Sie verachtet, wir sahen Sie beleidigt; aber wir haben zugleich Ihren edlen Zorn gesehen, einen edlen Zorn, aber ohne Wirkung. Glauben Sie, daß wir Ihre Freunde sind, so glauben Sie auch, daß sich unser Herz im Busen umkehrt, wenn wir Sie verkehrt behandelt sehen. Ein edler Mann und verhöhnt, ein freier Mann und bedroht, ein geistlicher Mann und verachtet, ein treuer Diener und verstoßen! Zwar verhöhnt von Leuten, die selbst Hohn verdienen, verachtet von Menschen, die keiner Achtung wert sind, verstoßen von Undankbaren, deren Wohltaten man nicht genießen möchte, bedroht von einem Kinde, von einem Mädchen – das scheint freilich nicht viel zu bedeuten; aber wenn Ihr bedenkt, daß dieses Mädchen kein Mädchen, sondern ein eingefleischter Satan ist, daß man sie Legion nennen sollte – denn es sind viele tausend aristokratische Geister in sie gefahren –, so seht Ihr deutlich, was uns von allen Aristokraten bevorsteht, Ihr seht es, und wenn Ihr klug seid, so nehmt Ihr Eure Maßregeln.

MAGISTER. Wozu soll diese sonderbare Rede? wohin wird Euch der seltsame Eingang führen? Sagt Ihr das, um meinen Zorn gegen diese verdammte Brut noch mehr zu erhitzen, um meine aufs Äußerste getriebene Empfindlichkeit noch mehr zu reizen? schweigt stille! wahrhaftig, ich wüßte nicht, wozu mein gekränktes Herz jetzt nicht alles fähig wäre. Was! nach so vielen Diensten, nach so vielen Aufopferungen mir so zu begegnen, mich vor die Türe zu setzen! und warum? wegen einer elenden Beule, wegen einer gequetschten Nase, mit der so viele hundert Kinder lustig auf und davon springen. Aber es kommt eben recht, eben recht! Sie wissen nicht, die Großen, wen sie in uns beleidigen, die wir Zungen, die wir Federn haben.

BREME. Dieser edle Zorn ergetzt mich, und so frage ich Euch denn im Namen aller edlen, freigebornen, der Freiheit werten Menschen, ob Ihr diese Zunge, diese Feder von nun an dem Dienste der Freiheit völlig widmen wollt?

MAGISTER. O ja, ich will, ich werde!

BREME. Daß Ihr keine Gelegenheit versäumen wollt, zu dem edlen Zwecke mitzuwirken, nach dem jetzt die ganze Menschheit emporstrebt?

MAGISTER. Ich gebe Euch mein Wort.

BREME. So gebt mir Eure Hand, mir und diesen Männern.

MAGISTER. Einem jeden; aber was haben diese armen Leute, die wie Sklaven behandelt werden, mit der Freiheit zu tun?

BREME. Sie sind nur noch eine Spanne davon, nur so breit, als die Schwelle des Gefängnisses ist, an dessen eröffneter Türe sie stehen.

MAGISTER. Wie?

BREME. Euer Ehrenwort, daß Ihr schweigen werdet!

MAGISTER. Ich gebe es.

BREME. Der Augenblick ist nahe, die Gemeinden sind versammelt, in einer Stunde sind sie hier. Wir überfallen das Schloß, nötigen die Gräfin zur Unterschrift des Rezesses und zu einer eidlichen Versicherung, daß künftighin alle drückenden Lasten aufgehoben sein sollen.

MAGISTER. Ich erstaune!

BREME. Da habe ich nur noch ein Bedenken wegen des Eids. Die vornehmen Leute glauben nichts mehr. Sie wird einen Eid schwören und sich davon entbinden lassen. Man wird ihr beweisen, daß ein gezwungener Eid nichts gelte.

MAGISTER. Dafür will ich Rat schaffen. Diese Menschen, die sich über alles wegsetzen, ihresgleichen behandeln wie das Vieh, ohne Liebe, ohne Mitleid, ohne Furcht frech in den Tag hineinleben, solange sie mit Menschen zu tun haben, die sie nicht schätzen, solange sie von einem Gott sprechen, den sie nicht erkennen: dieses übermütige Geschlecht kann sich doch von dem geheimen Schauer nicht losmachen, der alle lebendigen Kräfte der Natur durchschwebt, kann die Verbindung sich nicht leugnen, in der Worte und Wirkung, Tat und Folge ewig miteinander bleiben. Laßt sie einen feierlichen Eid tun.

