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Als Mariner im Krieg

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Und Bampf schrieb aus Konstanz am Bodensee: »Hier herrscht ein fabelhafter Betrieb. Lauter bekränzte und beflaggte Straßen, denn täglich kommen Truppen durch und zurück. Sogar 200 Bolschewisten haben wir hier gehabt, und in den nächsten Tagen werden aus der Schweiz amerikanische Offiziere erwartet.«

Von den Seeheimer Leuten waren schon viele ausgerissen, andere rüsteten sich zum Verschwinden. Sie besorgten sich gefälschte Urlaubsscheine oder ließen sich von einer Scheinbehörde reklamieren. Viele nahmen sich von dem ehemaligen kaiserlichen Gut kleine Andenken mit, Wolldecken, Handtücher, Pistolen. Von den Zurückbleibenden waren viele mit dem A.- und S.-Rat unzufrieden, besonders die Verheirateten und die Unteroffiziere. Von der Ordnung der ersten zwei Revolutionstage war wenig geblieben. Die Anarchie stand vor der Tür. Dazu erwarteten wir stündlich das Eintreffen englischer Schiffe. Ich fragte die Obmänner, was sie in diesem Falle zu tun gedächten. Sie waren sich selbst nicht darüber klar. Sollte man die rote Flagge hissen, oder sollte man die weiße hissen und sich ergeben?

Meine Seeheimer Soldaten benahmen sich nicht feindselig gegen mich, aber keiner hing mehr mit Herzlichkeit an mir. Alle feineren Gefühle stumpften ab in den bösen Tagen, in der öden Landschaft da draußen. Ich war dort ganz einsam, und mit der Dunkelheit wurde ich manchmal verzagt. In solcher Stimmung packte ich eines Nachts meinen Siegelring, die Uhr und ein paar andere, mir teure Andenken in einen Blechkasten und wanderte in die Heide und grub den Kasten fünf Handspannen weit vom Fußende des Fischergrabes in die Erde.

In Italien, in Schweden sollte es gären. Es hieß, auch in Holland machten sich demokratische Gelüste breit, und man sagte: »Dort wär‘s recht, dann käme der Kaiser vom Regen in die Traufe.« — Der Obmann Struhmann hielt wieder eine seiner verworrenen Ansprachen. Er stichelte gegen die Einjährigen. Er hetzte gegen die gemäßigten Sozialdemokraten, gegen Scheidemann und gegen den Kieler Gouverneur Noske. Die allgemeine Stimmung in Cuxhaven neigte gegen den Willen des Arbeiterrates schon mehr zur Mäßigung. Zum Beispiel stand in der Zeitung, die Rangabzeichen sollten wieder angelegt werden. Aber es waren große und tiefe Spaltungen im Lager der neuen Machthaber. So morsch und faul auch die alte Macht sich erwiesen hatte, so zeigte sich doch, daß der Umsturz, anfangs edel und groß, nun entartete und daß er aus den Schleusen, die er geöffnet hatte, nun überflutet wurde. Ordinäre Gelüste, egoistische Triebe waren entfesselt und wollten gleich herrschen. Den wahren bösen Buben hatte man nichts angetan. Patronenmüller war leicht entkommen. Es war alles zum Verzweifeln.

Wir verlosten die Seeheimer Batteriehühner und Kaninchen. Ich gewann den Hahn und brachte ihn zu Pampigs. Wir speisten noch einmal schön und sagten, es wird vielleicht das letztemal sein. Wir tranken Wein und viel Schnaps. Die im Hotel Prinz Adalbert internierten Offiziere fuhren nach Hamburg, um die Minensuchdivision nach Holland zu bringen. Ich lief ins Kasino, um Neuigkeiten zu sammeln, denn man ließ mich dort noch immer frei aus und ein gehen. Das Reichsmarineamt hatte den Dampfer »Senator H.« angefordert. Baier verweigerte aber die Ablieferung dieses Dampfers. — Wilhelmshaven und Warnemünde sollten von den Engländern besetzt sein.

