Spirituelle Anthropologie

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Joachim Stiller

Spirituelle Anthropologie

Philosophie und Anthropologie

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Der Mensch

Denken, Empfinden, Fühlen, Wollen

Neue Sinneslehre

Über die Seele

Impressum neobooks

Der Mensch
Das Vier-Stadien-Gesetz

Der theoretische Materialismus hatte seine Blüte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ab 1845 feierte er im Marxismus seinen Siegeszug, obwohl sich der Materialismus-Idealismus-Streit durch die ganze Philosophiegeschichte zieht. 1917 kam es dann zur russischen Revolution. Der Leninismus war geboren und führte den Marxismus in die Verzerrung. Die Sowjetunion hatte bis 1991 bestand. Der Staatssozialismus-Kommunismus und mit ihm der Marxismus waren gescheitert. Heute bekennt sich kaum noch jemand zum theoretischen Materialismus. Jeder Mensch enthält sowohl materialistische als auch idealistische Anteile, dessen ist sich im Grunde jeder bewusst. Viele sehen sich höchstens noch als Rationalisten oder kritische Rationalisten (ein Widerspruch in sich). Auch diese Episode wird vorübergehen. Der von Marx und Engels vertretene dialektische Materialismus besagt, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt. Unter „Sein“ verstand Marx noch das gesellschaftliche Sein. Jeder ist sozusagen ein Produkt seiner Umwelt. Dies führt dann zum historischen Materialismus, der zwangsläufig zum Kommunismus führen sollte. Allerdings ist diese Philosophie in ihrer Einseitigkeit gescheitert und historisch widerlegt. Der Materialismus ist nur eine Durchgangsstation, sozusagen das Nadelöhr, durch das die ganze Menschheitsentwicklung gehen muss. Die Entwicklung nahm in mystischen Zeitaltern ihren Ausgang. Diese endete mit dem Christusereignis und dem Mysterium von Golgatha. Dieses Ereignis stellt sozusagen die Zeitenwende dar. Mit dem Ende des Mittelalters im 14. Jh. verläuft die Entwicklung hin zu immer größerer Individuation. Es kommt zu einer Emanzipation des Ich und dem Eintritt in das Zeitalter der Bewusstseinsseele, der Neuzeit. Das „cogito ergo sum“ (Ich denke, also bin ich) des Descartes ist hierfür der hervorragenste Ausdruck gewesen. Dann mündet aber die Entwicklung im der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nun muss sich der Mensch aus diesem Tal befreien, denn sonst führt die Entwicklung in die geistige Erstarrung. Wir müssen bewusst durch das Nadelöhr des Materialismus schreiten. Alle alten Bewusstseinsinhalte müssen in gewandelter Form wieder aufgegriffen werden. Die folgende Darstellung dieser Entwicklung vom Mythus über den Materialismus bis hin zum „Sonnenstaat“ verdanke ich einer Idee von Joseph Beuys.


Der Materialismus und der Idealismus

Ist der Mensch eher Materialist oder Idealist? Diese zwei Lager scheinen sich unversöhnlich gegenüberzuliegen. Meines Erachtens ist der Mensch aber beides Er musste in der Menschheitsentwicklung erst durch den geistigen Totpunkt des Materialismus schreiten um dann nach der vollendeten Inkarnation des Ich zum Idealismus zurückzufinden. Auch Marx war Idealist. Er wollte schließlich die Welt verändern.

Wie kann aber nun das Verhältnis von Materialismus zum Idealismus bestimmt werden? Hier gibt und Marx selber den entscheidenden Hinweis. Er sagt: „ Das Sein bestimmt das Bewusstsein.“ Das ist die materialistische Position, die m. E. auch existentialistisch gedeutet werden kann. Die Idealisten hingegen sagen, dass das Bewusstsein das Sein bestimmt. Wer hat nun recht? Antwort: Beide! Es werden nur zwei Seiten ein und derselben Medaille betrachtet. Zuerst bestimmt das Sein das Bewusstsein. Dadurch entsteht individuelle geistige Freiheit. Dann bestimmt aber das Bewusstsein wiederum das Sein. Sein und Bewusstsein sind also dialektisch aufeinander Bezogen. Diese Synthese stellt den pluralistischen Standpunkt dar.