 

MARTIN. Sie soll in der Kirche schwören.

BREME. Nein, unter freiem Himmel.

MAGISTER. Das ist nichts. Diese feierlichen Szenen rühren nur die Einbildungskraft. Ich will es euch anders lehren. Umgebt sie, laßt sie in eurer Mitte die Hand auf ihres Sohnes Haupt legen, bei diesem geliebten Haupte ihr Versprechen beteuern und alles Übel, was einen Menschen betreffen kann, auf dieses kleine Gefäß herabrufen, wenn sie unter irgendeinem Vorwande ihr Versprechen zurücknähme oder zugäbe, daß es vereitelt würde.

BREME. Herrlich!

MARTIN. Schrecklich!

ALBERT. Entsetzlich!

MAGISTER. Glaubt mir, sie ist auf ewig gebunden.

BREME. Ihr sollt zu ihr in den Kreis treten und ihr das Gewissen schärfen.

MAGISTER. An allem, was ihr tun wollt, nehm' ich Anteil; nur sagt mir, wie wird man es in der Residenz ansehen? Wenn sie euch Dragoner schicken, so seid ihr alle gleich verloren.

MARTIN. Da weiß Herr Breme schon Rat.

ALBERT. Ja, was das für ein Kopf ist!

MAGISTER. Klärt mich auf.

BREME. Ja, ja, das ist's nun eben, was man hinter Hermann Breme dem Zweiten nicht sucht. Er hat Konnexionen, Verbindungen da, wo man glaubt, er habe nur Kunden. So viel kann ich euch nur sagen, und es wissen's diese Leute, daß der Fürst selbst eine Revolution wünscht.

MAGISTER. Der Fürst?

BREME. Er hat die Gesinnungen Friedrichs und Josephs, der beiden Monarchen, welche alle wahren Demokraten als ihre Heiligen anbeten sollten. Er ist erzürnt, zu sehen, wie der Bürger- und Bauernstand unterm Druck des Adels seufzt, und leider kann er selbst nicht wirken, da er von lauter Aristokraten umgeben ist. Haben wir uns nur aber erst legitimiert, dann setzt er sich an unsere Spitze, und seine Truppen sind zu unsern Diensten, und Breme und alle braven Männer sind an seiner Seite.

MAGISTER. Wie habt Ihr das alles erforscht und getan und habt Euch nichts merken lassen?

BREME. Man muß im stillen viel tun, um die Welt zu überraschen. Er geht ans Fenster. Wenn nur erst der Hofrat fort wäre, dann solltet ihr Wunder sehen.

MARTIN auf Bremen deutend. Nicht wahr, das ist ein Mann!

ALBERT. Er kann einem recht Herz machen.

BREME. Und, lieber Magister, die Verdienste, die Ihr Euch heute nacht erwerbt, dürfen nicht unbelohnt bleiben. Wir arbeiten heute fürs ganze Vaterland. Von unserm Dorfe wird die Sonne der Freiheit aufgehen. Wer hätte das gedacht!

MAGISTER. Befürchtet Ihr keinen Widerstand?

BREME. Dafür ist schon gesorgt. Der Amtmann und die Gerichtsdiener werden gleich gefangen genommen. Der Hofrat geht weg, die paar Bedienten wollen nichts sagen, und der Baron ist nur der einzige Mann im Schlosse; den locke ich durch meine Tochter herüber ins Haus und sperre ihn ein, bis alles vorbei ist.

MARTIN. Wohl ausgedacht.

MAGISTER. Ich verwundere mich über Eure Klugheit.

BREME. Nu, nu! wenn es Gelegenheit gibt, sie zu zeigen, sollt Ihr noch mehr sehen, besonders was die auswärtigen Angelegenheiten betrifft. Glaubt mir, es geht nichts über einen guten Chirurgus, besonders wenn er dabei ein geschickter Barbier ist. Das unverständige Volk spricht viel von Bartkratzern und bedenkt nicht, wie viel dazu gehört jemanden zu barbieren, eben daß es nicht kratze. Glaubt mir nur, es wird zu nichts mehr Politik erfordert, als den Leuten den Bart zu putzen, ihnen diese garstigen barbarischen Exkremente der Natur, diese Barthaare, womit sie das männliche Kinn täglich verunreinigt, hinweg zu nehmen und den Mann dadurch an Gestalt und Sitten einer glattwangigen Frau, einem zarten liebenswürdigen Jüngling ähnlich zu machen. Komme ich dereinst dazu, mein Leben und Meinungen aufzusetzen, so soll man über die Theorie der Barbierkunst erstaunen, aus der ich zugleich alle Lebens- und Klugheitsregeln herleiten will.