Die Seeheimer teilten mir telefonisch mit: Es würden morgen zehn von ihnen in Marsch gesetzt, und zwar ausgesuchte Leute aus der Rheingegend, darunter auch mein Bursche Becker. Ich schlief bei Otto. Am folgenden Tag kam die übliche Gesellschaft dort zusammen, Reye brachte Kaffeebohnen, Behrend eine letzte Flasche Kognak mit. Wir sprachen über den radikalen Cuxhavener Soldatenrat, der sich offen der Reichsregierung widersetzte. Wir sprachen über das Mögliche und Unmögliche der Internationale und des Völkerbundes und über das Übergreifen der Revolution auf Holland, auf die Schweiz und auf Feindesland. Bei Mondschein radelte und rasselte ich nach Seeheim zurück. Frau Werner hetzte neben mir her. Bei jeder Telegrafenstange vermeinte ich Volkshurras zu hören. Um drei Uhr nachts sagte ich den Rheinleuten Lebewohl und drückte Becker besonders herzlich die Hand. Ich mußte ihm leider fünf Mark schuldig bleiben, denn ich hatte kein Geld mehr. Von nun an wusch ich mir meine Wäsche selbst, machte selber mein Bett, und es war recht trüb um mich. Aber ich mußte wohl dort noch aushalten, denn wo sollte ich hingehen. In den Städten ging es zweifellos noch schlimmer zu. Dort trafen jetzt die zurückflutenden Frontsoldaten ein und verstärkten die Nöte und Gefahren.

Über Nacht war bei uns eingebrochen. Die Diebe hatten Kleidersäcke aufgeschnitten und beraubt. — Zehn Mann wurden nach Neufrankreich entlassen. Man gab ihnen weder Löhnung noch Verpflegung mit, obwohl auf ihrem Fahrschein vermerkt wurde: »Bis zum dreißigsten November gelöhnt und verpflegt.« — Die Ahlhorner Leute waren geflohen. — Ich ging durch die verlassenen Mannschaftsbaracken. Verstreute Patronen und zerschnittene Patronentaschen lagen herum. Die Leute hatten sich die Lederteile zum Stiefelbesohlen mitgenommen. Viele Inventarstücke waren von den Matrosen an die Bauern verkauft. Ich hatte auch Brandmeier im Verdacht, an diesen Geschäften stark beteiligt zu sein. Der einzige, ganz Zuverlässige, war eigentlich nur noch Wedder. Er verschloß alles, was er herumliegen sah, und legte immer wieder neue Inventarverzeichnisse an, wobei sich sogar einmal ein Plus von eingeschleppten Gewehren herausstellte.

In Cuxhaven waren die Offiziere sehr verbittert, weil man ihnen alle Waffen konfisziert hatte. Denjenigen, die aus privaten Quellen noch Geld hatten, ging es aber durchaus nicht schlecht. Sie saßen in Zivilkleidern noch in der Stadthalle beim Wein, und von den Bauern kauften sie Lebensmittel auf. Manche machten Schiebergeschäfte. Vielleicht nahm ich es zu Unrecht Herrn Reye übel, daß er seiner Frau durch einen Eisenbahner eine Gans zuschickte, oder nahm es der Frau Prüter übel, daß sie alles aufkaufte, was ihr erreichbar war. Wir geldlosen Offiziere, also besonders die jüngeren Leutnants, waren natürlich übel dran. Wir bekamen nur Mannschaftskost, und auf manchen Schiffen mußten die Leutnants mittags mit dem Eßnapf zwischen den Leuten an der Kombüse anstehen. Mir persönlich halfen Thalmanns Gaben, von denen ich regelmäßig etwas für den Kreis Pampig mitnahm. Thalmanns hatten mir von Vieh- und Pferdediebstählen in der Nachbarschaft erzählt. Sie sagten: Es kämen viele Leute zu ihnen, die wollene Decken und andere Sachen anböten. Toni steckte mir heimlich ein Kuvert zu, das ich in einer Stunde der Not öffnen sollte.