Es besteht also ein dialektisches Verhältnis zwischen Materialismus und Idealismus, zwischen Sein und Bewusstsein. Diese zwei Positionen müssen auf höherer Ebene dialektisch zusammengedacht werden. Dieser Gedanke ist nicht ganz neu, er stammt eigentlich von Ferdinand Lassalle.

Dasselbe dialektische Verhältnis besteht nun zwischen Erkennen (Denken) und Handeln. Auf der Seite des Erkennens bestimmt das Sein das Bewusstsein. Auf der Handlungsseite bestimmt aber das Bewusstsein das Sein. Dazwischen liegt die individuelle Geistige Freiheit des Menschen. Sie verbindet die beiden Seiten zu einer Einheit.

Erst dieses hier beschriebene dialektische Spiel macht den ganzen Menschen aus, den Anthropos, wie ich ihn nenne. Ich stelle ihn symbolisch durch den Buchstaben „A“ dar:


Der Mensch als Körper, Geist und Seele - Die Trichotomie des Menschen

Wenden wir uns nun der Frage zu: “Was ist eigentlich der Mensch seinem Wesen nach?“ Diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Philosophiegeschichte. Sie ist zu allen Zeiten ganz unterschiedlich thematisiert und beantwortet worden. In der Antike hatten die Menschen noch ein ganz unmittelbares Verständnis vom Menschen. Ihnen galt der Mensch als eine Dreiheit von Körper, Geist und Seele. Hierin können wir wieder ein wichtiges pluralistisches Prinzip erkennen. Man nannte diese Vorstellung im Mittelalter die Trichotomie (von trio, die Drei). Als ein Vertreter der Vorstellung vom Menschen als Körper, Geist und Seele kann Plotin (um 205-270) gelten. Er sagt, dass sich die Welt aus einem Schöpfergott ausgefaltet hat in eine geistige, dann in eine seelische und schließlich in eine physische Welt.

Die Vorstellung der Trichotomie fand ganz allgemein im frühen Christentum eine rege Verbreitung. Kirchenlehrer wie der Märtyrer Origenes (um 185 bis um 254) und Appolinaris, Bischof von Laodicea (gest. 390), vertraten die Trichotomie, bis es zu einer großen Zäsur kam, dem 8. ökomenischen Konzil von Konstantinopel (869).

8. ökomenische Konzil (869) bzw. das 4. Konzil von Konstantinopel

Im 9.Jh. war die Kirche zerstritten. Westliche und östliche Kirche standen sich gegenüber. Der Streit hatte sich am Heiligen Geist entzündet. Dieser sollte, so Photios, vom Vater ausgehen. Es hatten aber Vorstellungen im Westen Verbreitung gefunden, nach denen der Heilige Geist auch von Christus ausging. Über diesen Streit wurde das 8. ökomenische Konzil von Konstantinopel einberufen. Photios vertrat auch die Auffassung der Trichotomie. Es wurde nun auf dem Konzil statt der Trichotomie die Dichotomie festgelegt, also die Vorstellung des Menschenwesens als Körper und Seele. Die Trichotomie stützte sich auf die paulinische Lehre vom psychischen und pneumatischen Menschen, die bei den alten Christen zur Unterscheidung von Geist und Seele geführt hatte. Was aber war an dieser Auffassung falsch? Leider sind die Überlieferungen unvollständig. Photios soll gelehrt haben, dass der Mensch aus Leib, einer niederen und einer höheren Seele bestehe.

Photios soll dabei die Sündlosigkeit der höheren Seele (Geist) vertreten haben. Seine Lehre erscheint als eine deutliche Nachwirkung der älteren griechischen Anschauung, für die sich dann auch ganz selbstverständlich die Ablösung der höheren Seele vom Leib und der Aufstieg zu spiritueller Erfahrung ergab.

Für die Kirche jedenfalls stand fest, der Mensch habe nur eine Seele und sie verwarf die Trichotomie als Frevel. Dies stellte eine äußerst weitreichende Zäsur im Mittelalter dar. Sie sollte für die nächsten Jahrhunderte bestimmend werden. Alle kommenden Philosophen wie Thomas von Aquin (ca.1224-1274) lehrten nun die Dichotomie von Körper und Seele. Dies sollte sich erst im Barock wieder ändern. Die Konzilsbeschlüsse hatten weitreichende Folgen, unter anderem das Schisma, die Kirchenspaltung in Griechisch orthodoxe und römisch-katholische Kirche.

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