MAGISTER. Ihr seid ein originaler Kopf.

BREME. Ja, ja, das weiß ich wohl, und deswegen habe ich auch den Leuten verziehen, wenn sie mich oft nicht begreifen konnten und wenn sie, albern genug, glaubten mich zum besten zu haben. Aber ich will ihnen zeigen, daß, wer einen rechten Seifenschaum zu schlagen weiß, wer mit Leichtigkeit, Bequemlichkeit und Gewandtheit der Finger einzuseifen, den sprödesten Bart zahm zu machen versteht; wer da weiß, daß ein frisch abgezognes Messer ebenso gut rauft als ein stumpfes, wer mit dem Strich oder wider den Strich die Haare wegnimmt, als wären sie gar nicht dagewesen; wer dem warmen Wasser zum Abwaschen die gehörige Temperatur verleiht und selbst das Abtrocknen mit Gefälligkeit verrichtet und in seinem ganzen Benehmen etwas Zierliches darstellt – das ist kein gemeiner Mensch, sondern er muß alle Eigenschaften besitzen, die einem Minister Ehre machen.

ALBERT. Ja, ja, es ist ein Unterschied zwischen Barbier und Barbier.

MARTIN. Und Herr Breme besonders, das ist dir eine ordentliche Lust.

BREME. Nu, nu, es wird sich zeigen. Es ist bei der ganzen Kunst nichts Unbedeutendes. Die Art, den Schersack aus- und einzukramen, die Art, die Gerätschaften zu halten, ihn unterm Arm zu tragen – ihr sollt Wunder hören und sehen. Nun wird's aber Zeit, daß ich meine Tochter vorkriege. Ihr Leute, geht an eure Posten! Herr Magister, halten Sie sich in der Nähe.

MAGISTER. Ich gehe in den Gasthof, wohin ich gleich meine Sachen habe bringen lassen, als man mir im Schlosse übel begegnete.

BREME. Wenn Sie stürmen hören, so soll's Ihnen freistehen, sich zu uns zu schlagen oder abzuwarten, ob es uns glückt, woran ich gar nicht zweifle.

MAGISTER. Ich werde nicht fehlen.

BREME. So lebt denn wohl und gebt aufs Zeichen acht.

Dritter Auftritt

BREME allein. Wie würde mein sel'ger Großvater sich freuen, wenn er sehen könnte, wie gut ich mich in das neue Handwerk schicke. Glaubt doch der Magister schon, daß ich große Konnexionen bei Hofe habe. Da sieht man, was es tut, wenn man sich Kredit zu machen weiß. Nun muß Karoline kommen. Sie hat das Kind so lange gewartet, ihre Muhme wird sie ablösen. Da ist sie.

Vierter Auftritt

Breme. Karoline.

BREME. Wie befindet sich der junge Graf?

KAROLINE. Recht leidlich. Ich habe ihm Märchen erzählt, bis er eingeschlafen ist.

BREME. Was gibt's sonst im Schlosse?

KAROLINE. Nichts Merkwürdiges.

BREME. Der Hofrat ist noch nicht weg?

KAROLINE. Er scheint Anstalt zu machen. Sie binden eben den Mantelsack auf.

BREME. Hast du den Baron nicht gesehen?

KAROLINE. Nein, mein Vater.

BREME. Er hat dir heute in der Nationalversammlung allerlei in die Ohren geraunt?

KAROLINE. Ja, mein Vater.

BREME. Das eben nicht die ganze Nation, sondern meine Tochter Karoline betraf?

KAROLINE. Freilich, mein Vater.

BREME. Du hast dich doch klug gegen ihn zu benehmen gewußt?

KAROLINE. O gewiß.

BREME. Er hat wohl wieder stark in dich gedrungen?

KAROLINE. Wie Sie denken können.

BREME. Und du hast ihn abgewiesen?

KAROLINE. Wie sich's ziemt.

BREME. Wie ich es von meiner trefflichen Tochter erwarten darf, die ich aber auch mit Ehre und Glück überhäuft und für ihre Tugend reichlich belohnt sehen werde.

KAROLINE. Wenn Sie nur nicht vergebens hoffen.

BREME. Nein, meine Tochter, ich bin eben im Begriff, einen großen Anschlag auszuführen, wozu ich deine Hilfe brauche.