18. November 1918. Was noch an Schiffen im Hafen lag, lief aus; denn bis heute mußten alle Schiffe abgeliefert werden. — Nachts veranstalteten die letzten Stammleute von Seeheim ein Biergelage. Ich mußte wohl oder übel einmal hinübergehen. Diese etwa acht Mann waren rohe oder verrohte Burschen. Man sah ihnen das Vergnügen an dem Drunter und Drüber an. Wohl freuten sie sich auch über die Aussicht, bald heimzukommen. Ich saß eine Weile bei ihnen in dem verrauchten Raum mit den farblosen Spinden und Bildern. Frischgewaschene Exerzierkragen hingen an Wäscheleinen. Die Gewehre lagen in einen Winkel hingeworfen. Viel dünnes Bier macht auch besoffen. Das Lied wurde gegrölt: »Die Gesänge der Matrosen, sie zerreißen mir das Herz.« Nachts hörte ich diese Leute in der Richtung Werner Wald wie wahnsinnig lärmen und schießen. Ich konnte ihnen allen nicht mehr trauen. Der Matrose Jäger hatte mir versprochen, eine Lampe zum Adjutanten Ahrens zu bringen, hielt aber nicht Wort. Es wurde in ordinärster Weise gestohlen. Öl, Benzin, Maschinenteile, Teller und Bestecke, alles. Kalt war es in Seeheim geworden. Mein Gärtchen lag verwüstet und versandet. Im Froschteich und im Hummelhaus kein Leben mehr. Auch das Terrarium war verödet. Irgendwelche Schufte hatten eine Glasscheibe zertrümmert. Ich fand überall in der Nähe tote oder verendende Schlangen und Eidechsen. — Wieder wurde ein Transport Matrosen für Berlin zusammengestellt. Ich bat einen der Abziehenden, den Maaten Paul Zimmermann, wohnhaft Danzig, Dinagasse 46 II, meinen Kleidersack nach Berlin mitzunehmen und gegen ein Entgelt bei Tante Michel abzuliefern. In den Sack hatte ich die entbehrlichsten Kleidungsstücke und Liberia Tut und meinen Säbel gepackt. Ferner gab ich dem Batterieschneider Heller aus Gelsenkirchen ein Postpaket zur Beförderung mit. Das war ebenfalls an Tante Michel gerichtet und enthielt schmutzige Wäsche und ein Kommißbrot. Damit es nicht unterschlagen würde, schrieb ich auf den Abschnitt: »Anbei die alten Bücher zurück. Was soll ich mit dem Dreck!« Meinen Rohrplattenkoffer mit den letzten Sachen und die geschnitzte Truhe fuhr ich nicht ohne Schwierigkeiten nach Cuxhaven zu Prüters. Thalmann half mir dabei.

Ich fragte bei John schriftlich an, ob er mir einen Rat geben könnte, was ich beginnen sollte. Offiziere dürften das Festungsgebiet nicht verlassen, und selbst, wenn es mir durch einen Trick gelänge zu entkommen, wüßte ich eigentlich nicht, wohin. Da Tante Michel jetzt in Berlin bei ihrem Bruder lebte, hätte ja ich auch in München kein rechtes Heim mehr, und meine Sachen wären überall verstreut. Ich fragte bezüglich meiner Zukunftsaussichten bei dem demokratischen Büro, Berlin, Kurfürstenstraße 107 und bei Herrn W. Jackson, Vorsitzender des Rates geistiger Arbeiter in Hamburg, an. Ich wollte wenigstens erst einmal nach Cuxhaven in die Nähe meiner Freunde ziehen. Ich mußte fort aus dem Seeheim, das ich so lange geliebt hatte. Ich konnte die Korruption der Soldaten, konnte meine unglückliche Einsamkeit dort nicht länger ertragen. Es fehlte mir auch an Kaffee und Alkohol. Ich riß in meinem nun schmucklosen Zimmer die rote Pfirsichhülle herab und rief dem Terrier zu: »Erwarten Sie mich dort!« und »Hierher!« und: »Wie denken Sie über Spanien?« Dann kauerte ich mich am Fußboden nieder und mußte so seufzen, daß Frau Werner hinzusprang und mir mit der Zunge wie tröstend übers Gesicht fuhr.

 

Heimkehr

Der Rest der Leute verteilte die letzten Bestände der Mannschaftskantine. Auch ich bekam meinen Teil, Briefpapier, Bleistifte, sehr viel Schuhschmiere und Lederfett. Das brachte ich Thalmanns als Abschiedsgeschenk. Ich grub den Blechkasten am Fischergrab wieder aus.

Ich trank den letzten Kaffee in meinem Zimmer und schrieb mit Kohle einen sentimentalen Vers an die Wand:

 
Fror mein Herz in dieser Einsamkeit,
Hab ich warm geschrieben und gelesen.
Und dann sah ich deutsche Kraft verwesen,
Dünger werden einer bessren Zeit.
 
 
Blinde trugen Schmach und Leid.
Euch nur, Wald und See, hab ich zu danken,
Die ihr, als die Menschen häßlich sanken,
Immer treu und gleich geblieben seid.
 

Leutnant a. D. Gustav Hester,

21. November 1918.

Dann fuhr ich auf dem Dienstrad davon. Ich trug den geliebten, verlotterten Pelzmantel, Rucksack, Handtasche, Spazierstock, und Frau Werner lief rührend übermütig nebenher. Im Hotel Adalbert, wo Pampigs und Möbus wohnten, bezog auch ich ein Zimmer. Nun war ich häufiger mit Reye, Clausen, Hühne, Behrend und anderen Offizieren zusammen, verbrachte auch viele Stunden bei Prüters. Man tauschte Neugehörtes oder Neuerlebtes aus. Der Rote Rat stand noch immer auf dem radikalen Boden der Spartakus-Gruppe. Die Verhältnisse komplizierten sich immer mehr. Sonderparteien, Sonderbehörden, Sondergruppen und Vereine bildeten sich. Ein plötzlich inszeniertes Massaker schien ebenso möglich wie ein kontrarevolutionäres Eingreifen des Militärs. Es hieß, der Kaiser gedächte nach Potsdam zurückzukehren. Und: Die unerbittlich rachelüsternen Franzosen schürten heimlich die bolschewistischen Bestrebungen in Deutschland, um Grund zum Einmarschieren zu haben. Post traf sehr unregelmäßig ein. Endlich erhielt ich einen Brief von Tante Michel. Sie lud mich gütig ein, nach Berlin zu ihr, beziehungsweise zu ihrem Bruder zu kommen.

Reye klagte mir seinen Kummer. Er hatte vor der Revolution der Kasinoverwaltung dreißigtausend Mark für Weinkäufe geliehen. Dieses Geld war nun futsch. Was ihn aber am meisten betrübte, war, daß man außer seinem Dolch auch einen Revolver beschlagnahmt hatte, der ein teures Andenken an seinen Bruder war. Ich bemühte mich sofort um die Wiederbeschaffung des Revolvers, ging deswegen mehrmals zum Roten Rat und setzte dem Ausschußmitglied Lieby so lange zu, bis er mich in den Kellerraum führte, wo man die konfiszierten Offizierswaffen aufgestapelt hatte. Reyes Revolver war nicht dabei. Es stellte sich heraus, daß der Vorsitzende des Roten Rates, Baier, der zu einer Generalsitzung nach Berlin gefahren war, gerade diesen Revolver mitgenommen hatte. Lieby schwur mir hoch und teuer, daß er mir den Revolver später zusenden würde.

Pampig kam froh erregt ins Zimmer gestürzt. Er und ein Teil der Offiziere dürften Cuxhaven verlassen. Aber Ottos Freude war verfrüht. Denn gleich darauf wurde berichtigt, daß nur Offiziere der Jahresklasse 1883 abreisen dürften. Das betraf nun mich. Ich war also frei. Aber es erforderte viele Abmeldungen, Formalitäten und Gänge, über deren Erledigung gewiß noch ein paar Tage vergingen. Da erhielt ich aus Hamburg zur rechten Zeit ein Telegramm: »Leutnant Hester Seeheim sind zur Nachrichten- und Presseabteilung des Hamburger Arbeiter- und Soldatenrates Mönkebergstraße 5 kommandiert Telegramm dient gleichzeitig als Urlaubsschein und Fahrtausweis Briefnummer 227.« Ob das nun vom Arbeiterrat oder vom Rat geistiger Arbeiter oder von John ausging, wußte ich nicht. Aber jedenfalls ebnete mir das den Weg. Ich telegrafierte mein morgiges Eintreffen an John und Reemis, erledigte alles Notwendige und setzte beim Zahlmeister Groth sogar noch die Auszahlung von 45 Mark durch. Dann ein Abschiedstrinken mit Pampigs, Reye und Möbus, und in aller Frühe fuhr ich mit Frau Werner nach Hamburg.

Das Telegramm war von Herrn Jackson und John erfunden und hatte nur den Zweck, mich aus Cuxhaven loszueisen. Frau John lachte, als ich in dem kurzen Pelzmantel, mit dem Spazierstock, Gepäck und Frau Werner am Strick bei ihr einrückte. Ich traf ein ganzes Heerlager von geflüchteten Offizieren, die dort alle freundschaftlichste Aufnahme und sogar noch eine ungewöhnlich gute Verpflegung fanden. John wußte von Alkoholquellen, und wir waren zwischen allgemeinen und persönlichen Erregungen sehr vergnügt. Die großen Reedereien und Kaufmannshäuser erhofften — es hieß von manchen »betrieben« — das baldige Einrücken der Engländer, weil man davon Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erwartete.

Ich suchte noch einmal Hischemöller, Hauptmann Schabert, Reemis und andere Freunde auf. Dann bestieg ich den Zug nach Berlin. Eine schauderhafte Fahrt. Alle Plätze waren sozusagen doppelt besetzt, viele Fensterscheiben eingeschlagen, die Fensterbügel und Ledergriffe abgeschnitten. Als ich nicht mehr stehen konnte, warf ich mich einfach zwischen zwei Sitzreihen auf den schmutzigen Boden und suchte nach Möglichkeit Frau Werner vor den schweren Soldatenstiefeln zu schützen, die mich rücksichtslos stießen. Tante Michels Bruder, Herr Alfred Dunsky, wohnte in einem vornehmen Haus in der Halleschen Straße. Als ich in meinem allerdings auffallenden und schmutzigen Kostüm die Treppe erstieg, stürzte ein kleiner bissiger Portier hervor und fauchte mich an: »Packen Sie sich fort! Hier ist nur Aufgang für Herrschaften! Ich sagte: »Verzeihen Sie, Herr Dunsky erwartet mich. Ich bin ein Offizier.«

»Ach was, es gibt keine Offiziere mehr!«

Da wurde ich zornig und fragte den Zwerg, ob ich ihm einmal mit der Faust die Nase verbiegen sollte, worauf er giftig heulend verschwand.

Herr Dunsky und seine Schwester empfingen mich freundlich. Aber doch nicht so herzlich, wie ich das erwartet hatte. Sie waren beide von Sorgen ganz benommen, waren deprimiert über die schrecklichen, gefährlichen und hoffnungslosen Verhältnisse in der Hauptstadt, wo alles drunter und drüber ging und die größte Not und Grippe und alles Schlimme herrschte.

Mit meiner Tante besprach ich dann meine Zukunftspläne. Ich wollte mir eine Stellung bei einer Zeitung oder bei einem der vielen neugegründeten Ämter suchen. Die Tante hatte mir bei einem Angestellten ihres Bruders in der Königgrätzer Straße ein behagliches Stübchen eingerichtet. Die Wirtsleute, sie hießen Oertner, nahmen mich und Frau Werner mit großer Herzlichkeit auf. Zunächst sollte ich aber noch einmal nach München fahren, um für die Tante wegen der Aufgabe ihrer dortigen Wohnung gewisse Schritte zu unternehmen. Ich selbst hatte dort auch noch einige Sachen stehen. So machte ich abermals solche zermürbende und beschämende Eisenbahnfahrt durch, die ich nur kurz in Leipzig unterbrach, um Mutter und Schwester zu besuchen. Auch in Leipzig war alles niedergeschlagen und erwartete blutige Ereignisse. Meine arme kleine Mutter war von der Meraner Revolution in die Münchener und dann wieder in die Leipziger Revolution geraten. Von den Freunden und Bekannten waren viele tot, im Kriege gefallen, an Grippe gestorben. Die noch lebten, hatten keine freien, frohen Gedanken mehr.

Ich nahm Abschied und mußte wieder bis München stehen. Die Soldaten schimpften unflätig auf die Offiziere und auf die Juden.

Am Freitag, dem 29. November 1918, traf ich in München ein. Der Hauptbahnhof war mit weißen Fähnchen geschmückt, aber ich empfand es bitter, daß diese Ehrung mir nicht galt. »Es gibt keine Offiziere mehr!«

Auch in München dasselbe Bild wie überall. Ernste, niedergeschlagene Mienen. Viel Krüppel. Viel Kranke. Viel Arbeitslose. Mißtrauen. Angst vor dem drohenden Bürgerkrieg. Hunger. Unbeleuchtete Straßen. Schießereien. Raubüberfälle. Diebstähle.

Ich saß in Tante Michels bisheriger Wohnung in der Arcisstraße in meinem altvertrauten Stübchen und sah meine Bücher wieder und manche Gegenstände, die ich ganz vergessen hatte. Und ich öffnete das von mir vor viereinviertel Jahren zurückgelassene Testament und mußte weinen. Weil niemand zu mir gesagt hatte: »Willkommen nach dem Kriege in der Heimat.«